W. EnochS. LeviH. RuinA. EddingtonF. PaulsenMFK | |||
Über den Substanzbegriff bei Locke und Hume [3/4]
B. Die reale Bedeutung der Substanzen Der Begriff des Atoms, welches nicht wahrnehmbar, aber trotzdem wirklich gedacht wird, weist uns aus dem Kreis des bloß Vorgestellten in den Kreis des Realen außerhalb der Vorstellung. Wir haben schon gesehen, daß LOCKE die Annahme von unseren Vorstellungen korrespondierenden Gegenständen auf einem Erkenntnisakt beruhen ließ. Mit Bezug auf die drei Arten von Substanzen sagt er, daß wir von der Existenz unseres Ich als eines denkenden Wesens eine intuitive, von der Existenz des Körperlichen eine sensitive, von der Gottes eine demonstrative Erkenntnis haben (Essay IV 9 § 2). Ideologisch betrachtet, kommt man hier auf die Idee der Existenz oder Wirklichkeit, aus deren Vergleichung mit den Dingideen nach LOCKEs Theorie diese Erkenntnisse entspringen müssen. Wir brauchen uns nicht auf eine ausführliche Kritik dieser unter den einfachen rangierenden Idee einzulassen. Durch den Mangel eines spezifischen Inhalts unterscheidet sie sich deutlich genug von allen übringen. Konnte dies LOCKE nicht verhindern, sie unter die Elementarvorstellungen aufzunehmen und selbst zu einem so bedeutenden Zweck zu benutzen, so mußte sie bei HUME der schärferen Kritik zum Opfer fallen. Abgesehen davon, daß nach ihm eine eigentlich äußere Existenz überhaupt nicht direkt vorstellbar ist, findet sich für eine solche Idee keine Wurzel in der Sphäre der Eindrücke; sie enthält nichts neben der Vorstellung des als existent Gedachten (Treatise II 6), oder dasselbe mit anderen Worten: Die Bestimmung der Existenz fügt der Vorstellung eines Objekts nichts hinzu, ein Satz, von dem KANT später Anwendung machte (Kr. d. r. V., KIRCHMANN-Ausgabe, Seite 480). Sie entspring aber auch nicht aus einer abstrakten Betrachtung (Bestimmung von Ideen ohne irgendeine reale Differenzierung), der Idee eines Vorstellungsobjekts, weil eine solche stets hervortretende ähnliche Reihen voraussetzt, im Punkt der Existenz aber alle Objekte übereinkommen. Diese Gedanken richten LOCKEs Annahme; die Idee der Existenz kann nicht in einer Erkenntnis zu einem Objekt in Vergleich gesetzt werden, weil sie keine selbständige Bedeutung hat. Der Fehler, welcher es HUME möglich macht, ihn anzugreifen, ist die falsche Bestimmung des Erkennens, das sich bloß in der Vergleichung der Ideen bewegen soll und darum natürlich unvermögend bleibt, die Vorstellung als Repräsentanten eines äußeren Realen zu erfassen. HUMEs Begriff der Existenz ist bloß der der unmittelbaren Realität im Vorstellungsakt. Während LOCKE die Wahrnehmungsidee nach zwei Seiten auffaßte, einmal sofern sie der inneren Realität des Ich angehört als Vorstellung, und sofern sie ein äußeres Reales darstellt (Essay II 23 § 15), ist sie bei HUME einfach impression welche im Grunde nur die sensation LOCKEs in ihrem einfachen subjektiven Sinn ist. So steht LOCKE hier der Wahrheit näher, indem er die Unterscheidung der unmittelbaren Realität in der Vorstellung und der mittelbaren des äußeren Gegebenseins zuläßt, während HUME die letztere vollständig negiert; um ihn zu verstehen, muß man beachten, daß er noch nicht zur Unterscheidung des Empirischen und Transzendentalen gekommen ist, und so in der Absicht, die äußere Realität in einem transzendentalen Sinn zu zerstören, dieselbe in einem empirischen Verstand mit trifft. Vom Begriff der Realität ist getrennt zu halten der der Objektivität, eine Trennung, die HUME, wenn nicht dem Namen, so doch der Sache nach macht. Im Begriff der äußeren Objekte liegt neben der mittelbaren Realität noch die Bestimmung eines Zusammenhangs; während daher HUME die erstere als sinnlos verwirft, bleibt immer noch die letztere zurück, auf welche sich ihm der Begriff der äußeren Welt (external objects) faktisch reduziert (Treatise II 6). Bei LOCKE sind beide Begriffe nirgends voneinander getrennt; das Reale ist gleichzeitig objektiv im erklärten Sinn, es enthält Zusammenhänge, denen unsere komplexen Ideen entsprechen. Sie liegen bei ihm noch ganz außerhalb des Bereichs der kritischen Reflexion, und dieser Umstand bedingt den allgemeinen Charakter der Philosophie als eines empirischen Realismus; derselbe betrachtet die äußere, mittelbare Realität eben nur empirisch und meint nichts als die Realität im Raum, welche äußerlich heißt im Gegenstatz zu den inneren psychologischen Erscheiungen, sofern sich diese physiologisch an den Leib anknüpfen, ihren Objekten aber eine außersubjektive Realität in einem höheren Sinn weder zu- noch abspricht. Freilich hat LOCKE die ursprüngliche Naivität desselben zum Teil schon verloren, indem er auf das Erkennen reflektiert; der objektive Gegenstand, als Korrelat der Vorstellung betrachtet, ist mehr als das Objekt des naiven Realisten, er wird als Ding-ansich in einem höheren als dem empirischen Sinn der räumlichen Selbständigkeit betrachtet. Diese Divergenz zeigt sich im Besonderen auch bei der Frage nach den sekundären Qualitäten. HUME betrachtet diese Lehre als so wichtig für die Philosophie LOCKEs, daß er in ihr sogar das eigentümliche Prinzip derselben findet (Treatise IV 3), weswegen eine Berücksichtigung an dieser Stelle geboten erscheint. Der Satz, daß die eigentlichen sinnlichen Empfindungen nur subjektiv sind, ist ansich schon seit CARTESIUS als ausgemacht verbreitet, selbst gegen die Aussage des naiven Glaubens; nur hat ihn LOCKE neu mit allen Argumenten begründet und seine Tragweite herausgestellt. Er unterscheidet von vornherein zwischen idea und quality (Essay II 8 § 8), in dem Sinne, daß jeder idea im Subjektiven objektiv eine quality entspricht. Während nun die Ideen der Ausdehnung, Solidität und Beweglichkeit gleiche Qualitäten darstellen, sollen den sinnlichen Empfindungen keine solchen zugehören (Essay II 8 § 23). Betrachtet man die Gründe für diese Behauptung, so reduzieren sie sich hauptsächlich auf drei (ebd. § 15-19). Der erste beruft sich auf das prüfende Bewußtsein selbst, welches jene Bestimmungen als geknüpft an die Rezeptivität der Sinne erkennt (§ 17); der zweite besteht darin, daß anerkannt subjektive Zustände (Schmerz) mit jenen Empfindungen in engster Verbindung stehen (§ 16); der dritte schließlich beruft sich auf das Faktum der kausalen Bedingtheit und der daraus entspringenden Veränderlichkeit derselben (§ 19, 20). HUME hebt in seiner Beleuchtung der Lehre den dritten als allein befriedigend hervorf, und dieser ist es auch, auf welchen unsere Physiker hauptsächlich rekurrieren. Die qualities, welche den sensiblen Ideen entsprechen, sind Kräfte, welche durch räumliche Verhältnisse der Masse bedingt sind; diesen kommt streng genommen der Name sekundärer Qualitäten zu. Die primären Qualitäten und ihre korrelaten Ideen haben noch einen anderen Vorzug; sie sind von der Idee des Körpers unabtrennbar, daher die Benennung original qualities, und fehlen an keinem Teilchen; worin freilich noch kein Grund für ihre Objektivität und die Subjektivität der sekundären liegt, wie LOCKE anzunehmen scheint. Wir sehen ab von einer Beurteilung seiner Gründe und wollen nur die Prinzipien der Beweisführung einer Betrachtung unterziehen. Hier ist nun von wesentlicher Bedeutung, daß der ganze Satz als Negation aufgefaßt wird, als Korrektur eines positiven Irrtums, der im naiven Denken besteht. Jedenfalls geht also der Philosoph vom Standpunkt des naiven Denkens aus wie ein Forscher von einer ersten Beobachtung, und wendet nun die Korrektur an. Nun war aber noch ein anderer Weg möglich. Denn nach dem kritischen Gedanken, daß uns überall nur Vorstellungen gegeben sind, muß zunächst eine Thesis geschaffen werden zum Zweck der Realsetzung von Vorstellungen überhaupt, d. h. es mußte positiv bewiesen werden, warum allen oder gewissen Vorstellungen neben der subjektiven noch eine objektive Bedeutung zukommt. So ist es ein systematischer Fehler bei LOCKE, daß er uns den Nachweis schuldig bleibt, warum die primären Qualitäten ihrerseits adäquat vorgestellt werden und sich hier auf die naive Aussage verläßt, mit der er doch hinsichtlich der sekundären in Widerspruch tritt. Auf diese Art war es möglich, daß HUME die von LOCKE begonnene Zersetzung der naiven Realsetzung auch auf die primären Qualitäten erstreckt. Dabei darf man aber nicht vergessen, daß dieser Zersetzung die Steigerung der realen Außenwelt des naiven Menschen zur Bedeutung einer Welt der Dinge-ansich im Sinne einer Idealphilosophie vorhergeht, um die wahre BEdeutung dieser Zersetzung richtig einzuschätzen. Das muß man auch beachten, um den Begriff des Subjektiven, angewandt auf die Ideen der sekundären Qualitäten zu würdigen. Genau gesprochen ist das Resultat LOCKEs dieses, daß dieselben nicht adäquat als Qualitäten räumlicher Objekte gedacht werden können, sofern man sie unabhängig von einer möglichen Wahrnehmung betrachtet. Der naive Mensch tut das Letztere de facto nicht. Dabei leugnet LOCKE nicht, daß sie zur Bestimmung der Gegenstände in der Erkenntnis dienen (ebd. § 26), wie die Wirkungskräfte überhaupt, von denen sie sich nur dadurch unterscheiden, daß sie unmittelbar in ihrer Wirkung auf uns beobachtet werden (§ 26f), und hierauf kommt es im naiven Denken eigentlich an. So bringt REID nichts wesentlich Neues, wenn er in seiner Ehrenrettung des gemeinen Verstandes erklärt, daß in demselben die sinnlichen Eigenschaften nicht als eigenliche Eigenschaften, sondern nur als Kennzeichen der Gegenstände betrachtet werden; nur daß er im Verfolgen dieser Unterscheidung die Bedeutung solcher Zeichen für das Erkennen allgemeiner würdigt und ihnen so ein besseres Ansehen verschafft. Jede Ursache ist nach ihm nur ein Zeichen der Wirkung (Enquiry, Seite 112). - Zu einer ähnlichen Wendung des Gedankens finden sich auch bei HUME Motive in seiner Untersuchung über die räumliche Verbindung der Vorstellungen, welche dem Problem einen neuen Gesichtspunkt eröffnet (Treatise IV, 5, Seite 300). Räumlichkeit ist eine besondere Beschaffenheit einiger Eindrücke (des Gesichts- und Tastsinns), alle anderen sind ansich raumlos; es kann Etwas existieren und doch an keinem Ort sein. So stellt sich die ganze Sache als eine psychologische Frage dar über die Verknüpfung der Eindrücke, der raumlosen und der räumlichen. In der Tat ist die Räumlichkeit für LOCKE der erste Charakter der äußeren Gegenständlichkeit; freilich hat er eine ganz andere Ansicht vom Raum als HUME. Denn wenn er auch die Vorstellung desselben aus den Gesichts- und Tastwahrnehmungen ableitet, so unterscheidet er ihne doch seinem Wesen nach von diesen, wogegen HUME den Raum ganz an Eindrücke anknüpft und ihn erst in und mit denselben als real betrachtet. Der Begriff der sekundären Qualitäten bei LOCKE gehört zu denen, in welchen sich der noch stark rationalistische Charakter seiner Philosophie ausspricht. Schon indirekt ergibt sich das aus seiner Berührung gerade in diesem Punkt mit CARTESIUS und LEIBNIZ, wobei letzterer mit dem Begriff der verworrenen Vorstellung noch erheblich weiter geht. Die Konsequenz desselben ist die ganz rationalistische Unterscheidung einer Sinnen- und Verstandeswelt. Zwar hegt LOCKE die Meinung, daß nur eine Verschärfung der Sinnesorgane nötig sein würde, um uns anstelle der sinnlichen Empfindungen die entsprechenden wahren mechanischen Verhältnisse erkennen zu lassen; aber die Voraussetzung dieses Gedankens ist eine schlechterdings unvollziehbare und so bleibt uns stets das wahre Sein hin der sinnlichen Erscheinung verborgen. Vielleicht irren wir auch nicht, wenn wir in einer Tendenz des Rationalismus ein tieferes Motiv zu dieser ganzen Lehre erkennen: der Tendenz nach deduktiver Verknüpfung des Gegebenen und der entsprechenden Auffassung des Realen unter der Idee eines deduktiblen Zusammenhangs (vgl. Essay IV 2, § 11-13); Deduktion der Naturerscheinungen ist aber nur soweit möglich, als der Begriff der Größe sich anwenden läßt; deduktive Auffassung und mechanische sind identisch. So ist in unserer Physik die vollständige Ableitbarkeit aller optischen Erscheinungen aus dem Begriff der Lichtbewegung keine der geringsten Empfehlungen der gültigen Hypothese. Daneben läßt sich noch bemerken, daß die Wurzel der Objektvorstellung überhaupt das extensive Quantum ist, und so sind räumliche und dynamische Bestimmungen jedenfalls das Letzte, worauf wir bei einer wissenschaftlichen Analyse der selben kommen können. COUSIN hat die Idee aufgestellt, daß in jeder Philosophie der negative Teil die Wahrheit, der positive den Irrtum enthält; dieselbe bestätigt sich im gegenwärtigen Fall. Die Lehre von den sekundären Qualitäten macht den Anfang, die Welt des naiven Menschen als eine Welt der Dinge-ansich betrachtet zu zerstören und ihre Anknüpfung als Erscheinung an ein vorstellendes Subjekt aufzuweisen; dafür setzt sie als wahre Außenwelt Massenteilchen, indem sie die mathematisch-dynamischen Bestimmungen der Wahrnehmung als objektiv festhält (vgl. Treatise IV 4); mit KANT zu reden setzt sie die reine Anschauung mit ihren Konstruktionen anstelle der empirischen; sie entfernt sich dadurch einmal schon von der Empfindung, als der Wurzel aller Vorstellung des Realen für den Empirismus, und begeht den Irrtum, eine absolute Realität an Bestimmungen zu heften, die derselben nicht fähig sind. Dieser Irrtum findet bei HUME seine Korrektur; er erkennt als die Konsequenz der Lehre die vollständige Auflösung des Begriffs äußerer Objekte (Treatise IV 4). Man kann aus seiner Kritik ein doppeltes Resultat entnehmen. Einmal weist er nach, daß die fraglichen Bestimmungen ohne die Sinnesqualitäten unvorstellbar sind, mithin also allen Halt verlieren, sobald diese als nur subjektive Wirkungen angesehen werden. So stellt sich die Alternative, entweder diese Unterscheidung primärer und sekundärer Qualitäten aufzuheben oder die objektive Welt der Materie in Nichts zerfließen zu sehen. Dabei ergibt sich aber, und das ist gerade der Kern aller Argumente, daß die primären Qualitätsideen eine Beziehung oder Relation involvieren. Zunächst setzt die Bewgung die Vorstellung eines beweglichen Objekts voraus, die sich auf die Bestimmungen der Ausdehnung und Solidität reduzieren muß. Ein Ausgedehntes enthält Teile, die einfachsten Teile können nicht ausgedehnt sein, sie würden sich also in Nichts auflösen, wenn man sie nicht als gefärbt oder solide betrachtet. Die erste Voraussetzung ist ausgeschlossen; so bleib die Solidität. Der Begriff derselben setzt aber seinerseits selbst zwei Objekte voraus, so kommt man in einen Zirkel (ebd. Seite 294, 295). Der Begriff, um welchen sich die ganze Sache dreht, ist der des ausgedehnten Realen, ein Begriff, aus dem sich die von FRIES sogenannte Antinomie des Einfachen und Unteilbaren entwickelt. Dieselbe löst sich begrifflich aufgefaßt in Nichts auf, man muß mit HUME den Ausweg nehmen, die Räumlichkeit an die Empfindung anzuknüpfen und so das einfache Reale in die einfache Empfindung zu verlegen. Eine andere Lösung gab KANT. So sehr man gewöhnt ist, in LOCKEs Lehre als einem Halbidealismus den Anfang zum Idealismus KANTs zu finden, so kann man sie doch mit mehr Recht im Hinblick auf ihre rationale Seite dem Rationalismus zugesellen, mit seiner Lehre, daß das wahre Sein nicht sinnlich wahrgenommen, sondern nur im Verstand vorgestellt werden kann. Diese wahre Welt ist bei LOCKE immerhin eine physische und dadurch unterscheidet er sich von den metaphysischen Rationalisten, ohne aber deshalb in dem Grad Empirist zu sein, wie er selbst vorgibt; denn indem er die Fundamentalbestimmungen der physischen Welt von der Empfindung absondert, muß er notwendig auch die Welt selbst als verschieden von der Empfindung betrachten. Gehen wir jetzt zur Betrachtung des Verhältnisses unserer Dingideen zu dieser objektiven physischen Welt über. Von allgemeiner Bedeutung ist dafür die begriffliche Natur jener Ideen, indem ihnen alle Eigenschaften der Allgemeinbegriffe zukommen. Als Anhänger der nominalistischen Begriffstheorie gibt ihnen LOCKE, im Gegensatz zur scholastischen Lehre der objektiven begrifflichen Formen, nur subjektive Bedeutung, d. h. die ganze Einteilung der genera und species besteht nur im Verstand, und ein Gegenstand gehört nur unter einen Begriff, sofern er auf denselben bezogen wird (III 3, § 12, 13). Die Begriffe haben keine objektive Grundlage, so daß sie noch vor ihrer Formation bestimmt wären (etwa als Bildungstypen der Natur, z. B. bei den organischen Arten, § 17). Das Wesen der Art ist die abstrakte Idee. Die Willkürlichkeit in der Bildung der Substanzbegriffe ist jedoch kleiner als bei den Modalbegriffen; der Verstand folgt dabei der Natur und vereinigt keine Ideen, von denen er nicht annimmt, daß sie in der Natur geeint sind (Essay III 6, § 28); der Komplex der Merkmale eines Dingbegriffs entspricht jedesmal einem Komplex koexistenter Qualitäten (ebd. § 21). Immerhin ist das Wesen der substanziellen Art nichts als die abstrakte Idee oder die Summe von Merkmalen im Verstand (ebd. § 22); nur in ihr hat dieselbe ihre Realität; jeder Art ist das eigentümlich, was in ihrem Begriff enthalten ist (ebd. § 2). Diesem nominalen Wesen der Art im Begriff steht aber das reale gegenüber. Das Wesen ist ursprünglich, so definiert LOCKE, die innere unbekannte Konstitution der Dinge, von der die wahrnehmbaren Qualitäten abhängen (ebd. 3, § 15); in zweiter Linie wird der Begriff auf die künstliche Konstitution der Arten übertragen, und der Begriff gilt als das (nominale) Wesen der Art. Die koexistierenden Qualitäten, welche in einem Dingbegriff als Merkmale vereinigt werden, setzen aber eine bestimmte innere Konstitution voraus als Bedingung der Koexistenz, und diese ist das reale Wesen. Das Verhältnis des realen und des nominalen Wesens zum Begriff der Art erörtert LOCKE in größter Breite. Das reelle Wesen ist uns bekannt und gibt also nicht das Kriterium für die Subsumtion eines Gegenstandes unter einen Begriff ab es ist zwar für jede Art bestimmt, bleibt aber für uns bloß ideell und dient nicht zur Determination der Art (ebd. § 8, 9). Das reelle Wesen knüpft sich nur an dieselbe aufgrund des nominalen, zu dem es als Bedingung vorausgesetzt wird (ebd. § 16). Ins rechte Licht tritt erst die Bedeutung des Realwesens bei Beachtung der Eigentümlichkeit der Substanzbegriffe, einer Bereicherung mit Merkmalen fähig zu sein. Jeder dieser Begriffe ist, wie er vorliegt, noch unvollständig, d. h. es lassen sich zur Gruppe koexistenter Qualitäten, die seinen Inhalt ursprünglich ausmachten, immer noch neue Glieder finden. Ein Sachverständiger kann den gewöhnlich bekannten Eigenschaften des Goldes noch hundert andere hinzufügen (Essay IV 6, § 29; II 31, § 10). Die Gründe dafür sind mehrere. Einmal suchen wir die Begriffe möglichst zu vereinfachen und stellen also nur einige hervorspringenden Merkmale in den Vordergrund, ja nach den verschiedenen Motiven des Interesses, welche das unwissenschaftliche Denken beherrschen, dem die Begriffe ihre erste Gestaltung verdanken; andererseits sind die meisten Qualitäten abhängig von den unbegrenzten Wechselwirkungen der Substanzen (Essay II 31, § 8). So reicht das reale Wesen über das nominale hinaus; denn in der Tat müssen aus demselben neben den primitiven Bestimmungen des Begriffs (Nominalwesen) auch noch alle diejenigen fließen, welche als weitere Merkmale aufgefunden werden können. Das Nominalwesen oder der Begriff ist immer nur ein provisorischer Ausdruck für die Art, wogegen das reale eine relativ absolute Bedeutung hat. (23) Daraus ergibt sich das Urteil über die Art der objektiven Realität der Dingbegriffe. Suchen wir den Umfang des Einflusses der Willkür oder überhaupt subjektiver Motive in der Formation derselben zu bestimmen, so zeigt sich derselbe darin, daß eine größere oder geringere Anzahl koexistierender Qualitäten als Merkmale ursprünglich zusammengefaßt werden, von denen das eine soviel Recht hat als das andere (Essay III 6, § 31). Wenn LOCKE nun diesbezüglich von einer genaueren oder ungenaueren Bildung des Begriffs spricht, so setzt das ein objektives Ideal der Vollständigkeit voraus, welches für die Gestaltung des Begriffs bestimmend ist; jeder Dingbegriff hat seinen Prototypen in einem objektiven Komplex verknüpfter Qualitäten. Um aber die Sache nicht schief aufzufassen, muß man beachten, daß diese Komplexe nicht in dem Sinne eine objektive Realität haben, daß jedes Glied mit jedem anderen zusammenhinge und also eine durchgängige notwendige Einheit bestünde, sondern daß stets einige Merkmale als konstitutiv vorauszusetzen sind, an welche die andern sich anknüpfen. Dieser Unterschied der konstitutiven oder wesentlichen und der akzessorischen [zufälligen - wp] Merkmale tritt bei LOCKE nicht scharf hervor; er hat vorzüglich die verschiedenen Grade der Vollständigkeit im Auge, welche dem bereits vorhandenen Begriff gegeben werden können, wobei sich reale Verhältnisse determinierend zeigen. Diese Determination findet aber erst statt, nachdem der Begriff gegeben ist, durch eine Anzahl Merkmale. Die Wahrnehmung oder Erfahrung füllt immer nur die letzte Hälfte eines Urteils aus von der Form: wenn A, B, C ... auftreten, so erscheinen P, Q, R ...; (A, B, C ... H; P, Q, R ... V) stellen die vollständige Reihe der Merkmale eines Begriffes dar, aber die Glieder haben nicht alle gleiches Recht, sondern dies läßt sich höchstens von (P ... V) behaupten. Wenn es von zufälligen Umständen abhängt, wieviele Glieder von P ... V in den Begriff eingeschlossen werden, so betrifft das nur den Grad der Ausbildung desselben. Der eigentliche Beitrag des Begriffe bildenden Verstandes zur Erzeugung derselben liegt in der Zusammenfassung der Merkmale A ... H. Erweist sich auch hier zwar die Natur als anregend, indem sie dem Beobachter wiederholt dieselbe Gruppe vorzeigt, so liegt doch darin noch kein Zwang dieselben in eine Vorstellung zu vereinigen, sondern es findet ein willkürlicher Akt statt; nunmehr liefert die Natur die Ergänzung, alles Weitere ist vorgeschrieben. So haben wir einen subektiven und einen objektiven Faktor, welche LOCKE ebenalls statuiert, ohne aber ihre Grenzen genügend scharf zu bezeichnen. In letzter Linie läuft die Sache darauf hinaus, wie das Sprachzeichen, dem ja LOCKE eine so hohe Bedeutung beimißt, den Begriff bezeichnet. Bedeutet dasselbe zunächst die Gruppe (A ... H), so ist es klar, daß man ohne Schaden irgendwelche Mitglieder der Gruppe P ... V ausdrücklich und explizit unter demselben Zeichen mit verstehen kann und verstehen wird, wenn man den ganzen Gehalt desselben aufzählend erschöpfen will; oder mit anderen Worten: man wird Eigenschaften P ... V in das Nominalwesen der Art, welche das Wort bezeichnet, mit einschließen können (vgl. Essay III 6, § 47); darauf legt LOCKE Gewicht. Andererseits muß jedes Wort einen gewissen Fond an Merkmalen in minimo [in einem Mindestmaß - wp] bezeichnen, an dem keine Änderung gemacht werden kann, ohne das Wort zum Ausdruck einer anderen Sache zu machen; in der Bestimmung dieses Fond liegt der Beitrag des Verstandes. - Diese Betrachtungen führen auf den Begriff der Definition. Die Definition ist die Feststellung jenes minimalen Begriffsfonds und insofern Sache des Verstandes; sie gibt die wesentlichen Merkmale der Art. Die mit diesen koexistenzen Bestimmungen wird man zwar auch in die Definition mit aufnehmen können, aber dies kann doch nur nachträglich geschehen und wird nicht unbedingt nötig sein. So ergibt sich ein doppeltes Verhältnis der Merkmale zum Begriff, das wir als das analytische und das synthetische unterscheiden wollen, eine Unterscheidung, welche insbesondere für die Frage der Erkenntnis maßgebend wird, welche LOCKE am Schluß dieses Abschnitts berührt. Er wirft hier die Frage auf (ebd. § 50): Welchen Sinn hat ein Satz, wie: alles Gold ist fest. Entweder heißt das, sagt er, daß die Festigkeit ein Teil der Definition des Goldes ist, als seines Nominalwesens, oder er besagt eine Eigenschaft der durch das Wort Gold bezeichneten Substanz, d. h., fügen wir hinzu, die nachträglich sich mit dem ursprünglichen Nominalwesen verknüpft zeigt. Diese beiden Fälle entsprechen offenbar den unterschiedenen Verhältnissen. Gleichzeitig sieht man die Beziehung zu den Begriffen des Nominal- und Realwesens. Die Definition ist der Ausdruck des Nominalwesens, welches auf ein bestimmtes Minimum reduziert werden kann; die Bestimmungen in der Definition sind untereinander independent, [unabhängig - wp] zumindst verlangen sie keine Verknüpfung, sondern selbst aufgrund eines einzigen beobachteten Falles läßt sich eine Definition machen (ebd. § 1). Ein reelles Wesen ist vorauszusetzen, soweit eine objektive Verknüpfung besteht, d. h. für das synthetische Verhältnis der Merkmale zum Begriff; es ist das objektive Prinzip des Zusammenhangs, der allein zwischen den analytischen und den synthetischen Merkmalen des Begriffs besteht. Gehen wir jetzt auf eine speziellere Prüfung dieses Begriffs ein, so ist das reelle Wesen zunächst ganz verschieden von der komplexen Vorstellung, welche das Nominalwesen der Art ausmacht; sonst müßten von den Merkmalen des Begriffs alle weiteren Eigentümlichkeiten der Art abhängen und aus ihnen abgeleitet werden können, was nicht der Fall ist (Essay II 31 § 6). Das Wichtigste in dieser Auslassung ist die Gleichsetzung von abhängig sein und abgeleitet werden können: die Abhängigkeit der Eigenschaften von einem reellen Wesen wird unmittelbar als Grund der Ableitbarkeit derselben gedacht. Die Gleichstellung der objektiven Verknüpfung im Dasein und des logischen Zusammenhangs der Deduktion oder die Identifizierung der objektiven Einheit der Eigenschaften im Gegenstand und der logischen Einheit der verschiedenen Folgen einer Voraussetzung ist abermals ein rationalistisches Element, welches bei allen Empiristen seit LOCKE, höchstens die allerneuesten Vertreter dieser Richtung ausgenommen, anstandslos passiert ist, obwohl bereits KANT die Verschiedenheit beider Arten des Zusammenhangs zur Deutlichkeit brachte (24). Man bemerkt unschwer, daß bei LOCKE und den Nachfolgern dabei die geometrischen Begriffe und ihre Stellung in der Erkenntnis als Muster für die Erfahrungsbegriffe betrachtet werden. - In der Tat haben die Begriffe der geometrischen Gestalten mit den Dingbegriffen keine geringe Ähnlichkeit, indem in beiden die Merkmale im Verhältnis der Koexistenz stehen. Daneben besteht freilich eine beträchtliche Verschiedenheit, indem, um möglichst allgemein zu sprechen, die ersteren im Sinn LOCKEs vollständig (adequate) sind, die letzteren aber nicht. Wir kennen nur einige zufällige Beschaffenheiten der Dinge, welche in Wahrheit nichts sind als Kräfte oder Beziehungen zu anderen Substanzen (Essay II 31 § 8 fin). Ebenso würde es sich mit den mathematischen Figuren verhalten, wenn wir nur eine Vorstellung von ihnen gewinnen könnten durch eine Zusammenstellung ihrer Eigentümlichkeiten im Verhältnis zu anderen Figuren; so aber schließen wir das ganze Wesen der Figur in den klaren und bestimmten Begriff ein und leiten daraus die Eigentümlichkeiten ab, und sehen durch Demonstration, wie sie daraus fließen und untrennbar daran geknüpft sind (§ 11). Mit anderen Worten: wir haben hier das wahre Wesen im Begriff, die Vorstellung enthält alles, was sie bezeichnet; die mathematischen Definitionen sind, um in der Terminologie von LEIBNIZ zu reden, Realdefinitionen, gegen welche die bloß nominalen der Dingbegriffe zurückstehen. Das bei diesen vorausgesetzte Realwesen involviert nun zumindest der Idee oder der Möglichkeit nach eine Realdefinition, und darin besteht im Grunde seine wahre Bedeutung. Was die Möglichkeit einer solchen betrifft, so wird zugestanden, daß das Realwesen auf dem Weg der Beobachtung der Eigenschaften eines Dings unerforschlich bleibt (Essay II 31 § 6); wir verhalten uns hier wie de Bauer vor der Straßburger Uhr, der die äußeren Bewegungen sieht, ohne eine Vorstellung des inneren Mechanismus zu haben (Essay III 6 § 9). Alles was ich tun kann, sagt er, ist, vorauszusetzen, daß das Realwesen nichts anderes sein kann, als Gestalt, Masse und Zusammenhang der soliden Teilchen; will man dies nicht zugeben, so entfernt man sich noch mehr vom Verständnis, denn von jenen Beschaffenheiten haben wir noch zumindest im allgemeinen eine Idee. In der Tat sind ja die primären Qualitäten die einzigen positiven Bestimmungen, welche auf das Realwesen bezogen werden können; dasselbe kann physisch nur als mechanische Bedingung gedacht werden, wenn man sich nicht in leere metaphysische Hypothesen verlieren will. So illustriert das Beispiel der Straßburger Uhr auch in dieser Hinsicht die Sache gut, wenngleich auf diese Art nur eine allgemeine Idee gegeben wird. Aber man darf von LOCKE auch keine Verfolgung der Voraussetzung ins Spezielle erwarten wie sie aufgrund unserer Einsichten in das Wesen der mathematisch-mechanischen Elemente und ihre Bedeutung als Erkenntnisprinzipien möglich wäre. Es kommt bei ihm nur im allgemeinen auf den Umstand an, daß gerade die mechanischen Bestimmungen einer deduktiven Verknüpfung fähig sind, wobei es aber doch fraglich bleibt, wie weit auf diesem Weg eine Einheit herzustellen ist, nach dem Vorbild derjenigen, welche in den geometrischen Begriffen besteht. Zudem, wenn dieselben gleich von realer Bedeutung sind, so findet doch eine Verknüpfung zwischen ihnen zunächst nur als Vorstellungen statt, und man muß sich fragen, wie dieses Verhältnis als objektive Abhängigkeit gedacht werden kann. Wir glauben nicht den Vorwurf der Konsequenzmacherei zu verdienen, wenn wir hier zum Vergleich die Betrachtungen heranziehen, welche HUME später über den Begriff der Kraft anstellte, der eine ganz ähnliche Bedeutung hat, als ein objektives Prinzip des Zusammenhangs oder der Verknüpfung. Hier ist das Resultat, daß eine objektive dynamische Verknüpfung in keiner Weise vorstellbar ist, weil nirgends im Bereich des äußeren oder inneren Sinns ein korrespondierender Eindruck gegeben ist; das eigentliche innere Band entgeht uns gänzlich (Inquiry 7. 2; Treatisse III 14). Das Gleiche läßt sich von der Verknüpfung behaupten, welche im Realwesen gedacht wird. Zum Schluß mag der schon früher in Betracht gezogene Zusammenhang des allgemeinen Substanzbegriffs mit dem Realwesen nochmals Erwähnung finden. In der Tat ist die Beziehung der mannigfaltigen Qualitäten der Dinge auf ein "Etwas" die Grundlage zu der Vorstellung, sie in einem Realwesen verknüpft zu denken; denn dieses Etwas läßt sich selbst als Vorstellung des eigentlich Realen betrachten, in welches der Grund des Zusammenhangs verlegt wird. Das Reale soll nun nach LOCKE adäquat aufgefaßt werden als gestaltete und bewegte Masse; auch hier bleibt zwar offenbar dasselbe irrationale Etwas, auf welches sich die mathematisch-dynamischen Bestimmungen beziehen, aber die Einheit, welche zu den sinnlichen Erscheinungen vorausgesetzt wird, soll doch in dieser Art der Vorstellung mit enthalten sein, und somit das Reale, sofern es ein Einheitsprinzip ist, durch dieselbe erschöpft werden. So kann man sagen, daß der Begriff der realen Welt, wie sie bei LOCKE im Gegensatz zur sinnlichen Erscheinung tritt, in diesem Sinn eine positive Determination des abstrakten und deshalb inhaltsleeren Substanzbegriffs ist, in welcher die in ihm gedachte Einheit objektiviert und im eigentlichen Sinn materialisiert ist, ja noch mehr, das abstrakte Etwas findet auch selbst ein Korrelat in der Materie als dem letzten Realen, ein Begriff, der freilich, trotz seiner anscheinenden sinnlich-anschaulichen Bedeutung schließlich nicht viel mehr besagt als jener. Nun haben wir aber gesehen, daß HUME diese ganze Realität zersetzte, indem er sie in Relation auflöste; damit ist auch jeder Hypostasierung [einer Vorstellung wird reale Existenz untergeschoben - wp] des Substanzbegriffs der Boden entzogen, und derselbe kann nur die Bedeutung eines Ausdrucks für den Akt der Beziehung des Gegebenen auf ein Etwas haben, in welchem eine Einheit des Mannigfaltigen gedacht wird, ohne daß dieses Etwas eine bestimmte Realität bezeichnet. HUME hat diese Wendung nicht selbst genommen, weil er am Prinzip der repräsentativen Vorstellung festhielt, mit dem ersichtlich die in ihrem Keim angedeutete formal-funktionelle Auffassung des Substanzbegriffs in Widersprucht tritt. So blieb ihm nichts anderes übrig, als die Auffassung desselben als einer subjektiven Fiktion.
23) Vgl. "Über den Charakter empirischer Begriffe" in KANT, Kr. d. r. V. Method. I 1, Ausgabe KIRCHMANN, Seite 569. 24) Alle Deduktion beruth auf reiner Anschauung; die objektive Verknüpfung auf Verstandesbegriffen (Prolegomena § 14 und § 36). |