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Die Prinzipien der Logik [ 3 / 3 ]
III. Methodologie Genau gesprochen, hat die Methodologie keine eigenen Prinzipien: ihre Prinzipien liegen in der reinen Logik, und sie hat nur von deren Anwendung auf die besonderen Erkenntniszwecke der einzelnen Wissenschaften zu handeln. Insofern ist sie eine technische Disziplin, die man auch als Organon der Wissenschaften oder als die Lehre von den systematischen Formen des Denkens bezeichnen kann. Dabei ist jedoch prinzipiell zu beachten, daß jede Methode nur im Hinblick auf die logische und sachliche Eigenart ihres Erkenntnisgegenstandes entworfen werden kann, sodaß die Wissenschaften mit dem Fortschreiten ihrer sachlichen Einsicht auch ihre Methoden vervollkommnen, verbessern, verfeinern und erweitern. Diese Entwicklung muß selbstverständlich den einzelnen Disziplinen selbst überlassen werden; die Logik hat weder Recht noch Pflicht noch Kraft, fruchtbare Methoden auszuklügeln, und die Methodologie, die deshalb der am wenigsten abgeschlossene Teil der Logik ist, hat immer nur die Aufgabe, mit möglichst allseitigem Ausblick auf die Arbeit der einzelnen Wissenschaften, auf ihre Probleme und Verfahrensweisen, sich die verschiedenen Verwendungen deutlich zu machen, welche dabei die logischen Formen und Normen in zweckvollen Zusammenhängen finden. Die bisherige Entwicklung der Logik hat es mit sich gebracht, daß für diese Aufgaben fast durchgängig nur die Bestimmungen der formalen und analytischen, nicht die der transzendentalen Logik flüssig gemacht worden sind. Völlig berechtigt schien das fü den allgemeinen Teil der Methodologie, der sich mit den für alle Wissenschaften und auf für das außerwissenschaftliche Denken gleichmäßig gültigen Methoden des Beweisens und Widerlegens beschäftigt. Denn alle diese sind nur mehr oder weniger verwickelte Arten des Schließens und haben daher ihr Prinzipien in der Syllogistik. Indessen ist man schon genötigt, über diesen formalen Schematismus hinauszugehen, sobald man sich auf den Charakter der ersten Prämissen besinnt, die, selbst nicht beweisbar, in unmittelbarer Gewißheit den Ausgangspunkt allen Beweisens darbieten müssen. Hier wird vom formalen Standpunkt aus die Quantität der Urteile methodologisch maßgebend: denn diese ersten Prämissen sind entweder Axiome, d. h. generelle Voraussetzungen, die durch Erfahrung nicht begründbar, oder Tatsachen, die durch Wahrnehmung gegeben sind. Auf diesem (aristotelischen) Grund baut sich die Unterscheidung rationaler und empirischer Wissenschaften auf. Aber das Ideal, ihr beweisendes System nur auf Axiome aufzubauen, kann unter allen Wissenschaften nur die Mathematik erfüllen; sie ist die einzige rein rationale Disziplin. Wenn man aber dann die übrigen Sonderwissenschaften empirische nennt, so darf man nicht meinen, daß diese ihre Begründung ausschließlich in Tatsachen haben, sondern man muß eingedenk bleiben, daß sie diese Tatsachen nur mit Hilfe axiomatischer Voraussetzungen für ihre Erkenntniszwecke verarbeiten können. Je weniger manchmal solche Disziplinen in ihrer lebendigen Erkenntnisarbeit sich diese ihnen völlig selbstverständliche axiomatische Struktur ihrer Beweisgänge ausdrücklich zum Bewußtsein bringen, umso mehr ist es die Aufgabe der Logik, sie so systematisch wie möglich herauszuarbeiten. Denn die Philosophie hat gerade, wie ich in den Präludien (II, Seite 108) gezeigt habe, die Aufgabe, durch empirische Besinnung auf die Funktionen allgemeingültiger Wertung die Normen festzustellen, deren sachlich axiomatische Geltung zwar durch die Tatsachen erläutert und an ihnen zum Bewußtsein gebracht, aber nicht durch sie bewiesen werden kann. Die Methode der Philosophie ist also weder rational noch empirisch, sondern kritisch, wie es die formale Logik durch ihr Beispiel in erster Linie selbst erhärten muß. Die beiden Arten des Beweisens, deren eine vom Allgemeinen zum Besonderen, die andere vom Besonderen zum Allgemeinen fortschreitet, sind unter dem Namen der apodeiktischen und der epagogischen, der deduktiven und der induktiven Methode bekannt. Der deduktive Beweisgang aber spielt nicht nur in der rationalen, sondern auch in der empirischen Wissenschaft seine Rolle. Der syllogistische Fortschritt ist nämlich bei sehr verschiedenwertigem Charakter der generellen Prämissen möglich. Sie brauchen keine Axiome im eigensten Sinn zu sein, sie können auch in definitorischen Bestimmungen oder hypothetischen Begriffs- und Urteilsbildungen bestehen, sie können endlich mehr oder weniger gewisse Ergebnisse eines induktiven Denkens sein: und da alle Wahrheit des Erschlossenen bedingt, d. h. vom Wahrheitswert der Prämissen abhängig ist, so sind die Ergebnisse des deduktiven Beweises nur im ersten Fall apodiktisch [gewiß - wp], im zweiten dagegen problematisch und im dritten nur wahrscheinlich. In allen Fällen aber nennt man diese Art der Gewinnung des Besonderen aus einem irgendwie geltenden oder angenommenen Allgemeinen die Ableitung a priori, und die Logik sollte keine andere Bedeutung dieses viel mißbrauchten Terminus bestehen oder aufkommen lassen. Es ist aber danach deutlich, daß auch in den empirischen Wissenschaften nicht nur gelegentliche Beweisgänge, sondern oft ganze wichtige Teile durchaus deduktiven oder apriorischen Charakters sind und sein müssen. Als Beispiele mögen für den ersten Fall diejenigen Erörterungen gelten, in denen aus physikalischen oder chemischen Hypothesen die Folgerungen entwickelt werden, an welchen sie verifizierbar sind, - für den zweiten Fall aber große Partien der systematischen Jurisprudenz. Auch für den induktiven Beweis können die Prinzipien einer formalen Begründung nur in der Syllogistik gesucht werden. Er bedeutet in dieser Hinsicht ein Reduktionsverfahren, worin ein genereller Satz durch singuläre oder partikuläre Urteile zu begründen ist, die syllogistisch durch Subsumtion daraus folgen würden. Diese ansich formell unerlaubte Folgerung muß noch besonders durch ein logisches Verhältnis zwischen den begründenden Urteilen und dem zu begründenden gerechtfertigt werden. Das gilt selbst on der sogenannten vollständigen Induktion, bei der keineswegs nur eine "Zusammenfassung in Schnellschrift", sondern die Begründung des generellen (begrifflich allgemeinen) Urteils durch das entsprechende universelle (plurativ oder empirisch allgemeine) Urteil stattfindet. Dieser Übergang ist prinzipiell nicht anders zu begründen als die sogenannte unvollständige Induktion, für deren Berechtigung irgendwie der Nachweis erforderlich ist, daß das (in den Prämissen festgestellt) gleiche Verhalten der verschiedenen Exemplare oder Arten des Gattungsbegriffs in nichts anderem als diesem selbst begründet sein kann. Der Ausschluß von Nebenursachen und die Wahrscheinlichkeit, daß den verschiedenen Fällen nichts weiter gemeinsam ist als der Gattungscharakter und das ihm im Schlußsatz zuzusprechende Prädikat, kann dabei auf sehr verschiedene Weisen, u. a. auch durch die sehr große Anzahl der Prämissen erhärtet werden. Allein die großen Zahlen sind dabei ansich niemals beweisend und deshalb so wenig erforderlich, daß unter Umständen (z. B. im Experiment) ein einziger Fall für die Induktion genügen kann, wenn dieser nur (als sogenannter "reiner Fall") den logischen Anforderungen eines induktiven Schlusses genügt. Die Theorie des letzteren darf daher nicht mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung verwirrt werden, die einen ganz anderen Sinn hat, indem sie auf numerisch bestimmbaren Disjunktionen [Unterscheidungen - wp] beruth und auch wieder nur solche zum Ergebnis hat. Die "Wahrscheinlichkeit" des Induktionsschlusses dagegen bedeutet eine Geltung aus unzureichenden Gründen und hat deshalb Art und Maß der Begründung, die darin enthalten ist, logisch zu bestimmen. Die letzte Voraussetzung der Induktion bildet immer das Postulat der Naturgesetzmäßigkeit, und zwar in dem Sinn, daß nicht nur gleiche Ursachen gleiche Wirkungen, sondern auch gleiche Wirkungen gleiche Ursachen haben. Eins solche eindeutig reziproke [umkehrbare - wp], zugleich kausale und teleologische Zuordnung von Zuständen darf überhaupt nur mit erheblichen Einschränkungen vorausgesetzt werden und unterliegt prinzipiellen Bedenken mancherlei Art. Daher ist die Induktion mit all ihren Hilfsmitteln der Analogie usw. in letzter Instanz mehr eine Methode der Forschung, deren Ergebnis eine volle Sicherheit nur da gewinnt, wo es mit einem deduktiven Beweis aus gültigen Prämissen zusammentrifft. Das Bedeutsame aber in einer solchen Analyse des Induktionsschlusses besteht darin, daß sich als der logische Sinn des Schließens dabei nicht nur das formale Moment, das der Syllogistik angehört, sondern eine konstitutive Kategorie, die Kausalität, herausstellt. Hieraus erwächst die Aufgabe einer methodologischen Theorie des Schlusses, welche die (formale und reflexive) Syllogistik in demselben Sinn zu ergänzen berufen ist, wie der formalen Logik die transzendentale von KANT an die Seite gestellt wurde. Ansätze dazu sind teils in HEGELs "subjektiver Logik", teils in der Lehre von den Kausalschlüssen bei JOHN STUART MILL und bei LOTZE vorhanden: aber systematisch und allseitig ist diese Aufgabe bisher noch nicht in Angriff genommen. - Tiefer in die Besonderheit der Erkenntnisgegenstände führt die logische Analyse der Methoden des Forschens: und wenn der erste, Allgemeine Teil der Methodologie auf die formale Logik zurückwies, so kehrt sich der zweite bereits der Erkenntnistheorie zu, indem er anhand der Einsicht in alles wissenschaftliche Forschen die naive Vorstellung des Menschen von der Beziehung des Erkennens aus seinen "Gegenstand" berichtigt. Denn das entscheidende Prinzip, das hier alles beherrscht, besteht darin, daß die Gegenstände für das Erkennen niemals unmittelbar als solche gegeben, sondern vielmehr von jeder Wissenschaft erst durch eine synthetische Begriffsbildung erzeugt werden. Verhältnismäßig leicht und geläufig ist diese Einsicht in Bezug auf die rationale Wissenschaft, die Mathematik. Daß sie ihre Größen durch Konstruktion hervorbringt und nicht etwa aus der Erfahrung kopiert, darf seit KANT als eine der gesichertsten und selbstverständlich gewordenen Lehren gelten. Dabei ist gerade in der Mathematik das Verhältnis des Erkennens zu diesen seinen von ihm selbst gebildeten Gegenständen von einer höchst instruktiven Durchsichtigkeit. Denn so sehr es in der Willkür des Forschens liegen mag, welche besonderen Zahlengebilde oder Raumfiguren es zu seinen Gegenständen macht, so ist doch, sobald der Gegenstand einmal konstruiert ist, das erkennende Denken durchaus an ihn gebunden und der immanenten Gesetzlichkeit des Objekts unterworfen. Die Problembildung und Problemlösung kann auf nichts anderes ausgehen, als auf die Entwicklung der durch die synthetische Rekonstruktion selbst geschaffenen Größenbeziehungen. Das mathematische Denken, so frei es in der Erzeugung seiner Gegenstände ist, erfährt gerade hierbei den Zwang der Gegenständlichkeit, der sachlich in den von ihm konstruierten Gebilden enthalten ist und seine souverände Macht siegreich jeder Willkür des Behauptens entgegenstellt. Wir wollten dieses Verhältnis, das vom Standpunkt der subjektiven Psychologie als das Wunder aller Wunder erscheinen muß, weiterhin als die Logik des Gegenstandes bezeichnen. Genau dasselbe trifft nun aber auch für die empirischen Wissenschaften zu. Hier ist es freilich durch die vorwissenschaftlichen Denkgewohnheiten des naiven Realismus verdeckt: aber die logische Besinnung muß deshalb umso schärfer hervorheben, daß kein Erkennen sich auf andere Gegenstände beziehen kann, als die, die es selbst begrifflich bestimmt hat. Es ist eine Täuschung, wenn man meint, es könne irgendeine Erfahrung geben, worin die Wirklichkeit als solche aufgenommen oder wiedererzeugt würde. Wie vielmehr schon das unwillkürliche Wahrnehmen nur einen sehr begrenzten Teil des Erlebten ins Bewußtsein erhebt, so bedeutet schon jene erste logische Arbeit, die eine Wahrnehmung in den Begriff verwandelt, eine Auswahl und Neubildung aus den wahrgenommenen Momenten (vgl. oben), und dieser Prozeß setzt sich in allen weiteren Bildungen des begrifflichen Denkens fort. Bei der diskursiven Herausarbeitung der Gattungsbegriffe verzeichnet das die Schullogik als das umgekehrte Verhältnis des Wachstums von Inhalt und Umfang der Begriffe. Und ebenso beruhen in allen anderen Fällen die kombinativen Funktionen des wissenschaftlichen Forschens auf einer frei disponierenden Auswahl aus dem Material und einer schöpferischen Synthesis in der Neufügung seiner Momente. Aber auch hier waltet überall die "Logik des Gegenstandes", indem zwar die Richtung von Auswahl und Synthesis durch die zielsichere Absicht des Forschens, aber die Ergebnisse dieser Neuschöpfung durch die sachliche Notwendigkeit der so erzeugten Gegenstände bestimmt sind. Die Methodologie, die ja eine Art von vergleichender Morphologie der Wissenschaften darstellt, hat danach zu untersuchen, nach welchen Prinzipien in den verschiedenen Disziplinen die Auswahl und die Synthesis in der Erzeugung der Gegenstände vollzogen werden. Geht man zwecks einer solchen Anordnung zunächst den formalen Merkmalen nach, so bietet sich wieder der quantitative Gegensatz des Generellen und des Singularen dar. In dieser Hinsicht sind Gesetzeswissenschaften und Ereigniswissenschaften oder nomothetische und idiographische Forschung zu unterscheiden. Damit ist in der Tat formal der intellektuelle Interessenunterschied von Naturwissenschaft und Kulturwissenschaft charakterisiert. Aber es muß immer wieder betont werden, daß dadurch nur die letzten Zielpunkte und demgemäß die polaren Gegensätze bezeichnet sind, zwischen denen die wirkliche Arbeit der Wissenschaften in mannigfachen Abstufungen sich so bewegt, daß im Einzelnen nur von einem Überwiegen des einen oder des anderen Moments zu reden ist, - wie es RICKERT in seiner eingehenden Analyse dieser Verhältnisse aufgewiesen hat. Das letzte Ziel aller Naturforschung sind die allem zeitlichen Wechsel entrückten Gattungsbegriffe des Seins und des Geschehens: aber das schließt nicht aus, daß sie der Weg dazu über die Etappen einmaliger Zusammenhänge führt, an denen sie ausruhen darf oder vorläufig Halt machen muß. Denn die nomothetische Rationalisierung der Wirklichkeit hat irhe Grenze eben an dieser selbst. Andererseits ist der spezifische Gegenstand aller Geschichtsforschung stets ein in seiner Einmaligkeit bedeutsames Gebilde, das aus seiner Verzweigung mit den benachbarten Gleichgültigkeiten herausgehoben werden soll: aber zum Verständnis eines solchen Gebildes bedarf die Historie allgemeiner Begriffe und Sätze, welche sie freilich mehr der allgemeinen Erfahrung als den Naturwissenschaften (zu denen in dieser Hinsicht auch die Psychologie gehört) erforderlich zu entnehmen pflegt, und gerade für die Charakteristik des Besonderen schafft sie sich selbst die Möglichkeit durch eine eigene Art von Gattungsbegriffen und dadurch vergleichende Auffassung von Regelmäßigkeiten. So greifen generalisierendes und individualisierendes Denken stetig ineinander; sie bedürfen eines des anderen, und das methodische Wesen der einzelnen Wissenschaft entscheidet sich daran, welches von beien ihr als Zweck und welches als Mittel dient. Dieselbe fundamentale Unterscheidung entwickelt sich aber auch an anderen, sachlichen Momenten. Zunächst ist zu bedenken, daß die Methodologie von der menschlichen Wissenschaft handelt, und daß deshalb in ihr das normativ Logische ausdrücklich auf anthropologische Befunde bezogen sein muß. Dabei zeigt sich nun, daß die Naturforschung, indem sie in den Wahrnehmungen wesentlich auf das reflektiert, was sich zur Bildung von Gattungsbegriffen und zu Auffindung von Gesetzen eigent, ein rein theoretisches und transanthropologisches Prinzip für eine Auswahl und Synthesis besitzt. Daß die Anwendung dieses Prinzips im empirischen Betrieb der Naturwissenschaft zum Teil durch menschliche Bedürfnisse und Interessen bestimmt ist, geht lediglich die Richtung und die Sphäre der Forschung, nicht aber deren wissenschaftliches Verfahren als solches an. Ihrer methodischen Bestimmung nach ist die Naturforschung eine wertfreie Wissenschaft und darin hat die Verleitung dazu gelegen, daß sie sich gern als Wissenschaft kat exochen [ansich, schlechthin - wp] betrechtet und bezeichnet hat. Dagegen ist die Geschichte, weit davon entfernt jedes beliebige Geschehen zu ihrem Gegenstand zu machen, vielmehr darauf angewiesen, den Menschen als wertbewußtes Wesen in den Mittelpunkt ihrer Auswahl und Synthesis zu stellen. Kulturwisesnschaft handelt von dem, was der Mensch werttätig aus sich und seiner Umwelt gemacht hat. Wie weit darin etwa übergreifende, transanthropologische Werte zum Durchbruch gekommen sind, geht die Geschichte als empirische Wissenschaft ansich nichts an; das ist Sache der Ethik als philosophischer Disziplin. Nur die Methodologie, welche diesen Charakter der Geschichtswissenschaft begreift und dabei die vorwissenschaftlichen Anfänge des "Erzählens" von vielen empirischen und oft allzu menschlichen Wertungen abhängig findet, die sich dann wohl auch in die historische Wissenschaft hineinspielen, - die Methodologie darf darauf hinweisen, daß der letzte Grund für die Allgemeingültigkeit der kulturwissenschaftlichen Erkenntnis in den übergreifend allgemeingültigen Werten steckt, welche die Ethik aus dem Getriebe des menschlichen Geschichtslebens herauszuheben vermag. Aber, wie dem auch sei, jedenfalls ist die Geschichtsforschung eine wertbezogene Wissenschaft. Das bedeutet somit lediglich, daß für sie das Wertbewußtsein das gegenstandsbildende Prinzip der Auswahl und der Synthesis ist: daß man darum nicht meinen darf, ihre Einsichten müßten in Werturteilen bestehen, daß diese methodologische Auffassung mit moralisierenden Velleitäten [Willkürlichkeiten - wp] nicht das Geringste gemein hat, ist von RICKERT, der dieses Moment zuerst in systematischer Vollständigkeit erkannt und durchgeführt hat, so deutlich dargelegt und so ausdrücklich hervorgehoben worden, daß man es zu wiederholen nicht nötig haben sollte. Solchen Mißverständnissen beugt man am Besten vor, wenn man sich auf ein drittes Moment besinnt, das in der Differenz von Naturforschung und Geschichtsforschung steckt: es bezieht sich auf die beiden verschiedenen Typen des Geschehens und der Kausalität, von denen in der Kategorienlehre (siehe oben) die Rede war. Die Naturwissenschaft zerlegt die Wahrnehmungsgebilde in ihre Elemente und isoliert diese durch eine reale oder ideale Teilung, durch Experiment oder Analyse, um das Verhalten der einzelnen in ihrer Gesetzmäßigkeit zu studieren. Das tun Physik, Chemie und Psychologie in ihrer Weise. Deshalb aber erfolgt die Rekonstruktion der Erfahrung in diesen Disziplinen nach dem Prinzip der mechanischen Kausalität, d. h. die komplexen physischen und psychischen Gebilde werden so begriffen, daß das Ganze als das Ergebnis seiner Teile und durchgängig durch sie bestimmt angesehen wird. Auf dem Gebiet der historischen Erkenntnis reicht diese Art der Konstitution des Gegenstandes nicht aus. Um was es sich dabei auch handeln mag, um Persönlichkeiten mit ihren Plänen und daraus folgenden Handlungen, oder um Völker mit ihren Sprachen und Staaten, ihren Sitten und Rechten, ihren Gesellschaften und Religionen, ihren Künsten und Wissenschaften, - immer sind es personale oder überpersonale Einheiten von jener Struktur, die wir organisch benannten, in der das Ganze ebenso die Teile bestimmt wie die Teile das Ganze. Das sind methodische Verschiedenheiten von tiefgehender Bedeutung, die in den sachlichen Unterschieden der Erkenntnisgebiete begründet sind. Wo sich deshalb die letzteren mit feinen Übergängen verwischen, da werden auch die wissenschaftlichen Behandlungsweisen ähnliche Verhältnisse zeigen. Das trifft tatsächlich zu bei den Wissenschaften vom Leben. Hier reicht die "décomposition des phénoménes" nur zu den beschreibenden Disziplinen aus, und erst das historische Moment, die Entwicklungsgeschichte, verspricht auch die Tatsachen der morphologischen Koexistenz begreiflich zu machen. Andererseits aber kann die Entwicklungslehre eine im eigensten Sinne historische Bedeutung nur dadurch erlangen, daß sie in die Stufenreihe der Lebewesen, die ihr als höhere oder niedere gelten sollen, Wertbeziehungen mancherlei Art einführt. Nach einer anderen Richtung erwächst aus diesen Verhältnissen das Problem, das hier nur gestreift werden soll, weil es alle Schwierigkeiten der Methodologie sozusagen in nuce [im Kern - wp] vereinigt: wie weit das seelische Leben von der naturwissenschaftlichen Psychologie mit ihrer mechanischen Kausalität der Assoziationen begriffen werden kann. Alles in allem können wir sagen, daß sich das gedankliche Grundverhältni zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen in den drei Grundarten der Einzelwissenschaften sachlich folgendermaßen spezifiziert. Für die mathematische Anschauung ist es ein von allen Fragen des Entstehens unabhängiges Verhältnis zwischen den Teilen und dem Ganzen, bei dem es lediglich auf ihrer Größenverhältnisse ankommt. Für das naturwissenschaftliche Denken is das Allgemeine der abstrakte Begriff oder das Gesetz, wodurch das Besondere in seinem Sein und Werden bestimmt wird: hier ist das Einzelne erklärt, wenn es als Spezialfall des Allgemeinen erkannt ist. Die kulturwissenschaftliche Forschung geht überall auf die (von HEGEL geprägte) Kategorie des konkret Allgemeinen, das sich aus seiner lebendigen Einheit heraus in das Besondere gliedert: hier wird das Einzelne verstanden, indem es als ein erforderlicher Bestandteil in einer sinnvollen Gesamtheit erkannt wird. - Unbeschadet jener prinzipiellen Verschiedenheit der empirischen Wissenschaften lassen sich nun endlich eine Anzahl von methodischen Forschungsformen feststellen, welche beiden Arten in dem Sinne von analogen Bewegungsarten des Denkens gemeinsam sind; wobei wieder zu bemerken, daß die bisherige Logik die Theorie davon weit mehr nach der naturwissenschaftlichen als nach der historischen Seite ausgebaut hat. Bei der Absteckung ihres Forschungsgebietes und der ersten Orientierung darin muß jede Wissenschaft, die nicht als Sonderfach von einer schon bestehenden sich abzweigt, von vorwissenschaftlichen Vorstellungen und dem darin schon enthaltenen Meinen oder Wissen ausgehen. Dazu dienen die vorläufigen Begriffsbestimmungen, für die man die Bezeichnung der Nominaldefinitionen anwenden sollte, und die vorläufigen Einteilungen, für die allerlei schematische Disjunktionen [Unterscheidungen - wp] bei der Hand zu sein pflegen. Die üblichen formalen Anforderungen an beide brauchen hier nicht ausgeführt zu werden: sie können erfüllt sein, ohne dauernd die wissenschaftliche Brauchbarkeit zu gewährleisten. Vielmehr bringt die Forschung in dieser Hinsicht vielfache Berichtigungen, Einschränkungen, Erweiterungen, Neubildungen und Umgestaltungen aller Art, und erst als Ertrag der gesamten Untersuchung ergeben sich die Realdefinitionen und die sachlichen Klassifikationen, deren systematische Bedeutung freilich für die verschiedenen Disziplinen nicht dieselbe ist. Dieser ganze Fortschritt aber vom Provisorischen zum Definitiven vollzieht sich durch die Sammlung, Ordnung und kategoriale Verarbeitung der Tatsachen, - alles Vorgänge, die eine zielbewußte Auswahl und Neuverbindung der Erlebnisse darstellen. So muß die naive Wahrnehmung methodisch in eine wissenschaftliche Erfahrung verwandelt werden. Die besonderen Methoden dazu hängen selbstverständlich von der Eigenart der Gegenstände und ihre Ausbildung deshalb vom Grad der schon erworbenen Kenntnis dieser Gegenstände ab. Je genauer das Wissen bereits in das Wesen seines Objekts eingedrungen ist, umso feiner und sicherer kann es die Methoden zu seiner eigenen Vervollkommnung ausbilden. Darum wächst die Wissenschaft quantitativ und qualitativ in geometrischer Progression, getreu dem Grundprinzip aller geistigen Entwicklung: "wer da hat, dem wird gegeben." Die Methoden der Beobachtung und des Experiments, die in diesem Sinne die Naturwissenschaft des äußeren Sinnes ausgebildet hat, stehen unter dem Zweck, teils die Sinnesorgane des Menschen in ihrer Funktion zu erweitern oder zu verfeinern, teils den Gegenstand zu isolieren und einer quantitativen Maßbestimmung zu unterwerfen. Freilich ist die numerische Bestimmbarkeit der Objekte, ebenso wie die Kontrollierbarkeit der Beobachtung den verschiedenen Zweigen der Naturforschung durchaus nicht in gleichem Maße eigen. Dagegen gehen diese Vorzüge fast völlig der inneren Wahrnehmung ab, welche die Grundlage der Psychologie bildet: die letztere hat desto mehr durch eine Genauigkeit der begrifflichen Analyse die Vorteile auszunützen, die ihr aus der stetigen und allgemein zugänglichen Bekanntheit ihrer Grundtatsachen erwachsen, während sie von physiologischen oder sogenannten psychophysischen Untersuchungen nur geringe Hilfe und auch diese nur für ihre elementaren Forschungsgebiete zu erwarten hat. Auch die Kulturwissenschaften haben sich, freilich viel später als die Naturforschung, zur eindeutigen und allgemeingültigen Bestimmung ihrer Tatsachen eine weitverzweigte Technik des kritischen Verfahrens geschaffen, die ein planvolles Zusammenarbeiten vieler Forscher ermöglicht. Die zum Teil sehr fein und sinnig entwickelten Maßregeln und Hilfsmittel, die dabei für die Kritik und die Interpretation der Überlieferung in reicher Mannigfaltigkeit zu Gebote stehen, sind bisher auf ihre logische Struktur noch nicht genügend durchgearbeitet. Den Grund davon möchte ich, abgesehen von der allgemeinen Richtung, welche die logischen Interessen früher einhielten, auch in einer großen sachlichen Schwierigkeit sehen. Denn der sinnvolle und vernünftige Zusammenhang der Tatsachen, der hier immer die letzte Voraussetzung bildet, ist etwas logisch viel weniger genau Bestimmbares, als etwa die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Natur, welche die oberste Prämisse aller naturwissenschaftlichen Empirie bildet; und deshalb bleibt für die historische Forschung immer ein letztes methodisch nie vollständig formulierbares Moment im intuitiven Erfassen jener personalen oder überpersonalen Lebenseinheiten verschiedenster Art bestehen. Hieraus erklärt sich, daß bereits die Feststellung der Tatsachen in der Wissenschaft den ganzen Apparat ihrer methodischen Hilfsmittel und bei jedem Stand der Forschung den Ertrag der bisherigen Erkenntnis voraussetzt. Daher gibt es im eigentlichen Sinn keine rein deskriptiven Wissenschaften, sie sind höchstens die Vorstufen für theoretische Disziplinen. Schon die vorwissenschaftliche "Beschreibung", in der etwa das Wahrgenommene ausgesprochen werden soll, muß lauter Wörter anwenden, die in ihrer allgemeinen Bedeutung als bekannt gelten. Sie entsprechen zunächst den unbestimmten Allgemeinvorstellungen des vorwissenschaftlichen Bewußtseins: und wenn diese durch das logische Denken in Begriff umgearbeitet werden (vgl. oben), um eine wissenschaftlich klare und sichere Brauchbarkeit zu gewinnen, so ist dazu die Vergleichung vieler Wahrnehmungen erforderlich. Das Einzelne für sich allein hat niemals wissenschaftliche Geltung. Und weiterhin verlangt die kritische Feststellung alles desjenigen, was nicht unmittelbar erlebt werden kann, in der Naturwissenschaft wie in der Geschichtsforschung überall ein Wissen von den genetischen Zusammenhängen, die zwischen den Tatsachen bestehen und deren Erkenntnis das Wesen der erklärenden Theorie ausmacht. Aus all diesen Gründen ist die Beschreibung und Konstatierung der Tatsachen nicht nur die Grundlage für die Erklärung, sondern in vollkommener Weise erst wieder durch diese selbst möglich. Unvermeidlich also macht jede Forschung sachliche Voraussetzungen, die bereits bei der Feststellung der Tatsachen mitwirken und doch in letzter Instanz selbst erst an diesen Tatsachen auf ihre Richtigkeit zu prüfen sind. Was im Beweisen einen unerlaubten Zirkel darstellen würde, ist in der Forschung ein gebotenes und erfolgreiches Hilfsmittel. In ähnlicher Weise wie die analytische Geometrie eine Aufgabe als gelöst annimmt, um daraus durch Konstruktion die Bedingungen ihrer Lösung abzuleiten, arbeitet auch die empirische Wissenschaft mit Voraussetzungen, die sie erst durch die daraus zu entwickelnden Folgen beweisen will. So stellt etwa die induktive Forschung problematisch den allgemeinen Satz hin, um durch eine Subalternation [Unterordnung eines Begriffs unter einen allgemeineren - wp] aus ihm die analogen Fälle zu gewinnen, durch deren tatsächlichen Befund er entweder erwiesen oder widerlegt wird: so geht die philologisch-historische Hermeneutik von der Konstruktion eines sinnvollen Zusammenhangs aus, um Lücken der Überlieferung zu ergänzen oder Verderbnisse zu berichtigen. Deshalb ist die Logik der Hypothese das wichtigste Stück der Methodologie des Forschens: und auch hier ist die logische Struktur bisher durchsichtiger für die Naturwissenschaft herausgearbeitet als für die Geschichte. Auf beiden Gebieten aber hat man singuläre und generelle Hypothesen zu unterscheiden. Die ersten bedeuten die Annahme einzelner, direkt nicht wahrgenommener Vorgänge, die zweiten dagegen allgemeine begriffliche Bestimmungen über das Wesen und die Wirkungsart der Dinge. Der Beweis der Hypothese kann im ersten Fall unter Umständen durch nachträgliche Wahrnehmung (Beobachtung oder Experiment) erfolgen und heißt dann Verifikation. In allen übrigen Fällen stellt er wieder ein Reduktionsverfahren dar, worin gezeigt wird, daß die beobachteten Folgen sich aus den angenommenen Gründen vollständig und daß sie sich aus ihnen allein ableiten lassen. Die Wirklichkeitserkenntnis der empirischen Wissenschaften besteht somit darin, daß aus der endlosen und im menschlichen Bewußtsein niemals vollständig vereinbaren Masse der Wahrnehmungen durch planvolle Auswahl und synthetische Kombination mehr oder weniger umfassenden begriffliche Zusammenhänge von kausaler oder teleologischer Struktur gewonnen werden. In diesem Sinne besitzt sie die immanente Wahrheit in der Übereinstimmung der Theorie mit den Tatsachen. Was die Wissenschaften lehren, hat gegenüber den Meinungen und Überzeugungen der Individuen oder einzelner historischer Gruppen der Menschheit objektive Allgemeingültigkeit, und diese gegenständliche Geltung ist etwas, woran die logische Theorie nicht zu rütteln, was sie vielmehr unbedingt anzuerkennen hat. Die einzige Frage, welche ihr angesichts dieser Ergebnisse übrig bleibt, geht nach den Voraussetzungen des vorwissenschaftlichen Bewußtseins darauf, wie sich das allgemeingültige Wissen zu der Wirklichkeit verhält, auf die es sich als auf seinen Gegenstand beziehen soll. Es handelt sich also um eine Revision der naiven Gleichsetzung von Gegenstand und Wirklichkeit oder um die Beziehung des gegenständlichen Denkens zur Realität oder in letzter Instanz um das Verhältnis von Bewußtsein und Sein. Für diejenigen also, welche in der "Logik" nichts anderes sehen wollen als die Kunstlehre des richtigen Denkens, ist diese Frage und die gesamte auf ihre Lösung gerichtete Untersuchung metalogisch: und da man vom Verhältnis des Bewußtseins zum Sein und von der Beziehung des Denkens auf die Realität nicht reden kann, ohne vom Sein und von der Realität selbst zu reden, so ist die Frage und die Untersuchung der Erkenntnistheorie auch ontologisch oder metaphysisch. Ja, wir müssen sagen, daß in der kritischen Philosophie die Erkenntnistheorie sachlich, d. h. hinsichtlich des Probleminhalts ganz und gar an die Stelle der alten Ontologie und Metaphysik getreten ist: umso deutlicher aber muß der methodische Unterschied betont werden, der darin besteht, daß die Erkenntnistheorie des Kritizismus kein eigenes Wissen von der absoluten Realität zu besitzen vermeint oder vorgibt, sondern die Argumente für ihre Stellung zu jenen metaphysischen Problemen lediglich den Wissenschaften selbst entnimmt, deren Bestand sie bedingungslos anzuerkennen hat. Aber andererseits darf dies auch wieder nicht dahin mißverstanden werden, als sollte damit den schwächlichen Versuchen das Wort geredet sein, die sich eine "Metaphysik" aus den sogenannten allgemeinen Ergebnissen der Wissenschaften zusammenlesen wollen. Die kritische Methode der Erkenntnistheorie läßt sich vielmehr in die allgemeine Frage fassen: was lehren uns die Wissenschaften selbst durch ihre Tätigkeiten und ihre Einsichten über das Verhältnis des Erkennens zur Realität? Wenn wir somit der Erkenntnistheorie die letzten und schwersten Probleme und die abschließenden Aufgaben der theoretischen Philosophie überhaupt zuweisen, so kann es für diese Übersicht nur noch darauf ankommen, die prinzipiellen Gesichtspunkte herauszuheben, welche sich für eine derartige Behandlung der Probleme aus dem in der reinen Logik und in der Methodologie Gewonnenen ergeben: die sachliche Ausführung der Erkenntnistheorie oder der "kritischen Metaphysik" kann damit nur in den allerallgemeinsten Linien angedeutet werden. Zunächst verlangt jenes Grundverhältnis, das die Erkenntnistheorie behandeln soll, eine genauere Präzisierung der beiden Glieder, die aufeinander bezogen werden. Unter Bewußtsein kann dabei nicht der psychische Zustand oder die psychische Tätigkeit, noch weniger aber ein psychisches Wesen, ein "Subjekt" als Träger psychischer Zustände oder Tätigkeiten verstanden sein: denn all das ist ja selbst etwas Wirkliches und gehört zu demjenigen, dem das Sein oder die Existenz zukommt, d. h. zum Seienden. Gemeint ist vielmehr bei jener Fragestellung der Bewußtseinsinhalt, das Vorgestellte oder das Gedachte, und auch dies ist dahin zu spezifizieren, daß nur das gegenständlich, d. h. allgemeingültig Gedachte in seiner Beziehung zum Seienden hier in Frage steht. Denn auch beim anderen Glied der Problemstellung, dem Sein, ist nicht jene kategoriale Beziehung gemeint, die den Grundsinn aller konstitutiven Kategorien ausmacht (siehe oben), sondern stets etwas, dem dieses Sein zukommt. Wenn somit die Feststellung des Verhältnisses zwischen dem gegenständlich Gedachten und dem Seienden die allgemeine Formel für die Aufgabe der Erkenntnistheorie bildet, so müssen sich die verschiedenen Möglichkeiten ihrer Lösung von der Kategorienlehre aus übersehen lassen: denn es muß ja stets irgendeine Kategorie sein, durch die eine solche Beziehung im Urteil ausgesprochen und behauptet wird. Dabei sollte man nun wiederum, wie in der Methodologie, sich des Vorurteils entschlagen, als müsse diese Kategorie für alle Arten des Erkennens, also für alle Wissenschaften dieselbe sein. Eine solche Voraussetzung ist in der Erkenntnistheorie geradeso irreführend und schädlich, wie in der Methodologie, die oft an dem Bestreben gekrankt hat, eine Universalmethode für alle Wissenschaften ausfindig zu machen und zu diesem Zweck irgendeine auf ihrem besonderen Gebiet bewährte Methode den anderen Disziplinen aufzuzwingen. Die Autonomie der Einzelwissenschaften, die auf der Verschiedenheit ihrer Gegenstände beruth, muß sich vermöge der Logik des Gegenstandes nicht nur in der Eigenheit ihrer Verfahrensweisen, sondern auch in der spezifischen Färbung des Sinnes der Wahrheit bewähren, die sie für ihre Ergebnisse in Anspruch zu nehmen haben. Zu dieser Vorsicht mahnt schon der einfachste Vergleich der Mathematik mit den übrigen Wissenschaften. Denn zunächst scheint jene Formel von der Beziehung des Gedachten auf das Seiende ganz und garnicht auf die reine Mathematik zuzutreffen, und so hat denn z. B. auch KANT in der "Kritik der reinen Vernunft" und in den Prolegomena nur von der Mathematik in ihrer Anwendung auf Gegenstände der Erfahrung, d. h. als Bestandteil der naturwissenschaftlichen Theorie gehandelt. Und es ist demgegenüber nicht zu verkennen, daß die Wahrheit der Sätze, welche die reine Mathematik etwa in der Zahlentheorie oder in der synthetischen Geometrie aufstellt, von jeder Beziehung auf ein Wirkliches im Sinne der Erfahrungswissenschaften völlig unabhängig ist. Trotzdem liegt, wie schon oben angedeutet, die Logik des Gegenstandes gerade auch in der reinen Mathematik vor. KANT hat an einer höchst instruktiven Stelle der Prolegomena (§ 38) davon gesprochen, man könnte nicht umhin, einem geometrischen Ding wie dem Zirkel "eine Natur beizulegen", und er hat dann im Sinne des transzendenten Idealismus (allerdings wieder mit einer Erweiterung auf die naturwissenschaftlich angewendete Mathematik) gezeigt, daß die Gesetzmäßigkeit, in der diese "Natur" des geometrischen Gebildes besteht, nur aus dem "Verstand" stammen kann, der den Raum nach den Bedingungen der synthetischen Einheit durch seine Konstruktion zu einem besonderen Begriff bestimmt. Zweifellos trifft dies auf die reine Mathematik zu: hier scheint also der Zwang der Gegenständlichkeit für das Erkennen in der Tat nur im Wesen des Intellekts enthalten, der sich durch seine Konstruktion selbst nötigt, alle damit sachlich gegebenen Folgerungen zu ziehen. Allein gerade diese sachlich immanente Notwendigkeit des Gegenstandes ist dem psychischen Prozeß des Erkennens gegenüber ein ansich Bestehendes und ihn normativ Bestimmendes: nur diese seine immanente Notwendigkeit macht es möglich, daß im mathematischen Denken zwischen Wahrheit und Irrtum unterschieden werden kann. Auch hier also bezieht sich das Gedachte, das allgemeingültig und wahr sein soll, auf ein von ihm Unabhängiges, ansich Bestehendes, wenn auch dies nicht als ein "Reales" oder "Wirkliches" in einem sonstigen Sinn des Wortes angesehen werden darf. Damit stoßen wir an den schwierigsten Kernpunkt aller Erkenntnistheorie. Denn den in der Sprache befestigten Denkgewohnheiten liegt es nahe, jenes ansich Bestehende, das auch für die Erkenntnisart der reinen Mathematik eine unerläßliche Voraussetzung bildet, doch wieder in irgendeiner Weise als ein Reales zu bezeichnen und zu betrachten. Eine solche "Natur des Zirkels", um in KANTs Beispiel zu bleiben, ist doch offenbar nicht Nichts, sondern ein Etwas, und zwar ein Etwas, dessen Bestand und Wesen ganz davon unabhängig ist, ob ein erkennendes Bewußtsein es zu seinem Gegenstand macht; vielmehr bildet es die Norm für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des sich ihm erkennend zuwendenden empirischen Bewußtseins. Ein solches Etwas besteht also und bestimmt die Erkenntnis, und doch hat es weder substantielle noch funktionale Realität oder Wirklichkeit. Es bleibt also nur übrig, entweder ihm ein eigenes, durch keine jener Kategorien zu denkendes "Sein" zuzuschreiben oder seinen Bestand und seine normative Bedeutung für das Erkennen als ein Besonderes, von allem "Sein" wesenhaft Verschiedenes anzuerkennen und zu bezeichnen. Verwandte, wenn auch nicht völlig damit zusammenfallende Gedankengänge lassen sich im Altertum darin erkennen, daß einerseits PLATON den Ideen ein "wahrhaftes Sein", ontos on, zuschrieb, andererseits die Stoiker das lekton [das Sagbare - wp] und das on als die beiden höchsten Arten des ti als der obersten Kategorie nebeneinanderstellten. Doch handelt es sich dabei keineswegs um nur terminologische Verschiedenheiten. Denn der erste jener beiden Wege führt notwendig zur metaphysischen Zweiweltenlehre, zu der Annahme eines höheren, vom empirischen verschiedenen Seins. Ein solches metaphysisches Sein oder "Übersein" hat aber dann folgerichtigerweise keinen anderen Inhalt als die "Urbilder" des (empirischen) Seins und seine Seinsart ist, wenn sie nicht (als "Ding-ansich") völlig unbestimmt sein soll, die des Bewußt-seins, d. h. schließlich die psychische. Das hat historisch die Zweideutigkeit des asomaton [ohne Körper - wp] im Platonismus und des "Übersinnlichen" bei KANT ergeben. In der Tat droht ohne dieses Hinüberspielen in eine "geistige Realität" das Übersein jede Vorstellbarkeit zu verlieren und darum ist es aus der neueren Erkenntnistheorie und Metaphysik mehr und mehr eliminiert worden. Mit dieser Wendung jedoch bekommt alles Sein den Charakter des "Sinnlichen" und Empirischen, indem das "Sinnliche" nach kantischer Terminologie das Bewußtsein als Psychisches, als Bestimmung des inneres Sinnes einschließt. Damit stimmt zugleich die Färbung der konstitutiven Kategorien, der Beziehungsformen des Seins, durch die anschaulichen Momente von Zeit und Raum (vgl. oben) vollständig überein. Umso notwendiger wird dann aber der zweite Ausweg, den LOTZE gelegentlich eingeschlagen hat, indem er den Terminus des Geltens prägte. Doch enthebt und die Bequemlichkeit des Ausdrucks, welche dieses glücklich gewählte Wort darbietet, nicht der Aufgabe, seine Bedeutung für den logischen Gebrauch genau zu fixieren. Ausgeschlossen ist dabei zunächst der psychologische Sinn des Wortes, der irgendwie mit der tatsächlichen Anerkennung, mit dem Geglaubtsein von Seiten des empirischen Bewußtseins zusammenfällt - ausgeschlossen aber auch die normative Bedeutung des Anerkanntwerdensollens, insofern es lediglich das Postulat der allgemeinen Zustimmung in sich schließen soll; beides enthält nur die abgeleitete, sei es normative sei es tatsächliche Beziehung des Geltenden auf das erkennende Bewußtsein, setzt aber eben deshalb das Ansich-Gelten als einen von den Bewegungen des empirischen Vorstellens unabhängigen Bestand voraus. Aber die Art dieses Bestandes, der zugleich eine Bestimmung für das Urteil besitzt und, wie die Kategorienlehre zeigt, zum Teil auch eine konstitutive Bedeutung gewinnt (was auch bei der Geltung mathematischer Verhältnisse für die Naturtheorie und die Natur selbst zutrifft), - diese Art des Bestehens, die keinerlei "Sein" involvieren soll, bildet nun eben das große metalogische Problem der Erkenntnistheorie. Es ist im Grunde genommen dieselbe Schwierigkeit, welche von jeher für die Deutung von KANTs Bewußtsein überhaupt bestanden hat, das auch weder psychologisch nocht metaphysisch aufgefaßt sein will oder darf, so schwer die Vermeidung beider Gefahren schon für KANT selbst gewesen sein mag. Was aber nach Ausschluß aller metaphysischen und psychologischen Mißdeutungen für beides, für das "Gelten" ebenso wie für das "Bewußtsein überhaupt" übrig bleibt, das kann meines Erachtens nichts anderes sein als der Inbegriff der Zusammenhänge und Beziehungen, die zwischen dem Seienden stattfinden. Sie sind selbst kein Seiendes, weder als Dinge noch als Zustände oder Tätigkeiten; sie können "wirklich" werden nur als Inhalt der psychischen Funktionen des Erkennens. Aber ansich ist das Reich des Geltens nichts anderes als die Form und die Ordnung, in der das Seiende steht. Diese Formen gelten ansich, sie gelten für das Seiende und sie gelten für das Erkennen: aber ihr Gelten für das Sein und für das Erkennen beruth nur in der rein sachlichen Geltung, die ihnen ansich zukommt. Weder das Seiende bringt diese Form und Ordnung hervor noch das Erkennen erzeugt sie: sondern wie es kein Sein gibt, das nicht in dieser Form steht, so kein Erkennen, das sich nicht auf sie besinnt. Dieses Verhältnis zwischen dem Gelten und dem Sein trifft für alles Mathematische, Geometrisches wie Arithmetisches, und es trifft für alles rein Logische, reflexive wie konstitutive Kategorien, zu. Denn auch die Denkgesetze der reflexiven Kategorienreihe erweisen sich in Postulaten begründet, die eine Form und Ordnung des Seienden bedeuten (vgl. oben). Dieses Verhältnis von Gelten und Sein, das also kein anderes ist als das von Form und Inhalt, bildet den äußersten und nirgends mehr abzuleitenden Punkt, auf den die Analyse des Erkennens stößt. Jene Ordnung des Seienden, welche das Gelten bedeutet, ist dem Sein selbst kein Fremdes, aber auch nichts in ihm Enthaltenes oder aus ihm Entspringendes, sondern etwas an ihm Bewegliches und ihm in Verwandtschaft Zughöriges. Deshalb ist eine Erklärung dieses Verhältnisses, die ja wieder auf einen höheren Einheitspunkt über Gelten und Sein hinaus angewiesen wäre, völlig unmöglich. Aber es ist von hier aus begreiflich, daß die metalogische Spekulation keinen anderen Weg einschlagen kann, als den einer spiritualistischen Metaphysik. Will man das Unmögliche möglich machen, will man die Formen des Geltens, die Sein und Erkennen gleichmäßig bestimmen, selber wieder als etwas Seiendes und Wirkendes vorstellen, so bleibt, da sie uns als Objekte unseres Erkennens, d. h. in seelischer Wirklichkeit gegeben sind, kaum etwas anderes übrig als den Formzusammenhang des Geltens als eine "geistige Ordnung" zu denken und sie an ein geistiges Urwesen zu knüpfen. LEIBNIZ' Zentralmonade, BERKELEYs Gott, KANTs intellectus archetypus, FICHTEs Ich, und HEGELs Idee haben alle diese mehr oder weniger assertorisch [behauptend - wp] oder problematisch gestellte Aufgabe. Allein bei diesem Versuch, das Gelten als eine Art des psychischen Seins oder Überseins aufzufassen, ist zumindest immer zu bedenken, daß zwischen so einer weltordnenden Geistigkeit und unserem menschlichen Geist - spinozistisch zu reden - gerade so viel Ähnlichkeit besteht, wie zwischen Canis signum coeleste [Sternzeichen Hund - wp] und Canis animal latrans [bellendes Tier - wp]. Das kommt gerade darin zutage, daß für das menschliche Erkennen zwischen Gelten und Sein noch ein anderes Verhältnis besteht: die Diskrepanz zwischen Form und Inhalt. Alle letzten Probleme der alten Ontologie und Metaphysik laufen darauf hinaus, daß die Voraussetzungen, welche in den geltenden und bestimmenden Formen des Bewußtseins stecken, in den Daten der Erfahrung nicht vollständig erfüllt werden, und die "Bearbeitung der Begriffe", worin z. B. HERBART das Wesen der Philosophie sah, geht eben darauf aus, die naive, aber unzulängliche Verknüpfung von Form und Inhalt so umzugestalten, daß sie sich gegenseitig völlig Genüge tun. Dieser Antinomismus ist aber im Wesen des menschlichen Erkennens unaufhebbar und er scheint nur so zu deuten, daß die im allgemeinen und übergreifenden Vernunftbestand begründeten Formen am fragmentarischen und auf die Oberfläche gewiesenen Inhalt der menschlichen Erfahrung weder vollständig noch rein zur Herrschaft gelangen können. Deshalb ist die Gegenstandsbildung in der menschlichen Erfahrung und Wissenschaft immer nur vorläufig, und der Versuch, die reine Form gegenständlich zu denken, führt notwendig zu ihrer völligen Entleerung von allem Inhalt und damit zur Unbrauchbarkeit für die intellektuelle Bemeisterung der Erfahrung. So steckt in der Kategorie der Inhärenz die Voraussetzung der beharrenden Identität: aber keines der "Dinge" der Wahrnehmung tut ihr völlig Genüge; deshalb schiebt ihnen die Wissenschaft ihre Begriffe der Substanzen als der wahren, "eigentlichen" Dinge unter und da diese Begriffe sich von den Konstruktionsbedürfnissen der besonderen Disziplinen wie Physik, Chemie, Organologie, Psychologie abhängig erweisen, so vollendet sich dieser Gedankengang im Begriff vom Ding-ansich [ww-], in dessen völliger Inhaltslosigkeit die Synthesis des Mannigfaltigen, welche den Sinn der Kategorie ausmacht, aufgehoben und in prägnanter Bedeutung des Wortes gegenstandslos geworden ist. Eine ähnliche Tragik des Erkenntnisfortschritts zeigt sich an der Erforschung des Geschehens, wo die Isolierung der Elemente des Kausalzusammenhangs, je weiter sie von der Erfahrung aus vordringt, die Fühlung mit d class=mono>Geschehens, wo die Isolierung der Elemente des Kausalzusammenhangs, je weiter sie von der Erfahrung aus vordringt, die Fühlung mit dem lebendigen Wirken verliert, worin doch der synthetische Zusammenhang zwischen dem Antecedens [Vorhergehenden - wp] und dem Consequens [Nachfolgenden - wp] allein besteht. Für diese antinomische Unzulänglichkeit des Seins gegenüber dem Gelten kann schließlich auch an die schon für PLATON bedeutsame Tatsache erinnert werden, daß mathematische Verhältnisse im Seienden niemals rein verwirklicht sind. Auf die analogen, palpableren [deutlicheren - wp] Antinomien des ethischen und des ästhetischen Bewußtseins darf hier nur prinzipiell hingedeutet werden: überall zeigt sich für menschliches Vernunftleben das übermenschlich allgemein Geltende in ein Sein und Geschehen eingebettet, das sich ihm zwar fügt, aber nicht völlig anzugleichen vermag. Kehren wir von hier aus zu dem Gedanken zurück, daß die verschiedenen Möglichkeiten der erkenntnistheoretischen Problemlösung sich von der Kategorienlehre aus müssen übersehen lassen, weil das Verhältnis zwischen dem gegenständlich Gedachten und dem Seienden stets durch irgendeine Kategorie bestimmt werden muß, - so tritt uns zunächst im naiven Bewußtsein und weit bis in das wissenschaftliche Denken hinein als die Grundauffassung der transzendentalen Wahrheit die entgegen, dieses Verhältnis für die Urkategorie der Reflexion zu halten: die Gleichheit. Das ist der Standpunkt des naiven Realismus: die Welt ist, wie sie wahrgenommen wird. Es braucht aber hier nicht näher ausgeführt zu werden, wie diese Vorstellungsweise, soweit sie sich auf unser Wissen von der äußeren Natur bezieht, von den empirischen Wissenschaften Schritt für Schritt zersetzt worden ist. Wenn ich recht sehe, ist nur die innere Wahrnehmung übrig geblieben, in der die Abbildlichkeit als Wahrheitskriterium für die das Erlebnis reproduzierende Erinnerung gilt: hier allein, wo das Seiende selbst Bewußtsein ist, kann auch das Wissen davon nur entweder es selbst oder eine es unmittelbar wiederholende Vorstellung, d. h. ein durch nichts was dazwischen käme verändertes oder getrübtes Abbild sein. Jenem naiven Wahrheitsbegriff tut also nur die Psychologie genüge, und auch sie nur prinzipiell und mit starken Einschränkungen, die sich methodisch aus dem Wesen der Erinnerung ableiten lassen: denn diese unterliegt selbst den Gesetzen der ordnenden, auswählenden, ergänzenden und umbildenden Apperzeption. Für die Dinge der Außenwelt dagegen hat die Naturforschung sich seit langem gewöhnt, unser Wahrnehmungswissen von ihnen unter dem Gesichtspunkt der antiken Semiotik zu betrachten und in seinen Elementen ein System von eindeutigen Zeichen zu sehen, die lediglich Wirkungen auf das wahrnehmende Bewußtsein, aber darum keine Abbilder sind. Sie wendet also auf das Verhältnis zwischen Erkennen und Sein die Kategorie der Kausalität an, und es ist begreiflich, daß das Schlußergebnis dieser Auffassung war, die Zweckmäßigkeit der Zeichen und Zeichenverbindungen an die Stelle der Wahrheit zu setzen. Die schlichte Semiotik früherer Zeit hat den theoretischen Sinn dieser Auffassung darin gesehen, daß jene Daten der sinnlichen Wahrnehmung nicht als solche wirklich, sondern "nur" Vorstellungen oder wie man damals sagte Ideen sind: das ist der historische Sinn des Namens Idealismus, den man nicht durch andere Bedeutungen hätte verwirren sollen. Er besagt also, daß den Sinnesdaten nicht etwa das Sein abgesprochen, sondern die psychische Seinsart zugesprochen wird, und darin besteht - der gemeinen Meinung zum Trotz! - so wenig eine Wertminderung, daß LOTZE einmal sagen durfte, das Aufblühen dieser Wirkungen der Dinge im Bewußtsein ist unsäglich viel wertvoller als alles übrige, was zwischen den Dingen sonst geschehen könnte. Die Aufhebung der Gleichheit zwischen Gedachtem und Seiendem kann aber schließlich nur partiell, niemals total sein: denn das Gedachte als empirischer Bewußtseinsinhalt bleibt (was sich geschichtlich durch den Umschlag alles Idealismus in Spiritualismus dokumentiert) selbst doch immer ein Seiendes. Daher liegen in dieser Richtung mehrfache erkenntnistheoretische Möglichkeiten, die sich dadurch voneinander unterscheiden, daß sie verschiedene Schichten des Vorgestellten unter einen semiotischen Gesichtspunkt bringen. Während der elementare sensualistische Realismus die Data der sinnlichen Wahrnehmung für real erachtet und nach einem nominalistischen Rezept in allen Begriffen und logischen Beziehungen nur ihre Wirkungen auf das Bewußtsein sieht, verbindet umgekehrt der rationalistische Realismus die Lehre von der Subjektivität [mfk] der Sinnesqualitäten mit der Ansicht und Absicht, in den Begriffen die wahren Dinge abzubilden. Er denkt sie entweder als mathematischer Realismus der naturwissenschaftlichen Theorie in den rein quantitativen Bestimmungen von Raum, Zeit und Bewegung oder als ontologischer Realismus der alten Metaphysik in rein kategorialen Beziehungen, - immer aber unter einem "dogmatischen" Postulat: die Welt ist so, wie sie notwendig gedacht wird. Indem ich es dem Leser überlasse, dieses Schema der kategorialen Möglichkeiten der Erkenntnistheorie auszuspinnen und auch solche historische Kuriositäten wie Positivismus, Solipsismus und dgl. darin unterzubringen, hebe ich nur noch eine Ausprägung des Verhältnisses von Gedachtem und Seiendem hervor. Die semiotischen und idealistischen Auffassungen haben gern das Verhältnis von Ursache und Wirkung, von dem sie historisch ausgingen, mit dem von Wesen und Erscheinung vertauscht, das eine etwas anders abgetönte, in die Reihe der Kategorien der Inhärenz hinüberspielende Bedeutung hat. "Erscheinung" bedeutet einerseits die Art, wie etwas von einem anderen vorgestellt wird, andererseits aber die Art, wie sich das Wesen in seinen Zuständen und Wirkungen darstellt. Es wäre deshalb nichts dagegen einzuwenden, wenn der Phänomenalismus in der Verbindung beider Wortbedeutungen den Bewußtseinsinhalt des menschlichen Erkennens als eine Erscheinung betrachten wollte, in der das Wesen des Seienden sich in gewisser Weise darstellt. Meistens aber wird in der neueren Philosophie diese Konsequenz nicht gezogen, sondern vielmehr die Ungleichheit zwischen Wesen und Erscheinung einseitig und geflissentlich hervorgehoben. Es scheint fast axiomatisch angenommen, daß das Wesen anders sein muß als die Erscheinung und daß somit deren qualitative Bestimmung nicht auf jenes übertragen werden darf. Der naturwissenschaftliche Idealismus, der keinen der qualitativen Inhalte der Wahrnehmung den "wirklichen Dingen" zuerkannte, sondern sie lediglich quantitativ bestimmte, hat diese Ungleichheit zwischen Wesen und Erscheinung als Prinzip eingebürgert, und wenn dann später auch die räumlichen und zeitlichen Momente in die Erscheinung eingeschlossen wurden, wenn auch die psychischen Zustände darin inbegriffen sein sollten, so blieb für das Ding-ansich, das durchaus anders sein mußte als die Erscheinung (9), absolut kein Inhalt des Erlebnisses mehr übrig. So wurde der Phänomenalismus zum Agnostizismus. Aber die Ungleichheit zwischen Ding-ansich und Erscheinung kann niemals begründet, sie darf deshalb nicht behauptet, sondern immer nur problematisch gedacht werden. Sie folgt auch nicht aus dem Kausalverhältnis: denn dieses gestattet ansich die Gleichheit zwischen Ursache und Wirkung ebenso wie Ungleichheit. Es handelt sich deshalb bei der kritischen Revision dieser Grundprobleme der Erkenntnistheorie in letzter Instanz um die Frage, ob in den Einsichten der Wirklichkeitswissenschaften irgendwelche zwingenden Argumente vorliegen, das erfahrbare und wissenschaftlich bearbeitbare Sein als die Erscheinung eines höheren Seins, eines ding-ansich-haften Überseins anzusprechen, das dann als ein qualitativ Anderes und Unerkennbares zu gelten hätte. Soviel ich sehe, lassen sich theoretische Argumente für die Bejahung dieser Frage nicht beibringen: vielmehr liegen die Grenzen der menschlichen Erkenntnis in einer anderen Richtung. Jede wissenschaftliche Erkenntnis stellt, wie die Methodologie zeigt, einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit dar, der als solcher in dieser synthetischen Geschlossenheit niemals wirklich ist. Dem Gegenstand kommt in diesem Sinn nicht Sein, sondern Gelten zu: aber er enthält lauter Momente des Seins, und er verknüpft sie in einem Zusammenhang, der für dieses Seiende gilt. Keine Beschreibung des Tatsächlichen kann je die von ihr gemeinte Wirklichkeit völlig erfassen oder abbilden: aber sie vermag die ausgewählten Bestandteile in einer Form zu verbinden, die für deren wirklichen Zusammenhang zutrifft. In höherem Maße jedoch gilt dasselbe für die Theorien. Die Gattungsbegriffe und Gesetze der Naturwissenschaft sind gewiß Abstraktionen, die als solche, in ihrer Abgelöstheit von allem Besonderen nicht "existieren": aber sie begreifen dieses ganze Besondere unter sich, sie gelten dafür, sie sind die Ordnung, in der diese Natur wirklich steht. Die Ergebnisse der Kulturwissenschaft endlich präparieren aus der endlosen Masse des Geschehens sicherlich Zusammenhänge heraus, die nur als solche, in dieser Geschlossenheit und Abgelöstheit von allem Gleichgültigen, womit sie in der Wirklichkeit verwachsen waren, sich niemals abgespielt haben: aber diese Zusammenhänge, die den Gegenstand der Geschichtsforschung darstellen, heben doch nur den werthaften Sinn heraus, der dem wirklichen Geschehen wirklich innewohnte. So gestalten die Wissenschaften aus dem Universum, aus dem physischen und dem historischen Kosmos, in ihren "Gegenständen" je eine kleine Welt, die nur ein Stück, aber doch eben ein Stück jener großen Welt ausmacht. Wir haben keinen Anlaß, zu meinen, daß "hinter" diesen besonderen Erkenntniswelten noch ein höheres Sein steckt, von dem sie als seine Erscheinungen inhaltlich durchaus verschieden wären. Aber zwischen den Fragmenten, die wir so für unser Wissen herausarbeiten, liegen sicherlich andere Bruchstücke, andere "Welten", die zum Teil bereits unserem äußeren und inneren Erfahren oder auch unserer auswählenden Synthesis verschlossen bleiben. Dessen sind wir schon dadurch gewiß, daß all die besonderen Welten, die den einzelnen Wissenschaften zugänglich sind, an ihren Grenzen allüberall über sich hinausweisen. Für eine solche selektive Erkenntnistheorie ist das "Unbedingte" in dem ursprünglichen Sinn von KANTs transzendentaler Dialektik nichts weiter als die "Totalität des Bedingten", und sie bedarf deshalb nicht der metabasis eis allo genos [sachfremder Sprung auf eine andere Ebene - wp], womit das Ding-ansich zu etwas qualitativ Anderem umgedeutet wurde. Jene Totalität aber enthält noch immer an Unerkennbarkeit genug, um jede Metaphysik in dem alten dogmatischen Sinn des Wortes auszuschließen. Bei diesem Stückwerk unseres Wissens müssen wir Menschen uns bescheiden. Aber es ist dafür unser Eigenwerk - eine Neuschöpfung aus dem Geist, wie Kunst und sittliches Leben es auch sind. Freilich gehört zu den Zusammenhängen, deren Geltung über unser menschliches Wesen hinaus uns gewiß sein darf, auch das Postulat eines letzten einheitlichen Zusammenhangs aller Wirklichkeit. Aber dieses Ganze, von dem wir nie mehr als wenige Bruchstücke kennen werden, ist unserem Wissen verschlossen: und es ist aussichtslos, es aus den Brocken, die wir erhaschen können, zusammenflicken zu wollen. Das kategoriale Verhältnis des Wissens zum Sein, des Erforschbaren zum Unerforschlichen ist nicht das von Erscheinung und Ding-ansich, sondern das der Teile zum Ganzen. Die absolute Wirklichkeit ist nicht etwas qualitativ Anderes als das gewußte Sein, sondern sie ist das einheitlich lebendige Ganze, von dem wir nur Stücke herausholen, ums sie zu unseren Wissenswelten zu gestalten. Aber dieses Ganze ist, wenn wir es durch eine Kategorie denken dürfen, eben ein in sich gegliedertes Organisches, das aus seinen Teilen nicht zusammenbuchstabiert werden kann (vgl. oben). Darum sind die neuen Versuche der Metaphysik, die sich aus Anleihen bei den Wissenschaften zusammenbetteln wollen, viel kümmerlicher, als die alte Ontologie, die zumindest den Mut hatte, vom Reich des Geltens aus die Zusammenhänge des Universums als eines gegliederten Ganzen nachschöpfen zu wollen. Wir haben begriffen, daß dies dem Menschen versagt ist, und uns bleibt nur übrig, die besonderen Erkenntniswelten, über deren Gestaltung wir Herr sind, in steter Arbeit auszubauen mit der Hoffnung eines Wortes von GOETHE: "Nun, man kommt wohl eine Strecke!" ![]()
9) vgl z. B. die charakteristische Wendung bei KANT, Prolegomena § 57, Ak. Ausg. IV 355,2. |