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ERNST ENGEL
Wesen und Preis der Arbeit

"Es gibt Arbeiterbevölkerungen, welchen die Trägheit so sehr zur Gewohnheit und das Elend in dem Maße gleichgültig geworden ist, daß jene Reizmittel des Stücklohnes oder der Tantiéme nicht mehr verfangen. Wenn solche Arbeiter in zwei oder drei Tagen der Woche nur so viel verdienen, daß sie in den übrigen Tagen davon mit äußerster Not und im tiefsten Elend, unter Zuhilfenahme von Betteln und Diebstahl, leben können, so sind sie zufrieden. Das ist der tiefste Stand der sittlichen Verkommenheit."

"Es gibt aber auch noch eine andere Korruption, die ebenfalls einen unsittlichen egoistischen Hintergrund hat. Das ist die Gesinnungsheuchelei, um Karriere zu machen, rasch in gut besoldete Ämter zu gelangen. Der Unterschied zwischen beiden Korruptionen ist nicht sehr groß. Die Erfahrung weist übrigens eine Unzahl von Belegen dafür auf, daß die Entfernung zwischen Heuchelei und Betrug nur eine geringe ist."

Über das Wesen der Arbeit, die Arten der Arbeiten und den Arbeitslohn oder Preis der Arbeit ist schon so unendlich viel geschrieben und gesprochen worden, daß es fast verwegen erscheint, Leser und Hörerkreisen zuzumuten, daß sie sich nochmals mit diesen Gegenständen befassen. Prüft man indessen das Vorhandene näher, so wird man bald gewahr, daß der zum Thema des gegenwärtigen Vortrags gewählte Gegenstand noch keineswegs erschöpft ist, ja daß er geradezu unerschöpflich ist und daß sich ihm, mit fortschreitend besserer Erkenntnis der realen Verhältnisse und vermöge des reichen Zuwachses neuer Tatsachen, noch immer neue und interessante Seiten abgewinnen lassen. Es ist vorzugsweise der Arbeitslohn, der Preis der Arbeit und zwar jeder Arbeit, welchem die folgenden Betrachtungen gewidmet sind, die, um allgemein verständlich zu sein, allerdings auch Bekanntes berühren müssen.

Die Arbeit ist diejenige Tätigkeitsäußerung, welche eine Mühe in sich schließt, die auf einen außerhalb ihr selbst liegenen Zweck gerichtet ist. Zu einer solchen Tätigkeitsäußerung steht dem Menschen nichts weiter zu Gebote als das, womit die Natur ihn ausgerüstet hat: Leib, Verstand und Herz. Der Leib ist der Träger der physischen Kraft, der Sinneswerkzeuge, der Gliedmaßen; mit dem Verstand lenkt er die Kraft, die Werkzeuge und Gliedmaßen und bildet er sie für spezielle Zwecke mehr oder minder aus, während sein Herz der Sitz der guten und schlimmen Eigenschaften und Gefühle ist, welche auf die Arbeit von so wichtigem Einfluß sind.

Leib (worunter selbstverständlich auch die Leibesglieder zu verstehen sind), Verstand und Herz sind mithin die Organe der menschlichen Arbeit und in jeder Arbeit treten sie gleichzeitig in Wirksamkeit, jedoch nicht zu gleichen Anteilen und auch nicht in gleicher Stärke. Aus dieser Ungleichheit geht die Verschiedenheit des Wesens oder Charakters der Arbeit hervor, welche zu der Einteilung derselben in physische, geistige oder intellektuelle und moralische Arbeit Veranlassung gegeben hat. Damit ist aber nicht gemeint, daß nur eins jener Organe in der betreffenden Arbeit zum Ausdruck gelange, sondern nur, daß es vorzugsweise dabei in Anspruch genommen sei.

Mit der soeben angedeuteten Qualitätsbezeichnung der Arbeit sind nur drei Gruppen oder Kategorien genannt; innerhalb  jeder  derselben gibt es eine Menge Unterarten; die aus der Verbindung des einen Organs mit dem andern zum Zweck einer Tätigkeitsäußerung hervorgehen. Diese Unterarten, den möglichen Permutationen [Veränderung in der Anordnung - wp] der drei Worte Leib, Verstand und Herz entsprechend, sind folgende:
    L e i b .
    Leib und Verstand.
    Leib und Herz.
    Leib, Verstand und Herz.
    Leib, Herz und Verstand.

    V e r s t a n d .
    Verstand und Leib.
    Verstand und Herz.
    Verstand, Leib und Herz.
    Verstand, Herz und Leib.

    H e r z .
    Herz und Verstand.
    Herz und Leib.
    Herz, Verstand und Leib.
    Herz, Leib und Verstand.
Repräsentieren obige Rangstellungen gleichsam die qualitative Analyse der Arbeit, so ist es nötig, nun auch noch einige Worte über die quantitative zu sagen. Wir erwähnten schon des uralten Sprachgebrauchs, welcher die Arbeiten in Leibes- und Kopfarbeit unterscheidet. Damit wird eben ausgesprochen, daß z. B. in ersterer auf die Tätigkeit des Körpers oder einzelner seiner Glieder der Hauptanteil und auf die übrigen mitwirkenden Organe nur ein kleinerer Teil falle. Wie viel? das genau nach Prozenten zu bestimmen, ist freilich unmöglich und das subjektive Ermessen spielt hierbei eine große Rolle; leicht dagegen ist's, für jede Gruppe Repräsentanten zu nennen. Wir wollen nur einige andeuten.

Der Karrenschieber arbeitet überwiegend mit der Kraft seiner Schultern, der Zuschläger in der Schmiede mit der seiner Arme, der Landbote mit der seiner Beine, der Ausrufer und englische Toastmaster mit der seiner Stimme. Der Mathematiker, Mechaniker, Ingenieur usw. arbeitet hauptsächlich mit dem Verstand, der treue Sachwalter mit Verstand und Herz, der geschickte Operateur mit Verstand, Herz und Hand. Im bloß treuen, sonst aber bornierten und ungeschicketen Diener kommt nur die Arbeit des Herzens zum Ausdruck; im Krankenpfleger, er Tag und Nacht am Krankenbett wacht, sind die Arbeiten des Herzens mit physischen Anstrengungen verbunden und im ausübenden Künstler sind eben so oft Herz, Verstand und Glieder in dieser Reihenfolge, als in jeder andern tätig.

Offenbar steht  die  Arbeit ihrem inneren Wesen nach am höchsten, welche von allen drei Bestandteilen derselben  gleichzeitig  - und zwar in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum - ein Maximum erfordert und deren Erfolge, des hohen Einsatzes wegen, von weitreichendem und nachhaltigem Einfluß sind. Wir nehmen keinen Anstand, als eine solche Arbeit die eines kommandierenden Generals im Feld zu bezeichnen. Er muß gegen die leiblichen Strapazen des Krieges ankämpfen, seine Intelligenz aufs höchste anspannen und in demselben Moment auch eine Fülle von Charaktereigenschaften in ungewöhnlich hohem Maß entfalten: Besonnenheit, Geistesgegenwart, Mut, Humanität, ja sogar Milde und Güte des Herzens, endlich Selbstvergessenheit bis zur Selbstaufopferung. Mehr oder minder wird von jedem Soldaten im Krieg Ähnliches verlangt, doch den Heerführern sind die bezeichneten Aufgaben ganz besonders gestellt. Wer sie nicht in ihrem ganzen Umfang löst, den bezeichnet weder dei Mitwelt noch die Nachwelt als einen großen Feldherrn; aber dem, der sie löst, erkennen Mitwelt und Nachwelt gern die höchsten Ehrenpreise zu, die der Mensch dem Menschen zu geben vermag. So hat der Instinkt des Volkes eigentlich schon seit Jahrtausenden die potenzierteste Arbeit erkannt.

Der Einsatz im Krieg ist der Staat und zwar für das Staatsoberhaupt die Souveränität, für die Staatsbürger die staatliche Unabhängigkeit und freie Selbstbestimmung. Weil dies alles, wenn es einmal zum Krieg gekommen, vom Glück der Schlachten abhängig ist, so ist jene hohe Anerkennung der tüchtigen kriegerischen Leistung gewiß berechtigt, obschon nicht selten dabei die Huldigung zwischen der eigentlichen Arbeit und dem Glück geteilt werden müßte. Jedenfalls trägt auch der Umstand zum strahlenden Glanz glücklicher kriegerischer Leistungen bei, daß ihre Erfolge in der Zahl der geschlagenen Feinde, der erbeuteten Waffen und Trophäen, der eroberten oder okkupierten Landesteile sofort sichtbar sind. Die Arbeit eines ausgezeichneten Staatsmannes, der durch Überanstrengung nicht minder seinen Leib und seine Gesundheit opfert, der unausgesetzt mit der ganzen Schärfe seines Verstandes und den edelsten Eigenschaften seines Herzens tätig ist, dessen Arbeitsfrüchte langsamer, dafür aber sicherer reifen, wird von der großen Menge nur der minder akuten Tätigkeit und des nicht sofortigen Erfolges wegen, geringer geschätzt und weniger anerkannt. Der Beleg dafür findet sich in jedem Land. Den preußischen großen Feldherrn des Krieges von 1813 bis 1815 haben der dankbare Fürst und sein Volk ungesäumt Denkmale gesetzt; die Staatsmänner aber, deren vieljährige Arbeit die Siege dieser Feldherren möglich machte, STEIN und HARDENBERG, harren noch immer ihrer äußerlichen Verewigung durch Monumente. Die Betrachtung des Verhältnisses der Arbeit zum Stoff wird uns Gelegenheit geben, auf diesen Gegenstand noch einmal zurückzukommen.

Eben so wie es unbestreitbar ist, daß die potenzierteste Arbeit die gleichzeitige Maximaltätigkeit der drei großen Arbeitsorgane ist, ebenso fest steht es, daß das Fehlen eines dieser Organe die Arbeit behindert oder eines Lohnes unwert mach. Unglücklich und erwerbsunfähig ist der seinem Bildungsgrad nach auf physische Arbeit angewiesene Mensch, welcher durch den Verlust eines oder mehrerer Glieder an solcher gehindert wird. Ebenso unglücklich ist der, dessen Verstand von Anfang an fast Null gewesen, der blödsinnig geboren ist; doch noch unglücklicher und sicher ebenso erwerbsunfähig möchte der zu nennen sein, welcher von Geisteskrankheit befallen, zum Irrsinnigen wurde. Fehlen die edlen Eigenschaften des Herzens bei der Arbeit, so bewegt sie sich schon knapp am Rande des Verbrechens. Die Leistungen des abgehärtetsten und rüstigsten Wilddiebs oder Schmugglers, des schlauesten Einbrechers, des geschicktesten Falschmünzers, des intelligentesten und auf den Höhen der Wissenschaft stehenden Giftmischers fallen außerhalb des ökonomischen Begrifs der >Arbeit und sind deshalb keines Lohnes wert, weil das Organ des Herzens keinen erlaubten Teil daran hatte. Nur das Zusammenwirken aller drei Organe ist Arbeit.

Fehlt es uns auch an einer Waage, um die quantitative Analyse der Arbeit auszuführen und die Anteile des Leibes, des Verstandes und des Herzens an jeder Arbeitsleistung zu bestimmen, so gibt es doch Kriterien, aus welchen mehr oder weniger sicher auf den realen Wert derselben geschlossen werden kann. Das wichtigste Kriterium ist die Maschine.

Wenn es nicht schon die Geschichte lehrte, so würde die Abstraktion es lehren, daß die reine physische Arbeit des Menschen, hervorgebracht durch sein Gewicht oder die Schwerkraft, durch seine Muskelkraft, diejenige sein mußte, für welche zuerst die leblose Kraft (um nicht den falschen Ausdruck "leblose Arbeit" zu gebrauchen) zu Hilfe gerufen wurde. Die ältesten Werkzeuge gleichen auch heute noch den menschlichen Gliedern: der Hammer der Faust, die Zange den Fingern und Nagelspitzen, das Messer den Zähnen, die Schaufel der flachen Hand, der Schöpfer der hohlen Hand, die Tragsäule dem Körper mit geschlossenen Beinen, die Streben dem mit gespreizten Beinen usw. Ihnen folgten alsbald andere komplizierte Werkzeuge. Aus den Werkzeugen wurden Maschinen und wiederum die ältesten unter ihnen sind die Motoren, die Sammler und Äußerer roher Kraft.

Die physische Kraft also ist es, welche zuerst durch Maschinen ersetzt wurde und jetzt in solchem Umfang wirklich ersetzt wird, daß die Gesamtleistung der vorzugsweise mit solcher Kraft arbeitenden Menschen, gegen die der Maschinen, in einigen Ländern wenigstens, verschwindet.

Erst in einer späteren Epoche der Erfindungen begegnen wir den Maschinen, welche gleichsam mit Intelligenz arbeiten, d. h. in welcher die Intelligenz der arbeitenden Menschen auf Gesetze der Mechanik zurückgeführt ist. Die Baumwoll-Spinnmaschine, die Strickmaschine, die Guillochiermaschine [Graviermaschine - wp], die Rechenmaschine und andere mehr verrichten Arbeiten, welche jeden mit Bewunderung erfüllen; sie ersetzen sehr intelligente Arbeiter und verlangen zu ihrer Bedienung nur noch gewöhnlichen Verstand. Das Feld, welches in Betreff der Erfindung und Vervollkommnung solcher Maschinen noch vor uns liegt ist wahrhaft unabsehbar. Allein noch niemals ist es gelungen, den Anteil, welchen das menschliche Herz an der Arbeit hat, in die Sphäre der Mechanik zu versetzen. Die höchst beachtenswerten Leistungen, die scheinbar nach dieser Richtung hin, vorliegen, sind Hilfen, aber kein Ersatz. Dahin sind z. B. die ohne Gegenwart menschlicher Hilfe arbeitenden Goldwaagen der englischen Bank und der Londoner Münze zu rechnen, welche ruhiger, sicherer und ehrlicher wie die Menschen ihr Tagespensum verrichten, nämlich die eingehenden Sovereigns [Goldmünzen - wp] in zu leichte, vollwichtige und zu schwere zu sortieren und in die dafür bestimmten Behälter zu verfrachten. Auch die Musikmaschinen können hierher gezählt werden; ihre Musik jedoch ist eben nur Mechanik ohne Empfindung, sie kommt nicht von Herzen und geht auch nicht zu Herzen, so wenig wie die Öldruckbilder oder die Photografien den Weg dahin finden.

Demgemäß stehen die Leistungen des Herzens am höchsten. Sie sind unbezahlbar. Wahrscheinlich finden sie aus diesem Grunde nur selten ihren Lohn auf Erden, sondern, wie die Glaubenssätze fast aller Religionen lehren, erst in einer anderen Welt. Ihnen am nächsten stehen die Kombinationen von Verstand und Herz oder diejenigen Leistungen, deren Agens der Charakter ist. Alsdann folgt die Arbeit des vorwiegenden Verstandes; noch einen Rang tiefer steht die als Kombination von Verstand und Leib anzusehende Arbeit, welche sich als Leistung der Geschicklichkeit darstellt und zuletzt erst rangiert die physische Wahrheit.

Leib, Verstand und Herz des Menschen sind Gaben der Natur oder in der Sprache der Nationalökonomie, natürliche Fonds und zwar größer, bedeutungsvoller als alles übrige Geschaffene auf Erden. Dessen ungeachtet sind jene erhabenen, in den Menschen gelegten und verkörperten Naturfonds nur nutzbar zu machen durch Kapital und Arbeit.

Der Leib muß beschirmt, ernährt und erhalten werden. Bei der unendlichen Hilflosigkeit, in welcher der Mensch das Licht der Welt erblickt, würde sein Dasein kaum Stunden dauern, wachte über dasselbe nicht die Liebe und Fürsorge der Eltern, die sich vor allem auch in der leiblichen Pflege des kleinen Erdenbürgers betätigt. Allein letztere muß einen materiellen Hintergrund haben, ohne dieselbe ist sie nicht möglich. Der Neugeborene ist vom ersten Moment seiner Geburt an ein Gegenstand wirtschaftlicher Opfer und finanzieller Ausgaben.

Wie der Leib erhalten, so muß der Verstand entwickelt und das Herz gebildet werden. Das sind die Aufgaben der elterlichen Erziehung, des Unterrichts in der Schule und im Hause. Im erwachsenen Menschen spiegeln sich die Grade der leiblichen und geistigen Pflege und des Unterrichts, die ihm zuteil geworden sind, vollständig ab. Gleiche leibliche und geistige Erziehung, gleicher Unterricht bringen zwar durchaus nicht absolut gleiche, jedoch wie die Erfahrung lehrt, sehr ähnliche Resultate hervor.

Erziehung und Bildung liefern später, wenn der junge Mensch seine unproduktive Periode beendet hat und, wie man zu sagen pflegt, auf seinen eigenen Füßen stehen kann, das was man Arbeit nennt. Arbeit, dieser bedeutsame Produktionsfaktor, ist mithin kein einfacher, sondern ein zusammengesetzter Begriff und zwar zusammengesetzt aus den nämlichen Produktionsfaktoren, von welchen er einen Teil bildet, aus Natur, Arbeit und Kapital. Es ist demnach die Behauptung gerechtfertigt, daß die neuere Arbeit vollständig auf vorangeganger beruth und daß sie ohne eine solche unmöglich ist. Wenn nun häufig das Kapital als Aufspeicherung vergangener Arbeit definiert wird, so sehen wir, daß der Arbeit eine ganz ähnliche Definition zukommt und der ökonomische Begriff "Kapital" eigentlich ein Pleonasmus [dieselbe Bedeutung durch ein anderes Wort - wp] ist.

Oder ist etwa nicht die seit Generationen herangezogene und für gewisse Gewerbe ausgebildete Arbeiterbevölkerung mancher Gegenden, in der vollsten Bedeutung des Wortes, ein unermeßlicher Reichtum derselben? Ein Reichtum, der sich keineswegs rasch und beliebig hervorbringen läßt, sondern nur so langsam heranwächst, wie die Menschen selbst. Mit vollem Recht sagt man deshalb auch, daß es Generationen bedürfe, ehe dieser oder jener Industriezweig in einer Gegend eingebürgert sei und feste Wurzel gefaßt habe. Der Generationen bedarf es aber ungleich weniger, um die Konsumenten, als die Produzenten heranzuziehen.

Da die Arbeit kein einfacher Begriff ist, so kann es auch der Preis der Arbeit nicht sein; er muß, den Komponenten der Arbeit entsprechend, eine Entschädigung der Aufwendungen sein, welche nötig waren, um den Menschen, welcher die Arbeit leistet, hierzu zu befähigen. Die Art und Größe dieser Aufwendungen ergeben sich - weil die Naturfonds für jetzt füglich außer Acht gelassen werden können - am einfachsten, wenn man die freie menschliche Arbeit mit der unfreien oder mit der tierische oder mit der leblosen (Maschinen-) Arbeit vergleicht.

Daß sich die üblichen Regeln der Preisbestimmung oder der Berechnung der Selbstkosten der Sklaven- und Maschinenarbeit auch auf die Ermittlung der Selbstkosten der freien Arbeit anwenden lassen, das hat ADAM SMITH schon durch folgende Worte anerkannt:
    "Wer ein kostspielige Maschine aufstellt, der erwartet, daß ihre besondere Arbeitskraft das ausgelegte Kapital mit wenigstens dem gewöhnlichen Zins ersetze, bevor sie abgenutzt ist. Einer solchen kostspieligen Maschine ist der Mensch zu vergleichen, der mit großem Mühe- und Zeitaufwand zu einem Geschäft erzogen ist, das besondere Fähigkeit und Geschicklichkeit erfordert. Es wird erwartet, daß die Arbeit, welche es zu verrichten lernt, ihm außer dem gewöhnlichen Arbeitslohn auch die Kosten seiner Erziehung, nebst mindestens dem gewöhnlichen Gewinn auch die Auslagen ersetze; und zwar muß das in einer angemessenen Zeit geschehen, mit Rücksicht auf die so ungewisse Dauer des menschlichen Lebens, gegen die weit sicherer zu berechnende einer Maschine. Auf diesem Grundsatz beruth der Unterschied zwischen den Löhnen gelernter Arbeit (skilled labour) und niedriger Arbeit (common labour)."
Bedenkt man, daß über 100 Jahre verflossen sind, seitdem der tatsächliche Begründer der Nationalökonomie obige Worte geschrieben und daß die Gedanken, welche sie ausdrücken, in seinem Kopf wahrscheinlich noch Jahrzehnte früher fertig gebildet waren (bekanntlich hat ADAM SMITH an seinem berühmten Werk über die Quellen des Volkswohlstandes sehr lange gearbeitet, so daß es erst am Abend seines Lebens erschien), so muß man ebensosehr über die Klarheit seiner Auffassung staunen, als darüber, daß die von ihm angedeutete Berechnung des Selbstkostenpreises der Arbeit bisher noch immer unterlassen worden ist.

Einige Schriftsteller weisen eine solche vergleichende Behandlung der angeregten Frage deshalb zurück, weil sie ebensosehr eine Beleidigung der Menschenwürde, wie eine unberechtigte Anmaßung finden zu müssen glauben im Versuch einer Berechnung, was wohl der Verstand eines NAPOLEON, die Phantasie eines RAPHAEL, SHAKESPEARE oder MOZART, der Charakter eines BENJAMIN FRANKLIN wert sei. Sie würden Recht haben, wenn ein derartiges Kalkül jemals einem Menschen eingefallen wäre oder noch einfallen sollte. Dessenungeachtet darf und kann nicht geleugnet werden, daß jene Geistesheroen gerade so wie alle anderen Menschen einen bestimmten Erziehungs- und Bildungsaufwand verursacht haben, der ihren Eltern oft genug sehr prosaisch vorgekommen sein wird. Von diesem rein materiellen Aufwand allein ist die Rede, nicht von den unschätzbaren Gaben, womit die Natur den einen Menschen überreich, die große Menge mittelmäßig und wieder andere nur dürftig ausgestattet hat. So wenig aber die natürlichen Fonds im Menschen ein Gegenstand der Werttaxierung sind, so wenig sind es auch alle außerhalb des Menschen vorhandenen und wirkenden natürlichen Fonds. Sie sind unentgeltlich. Wer vermag es wohl die Wirkung der Sonne in einem edlen feurigen Wein nach Geld zu schätzen? oder den Preis des Lichtes in einer Photographie und den der Elektrizität in einer telegraphischen Depesche? Man sagt zwar manchmal von einem Regen nach langer Trockenheit oder von einem trockenen Wind nach langer nasser Zeit, daß sie Millionen wert seien; jedoch man gebraucht solche Redensarten nur im bildlichen Sinne. Die Natur schafft überall und unter allen Verhältnissen umsonst und nicht ihre Gaben und Kräfte, sondern nur die Kosten der Mühe ihrer Aneignung und Dienstbarmachung sind Gegenstand der Berechnung und Elemente des Preises.

Allerdings läßt sich's nicht leugnen, daß der Preis gewisser menschlicher Arbeiten weit über dem steht, der sich aus der Zugrundelegung der Selbstkosten ergibt. Das Plus muß notwendig auf Rechnung der natürlichen Fonds kommen. So ist es auch. Aber diese wirken hier nicht anders wie bei Grund und Boden, wo sie zur Entstehung der sogenannten Grundrente Veranlassung geben. Der Besitz solcher Fonds ist für den Menschen das, was eine von der Natur hochbegünstigte klimatische und agronomische [agrarwissenschaftliche - wp] Beschaffenheit für eine bestimmte Fläche ist. Und so wie diese natürliche Auszeichnung eins der stärksten Momente der Entstehung und Fortdauer der Grundrente ist, ebenso ist die natürliche Auszeichnung durch Genie oder auch nur durch Talent und durch physische Kraft dieser oder jener Menschen über das Durchschnittsniveau ihrer Umgebung die Ursache einer persönlichen Grundrente. Das Umgekehrte gilt gleichfalls vom Menschen wie vom Boden. Arme, von der Natur vernachlässigte Böden sind trotz allen darauf verwendeten Kapitals und aller Arbeit nicht zu einem lohnenden Ertrag zu bringen. Ihnen vergleichbar sind die Menschen, welche die Natur entweder körperlich oder geistig oder in beiden Hinsichten stiefmütterlich bedacht hat und deren Arbeit infolgedessen - wenn sie überhaupt arbeiten können - keinen Lohn wert ist und auch keinen Lohn empfängt.

Die Parallele läßt sich sogar noch weiter fortsetzen. Wie man bei der Betrachtung über den Ertrag von Grund und Boden den durch Spekulation respektive gute Konjunkturen erzielten vom übrigen scheiden muß, der hiervon nicht mit berührt wurde und wie man also die Spekulationsrente oder den Unternehmergewinn von der einfachen Grundrente zu trennen hat, ebenso darf man auch bei der Untersuchung der Angemessenheit des Preises der Arbeit nicht diejenigen Preissätze herausgreifen, welche gleichfalls durch Konjunktur oder durch Spekulation exzeptionelle sind. Geburt, Nepotismus [Vetternwirtschaft - wp], Glück usw. begründen solche Ausnahmen; ihre Gipfelung ist die Sinekura [Amt, mit dem Einkünfte, aber keine Verpflichtung verbunden ist - wp], der Lohn  ohne  Arbeit. In vielen Fällen freilich repräsentieren die Gehalte oder Löhne solcher Stellungen neben den oben aufgeführten Preiselementen noch ganz andere. Im Gehalt der höheren Staatsbeamten z. B. und vorzugsweise in dem der diplomatischen, überragen die darin enthaltenen Pauschquanten für reine Auslagen, für Repräsentation usw. oft weit die eigentliche Bezahlung der Arbeit selbst, was durch die Pensionsgesetze aller Länder insofern anerkannt ist, als sie ein Minimum der Pension oder des Ruhegehalts festsetzen, wie hoch auch vorher der Aktivitätsgehalt des Pensionärs gewesen sein mag. Der in den Ruhestand getretende Beamte (so argumentiert der Gesetzgeber) repräsentiert das Amt nicht mehr, folglich bedarf er auch der Repräsentationskosten nicht länger, seine Pension soll nur dem Preis seiner Arbeit, entkleidet solcher Kosten, angemessen sein.

Alle diejenigen, welche sich mit Untersuchungen über den Preis der Arbeit beschäftigen, haben es zur Genüge empfunden, wie schwierig es ist, aus der Summe Gelt, die man Lohn oder Gehalt nennt, das abszusondern, was in Tat und Wahrheit solcher ist. Und selbst wenn das gelungen ist, hat man in den seltensten Fällen einen normalen Arbeitslohn als Kern herausgeschält, sondern einen von  günstigen oder ungünstigen Koeffizienten  und dem  Verhältnis der Arbeit zu ihrem Stoff  beeinflußten.

Die so eben erwähnten Einflüsse lassen sich, ohne ihnen Zwang anzutun, in physische, geistige, sittliche, religiöse, wirtschaftliche, soziale und politische einteilen und in jeder dieser Kategorien kann man noch zwischen inneren und äußeren Ursachen unterscheiden. Ihre Wirkungen erstrecken sich teils auf sämtliche, teils oder vorzugsweise auf einige oder eins der Organe der menschlichen Arbeit, auf Leib, Verstand und Herz. Verbindet man die Namen der Ursachen mit den Namen der Organe, worauf sie wirken, zu einem Schema, d. h. zu einer Tabelle, deren Kopf diese Organe und deren vordere Spalte jene Ursachen nahmhaft macht, so bedarf es nur geringer Denkanstrengung, um in die Stellen, wo sich die Linien der Ursachen und der Organe (auf welche diese Ursachen wirken) kreuzen, die Namen der Wirkungen selbst einzutragen und sich auf diese Weise eine Übersicht der Wirkungen zu verschaffen.

Unter den inneren physischen Einflüssen auf die Arbeit ist der mächtigste die Gesundheit. Krankheit des Leibes oder der Glieder und Krankheit des Geistes, wofern sie nur einigermaßen stark wirken, verhindern beinahe jede Arbeit, allermindestens jede solche, welche die Selbstkosten deckt. Von den äußeren physischen Ursachen üben die Sinnesbelästigungen (unmäßiges Geräusch, große Dunkelheit oder grelles Licht, schlechte Gerüche, schädliche Einatmungen, Nervenerschütterungen usw.) nicht bloß einen nachteiligen Einfluß auf den Leib und seine Glieder, sondern auch auf den Verstand.

Werfen wir noch einen Blick auf die geistigen Einflüsse.

Wo innere geistige Bildung ist, da durchdringt sie Leib und Glieder, Verstand und Herz und erhöht den Effekt jeder Arbeit und mit dem Effekt auch den Preis derselben. Ähnlich wirkt die außerhalb des eigenen Ich vorhandene geistige Bildung, die geistige Atmosphäre der Umgebung.

Eine Hemmung oder Behinderung der Verstandesleistung ist es z. B., wenn einem öffentlichen Lehrer seitens der Vorgesetzten die Mittel vorenthalten werden, welche zur Ausübung seines Berufs unentbehrlich sind, so unter anderem Bücher, Zeichnungen, Apparate, Werkzeuge, Instrumente. Wäre der Mangel materieller Mittel die Schuld solcher Beeinträchtigung der Verstandesleistung, so würde man jene Hemmungen auch unter die wirtschaftlichen rechnen können. Ungleich häufiger lassen sich aber die Vorenthaltungen bezeichneter Art auf geistige Beschränktheit oder bürokratischen Dünkel zurückführen und dann wird die geistige Arbeit eigentlich vom Mangel an Geist in Bande gelegt.

Sittliche Einflüsse können in den Gewohnheiten, die man oft sehr mit Unrecht Sitten nennt, begründet sein, sie können aber auch wirklich sittlicher Natur sein.

In der Weberei ist das Garnmetzen, mit anderen Worten das Unterschlagen von Garn, Sitte, was aber Diebstahl ist (und Garnmetzen ist ein solcher), kann man unmöglich Sitte nennen. Er ist in manchen Gegenden so sehr Gewohnheit, daß er bei der Beurteilung des Preises der Arbeit schlechterdings mit in Betracht gezogen werden muß. Scheinbar gehören nämlich die Weberlöhne zu den niedrigsten, sie werden aber durch jene Unsitte des Metzens namhaft aufgebessert: er Fabrikherr ist, weil er sie nicht brechen kann, genötigt, sie als ein Preiselement in seiner Kalkulation zu berücksichtigen. Ganz dasselbe tut der Arbeitgeber, dessen Arbeitnehmer der Sitte, respektive Unsitte des blauen Montags huldigen. Wenn er ihnen für die Feierzeit auch keinen Lohn zahlt, so muß doch einestheils der übrige Lohn so hoch sein, daß sie davon mit übertragen werden kann; andererseits drückt auf diesen Preis der Arbeit der Umstand, daß die größeren Generalspesen gegenüber einer Minderproduktion nur durch eine Lohnbeschränkung ausgeglichen werden können.

Schlechte Sitten wirken auf Lohnverminderung, gute auf Lohnerhöhung. Dieses sittliche Moment ist gleichsam der Träger und Motor der modernen Industrie. Sowohl die Stück- oder Akkordarbeit, als auch das Tantiémesystem beruhen darauf. Jene erregt und macht zur Gewohnheit den Fleiß, die Pünktlichkeit, das Selbstvertrauen und die Selbstverantwortung, während dieses die Sparsamkeit, die Reinlichkeit, die Ordnungsliebe, die Ehrlichkeit und viele andere Tugenden weckt und ihre konstante Ausübung stärkt.

Es gibt Arbeiterbevölkerungen, welchen die Trägheit so sehr zur Gewohnheit und das Elend in dem Maße gleichgültig geworden ist, daß jene Reizmittel des Stücklohnes oder der Tantiéme nicht mehr verfangen. Wenn solche Arbeiter in zwei oder drei Tagen der Woche nur so viel verdienen, daß sie in den übrigen Tagen davon mit äußerster Not und im tiefsten Elend, unter Zuhilfenahme von Betteln und Diebstahl, leben können, so sind sie zufrieden. Das ist der tiefste Stand der sittlichen Verkommenheit. Daß solche Verhältnisse meist blühende Industrien zum Erliegen brachten, dafür gibt es Beweise genug. Sie fehlen aber auch nicht für Fälle des Gegenteils, wo dei Übereinbildung der Arbeiter (also auch ein sittliches Moment) den Preis der Arbeit so hoch trieb, bis die Konkurrenz mit anderen Orten unmöglich wurde und das Gewerbe vollständig aus der Gegend verschwand. Unter vielen Beispielen ist eins der schlagendsten das der Tafelglasfabrikation in Frankreich. Die französischen Glasmacher, namentlich die Tafelglasmacher betrachteten sich bis vor wenigen Jahrhzehnten, auf einige alte Rechtsverleihungen fußen, als "gentilhommes verriers" [Glasherstelleredelleute - wp] und sie hielten unter sich dermaßen auf reines Blut, daß nur ein "pur sang" [reines Blut - wp] von ihnen in die Lehre genommen wurde. Dadurch beugten sie einesteils der zu starken Konkurrenz unter sich selbst vor und hielten den Lohn auf einer fabelhaften Höhe (500 Francs monatlicher reiner Verdienst war gar keine Seltenheit); anderenteils verhinderten sie aber auch, daß die französischen Glasfabrikanten den an sie gestellten Anforderungen genügen konnten. Einer Zuführung fremder Glasmacher widersetzten sie sich mit offener Gewalt; sie beschimpften die Eindringlinge, verachteten sie gründlich als  batards  [Bastarde - wp] und machten ihnen den Aufenthalt in der neuen Heimat unmöglich. Die Folge davon war, daß Belgien, woselbst die gentilhommes verriers bisher nicht Fuß gefaßt hatten, sich der Glasindustrie befleißigte und, nicht gehindert durch den lächerlichen Stolz der Arbeiter, dieselbe so ausbreitete, daß der orientalische und amerikanische Markt nicht mehr durch französische, sondern durch belgische Glasfabriken gedeckt wurde. Und jetzt hat sich Belgien fast ein Monopol des Glasexports errungen. Die einstigen gentilhommes verriers mußten großenteils zur Tagearbeit greifen und sich mit einem sehr niedrigen Lohn begnügen oder auswandern und sich in der Fremde viel schlimmere Bedingungen gefallen lassen, als ihnen ursprünglich in der Heimat geboten wurden.

Auf die Arbeit des Geistes und des Herzens macht sich der sittliche Einfluß noch in höherem Grad geltend.

Was anders als das stolze Bewußtsein, dem Staate zu dienen, ein Mitglied seiner vielverzweigten Verwaltung zu sein und die Ehren und das Ansehen, welches mit den Staatsämtern verbunden zu sein pflegt, zu genießen, treibt die jungen Geistesarbeiter in großer Anzahl in die sogenannte Staatskarriere? Die Besoldung ist es nicht, da Privatämter im Durchschnitt ungleich höher dotiert sind. Auch die Sicherheit und Stetigkeit des Erwerbs, die Versorgung im Alter, die Gelegenheit eine Wittwenpension zu versichern, sind keine Vorzüge des Staatsdienstes mehr; denn nicht nur der Kommunaldienst, sondern auch der Dienst bei großen Kreditinstituten und Verkehrsanstalten bietet ähnliche, hier und da sogar größere Vorteile. Wo trotz alledem ein Andrang zu den Staatsämtern vorhanden ist, da liegt ihm ein hoher Grad von materieller Uneigennützigkeit zugrunde und der ganze Stand der Staatsdiener empfängt dadurch eine höchst beachtenswerte sittliche Richtung. Begreiflicherweise geht diese vollständig da verloren, wo der Staatsdienst bloß wegen der Gelegenheit gesucht wird, sich auf unebene Weise zu bereichern. In einem solchen Staatsdienst wird die Korruption bald zur Regel und die Ehrlichkeit zur Ausnahme.

Es gibt aber auch noch eine andere Korruption, die ebenfalls einen unsittlichen egoistischen Hintergrund hat. Das ist die Gesinnungsheuchelei, um Karriere zu machen, rasch in gut besoldete Ämter oder wo möglich Sinekuren zu gelangen. Der Unterschied zwischen beiden Korruptionen ist nicht sehr groß. Die Erfahrung weist übrigens eine Unzahl von Belegen dafür auf, daß die Entfernung zwischen Heuchelei und Betrug nur eine geringe ist.

Am stärksten ist der sittliche Einfluß bei der Arbeit des Herzens; sie wird zum allergrößten Teil ohne allen Entgelt getan und die Triebfedern hierzu sind Nächstenliebe, Gottesfurch und alle übrigen Tugenden. Daß auch hierbei viel Heuchelei, Ehrsucht undw. mit unterläuft, sei nur angedeutet.

Was den religiösen Einfluß anlangt, so ist bekannt, wie sehr er sich geltend macht. Den Angehörigen mancher Religion sind gewisse Arbeiten durch die Satzungen ihres Glaubens verboten. Das ist eine innere Behinderung. Ebenso stark und viel allgemeiner wirken die äußeren. Wenn von zwei in einem Staat nebeneinander bestehenden Religionsgemeinschaften die eine 60, die andere 100 Tage als Sonn- und Festtage feiert und begeht, so ist die Folge, daß diejenige, welche am meisten arbeitet, die minder arbeitsame überflügelt. Solche Wirkungen sind schon sehr nahe mit den wirtschaftlichen verwandt, welche wiederum in nächster Beziehung zu den sozialen und politischen stehen. Hemmnisse bezeichneter Art sind z. B. schlechte Arbeitsorganisation, fehlerhafte Arbeitsteilung, Arbeitszeitbegrenzungen, Zunftbeschränkungen, Verhinderung der Selbständigmachung und der Begründung des eigenen Herdes, Unfreiheit des Grundbesitzes, Unfreiheit des Handels, Verkehrsbelästigungen, Markverbote und Marktüberführungen, Arbeiterkonkurrenz, soziale Vorurteile, politische Parteityrannei usw. Neben solchen gleichsam chronischen Hemmnissen stehen vorübergehende derselben Art. Geld- und Handelskrisen, hoher Zinsfuß, teures Geld, Erwerbsstockungen durch Überproduktion, Arbeitsbehinderungen durch die Witterung und den Wechsel der Jahreszeiten, Teuerung, soziale und politische Umwälzungen, Krieg usw. drücken den Arbeitseffekt zuweilen ungemein tief herab. Wie bedeutend ihr Einfluß ist, lassen einige Zahlen am besten erkennen. Gesetzt, es gebe in einem Land 1 Million Arbeitende, deren tägliche Arbeitskraft durch irgendeine wirtschaftliche, soziale oder politische Reform um ein Zehntel gesteigert wird. Waren früher die zehn Zehnteile zehn und sind die elf Zehnteile nun elf Silbergroschen wert, so kommt die Vermehrung im Jahr (von 300 Arbeitstagen) einem Geldwert von Zehn Millionen Talern gleich. Andererseits lehren solche Zahlen aber auch, wie schwer vorübergehende Kalamitäten [Unpäßlichkeiten - wp] auf der Arbeit lasten. Nehmen wir an, daß von obiger Million Arbeiter 2oo ooo in die Baumwollnot verwickelt und infolgedessen genötigt waren, wöchentlich nur 2 Tage zu 10 Stunden á 1 Groschen zu feiern und 2 Jahre lang dieses Ungemach über sich ergehen zu lassen, ohne in anderen Gewerben einen Ersatz für den Ausfall im eigenen zu finden, so beträgt letzterer in diesen verhängnisvollen 2 Jahren nicht weniger als 13 866 OOO Taler. In jenem Fall gewann der Einzelne durchschnittlich 10 Taler im Jahr, in diesem verlor er jährlich 34 Taler, in zwei Jahren das doppelte.

Um die günstigen und ungünstigen Einflüsse auf die Arbeit nach allen Seiten hin zu beleuchten und zu würdigen, dazu gehört ungleich mehr Raum und Zeit, als uns hier zu Gebote stehen; wir können uns der Mühe aber auch überheben, einesteils weil die meisten nationalökonomischen Lehrbücher und die zahlreichen Monographien über die Arbeit und den Arbeitslohn dem Gegenstand ausreichende Beachtung widmen - andernteils, weil es an diesem Ort nur darauf ankommt, die Einflüsse anzudeuten, welche, wenn sie günstige sind, den Preis der Arbeit oft sehr erhöhen, wenn sie ungünstige sind, ihn bis auf ein Minimum herabdrücken.

Gleichfalls von großer Wichtigkeit für die Beurteilung des Preises der Arbeit ist das Verhältnis zum Stoff, mit anderen Worten der Einfluß des Stoffes.

Jedes Arbeit ist auf einen Stoff gerichtet und muß auf einen solchen gerichtet sein, wenn sie produktiv sein soll. Dieser Satz gilt ohne Einschränkung ebensowohl von der physischen, als auch von der intellektuellen und moralischen Arbeit. Während das Resultat der ersteren gewöhnlich etwas Greifbares ist und in vielen, doch nicht in allen Fällen als ein materielles Produkt erscheint, führt das Resultat der intellektuellen und moralischen Arbeit den Namen der Leistung oder Handlung. Der Unterschied liegt nur in den Worten, nicht in der Sache. Niemand findet einen Anstoß darin, zu sagen, daß ein Sachwalter seine Schriftsätze, ein Prediger seine Predigten oder Tauf- oder Begräbnisreden ausarbeitete; aber jemand, der sich des Ausdrucks bedienen wollte, daß er bei diesem Sachwalter oder jenem Prediger arbeiten lasse, könnte sich der allgemeinen Entrüstung über seine Ausdrucksweise versichert sein. Ja auch der Soldat im Felde, der sich mit dem Feind herumschlägt, ihn durch Brand und Kugeln aus seinen Verstecken treibt, ihn tötet, er sagt von sich, daß er arbeit und begeistert nennt der preußische Soldat die Schlacht von Königgrätz ein schönes Stück Arbeit. Gleichwohl bestand sie nur in Zerstörung.

Arbeit ist Bewegung. Auch der Lernende arbeitet, einstweilen rezeptiv, nach der vollkommenen Rezeption auch produktiv. Das in seinen Kopf Hineinbewegte und darin Aufgenommene gleicht einem brennendem Licht, an welchem tausend und abertausend Lichter angebrannt werden können, ohne daß die Flamme deshalb abnimmt. Sie brennt freilich nieder, schneller, wenn das Gedächtnis einem schlechten Talglicht, langsamer, wenn es einer guten Wachs- oder Paraffinkerze vergleichbar ist. Der Tod löscht sie aus. Der Kopf des Leichnams repräsentiert nur noch geistige Nacht. Wehe dem Menschen, dessen Gedächtnislicht schon bei Lebzeiten schon gänzlich erlischt und über dessen Geist die Nacht vor dem Tod hereinbricht!

Je nach der Leichtigkeit, mit welcher sich ein Stoff bearbeiten läßt, geht die Arbeit schneller oder langsamer vonstatten. Ein allzu spröder oder undankbarer Stoff wird dadurch zu einem ungünstigen Koeffizienten, zu einem Hemmnis der Arbeit, daß er die Freude an derselben nicht nur schmälert, sondern oft genug in das Gegenteil verkehrt. Aber nicht bloß die physische Arbeit hat mit spröden ungefügen Stoffen zu kämpfen, die intellektuelle und geistige stößt hinsichtlich ihrer Bearbeitungsstoffe häufig auf weit größere Schwierigkeiten. Faule und dumme Jungen zu unterrichten, ist ebenso anstrengend und jedenfalls freudloser, als Stahl oder Granit zu schleifen. Einer Rotte verstockter und zum wievielten Male rückfälliger Verbrecher Sittengesetze zu predigen, ist kaum eine undankbarere und aussichtslosere Arbeit, als Ausstreuen von Getreidesamen auf nackten Fels.

Der schlechte, ungeschickte Arbeiter kann einen materiellen Stoff, der ihm zur Bearbeitung anvertraut ist, verderben, verunstalten oder vernichten. Dasselbe kann der schlechte Arbeiter zustande bringen, dessen Arbeit unter die Kategorie der intellektuellen oder moralischen gehört. Wieviel Unheil haben schlechte Lehrer in Schulen und auf Universitäten angerichtet? Wie verderblich haben schlechte Schriftsteller und Theaterdichter auf die Sitten gewirkt?

Das letzte Endziel aller menschlichen Arbeit ist die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Wir teilen sie in in solche des Leibes, des Geistes und des Herzens. Zwischen ihnen und den Produkten der Arbeit der nämlichen Organe besteht ein fortwährender Austausch, ein ewiger Stoffwechsel, der sich allerdings bald schneller, bald langsamer vollzieht.

Die Zeitdauer, innerhalb welcher dieser Stoffwechsel vor sich geht, spielt bei dem Verhältnis der Arbeit zu ihrem Stoff eine große Rolle. Je rascher der Austausch geschieht, desto rascher findet die Arbeit ihren Lohn, je langsamer, destor später wird er ihr zuteil. In der Arbeit des Geistes und des Herzens treten Erscheinungen dieser Art besonders grell hervor. Vergleichen wir nur einmal die reinen Verstandes- und die dichterischen Leistungen. DANTE ist bekannter als GALILEI, SHAKESPEARE bekannter als NEWTON, MOLIÉRE bekannter als LAVOISIER, SCHILLER und GOETHE bekannter als GAUSS oder BERZELIUS. Wie geht das zu? Vermag jemand die einen gegen die anderen abzuwägen? Und sind die einen, weil bekannter, auch berühmter, d. h. ist ihr Ruhm größer? Gewiß nicht. Die Erklärung liegt in jenem Verhältnis der Arbeit zum Stoff. Dichter und Künstler arbeiten vorzugsweise für das Gemüt, Mathematiker, Physiker, Chemiker dagegen für den Verstand. Fühlen ist aber weit leichter als Denken; jenes ist die Konsumtion des Gemütes, dieses die Konsumtion des Verstandes. Die Anzahl der fühlenden Menschen ist daher ungleich größer, als die der denkenden. Die Arbeiter, deren Produktionen auf das Gefühl berechnet sind, haben ein größeres Publikum und darum sind sie bekannter. Ist die Gefühlskonsumtion rasch vollendet, wie z. B. im Theater, so ist auch der Ruhm, welchen man dem Produzenten zollt, ein rasch vergänglicher; er ist es in höherem Grade für den Darsteller wie für den Dichter. Findet dagegen die Konsumtion schwer Eingang, gewinnen die Massen nur erst nach und nach Geschmack an derselben, so erlebt möglicherweise der Dichter den Kreislauf des Stoffes, den er hervorgerufen hat, gar nicht; sein Ruhm entsteht erst nach seinem Tode; er pflegt dann zwar umso nachhaltiger zu sein, doch nutzt er dem, dem er gilt, selbst nichts mehr.

In unserer schnelllebigen Zeit wollen auch der Ruhm und die damit verknüpften materiellen Vorteile rasch errungen sein. Die Arbeiter des Gefühls produzieren deshalb ungemein viel leichte Ware, deren Konsumtion seine große Mühe macht. Indessen Pikantes reizt den Appetit: also ist die Parole: auch Pikantes in die Gefühlsware; die massenhafte Vertilgung derselben (worauf es abgesehen ist) ist dann umso sicherer.

Wir gedachten weiter vorn des Unterschieds in den Belohnungen, welche den siegreichen Feldherrn und dem genialen Staatsmann von der Mit- und Nachwelt gewährt werden; das Verhältnis zum Stoff kommt dabei gleichfalls in Frage. Große Schlachten erregen das Gefühl, große Siege erfüllens es mit Anerkennung und berauschen es förmlich. Die Arbeit des Staatsmanns dagegen ist weniger Gefühls- als Verstandessache, sie wird nur nach und nach begriffen und anerkannt.

Es läßt sich nicht behaupten, daß das Verhältnis der Arbeit zum Stoff in allen Fällen im Preis der Arbeit zum Ausdruck gelangt, doch ist es in einigen entschieden der Fall. Die Fleischer erhalten meist und fast überall höheren Lohn als die Bäcker, obwohl die Arbeit der letzteren anstrengender ist. Allein die Anzahl der Menschen, die das Schlachten der Tiere ohne Beleidigung ihres Gefühls verrichten können, ist weit geringer als die, welche Teig kneten und Brot backen mögen. Und der hohe Preis der Arbeit in wirklich ehrenrührigen Gewerben besteht offenbar aus zwei Teilen, wovon der eine Arbeitslohn genannt werden mag, während für den anderen die Bezeichnung Schandgeld nicht unpassend wäre. ADAM SMITH sagt sogar von den Schauspielern, Opernsängern, Tänzern usw., daß die übermäßige Belohnung, welche sie empfangen, zum Teil auf Rechnung der Seltenheit ihres Talents, zum Teil auf Rechnung des Unglimpfs ihrer Anwendung komme, womit selbstverständlich nur die Anschauung  seiner  Zeit charakterisiert ist.

In manchen Gewerben vertritt das Element, in welchem sie sich bewegen, die Stelle des Stoffes. Ist jenes z. B. ein gefährliches, so hat das gleichfalls und mit vollem Recht Einfluß auf den Preis der Arbeit. Seeleute, Bergleute, Feuerwehrmänner, Dachdecker, Ärzte und Krankenwärter bei Typhus- oder Cholerakranken, Missionare unter Wilden usw. haben, wie wir in Zahlen sehen können, den vollsten Anspruch auf einen höheren Preis ihrer Arbeit.

Vom Verhältnis des Stoffs zur Arbeit werden zwei Reihen von Tatsachen beherrscht, wovon die eine als Gesundheitszustand, die andere als mittlere Lebensdauer der verschiedenen Berufsklassen zusammenzufassen ist. Ausgedehnte und sorgsame Untersuchungen nach beiden Richtungen hin sind konstant im Gange. Je mehr sich die Resultate derselben häufen, desto eher wird ihnen das Recht widerfahren, bei der Bestimmung des Preises der Arbeit als wichtigste Faktoren berücksichtigt werden. Die Gesundheitsziffer der Arbeiter in den einzelnen Gewerben ist maßgebend für die Höhe des Lohns insofern, als der in den gesunden Tagen zu verdienende die Lebenserhaltung und Krafterneuerung in den kranken übertragen muß; die Invaliditätsziffer bezeichnet die Dauer der produktiven oder Arbeitsperiode und die Sterblichkeitsziffer weist auf das Maß der Fürsorge hin, welches der Arbeitende bei Lebzeiten den Seinen widmen muß, damit sie nach dem Tod ihres Ernährers nicht dem Elend anheimfallen. -

Die vorstehenden Andeutungen über den Begriff, die Organe, die Bestandteile, die günstigen und ungünstigen Koeffizienten, das Verhältnis der Arbeit zu ihrem Stoff waren nötig, um die tausend und abertausend Einflüsse auf den Preis der Arbeit nur einigermaßen zu kennzeichnen, wovon die einen ihn herabdrücken, die andern ihn gleichzeitig in die Höhe zu treiben streben. Allen diesen Einflüssen bei der Bestimmung der Selbstkosten der Arbeit Rechnung zu tragen, ist schon deshalb unmöglich, weil nur die wenigsten einer konkreten Schätzung zugänglich und unterwerfbar sind. Immerhin haben aber einige Regeln und Sätze für die Berechnung der Selbstkosten der Arbeit allgemeine Gültigkeit; sie sind gleichsam die Fundamentalgrößen der aufzustellenden Formel; jene Einflüsse spielen, wie in anderen Formeln, die Rolle der Koeffizienten positiver oder negativer Art.
LITERATUR Ernst Engel, Wesen und Preis der Arbeit, Berlin 1872