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MAX SCHELER
Der philosophische Pragmatismus
[3/3]

"Der Pragmatismus sieht richtig, daß das primäre Verhältnis des Menschen - ja aller Organismen - zur Welt keineswegs ein theoretisches ist, sondern ein praktisches; daß daher alle "natürliche" Weltansicht von praktischen Motiven gelenkt und getragen ist. Der natürliche Vorzug, der feste, greifbare Dinge vor flüssigen, gasförmigen in das Zentrum triebhafter Aufmerksamkeit rückt, allem gleichförmig wiederkehrenden lenkbaren Sein und Geschehen aber vor ungleichförmigen und einmalig-konkretem d. h. unlenkbarem Geschehen den Vorzug verschafft, sind ebenfalls praktisch mitbedingt."

"Im fertigen Bau der Wissenschaft heißt es:weg mit allen übersinnlichen Hypothesen und Realitäten, Substanzen, Ursachen, Kräften! Und Reduzierung des Gewußten auf meßbare Sinnesdata und mathematische Gleichungen, das heißt sogenannte Naturgesetze, die unsere Erwartungen einschränken!"

"Die Betrachtung der Welt setzt nichts als die Wesenszusammenhänge voraus, die in Raum, Zeit und Bewegung als letzten Gegebenheiten gründen."

"Es war eben der prinzipielle Irrtum, den Mach mit Hume und mit Kant teilt, anzunehmen, Elemente bzw. Empfindungen seien genetisch und der Ordnung des Ursprungs der Erfahrung nach primär und rein rezeptiv (d. h. ohne eine ihr Zustandekommen mitbedingende, auf ein bestimmtes Schema schon gerichtete triebhafte Aufmerksamkeit) gegeben, sie würden erst nachträglich verarbeitet, bzw. zu Ding-Gestalt- und sonstigen komplexen Einheiten zusammengefaßt."


C) Das relative Recht des Pragmatismus

Trotz dieser aufgewiesenen tiefen Irrungen kommt der pragmatischen Lehre dennoch in vieler Hinsicht eine positive Berechtigung zu, was zu übersehen auch alle gute und gesunde Kritik des philosophischen Pragmatismus völlig wertlos macht. Es sind dies vor allem folgende Hauptpunkte:

Der Pragmatismus sieht zunächst richtig, daß das primäre Verhältnis des Menschen - ja aller Organismen - zur Welt keineswegs ein theoretisches ist, sondern ein praktisches; daß daher alle "natürliche" Weltansicht von praktischen Motiven gelenkt und getragen ist. Sowohl die Realitätsthesis und ihr Primat vor aller Soseinsthesis in der natürlichen Weltanschauung, wie die Thesis der "Leerformen" von Raum und Zeit (als gingen diese den Körpern und Ereignissen vorher), wie auch der natürliche Vorzug, der feste, greifbare Dinge vor flüssigen, gasförmigen in das Zentrum triebhafter Aufmerksamkeit rückt, allem gleichförmig wiederkehrenden lenkbaren Sein und Geschehen aber vor ungleichförmigen und einmalig-konkretem d. h. unlenkbarem Geschehen den Vorzug schon möglicher Wahrnehmung verschafft, sind ebenfalls praktisch mitbedingt. Praktisch (im Gesetz der Sparsamkeit der Sehfunktion) ist ebenso bedingt, wenn wir Nahes weit kleiner, Fernes weit größer sehen, als es dem Gesichtswinkel und der geometrischen Perspektive entspricht; die Größenkonstanz, Gestaltkonstanz, Farbenkonstanz der Sehdinge, die alle natürliche Wahrnehmung aufweist, ist im Gegensatz zu dem bedingt, was zu erwarten wäre, wenn die Sinnesempfindungen sich proportional zu den Reizen verhalten würden. Praktisch mitbedingt ist auch alle "Intelligenz" in der Sphäre der natürlichen Weltanschauung, ist die Interessenperspektive der begrifflichen Bedeutungen eines Subjekts und einer Gruppe wie die Auswahl der in Urteilen erfaßten Sachverhalte, ist Antrieb und Richtung des mittelbaren Denkens in Bezug auf zu lösende praktische, aus Trieben und Bedürfnissen uns gestellte "Aufgaben". Praktisch mitbedingt ist die Ausschaltung aller Sinnesqualitäten und all der Werte in der natürlichen Weltanschauungshaltung, die aus dem Weltbild und -bewußtsein für wichtige, bzw. unwichtige Angriffspunkte unseres möglichen Handelns auf die Dinge keinerlei Zeichensinn und keine mögliche Zeichenfunktion besitzen (1). Praktisch mitbedingt ist ferner der Interessenvorzug des natürlichen Menschen für die Außenwelt gegenüber der Innenwelt, der Fremderkenntnis gegenüber der Selbsterkenntnis. Aber aus diesen wichtigen Aufweisen folgt nur eines: daß für die Technik der Herstellung eines rein theoretischen Verhältnisses des Menschen zur Welt alle diese im Bildungsgesetz der natürlichen Weltanschauung wirksamen praktischen Motive erst Stück für Stück mit ihrer Wurzel durch eine besondere geistige Technik auszuschalten sind - und dies an erster Stelle für eine "philosophische" Betrachtung der Dinge. Nicht aber folgt daraus, daß es keine Erkenntnis der Welt und kein Wissen um sie gäbe, die nicht in diesem Sinne "praktisch bedingt" wären.

Richtig hat der Pragmatismus ferner gesehen, daß auch die höchsten Erkenntnisziele der positiven Naturwissenschaft und der erklärenden Psychologie - so sehr diese Wissenschaften alles spezifisch Anthropomorphe auszuschalten suchen müssen - praktisch mitbedingt sind. Denn indem die (moderne) Wissenschaft sich zum Ziel setzt, alle Erscheinungen der Außen- und Innenwelt als abhängige Funktionen eines (formalen) Mechanismus zu begreifen, schaltet sie zwar die spezifische Organisation des irdischen Menschen als Daseins- und Soseinsbedingung der Gegenstände dieser Erscheinungen aus. Sie sucht zwar ein Wissen, in dessen Soseinskorrelat alles ausgetilgt ist, was nur (so wie in der natürlichen Weltanschauung) aufgrund unserer sinnlichen und psychophysischen Konstitution da ist; sie sucht ein "Wissen", das auch für Wesen ganz anderer sinnlicher Konstitution als der irdisch-menschlichen gültig und gleichsam in die Sprachen aller möglichen Sinnesorganisationen zu übersetzen wäre. Dieses Ziel scheidet die positive Wissenschaft scharf von allem anthropomorph-praktischem Wissen, das in "natürlicher Weltanschauung" möglich ist. Aber - und hier beginnt das Recht des Pragmatismus - sie wählt das, was in ihr Wissen eingeht, nach einem Prinzip der Selektion aus, das selbst wieder praktisch oder primär durch eine bestimmte Wertung mitbedingt ist: nur eben nicht anthropomorph praktisch wie der Wissensgehalt der natürlichen Weltanschauung, sondern praktisch in einem wesensbiologischen Sinn. Da kein denkbares Lebewesen - kein psychophysischer Organismus - Natur praktisch und direkt verändern kann, es sei denn durch seine spontane amechanische Bewegung, so wird der positiven Wissenschaft das durch ein "Lebewesen überhaupt" Bewegbare - direkt oder indirekt Bewegbare -, also auch Lenkbare, Beherrschbare, Abwendbare an der Natur, Gegenstand ihres Interesses, ihres Liebesvorzuges zu einem Gegenstand, auf dessen mögliche und unabhängige Variation an Größenbestimmtheit sie das Sosein aller Erscheinungen und Naturrealitäten zurückzuführen sucht. Einfacher gesagt: die Wissenschaft für "Natura" nach Möglichkeit auf einen Prototyp von formalem "Mechanismus" zurück, nicht weil Natura ansich nur ein Mechanismus wäre, sondern weil Natura ansich nur, soweit und sofern sie ein Mechanismus ist oder einem solchen weitgehend analog ist, auch praktisch beherrschbar und lenkbar durch ein herrschaftswilliges Lebewesen ist. Sie sucht einen Bauplan gleichsam "für alle möglichen Maschinen" - nicht wie die angewandte Technik nur für Maschinen, die je bestimmten Beherrschungszielen des historischen Menschen entsprechen, also für "bestimmte" Maschinen. Und sie nennt eine Naturerscheinung "erkannt" (in der Grenze ihrer Wissensziele überhaupt), wenn sie einen Plan angeben kann, nach dem sie in einem bestimmten hic et nunc [hier und jetzt - wp] hergestellt werden oder doch hergestellt gedacht werden (Reales Experiment und Gedankenexperiment in Zeichen).

Es wäre also ein tiefer Irrtum, zu meinen, es überwindet die formal-mechanische Realitätsbetrachtung darum allein auch schon das praktisch-technische Motiv ihrer Wissensziele, weil sie alles sinnlich Anthropomorphe überwindet, alle menschliche Sinnesanschauung und alles "Erlebnis" des Menschen aus ihrem symbolischen Weltbild mathematisch formulierter Bewegungsgleichungen ausschaltet. Nicht nur "der Physiker" als reines Erkenntnissubjekt - wie MAX PLANCK sagt -, sondern "der Physiker" auch als herrschwilliges Lebewesen (und das heißt als ein mit Sinnlichkeit und spontaner amechanischer Bewegung "überhaupt" begabtes Wesen) bleibt vorausgesetzt. Man darf auch sagen: der "Mensch" bleibt vorausgesetzt, wenn man den Begriff Mensch nicht empirisch, sondern wesensontologisch versteht als "das mit einem vernünftigen Geist verknüpfte Vitalwesen" - eine Idee, fü die der gleichnamige Erdenmensch "Mensch" mit seiner besonderen Anatomie, Physiologie, Sinnes- und Bewegungsorganisation nur ein, wenn auch unser "einziges" "Beispiel" ist. Was die formal-mechanische Wissenschaft ausschaltet, ist eben nicht "Leben" überhaupt, sondern nur die menschlichen Reiz- und Unterschiedsschwellen, die Besonderheit dieser menschlichen Sinnesorgane und -modalitäten usw.; ist nicht Sinnlichkeit überhaupt, sondern dieser Sonderfall der irdischen Menschentiersinne; ist nicht vitale Lenkbewegung überhaupt, sondern nur dieser empirisch menschliche Bewegungsapparat - nicht "homo" überhaupt, sondern nur irdisches "Menschentier". -

Um die Begriffe betreffend die Eigenart dieser meiner relativ (pragmatischen) Auffassung aller formal-mechanischen Naturlehre zu schärfen, ist es notwendig, zu sagen, welche andersartigen Auffassungen der mechanischen Naturlehre damit ausgeschlossen sind. Es sind teils solche, die ihren Erkennungswert überschätzen, teils solche, die ihn unterschätzen.

1. Der "Materialismus" gehört zur Reihe von Auffassungen, die den Erkenntniswert der mechanischen Naturlehre überschätzen, ebenso wie die ihm entsprechende absolut realistisch gemeinte sensitivistische Assoziationspsychologie; ferner der psychomechanische Parallelismus. Diese geben dem Mechanismus und seinen Voraussetzungen Raum, Zeit, homogene Bewegung irgendwelcher absolut beharrlicher "Dinge" (ob Elektronen oder Atome, ob Empfindungsdinge oder sogenannte Vorstellungen - Vorstellungsdinge), eine absolute Realität "hinter" den Erscheinungen. Damit verkennt der Materialismus jedoch die siebenfache Daseins- und Soseinsrelativität, die allem Naturmechanismus zukommt:
    1) Der Materialismus verkennt die Daseinsrelativität auf ein wissendes Subjekt überhaupt, das reinen Wissens fähig ist. (Das heit der Materialist verhält sich - wie SCHUPPE einmal treffend sagte - gemäß dem Studentenlied: "Ich wollt, ich wär ein Louisdor, da kooft ich mir ein Bier dafor.") Das ist heute wohl allgemein eingesehen.

    2) Der Materialismus verkennt sodann die Daseinsrelativität des Mechanismus auf die Gesetze "reiner" Logik und mathematischer Analysis (das heißt auf Gegenstands- und Aktgesetze des autonomen Denkgegenstandes und korrelaten Denkaktes überhaupt); auf Gesetze, die erstens nicht alle Gesetze eines Logos überhaupt sind - obgleich notwendig in ihm enthalten sind; und die zweitens durch den Mechanismus weder als Gegenstandsgesetze, noch als Aktgesetze irgendwie "erklärt" werden können.

    3) Verkannt wird ferner die Daseinsrelativität des Naturmechanismus auf die "sinnliche" Anschauung, die direkt oder indirekt im "Daß" ihrer Realisierung, nicht also im "Was", das sie gibt, durch irgendwelche Reize vermittelt ist, die einen Leibkörper erreichen. Nun ist aber nicht alle mögliche Anschauung und auch nicht alle tatsächliche Anschauung des Menschen eine "sinnliche" Anschauung, da es auch nichtsinnliche, zum Beispiel "Gestalt"-, "Struktur"anschauung gibt, deren Daten alle mögliche sinnliche Anschauung in ihrem Empfindungsgehalt erst bedingen und möglich machen. Zu dieser Anschauung gehören zum Beispiel an erster Stelle alle intuitiven Minima, die den verschiedenen mathematischen Disziplinen zugrundeliegen und die für jede Disziplin eine besondere, über die rein formal logischen Axiome hinausgehende Wesensaxiomatik begründen.

    4) Der Materialismu verkennt weiter die Daseinsrelativität des Mechanismus auf "Leerformen" absoluter Existenz "Raum", "Zeit", "Bewegung", das heißt auf pure Fikta, die werder eine von der Vernunft des Menschen, noch eine vom Dasein von "Lebewesen" und "Wesen" des Menschen unabhängige Existenz besitzen. Raum, Zeit, Bewegung sind nun aber a) ansich nicht Leerformen, sondern - was ihre puren Ordnungsgesetze betrifft, die ganz unanschaulich sind - Folgen von qualitativ und quantitativ bestimmten zeitlich wirksamen Kräften hierbei sind Raum und Zeit als verschiedene Dimensionen der allein ursprünglich gegebenen "Bewegung" und "Veränderung" (bzw. des beiden zugrundeliegenden "Wechsels") nur eine je verschiedene Ausgestaltung der "Bewegungsmöglichkeit" bzw. "Veränderungsmöglichkeit", die erst durch faktische Bewegung (Veränderung) zu faktischem Raum und faktischer Zeit wird. Sie sind b) in keinem Sinn absolut, sondern wesensrelativ aufeinander (Einsicht auch der allgemeinen Relativitätstheorie). Sie sind c) nicht extra mentem daseiend, da alles, was wesensrelativ aufeinander ist, kein Dasein extra mentem besitzen kann. d) Sind alle bestimmten metrischen "Größen" von Raum, Zeit, Bewegung daseinsrelativ auf Leben überhaupt und einen seelischen Beobachter überhaupt (freilich so, daß dessen sinnliche Anschauung unabhängig von aller menschentierartigen Organisation und Beschränkung gedacht ist).

    5) Der Materialismus verkennt eben damit die allgemein vitalrelative Natur allen Mechanismus und damit auch die Tatsache, daß alles organische "Leben" (als objektiv physisch Reales und als Vitalsphäre des "psychisch" Bewußten) sich aller Zurückführung auf einen Mechanismus wesensgesetzlich entzieht. Denn das, worauf ein Mechanismus daseinsrelativ ist - nämlich Vitalwesen -, kann nicht selbst wieder ein "Mechanismus" sein, wie immer es auch in der Methode mechanischer Betrachtung als Körperphänomen und "Träger" des Lebens erforscht und studiert werden mag.

    6) Verkennt der formale Materialismus die Daseinsrelativität des Mechanismus und aller höchsten Prinzipien der formalen Mechanik (besonders ihres obersten Prinzips der kleinsten Wirkung) auf die technische Zielsetzung eines Lebewesens überhaupt, auf Herrschaft über Natura mit einem Minimum von Mitteln - und damit die spezifisch "pragmatische" Daseinsrelativität alles Mechanismus, überhaupt nur ein "Mittel" für Werte realisierende zielbestimmte Agentien zu sein.

    7) Verkennt der Materialismus, daß jedes formal mechanische Soseinsbild der Dinge um dieser gesamten Relativierung seines Gegenstandes willen auch nur den Wert einer symbolischen Bestimmung der Natur durch "Zeichen" hat, durch die und durch deren Verknüpfung wir Menschen zwecks Herrschaft über Natura uns Pläne einer möglichen Herrschaft über die Punkte unseres Angriffs der Natur zu irgendwelchen (wechselnden) Zwecken verfertigen, nicht wesentlich anders als der Architekt, der sich zuerst einen Bauplan verfertigt, ehe er baut. Daß aber eben darum ein "Wissen" vom realen Sachbestand der Natur und seinem Sosein in diesem symbolischen Bild überhaupt nicht gegeben ist, dieses Bild also ebensowenig ein "Wissen" von der realen Natur vermittelt, wie ein Adreßbuch, das mich Menschen, die ich kennen lernen will, auffinden und immer wieder auffinden lehrt, mich über Wesen und Charakter dieser Menschen belehrt. Eine eindeutige Ordnung, die ich Dingen durch eine Zuordnung von Zeichen so gebe, daß ich durch pure Operationen mit den Zeichen jeweils bestimmte Dinge stets auffinden, ferner trennen und zusammensetzen und ihre Stelle im System der "Jetzt-hierpunkte (d. h. der raumzeitlichen Koinzidenzen [Aufeinandertreffen - wp]) ohne empirische Prüfung vorher bestimmen kann, belehrt mich über das Wesen dieser Gegenstände - eben je vollkommener diese Ordnung ist - umso weniger, bei ideal erreichtem Ziel (das ja auch nur die Idee eines Planes ist, keine Sache) aber über gar nichts. Sie darf es auch nicht! Denn gerade die künstliche und geschickte Umgehung allen Wesens der Gegenstände dieser Welt - ihr bewußtes Dahingestelltseinlassen, ihre Einklammerung, d. h. das Dahingestelltseinlassen all dessen, was die Philosophie, oder was doch ihre oberste Disziplin, die Wesensontologie der Welt, interessiert (mit Einklammerung also umgekehrt allen zufälligen Daseins und Soseins im Jetzt-hier) -, die radikale Umkehr also allen philosophischen oder "reinen" Wissens und seiner Erkenntnismethodik ist ja eben das Ziel, der Sinn und der einzigartige praktisch-technische Leitwert aller formal-mechanischen Betrachtung und Forschung. Die formal-mechanische Betrachtung also tadeln oder geringschätzen, wie es gegenwärtig so vielfach geschieht, ist eben noch ein Zeichen davon, daß man sie am falschen Maßstab einer rein theoretischen Erkenntnis, einer wissenden Teilhabe an der Natur mißt, daß man die praktische Intelligenz, die in ihr tätig ist, für "Vernunft" hält und ihre Relativität auf eine mögliche Naturbeherrschung und -lenkung durch die vitale Bewegung ganz verkennt. Mißt man sie an dem, was sie will (nicht was einzelne Forscher "wollen", die sich ihrer bedienen), was ihr Sinn und Wert ist - die oberste Leitung zu sein der menschlichen Industrie und Technik -, so ist das symbolische Bild der Dinge, das sie herstellt, so wesentlich und so wichtig und so unersetzlich, daß die praktische Fruchtbarkeit dieses Bildes erst den Unterbau schafft für die mögliche Erreichung der Ziele des "homo sapiens" im Menschen, und insbesondere für die Erreichung dieser Ziele durch möglichst Viele.
Da der Materialismus (der Außenwelt und Innenwelt) diese siebenfache Relativität der formalmechanischen Natur- und Seelenbetrachtung übersah und den Mechanismus darum zu einem "Ding-ansich" machte, alle Qualitäten, Gestalten, Formen, Ideen, Wesen, Ziele, Werte, Zwecke der Natur und der Seele aber folgerecht nur auf den Menschen relativ sein ließ, ist seine Täuschung über den Sinn und Erkenntniswert der formalmechanischen Wissenschaft natürlich die weitaus größte. Die übrigen, gleichfalls falschen überschätzenden Lehren über den Sinn dieser Weltansicht erkennen jeweils nur eine bestimmte Anzahl dieser Voraussetzungen als Voraussetzungen an und gehen darum jeweils etwas weniger in die Irre, als der Materialismus es tut.

2. Gibt man die unter 1) und 2) eben angeführten Voraussetzungen, das heißt den Bestand eines wissenden Subjektes überhaupt (das mechanisch unerklärlich ist) und die Geltung einer "reinen" Logik und Analysis als Inbegriff von Gegenstands- und Aktgesetzen (die gleichfalls mechanisch unerklärlich sind) für die mechanische Weltansicht zu, jedoch keine anderen Voraussetzungen, so kommt man zu dem Irrtum, daß "eine Welt mechanisch denken und sie denken zusammenfällt". Das heißt: die formalmechanische Weltansicht wäre dann immerhin noch die einzig "rationale" Weltansicht. Sehr nahe kommen dieser Lehre z. B. DESCARTES, SPINOZA, HOBBES, HERBART, wobei bei HOBBES z. B. schon ein gesunder Einschlag von Pragmatismus spürbar ist. Neuerdings ist diese Ansicht von WUNDT (2) und sehr extrem, aber dadurch auch sehr lehrreich von MORITZ SCHLICK (3) vertreten worden, sehr weitgehend auch von den beiden Kantschulen von Marburg und (mit Ausnahme der Geschichte) Heidelberg, ferner in strenger Konsequenz von MAX WEBER. Aber diese obige These ist gänzlich unbegründet. Wenn etwa WUNDT meint, die mechanische Naturbetrachtung ergibt das "einzig widerspruchslose" Weltbild, da die Bewegung bzw. die Veränderung des Ortes die einzige Veränderung ist, in der das, was sich verändert, seine strenge Identität behält, so ist dieser Satz nur eine Zeichen, daß WUNDT die obersten "rein" logischen Prinzipien falsch beurteilt und anwendet. Die Zustandsänderung in einem ontischen Sinn gefaßt, so wie sie ARISTOTELES meint in seinem Begriff der alloiosis [Veränderung - wp], ja selbst die "Verwandlung" und "Schöpfung", können bei richtiger Anwendung des Prinzips der Identität und des dem Widerspruchssatz zugrunde liegenden ontischen Prinzips, es könne dasselbe Akzidens [Merkmal - wp] nicht demselben Seienden zukommen und nicht zukommen, sehr wohl des Daseins teilhaftig sein; werden sie aber falsch aufgefaßt und angewandt, indem man ihre rein hypothetische Natur verkennt und (anstatt X = X bzw. X hat nicht Y, wenn es ein (Non Y), zum Beispiel Z, hat) schon material, das heißt schon dem Sosein nach bestimmte Gegenstände setzt (also z. B. A = A schreibt), so enthalten die Setzungen einer homogenen Zeit, eines homogenen Raums und einer homogenen Bewegung genau dieselben "Widersprüche", wie die Zustandsänderung usw. Es ist das dauernde relative Verdienst des "Eleaten" HERBART, dies klar gezeigt zu haben. Ist nicht jeder Punkt des homogenen Raumes mit dem anderen (analog Zeitpunkt mit Zeitpunkt) streng soseins-identisch und doch verschieden von ihm? Und hat nicht schon ZENON und ihm folgend HERBART auch "Widersprüche" in der homogenen Bewegung aufzuweisen gesucht? In der Tat bestehen diese Widersprüche, wenn man die Phänomene der Anschauung in Raum, Zeit, Bewegung, Veränderung, Verwandlung, Schöpfung, nicht als einfach "gegeben" anerkennen will (nur ein Anwendungsgebiet der logischen Prinzipien in ihnen sehend), sondern meint, es behaupteten die logischen Prinzipien etwas über das absolut Reale (der Satz der Identität z. B., daß es ein mit sich identisches soseinsbestimmtes Dasein gibt) und daher dürfe man mit ihnen die Phänomene zerstören, respektive als "täuschende Phantome" erweisen. Auch das "eine" Ding mit seinen Eigenschaften, das "eine" Ich mit seinen vielen Gedanken, die kausale Abhängigkeit von Ursache und Wirkung, wären dann Widersprüche. Aber die logischen Prinzipien sagen nur: Bewegung ist Bewegung, Veränderung ist Veränderung, bzw. Bewegung ist nicht Zustandsänderung. Keineswegs zeigen sie "Widersprüche" in diesen Begriffen auf. Die These WUNDTs beweist also zuviel - und darum eben nichts. Wäre sie richtig, müßte man überdies die Prinzipien der Mechanik rein logisch deduzieren können, so wie es viele Aufklärungsphilosophen wollten, z. B. das Trägheitsprinzip aus dem Prinzip des "mangelnden Grundes" der Bewegungsänderung, desgleichen das Kausalprinzip schon aus dem Phänomen scheinbar grundloser Veränderung plus dem Prinzip der Identität (HERBART, LIPPS, MÜNSTERBERG u. a.) Von all dem kann keine Rede sein. Die Prinzipien "reiner" Logik sind mit einer nicht-mechanischen Welt also genauso wohlverträglich wie mit einer formalmechanischen; ja sie wären es selbst mit einem absolut chaotischen, gänzlich gesetzlos wechselnden Sein.

Umgekehrt: Wenn die reine Logik aus sich selbst herraus eine logisch-vollkommene und idealbegreifliche Welt als Idee entwickelte, so wäre diese Idee - wie neuerdings HANS DRIESCH (4) schön gezeigt hat - gerade nicht die Idee einer formalmechanischen Welt, sondern sie fiele mit dem zusammen, was DRIESCH das "ordnungsmonistische Ideal" nennt, d. h. mit der Idee eines Weltganzen, aus dessen Idee man Dasein und Sosein aller seiner Teile durch eine pure apriorische Begriffsentwicklung (und alle Relationen dieser Teile von einem Grundgesetz) herleiten könnte - ein "Ideal" also, dessen Ausführung gerade die formal-mechanisch "summenhafte" Welt (das hos epi to poly [Wahrscheinlichkeit - wp], wie es ARISTOTELES nannte) unmöglich gemacht.

Nur in genau umgekehrter Weise wie all jene, die eine formalmechanische Weltansich schon für eine Forderung der "reinen" Logik halten, irrt BERGSON. Einig ist er mit jenen darin, daß die Welt "denken" schon sie "mechanisch" denken heißt, daß ein Identitätsprinzip zum Beispiel nur gilt, wo es einen homogenen Raum und den absolut festen Körper darin gibt. Nur wendet BERGSON diesen Zusammenhang nicht wie jene zugunsten der mechanischen Naturlehre, sondern gegen die mechanische Naturansicht, nicht nur in der Sphäre des Psychischen und Organischen, sondern auch des Anorganischen. Er wendet den vermeintlichen Zusammenhang ebenso gegen die Logik, indem er vermeint, die logischen Prinzipien (er kennt sie nur als subjektive Denkgesetzlichkeiten, nicht als Seinsgesetze) aus dem Antrieb des Lebens herleiten zu können als dessen Werkzeug. Und indem er eine Theorie entwirft, nach der homogener Raum, homogene Zeit, Substanz, fester Körper, (die er für Voraussetzungen einer reinen Logik hält) nur "praktische Schemata des Handelns des Lebendigen auf seine Umwelt" wären, muß BERGSON für die metaphysische Erkenntnis der Dinge ansich dem Denken überhaupt entsagen und an seine Stelle die irrationalistischen Erkenntnismittel der "Intuition" und der "Sympathie" setzen, die allein echtes Werden, Bewegung (als Dynamis), Kraft, Neuwerden und Schöpfung unmittelbar zu erfassen vermögen. Damit aber setzt er nur eine soziologisch umgrenzte Denkart und Denktechnik (die mit reiner Logik und ihren Forderungen nichts zu tun hat), nämlich die Denkart und rationalistische substanzfeindliche Denktechnik der abendländischen, spezifisch "gesellschaftlichen" Spätzivilisation, die dem formalmechanischen Ideal anhängt, mit Denken und Logik überhaupt gleich - um dann seinen Kampf gegen "das" Denken überhaupt zu richten. BERGSON erkennt sehr richtig, daß die formal-mechanische Naturerkenntnis einen symbolisch und praktisch mitbedingten Wert besitzt und daß Philosophie und Metaphysik erst da beginnen, wo diese aufhört. Aber er verkennt, daß diese mechanische Naturerkenntnis außerdem "wahr" und "richtig" ist - nämlich für die auf Leben daseinsrelativen Gegenstände. Indem er ferner den "Begriff" überhaupt ganz nominalistisch und pragmatistisch nur als einen Bewegungsimpuls zu bildhaften Vorstellungsabläufen plus "festes" Zeichen ansieht, der unserem Handeln Wege weist, alle Kategorien als bloß praktisch-ökonomische Einheitsbildungen aufzuklären vermeint (5), an die unser Handeln anknüpfen kann; indem er auch seinerseits (genau wie HERBART) das Kausalprinzip mit seiner besonderen mechanischen Form identifiziert und dann auf das Prinzip der Identität zurückführt, gibt BERGSON sich genau demselben Irrtum hin wie die oben genannten Forscher - nur eben mit umgekehrtem Wertvorzeichen. Auch er sieht im Begriff nur ein immaterielles "Werkzeug", im "Schließen" ein nach dem Prinzip Erfolg-Mißerfolg wohlbewährtes und darum erblich fixiertes Experimentieren mit "Ideen" (Gedanken-Experiment), in der "Wissenschaft" ("science") als nur eine Folge des vitalen Beherrschungswillens der Natur, der sich in Technik und Industrie realisiert. Die "Intelligenz" des Menschen ist ihm nur eine Folge davon, daß der Mensch ein "homo faber" [der Mensch als Handwerker - wp] ist. Alle diese Irrtümer haben wir bereits im Vorstehenden widerlegt.

Aber so irrig und unhaltbar diese Lehre BERGSONs von der nur praktischen Bedeutung des "Verstandes" ist, so richtig sieht er andererseits erstens, daß Philosophie und Metaphysik von der Wissenschaft wesensverschieden sind und ihr kontemplativ-apraktisches Ideal der Erkenntnis neben und über dem der Wissenschaft besteht. Und er sieht zweitens richtig, daß die formalmechanische Erklärungsmethode praktisch und biologisch mitbedingt ist und darum das "Leben" mechanisch nicht erklärbar sein kann. Erst in seiner positiven Lehre von der metaphysischen Erkenntnis durch "Intuition" als der höheren Synthese von Intelligenz und Instinkt und in seiner eigenen Theorie des Lebens und seiner Entwicklung beginnen die sachlichen Irrtümer BERGSONs.

3. Ein dritter eigener Typus der Lehre vom Sinn der formalmechanischen Naturansicht - und zwar dieser Naturansicht auf der Stufe von NEWTONs Wissenschaft, auf der eine vollständige Formalisierung dieser Ansicht noch nicht durchgeführt ist - wird von der Philosophie KANTs und den sogenannten neukantischen Schulen dargestellt. Seine gegen den zweiten Typus abweichende Eigenart gewinnt dieser Typus durch die Lehre von der Apriorität, Subjektivität und der gleichwohl bestehenden gegenständlichen ("transzendentalen") Gültigkeit der Anschauungsformen von Raum, Zeit und Bewegung (bei der KANT noch schwankt, ob sie ein "reiner" oder "empirischer" Begriff ist) wie durch die Konzeption einer von "reiner analytischer" Logik verschiedenen synthetischen transzendentalen Logik als des Inbegriffs der Möglichkeitsbedingungen des Erfahrens der Gegenstände der Natur und darum auch der Gegenstände der Natur selbst (die sogenannte kopernikanische Wendung "Der Verstand schreibt der Natur die Gesetze vor"). Will man nicht - was man problemgeschichtlich wohl könnte - schon in dem alles beherrschenden Gedanken KANTs, es sei denkendes Erkennen ein synthetisches Formen und spontanes gesetzlich gebundenes Bilden der Gegenstände der Natur (als Erfahrungszusammenhang) - nicht aber ein nur rezeptives Erfassen des Soseins der Gegenstände -, ein "pragmatisches" Motiv sehen, so fehlt KANT der Gedanke, daß dem mechanischen Weltbild eine praktisch-technisch mitbedingte Bedeutung zukommt, der Metaphysik aber eine rein theoretische, so vollständig und so radikal, daß er das Verhältnis geradezu in sein Gegenteil verkehrt: die mechanische Weltlehre der Naturwissenschaft (und Assoziationspsychologie) ist "rein theoretisch", wenn auch im Sinne der gänzlichen Umbildung dieses Begriffs "Erkennen" durch den neuen Erkenntnisbegriff des "Formens"; und die Metaphysik kann für ihn einige ihrer Thesen (Gott, Freiheit, Unsterblichkeit z. B.) nur halten, indem sie sich auf "Postulate" aufgrund des Sittengesetzes aufbaut. In diesem Zusammenhang ist uns nur wichtig, daß KANT erstens einsieht, daß die reine Logik als solche auch ein ganz anderes Weltbild zuläßt als das formalmechanische - ein zweifelloser Fortschritt! -; und zweitens, daß diese Naturansicht für die "Dinge-ansich" keinerlei Erkenntniswert hat, da die dreit Hauptdaten: "Raum", "Zeit", "Bewegung" nur menschliche Formen der Anschauung der Dinge sind, die diesen Dingen selber nicht zukommen - sicher ein weiterer großer Fortschritt. KANTs Beweis freilich, seine in vielem unhaltbare Raum- und Zeitlehre wie seine (durch nichts als das proton pseudos, "gegeben" sei nur ein ungeordnetes Chaos von Empfindungen, gestützte) Konzeption eines synthetisch formenden, die Gegenstände der Erfahrung erst hervorbringenden Denkens und einer eigenen Wissenschaft von ihm, der "transzendentalen Logik", halten wir für ganz unstichhaltig. Indem auer er genau wie NEWTON Raum und Zeit als "selbständige" Leerformen ansieht, die den Dingen und ihren Verhältnissen, bzw. den Ereignissen und ihren Verhältnissen vorhergehen, hat KANT - wenn er auch diese für NEWTON ansich bestehenden Formen zu bloß "menschlichen" Anschauungsformen macht, nicht so wie NEWTON in seiner Lehre vom Raum als "sensorium Dei" [Empfindungsvermögen Gottes - wp] zu göttlichen Anschauungsformen - wie kaum ein anderer das Werden einer richtigen Raum- und Zeitlehre verhindert, die auf alle Fälle von der Erkenntnis auszugehen hat, daß Raum und Zeit unabhängig von Dingen, Ereignissen und ihren Verhältnissen nichts sind als Phantome der menschlichen Triebphantasie. Und indem er ferner übersah, daß Raum und Zeit erst von dem ursprünglicheren und einfacheren Datum der dynamisch gefaßten "Bewegung", "Veränderung" und in letzter Linie vom "Wechsel" her zu verstehen sind - nicht aber Bewegung den Bestand von Raum und Zeit als Voraussetzung fordert -, hat KANT auch von dieser Seite her das Aufkommen einer richtigen philosophischen Grundlegung der theoretischen Physik stark gehemmt. Da er ferner vermöge seines transzendentalen Idealismus und empirischen Realismus jede theoretische Metaphysik bestritt - die Luftbauten der Postulaten Lehre entschädigen nicht für sie - und aufgrund seiner schon vor allem Philosophieren bestehenden dogmatischen Überzeugung von der Gültigkeit der formalmechanischen Weltansicht (im Sinne NEWTONs) diese Lehre von der empirischen Realität auch für das Leben und die empirische Seelenlehre für "allgültig" hielt, hat er, im Ganzen gesehen, die Grenzen dieser Weltansich nur insofern (ansich verdienstvoll) erkannt, daß er ihre metaphysische Gültigkeit bestritt. Sonst aber hat KANT mehr als jeder andere Philosoph ihre Herrschaft über die Geister befestigt.

Von der siebenfachen Relativität des Daseins der Gegenstände der mechanischen Naturlehre hat KANT also nur die drei ersten Arten ihrer Relativität klar erkannt, die vier anderen Arten ihrer "Grenzen" übersehen.

4. Es ist nun das ungemeine Verdienst der positivistischen und pragmatistischen Gedankenbewegung, hier wahrhaft "über Kant hinaus zu gehen" - in vielem anderen freilich weit hinter ihm zurückbleibend. Diese ihre spezifischen Verdienste um die Aufklärung des Sinnes der formalmechanischen mechanischen Naturlehre werden nicht geschmälert durch die abgrundtiefen philosophischen Irrtümer der beiden philosophischen Richtungen. Sie werden nicht geschmälert dadurch, daß der Positivismus (KANTs proton pseudos teilend) die sensualistische Gegebenheitslehre festhält, ursprünglich seien allein reizproportionale Empfindungen gegeben; dabei aber das nicht sieht, was KANT bereits klar und für immer gültig gesehen hatte, daß die Strukturzusammenhänge der Erfahrung [Kategorien - wp], an deren Leerstellen die Empfindungen eintreten und allein eintreten können, den Empfindungen wahrhaft "vor-gegeben" sind - eine Tatsache, die KANT nur falsch erklärte, indem er sie ihrem Ursprung nach auf apriorische Funktionsgesetzlichkeiten des Verstandes [Kategorien - wp] zurückleitete. Sie werden auch nicht dadurch geschmälert, daß z. B. AVENARIUS und MACH alle logischen Gesetze des Denkens, anstatt (richtig) auf Seinsgesetze, auf das Prinzip der Ökonomie des Denkens zurückzuleiten versuchten - ein Versuch, den HUSSERL endgültig widerlegt hat (6). Sie werden auch nicht geschmälert durch die unmögliche Umdeutung, welche die Pragmatisten mit dem Begriff der "Erkenntnis", der Wahrheit, der Evidenz, vorgenommen haben. Denn einige dieser Irrtümer allgemein philosophischer Observanz sind nur falsche Generalisierungen richtiger Einsichten, die an der Erkenntnispraxis des exakten Naturforschers (insbesondere der theoretischen Physik) gewonnen sind, auf das Wesen von Erkenntnis überhaupt. Der Fehler ist hier, daß man die Arten der Erkenntnis (der exakten und philosophischen) nicht scheidet und aus einem höchsten Begriff des "Wissens", der Teilhabe eines Seienden am Sosein eines Anderen, ableitet, sondern dasjenige auf Wissen, Erkenntnis überhaupt überträgt, was lediglich an der Erkenntnispraxis der formalmechanischen Naturforschung gewonnen worden ist.

Die eigentlichen Positivisten gehen im Unterschied zu den bisher behandelten typischen Lehren über den Erkenntniswert der formalmechanischen Naturlehre ohne Zweifel zu weit in deren Relativierung. Sie machen das Bild, das sie von der Natur (und Seele) gibt, nicht nur biologisch-relativ und relativ auf die praktische Aufgabe, durch Technik Natur zu beherrschen, sondern sie gehen soweit, diese Naturansicht auch historisch zu relativieren. Sie sehen nicht nur die einzelnen Schwierigkeiten in ihrer Durchführung; sie neigen vielmehr zu dem Irrtum, daß mit der älteren material-"mechanischen" Naturansicht der GALILEI-NEWTONschule, die alle Disziplinen der Physik, Chemie, Biologie zu einer Anwendung der "Mechanik" im engeren Sinn machen wollte (heute völlig erledigt durch die Elektrizitätslehre und Optik), auch die formalmechanische Naturlehre überhaupt dahin fällt (die kein absolut konstantes bewegliches ausgedehntes "Ding" setzt), daß auch sie nur eine vorübergehende Erscheinung der Geschichte der Wissenschaft ist. In diesem Sinne hat besonders MACH in seinen erkenntnistheoretischen und die Geschichte der Physik betreffenden Werken, hat auch PIERRE DUHEM das Ideal der mechanischen Naturlehre als Erkenntnisideal bekämpft, um es zu ersetzen durch jenes Ideal, das schon DESCARTES vorgeschwebt hatte und das durch EINSTEIN und MINKOWSKY neuerdings wieder starken Anhang gewonnen hat: durch das Ideal einer reinen und konsequenten Mathematisierung, besser Geometrisierung der Physik. Das Ideal wäre erreicht, wenn alle Formen des Kraft-Wirkens - d. h. des Kausalbegriffs -, desgleichen alle Arten von Substanzbegriffen aus der Physik ausgeschieden würden und nichts als "erkannt" gelten dürfte als mathematisch, in letzter Linie analytisch bestimmte Funktionalabhängigkeiten (7) der Veränderungen der beobachteten Erscheinungen untereinander. Während der - als Philosoph - realistisch und aristotelisch orientierte DUHEM aber eine von dieser "mathematischen Physik" ganz unabhängige Metaphysik der Natur höchst weise anerkannte, hielt MACH, der alle außersensuelle Realität bestritt und jede Metaphysik für nichtig hielt, dieses Erkenntnisideal für das einzige, das wir gegenüber der Natur besitzen. Was war dann aber im Verhältnis zu diesem Erkenntnisideal die mechanische Naturansicht? Nur ein geschichtlich zu verstehender Durchgangspunkt, es zu erreichen. Die Meinung MACHs ist, kurz gesagt, die folgende: "Erklären" ist gar nicht ein Mehr, als Natur in Form von mathematischen Gesetzlichkeiten eindeutig bestimmbar machen - es ist ein Weniger. Es ist nicht die "Ursachen" der Erscheinungen erkennen (das heißt Soseinsgründe und Daseinswirkfaktoren), sondern dieses Wort "Erklären" hat nur die subjektive denkökonomische Bedeutung: ein relativ Unbekanntes auf ein relativ schon Bekanntes als Bestandteil des Bekannten, bzw. als gesetzliche Modifikation und Abänderung des Bekannten, zurückführen. Oder auch - wie es neuerdings mit seltener Konsequenz SCHLICK formulierte: Erkennen ist nur etwas in einem Komplex wiederfinden, was in einem wahrgenommenen Komplex schon vorher gegeben war, und es möglichst eindeutig durch ein Zeichen bezeichnen. Da man nun in der ansich zufälligen "Geschichte" der abendländischen Physik etwa seit GALILEI die Bewegungserscheinungen ponderabler [meßbarer - wp] Massen zeitlich-historisch zuerst studierte, sie und ihre Gesetze also auch zuerst "bekannt" wurden, so suchte man alle Naturerscheinungen, die ja weniger bekannt waren, auf die Grundbegriffe und Prinzipien der Mechanik zurückzuführen - meinte dabei aber fälschlich, sie durch dieses Verfahren auch ontologisch zu "erklären". Wäre es also "zufällig" anders gegangen, hätte man z. B. die Licht und Elektrizitätserscheinungen "zuerst" studiert oder zuerst die akustischen Erscheinungen, so hätte man sich wohl die Bewegungserscheinungen ponderabler Massen mit Hilfe dessen "erklärt", was innerhalb der physikalischen Optik, Elektrizitätslehre, Akustik, "Analogien" zu den Bewegungserscheinungen ponderabler Massen dargeboten hätte! - So heuristisch wertvoll nun solche "Analogien" sich im Fortschritt der Wissenschaften erwiesen haben (8), deren Bildungsweise dem Prinzip der Denk- und Bilderökonomie genau folgt, so sehr ist es doch zu fordern, daß sie im fertigen Bau der Wissenschaft wieder ausgemerzt werden, da sie sonst dem Fortschritt der Wissenschaft schädlich werden. Und das gilt an erster Stelle für die "mechanischen Analogien" und "Modelle", mit denen man die Erscheinungen ontisch zu "erklären" meinte. Also im fertigen Bau der Wissenschaft - heißt es: weg mit allen übersinnlichen "Hypothesen" und Realitäten, Substanzen, Ursachen, Kräften! Und Reduzierung des Gewußten auf meßbare Sinnesdata und mathematische Gleichungen, das heißt sogenannte "Naturgesetze", die unsere "Erwartungen einschränken"!

Die Lehre MACHs enthält Schwierigkeiten und Widersprüche in großer Zahl, wie längst dargetan worden ist (9). Woher auch nur die objektiven Abhängigkeiten und Unabhängigkeiten der Elementenkomplexe und ihrer Veränderungen, wenn alles, was unser Geist besitzt, auf "Elemente" zurückgeht, die auf den Organismus und seine Veränderungen bezogen "Empfindungen" heißen? Relationen sind doch nicht sinnliche Elemente wie blau, hart, sauer! Bringen wir sie spontan hervor, wie können sie dann Wahrheit geben über das objektive Sein? "Finden" wir sie aber in der Anschauung, wie läßt sich dann der atomistische Sensualismus halten? Gibt es denn nicht auch nicht-sinnliche Anschauung? Und besitzen denn wirklich die "Elemente" und ihre Komplexe, so wie sie in der Wahrnehmungserscheinung da sind, untereinander eine strenge Gesetzmäßigkeit" der Veränderungen? Besitzen nicht vielmehr erst die realen und gedachten relativ konstanten Gegenstände und Vorgangseinheiten diese Gesetzmäßigkeiten - in einem ausgesprochenen Gegensatz zu den inkonstanten, flüchtigen, den physikalischen Reizen gar nicht einmal proportionalen Empfindungen? (10) Setzt nicht die Annahme einer Naturgesetzlichkeit die transbewußte intentionale Gegenständlichkeit der Natur (die in Sensationen "erscheint", aber nie durch sie deckbar ist) oder nicht gar auch die transbewußte Realität der Natur schon voraus? (11) Beides widerspräche den Thesen MACHs. Und hat MACH nicht nur darum meinen können - ähnlich wie HUME -, die Substanzidee auf die Tatsache relativ konstante Elemente = Empfindungskomplexe zurückgeführt zu haben, weil er schon die puren Qualitäten und Empfindungen selbst substanzialisiert und verdinglicht hat? (12) Ferner: in der Art, wie MACH mit dem "Prinzip der Denkökonomie" operiert, steckt nicht nur der (von HUSSERL und in anderer Weise von der Denkpsychologie der KÜLPE-Schule) heute streng widerlegte Irrtum, unanschauliche Bedeutungsintentionen und objektive Korrelate dieser Intentionen in den Sachen selbst zu leugnen und Begriff wie Gesetz nur als "Ersparnismittel" für mögliche Sinneseindrücke anzusehen; auch in der Anwendung des Prinzips liegt bei MACH ein seltsamer Widerspruch verborgen. Ist die Annahme zum Beispiel einer transbewußten Realität der Natur (sehen wir von ihren sonstigen Gründen ab) eine ökonomische Annahme und ist das Prinzip der Denkökonomie selbst der Logik höchstes Prinzip, warum bestreitet sie dann ERNST MACH? Und gilt nicht dasselbe für Substanz, Kausalität und für die formalmechanische Reduktion der Erscheinungen? Indem MACH sein Ökonomieprinzip in diesen fundamentalen Fragen eigentlich fallen läßt, zeigt er eine tiefe Skepsis gegen sein eigenes Prinzip, ja er bricht ihm selbst das Genick; er zeigt, er selbst will die Welt eben nicht "nur" ökonomisch, sondern den Gegebenheiten selber angemessen und rein "logisch" denken. Dann kann aber auch die Logik nicht im Ökonomieprinzip aufgehen - und damit ist eine "reine Logik" eigentlich schon anerkannt. Auch über Natur und ontische Voraussetzung des Ökonomieprinzips befanden sich sowohl AVENARIUS wie MACH in einer seltsamen Täuschung. Es duldet keinen Zweifel, daß dieses Prinzip selber ein durchaus teleologisches Prinzip ist. Legt man dem psychophysischen Organismus eine "Tendenz" bei, sich jeweils durch ein Minimum von Mitteln und Energieverbrauch selbst zu erhalten, so hat man eine mechanische Auffassung des Lebens und des Organismus, ferner eine strent assoziationspsychologische Erklärung der seelischen Erlebnisse prinzipiell schon verlassen; d. h.: man ist - in irgendeinem Sinn des vieldeutigen Wortes - Vitalist. Beide Denker aber zeigen in ihren Schriften keine Andeutung, daß sie sich dieses "Kryptovitalismus" ihrer Philosophie auch bewußt waren. Erst bei BERGSON tritt dieser Zusammenhang bewußt hervor. Hier erst, wo der nur praktische Sinn des Mechanismus in extremster Form behauptet, aber zugleich bewußt ein apraktisches rein theoretisches Weltbild erstrebt wird (freilich unter "sacrifizio dell'intelletto" [Opfer des Verstandes - wp]), wird die formalmechanische Gesetzlichkeit eine nur für jeweils einen zeitliche Querschnitt des Weltprozesses (nicht für Werden und Entwicklung der Welt) "annähernd" gültige Unterart von teleoklin [zweckhaft - wp] gerichteten Vitaltendenzen des "élan vital" und von Beziehungen, die den Charakter und Typus einer konkret-historischen Entwicklungskausalität aufweisen. Weder bei MACH und AVENARIUS noch bei BERGSON läßt sich aber begreifen, wie denn ohne die Voraussetzung ontischer und realer Konstanten im Naturgegebenen selbst es überhaupt möglich ist, die Welt nach dem Ökonomieprinzip zu denken. Eine große Reihe Denker des 17. und 18. Jahrhunderts, z. B. LEIBNIZ, MAUPERTIUS u. a. hatten ein ontisch reales Ökonomieprinzip angenommen und versuchten von ihm aus (in meist wenig ordentlicher Schlußweise) zur "Weisheit" und "Güte" des Schöpfers der Dinge aufzusteigen. Das "principe du meilleur" [Prinzip der Besten - wp] von LEIBNIZ, das die Schöpfung Gottes und den Gang der Natur nach dem Prinzip eines Maximums von Komposibilitäten [Verträglichkeiten - wp] in sich widerspruchsloser Dinge vor sich gehen läßt, ist wohl die abstrakteste, am reinsten "ontologische" Form, die dieses ontische Prinzip einer lex parsimoniae [Sparsamkeitsprinzip - wp] gefunden hat. Nur besondere Unterarten dieses Prinzips waren für die Mechanik und Physik die ontisch gedachten Prinzipien "der kleinsten Wirkung", des "kleinsten Zwanges", der "virtuellen Verschiebungen", des Trägheitsprinzips. Des teleologischen Charakters dieser Prinzipien war man sich damals klar bewußt. Aus diesem: "Gott" oder die "Natur der Dinge" verfährt so, machten die modernen Positivisten ein: "der Mensch denkt so". Mit Recht? Ich glaube nicht! Ich bin durchaus der Meinung, daß der Gedanke MAX PLANCKs (13), daß sich alle Naturgesetze in statistische Zufallsgesetze und in solche, die eine dynamische Notwendigkeit aussprechen, teilen und die obersten Prinzipien, die jene "dynamische Notwendigkeit" nach verschiedenen Richtungen bestimmen, sich - wie es PLANCK schön gezeigt hat - auf das "Prinzip der kleinsten Wirkung" zurückführen lassen, auch philosophisch zu würdigen ist. Aber ich sehe darin, daß diese Rückführung möglich ist, auch einen der Wahrscheinlichkeitsbeweise, die ich für die ansich amechanistische (darum aber noch nicht notwendig organizistische) Natur des - untergeistigen - Alls als Ganzem anzusehen pflege. Denn das Prinzip der kleinsten Wirklung als des obersten Grundes der Prinzipien der Mechanik und der Lebensgesetze zugleich ist selbst kein mechanisches, sondern ein durch und durch teleoklines Prinzip und macht eben damit alles, was gemäß den mechanischen Prinzipen vor sich geht, zum technischen Mittel einer Kausalität von teleokliner Grundart; darum noch nicht notwendig der vitalen und organischen. Das subjektive Prinzip der Denkökonomie, alle Sätze so einfach wie möglich zu begründen, ist dann aber nur ein Spezialfall dieses kosmisch teleoklinen Prinzips; es ist selbst nur eine Anpassung an das ontisch gültige Prinzip der kleinsten Wirkung. Mit dem "psychologischen Ökonomieprinzip", das besagt, unsere Seele neige dazu Unbekanntes auf Bekanntes zurückzuführen, darf es natürlich nicht verwechselt werden, da die einfachen Gründe der Wahrheiten psychologisch meist nicht zeitlich zuerst, sonderm am spätesten gefunden werden, und hier die Regel des ARISTOTELES gilt, daß das, was "ansich das Erste" ist, "für uns das Zweite" ist.

Sehen wir uns nach diesen Vorbemerkungen das Urteil MACHs über den Erkenntniswert der mechanischen Naturlehre näher an, so bemerken wir, daß er weit über das Ziel hinausschießt. Hätte er auch mit seinem Urteil vom "historischen Zufall" für die alte, heute von der Wissenschaft verlassene Tendenz des 17. und 18. Jahrhunderts (die noch das 19. Jahrhundert bis zu HELMHOLTZ und Lord KELVIN einschließt), die ganze Physik und Chemie usw. zu einem Spezialfall der Mechanik ausgedehnter Massen zu machen, recht, so sicher völlig unrecht für die formalmechanische Betrachtung der Welt überhaupt. Diese letztere ist ja auch durch die Einordnung der Mechanik ponderabler Massen in die Elektrizitätslehre, auch durch die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie keineswegs verlassen worden; denn sie setzt weder die Annahme eines bestimmten absoluten konstanten "Dings" noch ein bestimmtes Gesetz der Bewegung voraus, sondern nichts als die Wesenszusammenhänge, die in Raum, Zeit, Bewegung selbst als letzten Gegebenheiten gründen. Und doch ist auch diese "formale" mechanische Naturlehre heutiger Physik "mechanisch" zu nennen, insofern, als zwar nie das Wesen der Naturerscheinungen, wohl aber die meßbaren Koinzidenzien derselben in Raum und Zeit und die Gesetze dieser Koinzidenzien derselben in Raum und Zeit und die Gesetze dieser Koinzidenzien dasjenige ausmachen, von dem die Erscheinungen ihrem Dasein und Nichtdasein, ihrem zufälligen Sosein und Anderssein nach, als Abhängige begriffen werden sollen. Zeit, Raum, Bewegung, wie auch immer man sie auffassen mag, behalten also eine spezifischen Vorrang vor allen Qualitäten - einen Vorrang nicht notwendig des Seins (im Sinne der Lehre von einer "subjektiven" Natur der Qualitäten, Formen, Gestalten, Werte, Ziele und Zwecke), aber doch auf alle Fälle der Berücksichtigung in der Richtung der Forschung. Schon dies aber kann MACHs sensualistische Elementenlehre nicht verständlich machen, da sie Raum, Zeit, Bewegung nicht anders gegeben sein läßt als blau, sauer, hart.

Auch der geschichtliche Verlauf der Dinge spricht nicht für MACHs These von der "historischen" Relativität der mechanischen Naturlehre. Diese seine These erklärt zum Beispiel nicht, daß das formale Programm einer mechanischen Naturerklärung tatsächlich der Ausführung dieses Programms so gewaltig vorauseilen konnte. Sicher nicht darum, weil ihnen die Bewegungserscheinungen durch ein empirisches Studium besonders "bekannt" gewesen wären - waren sie ihnen im Sinne der positiven Wissenschaft doch ganz unbekannt -, haben schon DEMOKRIT und LEUKIPP im Altertum ein universales Programm dieser Naturlehre entwickelt. Und auch seit GALILEI uns seinen (uns besonders durch DUHEMs Forschungen genauer bekannt gewordenen) Vorgängern ist das Programm und das Formschema dieser Weltansicht seinen tatsächlichen Ausführungen in den besonderen Teilen der Physik, der Chemie, der Biologie, der Seelenlehre (als Assoziationspsychologie), stets gewaltig vorausgeeilt. Es verhält sich daher doch wohl umgekehrt, als wie MACH meint. Die Bewegungserscheinungen zunächst ponderabler Körper wurden - auch historisch - notwendig zuerst "bekannt" und zuerst studiert, da das logische Gestaltschema dieser Weltansicht in den Begründern der modernen Dynamik und Physik von vornherein lebte - bereits eine umfassende Protothese war, ehe es im einzelnen eine Hypothese wurde, und lange bevor ihre empirische Durchführbarkeit in den einzelnen Teilen erwiesen war (also sukzessiv eine mechanische Akustik, Wärmelehre, Optik usw. entstand). Auch die Hartnäckigkeit, mit der dieses Erkenntnisideal der Erfahrung, Beobachtung, Messung, oft weit mehr zum Trotz, als durch den genetischen Verlauf der Erfahrungen bedingt, kraft eines kühnen Willensaktes in Zeiten festgehalten wurde, in denen "Beweise" für es oder auch nur Bewährungen noch ganz minimal waren, zeigt, daß MACH den großen Gang der Dinge nicht richtig, auch geschichtlich nicht richtig gesehen hat. Es wird das im Großen gesehen überaus plötzliche Aufspringen dieses Schemas der Welterkenntnis im Gegensatz zu der eineinhalbtausendjährigen Herrschaft der ganz entgegengesetzten "organologischen" Weltansicht des ARISTOTELS - die alle Urphänomene, alle Seinsformen und Werdeformen des organischen Lebens auch auf die tote und geistige Welt übertrug und wesentlich apraktisch-kontemplativ war - nicht dadurch verständlich, daß des plötzlich Einigen (zufällig) eingefallen ist, die "Bewegungserscheinungen genauer zu studieren". Wenn also die mechanische Weltansicht weder durch Logik und Mathematik allein gefordert ist, noch sich aus einer "reinen" apraktischen unumstößlichen Erfahrung und Beobachtung ergab, so muß sie doch einen Ursprungsgrund und eine Ursprungsmöglichkeit besitzen, die weit tiefer in den Dingen und im Menschen überhaupt wurzelt, als es MACH mit seiner historischen Zufallslehre annimmt.

Nun hat freilich MACH selbst in concreto seiner historischen Darstellungen hier mehr als jeder andere die richtigen Wege gerade zum historischen Verständnis des Ursprungs der mechanischen Naturlehre im modernen Abendland gewiesen - durch den in seinen Werken imm wiederkehrenden Nachweis nämlich, daß die meisten grundlegenden Experimente sich gelegentlich technischer Probleme und Aufgaben wie von selbst ergaben; daß mithin ein neuer Wille zur Beherrschung der Natur und ein neuer Glaube an die restlose Durchführbarkeit dieses Herrschaftswillens am Anfang des Ursprungs jenes Denkschemas steht. Der Ursprung des selbst uneinsichtigen "Glaubens", Natur müsse so sein und darum so gedacht werden, daß sie schlechthin lenkbar, beherrschbar, bestimmbar ist durch den Willen und die Bewegung des Menschen - das ist es in der Tat, was uns das so plötzliche Aufspringen jenes Schemas erklärt - ein neues Ethos und eine neue Triebstruktur des Menschen, die eine neue Denkart und -form erst zur Folge haben. MACH war trotz aller pragmatistischen Keime seiner Lehre nicht "Pragmatist" genug, um seine vielen einzelnen Beobachtungen dieser Art über die technische Bedingtheit des Wissensfortschrittes in die prinzipielle Erkenntnis zusammenzufassen, daß nicht die Regel, Unbekanntes durch Bekanntes zu "erklären", sondern dieser neue Beherrschungswille der Natur es war, bzw. noch besser gesagt, die neue Bewertung der Herrschaft des Menschen über die Natur, dem die organisch-kontemplative Weltansich des Mittelalters zum Opfer fiel. Dieser souveräne Herrschaftsgedanke erschein in der Theologie (Voluntarismus der Skotisten, Protestantismu, besonders Calvinismus und Puritanismus mit ihrer Übersteigerung des Machtwillens in Gott), Menschenlehre als Psychologie (Assoziationspsychologie), Staats- und Gesellschaftslehre, (BODIN, MACCHIAVELLI, HOBBES), Politik (Merkantilismus und Ausbildung des absoluten Staatsgedankens und des Souveränitätsbegriffs, Gleichgewichtslehre), ebenso ursprünglich und gleichzeitig wie in der mechanischen Naturlehre. Auch der formale Atomismus des zu beherrschenden Gegenstandes und die Zersetzung der objektiven Formidee erscheinen gleichzeitig in der Naturerkenntnis (daher Nominalismus) und Staats- und Gesellschaftsauffassung (atomistischer Singularismus und Atomismus), in der Biologie (DESCARES) und der Psychologie (Assoziationspsychologie und Mosaiklehre) (14).

Aber sehen wir vom geschichtlichen ab und suchen wir die weiteren Gründe für MACHs erkenntnistheoretischen Irrtum:

Es gibt eine tiefgreifende verborgene Wurzel der formalmechanischen Weltbetrachtung (und der Ausbildung ihrer Stufen), die nicht in einer besonderen Lage der Geschichte der Forschung und dessen, was "zuerst bekannt" wird, gegründet ist, sondern die in dem gleichzeitigen allgemein-biologisch und praktisch bedingten Gesetz der Bildungsweise schon des natürlichen Weltbildes des Menschen, also in der natürliche Wahrnehmung gegründet ist. Und diese Wurzel ist historisch konstant, nicht variabel. Diese Wurzel liegt weder in der Natur der absoluten Dinge selbst, wie der naive Materialismus meint, noch in einer reinen Logik oder in einer transzendentalen Logik und reiner Mathematik (KANT), wohl aber in den allgemeinsten Gesetzen, nach denen sich die Milieustruktur und die natürliche Wahrnehmung, bzw. das natürliche Denken dieser Struktur bei allen möglichen Lebewesen bildet und bilden muß, die überhaupt eine natürliche Wahrnehmung und eine Umwelt besitzen. Wir können auch sagen: die mechanische Weltbetrachtung und ihr "Schema" ist kein Ergebnis der Erfahrung unserer menschlichen Zufallssinne, sondern ihr gegenüber "apriori". Aber sie ist apriori nur für alle diejenige mögliche Erfahrung, die für die zweckmäßigen spontanen Bewegungen eines Lebewesens überhaupt, also motorisch-praktisch "bedeutsam" oder "wichtig" ist; - keineswegs ist sie apriori für alle mögliche Erkenntnis, für alles mögliche Anschauen und Denken der Welt überhaupt. Sie ist auch kein rationales Apriori, wie KANT gemeint hat, noch ein Apriori des Menschen überhaupt, sondern ein nur biologisch-relatives und nur in den Grenzen dieser Relativität des Da- und Soseins der Gegenstände ein "allgemeingültiges" Apriori. Und sie ist ebenso kein Apriori für den Menschen überhaupt, insbesondere nicht für den Inbegriff von Wesensmerkmalen, die den Menschen erst zum "Menschen" (animal rationalis) machen; sondern nur für den Menschen als "homo faber" oder als praktisch-intelligentes Tier besteht diese Apriorität. Es handelt sich also um ein Apriori der "praktischen Intelligenz" und der sie bedingenden Triebstruktur, die als solche zugleich die Bildungsweise unserer natürlichen Wahrnehmungswelt bedingt. Zu einem bewußten Programm nicht "natürlicher", sondern wissenschaftlich-künstlicher Weltbetrachtung kann die mechanische Welt-betrachtung aber nur da werden, wo die bewußte und geistig gewollte - als oberst gewertete - Herrschaft über die Natur, wo das Prinzip technischer Zielsetzung das Auswahlprinzip bildet für die Gegenstände nach Dasein und Sosein, die als unabhängige Variable der Naturerscheinungen erkannt werden sollen.

Machen wir diese Sätze im Einzelnen verständlich:

ERNST MACH übersah, daß - so unsagbar weit sich auch der Sinngehalt des physikalisch formalmechanischen Weltbildes und die Realsetzung dieses Sinngehaltes entfernt von der Dürftigkeit der Tatsachen, die in die natürliche Umwelt des Menschen und seine Wahrnehmung eingehen - das Bildungsgesetz und die Fundierungsordnung der Gegebenheiten in beiden Arten der Weltanschauung streng dieselben sind; ja, daß das Schema der formalmechanischen Gegenständlichkeit kein anderes ist als das idealisierte und verabsolutierte Gesetz der Gegebenheitsordnung der Gegebenheiten der natürlichen Weltanschauung - nur mit Abzu des natürlichen Anthropozentrismus [Menschenbezogenheit - wp] also auch mit Abzug der Besonderheit spezifisch menschlicher Sinnesorganisation und all ihrer spezifischen Eigenschaften und aller nur von ihr abhängigen Inhalte. Dies kann gezeigt werden für die Grunddaten: Realität, Wert, Zeit, Raum, Bewegung, Substanz, Kraft, Gleichförmigkeit des Geschehens und für die Rolle der Qualitäten, Beziehungen, Formen und Gestalten hier und dort. Es war eben der prinzipielle Irrtum, den MACH mit HUME und mit KANT teilt, anzunehmen, "Elemente" bzw. "Empfindungen" seien genetisch und der Ordnung des Ursprungs der Erfahrung nach primär und rein "rezeptiv" (d. h. ohne eine ihr Zustandekommen mitbedingende, auf ein bestimmtes Schema schon gerichtete triebhafte Aufmerksamkeit) "gegeben", sie würden erst nachträglich verarbeitet, bzw. zu Ding-Gestalt- und sonstigen komplexen Einheiten "zusammengefaßt". Das Gegenteil ist wahr: Empfindungen, bzw. einzelne Qualitäten sind stets "nachgegeben" einem durch spontane Akte der triebhaften Aufmerksamkeit, der Vor-liebe und des Vor-interesses vorgegeben typischen Schema, das seinerseits nicht sinnlich, wohl aber "anschaulich" ist Und sie sind nachgegeben nur soweit und insofern - bei identischen Reizbedingungen und streng identischen nervösen zentripetalen Vorgängen -, als sie Mittel sind, dieses Schema in concreto "auszufüllen", seine offen und jeweils leer gelassenen Stellen zu besetzen; bzw. da sie Zeichen sind für Dasein und Nichtdasein eines Realen dieses oder jenes Spezialschemas, das zur Milieustruktur eines Tieres gehört. (15) Ganz eng, ja notwendig mit obigem Irrtum MACHs verbunden ist der andere: es seien die Data unmittelbarer Anschauung oder doch unmittelbaren "Habens", die den Grundbegriffen der mechanischen Weltansicht Erfüllung geben erst nachträglich aus den "Elementen" herausgezogen oder sie seien selbst solche Elemente (z. B. MACHs Raumempfindungen, Bewegungsempfindungen). So meinte MACH gelegentlich der Kritik des bekannten Vortrags von DUBOIS-REYMOND über die "Grenzen des Naturerkennens" (einer philosophisch gänzlich wertlosen Rede des trefflichen Physiologen und großen Rhetors), nicht dürfe man mit "Ignorabimus" [wir können es nicht wissen - wp] die Frage beantworten, auf welche Weise aus Gehirnmolekularbewegungen "Empfindungen" wie blau und sauer werden, sondern sinnvoll sei nur die Frage, wie wir aus unseren Empfindungen zum Begriff der Bewegung, ferner zu den mannigfaltigen Begriffen der Materieeinheiten kommen. Wir dürfen nich am Begriff der Bewegung kleinster Materienelemente zu unseren Empfindungen "heraufklettern" wollen, sondern müßten von diesem Begriff zu unseren Empfindungen als einem letzt Gegebenen "herabklettern". In ihrer Intention gegen die dogmatische mechanische Naturlehre DUBOIS-REYMONDs bedeutete diese geistvolle Umkehrung der Problemstellung durch MACH sicher einen gewaltigen Fortschritt. Wenn aber MACH im selben Satz auch einen Weg zu sehen glaubte, auf dem wir von puren "Elementen" in seinem Sinn zum Phänomen und Begriff der Bewegung un zu den übrigen Grundbegriffen der Physik zu kommen vermöchten, so gab er sich einem tiefen Irrtum hin.

Eben diesen Irrtum überwunden zu haben, ist das bedeutende Verdienst des methodischen Pragmatisms, dem ich mich jetzt zuwende.
LITERATUR: Max Scheler, Der philosophische Pragmatismus, Die Wissensformen und die Gesellschaft, Leipzig 1926
    Anmerkungen
    1) vgl. das vorher Ausgeführte.
    2) siehe WILHELM WUNDT, Die Grundlagen der mechanischen Naturansicht.
    3) MORITZ SCHLICK, Allgemeine Erkenntnislehre, zweite Auflage, 1925.
    4) HANS DRIESCH, Ordnungslehre, zweite Auflage
    5) Siehe die tiefe und treffende Kritik BERGSONs durch ROMAN INGARDEN: "Jahrbücher für Philosophie und phänomenologische Forschung", hg. von EDMUND HUSSERL, Bd. V.
    6) vgl. den ersten Band der "Logischen Untersuchungen" HUSSERLs.
    7) Auch Zeit- und Raumgrößen müßten natürlich in diese Funktionalgesetze als materiale Bestimmungen ihrer Stellen eingehen.
    8) Siehe besonders MACHs schöne Beispiele in seinem Buch "Erkenntnis und Irrtum".
    9) siehe unter anderen GERHARDs Buch über ERNST MACHs Erkenntnislehre; vgl. auch meine Kritik im "Formalismus in der Ethik", zweite Auflage, Seite 424f.
    10) siehe die treffenden Ausführungen CARL STUMPFs in seiner Akademie-Abhandlung "Die Einteilung der Wissenschaften".
    11) Ich werde im ersten Band meiner Metaphysik zu zeigen haben, daß das Erste der Fall ist, das Zweite aber nicht der Fall. Der kritische Realismus (ERICH BECHER, OSWALD KÜLPE) irrt, wenn er meint, die transbewußte Realität sei eine Voraussetzung der Naturgesetzmäßigkeit.
    12) Siehe meine Kritik MACHs im "Formalismus in der Ethik", Seite 424f.
    13) vgl. MAX PLANCK, Das Prinzip der kleinsten Wirkung, in "Physikalische Rundblicke", Leipzig 1922.
    14) vgl. hierzu die Ausführungen in der vorhergehenden Abhandlung "Zur Soziologie des Wissens".
    15) vgl. hierzu die trefflichen Ausführungen UEXKÜLLs in seinem Buch "Umwelt und Innenwelt der Tiere", Berlin 1909.