ra-2ra-3ra-2B. SchmidG. SimmelK. B-R. AarsL. SteinI. Benrubi    
 
JULIUS von GANS-LUDASSY
Ökonomik und Philosophie

"Die Griechen sind die Ersten, welche ihr eigenes Wesen begreifen wollen, welche zu philosophieren anfangen. Damit nähern sie sich dem Problem des zweckmäßigen Handelns; erwägt man, daß zweckmäßiges Handeln wirtschaftliches Handeln in sich schließt, so gewahrt man auch, daß die Annäherung an das Problem des zweckmäßigen Handelns mit der Annäherung an das Problem des wirtschaftlichen Handelns gleichbedeutend ist."

"Die Anschauung, daß es sich im Wirtschaftsleben nur um das sinnliche Begehren handelt, wird zum Überdruß noch heute in der ökonomischen Literatur vertreten, sie ist die Voraussetzung der kathedersozialistischen Forderung, daß das wirtschaftliche Leben moralischen Gesichtspunkten unterstellt werden muß."

"Einem Heraklit ist der Kampf der Vater aller Dinge, also das Urprinzip gewesen. Polus  und Thrasymachus sprechen das Recht des Stärkeren als ein Gesetz der Natur aus. Es lebe das Militär! ruft Seneca dem Lucilius zu. Das Leben ist ein Kampf, klagt Innozenz III. in seinem Traktat von der Weltverachtung. Der Mensch ist des Menschen Wolf lehrt Hobbes."

"Vornehmlich traten Schöpfer der sozialistischen Lehre, vollgesogen von den Lehren eines dunklen Systems, in welchem die These von der Identität des Gegensätzlichen die Rolle eines wahren Hexeneinmaleins spielte, an die Tatsachen des Güterlebens heran. Proudhon, Marx, Lassalle und Bakunin, sie waren alle Jünger Hegels. Auf den kalten Höhen der Abstraktion wird in der Gedankenretorte eines einsamen Denkers, der das Gute will, aber ahnunglos das Böse schafft, ein Wechselbalg erzeugt, und dieser wächst im Laufe der Zeit zu einem gewaltigen Dämon heran, der über die ganze Kulturwelt die Verderbnis geistiger Verwirrung ausstreut."


E i n l e i t u n g

Die Wichtigkeit der ökonomistischen Erkenntnis ist allgemein anerkannt. Allein wir leben nicht mehr in einer Zeit, da man behauptete, die Ökonomik sei eine in sich vollendete und abgeschlossene Wissenschaft. Es gibt vielmehr kaum eine Lehre ökonomistischer Natur, die nicht aus triftigen Gründen bestritten wäre. Das Gebäude der klassischen Ökonomik hat sich in seinen Grundlagen gesenkt, in seinem Mauerwerk sind Risse und Sprünge entstanden, das Material selbst, woraus es besteht, ist verwittert und bröckelt ab. Der sozialistische Gedanke hat die englische Theorie unterhöhlt. Der historisch-ethische Empirismus hat sie erschüttert. Die österreichische Doktrin ist schließlich mit dem Gedanken hervorgetreten, daß eine neue Richtung der Ökonomik notwendig sei. Auf die Frage, wo diese neue Richtung zu suchen wäre, werden Antworten laut, über deren Wert die Zeitgenossen noch im Unklaren sind. Die Einen meinen, die historische Schule weise praktisch in die Zukunft, die Anderen, sie zeige in die Vergangenheit. Ähnliche Bedenken werden der exakt-realistischen Schule gegenüber erhoben. Die Einen glauben, sie weise theoretisch in die Zukunft, die Andern, sie nähere sich der Theorie der Vergangenheit. Weder hüben noch drüben fehlt es tatsächlich an Wertvollem. Der Ökonomist, der seine Habe überschaut, sieht sich nicht gerade arm, aber auch nicht in einem beruhigenden Besitz. Er verfügt über eine palastartige Ruine, über weite Lager verwendbaren Materials, über einen Plan des Baues, der erst errichtet werden soll. Allein er hat nirgends eine Stätte, wo er sich behaglich fühlen könnte, ehe die Burg des Wissens errichtet ist.

Bis jener gewaltige und schöpferische Geist auftaucht, der die Ökonomik in monumentaler Weise zur Tatsache macht, ist ein Notbau wünschenswert. Ist der Forscher einmal im Besitz einer vollgültigen Erkenntnis, so mag er der vorläufigen entraten und das zusammengezimmerte Gebälk niederreissen. Wann die Wissenschaft so weit sein wird, läßt sich gegenwärtig nicht bestimmen. Es wird vielleicht lange dauern, ehe sich alle Bedingungen zu einer so großen Tat zusammenfinden. Darum ist es auch dann geraten, daß der Notbau, welcher der Gegenwart gewissermaßen als Surrogat für die Gestaltungen der Zukunft empfohlen wird, möglichst fest und dauerhaft hergestellt werde, damit er aller Unbill des Wetters Trotz biete, bis das Bessere Erscheinung geworden ist, das ihn ersetzen soll. Eine solche Massivität ist aber nicht zu erlangen, wenn nicht zuvor ein sicherer Grund gelegt wurde, wenn dieser nicht in einen Zustand versetzt ist, der ihn geneigt macht, die Last des schweren Werkes rüstig zu tragen. Ein solcher Unterbau muß natürlich möglichst tief gehen. Er muß in der Methodologie geboten werden. Ihre Aufgabe ist es, uns die Vorfragen zu beantworten, die gelöst sein müssen, ehe an die Errichtung einer Theorie, welche praktisch werden könnte, geschritten wird; sie hat uns demgemäß zu zeigen, wonach die Ökonomik zu suchen hätte, was die ökonomistische Erkenntnis wäre, wie wir zu ihr gelangen, wie wir sie aus einem Prinzip heraus systematisch gliedern könnten. Sie hat damit als ökonomistische Erkenntnislehre der theoretischen Ökonomik vorauszugehen.

Diese Aufgabe ist sehr schwierig. Denn die Ökonomik befindet sich mitten in einem Entwicklungsprozeß. In denselben einzugreifen, ist ein kühnes Unternehmen, handelt es sich doch um einen Vorstellungskomplex, der durch berufene Hände hindurchgegangen ist; wie hohe Meisterschaft sie auch bekundet haben, es ist doch noch möglich, daß ein trefflicher Gelehrter, der die Entwicklungsgeschichte ökonomistischer Dogmen mit eindringlicher Aufmerksamkeit erforscht hat, daß EISENHART seine Wissenschaft eine "rätselhafte und unheimliche" nennt. Unter solchen Umständen muß die Untersuchung, welcher Art die ökonomistische Forschung betrieben werden müsse, damit sie sichere Erkenntnisse ergibt, als eine wissenschaftliche Notwendigkeit ersten Ranges erscheinen. Vielleicht ist es nicht an der Zeit, dieses Problem zu lösen; sicherlich ist es immer angemessen, eine solche Lösung zu versuchen. Eine durchweg befriedigende endgültige Erledigung derselben ist ausgeschlossen, denn dies würde zugleich den Stillstand der Wissenschaft bedeuten. Immerhin aber war der Autor bestrebt, das Hauptproblem mit Umsicht zu behandeln und es als das, was es tatsächlich ist, als Erkenntnisproblem darzustellen. Da das Verständnis des Teils nicht im Teil, sondern im Ganzen gelegen ist, mußte, wo die ökonomistische Erkenntnis es erforderte, auf allgemeine Erkenntnisprobleme eingegangen werden. In dieser Hinsicht wurde im Sinne von hervorragenden Schriftstellern gehandelt, die von verschiedenen Gesichtspunkten ausgehend, doch gemeinsam auf eine ökonomistische Erkenntnislehre hinweisen. So sagt dann MENGER in seinen mit Recht geschätzten Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften (Seite X):
    "Weiß doch jeder, der mit der bezüglichen Literatur auch nur einigermaßen vertraut ist, in wie hohem Maße die philosophische Untersuchung sich seit jeher den eigentlichen methodischen Problemen der Erkenntnistheorie zugewandt hat und wie sie gerade hier zu den wertvollsten Ergebnissen gelangt ist. Sind wir nur einmal über die Ziele der Forschung auf dem Gebiet der Volkswirtschaft zur vollen Klarheit gelangt, die Feststellung der Wege wird uns dann hoffentlich nicht allzuschwer fallen, wenn nur all jene, welche an der Begründung einer Methodik der politischen Ökonomie mitzuwirken berufen sind, die Ergebnisse der  allgemeinen erkenntnistheoretischen Untersuchungen  für die speziellen Aufgaben unserer Wissenschaft ernsthaft, ernsthafter und verständiger, als dies vielleicht bisher der Fall war, zu verwerten sein werden."
Wer die nachfolgenden Untersuchungen auch nur oberflächlich durchblickt, wird zur Überzeugung gelangen, daß wir im Sinne MENGERs die Ergebnisse der allgemeinen erkenntnistheoretischen Ursachen für die speziellen Aufgaben der Ökonomik zu verwerten ernsthaft bestrebt sind.

Von ganz anderen Voraussetzungen aus gelangt EISENHART zu ähnlichen Darlegungen. In seiner "Geschichte der Nationalökonomik" (zweite Auflage, 1891, Seite VI) erklärt er, eine ausführliche Darlegung der Unfertigkeit, an der die Wissenschaft in ihrer historischen Gestalt leidet, zu beabsichtigen; er meint insbesondere, daß hinsichtlich der Heranziehung des gesamten, ihr verfallenen Stoffes, sowie hinsichtlich seiner erkenntnistheoretischen Durchleuchtung zwei Lücken vorhanden sind, in deren Ausführung er die "unerläßliche Aufgabe der Gegenwart" und "die Vollendung der historischen Schule" erblickt. In vagen Umrissen steht das Gewünschte vor dem Seherauge des Historikers. Er spricht (Seite 241f) von unserem "zwecktätigen Geist"; er verwirft eine Methode, welche die wirtschaftliche Erscheinungswelt durch "blinde mechanische Kräfte" erklären möchte; er verurteilt andererseits ebenso energisch eine "teleologische Auffassung", wie sie einem LEIBNIZ eigen war; er will den großen erkenntnistheoretischen Umschwung, der sich im Schoß der auf den  kritisch-empirischen  Standpunkt zurückkehrenden Philosophie vollzieht, auf das ökonomistische Gebiet wirksam werden lassen; er weist schließlich auf den Zweckgedanken, auf den Begriff des "bewegenden Zweckes" als den erlösenden hin. Wir haben im Sinne EISENHARTs den der Ökonomik zuzuwendenden Stoff zu erweitern, wir haben dessen erkenntnistheoretische Durchleuchtung versucht, wir verwerfen mit ihm den Mechanismus und die Teleologie, wir gehen von der Zwecktätigkeit des Geistes, dem Zweckgedanken, vom Begriff eines bewegenden Zweckes aus. Wenn wir hierbei auch diese grundlegenden Potenzen anders und tiefer fassen, wie dies eben der Gegenstand mit sich bringt, so glauben wir uns dabei mit EISENHART in keinen wesentlichen Widerspruch zu setzen.

Der dritte Autor kommt von den Höhen philosophischer Spekulation zu einem verwandten Ergebnis. DILTHEY sucht in seiner geistvollen "Einleitung in die Geisteswissenschaften" jenen, die sich mit der Geschichte, der Politik, Jurisprudenz oder politischen Ökonomie, der Theologie, Literatur oder Kunst beschäftigen, die Grundlagen und Methoden ihrer Wissenschaften darzulegen (Seite 3). Er meint, die Erkenntnis der Kräfte, die in der Gesellschaft walten, der Ursachen, welche ihre Erschütterungen hervorgebracht haben, der Hilfsmittel eines gesunden Fortschritts, die in ihr vorhanden sind, sei zu einer Lebensfrage für unsere Zivilisation geworden (Seite 4). DILTHEY erörtert weiterhin (Seite 145f) die Notwendigkeit einer  erkenntnistheoretischen  Grundlegung der Geisteswissenschaften, also auch der Ökonomik. Er fordert, daß man das in einer solchen Grundlegung geschaffene Hilfsmittel gebrauche, um den inneren Zusammenhang der Einzelwissenschaften des Geistes, die Grenzen, innerhalb deren ein Erkennen in ihnen möglich ist, sowie das Verhältnis ihrer Wahrheiten zueinander zu bestimmen. Er verlangt eine  Kritik  der historischen Vernunft, nämlich des  Vermögens des Menschen, sich selber  und die von ihm geschaffene  Gesellschaft  und Geschichte zu erkennen. Zu diesem Zweck scheint ihm eine Verknüpfung zwischen  Erkenntnistheorie,  Logik und Methodenlehre geeignet. Er befürwortet eine Anwendung der Ergebnisse, welche die  kritische  Philosophie aufzuweisen hat, auf die Geisteswissenschaften. Diesen Forderungen DILTHEYs glauben wir entsprochen zu haben. Wir haben aber die Probleme, auf die er hinweist, auf einem von dem seinen weit abliegenden Weg zu enträtseln versucht. Denn DILTHEY ist an seinen Stoff als Philosoph herangetreten, er geht dann auch auf philosophischen Pfaden. Wir jedoch sind Gegner der Philosophie überhaupt. Gegner ihres Einflusses auf die Ökonomik. Wir halten die Rolle, die der Philosophie in der Entwicklung des Geistes zukam, für ausgespielt, ihre Mission für vollendet; wir weisen als Ökonomisten die Führung der Philosophie und ihre Methoden ab. Unserer Anschauung nach muß die Ökonomik eine selbständige, selbstherrliche, muß sie im wahrsten Sinne des Wortes  Wissenschaft  werden.

Unter welchen Voraussetzungen aber wäre die Ökonomik eine Wissenschaft zu nennen? Eine Wissenschaft liegt im Sinne jenes kantischen Kritizismus gerade, auf den MENGER, EISENHART und DILTHEY einmütig hinweisen, erst dann vor, wenn sie ein System bildet, wenn sie also nicht etwa fragmentarische Einsichten, nicht bloße Aggregate von solchen, sondern ein nach einem besonderen  Prinzip  geordnetes Ganzes von Erkenntnissen bietet. Nach KANT kann demgemäß der Inhalt der Wissenschaft nur in der Form eines  Systems  kredenzt werden (vgl. u. a. KANTs "Übergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik", 1888, Seite 20-61) Wollten wir daher darstellen, wie ökonomistische Wissenschaft möglich wäre, so mußten wir es zugleich wagen, ein System derselben zu bilden. Die hierzu notwendigen kritischen Untersuchungen, nach welchen Grundsätzen die Erscheinungen zu einem System zu verbinden wären, sind im vorliegenden Band durchgeführt. Allein die Frage, wie ökonomistische Erkenntnis möglich wäre, führt über sich hinaus zu dieser Erkenntnis. Diese Erkenntnis wieder führt über sich hinaus zu Grundsätzen ihrer Anwendung auf das Leben. So stünde dann die äußere Form des Systems vor uns. Nun fehlt uns noch seine Seele, das Prinzip, welches seine Einheit, seine Ordnung bildet. Dieses Prinzip eben ist es, das wir über die Pforte des weitläufigen Erkenntnisgebäudes schreiben: es ist die wisssenschaftliche Energie, es ist die zweckmäßige Wirksamkeit.

Aus KANTs Geist stammt wohl die Art, in der wir die Wissenschaft überhaupt auffassen, stammen demnach die Postulate an die Ökonomik, nicht aber an die Gedankenelemente, mittels welcher wir diesen Postulaten gerecht zu werden versuchen. Ihm verdanken wir jedoch zumal die erkenntnistheoretischen Leuchten, die uns den Weg der Methodologie erhellen. KANT definiert die Metaphysik als Erkenntnis aus bloßen Begriffen. Wir haben uns vor einer Ökonomik aus bloßen Begriffen, vor metaphysischer Ökonomik gehütet. KANT nennt Erfahrung ohne Gefühl blind, Denken ohne Erfahrung leer. Wir haben uns vor Ökonomik aus bloßer Erfahrung, vor blinder Ökonomik gehütet wie vor der ihr entgegengesetzten leeren. Seine Meinung nach gehörit zu einer Erkenntnis nicht nur Anschauung, sondern auch Denken, nicht nur Denken, sondern auch Anschauung, daher können dann auch aus rein logischen Formen keine realen Tatsachen abgeleitet werden können. In seinem Sinne haben wir auf einem seiner Denkungsart entrückten Gebiet, der Ökonomik, zu leisten versucht, was schon BACON vorschwebte: wir haben Empirismus und Rationalismus, der Erfahrung und dem Denken ein "Brautbett" zu einem "matrimonium legitimum" gerüstet. Wir meinen hierduch die Wissenschaft bedeutsam zu fördern. Denn darin liegt das wesentliche Merkmal der geistigen Entwicklung, daß in höheren Formen der Erkenntnis das bisher Entgegengesetzte zu organischen Gliedern eines geschlossenen Ganzen gemacht wird. Die Zukunft kann daher nicht jener Methodologie gehören, welche die seit der Mitte dieses Jahrhunderts geltenden Gegensätze verschärft, auch nicht jener, die zwischen den feindlichen Parteien äußerliche Kompromisse anbahnt, sondern jener, welche die Antithesen mit kräftiger Faust zusammenfaßt und die widerstrebenden Elemente zu einer neuen Gestaltung umbildet, welche somit das gegeneinander Gewendete als verschiedene, einander ergänzende Seiten ein und desselben Größeren verstehen lehrt und dem Kontradiktorischen innerhalb eines weiteren zusammengreifende Funktionen zuweist. An der Hand KANTs wenden wir uns von Wegen ab, die das ökonomistische Forschen nicht zum Ziel führen konnten. Wir suchen neue Bahnen. Es scheint uns, daß wir sie nicht vergebens betreten, wenn wir uns auf ihnen der Wahrheit auch nur um eine Spanne nähern.

Auf dieser Linie bewegen sich die Grundgedanken des vorliegenden Buches. Es wurde angedeutet, daß der eigentliche Gegenstand desselben nicht die Wirtschaftskunde, sondern die Gedankenarbeit desjenigen ist, der wirtschaftliche Erkenntnis zu erringen strebt. Wir gehen von der Anschauung aus, daß die Ökonomik keine Disziplin gleich irgendeiner anderen, sondern daß sie die oberste und höchste der modernen Wissenschaften ist, bestimmt, als Wissenschaft der nächsten Zukunft das zu sein, was die Philosophie der Vergangenheit gewesen ist.

Um den Grund der ökonomistischen Erkenntnis möglichst sicher, möglichst tief zu legen, nehmen wir die ökonomistische Erscheinung nicht in dogmatischer Weise als gegeben an, wir greifen vielmehr auf das über diese Erscheinung denkende Subjekt zurück und untersuchen die Art und Weise, in der solche Erscheinungen auf dieses denkende Subjekt wirken müssen. Nachdem wir die Natur der ökonomistischen Erscheinung festgestellt haben, gehen wir von ihr aus zum ökonomistischen Begriff und zum ökonomistischen Urteil über. Von ihnen aus gelangen wir zum ökonomistischen Schließen, insbesondere zum ökonomistischen Kausalitätsschluß, sodann zum ökonomistischen Gesetz, zum ökonomistischen Prinzip. Im Laufe dieser Untersuchungen wird es klar, daß die Ökonomik keine ausschließlich wirtschaftliche Erfahrung sein, nicht ausschließlich am Konkreten haften kann, weil sie sonst nicht Theorie zu werden vermag. Und wenn sie nicht Theorie zu werden vermag, kann sie auch keine Anwendung der Einsicht hinsichtlich des Gesetzmäßigen, kann sie auch nicht praktisch werden. Es tritt weiter zutage, daß die Ökonomik nur insofern den ihr im Zeitbewußtsein gebührenden Rang einnehmen kann, als sie, von allen übrigen Disziplinen grundsätzlich getrennt, jede fremde Einmischung abweist. Sie vermag dies zu vollbringen, indem sie sich auf ihre eigenes Gebiet beschränkt, indem sie an der wirtschaftlichen Erscheinung festhält. Die Grenzen derselben bezeichnen ihr Reich. Die wirtschaftliche Erscheinung aber läßt sich nicht unabhängig vom Wirtschafter beurteilen. Dieser entwickelt sich in der Wirtschaft und durch dieselbe.

So zeigt sich uns die Ökonomik als eine selbstherrliche, als eine autonome Wissenschaft. Sie hat sich weder an die Ethik noch an die Psychologie anzulehnen. An beide nicht, weil sie philosophischer Natur sind, Ökonomik aber, als Wissenschaft, in keiner Hinsicht philosophisch sein darf. Sie kann auch weder von der Physik noch auch von der Physiologie Hilfstruppen fordern. Sie hat sich nicht auf die Physik zu stützen, weil ihre Erscheinungen lebendige, weil sie Äußerungen des Lebens sind; sie hat von der Physiologie nichts zu hoffen, weil alle Erscheinungen des Lebens, als zweckmäßige, wirtschaftlicher Natur sind. Es erhellt sich hieraus einerseits die Forderung, alle zweckmäßigen Erscheinungen als solche der Ökonomik zu unterwerfen, andererseits aber auch die Möglichkeit, zu einer Egoismus, Mutualismus, Kollektivismus und Altruismus als Formen zweckmäßiger Betätigung umspannenden einheitlichen Wissenschaft zu gelangen. Es erhellt sich schließlich auch, daß das ökonomistische Denken von unabänderlichen Gesetzen beherrscht ist. Wir unterscheiden uns demnach, wie wir glauben, von früheren Methodologen vornehmlich dadurch, daß jene das ökonomistische Denken als etwas dem Wohlermessen des einzelnen Forschers Anheimgegebenes betrachten. Ja, dem Dichter steht es frei, je nach seinem Belieben, seiner Laune, seiner Stimmung der komischen oder der tragischen Muse zu opfern: anders der Ökonomist. Es gibt unabänderliche Gesetze des ökonomistischen Denkens. Sie stimmen mit den Zwecken der Ökonomik überein. Die Formen, in denen sich das ökonomistische Denken mit Notwendigkeit äußert, sind dieselben, nach denen sich auch die Wissenschaft entwickelt.

Wäre die Errichtung eines wissenschaftlichen Gebäudes in einem glücklichen Augenblick zu bewerkstelligen, so wäre es wohl möglich, daß die Einheit des schaffenden Bewußtseins sich in der Einheit des Geschaffenen widerspiegelt. Allein der Zeitraum, den die Abfassung weitwendiger Erörterungen in Anspruch nimmt, ist naturgemäß ein längerer. Innerhalb einer solchen Frist verändert sich der Autor, entwickelt sich die Wissenschaft. Dies sind zwei Momente der Variabilität, die sich notgedrungen im Werk betätigen. Sie werden wohl keine wesentlichen Widersprüche mit sich bringen, weil das Subjekt und seine wissenschaftliche Umwelt sich während der Arbeit nicht wesentlich verändern konnte. Denn der Zeitraum, um den es sich hier handelt, ist ein ziemlich langer.




I. Die Philosophie in ihrer Beziehung
zu den Wissenschaften

Auf dem Markt drängen sich Käufer und Verkäufer; die Einen preisen mit lauter Stimme ihre Waren an, die Anderen feilschen; Wechsler walten hinter steinernen Tischen ihres Amtes; man hastet, ruft, verhandelt; es wird vermittelt, gestritten, getauscht, gezahlt. Dazwischen tönt das Knirschen der Wagen, welche mit Gütern belastet einherrollen, der geräuschvolle Eifer der Treiber, der Schrei der gepeitschten Zugtiere. Und abseits vom Gewühl der lauten Menge, an eine Säule gelehnt, steht in gelassener Haltung ein ernster Mann, der den sinnenden Blick über das wogende Gewühl schweifen läßt. Er mischt sich nicht unter die Geschäftigen und nimmt doch Anteil an ihrem Tun. Er buhlt nicht gleich Jenen nach Gewinn und hofft doch Geheihliches einzuheimsen. Er betrachtet nur das mannigfaltige, lebendige Leben und Treiben unher und kehrt doch reicher zum häuslichen Herd zurück.

Was ist der Beruf dieses Beobachters, was sein Geschäft, was seine Tätigkeit? Er ist Philosoph, sagt PLATO. Entspricht diese Erklärung der heutigen Auffassung? Nein. Es ist nicht der Philosoph! riefe die Gegenwart. Der Beobachter, der im Gewimmel des Marktes, nach dem Ewigen im ruhelosen Wandel, nach dem Gesetz in der abwechslungsreichen Erscheinung forscht, ist der Ökonomist!

Wie ist dieser Zwiespalt der Beurteilung zu erklären? Hat der Antike Recht oder Moderne?

Der Widerspruch der Geister läßt sich nur in einen solchen der Zeiten auflösen: was einst Sache der Philosophie gewesen ist, ist heute die der Ökonomik.

Diese Tatsache ist eine zu fesselnde Erscheinung, als daß wir fraglos an ihr vorüber wandeln dürften. Was war, was ist die Aufgabe der Philosophie? Was war, was ist die Aufgabe der Ökonomik? Das sind die beiden Probleme, die uns vor allen andern entgegentreten, um uns an der Schwelle unserer Untersuchungen zu begrüßen.

Wir haben gesehen, daß die Erklärung eines bestimmten Erscheinungskomplexes einst Sache der Philosophie gewesen, nun aber die der Ökonomik ist. Dies regt zunächst eine wichtige Frage in uns an. Ist alles, was einst Philosophie gewesen ist, heute Ökonomik? Ist das ganze Gebiet, das vormals der Weltweisheit zugeeignet gewesen war, nun zum Bereich einer besonderen Geistesbetätigung geworden? Weite Gefilde, über die einst der Tiefsinn grüblerischer Geister geherrscht hat, gelten derzeit als Beute jugendlicher Eroberer; einzelne Probleme dagegen, die in grauer Vergangenheit schon die Domäne der Philosophie gebildet haben, scheinen ihr, gleichsam als Stammsitz, noch in der Gegenwart anzugehören.

Was hier in wenige Worte gedrängt ist, das ist in einem wandlungsreichen Prozeß, in einer allmählichen, unaufhaltsamen Entwicklung entstanden. Ihre Übergänge darstellen, die Verknüpfung ihrer Ursachen, und ihrer Wirkungen ins Licht setzen, solcherart Nahes mit Entferntem, Bekanntes mit Unbekanntem verbindern, und das Mannigfaltige der menschlichen Erkenntnis als ein einheitliches Werden begreifen, das hieße sich einer der schwierigsten Aufgaben vermessen, es hieße, die Geschichte der Wissenschaft erzählen zu wollen. Es liegt uns fern, uns einer so übermenschlichen Leistung zu unterfangen. Wir beabsichtigen nur, in allgemeinen Zügen auf die Rolle hinzuweisen, welche die Weltweisheit in der Entwicklung der menschlichen Erkenntnis gespielt hat, weil es unmöglich wäre, das wichtige Verhältnis zwischen ihr und der Ökonomik sachgemäß aufzufassen, ohne einen, wenn auch nur flüchtigen Blick auf den Werdegang beider zu werfen.

Es gibt kaum eine Wissenschaft, die nicht einmal zur Philosophie gehört hätte, keine, die nicht ihrem Schoß entsprungen wäre. Noch zu Zeiten eines SOKRATES bilden Physik und Mathematik Unterabteilungen der Weltweishiet; PLATO schließt die Mathematik aus; in die Physik nimmt er noch die gesamte Naturerkenntnis auf. Unter der Herrschaft des ARISTOTELES zerfällt die Philosophie, dem Diadochenreich ähnlich. Wie sich der Stagirite [aus Stagira - wp] die Einteilung der Philosophie vorgestellt haben mag, ist bekanntlich streitig. Bald sondert er die Philosophie in Logik und Physik, bald in Theologie, Mathematik und Naturlehre. Aber diese Systematisierung ist ihm Grunde nur ein Postulat. Tatsächlich behandelt er als zur Philosophie gehörige Disziplinen: die Logik, das Naturrecht, die Politik, die Naturgeschichte, die Psychologie, die Physik, ja sogar auch die Astronomie. Von PYTHAGORAS wird auch die Musik zur Philosophie gerechnet. Philosophie ist somit gewissermaßen der Stamm, auf den sich die Wissenschaften durch Knospung, Sprossung und Abschnürung zu selbständigem Leben entwickeln.

COMTE faßt die Rolle der Philosophie bekanntlich anders auf. Er sieht in der Theologie die erste, in der Metaphysik die zweite reifere Betätigung des menschlichen Geistes; die höchste Blüte jedoch erblickt er in seiner eigenen Schöpfung, im Positivismus. Diese Auffassung wird als scheinbares Ergebnis einer historisch-evolutionistischen Anschauung vorgetragen. Sie entspricht keineswegs der Wirklichkeit. Die Philosophie ist immerdar ein bloßer Versuch gewesen, die Erscheinungen dieser Welt zu erklären; die Theologie desgleichen; die Theologie ist mithin Philosophie, ist Metaphysik; sie ist Philosophie in ihrem ersten, tastenden, träumerischen, kindlichen, phantastischen Entwicklungsstadium, nicht mehr und nicht weniger. Theologie ist Philosophie, die zu einer solchen werden will, Philosophie ist Wissenschaft, die zu einer solchen werden will; Theologie somit werdende Philosophie, Philosophie auf dem Weg zu sich selbst; Philosophie werdende Wissenschaft, Wissenschaft auf dem Wege zu sich selbst.

Die Unterscheidung COMTEs, welcher zufolge die Naturerscheinungen in der Epoche auf hypostasierte [einem Gedanken gegenständliche Realität zusprechen - wp] Naturkräfte, in der zweiten auf hypostasierte Begriffe zurückgeführt werden, ist eine umso mangelhaftere, als die Naturkräfte selbst in mangelhafter Analyse doch nur Begriffe sind. Wäre COMTE die religiöse Philosophie des Buddhismus bereits so erschlossen vorgelege wie uns, hätte er bedacht, daß dem philosophischen Altertum das theologisch angekränkelte Mittelalter auf dem Fuße folgte, hätte er sich schließlich in gedeihlicher Weise von historishen Konstruktionen freigehalten, er hätte seine sogenannten Entfaltungsgesetze wohl nie auszusprechen gewagt. Seine These, daß der menschliche Geist zuerst theologisch, dann metaphysisch, schließlich positivistisch denkt, schrumpft bei näherer Betrachtung auf den Satz, daß der Mensch immer philosophiere, zusammen. Dieses Sentenz aber enthält kein wie immer geartetes Verdienst; es ist eine Banalität, ein Gemeinplatz, der, alles Schmuckes, aller Verbrämung entkleidet, sich in seiner vollen Wertlosigkeit vor uns enthüllt.

Betrachten wir, unseren Darlegungen gemäß, die Philosophie als einen noch undifferenzierten Zustand der Erkenntnis, so wird uns klar, wie tiefsinnig PLATOs dichterischer Geist gewesen ist, der die Weltweisheit als die Sonne unter den Wissenschaften bezeichnet hat. In der Tat, sie ist der Nebelstern, sie der ungeheure flammende Ball, sie die leuchtende Allmutter, die schimmernde Allgebärerin, sie der strahlende Urquell alles Lebendigen in der Welt der Vernunft. Sie ist der glänzende Fixstern, der im Mittelpunkt der geistigen Welt sich um sich selbst dreht und rollende Planeten abschleudert. Könnte der Entwicklungsgang der Gedanken jenem der Himmelskörper vielleicht auch noch in einer anderen Beziehung gleichen? Könnten sich auch hier die Trabanten immer mehr ihrem Zentrum nähern? Könnte die Philosophie einmal wieder alle Wissenschaften in ihren Schoß aufnehmen? Könnte sie dann ein Gestirn bilden, dessen Größe, Leuchtkraft und Schönheit über alle Vorstellungen, die wir uns heute von ihr gestalten mögen, weit hinausragt? Eine solche Integration des bisher Differenzierten wäre wohl würdig erhofft zu werden. Aber sie ist einerseits nicht nur nicht als eine baldige, sie ist als vollends unmögliche zu betrachten; sie ist andererseits als eine evolutionistisch notwendige und darum gewisse vorherzusehen. Sie ist nämlich unmöglich, sofern wir uns vorstellen, daß die Philosophie, aus der die Wissenschaften herausgeboren werden und die Philosophie, zu der die Wissenschaften sich wieder zusammenfalten, ein und dasselbe wäre. Der Gedanke steht auch im Fluß der Zeit. Was wir Philosophie nennen, es hat sich bedeutsam verändert; es ist somit ein Anderes geworden. Und ein Anderes als Philosophie müßte jene höchste Synthese des Denkens ergeben. Was? Hierauf werden wir bald antworten.

Fassen wir zunächst die Gegenwart ins Auge. Die Philosophie steht heute im Gegensatz zur Wissenschaft. Aber in ihr ist das Streben bemerkbar, die Ergebnisse positiver Forschung in sich aufzunehmen und in ihrer Art zu verwerten. Auch hierin gleicht sie dem Gestirn des Tages, das vermöge seiner Anziehungskraft kleinere Weltkörper auf seine Oberfläche stürzen, sie in der Wicht des Falls erglühen lassen und diesen Flammen sein Licht verdanken soll. Aber diese an die Attraktion erinnerndern Anstrengungen der Philosophie haben bis jetzt zu keinem namhaften Ergebnis geführt; die einzelnen Disziplinen beharren auf ihrer Unabhängigkeit und Selbständigkeit, sie verhalten sich feindlich gegenüber allen Versuchen, sie dem mütterlichen Ursprung wieder anzunähern.

In welcher Art könnten wir nunmehr die Rolle der Philosophie in der Entwicklung der Wissenschaft bestimmen? Die Philosophie war ein Durchgangsstadium, eine Evolutionsphase jeder menschlichen Erkenntnis. Dies für die Vergangenheit. Sie ist gegenwärtig das Residuum dessen, was nicht über den ersten Werdezustand hinauszugedeihen vermochte, sie ist demnach der Inbegriff aller Fragen, nicht jener aller Antworten, die Einheit der Probleme nicht die der Lösungen, das System des Denkens, nicht des Wissens. Sie konnte jederzeit als die Zusammenfassung dessen aufgefaßt werden, was der Menschheit unbekannt war; sie enthielt jeweilig in ununterschiedener Weise die ewigen Rätsel zugleich mit jenen Problemen, die wohl noch nicht in befriedigender Weise geklärt wurden, aber doch in gewisser Frist aus dem Gebiet des Denkens in das des Wissens übergehen durften. So ist Philosophie, als Problematik, für jede Zeit einerseits aus der unlösbaren Schlacke, die sich nicht mehr in Wissen umwandeln läßt, andererseits aus dem urnebelhaften Chaos gebildet gewesen, das die mögliche Erkenntnis einer fernen Zukunft präformiert [vorgebildet - wp] enthält. Soweit für die Gegenwart. Und was kann von der Zukunft der Philosophie gesagt werden? Das Künftige läßt sich in eine kurze Formel bannen. Die Philosophie der Zukunft ist  Ökonomik.  Diese Formel ist in ihrer gedrungenen Gestalt mannigfachen Mißverständnissen ausgesetzt; die Bedeutung ihres Inhaltes erfordert daher eine genauere Erörterung.


II. Die Entstehung der Ökonomik
aus der Philosophie

Die Ökonomik ist eine Tochter der Philosophie wie jede andere Wissenschaft; sie ist das jüngste Kind dieser Mutter, der letzte Stern, welcher sich aus dem Stoff dieser Sonne gebildet hat. Fassen wir zunächst die Tatsache ins Auge, daß die genannte Disziplin sich später als jede andere von einem gemeinsamen Urgrund abschnürte.

Dies ist eine verwunderliche Erscheinung, sie fordert zum Nachsinnen auf. Wie ist es zu erklären, daß die Griechen, deren erstaunliche Geisteskraft die stolzesten Gedankengebäude entwart und zum Teil auch ausführte, achtlos an den Problemen des Wirtschaftslebens vorübergingen? Sie dachten über das Gute nach: Warum nicht auch über das Gut? Sie erwogen das Wesen der Tugend. Warum nicht auch das des Tauglichen? Sie forschten nach dem höchsten Gut. Wie kam es, daß sie an den niederen achtlos vorübergingen? Waren sie, wie Viele, denen die antike Welt in einem verklärten Licht erscheint, meinen, zu ideal in ihren Bestrebungen, um auch das Nützliche zum Gegenstand ihrer Forschungen zu erwählen? Wir lassen das dahingestellt. Gewiß traf dies bei den so nüchternen Römern nicht zu. Sie, die in ihrem Rechtsgebäude einen so erstaunlichen praktischen Sinn bekundeten, könnten wohl auch, so sollte man glauben, all dem Juristischen zugrunde liegenden wirtschaftlichen Element einige Aufmerksamkeit zugewendet haben.

Es scheint jedoch, daß die Alten, welche alle Arbeit von Sklaven besorgen ließen, auch das Denken über die Arbeit als etwas Banales betrachtet haben. Bei den Griechen hatten die unteren Schichten der Bevölkerung Dringenderes zu tun, als zu sinnen, die Oberen Freierers zu schaffen als Erwägungen über das Tun der Unfreien. Den Römer vollends, welcher sich nur als Krieger und Staatsmann zu erweisen liebte, und dessen Einkommen vornehmlich aus Beute und Tribut bestand, ließen die Lebensbedingungen der unterjochten Barbaren vollends kalt. Und wie das Altertum die Arbeit, so verachtete das Mittelalter, vollauf vom Glauben in Anspruch genommen, das eigenmächtige und kühne Denken. In der ersten Epoche war also das Denken über die Arbeit unmöglich, weil der Gegenstand, in der zweiten, weil die Tätigkeit selbst verwerflich schien. Ein fernerer Grund dürfte in dem Umstand liegen, daß sich der Geist überhaupt vorerst dem Fernen nähert, vom Nahen sich entfernt und eher den Lauf der Sterne als das eigene Handeln zu ergründen die Neigung hegt. Und schließlich wäre zu bedenken, daß die Ökonomik, als ein Erzeugnis sehr hoher Kultur, diese selbst voraussetzt. Unstreitig ist, daß die Neuzeit in ihren Bestrebungen, eine wissenschaftliche Ökonomik zu schaffen, auf die Überlieferungen der Vergangenheit nicht wie bei den übrigen Wissenschaften zurückgreifen konnte. In dieser Disziplin und in ihr allein war und ist sie im Wesentlichen auf sich selbst, auf die eigene Kraft, auf das eigene Können angewiesen.

Verweilen wir einen Augenblick bei dem Abschnürungsprozeß, bei der allmählichen Herausgeburt der Ökonomik aus der Philosophie. Betrachten wir diesen Prozeß in seinen markantesten Phasen, um uns seiner Tatsächlichkeit bewußt zu werden. Wenn die Philosophie wirklich die Ökonomik geboren hat, so muß es eine Zeit gegeben haben, da die Ökonomik in der Philosophie verborgen war. Die Entwicklungsgeschichte der Ökonomik bestätigt diese Vermutung. Die Ökonomik ruht undifferenziert in der Philosophie schon in dem Augenblick, da diese mündig wird. Die Griechen sind die Ersten, welche ihr eigenes Wesen begreifen wollen, welche zu philosophieren anfangen. Damit nähern sie sich dem Problem des zweckmäßigen Handelns; erwägt man, daß zweckmäßiges Handeln wirtschaftliches Handeln in sich schließt, so gewahrt man auch, daß die Annäherung an das Problem des zweckmäßigen Handelns mit der Annäherung an das Problem des wirtschaftlichen Handelns gleichbedeutend ist.

Schon die Sophisten streben danach, den Menschen vermögend zu machen: Unentwickelte Philosophie ist also gleichbedeuten mit unentwickelter Ökonomik, gleichbedeutend mit der Kunst, reich zu werden. Da lehrt der Sophist PROTAGORAS, daß jeder Einzelne das Maß aller Dinge ist; er folgert daraus, daß das gut sei, was ihm gut sei; er setzt das Nützliche anstelle des Ethischen, zeigt wie das Eigentum, wie die städtischen Angelegenheiten zu verwalten wären und preist Wohlberatenheit als höchste Tugen. Desgleichen PRODIKOS. Der Subjektivismus der Sophisten bezüglich des Guten kehrt Jahrhunderte später auf dem Gebiet der Ökonomik als subjektivistische Werttheorie wieder. Den Sophisten war das Nützliche Ziel des Denkens und Handelns. Im Begriff des Nützlichen liegt nun, daß es das dem Zweck Gemäße, also erreichter Zweck ist, und daß es wieder zu etwas nützt, also Mittel zum Zweck wird. Diese Unterscheidung entging den Sophisten nicht; in ihr liegt die wichtige theoretische Sonderung zwischen Genußgütern und Gütern höherer Ordnung, welche MENGER in die Ökonomik eingeführt hat, im Keim vorgebildet. Nach den Sophisten lehrt SOKRATES, daß die Tugend eine Einsicht sei, welche in der Erkenntnis desjenigen, womit das Handeln zu tun hat, nämlich seiner Zwecke, Mittel und Bedingungen, besteht. Es ist unverkennbar, daß in dieser Definition des Ethos das wirtschaftliche Prinzip mit enthalten ist. Denn auch dieses ist eine Einsicht, welche in der Erkenntnis desjenigen, womit das Handeln zu tun hat, nämlich seiner Zwecke, seiner Mittel und Bedingungen, besteht, sofern wir unter einem Zweck die Befriedigung des Bedürfnisses, unter einem Mittel hierzu das Gut und unter den Bedingungen die Beschaffung des Gutes verstehen.

Abgesehen von dieser Ineinsbildung des Wirtschaftlichen und Sittlichen vollzieht sich eben in SOKRATES eine Differenzierung zwischen dem Ökonomischen und dem Philosophischen: er unterscheidet zwischen dem Nützlichen und dem Guten. Er nennt das Nützliche dasjenige, was nur für den einen oder den anderen Zweck ist, das Gute hingegen dasjenige, was an und für sich Zweck ist. Auch bezüglich dieser Lehre begegnen wir einer merkwürdigen Wiedergeburt, einer Palingenese [Wiedergeburt - wp]des Theorems, welche zum Interessantesten gehört, das auf dem Gebiet der Forschung wahrzunehmen ist. Ebendieselbe Unterscheidung zwischen dem Nützlichen und Guten liegt in der ökonomistischen Doktrin vom Gebrauchs- und Tauschwert vor, sofern wir Gebrauchswert demjenigen Gut zusprechen, das nur für den Einen oder den Andern, Tauschwert hingegen demjenigen, das an und für sich Zweck ist. Die Lehre vom Gebrauchs- und Tauschwert ist bekanntlich namentlich durch die bahnbrechenden Neuerungen, welche JEVONS und MENGER in die Wertlehre eingeführt haben, erschüttert worden. Aber noch BÖHM-BAWERK unterscheidet zwischen einem subjektiven Wert, einem Wert für den Einen oder Andern, und einem objektiven Wert, welcher zwar nicht als ein Wert ansich aufgefaßt wird, aber als allgemeiner, als Wert für den Einen und den Andern, als Wert für Alle gilt, als Wert somit, welcher dasselbe leistet wie der Zweck ansich, zumal dieser gleichfalls als Zweck für Alle zu begreifen ist.

Bei PLATO tritt die Trennung zwischen dem Ökonomischen und Philosophischen noch mehr zutage. Der Philosoph sieht in der Arbeit und im Handel etwas Notwendiges, aber der Grieche in ihm verachtet das Ökonomische als etwas Banausisches. Er zählt zum niedersten STand diejenigen, welche lediglich dem sinnlichen Begehren Folge leisten, er rechnet unter sie vornehmlich die Handarbeiter. Diese Anschauung, daß es sich im Wirtschaftsleben nur um das sinnliche Begehren handelt, wird zum Überdruß noch heute in der ökonomistischen Literatur vertreten, sie ist die Voraussetzung der kathedersozialistischen Forderung, daß das wirtschaftliche Leben moralischen Gesichtspunkten unterstellt werden muß. PLATO ist der Staat ein Mensch im Großen. Er huldigt der organischen Auffassung der Gesellschaft, welche heute auch der historischen Schule eigentümlich ist. Er stellt das Prinzip der Arbeitsteilung dar. Er formuliert zuerst die Postulate des sozialistischen Staates, er verlangt, daß Jeder das ihm Zukommende tue, daß Privateigentum und private Häuslichkeit, daß das exklusive Eigentum an Weib und Kindern bei den aktiven Bürgern aufgehoben werde. Er ist sogar auch in gewissem Sinne der erste Malthusianer, indem er die Zahl der Eheschließungen und Geburten kontrolliert wissen will. Er empfiehlt in seinen Phratrien eine Art von Phalanstéren. Zu gleicher Zeit findet XENOPHON den Namen für das neue Gebiet des Denkens. ARISTOTELES gibt bereits in einem der Ökonomik gewidmeten Werk Winke bezüglich des Erwerbs und der Verwaltung des Vermögens. In seiner "Politik" entwickelt er Grundsätze ökonomistischer Natur hinsichtlich der Erwerbung von Gütern, hinsichtlich des Wertes, des Tausches und des Handels, des Geldes und des Wuchers. Noch mehr aber als durch diese Darlegungen nähert sich ARISTOTELES durch seine Ethik der Ökonomik. Er definiert das höchste Gut als Glückseligkeit. Die Glückseligkeit aber sieht er in der Tätigkeit. Von seiner Ethik führen zarte, aber feste Fäden hinüber zur Ökonomik eines ADAM SMITH, zum  Aristoteles der Ökonomik.  Der Gedanke, daß das höchste Gut mit der Glückseligkeit gleichbedeutend ist, erinnert an die Annahme, welche der schottische Denker zuließ, an die Annahme nämlich, er habe gelehrt, daß das wirtschaftliche Leben vornehmlich von egoistischen Triebfedern beherrscht sei. Die aristotelische Lehre von der Tätigkeit weist ferner unverkennbar auf die SMITHsche Theorie der Arbeit hin. Nur durch die Tätigkeit gelangen wir zur Glückseligkeit, meint der Eine, nur durch die Arbeit erwerben wir uns die Wohlhabenheit, lehrt der Andere. Die Ideenverwandtschaft wird umso deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, daß ARISTOTELES den Reichtum zu den mehr oder weniger notwendigen Bedingungen der Glückseligkeit rechtnet und die Tätigkeit, in welcher er das höchste Gut erblickt, als den Ausfluß einer ungehemmten Energie auffaßt. PLATOs Ideal war somit der Staat der Ordnung, des ARISTOTELES' Ideal der Staat der Freiheit. PLATO kann daher füglich als Vater des Protektionismus, ARISTOTELES als jener einer liberalen Wirtschaftstheorie gelten.

Wenn die Ökonomik sich von der Philosophie abgeschnürt hat, so muß in dieser etwas Ökonomisches gelegen gewesen sein. Diese These haben wir nunmehr genugsam verfochten. Sie führt naturgemäß zu einer sie ergänzenden Antithese: Wenn die Ökonomik sich von der Philosophie abgeschnürt hat, muß in ihr etwas Philosophisches liegen. Dieses Philosophische findet sich tatsächlich in der Ökonomik; es ist ihr verwandt und doch fremd, es ist ein Überbleibsel, das sie aus der Vergangenheit noch mit sich schleppt, es ist das Unwissenschaftliche in dieser Wissenschaft. Je schwächer das Philosophische im Ökonomischen wird, desto wissenschaftlicher wird die Ökonomik; je stärker es wird, desto weniger kann im Ökonomischen von Wissenschaftlichkeit die Rede sein. Denn es ist immer ein Zeichen von Ohnmacht, wenn eine Disziplin ihre Selbständigkeit verringert, wenn sie sich an eine andere anlehnt, von ihr Schutz und Halt fordert, ihr tributpflichtig wird, wenn sie, ihre Grenzen dem Einfluß einer fremden Macht öffnend, ihre Autonomie aufgibt und der Heteronomie verfällt. Es ist nicht zu verkennen, daß sich die Ökonomie mit rühmlicher Energie von der Philosophie abzutrennen gesucht hat. Aber dieser Prozeß ist noch nicht vollendet. JOHN STUART MILL, der in seinem ökonomistischen Werk die Lehren seiner Vorgänger mit vornehmer Ruhe und kalter Anmut zusammenfaßt, brachte dieser Energie bekanntlich eine überschwängliche Huldigung dar, indem er behauptete, die Ökonomie sei bereits ein abgeschlossenes Ganzes, dessen Verbesserung unmöglich sei. Er dürfte zu dieser Ansicht eher durch die eigene Unvollkommenheit als durch die Vollkommenheit der von ihm behandelten Doktrin veranlaßt worden sein. Er selbst hat seine Meinung später abgeändert. Die Literatur nach ihm hat ihn vollends Lügen gestraft. In ihm war die kindliche Überhebung einer jugendlichen Wissenschaft zutage getreten, welche sich im Augenblick, da sie die ersten Schritte tat, schon für erwachsen hielt. Die Unentwickeltheit der Ökonomik hat sie eben hierin mit besonderem Nachdruck geäußert. Sie ist ihrem Wesen nach, obwohl sie sich von der Philosophie zu einem selbständigen Dasein abgesondert, noch immer vorwiegend spekulativ. Dieses spekulative Element tritt umso fühlbarer hervor, als es zunächst Philosophen aus jenem regsamen Zeitalter, das die Wirklichkeit dem Denken gemäß umgestalten wollte, gewesen sind, welche die Fundamente dieser Disziplin zu legen bemüht waren. So schreibt dann MIRABEAU seine "Philosophie rurale", die als die erste vollständige Darstellung des physiokratischen Systems betrachtet wird. Vollends SMITH stellt in seiner Person das Verhältnis zwischen Ökonomik und Philosophie am deutlichsten dar. Er ist in erster Linie Philosoph von Beruf: auch geht er in seinem bahnbrechenden Werk von einem philosophischen Grundsatz aus; er nimmt als regulatives, nicht konstitutives, somit als heuristisches Prinzip an, daß jeder Wirtschafter, sofern er eben wirtschaftet, von einem natürlichen Drang nach Bereicherung beherrscht wird; das Moment, daß die Ökonomik es ursprünglich nicht mit dem lebendigen, physiologischen, konkreten Menschen zu tun hatte, sondern mit einem konstruktiven Wesen, mit dem Wirtschaftsmenschen nämlich, verknüpft die Ökonomik inhärierend mit der Spekulation; es ist daher auch nur konsequent, daß die Ökonomik in deutschen Universitäten an der philosophischen Fakultät gelehrt, an englischen Hochschulen von Professoren der Logik und Ethik vorgetragen wird.

Wohl weisen auch andere Wissenschaften Beziehungen zur Philosophie auf; in allen gelangt der Geist zu obersten oder äußersten Begriffen, die sachte zur Weltweisheit überleiten. Allein eben wegen der Jugend der Ökonomik ist im vergangenen Jahrhundert die Verknüpfung zwischen ihr und der Philosophie eine noch ziemlich innige, man könnte sagen, der Strang, der das Erzeugende mit dem Erzeugten verbindet, sei noch unversehrt; ein lebendiger Austausch von Kräften und Säften werde durch denselben ermöglicht. Wie in jeglicher Wissenschaft, die sich vom Grundstock des Denkens, der Weltweisheit, einigermaßen differenziert hat, so werden auch in der Ökonomik Namen laut, die eine Scheidung vom Mutterboden mit besonderer Schärfe, mit einem gewissen jugendlichen Trotz fordern. PETTY und SMITH überbieten einander in der Verachtung der Metaphysiker; der Erstere reiht die Metaphysiker unter die unproduktiven Leute und stellt sie auf eine Linie mit jenen, die Geld und Gut verprassen. Der Zweite geht weiter; er sieht im Metaphysiker nicht nur ein unnützes, sondern auch ein verwerfliches Wesen. Trotz dieser feindseligen Haltung wurzelt sich die Anschauung, daß die Ökonomik eine Art der Philosophie ist, immer tiefer ein. Wie verschieden auch die Lehren sonst lauten mögen, in dieser Hinsicht bildete sich eine stillschweigende Übereinkunft des Irrtums, welche gar seltsam anmuten muß. Noch AUGUSTE COMTE bezeichnet die Ökonomik nicht nur als einen Zweig der Philosophie, sondern er geht vielmehr soweit, sie insbesonders als einen der Metaphysik zu erklären.

MILL, der in seiner Logik (Buch VI, Kap. VI, § 1) von der Ökonomik als einer Philosophie der Gesellschaft spricht, veröffentlichte seine Grundsätze der Volkswirtschaftslehre unter dem Titel "Principles of political Economy with some of their applications to social philosophy". Was versteht MILL hier unter Sozialphilosophie? Ökonomik im Sinne der politischen Ökonomie gewiß nicht; sonst hätte er die Begriffe nicht getrennt. Da er dies getan hat, denkt er sich unter Sozialphilosophie unstreitig etwas Anderes als unter der Ökonomik. Was? das ist schon in dem Wort "Anwendung" [application - wp] deutlich. Sozialphilosophie ist für MILL angewandte Ökonomik. Allein eine Anwendung ist nur hinsichtlich eines Objektes denkbar; auf was will hier MILL die Ökonomik gewendet wissen? Offenbar auf das praktische Leben. MILL sieht also nicht gerade in der politischen Ökonomie, aber doch in wirtschaftspolitischen Erörterungen eine Philosophie. Für denjenigen, welchen der praktische Teil der Ökonomik das Ganze derselben vertritt, für diejenigen, welchen die ökonomische Theorie ein Wahn ist, faßt MILL die Ökonomik überhaupt als eine Philosophie auf. Die historische Richtung zieht diese Konsequenz in der Tat. KNIES ist die Theorie der Ökonomik nur als eine Philosophie der Wirtschaftsgeschichte denkbar; ROSCHER definiert die Ökonomik schlankweg als Philosophie der Wirtschaftsgeschichte. Die deutschen Volkswirte historischer Richtung, die in den Spuren dieser Forscher wandeln, sehen in der Ökonomik lediglich eine Wissenschaft von den Parallelismen der Wirtschaftsgeschichte, sie fordern eine Ökonomik, welche als Philosophie der Wirtschaftsgeschichte entstanden wäre.

Da die Ethik unzweifelhaft eine Disziplin philosophischer Natur genannt werden kann, wirkt in demselben Sinn auch die Bemühung, sittliche Momente mit der Ökonomik zu verknüpfen. In dieser Hinsicht haben neben COMTE, PROUDHON, FICHTE, MARLOW und MILL unzählige Schrifsteller gewirkt. Die Sozialisten sind es insbesondere, die diesem Gedanken die edelsten Regungen ihres Gemütes gewidmet haben. Er ist von den Kathedersozialisten übernommen und von denen mit wissenschaftlichem Ernst vertreten worden. Es ist fast überflüssig, daß wir nun auch noch auf CLIFF LESLIE hinweisen, welcher die These verficht, die deduktive und die historische Methode stünden einander antagonistisch gegenüber; die deduktive Methode biete keine bestimmten Gesetze über die Natur, das Anwachsen, die Verteilung des Reichtums; die philosophische Methode der Ökonomik müsse historisch sein. Auf demselben Standpunkt befindet sich INGRAM. Angesichts dieser wirkenden Kräfte konnte CARL MENGER die historische Methode mit Recht auch als eine historisch-philosophische bezeichnen.

Durch die Lehren, daß die Ökonomik einerseits in theoretischer Hinsicht lediglich als Philosophie, nämlich als eine solche der Wirtschaftsgeschichte betrachtet werden muß, daß sie andererseits in praktischer Hinsicht eine Abart der praktischen Philosophie, der Ethik, oder doch jedenfalls unter ihrer Führung zu wirken bestimmt sei, ist das philosophische Element in der Ökonomik überaus verstärkt worden. Und nur durch ein merkwürdiges Zusammengreifen verschiedener Umstände wurde es möglich, daß zwei ihrem ganzen Wesen nach so verschiedene Autoren wie GARNIER und SCHÄFFLE die Ökonomik als Philosophie des Güterlebens definieren. Ganz im Einklang mit dieser Auffassung steht es, daß SENIOR in RICARDO, welcher doch ausschließlich über ökonomistische Fragen geschrieben hatte, "den inkompetentesten Schriftsteller, der je auf dem Gebiet der Philosophie Bedeutung erlangt hatte" nennt; SISMONDI ist der Ansicht, daß er in seinem "Nouveaux Principes", die nur von wirtschaftlichen Erscheinungen handeln, philosophische Gedanken niedergelegt habe, beklagt er sich doch darüber, daß sein Buch nicht günstig aufgenommen wurde, weil er eine Orthodoxie angegriffen hätte, was, wie er hinzufügt, ein Unternehmen ist, das in der Philosophie ebenso gefährlich wäre, wie in der Religion; DUNOYER spricht in seiner "Freiheit der Arbeit" von der Ökonomik als einer Disziplin, in welche nur eine philosophische Begabung Licht zu bringen vermag. Und wie sehr man noch heute geneigt ist, die Ökonomik als einen Zweig der Philosophie zu betrachten, geht auch aus BLOCKs "Les Progrés de la Science Economique depuis Adam Smith" hervor; dieser Autor setzt gelegentlich die Ideen DILTHEYs auseinander, welcher die Ökonomik zu den Geisteswissenschaften gerechnet hat und macht hierzu die Bemerkung "On pourrait donc qualifier ces sciences de philosophiques. [Man könnte sie auch als philosophische Wissenschaften bezeichnen. - wp] Wie unausrottbar diese Anschauung ist, wird uns auch am jüngsten Methodologen der Ökonomik ersichtlich; KEYNES lehrt, die Ökonomik könne nicht ohne Rücksicht auf die Einflüsse, welche von Seiten der sozialen Erscheinungen auf die wirtschaftliche Welt ausgeübt werden, wissenschaftlich behandelt werden, wissenschaftlich behandelt werden; dennoch meint er, es sei wünschenswert, daß die Ökonomik selbständig bleibe; sie sei ein Teil aus der allgemeine Philosophie der Gesellschaft, deren übrige Teile das Rechtsleben, die politische Organisation, die Religion und den geistigen Fortschritt betreffen; der ökonomistische Teil der Gesellschaftsphilosophie erhält dadurch sein besonderes Gepräge und seine bestimmte Eigenart, daß er, gleich der Geometrie, welche die Körper, abgesehen von ihrer körperlichen Eigentümlichkeit, die Menschen lediglich als Wesen betrachtet, welche nach Reichtum streben ("Scope and Method of political Economy", Seite 112). Angesichts solcher Auffassungen ist es befremdlich, daß nebenher das Bestreben läuft, die Ökonomik näher an die Philosophie anzugliedern. Denn wenn die Philosophie wirklich nur ein Teil der Philosophie ist, so ist doch die Tendenz, sie erst zu einem solchen zu machen, durch nichts begründet. Eine solche Tendenz verrät aber MACLEOD wie BAUDRILLART. URE-ANDREW, CLARK und COURCELLE-SENEUIL. Sie alle suchen das philosophische Element in der Ökonomik zu verstärken, sie sprechen demgemäß auch von einer ökonomistischen Philosophie, von einer Logik, einer Philosophie der Ökonomik, sie nennen diese letztere eine Philosophie des Reichtums.

Wenn die Ökonomik aber Philosophie ist, so ist sie nicht Wissenschaft. Es fragt sich daher nach der Berechtigung der Anschauung, welche in der Ökonomik eine Art Philosophie erblickt, es fragt sich nach der Grenze dieser Berechtigung. Von unserem Standpunkt aus kann die Beantwortung dieser Frage nicht schwerfallen. Die Ökonomik entwickelt sich, indem sie sich von der Philosophie zur Wissenschaft entfernt. Wer die vorwaltende Beziehung zwischen Ökonomik und Philosophie, zwischen Philosophie und Ökonomik, betont, wer ihre Wirksamkeit verstärkt, der strebt bewußt oder unbewußt dahin, die Ökonomik in ihren entwicklungsgeschichtlich begründeten Zustand zu erhalten und bewußt oder unbewußt stellt er ihr auch das Recht, in eine höhere Daseinsform, die wissenschaftliche, überzugehen, in Abrede. Wer dagegen die Absicht hat, sie in diese höhere Daseinsform hinüberzuführen oder zumindest ihren Werdeprozeß zu befördern, der hat sein Sinnen und Trachten auf eine Lockerung und Lösung der Bande zu richten, die Ökonomik und Philosophie noch verknüpfen. Die Ökonomik ist ursprünglich eine Art der Philosophie sowie jede andere Wissenschaft, damit ist aber nicht gesagt, daß sie immer auch nur Philosophie bleiben muß; im Gegenteil; ihre selbständige Bedeutung muß mit ihrer Selbständigkeit zunehmen: das Besondere an ihr, das sie zuerst innerhalb der Philosophie ausgesondert hat, muß somit einer Verstärkung teilhaftig werden.

Wenn Philosophie und Ökonomik sich voneinander getrennt haben, wenn Ökonomik somit etwas Anderes geworden ist als Philosophie gewesen, so muß sich zwischen ihnen auch ein Verhältnis der Gegenseitigkeit entwickeln. Der Trabant wird zwar vom Fixstern abgeschleudert, aber, wenn er selbständig geworden ist, wird er nicht nur von Muttersternen angezogen, sondern zieht auch diesen an. Die Wechselwirkung, welche sich demgemäß zwischen Ökonomik einerseits und Philosophie andererseits bemerkbar macht, kennzeichnet sich vornehmlich durch zwei bedeutungsvolle Erscheinungsreihen. Die eine besteht aus den Erscheinungen, welche den Einfluß der Ökonomik auf die Philosophie, die andere aus jenen, die der Einfluß der Philosophie auf die Ökonomik hervorruft.

Wenden wir uns zunächst dem Einfluß der Ökonomik auf die Philosophie zu. Wie mannigfach dieser auch sein mag, wir wollen aus der Fülle der Erscheinungen doch nur eine hervorheben, welche uns die bedeutungsvollste dünkt. Der Gedanke vom Kampf ums Dasein, welcher modernen Anschauungen ein so kennzeichnendes Gepräge verleiht, er findet sich im Sinne unserer bisherigen Ausführungen schon in den Überlieferungen antiker Weisheiten; aus der Philosophie der Alten geht er in das Gebiet der Ökonomik über, er findet hier seine schärfste Ausbildung, dann wird er aus der Ökonomik von der Naturphilosophie als etwas Neues herübergenommen und in seinen äußersten Konsequenzen ausgeführt. Um diese Behauptungen zu belegen, genügt es wenige Namen zu nennen. Einem HERAKLIT ist der Kampf der Vater aller Dinge, also das Urprinzip gewesen. Er drückte jenen Gedanken in einer Weise aus, der man gleichzeitig Dunkelheit und Schärfe nachsagen kann: jede der Naturpotenzen, die er als flüchtige Formen des ewig brennenden Feuerstoffes auffaßt, lebt den Tod der anderen. POLUS und THRASYMACHUS sprechen das Recht des Stärkeren als ein Gesetz der Natur aus.  Vivere est militari,  [Es lebe das Militär! - wp] ruft SENECA dem LUCILIUS zu. Das Leben ist ein Kampf, klagt INNOZENZ III. in seinem Traktat von der Weltverachtung.  Homo homini lupus  [Der Mensch ist des Menschen Wolf. - wp] lehrt HOBBES. Im Anschluß an HOBBES entwickelt JAMES STEUART die Lehre, daß die Volkszahl im Verhältnis zu den vorhandenen Nahrungsmitteln steht, also im Naturzustand zu den wildwachsenden Pflanzen und Tieren; daß durch gelegentlichen Mangel die schwächeren Menschen sterben, die stärkeren dagegen sich besser nähren und zahlreicher vermehren. MALTHUS baut dieses Theorem in einer Art aus, der man Großartigkeit nicht absprechen kann. Er zuerst weist nach, in welcher Weise der Wettbewerb um die Bedingungen des Lebens als einem Kampf ums Dasein aufzufassen ist. Der gleichzeitig naturwissenschaftlich geschulte und philosophisch veranlagte Geist DARWINs gestaltet diese Anregung aus. Seine Anschauungen durchziehen die Welt und prägen dem Jahrhundert sein Zeichen auf.

Weniger glorreich ist der Einfluß, welchen die Philosophie auf die ökonomistische Forschung genommen hat. Vornehmlich waren Schöpfer der sozialistischen Lehre in erster Linie Philosophen. Vollgesogen von den Lehren eines dunklen Systems, in welchem die These von der Identität des Gegensätzlichen [dial] die Rolle eines wahren Hexeneinmaleins spielte, traten sie an die Tatsachen des Güterlebens heran. PROUDHON, MARX, LASSALLE und BAKUNIN, sie waren alle Jünger HEGELs. Und merkwürdig, zu einer Zeit, da dessen Spekulationen längst ihre stolze Wirksamkeit auf dem Gebiet der Philosophie verloren hatten, da seine Dialektik längst nich mehr als Panacee [Wundermittel - wp] gepriesen wurde, lebte ihre Tradition in den kühnen Weltverbesserungstheorien der Unzufriedenen wieder auf. HEGEL war gestorben, mit ihm seine Philosophie, mit ihm seine Methode; sein Geist aber zeigte sich mächtig auf einem Gebiet, das ihm selbst immer fern gelegen war und waltete spukhaft mit den Begriffen ökonomischen Denkens. Wohl ist es wahr, daß die Ansichten, die einer solchen Betätigung ihre Entstehung verdankten, mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmten. Aber dieses erschütterte die Glaubensfestigkeit der modernen Propheten nicht. Sie fragten nicht nach dem Grund dieser Disharmonie. Leicht wäre er darin zu finden gewesen, daß die Theorie nicht nach dem Ebenbild des Tatsächlichen geschaffen, sondern als fertige und feste Form für dasselbe gemodelt wurde. Die Begriffe, die Definitionen waren zu eng, weil sie nicht aus der Fülle der Erscheinungen abgezogen worden waren. Aber dieser Fehler wurde nicht zugegeben. Die Theorie schien richtig, die Wirklichkeit irrig; so sollte sie dann nach den Begriffen umgestaltet werden. Die alte Praxis des PROKRUSTES fand eine neue Anwendung.

Wäre dieses verkehrte Vorgehen das Geheimnis der Schule geblieben, so hätte der Irrtum nie Schaden zu stiften vermocht. Aber es ist eben das Eigentümliche ökonomistischer Irrtümer, daß sie alsbald ihre unheilvolle Kraft bekunden. Ein Schlagwort, das auf dem Boden der hegelschen Dialektik gewachsen war, das Schlagwort von der Identität des Eigentums mit dem Diebstahl fand Eingan in die unteren Gesellschaftsschichten. Hier wurden die Paralogismen [Widersprüche - wp] einiger von der Philosophie angekränkelter Autoren zu einer wahren Schicksalsmacht. Ein seltsames und ergreifendes Schauspiel! Auf den kalten Höhen der Abstraktion wird in der Gedankenretorte eines einsamen Denkers, der das Gute will, aber ahnunglos das Böse schafft, ein Wechselbalg erzeugt, und dieser wächst im Laufe der Zeit zu einem gewaltigen Dämon heran, der über die ganze Kulturwelt die Verderbnis geistiger Verwirrung ausstreut.


III. Die ursprüngliche Wesensgleichheit der Philosophie
und der Ökonomik im gemeinsamen Problem des Glücks.

Das Verhältnis zwischen Philosophie und Ökonomik läßt sich tiefer fassen. Wenn die Ökonomik aus der Philosophie entstanden ist, so muß es einen Zustand gegeben haben, in welchem beide undifferenziert in einem dritten gelegen waren. Dieses dritte Moment kann weder Ökonomik, noch Philosophie gewesen sein. Es ist vielmehr von vornherein notwendig in dem Urgrund zu suchen, dem beide entstammen, im menschlichen Gemüt. Die Frage ist demnach: Was in unserer Seele ist es, das ihr selbst eigentümlich, dabei aber auch zugleich der Philosophie und der Ökonomik gemeinsam ist. Auf diese Frage findet sich alsbald eine wichtige Antwort. Jeder unserer Gedanken, jede unserer Handlungen ist bestimmt, Zwecke zu erfüllen, auch Philosophie und Ökonomik stehen unter dem Einfluß des Zweckmäßigkeitsprinzips, denn die erstere will den Menschen über sein Denken, die andere ihn über sein Handeln aufklären. Betrachten wir demzufolge zunächst den Begriff des Zweckes näher.

Dieser Begriff ist ein korrelativer, er ist von demjenigen des Mittels untrennbar. Das Mittel ist nur insofern als solches aufzufassen, als es imstande ist, den Zweck zu verwirklichen. Der Zweck ist nur insofern ein solcher, als er durch Mittel zu vermitteln ist. Das Mittel hat den Zweck zu bewirken; der Zweck muß vom Mittel bewirkt werden. Daher ist jedes Zweckverhältnis als ein Verhältnis von Ursache und Wirkung zu betrachten.

Ist aber auch jedes Verhältnis von Ursache und Wirkung ein Zweckverhältnis? Lange Zeit hat die Philosophie hierauf eine bejahende Antwort gegeben; sie war teleologisch. Wohl ist der Zweck die gewollte Wirkung einer gewollten Ursache, wohl ist das Mittel eine gewollte Ursache einer gewollten Wirkung. Wer aber jede Ursache als eine gewollte auffaßt, als ein gewolltes Mittel zu einem gewollten Zweck, der denkt ausschließlich teleologisch, denn er muß einen hinter den Erscheinungen stehenden Willen annehmen, der eine Erscheinung will, damit irgendeine andere zutage tritt. Diese Auffassung, welcher zufolge jede Erscheinung einen Zweck zu erfüllen hätte, ist als teleologische auch eine anthropomorphistisch, sie sieht in der Natur eine Wirtschaft, im Gesetzgeber derselben einen Wirtschafter. Wollen wir uns eines solchen Fehlgriffs, der sowohl der erhabenen Natur des göttlichen Wesens wie der Logik widerspricht, nicht schuldig machen, so dürfen wir den Begriff des Zwecks nur soweit annehmen, als das Phänomen des Willens geht; dort also, wo es keine Psyche mehr gibt, wo geistige Regungen sich nicht mehr nachweisen lassen, wo das Leben aufhört, ist auch die Grenze der Zweckvorstellung. Der Zweck ist somit ein biologisch-psychologisches Moment, es ist, soweit biologische Erscheinungen vorwalten, maßgebend, es ist das eigentliche und wesentliche Merkzeichen der Vitalität.

WHEWELL unterscheidet zwischen dem Begriff der Ursache und dem des Zweckes. Er sieht zwischen beiden einen Gegensatz; nichts ist irriger. Wenn das Kausalitätsverhältnis und das Finalitätsverhältnis entgegengesetzt wäre, so wäre das Finalitätsverhältnis gewiß etwas in jeder Hinsicht Anderes als das Kausalitätsverhältnis; wenn dem so wäre, dann wäre es auch unmöglich, das Finalitätsverhältnis durch das Kausalitätsverhältnis zu definieren. Nun ist es aber durch nichts anderes als durch das Kausalitätsverhältnis und wenn nicht durch dieses, gar nicht zu definieren. Wir fassen überhaupt nur Kausalitäten und auch diese nur in einem gewissen Grad auf. Wenn die Finalität das Entgegengesetzte der Kausalität wäre, so könnten wir sie folgerichtig überhaupt nicht auffassen; sie müßte uns vielmehr im vollständigsten Dunkel bleiben. Nun fassen wir aber Finalitäten auf; wir dassen sie umso eher auf, als wir selbst uns unmittelbar bekannte Absichten haben und, von diesen veranlaßt, Mittel setzen, welche unserer Anschauung nach geeignet wären, unsere Zwecke zu verwirklichen. Unser ganzes Tun und Lassen steht unter dem Bann der Finalität. Behaupten, daß wir diese nicht verstehen, heißt zugleich lehren, daß wir uns unseres eigenen Tuns und Lassens nicht bewußt sind, das heißt somit die Intelligenz in Abrede stellen, das heißt jegliche psychologische Kausalität leugnen. Wenn wir nun Finalitäten auffassen, so fallen sie unter das für uns Begreifliche; wenn sie unter das für uns Begreifliche fallen, sind sie Kauslitäten. Kausalität und Finalität sind einander also nicht entgegengesetzt, sondern die Finalität ist nur eine besondere Art der Kausalität. Entgegengesetzt sind einander aber die kausale und die finale Naturauffassung. Und dies wollte WHEWELL wohl sagen. Die kausale Naturauffassung ist von der Kausalität sehr verschieden, weil diese ein Begriff ist, jene ein Urteil mittels des Begriffs. Ebendasselbe gilt von der finalen Naturauffassung und der Finalität. Und entgegengesetzt ist die finale oder die teleologische Naturauffassung der kausalen oder mechanistischen dadurch, daß die erstere von dem Grundsatz ausgeht: "Alles Vermittelte ist bezweckt"; die andere dagegen geht von dem Grundsatz aus: "Alles Bezweckte ist vermittelt".

So sehr wir die schroffe Gegensätzlichkeit, welche WHEWELL zwischen der Ursache und dem Zweck erblickt, zurückweisen, so sehr stimmen wir doch vielen der sonstigen Anschauungen dieses scharfsinnigen Forschers hinsichtlich des Zweckbegriffs bei. Und wenn er darlegt, daß die Idee der Ursache ausschließlich der Mechanik zukommt, die Idee des Zwecks dagegen zur Auffassung der organischen Phänomene notwendig sei, scheint er uns der Wahrheit nahe zu kommen, sofern nur festgehalten wird, daß die Idee des Zwecks auf die der Ursache zurückzuführen und somit das Zweckmäßige mechanistisch zu erklären ist. Nach WHEWELL entwickelt sich die Idee des Zwecks als die einzige Form, in der wir die Phänomene des Lebens aufzufassen imstande sind. Der englische Denker fügt hinzu, man habe zwar der Anschauung gehuldigt, daß der wissenschaftliche Fortschritt das Gebiet der Zweckmäßigkeit einschränkt und die mechanistische Kausalität an ihre Stelle tritt: Allein in der Tat müsse nunmehr das finale Moment anders aufgefaßt werden; es sei nach wie vor unentbehrlich. Es ist nur bedauerlich, daß sich WHEWELL in seinem Philosophemen nicht immer genau an diese Formel gehalten hat.

Gewisse Modephilosophen behaupten, der ganze Weltprozeß wäre eigentlich nur dazu da, um den menschlichen Intellekt zuwege zu bringen. Sie wenden damit den Zweckbegriff, welcher nur bei biologischen Erscheinungen Geltung hat, auf die Erscheinung des Lebens selbst an, und indem sie den menschlichen Geist als Ziel und Zweck eines universellen Werdegangs preisen, illustrieren sie so recht das klassische "parturiunt montes, nascetur ridiculus mus" [Es kreißen die Berge, geboren wird eine lächerliche Maus. - wp]. Das Spiel wäre wahrhaftig die Kerze nicht wert. Die naive Teleologie vergangener Jahrhunderte hat gewähnt, die Welt sei nur für den Menschen geschaffen worden, die moderne hat sich von diesem Vorurteil ein wenig emanzipiert, sie hat aber doch der menschlichen Eitelkeit nicht das Weh antun können, den Zweckbegriff in seine natürlichen Grenzen einzuschränken. So wenig der Käse für die Milbe gemacht worden ist, die in ihm gedeiht, ist der Mensch Ziel des Weltprozesses, dessen Ergebnis er ist. Er ist eben nicht eine gewollte Wirkung, weil ein diese Wirkung wollender und demgemäß den menschlichen ähnlicher Wille abgesehen vom menschlichen Willen ohne eine anthropomorphistische Naturerklärung, wie sie bei den modernen Philosophen gebräuchlich ist, nicht angenommen werden kann.

Wenn wir uns von den Phantasien naturwissenschaftlich angehauchter Philosophen zu den Konzeptionen philosophisch gebildeter Naturforscher wenden, so gewahren wir eine andere und den Tatsachen viel entsprechendere Auffassung. Fassen wir ins Auge, daß nach den Anschauungen der modernsten Naturerklärer, unter denen HERBERT SPENCER hervorzuheben ist, die Entwicklung der Vitalität in einer immer größeren Anpassung an die Zwecke des Lebens besteht und diese Anpassung selbst als etwas dem Leben Förderliches mit einem Lustgefühl verbunden ist, so wird uns der Zusammenhang zwischen Zweckbewußtsein und Glücksgefühl deutlich. Der Kampf ums Dasein, welcher die Evolution der Lebewesen vermittelt, ist, von seiner psychologischen Seite aus gesehen, ein Kampf ums Glück. Der Begriff des Daseinskampfes wird gemeinhin zu eng begrenzt. Nach der nackten Existenz wird nur gestrebt, insofern sie Bedingung des Glücks ist. Es ist die Baufläche der Wohlfahrt, die der Mensch in ihr erlangt, und er entsagt dem Leben, also dem Dasein selbst, wenn er zur Überzeugung gelangt, daß er in demselben nicht glücklich zu werden vermag. Wäre das Ringen, das wir Leben nennen, wirklich nur ein Kampf um das Dasein allein, gälte es somit für jeden lediglich, seine notwendigen Lebensbedingungen zu erwerben, der größte Teil der wirtschaftlichen Phänomene wäre unerklärlich. Unerklärlich wäre es, daß ein Mann, hinter dem nicht die schwarze Sorge reitet, sich nicht der Seligkeit eines trägen Müßiggangs hingibt, sondern rüstig weiterschafft für Weib und Kind. Unerklärlich wäre der Luxus, ja undenkbar wäre es, daß Manche in Saus und Braus aufgehen lassen, was Andere vor der bittersten Not bewahren könnte. Unerklärlich wäre die Erzeugung, Verteilung und Konsumtion von Gütern, welche bestimmt sind, die Nerven in einen wohligen Zustand zu versetzen. Der Tabak fördert gewiß Keinen, der seine Zigarre schmaucht, im Kampf ums Dasein. Keiner trinkt den der Gesundheit eher schädlichen als förderlichen Alkohol in der Absicht, sich auf Erden zu behaupten, sondern nur, um einen flüchtigen Augenblick körperlichen Behagens zu erhaschen, das dem Gemüt ein Trugbild des Glückes vorspiegelt. Vom tröstenden Trunk hängt nur die Glücksempfindung, nicht aber das Dasein ab: wer sein Gläschen schlürft, ja wer ihm auch nur zulächelt, widerlegt die Theorie vom Kampf ums Dasein, indem er sie zu einem des Kampfs um das Glück erweitert. Und nicht nur die Tatsache des Luxus hebt diese Lehre aus den Fugen, sondern auch der Bestand altruistischer Gefühle und Handlungen.

Ginge es nur um den Kampf ums Dasein, so wäre das strafende Recht unerklärlich. Denn sofern dem Übeltäter das Übel der Gefangenschaft angedroht wird, ist eben von der Voraussetzung ausgegangen, daß der Mensch in dieser wohl sein Dasein, aber nicht sein Glück finden wird. Keiner begnügt sich ohne zwingendste Not mit einem Kerkerleben, obwohl es dem Verurteilten die Existenz gönnt. Willig unterzieht er sich der Sorge um das Notwendige, winkt ihm nur die Hoffnung, daß er auch des Überflüssigen teilhaftig werden kann.

Der Kampf ums Dasein ist so wenig die einzige Form des Lebenskampfes, wie der Belagerungskrieg die einzige Form des Krieges ist; wer belagert wird, ist schon halb besiegt; wer nur mehr um das nackte Dasein kämpft, der steht nicht mehr in der Offensive, sondern in der Defensive. Der Lebenskampf kann vom Mut der Verzweiflung und Erbitterung geführt werden, dann haben wir einen Kampf ums Dasein vor uns, er hat aber auch eine offensive Seite, es gibt in ihm auch Angreifer; im Kampf ums Dasein ringt daher der Mensch um das Glück; indem er über den Kampf um das bloße Dasein hinausstrebt, kämpft er wieder nur um das Glück. Er tut nichts anderes, er kann nichts anderes tun, als nach dem Glück zu streben. Denn nach dem Glück streben ist die Natur alles Lebendigen; nur dort, wo dieses Streben beengt ist, tritt es als Kampf ums Dasein in die tatsächliche Erscheinung.

Damit ist freilich nicht gesagt, daß der Mensch dazu auf der Welt ist, um glücklich zu sein. Diejenigen, die dergleichen behaupten wollten, würden sich einer lediglich teleologischen Anschauung schuldig machen. Aber wenn der Mensch auch nicht dazu auf der Welt ist, um glücklich zu werden, so handelt er doch so, wie wenn sein Leben diesen Zweck hätte. Das Glück ist somit in der Sprache KANTs kein konstitutives, sondern ein regulatives Prinzip des Lebens. Es ist ein Postulat, bestimmt, immer nur Postulat zu bleiben und nie Wirklichkeit zu werden. Ja, in dem Augenblick, in welchem es eine Tatsache würde, wäre es nicht mehr Tatsache, weil es nicht mehr es selbst, nicht mehr Postulat wäre.

Das Streben nach Glück, die Sehnsucht nach der Seligkeit, das Schmachten nach dem Heil ist eine Tatsache, nicht das Glück, nicht die Seligkeit, nicht das Heil. Glück! das ist der Stein der Weisen, welcher in den Schmelztiegeln der Deduktion und in den Retorten der Induktion unablässig gesucht wird. Glück! Das ist das Lebenselexier, nach welchem Arm und Reich, Alt und Jung, Weise und Toren die gierige Hand ausstrecken. Glück! Das ist das Zauberwort, das seit Aeonen jedes Herz höher schlagen, jede Brust tiefer atmen, jeden Blutstropfen rascher kreisen läßt. Was ist Gold? Man würde es verachten, würde man nicht die Überzeugung hegen, daß es ein Mittel zum Glück ist. Und darum gibt es im Grund nur eine Frage, welche den Menschen interessiert: das Glück. Mit dieser Frage hängen aber sehr viele zusammen. Die wichtigste derselben lautet: Wie ist das Glück möglich? Diese Erkenntnis ist die wichtigste, welche sich der Mensch auszudenken vermag. Ihr widmet sich der Philosoph; die Frage, wie wohl das Glück möglich wäre, ist ein Verlangen nach einer Erkenntnis; früh schon beantworten die Denker die Frage nach dem Glück dahin, daß es nur durch Erkenntnis möglich ist. So entsteht dann das große, heiße Verlangen nach Wissen, nach Erkenntnis, nach dem Erfassen der Welt, nach dem Begreifen all ihrer Erscheinungen. Der Mensch will sich alles erklären. Er ist bestrebt den Makrokosmos wie den Mikrokosmos zu beherrschen. Beherrschen! das heißt seinem Bedürfnis nach Glück dienstbar machen. Das Verlangen nach Glück gebiert die Philosophie wie diese die Wissenschaft.
LITERATUR Julius von Gans-Ludassy, Die wirtschaftliche Energie, Jena 1893