ra-2G. SchmollerF. LifschitzW. HasbachG. MyrdalL. Brentano    
 
ANTON von KOSTANECKI
Wirtschaftsdogmatik
und Wirtschaftsgeschichte


"Der Dogmatik, als dem Inbegriff wirtschaftlicher Systeme, als der nach geschlossenen Formen strebenden, und in diesem Sinne geschlossenen Disziplin stellt man die Wirtschaftsgeschichte als eine offene Disziplin, als eine die konkrete Wirklichkeit schildernde, in dieser Schilderung aufgehende Disziplin entgegen. In der wirtschaftlichen Dogmatik sieht man die ideale Verarbeitung des vorher vollständig beigebrachten Rohstoffs, in der Wirtschaftsgeschichte sieht man lediglich den Rohstoff."

"Da nämlich die Begriffsbildung darauf beruth, daß Vorstellungen, die gewisse ganz bestimmte Merkmale als gemeinsame Kennzeichen enthalten, miteinander zusammengeschlossen werden, was ohne eine, aus mehr oder weniger willkürlichen, subjektiven Gründen getroffene Auswahl der maßgebenden Merkmale ganz undenkbar wäre, während andererseits die Vorstellungsbildung (obwohl sie ansich gleichfalls subjektiv gefärbt ist) das objektive Rohmaterial der subjektiven Begriffsbildung aufbringt, so leuchtet es ein, man habe es bei der Begriffs bildung mit einem - seinem Wesen nach - durchaus subjektiven, bei der Vorstellungs bildung mit einem (in einer ganz bestimmten Beziehung) objektiven Verfahren zu tun."

"Der Naturforscher faßt, außer den Vorgängen selbst, die hinter den Vorgängen wahrnehmbaren Zustände ins Auge. Jene Vorgänge sucht er in immer einfachere, immer mehr mechanische, d. h. in bloßer Bewegung bestehende Vorgänge und schließlich in die Äußerungen irgendwelcher bewegender Kräfte zu zerlegen. Diese Zustände sucht er, indem er sie als das Beharren bestimmter Formen auffaßt, formal festzulegen und durch das Walten andersartiger Kräfte, Bildungskräfte, bildender Kräfte zu erklären."

Stellt man sich die Aufgabe, den wirtschaftlichen Wert vom Standpunkt der  geschichtlichen  Forschung zu behandeln, so kann man diese Aufgabe, da man ja den wirtschaftlichen Wert bisher nicht vom Standpunkt der geschichtlichen, sondern vom Standpunkt der  dogmatischen  Forschung zu behandeln pflegte, in präziserer Weise dahin formulieren, es gelte einen  Übergang  von der dogmatischen Wertforschung zur geschichtlichen Wertforschung zu finden.

Indessen darf man auch bei der so präzisierten Aufgabe noch nicht stehen bleiben. Die dogmatische Wertforschung ist nämlich so wenig etwas für sich Bestehendes, etwas Isoliertes, daß sie vielmehr ein lebendiges Glied der allgemeinen dogmatischen  Wirtschaftsforschung  darstellt. Neben der dogmatischen Wirtschaftsforschung gibt es aber eine  geschichtliche  Wirtschaftsforschung und von vornherein scheint ein einfacher Analogieschluß darauf hinzudeuten, es müsse auch ein lebendiger Zusammenhang zwischen dieser geschichtlichen Wirtschaftsforschung und der hier anzubahnenden geschichtlichen Wertforschung bestehen. Demgemäß gilt es also, die Beziehungen der dogmatischen Wirtschaftsforschung einerseits und der geschichtlichen Wirtschaftsforschung andererseits - sowohl ansich wie in ihrer spezifischen Bedeutung für das wirtschaftliche Wertproblem - zu klären. Es gilt, die wirtschaftliche Dogmatik und die Wirtschaftsgeschichte - in ihrem  Koordinations verhältnis, uns zwar unter voller Berücksichtigung des wirtschaftlichen Wertes - zu begreifen.

Damit erwächst aber eine ganz bestimmte Forderung, deren Erfüllung ohne eine genaueres Eingehen auf die literarische Entwicklung der Wirtschaftsordnung unmöglich zu erreichen wäre, die aber, sofern man die letztgenannte Bedingung erfüllt und die einschlägigen literaturgeschichtlichen Vorgänge heranzieht, wenn auch nicht zur Ermittlung eines einheitlichen, mittels einer einfachen Formel erschöpfbaren Prozesses, so doch zum Entwerfen des nunmehr zu schildernden Gesamtbildes anregt. -

Von jeher pflegt man die wirtschaftliche Literaturgeschichte in zwei verschiedene Perioden zu teilen: Die eine umfaßt das Altertum, das Mittelalter und die Neuzeit bis (einschließlich) zum Merkantilismus. Die andere umfaßt den Physiokratismus, den englischen Klassizismus oder Liberalismuns sowie alles, was sich hieran, direkt oder auch mittelbar, anschloß. Von jeher pflegt man im Merkantilismus den Endpunkt der vorbereitenden wirtschaftlichen  Versuche,  und im Physiokratismus bzw. im Klassizismus (Liberalismus) die beiden berechtigten Ausgangspunkte der eigentlichen Wirtschafts wissenschaft  zu sehen.

Frägt man nun, worin der Abstand jener Versuche von dieser Wirtschaftswissenschaft besteht, so ist zuletzt wohl Folgendes zu sagen.

Schon die wirtschaftlichen  Versuche  beschäftigen sich mit drei verschiedenen Arten von Begriffen: Erstens mit wirtschaftlichen Einzelbegriffen (z. B. mit dem Begriff des Geldes), zweitens mit dem Begriff des wirtschaftlichen Wertes und drittens mit dem Wirtschaftsbegriff (dem Begriff des Wirtschaftens, der Wirtschaftstätigkeit, der Wirtschaft). Es handelt sich hier jedoch um drei Begriffsarten, von denen die beiden ersten, als die primären, im Vordergrund der Behandlung stehen, während die Dritte im Hintergrund bleibt und weniger ausdrücklich als nur andeutend gepflegt wird: Während nämlich die wirtschaftlichen Einzelbegriffe als Selbstzwecke ins Auge gefaßt werden, und während man hier und da auch dem wirtschaftlichen Wertbegriff als solchem gerecht wird, kommt der Wirtschaftsbegriff ganz ausschließich als Mittel zur Geltung. Der Wirtschaftsbegriff hat eben die Plastik der wirtschaftlichen Einzelbegriffe zu steigern, oder er hat den wirtschaftlichen Wertbegriff in eine intensivere Beleuchtung zu rücken. Jenes, indem er die Einzelbegriffe perspektivisch zusammenfaßt, dieses, indem er das im wirtschaftlichen Wertbegriff implizit schon Enthaltene nunmehr auch explizit darlegt.

Dies änder sich nun, sobald die eigentliche Wirtschafts wissenschaft  emporkommt: Nunmehr wird der Wirtschaftsbegriff ebenfalls zum Selbstzweck. Nunmehr gestaltet man das Verhältnis des Wirtschaftsbegriffs zu den Einzelbegriffen und ebenso sein Verhältnis zum Wertbegriff derart aus, daß der Nachdruck nicht einseitig auf die Einzelbegriffe bzw. den Wertbegriff, sondern gleichmäßig auf die letztgenannten Begriffe -  und  den Wirtschaftsbegriff fällt. Nunmehr werden beide Seiten des Wirtschaftsbegriffs - diejenige, die er den Einzelbegriffen und diejenige, die er dem Wertbegriff zuwendet - nicht bloß gleichmäßig, sondern auch in der Weise "gleichzeitig" beachtet, daß der Wirtschaftsbegriff, als Ganzes, zu einem zentralen Bindeglied zwischen den Einzelbegriffen und dem Wertbegriff erstarkt, und daß ein in sich geschlossenes Schema von wirtschaftlichen Begriffen entsteht.

In letzter Linie ist es also das Verhältnis des Wirtschaftsbegriffs zu den Einzelbegriffen, bzw. zum Wertbegriff, dem, dank der Wirtschaftswissenschaft, eine vollkommenere Behandlung zuteil wird.

Im Wirtschaftsbegriff wird eben nunmehr nicht bloß ein Mittel gesehen, das die einzelnen wirtschaftlichen Einzelbegriffe perspektivisch zusammenfaßt und das den wirtschaftlichen Wertbegriff beleuchtet, sondern man sieht in ihm kurzweg den  "allgemeinen  Begriff", der hinter den Einzelbegriffen als individuellen Begriffen versteckt ist, und andererseits den  "weiteren  Begriff", der sich um den wirtschaftlichen Wertbegriff als eine Art engerer Kernbegriff lagert. -

Allerdings sind nun die beiden mit diesen Schlagworten festgelegten Anschauungen nicht ganz voraussetzungslos.

Im erstgenannten Fall setzt man nämlich voraus, daß der Wirtschaftsbegriff nicht bloß das begriffliche Spiegelbild der Wirtscahft, des Wirtschaftens bildet, sondern daß er auch als adäquater Ausdruck des der Wirtschaft Entsprechenden, der Wirtschaft Gemäßen erscheint, als adäquater Ausdruck des  "Wirtschaftlichen",  das eben allen wirtschaftlichen Einzelbegriffen als integrierender Bestandteil innewohnt und das Gemeinsame, das Allgemeine der Begriffe ausmacht.

Im letztgenannten Fall setzt man aber voraus, daß zwischen dem Wirtschaftsbegriff und dem Wertbegriff eine höchst auffällige Beziehung steht, eine Beziehung, die ihre präziseste Formulierung in dem Satz "ohne Werten keine Wirtschaften" findet. Läßt man nämlich diese Beziehung voll zur Geltung kommen, so verfährt man offenbar nur ganz folgerichtig, wenn man im Wertbegriff den  Grundbegriff,  im Wirtschaftsbegriff den von diesem Grundbegriff abgeleiteten Begriff sieht und wenn man schließlich den Wertbegriff (als engeren Kernbegriff) in die weitere, ausgedehnte Sphäre des Wirtschaftsbegriffs hineinträgt.

Trotzdem sie nicht voraussetzungslos sind, haben jedoch die in Rede stehenden Anschauungen, da sie sich ja allgemeiner Anerkennung erfreuen und mit der Zeit auch ganz geläufig wurden, etwas Zwingendes und Selbstverständliches, ganz nach einer Art von Axiomen, an sich, - und im Hinblick darauf ist man versucht, sich den Sachverhalt geradezu  graphisch  vorzustellen, indem man sich die wirtschaftlichen Einzelbegriffe als Kreise denkt, die durchweg von einem Kreis  A  geschnitten werden, indem man sich den wirtschaftlichen Wertbegriff als einen Kreis denkt, der von demselben Kreis  A,  als einem größeren, konzentrischen Kreis, umgeben wird, und indem man den zweifach genannten Kreis  A  als eine Verkörperung des Wirtschaftsbegriffs - in seiner doppelten Beziehung zu den Einzelbegriffen und zum Wertbegriff - auslegt.

In diesem graphischen Bild erhält dann das der Wirtschaftswissenschaft eigentümliche Begriffsschema seinen adäquaten Ausdruck: Der Wirtschaftsbegriff als ein Kreis, der die den Einzelbegriffen entsprechenden Kreise durchgängig schneidet und den dem Wertbegriff entsprechenden Kreis konzentrisch umzeichnet - dies ist, in letzter Linie, der  Sinn der dem einheitlichen, von den wirtschaftlichen Versuchen vorbereiteten, von der Wirtschaftswissenschaft endgültig geschaffenen Begriffsschema zukommt.

Mit diesem Sinn steht nun aber auf das Innigste die praktische  Bedeutung  des in Rede stehenden Schemas in Verbindung. Auch hier kann man nur dann zu einem tieferen Verständnis gelangen, wenn man von den ursprünglich gegebenen Kreisen - den wirtschaftlichen Einzelbegriffen und dem Wertbegriff als dem jene Kreise durchweg schneidenden bzw. umgebenden Kreis vorwärtsschreitet.

Was nämlich erstens die Einzelbegriffe anbelangt, so sind es zunächst  Vorstellungen die das Rohmaterial der Begriffe ausmachen und die - mittels Zusammenschließung derjenigen Vorstellungen, die gleichmäßig gewisse ganz bestimmte Merkmale enthalten - allmählich, Schritt für Schritt, zu Begriffen verarbeitet werden. Man schließt eben, sofern man es beispielsweise mit dem Geldbegriff zu tun hat, die Vorstellungen verschiedener materieller Objekte zusammen, die gewisse verkehrsmäßige Funktionen, allen voran die Funktion von Tauschmitteln ausüben, und man umschreibt nun den Geldbegriff dahin, das Geld sei ein materieller Gegenstand, der als Tauschmittel etc. dient. - Wie man sieht, wird also hinsichtlich eines jeden wirtschaftlichen Einzelbegriffs ein Prozeß vollzogen, der von den Vorstellungen zum Begriff hinaufführt, und der somit als ein Begriffs bildungs prozeß zu bezeichnen wäre.

Was, zweitens, den Wertbegriff anbelangt, so bringt man diesen Begriff mit einem anderen Begriff, nämlich mit dem  Arbeits begriff in Verbindung, und zwar präzisiert man die Verbindung dahin, daß der Wertbegriff auf den Arbeitsbegriff zurückzuführen, daß "Wert Arbeit ist", - und man tut all das in der, wenngleich nicht ausdrücklich ausgesprochenen, so doch deutlich erkennbaren Absicht, den Wertbegriff, als einen unbekannten Begriff, als die "Unbekannte" in eine ganz bestimmte Gleichung zum Arbeitsbegriff, als der "Bekannten", als einem bekannten Begriff zu bringen, und so jene Unbekannte durch diese Bekannte, jenen unbekannten durch diesen bekannten Begriff zu ersetzen. Man tut es in der Absicht, den erstgenannten, unbekannten Begriff, die Unbekannte, auf diese Weise zu "bestimmen", - und demnach muß man sagen, daß man hinsichtlich des Wertbegriffs ein Begriffs bestimmungs verfahren vollzieht.

Was nun endlich - drittens - den Wirtschaftsbegriff und dessen gleichzeitige Beziehung zu den Einzelbegriffen sowie zum Wertbegriff anlangt, so ist, ganz naturgemäß, zweierlei zu trennen.

Einerseits die Beziehung, wodurch der Wirtschaftsbegriff mit den Einzelbegriffen verknüpft wird: Insofern nämlich diese Beziehung in Betracht kommt, handelt es sich um einen allgemeinen Begriff, der individuelle Begriffe voraussetzt, und man sucht nun das Allgemeine mit dem Individuellen - da ja der Zusammenhang jedes Allgemeinen und jedes Individuellen ein denkmäßiger ist, und das Denken sich an das Verhältnis von Bedingung und Folge (das principium cogitandi) anlehnt, - nun bestimmter derart zu verknüpfen, daß man im Allgemeinen, dem Wirtschaftsbegriff, die  Bedingung  des Individuellen, des wirtschaftlichen Einzelbegriffs nachweist. Man sucht also beispielsweise darzulegen, wie es die Natur der Wirtschaftstätigkeit, der Wirtschaft mit sich bringt, daß - unter gewissen Umständen - die Geldinstitution, das Geld zur Entstehung kommt. Man sucht die Merkmale des Geldbegriffs, also vor allem die Funktion des Geldes als Tauschmittels - oder vielmehr gewisse keimartige Ansätze, die nach und nach zu jenen Merkmalen erstarkten, sozusagen den "Keim" des Geldes als Tauschmittels - schon im Wirtschaften als solchem, schon in der allgemeinen Psychologie der Wirtschaftstätigkeit zu finden.

Andererseits die Beziehung des Wirtschaftsbegriffs zum Wertbegriff: Insofern nämlich diese Beziehung in Betracht kommt, steht ein weiterer Begriff einem engeren (Grund-, Kern-) Begriff gegenüber, und man sucht nun das Weitere mit dem Engeren derart zu verknüpfen, daß man das Engere gleichsam als den Brennpunkt auffaßt, - als den Brennpunkt, der helle Strahlen auf das Weitere zurückwirft. - Aus der Erkenntnis, daß man den Wertbegriff auf den Arbeitsbegriff zurückführen muß, daß "Wert Arbeit sei", wird nun gefolgert, daß auch der Wirtschaftsbegriff ohne eine Heranziehung des Arbeitsbegriffs notwendig  unverständlich  bleibt, daß die Arbeitsverhältnisse auch über die Gestaltung der Wirtschaft, der Wirtschaftstätigkeit entscheiden.

Einerseits wird also im Wirtschaftsbegriff die  Bedingung  gesehen, zu der sich die wirtschaftlichen Einzelbegriffe als Folgen verhalten; andererseits wird aber der Wirtschaftsbegriff mittels des - hinter dem Wertbegriff auftauchenden - Arbeitsbegriffes  durchleuchtet. 

Nun sind es ja - der Tatsache entsprechend, daß es nicht zwei verschiedene Wirtschaftsbegriffe, sondern zwei Seiten desselben Wirtschaftsbegriffes gibt - nicht etwa zwei parallele, miteinander außerhalb eines Zusammenhangs stehende Operationen, worum es sich handelt, - denn die Durchleuchtung des Wirtschaftsbegriffs mittels des Arbeitsbegriffs kommt gerade dort in Anwendung, wo es auf die Herleitung der wirtschaftlichen Einzelbegriffe oder - um beim eben gewählten Beispiel zu bleiben - auf die Herleitung des Geldbegriffs aus dem Wirtschaftsbegriff ankommt. Insbesondere tritt jene Durchleuchtung derart in Erscheinung, daß man, nachdem man die Wirtschaftsverhältnisse auf die Arbeitsverhältnisse zurückgeführt hat, innerhalb dieser Arbeitsverhältnisse diejenigen Vorgänge beachtet, welche - wie etwa die vergleichende Gegenüberstellung der verschiedenen materiellen Gegenständen entsprechenden Arbeitsmengen, die schon innerhalb der Einzelwirtschaft möglich ist und die dann beim Tausch gleichsam "aktuell" wird - unter gewissen konkreten Umständen den Tausch ermöglichen und weiter das Geld als allgemeines Tauschmittel erschaffen.

Indessen läßt es sich nicht verhehlen, daß, obwohl beide Operationen in der Regel ineinandergreifen, doch nur die erstbehandelte - die Verknüpfung des Wirtschaftsbegriffs mit den Einzelbegriffen - eine direkte Würdigung gestattet.

Der Verknüpfung des Wirtschaftsbegriffs - als Bedingungn - mit den wirtschaftlichen Einzelbegriffen - als Folgen - ist ja, da die Folgen schon implizit in der Bedingung enthalten sind und nur noch explizit formuliert zu werden brauchen, naturgemäß ganz derselbe Erfolg zuzusprechen, als wenn alles in jenem Wirtschaftsbegriff Enthaltene nunmehr explizig zum Ausdruck käme, oder - mit anderen Worten - als wenn man den Wirtschaftsbegriff aufschlösse, als wenn man denselben zur  Entfaltung brächte.  Offenbar bildet also die in Rede stehende Operation das dritte Glied einer innig zusammengehörenden, in sich geschlossenen Reihe: Wie der wirtschaftliche Einzelbegriff auf einen Begriffs bildungs prozeß als seine Ursache zurückweist, wie der Wertbegriff von einem Begriffs bestimmungs verfahren erfaßt wird, so kennt der Wirtschaftsbegriff einen eigentümlichen Prozeß, der im Grunde auf ein Begriffs  entfaltungs verfahren hinausläuft.

Was hingegen die andere Operation, die Durchleuchtung des Wirtschaftsbegriffs mittels des Arbeitsbegriffs angeht, so kann ein direkter Anschluß an die Begriffsbildung, bzw. Begriffsbestimmung nicht gefunden werden. - Wie hat man sich aber demgegenüber die Bedeutung dieser Operation, ihre Rolle und ihre Tragweite zu denken? -

Man muß sich vorstellen, daß die Durchleuchtung des Wirtschaftsbegriffs mittels des Arbeitsbegriffs, die mit der Herleitung wirtschaftlicher Einzelbegriffe aus dem Wirtschaftsbegriff, oder - was dasselbe ist - mit der "Entfaltung" des Wirtschaftsbegriffs zu einem einheitlichen Gesamtverfahren zu verschmelzen pflegt, - nun auch geradezu als ein spezielles Hilfsmittel dieser, auf die Begriffsbildung, bzw. Begriffsbestimmung zurückweisenden und als Selbstzweck betriebenen Begriffsentfaltung in Erscheinung tritt. Man muß sich vorstellen, daß diese Begriffsentfaltung - eben weil sie viel komplizierter ist als die Begriffsbestimmung und die Begriffsbildung, eben weil sie irgendeinen Leitfaden, irgendeine Grundlage erfordert - notwendig eines besonderen  Kunstgriffes  bedarf, und daß der Kunstgriff gerade in der Durchleuchtung des Wirtschaftsbegriffs mittels des Arbeitsbegriffs besteht. Denn soviel ist klar: wenn der zu entfaltende Wirtschaftsbegriff mittels des Arbeitsbegriffs erhellt wird, ist jener Leitfaden, jene Basis für die Entfaltung des Wirtschaftsbegriffs gewonnen. Nunmehr kann die Verknüpfung des Wirtschaftsbegriffs mit den Einzelbegriffen nicht mehr irregehen. Sie braucht sich nur in der Weise, wie oben für den Geldbegriff angedeutet, an die Arbeitsverhältnisse und Arbeitsvorgänge zu halten. -

Nach diesen Ausführungen darf man also die praktische Bedeutung des oben festgelegten wirtschaftswissenschaftlichen Begriffsschemas dahin formulieren, daß es sich, der begrifflichen Dreiheit: wirtschaftliche Einzelbegriffe, Wertbegriff und Wirtschaftsbegriff entsprechend, um Begriffsbildung, Begriffsbestimmung und Begriffsentfaltung, also um drei untereinander verwandte, gleichsam zu einer geschlossenen Reihe verschmelzende Tätigkeit handelt, daß indessen die letztgenannte Begriffsentfaltung erst dank einem eigentümlichen Hilfsverfahren - der Durchleuchtung des Wirtschaftsbegriffs mittels des Arbeitsbegriffs - eine sichere Basis, einen brauchbaren Leitfaden gewinnt. -

Nun muß aber eine derartige Verbindung der Begriffsbildung. Begriffsbestimmung und Begriffsentfaltung als eine harmonisches Ganzes, als  System  erscheinen, und demgemäß läßt sich die eben gegebene Formulierung zu einem ganz bestimmten Ergebnis verdichten: Zu dem Ergebnis, daß der Übergang von den wirtschaftlichen Versuchen zur eigentlichen Wirtschaftswissenschaft zugleich das entscheidende Ereignis in der  Entwicklung des wirtschaftlichen Systems  bedeutet.

In diesem Satz, in dieser Betonung des wirtschaftlichen Systems und seiner Entwicklung, ist dann auch die  Quintessenz  der ganzen bisherigen Darstellung zu sehen.

Die Quintessenz und auch die  Kritik,  denn der in Rede stehende Satz braucht nur ausgesprochen zu werden, damit man die Notwendigkeit einer ganz bestimmten, seine Tragweite einschränkenden Ergänzung erkennt:

Allerdings ist die Entwicklungsgeschichte des wirtschaftlichen Systems für einen sehr bedeutsamen Vorgang zu erachten. Allerdings kann man in jener Entwicklung den tieferen Sinn, die treibende Kraft der bisherigen wirtschaftlichen Literaturgeschichte als einer einheitlichen Gesamtströmung sehen, - aber man darf hierbei doch nicht stehen bleiben. Denn man muß andererseits berücksichtigen, daß sowohl die vorbereitenden wirtschaftlichen Versuche wie die eigentliche Wirtschaftswissenschaft eine Fülle von Momenten aufweisen, die mit der allmählichen Vorbereitung und dem endgültigen Zustandekommen des wirtschaftlichen Systems - wie beides eben geschildert wurde - nur in einem ganz losen Zusammenhang stehen. Man muß berücksichtigen, daß sowohl jene Versuche wie diese Wirtschaftswissenschaft eine Menge von  Tatsachen eine Menge von Beobachtungsresultaten bringen, die sich dem durch die Begriffsbildung, Begriffsbestimmung und Begriffsentfaltung gezogenen Rahmen bestenfalls als Beispiele, als illustrierendes Beiwerk anbequemen, während sie sonst - mögen sie nun der Frage: wie es sein soll? oder der Frage: wie es ist? unterstellt werden; mögen sie also als praktische Vorschriften maskiert werden als als nackte, reine Erfahrungssätze in Erscheinung treten - jenen Rahmen entweder ignorieren oder ganz bewußt durchbrechen. Man muß, mit einem Wort, berücksichtigen, daß da ein reichhaltiger Tatsachenstoff ist, ein ergiebiger Beobachtungsvorrat, der durchweg einen konkreten Hintergrund abgibt, der jedes dieser Systeme zu einer relativen, bedingten Erscheinungsform stempelt, - und der nun auch dazu einlädt, daß man ihn aus dem Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Systemen  erlöst. 

Diese  Erlösung  wurde dann auch effektiv vollzogen. - Während man nämlich die wirtschaftlichen Systeme als solche beiseite schob, während man sie - als wären sie etwas Fertiges, Starres - zum Gegenstand retrospektiver Betrachtungen machte, hat man dem Hintergrund dieser Systeme, dem in ihnen enthaltenen Beobachtungsvorrat, eine neue - sehr weittragende und sehr fruchtbare Anregung entnommen: Was bisher nur stoßweise, und darum nur unvollkommen vor sich ging, das sollte nunmehr eine einheitliche, planmäßige Fortsetzung erfahren. Auf das bruchstückweise Zusammentragen wirtschaftlicher Tatsachen, das mehr oder weniger von Zufällen, von der Willkür abhing, sollte eine durchaus folgerichtige, als Selbstzweck betriebene Beobachtung folgen.

Auf diese Weise entstand die Idee wirtschaftsgeschichtlicher Forschungen, die dann zur Begründung der  Wirtschaftsgeschichte  als einer gesonderten Disziplin geführt hat.

Ihrer Entstehung gemäß ist diese Wirtschaftsgeschichte stets eine ergänzende Disziplin, ein Gegenstück zu etwas Anderem, den wirtschaftlichen Systemen geblieben - und äußerlich kam dieser Sachverhalt auch darin zum Ausdruck, daß man die letztgenannten Systeme unter der Gesamtbezeichnung einer wirtschaftlichen  Dogmatik  zusammengefaßt und in einen bewußten - oft in einen Kampf ausartenden - Gegensatz zur wirtschaftlichen  Geschichte,  zur Wirtschaftsgeschichte gebracht hat.

Aber auch die Art und Weise, wie man diesen Gegensatz ursprünglich auffaßte, und wie man ihn auch späterhin, ja mitunter selbst heute noch auffaßt, - auch diese Art und Weise kann man nur im Hinblick auf jene Entstehung begreifen: Der Dogmatik, als dem Inbegriff wirtschaftlicher Systeme, als der nach geschlossenen Formen strebenden, und in diesem Sinne "geschlossenen" Disziplin stellt man die Wirtschaftsgeschichte als eine "offene" Disziplin, als eine die konkrete Wirklichkeit schildernde, in dieser Schilderung aufgehende Disziplin entgegen. In der wirtschaftlichen Dogmatik sieht man die ideale  Verarbeitung  des vorher vollständig beigebrachten Rohstoffs, in der Wirtschaftsgeschichte sieht man lediglich den  Rohstoff. 

Und doch braucht man nur einen flüchtigen Blick auf die sukzessive Entwicklung der Wirtschaftsgeschichte, auf ihre Errungenschaften und ihr Forschungsgetriebe zu werfen, um sich davon zu überzeugen, daß die soeben festgelegte Auffassung schon längst überholt ist. Wenn nämlich auch die Uranfänge der Wirtschaftsgeschichte in mancher Beziehung einer Materialiensammlung, einer Sichtung und Zurechtlegung dieser Materialien ähneln, so ist es doch klar, daß sich die hieran anknüpfende Weiterentwicklung als das immer deutlichere Eingreifen ganz bestimmter idealer Gesichtspunkte darstellt, und zwar als das Eingreifen idealer Gesichtspunkte, die den auf Seiten der Dogmatik wahrgenommenen durchaus ebenbürtig scheinen, und die die Wirtschaftsgeschichte - ganz wie die wirtschaftliche Dogmatik - zu einer geschlossenen, für die systematische Form empfänglichen Disziplin gestalten.

Die Richtigkeit dieser Wahrnehmung vorausgesetzt, hätte man also, anstatt die wirtschaftliche Dogmatik - als den Inbegriff wirtschaftlicher Systeme, als "geschlossene" Disziplin, als verarbeiteten Stoff - und andererseits die Wirtschaftsgeschichte - als "offene" Disziplin, als rohen Stoff - in einen entschiedenen Gegensatz zu bringen, vielmehr die wirtschaftliche Dogmatik und die Wirtschaftsgeschichte - als Disziplinen, die beiderseits der systematischen Geschlossenheit zustreben und darum gleichmäßig als geschlossene Disziplinen, als "verarbeiteter Stoff" zu bezeichnen wären - mit weit größerem Recht zu  koordinieren. 

Frägt man aber zuvor, inwiefern die Richtigkeit der besagten Wahrnehmung und damit auch die Zulässigkeit der ein solches Koordinationsverhältnis statuierenden Auffassung nun auch wirklich beweisbar erscheint, - so muß man vorab feststellen, daß beides, insbesondere aber der tiefere Einblick in das hier obwaltende Koordinationsverhältnis durch gewisse äußerliche Umstände erschwert wird. Insbesondere ist es die Weitschichtigkeit und Kompliziertheit des wirtschaftsgeschichtlichen Materials, die in dieser Beziehung äußerst störend eingreift, indem sie das bei der Dogmatik klar vor Augen Liegende bei der Wirtschaftsgeschichte verwischt und verschleiert. - Indessen lassen sich diese Schwierigkeiten, trotz allem, soweit überwinden, daß das in Rede stehende Koordinationsverhältnis - wenn auch erst allmählich, so doch bestimmt - in seinem Umrissen hervortritt:

Zunächst kommt bei der Wirtschaftsgeschichte etwas zum Vorschein, was sich deutlich als ein Gegenstück zu der auf Seiten der Dogmatik üblichen Begriffsentfaltung, als ihr Analogon kundgibt. Wir nämlich die letztgenannte Begriffsentfaltung darin bestand, daß der Wirtschaftsbegriff - als Bedingung - mt den wirtschaftlichen Einzelbegriffen - als Folgen - verknüpft wurde, wie sie also schließlich auf einem Verfahren nach Maßgabe einer ganz bestimmten Sonderform des zureichenden Grundes (und zwar, wie oben betont, des  principium cogitandi,  der dem Denken eigentümlichen Sonderform) beruhte - so bildet die Wirtschaftsgeschichte (wie überhaupt jede Geschichte) ein Verfahren aus, das sich nach einem ganz anderer Verhältnis von Ursache und Wirkung, es gilt das  principium fiendi  [Prinzip des Werdens - wp], die dem Geschehen eigentümliche Sonderform des zureichenden Grundes: Sowohl die Wirtschaftsgeschichte wie jede andere Geschichte verfährt notwendig  kausal

Hierzu tritt aber sofort etwas anderes hinzu, etwas, das ein Gegenstück zu dem die dogmatische Begriffsentfaltung ergänzenden Hilfsverfahren ausmacht, oder das - vorsichtiger ausgedrückt - durch eine derartige Parallele in eine äußerst interessante Beleuchtung gerückt wird. - Wie nämlich, auf Seite der Dogmatik, die Verknüpfung des Wirtschaftsbegriffs - als Bedingung - mit den wirtschaftlichen Einzelbegriffen - als Folgen - einer sicheren Basis, eines bestimmten Leitfadens bedurfte, und die Basis erst dadurch erlangt wurde, daß man den Wirtschaftsbegriff mittels des Arbeitsbegriffs erhellte - so bedarf auch die wirtschaftsgeschichtliche Kausalforschung (worin sie hinwiederum jeder anderen geschichtlichen Kausalforschung ähnelt) eines ganz ähnlichen Leitfadens, einer ganz ähnlichen Basis. Sie bedarf ihrer, um sich in der unendlichen Anzahl von ansich möglichen Kausalurteilen zu orientieren, um sich in ihnen nicht ganz zu verlieren.

Mit diesem Bedürfnis taucht nun aber eine Forderung auf, die erst durch das gleichzeitig eingreifende Streben nach einer abgerundeten wirtschaftsgeschichtlichen  Darstellung  (oder, allgemeiner, nach einer abgerundeten geschichtlichen Darstellung) erfüllt wird. Denn jede geschichtliche Darstellung enthält die Erzählung bestimmter Vorgänge, die mit künstlerischem Takt ausgewählt und von anderen, weniger bedeutsamen, losgerissen werden: Offenbar wird also das Streben nach jener Darstellung gerade in diesem Auswählen, in diesem Losreißen - oder kurz in einem "Hervorheben" - ganz bestimmter Vorgänge bestehen. Da nun aber jeder Vorgang schließlich eine Ursache und eine Wirkung aneinander kettet, da er also, im Grunde, ein Kausalurteil einhüllt und verkörpert, so muß neben dem Hervorheben eines jeden Vorgangs die Frage nach dem ihm zugrunde liegenden kausalen Urteil einhergehen, - und damit ist die gesuchte Basis, ist der gesuchte Leitfaden für die Auffindung solcher Urteile gefunden. -

Dies sind die beiden Momente, wo die Analogie zwischen wirtschaftlicher Dogmatik und Wirtschaftsgeschichte am bestimmtesten und am deutlichsten hervortritt. Doch kann man diese Analogie auch noch weiterspinnen.

Wie die dogmatische Begriffsentfaltung sich auf die Begriffsbildung aufbaut, und zwar auf die Begriffsbildung, die die wirtschaftlichen Einzelbegriffe zum Ziel hat, so darf man sagen, daß die der Wirtschaftsgeschichte und jeder anderen Geschichte eigentümliche Formulierung von Kausalurteilen an ein primäres, ihr in der Zeit vorangehendes Urverfahren anknüpft, - denn offenbar können Vorstellungen nach Maßgabe des Verhältnisses von Ursache und Wirkung erst dann verknüpft werden, wenn zuvor jene Vorstellungen sorgfältig gebildet, d. h. als solche herausgehoben und von fremden Bestandteilen völlig befreit werden: In letzter Linie muß eben jede geschichtliche Kausalforschung auf der  Vorstellungsbildung,  auf der Bildung bestimmter Vorstellungen fußen.

Und weiter: Wie die Durchleuchtung des Wirtschaftsbegriffs mittels des Arbeitsbegriffs sich an die Verknüpfung des Wertbegriffs mit dem Arbeitsbegriff anlehnt, so scheint die künstlerisch gefärbte Darstellung, wie sie seitens der wirtschaftsgeschichtlichen und überhaupt der geschichtlichen Forscher durchgängig erstrebt wird, eine gewisse ergänzende Darstellung zu erfordern, - eine ergänzende Darstellung, die nicht Vorgänge, sondern das komplementäre Gegenstück der Vorgänge, insbesondere die Zustände festzulegen hätte, und die darum nicht erzählen, sondern  schildern  würde. - Auch ein derartiger "schildernder Exkurs" nicht selten direkt nachgewiesen werden. Zuweilen verteilt er sich allerdings auf die einzelnen erzählenden Teile und geht fast völlig im Strom der Erzählung unter. In anderen Fällen ist aber die Grenze, die ihn von der Erzählung scheidet, in jeder Hinsicht deutlich wahrzunehmen, und dann kann man bemerken, daß er der Erzählung - als eine Art Einleitung - meistenteils vorangeht. Ja, man kann sogar sagen, daß man ganz allgemein dazu neigt, den Leser durch eine schildernde Einleitung auf die Erzählung vorzubereiten, ihn durch die Einleitung erst in die richtige Stimmung zu versetzen, und daß diese Neigung den keimartigen Ansatz zu einer ständigen Sitte, zu einer festen Gewohnheit enthält: Zu der Gewohnheit, der eigentlichen, Vorgänge erzählenden Darstellung eine Darstellung voranzuschicken, die Zustände schildert. -

Hiernach wäre das Verhältnis der wirtschaftlichen Dogmatik und der Wirtschaftsgeschichte dahin zu bestimmen:

Während die Dogmatik von einer - hinsichtlich der wirtschaftlichen Einzelbegriffe vollzogenen - Begriffsbildung sowie einer - hinsichtlich des wirtschaftlichen Wertbegriffs vollzogenen - Begriffsbestimmung ausgeht, und darauf - indem sie gleichzeitig den Wirtschaftsbegriff mittels des Arbeitsbegriffs durchleuchtet - zu einer - hinsichtlich des Wirtschaftsbegriffs vollzogenen und nach Maßgabe des Verhältnisses von  Bedingung und Folge  durchgeführten - Begriffsentfaltung emporsteigt, - pflegt die Wirtschaftsgeschichte, wie jede andere Geschichte, derart zu verfahren, daß sie  kausale  Urteile formuliert, die im engsten Zusammenhang mit der erzählenden Darstellung von Vorgängen stehen, und daß sie die Formulierung von Kausalurteilen auf die Bildung bestimmter Vorstellungen, die erzählende Darstellung von Vorgängen auf eine schildernde Darstellung von Zuständen aufbaut.

Man sieht aus dieser Zusammenstellung, daß man es in der Tat - wie schon oben angedeutet worden ist - sowohl bei der wirtschaftlichen Dogmatik wie bei der Wirtschaftsgeschichte mit einer "geschlossenen Disziplin" zu tun hat. Man sieht aber auch, der letztgenannte Ausdruck bedeutet - je nachdem man ihn auf Dogmatik oder Geschichte anwendet - keineswegs dasselbe. Bei der Dogmatik handelt es sich um ein ganz bestimmtes Schema. Ein Schema, das sich aus den wirtschaftlichen Einzelbegriffen, dem Wertbegriff und dem Wirtschaftsbegriff zusammensetzt und innerhalb dessen die Begriffsbildung, die Begriffsbestimmung, die Begriffsentfaltung und das diese Begriffsentfaltung fördernde Hilfsverfahren - also eine Vielheit organisch zusammengehöriger, auf das Schema zurückweisender Prozeduren - aufkommt. Bei der Geschichte ist aber ein derartiges Schema nirgends zu entdecken. Auch der Wirtschaftshistoriker vollzieht eine Vielheit von Prozeduren, die zu einem einheitlichen Verfahren verschmelzen, aber es ist nicht das feste Rückgrat eines schematischen Gerüstes, dem jene Prozeduren ihre Einheitlichkeit danken: Vielmehr sind es durchweg "freie" Operationen, die sich in freier Willkür zum Ganzen verknüpfen. -

Wenn also auch beide, die wirtschaftliche Dogmatik und die Wirtschaftsgeschichte, geschlossene Disziplinen genannt werden müssen, so ist es doch klar, daß dies bei der gebundenen Dogmatik in einem höheren Grad als bei der freien Geschichte der Fall ist, - und in diesem Sinne wird man bei der Dogmatik von einem "starken" (sich an Begriffe anlehnenden), bei der Geschicht von einem "schwachen" (dieser Anlehnung entbehrenden) System sprechen müssen. -

Sieht man jedoch von diesem Unterschied ab, und versucht man, indem man die beiden Systeme als ebenbürtig koordiniert, dieses  Koordinations verhältnis in abstrakter Weise festzuhalten, - so drängen sich Erwägungen auf, die zu den folgenden Hauptsätzen gerinnen:

Ganz klar ist das Koordinationsverhältnis, wo es sich um das Nebeneinander der - hinsichtlich der wirtschaftlichen Einzelbegriffe vollzogenen - Begriffsbildung und der Vorstellungsbildung - als des von der Kausalforschung vorausgesetzten Urverfahrens - handelt. Da nämlich die Begriffsbildung, wie oben gezeigt, darauf beruth, daß Vorstellungen, die gewisse ganz bestimmte Merkmale als gemeinsame Kennzeichen enthalten, miteinander zusammengeschlossen werden, was ohne eine, aus mehr oder weniger willkürlichen, subjektiven Gründen getroffene Auswahl der maßgebenden Merkmale ganz undenkbar wäre, während andererseits die Vorstellungsbildung (obwohl sie ansich gleichfalls subjektiv gefärbt ist) das objektive Rohmaterial der subjektiven Begriffsbildung aufbringt, so leuchtet es ein, man habe es bei der  Begriffs bildung mit einem - seinem Wesen nach - durchaus  subjektiven,  bei der  Vorstellungs bildung mit einem (in einer ganz bestimmten Beziehung)  objektiven  Verfahren zu tun.

Ganz klar ist auch das Koordinationsverhältnis, sofern es sich einerseits um die dogmatische - hinsichtlich des Wirtschaftsbegriffs und nach Maßgabe des Verhältnisses von Bedingung und Folge vollzogene - Begriffsentfaltung, und andererseits um die wirtschaftsgeschichtliche Kausalforschung handelt. Da nämlich das Verhältnis von Bedingung und Folge - als Prinzip des Denkens - mit der subjektiven menschlichen Geistestätigkeit zusammenhängt, während das (ansich gleichfalls subjektiv gefärbte) Verhältnis von Ursache und Wirkung - als Prinzip des Geschehens - damit zusammenhängt, was jene Geistestätigkeit als objektiv gegebenes Material behandelt, so wäre das Verhältnis von Bedingung und Folge als ein durchaus  subjektives,  das Verhältnis von Ursache und Wirkung als ein (in einer ganz bestimmten Beziehung)  objektives  Prinzip zu bezeichnen.

Bis hierher würde es sich also um eine Koordination zweier - grundverschiedener, aber doch zusammengehöriger, weil folgerichtigt zusammengefügter - Phänomene handeln. Auf Seiten der Dogmatik kommt eine - im doppelten Sinne - durchaus subjektive, auf Seiten der Wirtschaftsgeschichte eine (trotz aller subjektiven Färbung) in doppelter Beziehung objektive Erkenntnis zum Vorschein, - und so ist es dann schließlich ein einheitlicher - seinem Wesen nach  erkenntnistheoretischer - Gegensatz, der bei den beiden bisher besprochenen Koordinationsverhältnissen eingreift.

Etwas schwieriger wird jedoch die Aufgabe, sobald man an den folgenden Sachverhalt herangeht:

Einerseits wird der Wertbegriff auf den Arbeitsbegriff zurückgeführt und es wird der Wirtschaftsbegriff mittels dieses Arbeitsbegriffs durchleuchtet. Andererseits wird eine schildernde Darstellung wirtschaftlicher Zustände gegeben, und diese Schilderung hat die Wege der erzählenden, wirtschaftlichen Vorgänge betreffenden Darstellung zu ebnen. - Inwiefern ist nun ein Gegensatz der ansich disparaten Tatsachen vorhanden? Wo ist der Gesichtspunkt, dem sie gleichmäßig entsprechen? -

Die Fragen lassen sich nur beantworten, wenn man - als Analogon - die wissenschaftliche Werkstatt eines ganz anderen Gebietes, des  naturwissenschaftlichen  Gebietes heranzieht.

Wenn die wirtschaftliche Dogmatik den Wertbegriff auf den Arbeitsbegriff zurückführt, mit dem Arbeitsbegriff identifiziert, wenn sie erklärt, daß "Wert Arbeit sei", so formuliert sie einen Satz, an den sie, ursprünglich zumindest, keinen, nicht einmal einen unvollständigen, Beweisversuch anschließt. Auch will sie damit keine These aussprechen, die eines Beweises bedürfte. Sie will vielmehr eine  Hypothese  aufstellen, die ihre Berechtigung indirekt darzutun hätte, eine Hypothese, die zur Aufhellung anderweitiger, sonst dunkler Gebiete, insbesondere zur Durchleuchtung des in letzter Linie maßgebenden Wirtschaftsbegriffs diente. In dieser Durchleuchtung liegt eben der Schwerpunkt, der entscheidende Endzweck, und die Hypothese ist nur das Mittel, um den genannten Endzweck zu erreichen.

Gerade dieses Verfahren - die Aufstellung einer Hypothese, die, als Mittel, zur Aufhellung anderweitiger Fragen, als Endzweck, verhälfe - gerade dieses Verfahren ist aber der Naturwissenschaft geläufig, und zwar pflegt man dann regelmäßig von der Aufstellung einer  Theorie  und der Nutzanwendung dieser Theorie zu sprechen.

Wenn andererseits die Wirtschaftsgeschichte neben der Erzählung von Vorgängen auch Schilderungen von Zuständen liefert, so bringt sie darin nur die - wenn auch nicht immer zum Bewußtsein gelangende - Anschauung zum Ausdruck, daß, wenn man die reale Wirklichkeit, das konkrete Wirtschaftsleben in Vorgänge auflöst, man dem lebendigen Reichtum dieses Wirtschaftslebens unmöglich gerecht werden kann, daß eben - jenseits jener Vorgänge, und gleichsam jenen Vorgängen zum Trotz - gewisse, relativ dauernde, relativ unveränderliche Zustände bestehen, die gleichsam als ein schwerfälliger  Hintergrund  der flüchtigen, rasch dahineilenden Vorgänge erscheinen.

Auch hier muß man aber an die Naturforschung denken, denn der Naturforscher faßt, außer den Vorgängen, die hinter den Vorgängen wahrnehmbaren Zustände ins Auge. Jene Vorgänge sucht er in immer einfachere, immer mehr mechanische, d. h. in bloßer Bewegung bestehende Vorgänge und schließlich in die Äußerungen irgendwelcher bewegender Kräfte zu zerlegen. Diese Zustände sucht er, indem er sie als das Beharren bestimmter Formen auffaßt, formal festzulegen und durch das Walten andersartiger Kräfte, Bildungskräfte, bildender Kräfte zu erklären. Dort ist es die  Dynamik,  hier ist es die  Morphologie,  die zu ihrem Recht kommt.

Also: Auf Seiten der wirtschaftlichen Dogmatik hätte man - nach dem Vorbild der Naturwissenschaft - an die Aufstellung einer Theorie gleichwie ihrer Nutzanwendung zukommt, nur in der Richtung der wissenschaftlichen Methode zu suchen ist und nur im Zusammenhang methodologischer Erwägungen zu begreifen wäre, - da ferner die Kumulierung von Dynamik und Morphologie die Kumulierung zweier verschiedener Methoden bedeutet, so kann man sagen, es sei ein  methodologischer  Gegensatz, der dem hier in Frage kommenden Koordinationsverhältnis zugrunde liegt und insofern ist es ein auf einem methodologischen Gegensatz beruhendes Koordinationsverhältnis, das zu dem oben behandelten, auf einem erkenntnistheoretischen Gegensatz beruhenden Koordinationsverhältnis tritt. -

Damit wäre die  Koordination  der wirtschaftlichen Dogmatik und der Wirtschaftsgeschichte - sofern beide als geschlossene Disziplinen erscheinen - allseitig behandelt, und es wäre gezeigt, daß diese Koordination - die insofern teils erkenntnistheoretisch, teils methodologisch ist - teils auf einer erkenntnistheoretischen, teils auf einem methodologischen Gegensatz beruth. - Nun muß aber die letztgenannte Erkenntnis eine ganz bestimmte Einschränkung erfahren.

Die Einschränkung bezieht sich nicht auf die erkenntnistheoretische Koordination, denn diese Koordination erscheint als eine ungetrübte, als eine in gewissem Sinn absolute: Auf Seiten der Dogmatik die in jedem Sinne  subjektive  Erkenntnis, die sich in der subjektiven Begriffsbildung sowie in den Vorstellungsverknüpfungen nach Maßgabe des Verhältnisses von Bedingung und Folge (als des subjektiven Denkprinzips) kundgibt. Auf Seiten der Wirtschaftsgeschichte die in gewissem Sinne  objektive  Erkenntnis, die sich in der nach einer ganz bestimmten Richtung hin objektiven Vorstellungsbildung, sowie in den Vorstellungsverknüpfungen nach Maßgabe des Verhältnisses von Ursache und Wirkung (als des in einer ganz bestimmten Hinsicht objektiven Prinzips des Geschehens) ausdrückt. Und auf beiden Seiten dieselbe Durchbildung der erkenntnistheoretischen Grundsätze, die, in beiden Fällen, zwar nicht bewußt, aber sicher in Anwendung kommen.

Vielmehr ist es die  methodologische  Koordination, worauf die in Rede stehende Einschränkung Bezug nimmt, - denn in methodologischer Hinsicht muß sofort Eines überraschen: Während die wirtschaftliche Dogmatik die Aufstellung einer Theorie und die Nutzanwendung derselben mit Bewußtsein vornimmt, während sie speziell die Gewohnheit hat, überall da, wo der Wertbegriff mit dem Arbeitsbegriff identifiziert wird, von Werttheorie und genauer von einer Arbeitswerttheorie oder kurzweg "Arbeitstheorie" zu sprechen, - werden die methodologischen Grundsätze der wirtschaftsgeschichtlichen Dynamik und der wirtschaftsgeschichtlichen Morphologie nicht bloß unbewußt, sondern auch zum Teil unsicher in Anwendung gebract, und zwar sind es speziell die morphologischen Grundsätze, die in erster Linie unter dieser Unsicherheit leiden.

Der bewußten Arbeitstheorie steht also, wie man sieht, eine wirtschaftsgeschichtliche Morphologie von einer sehr unsicheren, sehr unbestimmten Eigenart entgegen, - und damit ist ein Gegensatz ausgedrückt, der auf einen noch weit  tieferen Gegensatz  zurückweist:

Die bewußte Arbeitstheorie, oder genauer: die bewußte Arbeitswerttheorie hat eben das Eigentümliche, daß sie eine doppelte Bedeutung beansprucht. Da sie nämlich im Grunde aussagt, der Ersatz des Wertbegriffs - als einer Unbekannten - durch den Arbeitsbegriff - als eine Bekannte - soll nicht bloß zugegeben, sondern auch des Ferneren fruchtbar gemacht werden, indem man aus ihm weitere, auch den Wirtschaftsbegriff umspannende Gesichtspunkte zieht, - da sie also jenen Ersatz mit einem derartigen Nachdruck hervorhebt, daß derselbe eigentlich zu einer nicht mehr gewollten, beabsichtigten, aber doch in gewissem Grad unvermeidlichen Verdrängung hinführt, so ist es klar, daß die in Rede stehende Arbeitstheorie nicht bloß die eingehend erörterte methodologische, sondern auch eine ganz bestimmte  systematische  Bedeutung besitzt. Eine systematische Bedeutung, die mit der methodologischen Bedeutung in innigster Beziehung steht und diese methodologische Bedeutung gleichsam "resümiert", die aber, ansich betrachtet, dahin geht, daß der Wertbegriff - um eine leise angedeutete Tendenz mittels einer präzisen Formel zu bezeichnen - sozusagen  vernichtet  wird, und an seine Stelle der Arbeitsbegriff als nunmehriger Alleinherrscher tritt.

Auf Seiten der wirtschaftsgeschichtlichen Morphologie werden dagegen die betreffenden methodologischen Grundsätze so unbewußt und zugleich unbestimmt in Anwendung gebracht, daß ein Weiterbauen auf der methodologischen Grundlage, ein "Resümieren" des methodologischen Sachverhalts mittels eines bestimmten systematischen Ergebnisses nicht einmal versucht wurde, - und demgemäß scheint die oben gewonnene Erkenntnis etwa den folgenden, ihren Sinn einschränkenden Zusatz zu erfordern: Allerdings darf man sich die wirtschaftliche Dogmatik und die Wirtschaftsgeschichte als einander koordinierte Disziplinen denken. Allerdings darf man sowohl von einer erkenntnistheoretischen wie von einer methodologischen Koordination beider Disziplinen sprechen. Indessen muß man - will man den Tatsachen voll gerecht werden - sofort hinzufügen, daß die Wirtschaftsgeschichte - in einer ganz bestimmten Beziehung - hinter der wirtschaftlichen Dogmatik zurückblieb. Während nämlich die wirtschaftliche Dogmatik ihre methodologische Eigenart zu einem ganz bestimmten systematischen Ergebnis - einer Art  Vernichtung des Wertbegriffs durch den Arbeitsbegriff - verdichtete, ist, innerhalb der Wirtschaftsgeschichte, kein diesem vergleichbarer Vorgang zu bemerken. Die Wirtschaftsgeschichte kam, ohne daß sie ihre methodologische Eigenart zu einem systematischen Ergebnis zu verdichten trachtete, schon bei der Ausbildung jener methodologischen Eigenart zum Stillstand.
LITERATUR Anton von Kostanecki, Der wirtschaftliche Wert vom Standpunkt der geschichtlichen Forschung, Berlin 1900