p-4 Victor CousinMaine de BiranMaine de Biran   
 
EDMUND KÖNIG
Maine der Biran
- der französische Kant

"Gegeben sind nach Locke  Dinge außerhalb der Seele,  und  Vorstellungen in der Seele;  die objektive Gültigkeit der letzteren wird demnach zu definieren sein als ihre Übereinstimmung mit jenen, sofern sie Bilder der Dinge sind; diese Übereinstimmung aber erscheint nur dann als gesichert, wenn die Elemente, aus denen eine Vorstellung besteht,  alle einzeln in der Wahrnehmung,  in welcher das Ding unmittelbar der Auffassung unterliegt,  gegeben sind.  Die Anteilnahme der Seele, bzw. des Subjekts stellt sich natürlich bei dieser Ansicht der Erkenntnis als eines Abbildungsvorgangs als eine sehr beschränkte dar; das Subjekt ist gebunden an die ihm gegebenen Vorstellungselemente und tut nichts, als daß es die Übereinstimmung oder Verschiedenheit derselben anerkennt; es ist zwar tätig, aber seine Tätigkeit ist eine lediglich formallogische. Die Konsequenz der Abbildungslehre ist aber, wie sich bald ergab, die Aufhebung der Erkenntnis."

"Durch eine genauere Analyse der logischen Funktion zeigte Kant, daß die Leistung derselben darin besteht, das Mannigfaltige der Vorstellungen in eine innere Verknüpfung zu bringen, und daß überall, wo sich in unseren Gedanken eine Vielheit als sachlich verknüpft darstellt, diese Verknüpfung in einem logischen Akt gesetzt wird. Somit stellt sich die Spontaneität des Denkens als ein konstitutives Element der Erkenntnis, dieselbe zunächst nach ihrer inneren Beschaffenheit betrachtet, dar, und es erhellt sich, warum Hume für den Substanz- und Kausalbegriff keine Ableitung finden konnte; derselbe schloß ja vom erkennenden Bewußtsein jede Art der Tätigkeit aus und machte dasselbe zu einem bloßen Zuschauer der Vorstellungsprozesse; jene Begriffe aber bezeichnen keine konkreten Vorstellungsbilder, sondern sind nur Arten, das Mannigfaltige der Empfindungen zu einer Einheit verknüpft zu denken."

Der Titel dieses Aufsatzes dürfte bei manchem Leser ein Kopfschütteln veranlassen; läßt sich ein Denker dritten oder vierten Ranges, so wird man fragen, selbst wenn man ihn mit der vergrößerten Brille des Monographen betrachtet, mit unserem KANT in eine Linie stellen? Um derartigen Bedenken zu begegnen, erklären wir sofort, daß wir nicht ein vergleichendes Werturteil ausgesprochen haben wollen, so unrecht es ist, wenn MAINE de BIRAN in deutschen Darstellungen der Geschichte der Philosophie in der Regel übergangen wird, so denken wir doch nicht daran, ihn seiner Bedeutung nach mit KANT in eine Linie zu stellen; überhaupt aber wollen wir nicht eine müßige Abschätzung der Personen und ihrer Fähigkeiten vornehmen. Es ist uns vielmehr nur um die Beziehungspunkte ihrer Anschauungen und Lehren zu tun. Es gehört nun zwar BIRAN weder zu den entschiedenen Bekämpfern noch zu den Schülern oder Vorarbeitern KANTs, aber er steht doch in einer engen Beziehung zu demselben, derart, daß seine Philosophie gewissermaßen ein Seitenstück zur kantischen bildet; beide Denker sind nicht nur chronologisch nahezu Zeitgenossen (de BIRAN lebte 1766 - 1824), auch in der Entwicklungsgeschichte des philosophischen Denkens gehören sie derselben Epoche an: es sind die selben Probleme, welche beide vorfanden und an deren Lösung sie sich versuchten, und es sind teilweise auch die selben Gesichtspunkte, mit welchen sie an ihre Arbeit herantraten; indem sie jedoch dabei im ganzen in einem verschiedenen Zusammenhang ihre Gedanken entwickeln (der eine im Anschluß an die englisch-französische Psychologie, der andere ausgehend von HUME'scher Skepsis und LEIBNIZ'schem Intellektualismus), geben sie Anlaß zu aufklärenden Vergleichungen, und die Lehre des Einen kann dazu dienen, diejenige des Andern noch schärfer in ihrer Eigenart zu verstehen. Ein Begriff ist es besonders, der recht eigentlich das Tertium comparationis [gemeinsames Drittes - wp] zwischen KANT und BIRAN bildet, derjenige der Spontaneität des Subjekts; beide sind von der Überzeugung durchdrungen, daß die Schwierigkeiten, in welche sich ihre Vorgänger verwickelt fanden, wesentlich von der Vernachlässigung dieses Gedankens herkommen, und suchen deshalb durch die Einführung desselben eine Reform der Wissenschaft herbeizuführen. Andererseits läßt sich auch derjenige Punkt angeben, aus welchem die charakteristischen Abweichungen beider voneinander entspringen: KANT sucht die ihm vorliegenden Fragen durch eine transzendentale, BIRAN durch eine psychologische Untersuchung zur Entscheidung zu bringen; sie vertreten somit zwei Richtungen, die noch heute einander gegenüberstehen, ohne in ein festes Verhältnis zueinander gebracht zu sein; und kein besseres Mittel kann es geben, in das eigentümliche Wesen und die Tragweite beider Methoden eine Einsicht zu gewinnen, als die Vergleichung der Theorien, zu welchen die genannten Denker durch die Anwendung derselben geführt werden.

Die innere Verwandtschaft des BIRAN'schen Denkens mit der durch KANT begründeten deutschen Philosophie bezeugt auch der bekannte Philosoph und Historiker HIPPOLYTE TAINE; MAINE de BIRAN, so sagt dieser (1), ist ein französischer FICHTE, gemäßigter und schwächer, weniger Phantast und weniger Erfindet usw.; und auch im Stil desselben findet TAINE den deutschen Charakter, indem er mit zweideutigem Lobe ihn als  einfachen  Galimathias [Redner wirren Zeugs - wp] bezeichnet: der Leser verstehe zwar den Autor nicht, weil derselbe 500 Fuß über der Erde in Gefilden der reinen Abstraktion verweile, aber der Autor verstehe sich wenigstens selbst. Die den Franzosen so unsympathische abstrakte Form der Gedanken ist wohl auch der Grund der geringen Verbreitung, welche die BIRAN'sche Philosophie ihrer Zeit in Frankreich selbst gefunden hat; dazu kommt allerdings noch weiter der Umstand, daß dieselbe zuerst nur in zerstreuten Abhandlungen ausgesprochen, und die Hauptschrift: "Essai sur les fonement de la psycologie" zwar schon 1806 anläßlich einer Preisfrage der Berliner Akademie verfaßt, aber erst nach dem Tod des Verfassers veröffentlich wurde ("Oeuvres philosoph. de M. d. B." gab 1841 COUSIN und "Oeuvres inédites" 1859 NAVILLE heraus, wobei wir nach letzterem im Folgenden zitieren.) Erst durch seinen Schüler COUSIN wurden einzelne der BIRAN'schen Gedanken in Frankreich populär gemacht und schulmäßig zum sogenannten Spiritualismus ausgebildet, der gegen den Materialismus und Sensualismus, welche im Anfang des Jahrhunderts herrschten, Front machte. Dabei geriet COUSIN jedoch immer mehr in Abhängigkeit von der deutschen nachkantischen Philosophie, deren reiche Gedankenentwicklung ihm die Waffen bot, die er benötige, und sein Spiritualismus verflachte dadurch zu einem schönrednerischen Eklektizismus. So verwandt daher auch die durch ihn angeregte Gedankenbewegung nach ihren Äußerungen auf den Gebieten der Religion und Kunst mit dem deutschen Idealismus ist, und also das wahre Gegenstück desselben in Frankreich zu bilden scheint, so ist sie doch wesentlich nur ein Reflex des letzteren, und ein COUSIN kann in keiner Weise auf das Prädikat des KANT oder FICHTE der Franzosen Anspruch machen. Auch BIRAN hatte seinen KANT studiert, aber er hat nichts von ihm entlehnt. Vielmehr ist er auf diejenigen Grundanschauungen, welche er mit ihm gemein hat, unzweifelhaft selbständig gekommen, indem er auch seinerseits den Begriff richtig erfaßte, durch welchen allein die Einseitigkeiten und falschen Folgerungen überwunden werden konnten, in denen sich das damalige philosophische Denken bewegte, und nun in origineller Weise eine Neugestaltung der bestehenden Theorien versuchte. Diese reformatorische Tendenz ist es übrigens, welche uns die Vergleichung BIRANs mit KANT angemessener erscheinen läßt als die mit FICHTE, obwohl er dem letzteren in der Tat in einigen seiner Ergebnisse wesentlich näher kommt als jenem.

Vergegenwärtigen wir uns zunächst, bevor wir die Lehre BIRANs näher betrachten, im allgemeinen den Stand der philosophischen Bewegung am Ende des vorigen Jahrhunderts, so ist es bekanntlich der Geist LOCKEs, welcher besonders in England und Frankreich das gesamte Denken beherrscht; in Deutschland erfreuten sich zwar die von jenem verpönten metaphysischen Untersuchungen noch immer eines lebhaften Interesses, daneben aber fanden die Forderungen des LOCKE'schen Kritizismus mehr und mehr Beachtung. Zwar ist die allgemeine Idee einer vor allen positiven Behauptungen über Gegenstände vorzunehmenden Untersuchung der Grundlagen der Erkenntnis nicht erst von LOCKE aufgestellt, sondern mit der modernen Philosophie selbst geboren worden, da schon CARTESIUS sein Philosophieren mit der Erforschung der Quellen der Gewißheit begann; aber LOCKE gab derselben eine speziellere Formulierung, indem er eine Untersuchung des  Ursprungs der Vorstellungen  als des Materials der Erkenntnis verlangte; wenn einmal festgestellt wäre, welche von unseren Vorstellungen eine objektive Geltung ihrer Entstehung nach beanspruchen könnten, so schien ihm damit auch das Gebiet der gültigen Erkenntnis, welche auf der Vergleichung des Vorstellungsmaterials beruth, in fester Weise umgrenzt zu sein. So entstand sein Essai, in welchem aus psychologischen Analysen und Hypothesen erkenntniskritische Folgerungen abgeleitet werden; war durch CARTESIUS die Kritik und Theorie der Erkenntnis zur Grundlage der Philosophie überhaupt gemacht worden, so wurde jetzt durch LOCKE die Erkenntnislehre ihrerseits auf Psychologie zurückgeführt oder vielmehr in die Psychologie aufgelöst. Die Nachfolger gingen nach zwei verschiedenen Richtungen auseinander, indem die einen sich an die erkenntnistheoretische Ausdeutung der psychologischen Ergebnisse jenes Philosophen halten, die anderen sich mehr mit der Ausbildung einer theoretischen Psychologie beschäftigen und die kritische Anwendung in den Hintergrund treten lassen; der ersten Klasse gehören BERKELEY und HUME an, der zweiten CONDILLAC, BONNET, DÉSTUT de TRACY und andere Psychologen. So entwickeln sich nebeneinander der (erkenntnistheoretische) Empirismus und der (psychologische) Sensualismus, wobei sich der erstere gemäß dem durch LOCKE angenommenen Zusammenhang der erkenntnistheoretischen und psychologischen Frage sich jederzeit auf den letzteren stützt, während dieser selbständig besteht, immer jedoch geneigt, den ersteren als notwendige Konsequenz zu entwickeln. Es entspricht dem Prinzip LOCKEs, wenn von ihm und seiner Schule auch die den genannten entgegengesetzten Ansichten des Apriorismus und Nativismus ohne weiteres als einander wechselseitig bedingend angesehen wurden, und man demnach den ersteren mit dem letzteren zusammen durch die bekannten Argumente gegen die "angeborenen Ideen" geschlagen wähnte. Dasselbe läßt sich übrigens auch auf der gegnerischen Seite konstatieren. LEIBNIZ wirft in seinen "Neuen Versuchen" einzelne der Analyse der Erkenntnis entlehnte (transzendentale) Beweisgründe des Apriorismus durcheinander mit den aus seiner Metaphysik entnommenen Argumenten für den psychologischen Nativismus. Dadurch aber werden seine Darlegungen wertlos, denn die kritische Frage mag vielleicht durch eine psychologische Untersuchung entschieden werden können (obwohl wir dies bestreiten), keinesfalls aber kann ihre Lösung auf dogmatisch-spekulative Hypothese gegründet werden. So blieb der Empirismus von außen fast unangefochten, bis er sich durch sich selbst zersetzte.

Dazu müssen wir etwas genauer den Entstehungsprozeß der Vorstellungen nach LOCKE und die bei demselben in Betracht kommenden Faktoren ins Auge fassen. Gegeben sind nach dieser Theorie  Dinge außerhalb der Seele,  und  Vorstellungen in der Seele;  die objektive Gültigkeit der letzteren wird demnach zu definieren sein als ihre Übereinstimmung mit jenen, sofern sie Bilder der Dinge sind; diese Übereinstimmung aber erscheint nur dann als gesichert, wenn die Elemente, aus denen eine Vorstellung besteht,  alle einzeln in der Wahrnehmung in welcher das Ding unmittelbar der Auffassung unterliegt,  gegeben sind.  Die Anteilnahme der Seele, bzw. des Subjekts stellt sich natürlich bei dieser Ansicht der Erkenntnis als eines Abbildungsvorgangs als eine sehr beschränkte dar; dasselbe ist gebunden an die ihm gegebenen Vorstellungselemente und tut nichts, als daß es die Übereinstimmung oder Verschiedenheit derselben anerkennt; es ist zwar tätig, aber seine Tätigkeit ist eine lediglich formallogische. Die Konsequenz der Abbildungslehre ist aber, wie sich bald ergab, die Aufhebung der Erkenntnis.

BERKELEY zeigte zunächst, daß, da uns auch in der Wahrnehmung immer nur Vorstellungen, niemals Dinge selbst gegeben sind, wir von den letzteren überhaupt nicht sprechen können, und HUME vervollständigte diesen skeptischen Gedanken dadurch, daß er nachwies, wie innerhalb eines nach seinen letzten Quellen nicht weiter erklärbaren Vorstellungsverlaufs aufgrund psychologischer Prozesse die vermeintliche Gegenständlichkeit der Erscheinungen, d. h. ihre substantielle und kausale Verknüpfung als ein subjektiver Schein zustande kommt. Natürlich hatte er zuvor die naive Annahme LOCKEs zerstört, als ob Substanzen und Kräfte, durch welche wir die Welt der Dinge denken, in der Wahrnehmung direkt gegeben sind; eine Annahme, die es allein möglich machte, trotz der anerkannten Idealität der meisten Bestimmungen der Erfahrungsobjekte am Begriff ansich bestehender Träger der Erscheinungen und Ausgangspunkte von Wirkungen festzuhalten.

Nachdem man so beim Jllusionismus angekommen war, war die Revision der Grundlagen der empiristischen Erkenntnislehre geboten; als endgültige Resultate konnte wohl HUME selbst kaum seine Folgerungen ansehen, obwohl kein Fehler in denselben aufzufinden war. Und in der Tat lag der Fehler nicht in den Schlüssen, sondern in den Voraussetzungen derselben, welche ungeprüft von LOCKE angenommen waren. Es ist anzuerkennen, daß REID wenigstens einen der fundamentalen Irrtümer dieser Erkenntnislehre richtig in der Annahme erkannte, daß unserer Erkenntnis niemals direkt der Gegenstand, sondern immer nur ein Bild desselben unterliegt, weshalb er dieselbe als Vorstellungsphilosophie (the ideal system) bezeichnete; ist alle Erkenntnis ein Abbilden eines draußen befindlichen Dinges, so ist es von vornherein unmöglich, eine Garantie ihrer objektiven Gültigkeit zu gewinnen, da ja dem Subjekt die Gelegenheit zur Vergleichung zwischen Bild und Gegenstand gänzlich fehlt. Den etwaigen Ausweg, daß zwar nicht die materiellen Bestandteile der Vorstellungsbilder, wohl aber ihre Beziehungen der äußeren Wirklichkeit konform sind, brauchte REID nicht zu berücksichtigen, weil sich die inneren Relationen der Vorstellungsinhalte, wie HUME gezeigt hatte, auf die nichtssagenen Verhältnisse der Einerleiheit und Verschiedenheit reduzieren, während sich notwendige Verknüpfungen des Verschiedenen, welche wir in der Natur voraussetzen und erkennen wollen, aus der Vergleichung der Vorstellungsbilder nicht ergeben. REID unternahme es nun, der Wahrnehmung die ihr von BERKELEY und HUME abgesprochene objektive Bedeutung zurückzugeben, indem er zwar nicht daran dachte, ein Aus-sich-herausgehen der wahrnehmenden Seele zu behaupten, eine Vorstellung, die ein für allemal als absurd zu gelten hat, aber annahm, daß durch einen besonderen, nicht willkürlichen sondern unvermeidlichen Akt der subjektive Inhalt der Empfindung vom Subjekt auf einen Gegenstand bezogen werde; demgemäß unterschied er zwischen der nur subjektiven Empfindung (sensation) und der durch jenen Akt objektiv gewordenen Wahrnehmung (perception). Es leuchtet ein, daß diese Theorie immer noch im Bann der LOCKE'schen Abbildungslehre steht; Gegenstand und Vorstellung gelten auch ihr als realiter verschiedene Wirklichkeiten, nur wird eine derartige Einrichtung des erkennenden Subjekts angenommen, daß es vom Bild unmittelbar auf den Gegenstand zu schließen befähigt ist. Wer sagt nun aber, daß dieser in einer Naturanlage der Seele begründete Schluß auch logisch berechtigt ist? Hatte HUME nicht auch bereitwillig zugestanden, daß wir nicht anders können, als die sinnlichen Eindrücke auf Substanzen zu beziehen, ohne doch deshalb diese Beziehung für eine logisch gerechtfertigte zu halten? Somit erweist sich dieses "Präformationssystem der reinen Vernunft", wie KANT die REID'sche Erkenntnislehre nennt, als unbefriedigend; solange der Gegenstand der Erkenntnis als etwas außerhalb der Bewußtseinssphäre Gegebenes gilt, so lange ist in keiner Weise einzusehen, wie das Subjekt zu einer Erkenntnis desselben kommen soll; annehmen, daß in demselben die Anlage liegt, zum Bild sich selbst den Gegenstand richtig zu konstruieren, heißt ein Unbegreifliches postulieren.

Was REID nicht gelingen wollte, das bringt KANT zuwege, indem er die allererste Voraussetzung der englischen Erkenntnislehre beseitigt und statt derselben zwei charakteristische neue Prinzipien einführt. Erstens faßt derselbe das Verhältnis des erkennenden Subjekts zum Inhalt der Erkenntnis wesentlich anders; der letztere ist ihm nicht ein fertiges  Bildermaterial,  durch passive Wahrnehmung aufgenommen, an welchem das Subjekt eine nur kombinierende und vergleichende Tätigkeit ausübt, sondern er besteht ihm in  Begriffen,  welche als solche dem Subjekt nicht gegeben sind, sondern erzeugt werden müssen; nicht die ruhende Vorstellung ist demnach die eigentliche Grundlage der Erkenntnis, sondern das Urteil; überall, wo wir etwas erkennen, ist ein, wenn auch unbedachter Grad der Tätigkeit vorhanden. Neben der Rezeptivität der Sinnlichkeit ist durchgehend die Spontaneität des Verstandes zur Erkenntnis erforderlich; es muß zwar dem Subjekt eine Summe von Eindrücken ursprünglich gegeben sein, aber erst indem auf diese die Funktion des Denkens zur Anwendung gebracht wird, gewinnen sie jene repräsentative Bedeutung, vermöge welcher das Subjekt sie nicht als seine inneren Zustände, sondern als einen sachlichen Inhalt auffaßt. Durch eine genauere Analyse der logischen Funktion zeigt KANT weiter, daß die Leistung derselben darin besteht, das Mannigfaltige der Vorstellungen in eine innere Verknüpfung zu bringen, und daß überall, wo sich in unseren Gedanken eine Vielheit als sachlich verknüpft darstellt, diese Verknüpfung in einem logischen Akt gesetzt wird. Somit stellt sich die Spontaneität des Denkens als ein konstitutives Element der Erkenntnis, dieselbe zunächst nach ihrer inneren Beschaffenheit betrachtet, dar, und es erhellt sich, warum HUME für den Substanz- und Kausalbegriff keine Ableitung finden konnte; derselbe schloß ja vom erkennenden Bewußtsein jede Art der Tätigkeit aus und machte dasselbe zu einem bloßen Zuschauer der Vorstellungsprozesse; jene Begriffe aber bezeichnen keine konkreten Vorstellungsbilder, sondern sind nur Arten, das Mannigfaltige der Empfindungen zu einer Einheit verknüpft zu denken.

Aber die Bedeutung der logischen Funktion wird noch tiefer gefaßt. Das Denken gilt bei KANT nicht bloß als eine analysierende Tätigkeit, welche die Verknüpfungen, die in den Dingen ansich unabhängig vom erkennenden Bewußtsein schon bestehen, durch ihre "reinen Verstandesbegriffe" nur  nachdenkt,  sondern als eine synthetische Funktion, durch welche derartige Verknüpfungen allererst gestiftet werden. Was dasselbe ist: die Gegenständlichkeit des Wahrnehmungsinhaltes, der Zwang, der dagegen ist, daß das reflektierende Denken mit demselben nach Belieben umspringt, liegt nicht in einem ansich bestehenden Zusammenhang der Dinge, dessen Unausdenkbarkeit HUME so schlagend nachwies, sondern in der Einheit, welche die synthetische Funktion des Denkens in allem schafft, was zur Auffassung durch das erkennende Bewußtsein gelangt, und die in der Einheit dieses Bewußtseins selbst wurzelt. - Damit ist nun die Grundlage der LOCKE'schen Erkenntnislehre gänzlich umgewandelt; das erkennende Bewußtsein, welches in derselben gewissermaßen nur die Fläche darstellt, auf der die außerhalb gegebene Gegenständlichkeit zur Abbildung gelangt, ist von KANT zu einer  transzendentalen Spontaneität  gemacht, welche diese Gegenständlichkeit mitbedingt, so daß nach ihrer Elimination (falls dieselbe möglich wäre) auch von Gegenständen keine Rede mehr sein könnte. Die Einführung dieses Begriffs aber löst alle Schwierigkeiten, in welche sich HUME verwickelt fand; insbesondere erscheinen nunmehr die Grundbegriffe der Substanz und Kraft, an deren objektiver Gültigkeit der Empirismus verzweifeln mußte, da sie nicht als  gegeben  nachweisbar sind, völlig legitimiert als die Schemata, durch welche die auf der transzendentalen Synthesis des Verstandes beruhenden Formen des Zusammenhangs der Erscheinungen im reflektierenden Denken zum logischen Bewußtsein erhoben werden (2). Denn die transzendentale Synthesis ist natürlich keine logische Operation im gewöhnlichen Sinne: die logische Reflexion setzt Gegenstände als gegeben voraus, durch jene aber sollen Gegenstände möglich gemacht werden; sie ist ferner nicht  direkt  nachweisbar, da wir uns nicht auf einen Punkt versetzen können, wo Gegenstände noch nicht da wären, sondern erst gemacht würden. Alles in allem ist sie keine Tatsache, sondern eine Hypothese, wie KANT selbst durch die Vergleichung seines Grundgedankens mit dem kopernikanischen bekundet.

Denselben Begriff der Spontaneität, durch welchen KANT die empiristische Erkenntnislehre reformierte, führt BIRAN in der sensualistischen Psychologie ein; was dort eine erkenntnistheoretische Hypothese ist, wird uns hier als psychologische Tatsache aufgewiesen; als Gegenstück zur  transzendentalen Funktion  des Verstandes tritt uns die  empirische Aktivität  des psychologischen Selbst entgegen. Es ist derselbe allgemeine Begriff, den KANT und BIRAN ausbilden, aber in verschiedenen Anwendungssphären, wie von vornherein betont sein mag, und eine Frage für sich ist es, inwiefern etwa ein notwendiger Zusammenhang zwischen der Anerkennung jener transzendentalen und dieser psychologischen Spontaneität besteht.

Das Problem der LOCKE'schen Psychologie ist folgendes: Gegeben ist eine materielle Außenwelt, gegeben ein organisiertes Subjekt. Wie kann in diesem eine Vorstellung jener Außenwelt entstehen, und wie entwickelt sich daraus weiterhin das gesamte Seelenleben. Die Theorie der Wahrnehmung ist nun bekanntlich für LOCKE kurz abgetan, die Wahrnehmungsvorstellungen gelten ihm ohne weiteres als Wirkungen der äußeren Objekte: insofern sich nun diese Vorstellungen als Aggregate einer Mehrheit von Elementen darstellen, gewinnen diese Elemente die Bedeutung der primitivsten psychischen Gebilde, da vor der Wahrnehmung jedenfalls nichts in der Seele existiert. Bei der Wahrnehmung selbst ist die Seele nur passiv, weiterhin jedoch nimmt sie auch tätig an den geistigen Vorgängen teil, indem sie die Fähigkeit hat, die Vorstellungen festzuhalten, bzw. zu reproduzieren, ihre Elemente zu isolieren und zu kombinieren. Die Nachfolger LOCKEs machten es sich nun zur Aufgabe, diese Selbsttätigkeit der Seele so weit wie möglich zu eliminieren; ließ doch LOCKE selbst die wichtigsten psychologischen Bildungen, die komplexen Wahrnehmungsvorstellungen, ohne ihr Zutun zustande kommen. So suchte dann die Psychologie HUMEs alle Vorgänge als die mechanischen Folgen der Assoziationsgesetze darzustellen und das einheitliche Bewußtsein selbst aus der Verschmelzung der "Eindrücke" und "Ideen" zu einem Komplex zu erklären; die Seele erscheint in ihr nur als der Raum, in welchem sich die Vorstellungsprozesse abspielen, ohne daß sie irgendwie bei denselben beteiligt wäre. Der französische Sensualismus unterscheidet sich zwar von der englischen Assoziationspsychologie durch die vorwiegende Berücksichtigung der physiologischen Ursachen der Erscheinungen des Seelenlebens, von denen jene absichtlich abstrahierte, aber indem er alles innere Geschehen als eine transformierte Wahrnehmung zu begreifen sucht, die von LOCKE sogenannten Tätigkeiten der Seele inbegriffen, ruht er mit jner auf einer gemeinsamen Grundlage.

In drei prinzipiellen Punkten bekämpft nun BIRAN diesen Standpunkt. Erstens verwirft er durchaus die physiologische Betrachtungsweise und weist die Psychologie ausschließlich auf die innere Beobachtung hin. Empfindung und äußere Bewegung seien heterogene Fakta, und Erscheinungen, die in einem inneren Sinne gegeben sind, könnten auch nur aus Tatsachen derselben Kategorie erklärt werden (Essay II, 4 c. 4) Weitergehend erklärt er aber überhaupt die  objektive,  gegenständliche Betrachtung der psychologischen Erscheinungen für unstatthaft. Das Subjekt, als der Beobachter der Welt, könne eben deshalb nie als ein Teil der Welt, welche doch immer ein Beobachtetes sei, erkannt werden; wenn wir uns deshalb die Frage vorlegten, welche psychologische Entwicklung in einem in die uns umgebende Welt gesetzten Subjekt staatfinden würde, so sei der Fehler, daß wir dasselbe an unserer Stelle setzten, statt uns an die seinige; denn indem wir eine Welt außerhalb des betreffenden Subjekts als vorhanden setzen, setzen wir damit zugleich eine entwickelte Beobachtung, die unsrige, als vorhanden voraus, und begehen also einen Zirkel, wenn wir auf diesem Weg über die Entwicklung derselben Aufschluß gewinnen wollen. (Essay V. 1. c. 2)

Dieser Gedanke ist charakteristisch für die Tendenz der BIRAN'schen Psychologie; er beweist, daß dieselbe wie die LOCKE'sche zugleich Erkenntnislehre sein soll. Demgemäß wird hier das Subjekt in einem weit tieferen Sinne aufgefaßt, als es selbst durch LOCKE geschehen war, denn dieser machte sich allerdings noch des Fehlers schuldig, daß er die Auffassung der Welt, welche wir erst aus der Wahrnehmung gewonnen haben, als die gegebene Wirklichkeit setzte und dieser nunmehr das wahrnehmende Subjekt gegenüberstellte, während diese vermeintliche Wirklichkeit doch schon eine beobachtete ist und ein Subjekt voraussetzt. Mag eine Deduktion der psychischen Vorgänge auf dieser Grundlage immerhin ihren guten Sinn haben, so protestiert doch BIRAN sicher mit Recht gegen eine erkenntniskritische Deutung der Ergebnisse einer derartigen Betrachtungsweise; schon der Begriff der Empfindung, so erörtert er, als einer Wirkung setzt die Realität einer objektiven Ursache und der Organe voraus, welche nötig sind, um sie aufzunehmen; es sei daher ebenso unnütz die Realität eine Außenwelt erst nachträglich noch zu beweisen, als inkonsequent an ihr zu zweifeln und zu sagen, daß wir nur die Empfindungen, nicht die Dinge kennen. (Essay II, 4. c. 4). Kurz gesagt: auf dem Weg der gewöhnlichen, insbesondere der sensualistischen Psychologie, sei es nicht möglich, eine Entscheidung über die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Erfahrungserkenntnis zu finden, wie LOCKE und seine Nachfolger gemeint hatten. Sollte demnach die Psychologie noch die Basis der Erkenntnislehre bleiben, so war es allerdings nötig, ihre Aufgabe anders zu bestimmen; die Intelligenz mußte von innen heraus erforscht werden, da allemal, wenn wir vom Begriff einer Sache dabei ausgehen, sei es der Seele, sei es der Außenwelt, ein Produkt der Intelligenz vor diese selbst gestellt wird. Jede Tatsache, so formuliert BIRAN anders gesehen als in der hier in Betrachtung kommenden Grundanschauung, sei es eine innere oder äußere, schließt ein Bewußtsein als ihr ursprüngliches und notwendiges Korrelat ein (Introd. gen. II); die wahre Psychologie habe dieses Bewußtsein aus ihm selbst heraus zu analysieren und nicht auf "absoluten Begriffen", d. h. Begriffen von Gegenständen, die vor diesem Bewußtsein gegeben wären, und aufgrund deren dasselbe erst zustande käme, sich aufzubauen. Wie man sieht, ist es nahezu das Prinzip der kantischen Erkenntnislehre, daß von Gegenständen als unabhängig von der Erkenntnis gegeben überhaupt nicht die Rede sein soll, was hier auf die Psychologie angewandt wird, deren Aufgabe hier demgemäß mit derjenigen der Erkenntnislehre in Eins verschmolzen erscheint; die Kritik der Erkenntnis ist bei BIRAN nicht wie bei LOCKE eine Nutzanwendung der Ergebnisse der dogmatischen, das Seelenleben als einen Vorgang innerhalb einer Welt der Dinge untersuchenden Psychologie, sondern die letztere wird angewiesen, das Subjekt nicht als Ding, sondern als das Korrelat der Erkenntnis aller Dinge aufzufassen, also sich auf den Boden der kritischen Analyse zu stellen.

Aus diesem Grund wendet sich auch unser Philosoph gegen die spekulative Psychologie des CARTESIUS und der übrigen Metaphysiker ebensosehr wie gegen die naturalistische des Sensualismus und weist insbesondere den cartesianischen Schluß: ich denke, also bin ich, als einen Fehlschluß in derselben Weise nach, wie dies KANT in seiner Kritik der Paralogismen tut. Wenn ich sage "Ich", so führt derselbe näher aus, und mir ein Zeugnis gebe von meiner eigenen Existenz, so bin ich für mich nicht eine  Sache,  oder ein  Objekt,  dessen Existenz ich behaupte, und dem ich das Denken als Attribut beilege, sondern ein  Subjekt,  welches sich selbst anerkent als denkend; und dieser Gedanke oder diese Apperzeption (Ich) macht zugleich die ganze Realität des Subjekts aus, kann also nicht das Attribut eines anderen entfernteren Subjekts sein, da hinter dem Ich nichts weiter im Bewußtsein enthalten ist; und noch weniger das Attribut eines Objekts, da es unabhängig vom Ich-Bewußtsein kein Objekt gibt; mit einem Wort: das Ich des Selbstbewußtseins bezeichnet kein  reales Subjekt  (Substanz), sondern ein  phänomenales.  - Die Erwartung, welche man nach derartigen Auslassungen hat, daß BIRAN in das Fahrwasser des kantischen Transzendentalismus einlaufen werde, wird jedoch, wie wir weiterhin näher sehen werden und jetzt im Voraus anmerken, getäuscht. Hält KANT im allgemeinen daran fest, das Ich als ein nur formales, logisches Subjekt aufzufassen, so hat doch bei BIRAN jener Begriff des "phänomenalen Subjekts" eine wesentlich abweichende Bedeutung, indem er annimmt, daß dasselbe auch sinnlich gegeben ist; oder, was dasselbe bedeutet, er identifiziert es mit dem "Subjekt des inneren Sinnes" KANTs. So bleiben dann seine Untersuchungen doch im wesentlichen auf dem Niveau der eigentlichen  beobachtenden  Psychologie, indem sie nur die äußere Beobachtung ausschließen, während der Transzendentalismus KANTs eine von der Beobachtung wesentlich verschiedene,  logisch-zergliedernde  Betrachtungsweise darstellt. Ob und eventuelle wie weit es BIRAN gelungen ist, auf diesem Weg nicht nur eine Reform der Psychologie, sondern zugleich eine Lösung des Erkenntnisproblems zu gewissen, wird sich am Ende zeigen. Von rein psychologischen Gesichtspunkten geht BIRAN bei der Bekämpfung des sensualistischen Begriffs der Empfindung aus; damit kommen wir auf den zweiten der oben erwähnten drei Reformgedanken. LOCKE hatte den Begriff der Empfindung eingeführt, ohne denselben jedoch mit der nötigen Schärfe zu bestimmen: obwohl einfache und komplexe Vorstellungen unterscheidend, machte er doch keinen Unterschied zwischen der Auffassung eines einfachen und eines komplexen Wahrnehmungsinhaltes. CONDILLAC versuchte schärfer zu werden indem er die Empfindungen  genetisch  als diejenigen elementaren Reizungen definierte, aus welchen sich die Gesamtheit aller anderen seelischen Zustände und Vorgänge ableitet. Diesem Begriff liegt nun allerdings die Hypothese zugrunde, daß tatsächlich die gesamte psychische Entwicklung aus primitiven, absolut einfachen Zuständen der Affektion hervorgeht, und gegen diese wendet BIRAN die Waffen seiner Kritik. Die Empfindung sei nicht als Tatsache gegeben, sondern eine Abstraktion; indem der Sensualismus von einer derartig abstrakten Fiktion ausgeht, tritt er auf ein Niveau mit der sonst von ihm so verschmähten spekulativen Psychologie; wie CARTESIUS die Psychologie auf den Begriff einer Substanz gründet, so macht CONDILLAC die Empfindung zu einem Absoluten, ohne zu fragen, welche Gültigkeit dieser Begriff hat. "Ein und denselben Fehler begehen diejenigen, die vom Absoluten (der Substanz) oder dem einfach Abstrakten (der Empfindung) ausgehen: daß sie als Typus aller intellektuellen und sinnlichen Modifikationen in der Seele irgendeine besondere Modifikation aus der inneren oder äußeren Erfahrung ansehen; sie verallgemeinern dieselbe unmittelbar unter irgendeiner Bezeichnung, wie Denken, Wahrnehmung, Empfindung, und diese Bezeichnung wird nunmehr ein abstrakter Ausdruck, mit welchem man je nach der (willkürlichen) Definition aussagen kann, was man will". (Essay V 1. 1. c. 2). Wäre, so heißt es an einem anderen Ort, CONDILLAC durch eine  wahre Analyse  bis zur wahrhaft einfachen Empfindung gekommen, so hätte er gesehen, daß gerade deswegen, weil sie ein absolut Einfaches ist, nichts durch Umbildung aus ihr abgeleitet werden kann.

Diese Kritik trifft in der Tat den schwachen Punkt des älteren Sensualismus, welcher den tiefen Unterschied desselben von der scheinbar so verwandten physiologischen Psychologie der Gegenwart bedingt. Während in der letzteren der Begriff der Empfindung sich aus einer Analyse der Wahrnehmung ergibt, wird er vom ersteren aus einigen rohen Beobachtungen aufgerafft, um sofort zur Grundlage eines Gebäudes deduktiver Konstruktionen gemacht zu werden. Daß die sinnliche Wahrnehmung, in welcher dem Sensualismus das Wesen der Empfindung unmittelbar gegeben zu sein schien, überhaupt kein einfacher Vorgang, sondern ein verwickelter psychologischer Prozeß sei, aus welchem durch wissenschaftliche Induktion der Begriff der  reinen  Empfindung erst zu abstrahieren ist, zu dieser Einsicht ist der Sensualismus nicht gekommen. In der Geschichte der Psychologie wird es deshalb als ein Verdienst BERKELEYs anzurechnen sein, daß er zuerst die Gesichtswahrnehmung auflöste und als Produkt einer psychologischen Synthese nachwies. Eine weitere Anregung zur richtigen Auffassung der sinnlichen Wahrnehmung gab die schottische Schule jedoch durch ihre Unterscheidung von  sensation  und  perception,  mit welcher eben gesagt wurde, daß eine Summe sinnlicher Reize noch nicht eine Wahrnehmungsvorstellung bildet, und also irgendein psychologischer Hergang erforderlich ist, um die letztere zustande zu bringen. Ob die Psychologie der Schotten freilich das Richtige traf, indem sie einige Wahrnehmungen durch eine ursprüngliche Verschmelzung nichtsinnlicher Vorstellungselemente mit den sinnlichen Datis (also nativistisch, original perceptions), andere durch eine auf Erfahrung beruhende Synthese (also empiristisch, acquired perceptions) erklärte, bleibt unerörtert.

BIRAN hat sich den allgemeinen Gedanken der Schotten angeeignet, er entfernt sich von denselben in der speziellen Ausführung; denn hier gerade bringt er seinen originellsten und folgenreichsten Gedanken, den der Spontaneität des Subjekts zur Geltung. Wie KANT sich selbst als den Kopernikus der Metaphysik betrachtet, so nimmt BIRAN den Ruhm eines LAVOISIER der Psychologie in Anspruch. Dieser habe, so sagt er, durch seine Entdeckung des Sauerstoffes mit einem Schlag das Wesen aller chemischen Verbindungen in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen; ebenso muß die Auffassung der psychologischen Tatsachen eine völlige Umwälzung erfahren, wenn es sich zeigen sollte, daß man einen der erzeugenden Faktoren der Vorstellungen, also ein psychologistisches Element vergessen hat (Essay V. 1. 1. c. 2). Dieses Prinzip aber ist das (aktive) Bewußtsein. Lernten wir dasselbe vorhin nur in seiner formalen Bedeutung, als Korrelat der Erkenntnis kennen, so wird uns dasselbe nunmehr als psychologische Potenz vorgeführt.

Dies erscheint jedenfalls nach dem Bisherigen als ausgeschlossen, daß man das Bewußtsein als das Ergebnis eines Umbildungs- oder Komplikationsprozesses zwischen bloßen (nicht schon selbst bewußten) Sensationen auffassen könnte. Ein rein sinnliches Wesen, so deduziert BIRAN, würde zwar Empfindungen haben können, aber es würde von diesen  nie etwas wissen;  wo deshalb ein Wissen um die Empfindung vorhanden ist, wie in der menschlichen Seele, da muß außer dem  Eindruck  von vornherein ein  Bewußtsein,  ein  Ich  vorausgesetzt werden; der Dualismus dieser beiden Faktoren, nicht die Empfindung allein, ist die Grundtatsache des inneren Sinnes (fait primitif du sens intime), und die beiden Glieder desselben, das Gefühl des einfachen, einheitlichen und stets mit sich selbst identischen Ich, sowie die Anschauung eines veränderlichen, vielfachen, vom Ich unterschiedenen Inhaltes sind gleich ursprünglich und irreduktibel (Introd. générale II.). Wie das Bewußtsein nicht aus einer bloßen Sensation abgeleitet werden kann, so ist es jedoch auch seinerseits nicht selbständig gegeben, ein  reines Ich:  ohne Beziehung auf irgendeine Affektion oder einen sinnlichen Eindruck, ist uns nichts bekannt; dagegen erhebt sich die Frage, durch welche besonderen Bestimmungen sich das subjektive Glied der Grundtatsache in der Wahrnehmung anzeigt; die Antwort BIRANs lautet: Bewußtsein, Ichvorstellung = Wollen. Der Wichtigkeit halber führen wir die bezügliche Erklärung ausführlich an: Wir können uns nicht als individuelle Personen kennen, ohne uns als Ursachen für gewisse Wirkungen bzw. Bewegungen zu fühlen, welche im Organismus hervorgebracht werden; die Ursache oder Kraft, welche wirklich angewandt wird, um den Körper zu bewegen, nennen wir Wille, und das Ich identifiziert sich also gänzlich mit dieser tätigen Kraft. Aber diese ist nur gegeben, sofern sie in Übung ist, und sie ist nur in Übung, sofern sie sich auf einen entgegenstehenden oder trägen Terminus richtet; die Kraft ist also nur bestimmt oder aktuell in Bezug auf ihren Gegenstand, ebenso wie dieser nur bestimmt ist in Bezug auf die Kraft, welche ihn zu bewältigen sucht. (Introd. générale II.) Ähnlich wie KANT seine Erkenntnislehre auf die Anerkennung zweier dem Wesen nach verschiedener, aber in der Funktion zusammengehöriger "Grundstämme des Erkenntnisvermögens" stützt, der passiven Sinnlichkeit und des aktiven Verstandes, und so die Einseitigkeiten des Empirismus, welcher nur die erstere, und des Intellektualismus, der nur den zweiten gelten lassen will, zu vermeiden sucht, so setzt BIRAN in der Psychologie an die Stelle der absoluten Empfindung den Begriff eiens Wechselverhältnisses zwischen der Affektion des Subjekts und der tätigen Reaktion desselben. Wenn wir eingangs den Begriff der Spontaneität als den charakteristischsten übereinstimmenden Grundbegriff beider Philosophen bezeichnet haben, mittels dessen sie die einseitig empiristischen, bzw. sensualistischen Richtungen zu überwinden suchen, so ist es doch ebenfalls ein gemeinsamer Zug, daß sie den entgegengesetzten Begriff der Rezeptivität nicht aufheben, sondern ein Doppelprinzip als die Grundlage der Erkenntnis bzw. der psychologischen Organisation annehmen. Die Betonung des Sich-bedingens der Spontaneität des Ich und der passiven Bestimmung desselben durch Eindrücke hat aber bei BIRAN noch speziell die Bedeutung, daß durch sie die Interpretation dieser Begriffe in einem  absoluten, metahysischen  Sinn ausgeschlossen werden soll. Das Subjekt, welches sich selbst in der Willensanstrengung (effort) auffaßt, ist mehr als ein bloß logisches Subjekt, aber es ist doch keine metaphysische Substanz, sondern das eine Glied einer Relation, welche ihrerseits nicht als eine erst aus selbständig gegebenen Elementen zustande kommende zu betrachten ist, sondern vielmehr die allererste Tatsache darstellt, von welcher alle unsere Begriffe auszugehen haben und über die wir nach rückwärts keinen Schritt hinaus können. Daß BIRAN bei diesem  Relativismus  nicht geblieben ist, werden wir freilich bald sehen.

Handelte es sich zunächst nur darum, in dem bereits entwickelten Selbstbewußtsein das Element der Spontaneität nachzuweisen und so den Tatbeweis seiner Existenz zu bringen, so wird weiterhin in einer Analyse der sämtlichen Erscheinungen des Seelenlebens und der Wahrnehmung insbesondere der durchgehende Einfluß desselben dargelegt, der sich in verschiedenen Abstufungen der Klarheit äußert. In der Tat kann sich erst durch eine derartige Durchführung im einzelnen der Wert des allgemeinen Gedanken bewähren, und eben durch dieselbe geht BIRAN wesentlich über die Psychologen hinaus, die nur andeutungsweises einer Selbsttätigkeit des Subjekts gedachten (3). Freilich kann man bei ihm nach seiner Bestimmung der Aufgabe und Methode der Psychologie keine  Geschichte  des Seelenlebens erwarten, wie sie der Sensualismus bot, und die moderne Psychologie sie wenigstens für erstrebenswert hält; die vier Hauptstufen der psychischen Entwicklung, die er unterscheidet, sind nicht Epochen, sondern bezeichnen graduelle Abstufungen in den Lebenserscheinungen des Bewußtseins, die hauptsächlich bedingt sind durch das mehr oder weniger deutliche Hervortreten jener Spontaneität.  Affektives System  nennt unser Psychologe diejenige niederste Stufe des Seelenlebens, auf welcher ausschließlich die rein subjektiven Empfindungen des Vergnügens und Schmerzes vorherrschen, die ein rein animales, passives Leben bedingen, an welchem das aktive Ich in keiner Weise beteiligt ist. Ein zweiter Grad ist das  sensitive System;  hier nimmt das Ich an den inneren Vorgängen als "interessierter Zuschauer" Teil, ohne durch seine Tätigkeit mitzuwirken; die Empfindungen werden im Organismus lokalisiert, insofern sie mit gewissen Muskelempfindungen zusammentreffen, durch welche der letztere sich bemerkbar mach, und zufolge dieser einfachen Koinzidenz gewinnen sie die Bedeutung variabler Erregungen, denen der mehr konstante Komplex der Muskelempfindungen gegenübersteht; das Ich und das Nicht-Ich beginnen auseinanderzutreten. Über dies verlieren durch öftere Wiederholung die Eindrücke ihren Gefühlston und werden so zu Anschauungsbildern. Auch sind die Wurzeln der Raumanschauung auf dieser Stufe zu suchen; und zwar entwickelt sich dieselbe in der Weise, daß zunächst die in den Muskelempfindungen gegebenen Widerstände in eine bestimmte Gruppierung treten (subjektiver Raum), welche sich weiterhin auf die mit jenen koinzidierenden variablen objektiven Empfindungen überträgt und so zum äußeren Raumgebilde wird. (4)

Obwohl nun in dem sensitiven System das Ich selbst nur durch Empfindungen gegeben ist, durch die Muskelempfindungen nämlich, welche die unwillkürlich vom Subjekt ausgehenden Bewegungsimpulse auslösen, so bekundet sich doch dasselbe als ein von der Empfindung unabhängiges Prinzip der Einheit im Gedächtnis und der Assoziation der sinnlichen Bilder. Es ist der englischen Assoziationspsychologie gegenüber für BIRAN charakteristisch, daß er die Einheit des Selbstbewußtseins, nicht als eine Folgeerscheinung der anderweitig bedingten Reproduktion und Assoziation der Vorstellungen auffaßt, sondern umgekehrt diese Vorgänge als auf jener beruhend anerkennt und somit diejenige Einheit, welche in einem entwickelten Selbstbewußtsein in der Ichvorstellung gegeben ist, als wirksam bereits im primitivsten Stadium der Vorstellungsbildung ansieht. Er führt damit in die Psychologie dieselbe Anschauung ein, welche KANT in einem erkenntnistheoretischen Sinn aussprach, daß dieselbe Funktion der Synthesis, welche im logischen Urteil Subjekt und Prädikat verknüpft, auch  schon  die  sinnliche Anschauung  bestimmt, und daß es somit die Einheit des Bewußtseins ist, durch welche die objektive Einheit zuerst möglich wird; und diese Analogie läuft sogar zum Teil auf eine völlige Übereinstimmung hinaus, da man ja weiß, daß KANT die transzendentale Synthesis auch in den psychologischen Prozessen als wiedererkennbar nachzuweisen versuchte (Deduktion der Kategorien in der 1. Auflage der Kr. d. r. V.) und der logischen Verknüpfung mehrerer Vorstellungen zur  begrifflichen  Einheit die Synthesis der Einbildungskraft vorangehen ließ, durch welche dieselben zu  einem Bild  verbunden werden; gegen HUME bemerkt er dabei speziell, daß die Verbindung der Vorstellungen nach den Gesetzen der Assoziation eine Verwandtschaft derselben (transzendentale Affinität) bereits voraussetzt, die nur durch ihre Beziehung auf das sie umfassende einheitliche Bewußtsein als bestimmt gedacht werden kann, so daß dieses den letzten Grund der Möglichkeit auch jener empirisch-psychologischen Verknüpfung enthält. Ebenso leitet BIRAN die assoziative Einheit der Vorstellungsbilder aus der Einheit des Ich ab, welches, obwohl der Verkettung derselben anscheinend passiv gegenüberstehend und unfähig gegen sie anzukämpfen, doch den letzten Grund dafür bildet, daß sie stattfinden kann (Essai II. 2. c. 3), und dessen Identität, sofern sie in den gleichbleibenden oder wenigstens kontinuierlich zusammenhängenden Muskelempfindungen sinnlich gegeben ist, auch die Bedingung bildet, um die Identität einer späteren Vorstellung mit einer früheren wiederzuerkennen; ein Vorgang, zu dem die Wiederholung des Eindrucks ansich nicht ausreicht. (ebd.)

Die dritte Stufe der psychologischen Entwicklung ist endlich die eigentliche Wahrnehmung (systéme perceptif), welche das direkte Funktionieren der Spontanität einschließt, in Gestalt der aktiven Aufmerksamkeit; das Subjekt muß gegen den gegebenen Eindruck in bestimmter Weise reagieren, z. B. durch Bewegungsimpulse, welche der Muskulatur der Sinnesorgane erteilt werden, um sic selbst als konstanten Beobachter vom Beobachtungsinhalt, den Objekten, zu unterscheiden; besonders an den Gesichts- und Tastwahrnehmungen sucht BIRAN die konstitutive Bedeutung der den betreffenden Organen erteilten motorischen Impulse nachzuweisen, und seine bezüglichen Darlegungen (Essai II. 2. c. 3) sind nur aus dem einen Grund nicht so überzeugend, als sie sein könnten, weil er sich auf die innere Beobachtung beschränkt, die über die betreffenden Verhältnisse kaum hinlänglich beweisende Tatsachen zu liefern vermag. Die moderne Psychologie hat aber bekanntlich den Einfluß der willkürlichen Innervationen [Nervenimpulse - wp] im Prozeß der Wahrnehmungsbildung im weitesten Umfang anerkannt und nachgewiesen und damit den von unserem Psychologen zuerst geltend gemachten Begriff der Spontaneität des Subjekts tatsächlich unter die Erklärungsprinzipien der theoretischen Psychologie aufgenommen und demjenigen der Empfindung als gleichwertig an die Seite gestellt; und nicht bloß gilt dies für die Theorie der äußeren Wahrnehmung; sondern auch der innere Vorstellungsverlauf, insbesondere die Kategorie der von WUNDT sogenannten apperzeptiven Vorstellungsverbindungen und schließlich sogar die Assoziationen führen, wie der genannte Forscher überzeugend dargetan hat, mit Notwendigkeit auf den Begriff eines Beziehungspunktes aller Vorstellungen, der zugleich der Ausgangspunkt ursprünglicher Tätigkeiten ist, die Form und Lauf der Vorstellungen mitbestimmen (5).

Eine unterscheidende Eigentümlichkeit der BIRAN'schen Wahrnehmungstheorie von der zuletzt erwähnten ist es jedoch, daß sie schon auf dieser Stufe der psychologischen Ausbildung die sich zunächst als konkreter, realer Faktor des Seelenlebens behandelte Spontaneität in die abstrakte Form eines Begriffs, des Kausalbegriffs, transformieren läßt und diesem eine maßgebliche Bedeutung für die Vollendung der objektiven Wahrnehmung beilegt; sie gerät dadurch unversehens aus dem rein psychologischen in das transzendentale Gebiet, in welchem nicht die realen Elemente, sondern die begrifflichen Voraussetzungen der objektiven Erkenntnis untersucht werden. Das willkürlich tätige Subjekt muß notwendig, so heißt es, sich und seine konstant bleibende Tätigkeit von der zufälligen Vielheit der Eindrücke unterscheiden, womit zugleich das Gefühl gegeben ist, Ursache gewisser Veränderungen zu sein.  Mit den Formen,  die die Bedingungen seiner eigenen Existenz sind, bekleidet nun das Ich auch all das, was den Inhalt seines Bewußtseins bildet; und so wird dann alles, was ihm gegeben ist, von vornherein kausal interpretiert, und zwar so, daß die Ursache eines Eindruckes  Ich  ist, wenn derselbe in Verbindung mit einer gewollten Anstrengung wahrgenommen wird, und ein Nicht-Ich, wenn es sich um passiv perzipierte Eindrücke handelt. Wie unmittelbar mit dem Bewußtsein der eigenen Aktivität die Auffassung des Ich als wirkender Ursache gegeben ist, so geht auch die Übertragung dieses Begriffs auf die nicht von jenem Bewußtsein begleiteten Modifikationen der Sinnlichkeit, wie weiter ausgeführt wird, aller Reflexion voraus, aber derselbe bedingt nur einen Glauben an ein unbestimmtes Nicht-Ich; erst indem dieser Glaube sich verbindet mit irgendeinem Bild der sinnlichen Anschauung (und zwar vorzugsweise mit den Bildern des Tastsinnes), erfährt die Idee der Ursache eine nähere Bestimmung und wird zur Objektvorstellung: "es assoziieren sich mit der Idee einer substantiellen Kraft ( - eines wirksamen Nicht-Ich - ) auch alle anderen passiven Bestimmungen der Empfindung eines jeden Sinnes, und sie wird so gewissermaßen der Kern, um welchen sich alle gruppieren." (Essai II. 3. c. 2.)

Es bedarf kaum eines Hinweises, daß wir hier nahezu dieselbe Anschauung vor uns haben, die SCHOPENHAUER zum Beweis der Apriorität des Kausalbegriffs entwickelte, nur daß BIRAN nicht wie dieser zwischen der Kausalität als idealer Form des Intellekts in der objektiven Anschauung, und dem Willen, als dem metaphysischen Wesen der Kraft unterscheidet, sondern sich die innerlich beobachtete Kausalität des Willens unmittelbar auf die Wahrnehmungsbilder übertragen läßt und so die physische Kausalität als identisch setzt mit der psychischen; deshalb verwirft BIRAN auch den Phänomenalismus in der Naturwissenschaft, der die notwendige Konsequenz der SCHOPENHAUER'schen Erkenntnislehre ist, und entwickelt einen monadologischen Dynamismus als das richtige Prinzip derselben. (Ess. I. 2. c. 4., Seite 256f) Lassen wir jedoch die naturphilosophischen Konsequenzen hier beiseite und kommen wir auf die psychologischen bzw. erkenntnistheoretischen Grundvorstellungen zurück, so liegt die Sache so, daß unser Philosoph schon bei der Bildung der objektiven Wahrnehmung neben der innervierenden und apperzipierenden Willenstätigkeit die logische Funktion mit ins Spiel treten läßt, so daß seine Theorie die Mitte hält zwischen der psychologisch-dynamischen der neueren physiologischen Psychologie und der intellektualistischen, wie sie REID aufstellte, und die in der Hypothese der unbewußten Schlüsse noch heute vielfachen Beifall findet. Die logische Funktion selbst aber sucht BIRAN aus der allgemeinen Spontaneität des Ich abzuleiten: geschieht die Intellektualisierung der letzteren innerhalb des  systéme perceptif  noch instinktiv, so wird sie in einem  reflexiven System,  der höchsten Stufe der psychologischen Entwicklung, mit logischer Klarheit vollzogen und führt zur Bildung der "intellektuellen Vorstellungen" von Substanz und Kraft. So glaubt BIRAN dann auf Grundlage der verbesserten Psychologie das Erkenntnisproblem, die Frage nach dem Ursprung der metaphysischen Begriffe, in befriedigender Weise lösen und mit dem Sensualismus auch den erkenntnistheoretischen Skeptizismus beseitigen zu können: wie wir eben hörten, soll im Bewußtsein der eigenen Tätigkeit der Begriff der wirksamen Ursache oder der Kraft unmittelbar gegeben sein. Daß in der äußeren Wahrnehmung nirgends eine notwendige Verknüpfung, wie sie der Begriff der Ursache mit sich führt, gegeben ist, gesteht auch BIRAN zu, aber er bestreitet es, wenn HUME dasselbe von der inneren Wahrnehmung behauptet (Essai II. 4. c. 1.); in dieser sei vielmehr die Macht des Willens über die Glieder höchst klar enthalten, aber freilich werde sie  gefühlt,  nicht  objektiv vorgestellt,  und sie liege nicht so gegenständlich vor unseren Aufgen, wie ein fremder Mechanismus. Man müsse aber unterscheiden zwischen der repräsentativen Vorstellung, durch welche Objekte  von außen  aufgefaßt werden, und der unmittelbaren inneren Wahrnehmung unserer selbst, und der Fehler HUMEs sei es, diese Betrachtungsweisen verwechselt zu haben; wenn derselbe den Nachweis des notwendigen Zusammenhangs zwischen Wille und Tat verlange, so fordere er eben etwas ganz Unmögliches, denn "um die Wirksamkeit eines Wesens aufzufassen, müssen wir uns an seine Stelle setzen, der Erfolg aber wird nur vorgestellt, sofern wir uns gänzlich von dem Wesen trennen, dem wir denselben zuschreiben; somit kann der letztere als äußeres Phänomen nicht in der Ursache mitgefühlt und folglich auch rückwärts die Ursache nicht aus dem Erfolg erkannt werden; will man die Kraft in ihrer Wirkung oder die Wirkung in der Energie der Ursache begreifen, so stelle man die Gleichartigkeit zwischen den beiden Gliedern dieses Verhältnisses her, man gehe auf die Tatsache des Bewußtseins zurück, in welcher das Subjekt der Tätigkeit sich innerlich als die Ursache einer Bewegung wahrnimmt, die gleichzeitig nich als äußerer Erfolg vorgestellt, sondern selbst empfunden wird." In einem inneren Wechselverhältnis der Anstrengung und des gefühlten Widerstandes also ist das Urbild der kausalen Verknüpfung gegeben. Die entsprechende Deduktion des Substanzbegriffs deuten wir nur kurz an: entsprechend der doppelten Bedeutung der Substanz als eines Trägers von Bestimmungen und als des Einheitsgrundes einer Vielheit von Äußerungen wird auch eine doppelte Quelle angegeben; den Prototypen des Trägers haben wir im Widerstand, dem konstanten Korrelat unserer Aktivität und dem Grundelement aller Objektvorstellungen, während die einheitliche Verknüpfung einer Mannigfaltigkeit ursprünglich im Ich selbst gegeben ist.

In einigen Punkten kommt diese Theorie der metaphysischen Begriffe mit der kantischen überein. Sie gibt die empiristische Anforderung, daß die kausale und substantielle Einheit in der äußeren Wahrnehmung als gegeben nachgewiesen werden müßten, wenn die betreffenden Begriffe für die Erfahrung gültig sein sollen, auf; deshalb erkennt sie ruhig an, daß Substanzen wie Kräfte der sinnlichen Auffassung fern liegen; obwohl der Tastsinn, so äußert sich BIRAN, mehr als jeder andere zur Bildung und äußeren Übertragung unserer Ideen von Kraft und Substanz beiträgt, so ist er doch fremd bei ihrer ursprünglichen Bildung . . . wir berühren das Substratum der Tasterscheinungen so wenig, wie wir die Substanz des Lichts sehen usw.; die Imagination kann sich überhaupt nicht etwas wie eine Substanz  vorstellen,  sondern dieselbe wird immer nur  gedacht  in Beziehung zu einer gewissen Vereinigung von Bestimmungen oder Qualitäten, für welche sie das einheitliche Subjekt der Prädizierung bildet. Der Substanz- und ebenso der Kraftbegriff sind also, wie die reinen Erfahrungsbegriffe bei KANT, rein  intellektuelle Zutaten  zur sinnlichen Wahrnehmung, aber doch für alle Erfahrung objektiv gültig, da alle unsere Behauptungen die sinnlichen Elemente der Wahrnehmung auf das unvorstellbare einheitliche Subjekt beziehen, und auch dem Phänomenalismus, der die Dinge nur als Gruppen von Merkmalen und das Wirken nur als eine Aufeinanderfolge betrachten will, drängen sich doch jene intellektuellen Begriffe überall wieder auf (Essai I. II. c. 4ff besonders Seite 254 und 256). - Es ist nach BIRAN der Grundfehler des Empirismus, daß er die bezeichneten Begriffe wie gewöhnliche durch Abstraktion gebildete Allgemeinbegriffe ansieht, welche ihren Inhalt der sinnlichen Anschauung entnehmen, während sie doch einen spezifischen rein "individuellen Charakter" haben und zwar in alle Erfahrung eingehen, aber doch nicht durch gewöhnliche Abstraktion aus ihr dargestellt werden können. Den entgegengesetzten Fehler wirft er der Metaphysik und der kantischen Erkenntnislehre vor. Der Metaphysiker bemächtigt sich jener Begriffe auf der Stufe der Verallgemeinerung, auf welche sie der Gebrauch der Sprachzeichen bringt, und verliert so die  ursprüngliche konkrete  Bedeutung aus dem Auge, die sie haben (introduct. gén. III.); so entstehen die "absoluten Begriffe" der dogmatischen Spekulation, welche ohne Rücksicht auf die anschauliche Gestaltung die abstrakten Bedingungen verfolgt, und statt zu fragen, welche Anwendung der dem Inhalt nach intellektuelle Gedanke der Substanz ursprünglich habe, das Gegebene ihm gemäß schematisiert. So seien auch die kantischen Kategorien als solche nichts Ursprüngliches, sondern Produkte einer hohen Abstraktion, welche nun  ex abrupto  als Formen der menschlichen Seele hingestellt würden; es seien logische Schemata, die nun ohne weiteres zu realen Wesenheiten gemacht und an einen Platz gestellt würden, den nur konkrete Tatsächlichkeiten einnehmen dürften; denn nicht das Abstrakte könne der Anfang und die Grundlage der Erkenntnis sein, sondern nur eine konkrete Realität. Sei es zwar ein Verdienst KANTs, die Grenzlinien zwischen Subjekt und Objekt, Form und Materie scharf ins Aue gefaßt zu haben, so habe er doch seine Untersuchung verdorben durch die rein formale Bestimmung dieser Begriffe, der gemäß Form und Materie zwar als begrifflich verschieden, realiter aber untrennbar gelten; was sei denn nun diese Materie oder Empfindung eigentlich, welche niemals ohne die Form, und was die Form, welche nie ohne die Materie da ist, und wie sei es denkbar, daß die Form, das bloße Abstraktum, im Subjekt liegt und sogar die Basis besonderer Erkenntnisse bildet? (Essai I. 2. c. 4.) Überdies richtet BIRAN seine Angriffe noch gegen den kantischen Begriff des Apriori, indem er denselben übrigens unmittelbar mit dem des Angeborenen gleichsetzt, wie er sich in der Metaphysik des LEIBNIZ gestaltet hatte. (Essai I. 1. c. 1.) Außer der allgemeinen Erwägung nun, daß die Voraussetzung eines Angeborenen vielfach nur einen mutlosen Verzicht auf die tiefere Analyse bezeichnet (Essai I. 2. c. 4), macht er insbesondere geltend, daß aus der Allgemeinheit und Notwendigkeit gewisser Prinzipien zwar geschlossen werden kann, daß sich dieselben ihrem Ursprung nach von den variablen und zufälligen Empfindungen unterscheiden und vielmehr mit der Existenz des einheitlichen und konstanten Subjekts verknüpft sind; aber das Subjekt sei sich selbst nicht angeboren, sondern in der primitiven Tatsache des Bewußtseins gegeben, und demnach gingen auch diejenigen Begriffe, welche das Subjekt als in ihm selbst wurzelnd befindet, zwar der äußeren Erfahrung, nicht aber auch der inneren voraus; und ihre Apriorität besteht nun darin, daß sie in jener primitiven Tatsache gegeben sind; von dieser hat deshalb die Erkenntnislehre auszugehen und durch eine Analyse derselben jene Begriffe nach Form und Inhalt zu bestimmen; die Realität der Tatsache verbürgt zugleich diejenige der Begriffe. (Essai I. 2. c. 4.) - Diese Kritik KANTs ist aus dem Grund besonders beachtenswert, weil sie den Unterschied des transzendentalen und des psychologischen Gesichtspunktes in der Erkenntnislehre in schlagender Weise hervortreten läßt. Es ist keine Inkonsequenz oder ein Mangel an Bestimmtheit, daß die Begriffe der Materie und der Form der Erkenntnis sich bei KANT nur als "abstrakte Distinktionen" darstellen, sondern es liegt im Sinn seiner Untersuchungen, daß dies gar nicht anders sein kann; die Erkenntnis soll ja nicht psychologisch auf die realen Faktoren analysiert werden, die bei ihr beteiligt sind; sondern es sollen die logischen Voraussetzungen ihrer Möglichkeit aufgewiesen werden; und wenn sich hierbei eine Unterscheidung von Elementen verschiedener Art ergibt, so sind diese doch nicht als solche zu betrachten, die zunächst für sich beständen und erst zur Erkenntnis nachträglich zusammenträten, sondern als gegeben ist die Erkenntnis im Ganzen anzusehen, und nur insofern sie zum Begriff dieser Erkenntnis gehören, haben jene Elemente Realität; denn das ist eben das Wesen des transzendentalen Kritizismus, daß er die Erkenntnis nicht als das Resultat aus irgendwelchen gegenständlichen Verhältnissen, sei es außerhalb des Subjekts, sei es in demselben, ableitet, sondern vielmehr die Gegenständlichkeit als Inhalt einer Erkenntnis auffaßt. Von diesem Gesichtspunkt aus ist es allerdings eine Inkonsequenz, wenn KANT von Formen spricht, die "apriori im Gemüt bereit liegen", und so in nativistische Vorstellungsweisen nach dem Muster von LEIBNIZ verfällt; die apriorischen Bestandteile der Erkenntnis sind nur in einem logisch-transzendentalem Sinn den empirischen übergeordnet, nicht aber in einem metaphysischem. Wenn also BIRAN der kantischen Kategorienlehre den Vorwurf macht, daß sie auf abstrakten Distinktionen beruht, so bekämpft er damit das transzendentale Prinzip überhaupt, welches er selbst an einem anderen Ort zur Grundlage seiner Untersuchungen machen zu wollen schien; was er dagegen gegen den Apriorismus KANTs vorbringt, trifft nur die Mißdeutung desselben als eine psychologischen, bzw. metaphysischen Hypothese. Denn daß das Erkennen und die in ihm eingeschlossene Korrelation von Subjekt und Objekt eine  Tatsache  ist, und daß alles, was wir durch Analyse dieser Tatsache herausstellen, nur in derselben und nicht vor ihr existiert, dies ist ja gerade eine Grundanschauung auch des Transzendentalismus, der keineswegs eine spekulative Konstruktion, sondern nur eine Analyse des Erkennens bezweckt. Aber nach BIRAN soll die Erkenntnislehre auf Tatsachen in einem weit spezielleren Sinne beruhen. Die kantischen Kategorien sind tatsächliche Funktionen des Denkens, welche durch transzendentale Reflexion in der Erfahrungserkenntnis konstatiert werden; BIRAN glaubt die Erfahrungsbegriffe der Substanz usw. aus bestimmten Tatsachen der inneren Wahrnehmung ableiten zu müssen. Es zeigt sich hier, daß auch er noch unter dem Einfluß der Ansichten des englischen Empirismus steht, der die objektive Geltung eines Begriffs nur dadurch gewährleistet sieht, daß derselbe in der Wahrnehmung gegeben, d. h. durch einfache logische Operationen aus irgendeinem Datum der sinnlichen Anschauung ableitbar ist.

An eine Ableitung des Kausal- und Substanzbegriffs aus äußerer Wahrnehmung konnte nach HUME zwar nicht mehr gedacht werden, im Verhältnis zur äußeren Erfahrung sind dieselben sicher intellektuell, aber in der inneren Wahrnehmung sollen dieselben nach BIRAN doch sinnlich gegeben sein, insofern "die Urtatsache des inneren Sinnes" das Gefühl der Anstrengung gegen einen Widerstand einschließt, und somit unmittelbar, wie gezeigt wird, beide Begriffe enthält. Damit wird nun die Erkenntnislehre der psychologischen Empirie untergeordnet; der Inhalt der inneren Erfahrung ist die Quelle für die Formen der äußeren; und das Subjekt, welches beim Zustandekommen der äußeren Wahrnehmung tätig beteiligt sein muß, erscheint als passiver Beobachter in der inneren. Damit wird jedoch ein bedenklicher Zwiespalt im Subjektbegriff gestiftet, an welchem der Versuch BIRANs, die Erfahrungsbegriffe aus einer bestimmten psychologischen Beobachtung zu deduzieren, notwendig zugrunde gehen muß. - Kann das aktive Subjekt, so braucht man nur zu fragen, welches das  allgemeine Korrelat  und die Bedingung der beobachteten Gegenständlichkeit bildet, selbst  Inhalt  der Wahrnehmung sein? Die Antwort kann, in strikter Anwendung des vom Philosophen selbst ausgesprochenen Prinzips, daß jeder Tatsache ein Bewußtsein entspricht, nur verneinend ausfallen; denn hiernach wird auch der Tatsache des inneren Sinnes ein beobachtendes Subjekt bereits zugrunde liegen, und den Inhalt dieser Tatsache kann unmöglich die vorausgesetzte Spontaneität desselben bilden; obwohl also das Subjekt der Erkenntnis (transzendentale oder logisches Subjekt) den Inhalt der inneren Wahrnehmung in bestimmter Weise zu sich in Beziehung setzt, indem es ihn in dieselbe Ichvorstellung einbezieht, so kann doch unmöglich das Ich als der Inbegriff der Bestimmungen der inneren Wahrnehmung (empirisches Subjekt) ohne weiteres als identisch gesetzt werden mit dem transzendentalen Subjekt; und speziell wird der Inhalt des Gefühls der Anstrengung nicht koinzidieren mit derjenigen Aktivität, die dem erkennenden Bewußtsein als solchem eigen ist. Ist dies aber nicht der Fall, gesteht man offen ein, daß die psychologisch zu beobachtende Aktivität des Subjekts nicht jene primitive Spontaneität selbst ist, welche die Wahrnehmung bedingt, sondern ein spezieller Wahrnehmungsinhalt, so treten all die Bedenken in Kraft, welche HUME gegen die Behauptung vorbrachte, daß die gefühlte Anstrengung die Quelle des Kausalbegriffs sei und das Verbindungsglied zwischen Ursache und Wirkung unmittelbar sinnlich darstelle; denn nur die Annahme, daß der effort [Anstrengung - wp] nicht Inhalt der Wahrnehmung sei, sondern mit dem wahrnehmenden Bewußtsein zusammenfällt, ermöglicht es BIRAN, sich über jene Bedenken hinwegzusetzen. Man könnte nun vielleicht vom Standpunkt BIRANs einwenden, daß das Gefühl der Tätigkeit nicht Beobachtung im gewöhnlichen Sinne ist und die Korrelation von Subjekt und Gegenstand einschließt, sondern dasselbe stellt vielmehr jene höchste Stufe der Erkenntnis, die Reflexion dar, in welcher das (tätige) Subjekt seiner selbst gewiß wird. Das reine reflexive Selbstbewußtsein wird aber niemals ein konkretes, sinnliches, sondern nur ein intellektuelles sein können; denn im Begriff sich selbst anschaulich aufzufassen, wird das Subjekt jederzeit bemerken, daß es irgendeinen Inhalt, nicht aber sich selbst, den Beobachter des Inhalts, auffaßt. Die reine Apperzeption (um die Sache mit dem kantischen Terminus zu bezeichnen), kann zwar jede Vorstellung eines Inhaltes begleiten, aber sie ist für sich selbst völlig inhaltslos; und wenn man dem transzendentalen Subjekt eine Spontaneität beizulegen sich veranlaßt findet, so kann diese nur als transzendentaler Begriff gelten, nicht als eine Tatsache der inneren Wahrnehmung.

Der Fehler, welchen BIRAN dem CARTESIUS vorwirft, das logische Subjekt mit einer metaphysischen Substanz zu verwechseln, wird demnach von ihm selbst mit dem Unterschied wiederholt, daß er das logische Subjekt der Reflexion identifiziert mit dem Subjekt des inneren Sinnes; er schiebt also zwar nicht wie jener der intellektuellen Ichvorstellung einen absoluten, spekulativen, aber doch einen empirischen  Gegenstandsbegriff  unter, denn das Subjekt des inneren Sinnes ist eben nicht rein  Subjekt,  sondern schon  Gegenstand  der Erkenntnis. Zwar neigt auch KANT zuweilen zu einer gegenständlichen Auffassung des transzendentalen Subjekts, aber er spricht dann wenigstens nur von demselben als einem Noumenon, welches nicht näher bestimmt werden kann; hingegen geht BIRAN so weit, das spontane Subjekt als eine "absolute hyperorganische Kraft" zu bezeichnen, welche von Natur aus in Beziehung zu einem lebenden Widerstand ( - Organismus - ) steht, aber ihrer Existenz nach unabhängig ist (Essai I. 2. c. 1. Seite 214), und sucht diese Auffassung selbst vom physiologischen Gesichtspunkt zu rechtfertigen, indem er nicht ansteht, neben den durch Reize ausgelösten Muskelaktionen auch spontane im physiologischen Sinne anzunehmen. (6) Somit sehen wir unseren Philosophen auf dem besten Weg zur spekulativen Metaphysik. Der Prozeß, den die nachkantische deutsche Philosophie durchmachte, indem die von KANT angenommenes transzendentale Spontaneität des Subjekts zum Begriff eines absoluten Ich umgewandelt wurde, welcher sich weiterhin zu demjenigen der spinozistischen Substanz verallgemeinerte, vollzieht sich hier in der Gedankenentwicklung eines einzigen Mannes; ausgehend von der streng relativistischen Anschauung, daß kein Gegenstand ohne ein Subjekt, aber auch kein Subjekt außerhalb der Beziehung auf einen Gegenstand gedacht werden kann, läßt er das Subjekt der Erkenntnis zunächst mit dem Subjekt des inneren Sinnes zusammenfließen, welches einen für sich gegebenen Komplex von Tatsachen darstellt, und reduziert dieses empirische Subjekt zuletzt sogar auf ein metaphysisches; mit dem Begriff einer ununterbrochen tätigen hyperorganischen Spontaneität, die in ursprünglicher Gemeinschaft mit einem Prinzip des Widerstandes steht, kommt BIRAN vom Kritizismus auf die dogmatischen Vorstellungsweise der LEIBNIZ'schen Monadologie zurück, mit der übrigens schon seine erkenntniskritische Theorie, daß wir in den Begriffen  Substanz  und  Ursache  die Verhältnisse unseres Ichs auf die Gegenstände der äußeren Wahrnehmung übertragen, in einer gewissen Wahlverwandtschaft steht.

Wir wollen, um bei dieser Theorie noch einen Augenblick zu verweilen, die Frage, was etwa die Naturauffassung dadurch gewinnen oder verlieren kann, daß man mit den Begriffen "Substanz" und "Kraft" Vorstellungen verbindet, die aus dem Bereich der inneren Wahrnehmung entlehnt sind, nicht allgemein erörtern; es sei zugegeben, daß es kein anderes Mittel der Veranschaulichung jener Begriffe gibt, und daß somit die deduktive Naturwissenschaft, wenn sie ihre ersten Prinzipien nicht nur abstrakt aufstellen, sondern durch konkrete sinnliche Data belegen will, auf jene Vorstellungen zurückgehen muß, wie ja in der Tat auch GALILEI den Kraftbegriff der theoretischen Dynamik im Anschluß an die Empfindung des Widerstandes und der Anstrengung bestimmte; aber zu betonen ist, daß die kritische Frage über die Rechtmäßigkeit der Anwendung jener Begriffe auf die äußere Erfahrung damit nicht entschieden wird. Denn erstens ist gar nicht einzusehen, wie wir dazu kommen sollen, das, was wir in uns gegeben finden, auf äußere Erscheinungen zu übertragen, wenn in den letzteren selbst nicht auch schon Motive zur Bildung entsprechender Vorstellungsweise gegeben sind. Dann, was die Hauptsache ist, liegt im Bewußtsein des subjektiven Effort [Anstrengung - wp] nichts, wodurch der Zusammenhang äußerlich nebeneinander bestehender Elemente begreiflich würde. BIRAN bemerkte ja selbst, daß ein tiefer Unterschied sei zwischen der Betrachtung eines Verhältnisses von außen und von innen; möchten wir nun auch Grund zu der Annahme haben, daß, wenn wir uns  in die Dinge  hineinversetzen könnten, wir das Tätigsein derselben unmittelbar mitfühlen würden, so handelt es sich doch beim Kausalproblem wesentlich um die Art, wie sich die Dinge in der  äußeren  Beobachtung darstellen, und wie wir dazu kommen, eine Veränderung im Einen als notwendig bedingt durch eine vorausgegangene Tätigkeit des Anderen aufzufassen, die Transienz [Übergang - wp] des Einen zum Anderen bildet den Kern des Problems; die Gefühle des Tätigseins und des Widerstandes bezeichnen aber lediglich immanente Modifikationen unseres Selbst; wir treten in denselben so wenig aus uns heraus, wie in unseren Gedanken, und wenn wir doch das Objekt selbst zu fühlen glauben, welches uns widersteht und auf welches unsere Tätigkeit hinübergreift, so interpretieren wir vielmehr die inneren Empfindungen durch den Kausalbegriff, als daß wir den letzteren aus jenem entnehmen könnten.

Ist somit zwar der Versuch BIRANs, die "reinen Verstandesbegriffe" aus inneren Wahrnehmungen abzuleiten, als gescheitert zu betrachten und kann überhaupt seine Identifizierung des logischen Subjekts mit dem Subjekt als Gegenstand der inneren Wahrnehmung nur als ein Irrtum gelten, der sich in seinen Folgen selbst zu erkennen gibt, so sind doch seine Entwicklungen von hohem Interesse, weil die Fragen, zu welchen sie Veranlassung geben, in der Tat schwierige und noch keineswegs völlig gelöste sind; und wenn auch die Erkenntnislehre sich in der Gegenwart mehr und mehr von der Psychologie emanzipiert hat, so dürfte doch für die Psychologie die Berücksichtigung erkenntnistheoretischer Gesichtspunkte nicht gleich entbehrlich sein; in dieser Richtung enthalten BIRANs Essais manche klare und fundamentale Gedanken; und sein Hauptverdienst bleibt es ja jedenfalls, daß er das Prinzip der Spontaneität des Subjekts, auf welchem KANT die Erkenntnislehre unter dem Einfluß größtenteils erkenntnistheoretischer Erwägungen neu aufbaute, auch in die Psychologie von Neuem einführte. Die Versuchung, diesen Begriff spekulativ im Sinne der Monadologie weiter auszudeuten, lag zu nahe, als daß man dem Philosophen daraus einen Vorwurf machen sollte, zumal ja auch KANT sich nicht von einer metaphysischen Interpretation seiner transzendentalen Begriffe völlig frei gehalten hat.
LITERATUR - Edmund König, Maine der Biran - der französische Kant, Philosophische Monatshefte, Bd. 25, Heidelberg 1889
    Anmerkungen
    1) HIPPOLYTE TAINE, Les philosophes franc. du 19. siécle, Seite 52
    2) Einige englische Denker sind zwar nahezu bis zum Gedanken reiner Verstandesbegriffe vorgeschritten, aber da sie das Denken nur als reflektierende, nicht als transzendentale Funktion kannten, so blieb die Idee unwirksam. Man vergleiche: PRICE, Essays (1757) und DUGLAS STEWART, Outlines of moral philosophy (Seite 138: these agreements and disagreements of ideas are in many instances simple ideas of which no analysis can be given and of which the origin must be referred to reason; d. h. es gibt neben den identischen Urteilen, die LOCKE allein kennt, synthetische aufgrund gewisser Einheitsbegriffe.
    3) So stellte LAROMIGUIÉRE in seinem "Essay sur les facultés de l'âme" (1812) die Aufmerksamkeit als ursprünglichen psychologischen Faktor neben die Sensation, und schon vorher wies DESTUTT de TRACY auf die Bedeutung des Gefühls der Anstrengung bei der Wahrnehmung äußerer Objekte hin.
    4) Die Verwandtschaft der hier von BIRAN nur andeutungsweise gegebenen Raumtheorie mit LOTZEs Annahme der Lokalisation durch Lokalzeichen liegt auf der Hand.
    5) Man vergleiche WILHELM WUNDT, Physiologische Psychologie, Bd. II, Seite 210f und 387
    6) Des Raumes halber müssen wir uns versagen, auf die höchst interessante Darstellung der Entwicklung des Willens einzugehen, die BIRAN aufgrund der Auffassung des Willens als einer absoluten Wirkungsfähigkeit liefert, und die in ihren Ergebnissen mit den entsprechenden Theorien LOTZEs und BAINs nahe zusammentrifft.