p-4 Geschichte des UnbewußtenDas Bewußtsein    
 
FRIEDRICH HARMS
Geschichte der Psychologie

"Innerhalb des Empirismus bekommt die Psychologie eine andere Aufgabe. Die empirische Psychologie erhält das Problem, das Fundament der Philosophie zu gründen und durch diese Fundamentlegung zugleich über das mögliche Gebäude der Philosophie zu entscheiden. Daraus ist der Sensualismus und Skeptizismus von Locke, Hume und Condillac entstanden, der mit dem Verzicht auf alle Erkenntnis und Wissenschaftsbildung endet."

"Psychologie ist eine Wissenschaft für sich und selbst eine philosophische, die ihre eigene, nicht geringe Aufgabe hat und daher nicht noch nebenbei zur Begründung der Philosophie dienen kann." - Schelling

Vorwort

Empirismus nennt sich die Philosophie, welche das empirische Verfahren zur Universalmethode der Wissenschaften macht. Sie huldigt demselben Vorurteil wie die absolute Philosophie von SCHELLING und HEGEL, welche in der Spekulation die Universalmethode der Wissenschaften meinten entdeckt zu haben. Keine Wissenschaft hat ihr Wesen allein in ihrer Form, sondern zugleich im Gegenstand ihres Erkennens, weshalb es überall keine Universalmethode der Wissenschaften gibt, sondern verschiedene Verfahrensarten, welche sie anwenden müsen, um ihren Gegenstand zu erkennen. In Übereinstimmung mit diesem Begriff von einer Wissenschaft, die zumal in ihrem Gegenstand wie in den Formen des Erkennens eine Bedingung ihrer Möglichkeit besitzt, ist in der Einleitung zu dieser Schrift das Problem der Philosophie in ihrer Stellung zu den besonderen Wissenschaften, zu deren Ergänzung sie dient, abgehandelt.

Der zweite Abschnitt der Einleitung beschäftigt sich mit der Einteilung der Philosophie in Logik und Metaphysik, in Physik und Ethik. Die Einteilung der Philosophie in Physik und Ethik ruht auf der Verschiedenheit der Wissenschaften, Logik und Metaphysik aber auf ihrer Einheit und Gleichheit. Natur und Geschichte sind die beiden Gebiete der menschlichen Erkenntnis und Wissenschaften, welche sich mit der Erforschung der Tatsachen beschäftigen. Ein zweifaches Gebiet der Empirie liegt der Einteilung aller besonderen Wissenschaften in geschichtliche und Naturwissenschaften zugrunde. Die Philosophie ist einäugig, welche ihre Lehren gründen will nur auf dem einen Gebiet der naturkundigen Empirie. Gegen alle einäugige Philosophie des Empirismus, der das zweite Gebiet der geschichtlichen Erfahrung nicht kennt und ignoriert, ist das Streben der deutschen Philosophie seit KANT gerichtet, welche von ihrem Beginn an das zweite Gebiet aller menschlichen Erfahrung, welches wir die Geschichte nennen, neben der naturkundigen Empirie als eine Wahrheit anerkennt und daher eine ethische und geschichtliche Weltansicht gründete zur Ergänzung der physischen Weltansicht, welche zum Naturalismus und Materialismus in der vorkantischen Philosophie ausartete, deren Restauration keine Fortbildung, sondern nur eine Reaktion ist gegen die Ausbildung der deutschen Philosophie seit KANT. Nur Knaben meinen, daß, wenn sie reagieren, darin ein Fortschritt enthalten ist. Diese Reaktionen werden den Entwicklungsgang der deutschen Philosophie seit KANT nicht aufhalten.

Das System und die Geschichte der Philosophie sind die beiden Wege, auf denen man sich mit der Philosophie beschäftigen kann. Sie können einander zur Ergänzung dienen, wenn beide nebeneinander anerkannt und richtig gewürdigt werden. Nur die Philosophie selbst kann ihre Geschichte schreiben, denn ohne die systematische Philosophie ist keine richtige Auffassung und Beurteilung der Geschichte der Philosophie möglich. Sie hat durch eine Reihe vorzügliche Werke aus der SCHLEIERMACHschen und HEGELschen Schule ein großes Interesse und eine Ausbildung erfahren, welche auch für die Fortbildung der systematischen Philosophie zur Verwendung gebracht werden muß. Sie ist die wahre Propädeutik [Vorschule - wp] für die systematische Philosophie, deren Fortbildung in der Gegenwart von der richtigen Verwendung ihrer Ergebnisse abhängig ist und ohne dieselbe nicht gedeihen kann. Von diesem Standpunkt aus betrachten wir die Philosophie in ihrer Geschichte, welche ein neutrales Gebiet ist, worauf die verschiedenen Denkweisen und Richtungen sich orientieren und verständigen können, wenn die Geschichte der Philosophie gebraucht wird.

Unter allen Disziplinen der Philosophie hat keine ein wechselvolleres Schicksal gehabt, als die Psychologie. In der Tat ist sie eine untergeordnete Disziplin der Philosophie, deren Lehren daher stets abhängig sind von den Systemen der Philosophie und ihren allgemeinen Teilen, denen die Psychologie untergeordnet wird. Die physischen und metaphysischen, aber auch die ethischen und logischen Lehren eines Systems der Philosophie sind in Anwendung auf psychische Empirie in der Psychologie enthalten. Daher kann die Psychologie nicht für sich, sondern nur in ihrer Unterordnung und Abhängigkeit von der Weltansicht des Systems der Philosophie, wozu sie gehört, abgehandelt werden. Sie wiederholt in sich das System der Philosophie wie in einem Abbild.

Die Auffassungen vom Wesen der Seele entspringen und haben ihre Begründung in der physischen und metaphysischen Weltansicht der Philosophie und verändern sich, wie diese sich verändert. Das gilt namentlich von der griechischen Philosophie, in der die Psychologie eine Disziplin ihrer Physik ist. Die allgemeine Naturansicht entscheidet über die Auffassung vom Wesen der Seele. Die Empirie für sich hat keinen Begriff von der Seele, der eine Funktion der allgemeinen Prinzipien und Grundsätze der physischen Weltansicht ist.

In der neueren Philosophie sind drei Perioden ihrer Geschichte zu unterscheiden, seit AUGUSTIN, CARTESIUS und KANT. Sie bildet einen Gegensatz mit der alten Philosophie. In ihr tritt das Primat der Psychologie und zwar zuerst bei AUGUSTIN hervor. Der psychologische und subjektive Weg des Erkennens beginnt mit AUGUSTIN. Die Physik tritt zurück und ihre Ausbildung wird vernachlässigt. Die Psychologie hat den Vorzug, im Leben der Seele für sich offenbart sich die Wahrheit. Diese Psychologie hat im Mittelalter eine ethische Tendenz, wie das vor allem bei HUGO von St. VICTOR, dem AUGUSTIN des Mittelalter, hervortritt.

CARTESIUS hat das Verdienst, daß er den Gradunterschied von Geist und Körper aufgehoben und ihre spezifische Differenz zuerst bestimmt hat, worauf sich der positive Begriff des Geistes und des Körpers gründet. Damit tritt eine neue Auffassung von Geist und Körperwelt hervor, wie sie weder das Mittelalter, noch die Griechen gekannt haben. Ob Körper und Geist Substanzen oder Attribute sind, mag zweifelhaft sein, ihre spezifische Differenz ist es nicht. Okkasionalismus und Spinozismus gründen sich auf der realen und positiven Entgegensetzung von Geist und Körper, ohne welche das Problem, dessen Lösung sie suchen, nicht existiert.

Zur Annahme eines bloßen Gradunterschiedes zwischen der Materie und dem Geist ist die Metaphysik des Materialismus und des Spiritualismus der neueren Philosophie zurückgekehrt, indem man entweder die Materie nur als den niedrigsten Grad des geistigen Daseins oder den Geist als die höchste Entwicklungsstufe in der Organisation der Materie auffaßte. Den Dualismus des CARTESIUS hat diese Metaphysik des Materialismus und Idealismus durch die Annahme eines bloßen Gradunterschieds von Geist und Körper überwinden wollen, wodurch sie aber, um sich mit den Tatsachen der Erfahrung abzufinden, zugleich genötigt wurde, bloß negativen Begriffen, des bewußtlosen Geistes und des unsichtbaren Körpers, einen positiven und realen Wert für die Erkenntnis der Dinge zuzuschreiben. Die Erfahrung kennt weder einen Gradunterschied zwischen Geist und Körper, noch die Realität der negativen Begriffe der Metaphysik des Materialismus und des Idealismus. Der Cartesianismus stimmt mit den Tatsachen der Erfahrung mehr überein, als die Metaphysik, welche sich auf der Annahme eines Gradunterschieds in allem Inhalt der Erfahrung gründet.

Der moderne Idealismus hat die Psychologie zur Metaphysik der Wissenschaften gemacht und daher ihren Grundbegriff, den Begriff der Seele und des Geistes über seine Grenze extendiert und ihn selbst durch zufällige Merkmale bestimmt, wie dies zuerst in der Monadenlehre von LEIBNIZ hervortritt.

Innerhalb des Empirismus bekommt die Psychologie eine andere Aufgabe. Die empirische Psychologie erhält das Problem, das Fundament der Philosophie zu gründen und durch diese Fundamentlegung zugleich über das mögliche Gebäude der Philosophie zu entscheiden. Daraus ist der Sensualismus und Skeptizismus von LOCKE, HUME und CONDILLAC entstanden, der mit dem Verzicht auf alle Erkenntnis und Wissenschaftsbildung endet.

Mit KANT beginnt die dritte Periode in der Geschichte der neueren Philosophie. Den Psychologismus von LEIBNIZ wie von LOCKE und HUME, der die Psychologie entweder zur Grundlegung der Philosophie oder zur Metaphysik der Wissenschaften macht, verwirft er und bildet den Kritizismus als eine Transzendentalphilosophie aus.

Innerhalb der deutschen Philosophie seit KANT treten drei Formen der Psychologie hervor. Die eine behandelt die Psychologie als Lehre von den Vermögen und Tätigkeiten der Seele, welche ihr Leben bedingen. Die zweite stellt sich die Aufgabe, die notwendigen Entwicklungsstufen in der Geschichte und dem Leben der Seele aus ihrem Begriff oder ihrem Endzweck abzuleiten. Die dritte Form der Psychologie ist die Mechanik des Vorstellens von HERBART. Ihre Begründung haben diese drei Formen der Psychologie in allgemeinen Grundsätzen und Verfahrensarten des Erkennens, aus deren Anwendung auf die psychische Empirie sie entstehen.


Die Psychologie in ihrer
geschichtlichen Entwicklung


Der Begriff der Psychologie

Keine Philosophie ohne einen Begriff der Seele und kein Begriff der Seele ohne Philosophie. Die gesamte Geschichte der Psychologie von ihrem ersten Beginn an durch alle Perioden hindurch bestätigt diesen Satz. Der Begriff der Seele gehört zu den allgemeinen und notwendigen Begriffen des Erkennens, weshalb es auch keine philosophische Lehre und Denkweise gbt, in der nicht ein Begriff der Seele enthalten wäre. Derselbe ist ein allgemeiner Grundbegriff in allen Erkenntnissen und Wissenschaften, die stets in der Erkenntnis ihrer besonderen Gegenstände genötigt sind, zugleich psychologische Untersuchungen zu betreiben. Sie betrachten zugleich die Seele von einer Seite ihres Lebens und ihres Daseins, indem sie die Natur oder die Geschichte nach einem Teil der Empirie zu erkennen streben. Der Begriff der Seele ist ein erstes Prinzip in der Erkenntnis aller einzelnen Wissenschaften und daher gibt es keine Philosophie ohne einen Begriff der Seele, weil sie die Wissenschaft von den Prinzipien oder den allgemeinen und notwendigen Begriffen des Erkennens ist, welche die Endpunkte aller Induktionen und die Anfänge aller Spekulationen bilden.

Eine Erklärung und Begründung vom Begriff der Seele ist ohne die Philosophie nicht möglich, weil dieser Begriff ein Prinzip in den Erkenntnissen aller Wissenschaften ist. Psychische Empirie ist in aller Erfahrung, die wir machen, der geschichtlichen wie der naturkundigen, enthalten. Denn alle Erfahrung ist ein Erleben, und was die Seele erlebt, kommt auch in ihr zum Bewußtsein, wie flüchtig und oberflächlich diese Wahrnehmungen auch sein mögen. In allen Wissenschaften gibt es daher auch Tatsachen des Bewußtseins, worin die Anfangsgründe des Erkennens für den Begriff und das Wesen der Seele enthalten sind. Aus ihren Beobachtungen aber, selbst wenn diese in allen Wissenschaften zerstreuten Tatsachen des Bewußtseins gesammelt werden, ergibt sich kein genügender und umfassender Begriff der Seele, der, weil er ein Grundbegriff aller einzelnen Wissenschaften ist, nur durch das System des Erkennens oder durch eine Weltanschauung seine Erklärung und Begründung finden kann.

Der Begriff der Seele ist deswegen auch viel weniger, als man denkt, von der Empirie und den Beobachtungen der Tatsachen des Bewußtseins, als vom System des Erkennens oder der Weltansicht der Philosophie abhängig. Die Lehre von der Körperlichkeit der Seele oder der Materialismus, die Lehre von der alleinigen Substantialität der Seele oder der Spiritualismus, die Lehre von der lebendigen und beseelten Materie oder der Hylozoismus, die Lehre von der alleinigen Substantialität des Absoluten und der Phänomenalität der Seele als einer verschwindenden Modifikation des unendlichen Werdens oder der Pantheismus und die Lehre von der substantiellen oder phänomenalen Verschiedenartigkeit von Geist und Materie ist stets und zu allen Zeiten eine Spekulation gewesen, ein Philosophem und kein Lehrsatz der Empirie, denn soviel Anteil auch ihre Beobachtungen an diesen Überzeugungen, die nicht selten nur Überredungen durch die Empirie sind, wenn sie als eine absolute Autorität verehrt wird, haben mögen, sie folgen fü sich niemals aus einer Induktion, wenn sie nicht zugleich mit einer Spekulation verbunden ist. Denn der Begriff der Seele ist ein Grundbegriff der Erkenntnis in allen einzelnen Wissenschaften, der nur aus einem System des Erkennens seine Erklärung und Begründung finden kann.

Es liegt hier auch der Grund, warum die Psychologie von jeher zur Philosophie gerechnet worden ist und es in der Tat keine andere als eine philosophische Psychologie gibt und geben kann. Die empirische Psychologie ist die Psychologie ohne einen Begriff der Seele, wenn sie überall eine Wissenschaft wäre. Denn eine bloße Phänomenologie, welche ins Unendlich Erfahrungen und Beobachtungen sammelt, ist nur ein Bruchteil einer Wissenschaft, welche aus einem Skeptizismus, der an aller möglichen Begriffsbildung, Beweisführung und Beurteilung zweifelt, als ein Residuum der Skepsis nach bleibt, aber keine Wissenschaft, welche in aller Erfahrung nur ein Fundament der Wissenschaftsbildung anerkennt, um darauf ein System von Begriffen zu gründen zur Erklärung und Begründung der Phänomene, welche durch die Erfahrung bekannt und beachtet werden. Sobald aber die psychische Empirie zur Wissenschaftsbildung, d. h. zum Begriff der Seele verwandt wird, dessen Erklärung und Begründung ihre Aufgabe ist, tritt es auch unmittelbar hervor, daß dieser Grundbegriff nicht anders als durch die Philosophie, also durch ein System des Erkennens seine Erklärung und Begründung finden kann.

Die empirische Psychologie, welche an sich nur ein Erzeugnis des Skeptizismus ist, deren Wisenschaft bloße Phänomenologie ist, hat auch stets etwas anderes sein wolen als eine empirische Wissenschaft. Denn sie hat stets zugleich die Grundlegung der Philosophie sein wollen und betrachtet sich daher als eine ganze besondere Erfahrungswissenschaft, die eine Ausnahme von allen übrigen bildet und in ihrer, der psychischen Empirie Mittel und Kräfte des Erkennens besitzt, welche sich außerdem in keiner empirischen Wissenschaft finden. Sie nennt sich wohl empirische Psychologie, ist aber doch keine Erfahrungswissenschaft, welche von sich nicht die Meinung hegt, sie sei zugleich die wahre Philosophie. Die empirische Psychologie ist stets nichts anderes gewesen als eine philosophische Wissenschaft, welche die Grundlegung der Philosophie, der Logik und der Metaphysik, der Physik und der Ethik in sich enthalten und durch ihre exzeptionelle Empirie gewinnen zu können glaubte. Sie beweist und bestätigt nur unsere Behauptung, welche aus der Geschichte der Psychologie folgt, daß es keine andere als eine philosophische Psychologie gibt.

Selbst die empirische Psychologie, welche nichts weiter sein will als eine Phänomenologie ohne einen Begriff der Seele, gehört nicht zu den empirischen Wissenschaften, sondern zur Philosophie, da sie nur eine Form des Skeptizismus ist, aus dem sie stammt. Der Skeptizismus ist eine geschichtliche Form in der Entwicklung der Philosophie, aber nicht der empirischen Wissenschaften, die in ihrem Begriff und Wesen weder mit dem Skeptizismus, noch mit dem aus ihm resultierenden Empirismus übereinstimmen, der die Wissenschaften in eine bloße Phänomenologie auflöst, da er alles wissenschaftliche Verfahren, alle Kunst des Denkens zur Erzeugung von Wissenschaften, alle Logik als Organon und Kriterion in Zweifel zieht. Psychologie gibt es nicht ohne Philosophie und jedes System der Philosophie enthält einen bestimmten Begriff der Seele.

Als ein Teil der systematischen Philosophie rechnen wir die Psychologie zur Physik. Sie ist die Physik oder nach einem anderen Sprachgebrauch die Metaphysik der Seele. Der Begriff der Seele wird in Übereinstimmung mit der physischen Weltansicht oder der allgemeinen Naturansicht aufgefaßt und bestimmt und ist in dem Grad davon abhängig, daß, wie die physische Weltansicht sich verändert, in gleicher Weise der Begriff der Seele modifiziert wird. Die Psychologie ist daher kein allgemeiner Teil der Philosophie, sondern eine der Physik untergeordnete Disziplin.

Die Psychologie bildet als Physik der Seele einen Gegensatz mit der Logik und der Ethik, welche keine Teile der Psychologie, sondern Teile der Systeme der Philosophie sind neben der Physik. Das Wort psychologisch bedeutet auch soviel wie physisch im Gegensatz mit dem Logischen und Ethischen. Das Leben der Seele wird in der Psychologie vom Standpunkt der Physik aufgefaßt und beurteilt. Die Logik aber faßt das Denken nicht als eine Physis, sondern als eine Kunst auf, deren Werk die Wissenschaft ist, und die Ethik erkennt und beurteilt das psychische Leben nicht als ein Ergebnis aus der Natur der Seele, sondern als ein Handeln aus freier Vernunfttätigkeit. Sie erkennen und beurteilen alles Psychische anders als die Psychologie, welche alle Erscheinungen der Seele in Übereinstimmung mit der Natur physisch auffaßt und beurteilt.

Außerhalb des Systems der Philosophie wird die Psychologie aber meistens in größerer Allgemeinheit aufgefaßt und als eine angewandte Philosophie behandelt, welche physische, ethische und logische Lehren des Systems der Philosophie in Verbindung mit den Tatsachen des Bewußtseins abhandelt. Die Systematiker der Philosophie haben sich nur ausnahmsweise mit der Psychologie in dieser umfassenden Form beschäftigt, weshalb die psychologischen Lehren auch, wenn ihre Darstellung beabsichtigt wird, erst aus dem Ganzen ausgeschieden werden müssen, worin sie enthalten sind. Die Psychologie als angewandte Philosophie ist mehr von ihren Schülern und Anhängern in besonderen Werken abgehandelt worden, sie setzt die systematische Philosophie schon als gegeben voraus, indem sie ihre physischen, ethischen und logischen Lehren miteinander für die Interpretation der Tatsachen des Bewußtseins anwendet.

Oft nennt man auch die Psychologie als angewandte Philosophie die Erfahrungsseelenlehre. In der Tat ist sie aber eine angewandte philosophische und keine empirische Wissenschaft, da die empirische Psychologie eine bloße Phänomenologie auf skeptischer Basis ist, welche stets nur ein Bruchteil einer Wissenschaft ist.

Die Psychologie als angewandte Philosophie, die in Lehr- und Handbüchern vom Standpunkt irgendeines Systems der Philosophie abgehandelt wird, hat für uns an diesem Ort ein geringes Interesse, da wir die Psychologie in ihrer geschichtlichen Entwicklung nur als einen Teil des Systems der Philosophie auffassen und ihre Lehren nur für die Ausbildung der systematischen Philosophie abzuhandeln beabsichtigen. Für eine ausführliche Geschichte der Psychologie kommt sie noch mehr als angewandte Philosophie, denn als ein Teil des Systems der Philosophie in Betracht (Über den Begriff der Psychologie, Berlin 1874).

Die Einteilung

Da die Psychologie ein integrierenden Bestandteil der Philosophie ist, so werden die Perioden in ihrer geschichtlichen Entwicklung in Übereinstimmung sein mit der Einteilung der Geschichte der Philosophie. Die vorgriechische oder orientalische Philosophie werden wir nur am Ende der griechischen Philosophie in einem Punkt mit in Betracht ziehen, da die indische Denkweise auf die griechische Philosophie, da sie nach Westen und Osten sich expandierte und mehr extensiv als intensiv sich fortentwickelte, einen Einfluß ausgeübt hat auch in der Auffassung vom Wesen und Leben der Seele.

Hiervon abgesehen kann man zwei oder drei Perioden in der Geschichte der Psychologie unterscheiden, je nachdem man die mittelalterliche Philosophie, welche aus der christlichen Denkweise hervorgegangen ist, wie die griechische Philosophie aus der griechischen Denkweise, entweder als ein Mittelglied ansieht zwischen der griechischen und der namenlosen sogenannten neueren Philosophie, oder man die mittelalterliche Philosophie selbst als die erste Periode in der Philosophie der neu-europäischen Völker auffaßt, wo die Philosophie seitder Wiederherstellung der Wissenschaften dann als die dritte Periode in dieser Entwicklung unterschieden wird. Bei der ersten Einteilung beachtet man nur die Zeit, in der sich die Philosophie entwickelt, in der alten, mittleren und neueren Zeit, bei der zweiten Einteilung aber zugleich den Inhalt, die Philosophie selber, welche in diesen verschiedenen Perioden ihrer Geschichte zur Existenz gelangt ist. Da die erstere Einteilung nur formal ist, hat die zweite den Vorzug, daß sie zugleich den Inhalt berücksichtigt, weshalb wir diese unserer Betrachtung der Psychologie in ihrer geschichtlichen Entwicklung zugrunde legen.
LITERATUR: Friedrich Harms, Geschichte der Psycholgie, Die Philosophie in ihrer Geschichte, 1. Teil, Berlin 1879