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Eine neue Richtung in der Nationalökonomie
I. Wenn eine ganze Reihe hervorragender Gelehrter solche Anklagen erhebt und solche Forderungen stellt, so wird dafür kaum jegliche Veranlassung und Begründung fehlen können. Auch darf nicht allgemein und mit Notwendigkeit eine bestimmte Weltanschauung für den Standpunkt jener Kritiker verantwortlich gemacht werden. Sehen wir ja doch als Förderer der neuen Richtung Männer von verschiedener Weltanschauung zusammenwirken, Anhänger einer positivistischen Weltanschauung, wie MAX WEBER, WERNER SOMBART usw., andererseits ADOLF WEBER, der aus seiner christlichen Weltanschauung keinen Hehl macht. Man mag also immerhin zugeben, daß der relativ jungen Wissenschaft der Nationalökonomie noch mancherlei Mängen anhaften dürften. Wird deren Überwindung, ohne Verkürzung der außerordentlich großen Verdienste bisher führender Schulen und ohne Verkennung ihrer gewaltigen Geistesarbeit, erstrebt, so mag das immerhin als erfreuliches Symptom von frischer Lebenskraft und wagender Lebensbetätigung auf nationalökonomischem Gebiet begrüßt werden, selbst wenn die "neue" Richtung nicht gerade in allem das Rechte trifft, vielleicht zuweilen sogar weit über das Ziel hinausschießt. Wir wollen diesbezüglich keine Anklagen erheben, keinen Tadel aussprechen, nicht gegen Männer polemisieren, die wir achten und verehren, sondern objektiv unsere Ansicht darlegen, wenn dieselbe uns in den schwebenden Fragen auch nicht an die Seite der Hauptvertreter der neuen Richtung stellt. WERNER SOMBART hat in der Wiener Debatte über die Produktivität der Volkswirtschaft durchaus zutreffend theoretische Erörterungen solcher Art für unmöglich erklärt, wenn nicht vorerst Klarheit darüber besteht, was wir denn überhaupt unter nationalökonomischer Wissenschaft zu verstehen haben (2):
2. Demgegenüber möchten wir die Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft weder auf die Feststellung dessen, was ist, noch dessen, was sein soll, beschränken, dieselbe vielmehr sowohl in der Feststellung dessen, was ist, als auch dessen, was sein soll, und zwar, was volkswirtschaftlich, nicht was "ethisch sein soll, erblicken. Wird so, bei richtiger Verbindung der kausalen und teleologischen Forschungsweise, die Möglichkeit einer objektiven Verständigung über das wirtschaftliche "Sein" durch kein "ethisches" Werturteil gestört, dann dürfte eine Verständigung über das objektive, soziale, volkswirtschaftliche "Seinsollen", in wissenschaftlicher Allgemeinheit, und über entsprechende, objektiv begründete Werturteile sozialer, volkswirtschaftlicher Art auch über "ethische Potenzen" nicht völlig aussichtslos bleiben. Eine Beschränkung der Forschung auf den Ablauf des wirtschaftlichen "Seins" oder "Geschehens" aber würde unseres Erachtens die Volkswirtschaftslehre heillos verstümmeln, gerade um ihren wesentlichsten Bestandteil verkürzen und vielleicht von neuem einer im Grund genommen privatwirtschaftlichen und individualistischen Auffassung des Wirtschaftslebens Eingang verschaffen. Mit Recht hat HANS RIZZI (3) betont, daß der Streit um das Wesen der Volkswirtschaftslehre nur einen Ausschnitt aus dem umfassenden Kampf um das Wesen und die Methode der Wissenschaft überhaupt darstellt, daß er auf die tiefsten Erkenntnisquellen, die sich menschlichem Forschungsdrang eröffnen, zurückgeht. Ja man wird mit der Annahme nicht fehlgreifen, daß auch die Verschiedenheit der Weltanschauungen für manche der Streitenden sogar von entscheidendem Einfluß ist, unbewußt gerade für solche, die Wissenschaft und Weltanschauung so scharf voneinander trennen möchten, als ein Reich objektiver Erkenntnis einerseits, subjektiven Dafürhaltens und Empfindens andererseits. Wo immer Positivismus und Materialismus die Geister beherrschen und zu einseitigen Überschätzungen der naturwissenschaftlichen Betrachtungs- und Forschungsweise verleiten, da zumindest darf es nicht wundernehmen, wenn der Begriff der Wissenschaft von vornherein und ganz allgemein rein empirisch gedeutet und folgerichtig auch nur jene Wirtschaftsauffassung als wissenschaftlich vollwertig anerkannt wird, die das Wirtschaftsleben, analog dem äußeren Naturgeschehen, lediglich als wirtschaftliches Sein und Geschehen, unter der Kategorie von Ursache und Wirkung, betrachten will. Bei der Eigenart der Soziallehre, zu der die Volkswirtschaftslehre als Teil gehört, wird es jedoch nicht zweifelhaft bleiben, daß jede naturalistische oder quasi-naturalistische Wirtschaftsauffassung zu einer befriedigenden und erschöpfenden wissenschaftlichen Erkenntnis in keiner Weise ausreicht. Gewiß kann die Volkswirtschaftslehre der zuverlässigen Erkenntnis des wirtschaftlichen Seins und Geschehens nicht entbehren. Sie wird darum die Wirtschaftsgeschichte, die Statistik, die beschreibende Wirtschaftskunde, die Feststellung und systematische Gliederung der wirtschaftlichen Erscheinungen in ihrer wachsenden Bedeutung wohl zu schätzen und zu verwerten wissen. Auch die "Natur" kommt, wie sie für das wirtschaftliche Leben tatsächlich Geltung hat, innerhalb der Volkswirtschaftslehre zu ihrem vollen Recht: die äußere Natur nicht nur, sondern auch die menschliche Natur, die körperliche, die geistige Natur, das "Naturhafte" des physiologischen und psychologische Gebietes; ferner jene empirischen Regelmäßigkeiten im Handeln, die, ohne Aufhebung der individuellen Freiheit zu bedeuten, in der Natur des Menschen ihre Stütze habe, in der Masse unverkennbare Gesetzmäßigkeiten sind, obwohl sie in ihrer Regelmäßigkeit mit der physischen Notwendigkeit der die Körperwelt beherrschenden Naturgesetze nicht verwechselt werden dürfen (4). Möge man sogar in Zukunft immerhin speziell jenen Regelmäßigkeiten, der Aufsuchung des Typischen, Gleichartigen in den wirtschaftlichen Phänomenen vielleicht eine erhöhte Aufmerksamkeit schenken, wobei wir aufrichtig wünschen, daß diese Forschungsweise sich größerer Erfolge als bisher erfreuen und als erweiterte Wirtschaftskunde unser Wissen mit wertvollen neuen Feststellungen bereichern möge. Dennoch bleibt bestehen, daß die Volkswirtschaftslehre mit einer solchen Feststellung des wirtschaftlichen "Seins" und der Gesetzmäßigkeiten dieses "Seins" sich nicht bescheiden kann. Es heißt zuviel, ja eigentlich ihre Selbstvernichtung als eine soziale Disziplin von ihr fordern, wenn man verlangt, sie solle, angeblich um das Objektive vom Subjektiven zu lösen, das Wirtschaftsleben der Völker gewissermaßen (analog) wie ein Stück unpersönlicher Welt betrachten und behandeln. Hat sie es ja doch nicht nur mit wirtschaftlichem "Geschehen", sondern recht eigentlich und vor allem mit Handlungen menschlicher, in der Gesellschaft verbundener Personen zu tun, darum auch nicht bloß mit Gesetzmäßigkeiten in den konkreten wirtschaftlichen Erscheinungen, nicht mit der Masse und den in der Masse zutage tretenden Regelmäßigkeiten, sondern mit der Gesellschaft, und zwar nicht bloß mit dem wirtschaftlichen "Geschehen" innerhalb der Gesellschaft, sondern mit einem Stück des Gesellschaftslebens selbst, nicht mit einer "Naturlehre", sondern mit einer Soziallehre der Wirtschaft, mit den sozialen Zusammenhängen auf wirtschaftlichem Gebiet und darum mit dem Prinzip der sozialen Verbindung, Gemeinschaft, Einheit, mit jener Gesetzmäßigkeit des Geistes und der Freiheit, die das Handeln und Wirken der Menschen und der menschlichen Gesellschaft regelnd und ordnend beherrscht, mit einer Gesetzmäßigkeit teleologischer Art, mit dem Sozialzweck der staatlichen Gemeinschaft in seiner Bedeutung für das Wirtschaftsleben des Volkes. Diese Auffassung verläßt nicht den Boden objektiver und universaler Erkenntnis; - oder seit wann wären denn Objektivität und Universalität in den Rahmen einer naturalen empirischen Gesetzeswissenschaft festgebannt? Und ebensowenig bedeute die Einführung des Zwecks als eines allgemeinen Prinzips der sozialen Einheit und Ordnung in die wissenschaftliche Betrachtung die Verkennung der historischen Wandelbarkeit in den geschichtlichen Erscheinungen, da sich ja derselbe Zweck unter den verschiedensten Verhältnissen und in den mannigfachsten Formen verwirklichen kann. Sie findet aber ihre hellste Beleuchtung überall da, wo die Wirtschaft des Volkes, bei fortgeschrittener Arbeitsteilung, offensichtlich den Charakter einer sozialen Arbeitsgemeinschaft an sich trägt. 3. Die Lehre vom sozialen Charakter der Volkswirtschaft ist übrigens nicht neu. Namhafte Nationalökonomen haben sich zu ihr bekannt, wenn sie auch nicht alle die sich hieraus ergebenden Folgerungen für den systematischen Aufbau der Volkswirtschaftslehre gezogen haben. Die Kathedersozialisten, die hierher gehören, bilden keine einheitliche Schule. Vertreter sehr verschiedener Ansichten werden unter diesem Sammelnamen zusammengefaßt. Manche von Kathedersozialisten vorgetragene Lehrmeinungen sind anfechtbar. Auch mag der gemeinschaftliche, für alle charakteristische Standpunkt nicht immer ohne Übertreibungen und Einseitigkeiten zum Ausdruck gelangt sein. Es versteht sich sogar ganz leicht, daß namentlich jene Dozenten der Nationalökonomie, die einem Publikum gegenüberstehen, welches eine engere Fühlung mit Unternehmerkreisen hat, gewisse kathedersozialistische Einseitigkeiten besonders stark empfinden. Wir haben ebenfalls die bei einzelnen Anhängern der historischen Schule zutage tretende Geringschätzung der klassischen Nationalökonomie niemals geteilt, ferner, trotz aller Anerkennung der Leistungen jener Schule, eine Überspannung der historischen Auffassung bis zum vollendeten Relativismus und Evolutionismus als irrig abgewiesen. All dies wird uns jedoch nicht abhalten, das außerordentlich große Verdienst anzuerkennen, welches sich insbesondere Kathedersozialisten und Historiker durch eine scharfe Hervorkehrung gerade der sozialen Gesichtspunkte, des sozialen Charakters der Volkswirtschaft erworben haben. Der überlieferten individualistischen Naturlehre der Wirtschaftswissenschaft gegenüber, welche die wirtschaftliche Tätigkeit des Menschen unter dem Gesichtspunkt der individuellen Interessenbefriedigung untersuchte, dabei die Bedeutung der sozialen Organismen ganz oder zum Teil verkannte (5), war ja in der Tat eine Reaktion durchaus gerechtfertigt, welche die wirtschaftliche Tätigkeit der Individuen nicht atomistisch, sondern vom sozialen Standpunkt aus wissenschaftlicher Forschung unterwarf und ebenso den Leistungen der sozialen Organismen, insbesondere des Staates, für das wirtschaftliche Gebiet ein objektiv begründetes wissenschaftliches Verständnis entgegenbrachte. Dies umso mehr, als die maßlose sozialistische Reaktion gegen den Individualismus Theorie und Praxis bereits in falsche Bahnen zu lenken drohte. In der sozialen Korrektur der älteren Nationalökonomie wird der Kathedersozialismus recht behalten, wenn er auch, wie ADOLPH WAGNER sagt (6), im übrigen keinen "Ersatz" der klassischen Nationalökonomie (7) darstellt, überhaupt noch als bloße "Übergangsrichtung" mit "unfertiger Theorie" erscheint. Konnten wir dem Kathedersozialismus und der historischen Schule nicht unbeschränkt und in allem Beifall zollen, so werden wir uns der neukantianischen Philosophie (STAMMLER usw.) gegenüber vielleicht noch größere Zurückhaltung auferlegen müssen. Bei allen Mängeln und Fehlern der neukantianischen Gesellschaftsphilosophie jedoch berührt uns die Bezugnahme auf eine objektiv gültige Zwecksetzung ansich wie die Verknüpfung des Gesellschaftsbegriffs mit der Idee des geregelten Zusammenlebens der Menschen durchaus sympathisch. Das Bestreben, einer in der einseitigen naturwissenschaftlichen Weltanschauung befangenen Zeit wieder einmal die Beachtung sozialphilosophischen Denkens abzunötigen, darf immerhin ein günstigeres Urteil in Anspruch nehmen, als es bei manchen Kritikern gefunden hat (8). 4. Verlassen wir aber nicht mit der Einführung des Telos den festen, sicheren Boden der Wissenschaft? Führt uns die Anerkennung eines Ziels und Zwecks der Volkswirtschaft nicht mit Notwendigkeit zu einem ethischen Seinsollen, zu ethischen Werturteilen? Durchaus nicht! Wer sich nicht von der veralteten Vorstellung losmachen kann, daß nur eine kausale Betrachtung, im Sinne der traditionellen Naturlehre, echt wissenschaftlich ist, der mag immerhin jeder Zweckbetrachtung die Pforten der Wissenschaft verschlossen wähnen. Nur möge man vorab zumindest das Vorurteil fahren lassen, als ob die Anerkennung eines Zieles der Volkswirtschaft die Volkswirtschaftslehre mit Notwendigkeit gewissermaßen zu einem Teil der Moraltheologie machen muß. Gern geben wir zu, daß der Nationalökonom als solcher es nicht mit ethischen Werturteilen zu tun hat, daß er seine Erkenntnisse und Ausstellungen nicht ethisch zu motivieren hat. Das "Seinsollen", von dem der Nationalökonom handelt, ist nicht das moralische Seinsollen, sondern ein ökonomisches Seinsollen, und dieses wiederum nicht bloß im Sinne des wohl auch auf der anderen Seite anerkennaten "Seinsollens" des "ökonomischen Prinzips" (größter Erfolg mit den geringsten Opfern), sondern gemäß dem nationalökonomischen Prinzip, im Hinblick auf den Zweck, dem die Volkswirtschaft in ihrer sozialen Ganzheit dient. Alle Wirtschaftslehre hat es mit "Wirtschaft" zu tun, nicht bloß mit "Wirtschaftlichkeit", die Privatwirtschaftslehre mit dem Lebensprozeß der Privatwirtschaft, die Volkswirtschaftslehre mit dem volkswirtschaftlichen Lebensprozeß. Muß jede Wirtschaft mit dem "ökonomischen Prinzip" rechnen, so ist dieses Prinzip doch als Prinzip der praktischen Vernunft wieder an die richtige Ordnung der Zwecke gebunden. Es bleibt überall eine wichtige Eigenschaft, ein wirksames Motiv des Wirtschaftens, eine unerläßliche Bedingung und, bei rechter Anwendung, auch hervorragende Ursache des günstigen Erfolges wirtschaftlicher Betätigung. Aber es trägt nicht in sich selbst seine letzte und oberste Bestimmung. Welches ist der Erfolg, auf den es bezogen wird? Das ist vorerst die entscheidende Frage, und darum wird auch die einheitliche Gesamtaufgabe, der Zweck derjenigen Wirtschaft - Privatwirtschaft oder Volkswirtschaft -, innerhalb deren Sphäre es zur Anwendung kommt, letztlich den Ausschlag geben für Art und Weise, Form und Maß seiner Geltung. Weder Privatwirtschaft noch Volkswirtschaft stellen also das ökonomische Prinzip außer Dienst. Beide wollen den größten Erfolg mit den geringsten Opfern erzielen, aber jede in ihrer Art, im Hinblick auf den besonderen Zweck, dem sie dienen - anders in einer modernen, auf Gewinn abzielenden, vom fundamental-kapitalistischen Prinzip des höchsten Reinertrages beherrschten Unternehmung, anders in der Volkswirtscahft, deren Erfolge durch sozial umfassendere Gesichtspunkte bestimmt werden, durch einen Zweck, der sich nicht im Dienst rein privatwirtschaftlicher Rentabilität erschöpft. Man wird hiernach verstehen, warum wir sagten: Die Rücksicht, unter welcher der Nationalökonom sein Materialobjekt untersucht, ist ökonomischer Art, aber nicht das "ökonomische", sondern das nationalökonomische Prinzip. Immerhin bleibt es also richtig, daß der Nationalökonom dem gleichen Material objekt gegenüber anders verfährt als der Moralist. Letzterer untersucht das wirtschaftliche Handeln unter der Rücksicht der sittlichen Güte, der Nationalökonom hat ein ganz anderes Formal objekt für seine Untersuchungen, d. h. eben die Beziehung auf Zweck und Ziel der Volkswirtschaft als eines Bestandteiles des Gesellschaftslebens eines staatlich geeinten Volkes. Ob nun bei der den Philosophen geläufigen Einteilung in metaphysische, physische, moralische Disziplinen die Nationalökonomie den letzteren nicht doch in dem Sinne und insofern zugewiesen werden kann, als es sich hier um eine Gebiet freien menschlichen Wirkens handelt, ob diese erwähnte Unterscheidung nicht etwa gegenüber der von DILTHEY vorgenommenen Scheidung in Natur- und Geisteswissenschaften oder gegenüber der von der RICKERTschen Gruppe der Neukantianer gewählten Unterscheidung zwischen Natur- und Kulturwissenschaften manche Vorzüge aufweist, das soll hier dahingestellt bleiben. Darin hat SOMBART jedenfalls recht, daß die Nationalökonomie keine ethischen Untersuchungen und Wertungen, Motivierungen vorzunehmen oder zu prüfen hat und darum auch nicht in diesem Sinne als eine "ethische" Wissenschaft angesprochen werden darf. Andererseits erkennt SOMBART erfreulicherweise rückhaltlos die große Rolle an, die das Ethische im Leben und spezielle im Wirtschaftsleben spielt; ja er betont mit Nachdruck, daß bei einer totalen Erörterung der wirtschaftlichen Zusammenhänge die Bedeutung der ethischen Faktoren niemals außer acht gelassen werden darf. Lange bevor man noch von einer "ethischen Richtung" sprach, haben ja auch z. B. ROSSI und andere Nationalökonomen den segensreichen Einfluß des Sittengesetzes auf die Volkswirtschaft der christlichen Völker anerkannt. Und es will uns scheinen, daß, wenn nun SOMBART und MAX WEBER überhaupt einmal eine Berücksichtigung der Rolle, die das Ethische im Wirtschaftsleben spielt, zugeben und für notwendig erklären, die Abstinenz von jedem nationalökonomischen "Werturteil" über "ethische Potenzen", über die Bedeutung des Ethischen für das Wirtschaftsleben doch mehr als gezwungene und gekünstelte "wissenschaftliche" Askese empfunden werden muß. Wer den Einfluß von Sitte und Sittengesetz auf das wirtschaftliche Leben anerkennt, der wird ferner, bei folgerichtigem und vorurteilsfreiem Denken, auch wohl wissen, daß mit Rücksicht auf die harmonische Verbindung der Bestrebungen der materiellen Ordnung mit den Anforderungen im Volk anerkannter höherer geistiger und sittlicher Ordnungen (Prinzip der Einheit der Kultur) ein Widerspruch mit diesen höheren Postulaten zu vermeiden ist. Diese Rücksichtnahme macht den Nationalökonomen noch lange nicht zu einem Moraltheologen, beweist nur, daß er über die Stellung seines Gebietes im Rahmen der Gesamtkultur sich einer richtigen Orientierung erfreut. Schließlich möchten wir es auch nicht gerade als eine besonders unheilvolle Entgleisung bezeichnen, wenn z. B. LEXIS (9) sagt, daß
5. Die Frage, ob die Nationalökonomie als Wissenschaft ihre Forschungen lediglich auf das "Sein" beschränken muß, oder ob sie es auch mit dem "Seinsollen" zu tun hat, hängt, wie wir schon andeuteten, mit der weiteren Frage zusammen, ob und in welchem Sinne die Volkswirtschaftslehre als eine soziale Disziplin zu gelten hat. Weder nach der politischen noch nach der ökonomischen Seite weist das Leben einer irgendwie staatlich geeinten Volksgemeinschaft in allen Epochen das gleiche Gepräge auf. Wer schon für die Zeit der geschlossenen Eigenwirtschaften, Familienwirtschaften, Fronhöfe, mit geringem Verkehr, bloß gelegentlichen Tausch, mit Rücksich auf die noch schwachen Verkehrsfäden, die sich von Wirtschaft zu Wirtschaft ziehen, oder wegen der Leistungspflichten für den gemeinsamen Staat, wegen des von dorther allen zuteil werdenden Schutzes, gemeinsame Kriegsbereitschaft gegen auswärtige Feinde, gemeinsamer Rechtsordnung usw. von einer "Volkswirtschaft" sprechen und in der Versorgung des Volkes mit materiellen Gütern deren unmittelbar Aufgabe erblicken wollte, der wird zugleich zugeben dürfen, daß diese Volkswirtschaft einer älteren Wirtschaftsstufe sich eher noch als eine Summe von Einzelwirtschaften oder Stadtwirtschaften und mehr für die gedankenmäßige Zusammenfassung als Einheit darstellt. Ganz anders auf der Stufe einer höher entwickelten Verkehrswirtschaft, mit welcher sich heute die Nationalökonomie als selbständige Wissenschaft beschäftigt. Da ist die Volkswirtschaft unzweideutig und klar wahre Sozial ökonomie geworden, ein Bestandteil des Gesellschaftslebens staatlich geeinter Volksgemeinschaft; da ist sie eine reale, sozialökonomische, durch Verkehr, Sitte, Recht, Sozialzweck verbundene Einheit, wie die staatlich geeinte Volksgemeinschaft durch Zweck und Autorität in wirklicher politischer Einheit verbunden ist; da ist sie eine organische Einheit, der sich alle Einzelwirtschaften und Spezialverbände einordnen müssen, ein Zusammenwirken vieler und verschiedener Organe, so zwar, daß die Berufstätigkeit der wirtschaftlichen Stände den Charakter sozialer Funktionen an sich trägt. Da ist sie schließlich eine moralisch -organische Einheit, keine physisch-organische, weil die Einzelwirtschaft und der Spezialverband dem Ganzen gegenüber nicht bloß Teil, nicht bloß Glied ist, sich nicht in der Gemeinschaft völlig verliert, vielmehr aller Freiheit und Selbständigkeit sich erfreut, die nötig ist, um die eigenen Zwecke, unter Mithilfe der großen sozialen Arbeitsgemeinschaft, mit eigenen Kräften zu verwirklichen; genau so, wie auch der einzelne Mensch innerhalb der staatlichen Gesellschaft, indem er dem Ganzen dient, doch nicht zum bloßen Mittel wird, den absoluten Wert der menschlichen Persönlichkeit bewahrt und als Selbstzweck zur gebührenden Geltung kommt. Ist aber die Volkswirtschaft, bei ihrer heutigen verkehrswirtschaftlichen Ausbildung, in ausgesprochenster Weise Teil des Gesellschaftslebens einer staatlich geeinten Volksgemeinschaft, so gewinnt der Zweck dieses Gesellschaftslebens der staatlichen Volksgemeinschaft maßgebende Bedeutung für die Volkswirtschaft und den volkswirtschaftlichen Lebensprozeß, wie auch insbesondere jene, in der Natur begründete, durch die geschichtliche Entwicklung in dieser oder jener Form ausgestaltete Vielheit der sozialen Stufen und Gliederungen durch die Teleologie des staatlich gesellschaftlichen Lebens zu einer harmonischen, moralisch-organischen Einheit verbunden wird. Die Versorgung des gesamten Volkes mit allen materiellen Gütern, deren es, der erreichten Kulturhöhe entsprechend, zur Befriedigung seiner Bedürfnisse benötigt, die Güterbeschaffung wie die Güterverteilung, erscheinen hier als gesellschaftliche Vorgänge. Von einem gesellschaftlichen Gesichtspunkt aus, der hierbei über dem technischen (das "Wie" der Güterbeschaffung betreffenden) und über dem ökonomischen Gesichtspunkt privatwirtschaftlicher Rentabilität steht, erhebt sich, wie LEXIS (10) sagt, "die Frage nach der Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen, die durch das Bedürfnis nach wirtschaftlichen Gütern entstanden sind". Der Zweck aber, der die Gesellschaftsordnung der staatlich geeinten Volksgemeinschaft beherrscht, er ist es, der zugleich die höchste teleologische Norm für die Ordnung des volkswirtschaftlichen Lebensprozesses als eines gesellschaftlichen Prozesses bildet. Von diesem sozial ökonomischen Gesichtspunkt aus erfaßt der Staatsmann wie der Volkswirt den volkswirtschaftlichen Lebensprozeß, erscheint die Volkswirtschaftslehre als eine sozial- und staatswissenschaftliche Disziplin.
6. Erscheint nun der volkswirtschaftliche Prozeß als Bestandteil des gesellschaftlichen Lebensprozesses einer staatlich geeinten Volksgemeinschaft, empfängt demgemäß die Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen, die durch das Bedürfnis nach wirtschaftlichen Gütern unter den Menschen entstanden sind, ihr Maß und ihre höhere Bestimmung durch die Ordnung und darum durch den Zeck der staatlich geeinten Volksgemeinschaft, dann wird unsere Aufmerksamkeit sich notwendigerweise zunächst auf jenen die gesamte Gesellschaftsordnung beherrschenden Zweck der staatlichen Gesellschaft (13) richten müssen, wenn wir uns über den Zweck und die Ordnung der Volkswirtschaft ein wohlbegründetes Urteil bilden wollen. Zweck des Staates, d. h. der staatlichen Gesellschaft, aber ist die öffentliche Wohlfahrt (salus publica), die Volkswohlfahrt, nicht als ein bloßer Summenbegriff, als die Summe befriedigter Individualinteressen (das größte Glück der größten Zahl), sondern als zuständlicher Inbegriff von Gütern, Bedingungen, Einrichtungen, Ordnungen, durch welchen dem Volk und den Gliedern des Volkes, mittels des Wirkens der geeinten und, dem Sozialzweck entsprechend, geregelten Kräfte der einzelnen, der gesellschaftlichen und politischen Faktoren die äußere Möglichkeit geboten, erhalten, erhöht wird, unter eigener Verantwortung, durch Selbstbetätigung, nach Maßgabe der eigenen Kräfte und Fähigkeiten, ihr Eigenwohl zu verwirklichen und zu behaupten. Man wird folgerichtig dann auch die tatsächliche allgemeine Wohlfahrt (prosperiats universalis) moralisch aller Volksglieder den letzten Zweck der staatlichen Gesellschaft nennen können, jene Wohlfahrt, die sich in ihrer konkreten Verwirklichung für den einzelnen zwar als ein unmittelbares Ergebnis der privaten Selbstbetätigung erscheint, zugleich aber doch auch als mittelbares Ziel und Produkt der in der öffentlichen Wohlfahrt gebotenen Mithilfe der individuellen, sozialen und politischen Kräfte der staatlich geeinten Volksgemeinschaft darstellt. ![]() ![]()
1) > Man vgl. hierzu insbesondere MAX WEBER, Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 19, Seite 22-27; GUSTAV COHN, Über den wissenschaftlichen Charakter der Nationalökonomie, im Archiv für Sozialwissenschaft etc., Bd. XX, Seite 461-478; derselbe "Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftspolitik, in Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 46, Seite 1-40, 445-461; ADOLF WEBER, Die Aufgaben der Volkswirtschaftslehre als Wissenschaft (1909); KARL BÜCHER, Rezension zu Adolf Weber, Aufgaben etc., Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 65, Seite 711f; LUDWIG POHLE, Einführungswort des Herausgebers zur Neuen Folge der Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Bd.1, Seite 1-4; Politik und Nationalökonomie, in Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Neue Folge, Bd. 1, Seite 69-81, 170-182, 201-218; JULIUS WOLF, Über Ehrenbergs "exakte Wirtschaftsforschung", im Tag, Nr. 74, 31. März 1910; Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik in Wien (1909). III. Die Produktivität der Volkswirtschaft mit Referaten von EUGEN von PHILIPPOVICH usw., Seite 329f, Debatte, namentlich Seite 563f; GEORG BRODNITZ, Die Zukunft der Wirtschaftsgeschichte, in CONRADs Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 40, 1910, Seite 145f 2) Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik in Wien (1909) III. Die Produktivität der Volkswirtschaft (1910), Seite 565f. 3) HANS RIZZI, Monatsschrift für christliche Sozialreform, 32. Jahrgang, Juni 1910, Seite 325. 4) Für die frei fallenden Körper gibt es kein "Gesetz der großen Zahl", keine "Regelmäßigkeit", sondern absolute Gleichheit in jedem Einzelfall. "Soziale" und "wirtschaftliche Tendenzen", wie die gekennzeichneten Regelmäßigkeiten, erlauben nur den Schluß, "daß die Verhaltensweise, welche unter gewissen Umständen von den Gliedern einer wirtschaftlichen Gruppe erwartet werden kann, die normale Handlungsweise der Mitglieder der betreffenden Gruppe für eben diese Verhältnisse ist" (MARSHALL, Handbuch der Volkswirtschaftslehre, 1905, Seite 87f). 5) Daß diese Richtung ("klassische Nationalökonomie") bei der einseitigen philosophischen Grundlage einseitig sein mußte, daß sie vor allem an der Lehre von den sozialen Organismen achtlos vorbeiging, erklärt sich ganz einfach daraus, daß sie in ihnen nicht selbständige, sondern nur abgeleitete Wesen sah. Ebenso wie die anorganische Physik, deren Methode als der damals am meisten entwickelten Wissenschaft beispielgebend geworden war, die Gesetzmäßigkeiten nicht an den zusammengesetzten Phänomenen aufsucht, sondern in ihren einfachsten darstellbaren oder vorstellbaren Bestandteilen, so daß die theoretische Mechanik als die Lehre von den Gesetzmäßigkeiten der bewegten Massenteilchen die Grundlage der gesamten Physik genannt werden kann, so hielt auch die klassische Nationalökonomie, die ihr in der Erfahrung gegebenen sozialen Organisationsformen, Genossenschaft, Gemeinde, Staat, für restlos in ihre individuellen Bestandteil auflösbar. Dieser Grundirrtim, vereint mit dem sozialen Optimismus, führte zur Politik des Laissez-faire." So HANS RIZZI, Der jüngste Methodenstreit in der deutschen Nationalökonomie, in der "Monatsschrift für christliche Sozialreform", Jahrgang 32, Juni 1910, Seite 332f. 6) ADOLPH WAGNER, Theoretische Sozialökonomik I, 1907, Seite 16f 7) Bezüglich der historischen Richtung bemerkt ADOLF WEBER: "Trotz der hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen des Historismus bleibt es doch wahr, daß er dem Klassizismus auf wissenschaftlichem Gebiet einen entscheidenden Kampf nicht einmal angeboten, viel weniger einen solchen Kampf ausgefochten hat." 8) Die Philosophen haben zum Teil selbst die Mißachtung ihrer Wissenschaft verschuldet. Wenn jemand einen anderen lehrt, was er nicht versteht, so nennt man das Philosophie, sagt VOLTAIRE; verstehen es beide nicht, dann heißt es Metaphysik. Daß man sich heute aber allgemein nicht mehr versteht, dafür dürfte doch wiederum eben der Mangel an philosophischer Geistesbildung die Schuld tragen. 9) WILHELM LEXIS, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 1910, Seite 26f. 10) LEXIS, a. a. O., Seite 2 11) ADAM SMITH, Untersuchungen über das Wesen und die Ursachen des Volkswohlstandes. Deutsch von F. STÖPEL, Bd. II, 1878, Seite 194. Damit ist nicht gesagt, daß nur Staatsmänner Nationalökonomie betreiben sollen. Lediglich der Gesichtspunkt wird hervorgehoben, unter welchem der wirtschaftliche Lebensprozeß Objekt wisssenschaftlicher Forschung wird: der volks wirtschaftliche Gesichtspunkt im Unterschied vom privat wirtschaftlichen. 12) LUDWIG POHLE, An die Mitarbeiter und Leser der Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Neue Folge, Bd. 1, 1910, Seite 3. 13) Der Ausdruck "Staat" wird hier vorerst lediglich auf die staatliche Gesellschaft, nicht auf die Staatsgewalt bezogen; vom Zweck der staatlichen Gesellschaft, nicht von den Aufgaben der Staatsgewalt ist hier unmittelbar die Rede. |