ra-2K. BouldingL. BrentanoA. AmonnA. WeberO. Spann    
 
STANISLAW GRABSKI
Zur Erkenntnislehre der
volkswirtschaftlichen Phänomene


"Soziale Verbindungen, die auf heterogenen Elementen beruhen, weisen ein Streben der Einzelnen, deren individuellen Eigentümlichkeiten mit dem Fortschritt der Kultur immer schärfer ausgeprägt werden, nach der Auflösung der unter ihnen bestehenden Koordination auf. Auf das Gebiet des volkswirtschaftlichen Lebens übertragen, bedeutet es, daß die Unterschiede, die zwischen den Einzelbestrebungen der wirtschaftenden Individuen bestehen, je mehr sich die Kultur entwickelt, desto schärfer ausgeprägt werden, wodurch die Koordination der ökonomischen Kräfte erheblich erschwert wird. Sie wird nur noch unter der unvollkommenen Form der Konkurrenz möglich. Die Geschichte weist uns aber keine lebensfähige Gesellschaft auf, die nicht nach Beschränkung derartiger zentrifugaler Bestrebungen getrachtet hätte. Das Individuum wird demgemäß in ein  Subordinations verhältnis zur Gesellschaft gestellt. Dies kann augenscheinlich nur dadurch geschehen, daß das Individuum die ihm von der Gesellschaft auferlegten Grenzen seiner persönlichen Bestrebungen als Äußerungen einer oberen Gewalt wahrnimmt, daß sie für ihn die Bedeutung von Gesetzen höheren Ursprungs, nämlich von Moral- oder Staatsgesetzen, haben."


I.

Seit ungefähr einem Vierteljahrhundert dauert nun schon der Streit zwischen den beiden heutzutage einflußreichsten methodologischen Richtungen in der Nationalökonomie, der Streit zwischen der "historischen" und der "exakten" Schule, wobei letztere auch die "psychologische" oder "österreichische" genannt wird. Diese langjährige Polemik hat jedoch weder zu einer Einigung der streitenden Parteien noch zu einer weiteren Aufklärung der Methodenfrage geführt. Die beiden Parteien behaupten heute genau denselben Standpunkt wie vor 26 Jahren, als MENGER zum erstenmal seine methodologischen Anschauungen näher präzisiert hatte.

Und doch ist der Gegensatz der historischen zur exakten Methode keineswegs so grundsätzlich wie dies gewöhnlich behauptet wird. Tatsächlich schließt die historische Betrachtung der wirtschaftlichen Phänomene nicht die exakte Analyse ihres generellen Wesens und ihres generellen Zusammenhangs aus, so wenig, wie die universelle Betrachtung der nationalökonomischen Erscheinungen in ihrer Abhängigkeit von der psychologischen, sozialen und politischen Evolution der Völker eine Isolierung des Forschungsgebietes, und die induktive Feststellung der einzelnen Tatsachen, die deduktive Erklärung von deren kausalem Zusammenhang behindert.

Eigentlich hat auch weder die eine noch die andere Schule irgendeinen der obengenannten Sätze prinzipiell in Abrede gestellt. Die historische Schule verzichtet doch nicht auf die Aufgabe, in der großen Masse der Erscheinungen das Wesentliche, das Gesetzmäßige herauszufinden (1). Sie bestreitet nur die Möglichkeit, heutzutage schon "Gesetze" über den generellen Zusammenhang der Dinge aufzustellen (2). Andererseits verkennt MENGER nicht die Bedeutung historischer Forschungen auf dem Gebiet der Volkswirtschaft, und weist nur der Geschichtsschreibung eine bescheidenere Rolle zu, als es die historische Schule tut (3). Ferner stimmt SCHMOLLER vollkommen MENGERs Satz zu, daß die Isolierung der Probleme ein Fundamentalsatz aller Methodik ist und verlangt nur, daß diese Isolierung richtig ist (4), sowie die "exakte" Schule ihrerseits wieder nirgends den Einfluß der sozialen Umgebung auf das Einzelne im Prinzip leugnet und behauptet nur, die Analyse dieses Einflusses sei die Aufgabe der "empirisch-realistischen", nicht aber der "exakten" Forschung (5).

Nichtsdestoweniger wäre es vollkommen verfehlt, die unter den beiden Schulen bestehenden Unterschiede lediglich auf eine verschiedene Anwendung, im Grunde genommen, gleicher methodologischer Postulate zurückführen zu wollen. Obgleich nämlich ihre theoretischen Sätze keineswegs unversöhnlich klingen, ist doch der Geist, der sie belebt, ein so grundsätzlich verschiedener, daß die zwischen ihnen liegende Kluft durch ihre weitere Entwicklung und die daraus folgende schärfere Präzisierung ihrer spezifischen Charakterzüge nur noch vergrößert, nicht aber vermindert wird.

Die historische Schule, die aus dem Protest gegen den Rationalismus der klassischen Nationalökonomie entstanden ist, hat die Sätze von der Relativität der nationalökonomischen Wahrheiten, der unmittelbaren Abhängigkeit der volkswirtschaftlichen Phänomene von den Orts- und Zeitbedingungen aufgestellt und folgerte daraus die Notwendigkeit einer Analyse der wirtschaftlichen Erscheinungen. Die Feststellung und Begründung dieser Postulate genügte vollkommen, um die Unhaltbarkeit der früheren rein deduktiven Systeme zu beweisen und eine durchgreifende Revision der ganzen früheren nationalökonomischen Wissenschaft unentbehrlich zu machen. Tatsächlich tragen auch die ersten Schriften dieser Schule den Charakter einer derartigen kritischen Prüfung der herrschenden Lehrsätze. Diese Kritik ist aber keine rationalistische, sondern eine historische, da sie zur Aufgabe hat, die Relativität der volkswirtschaftlichen Phänomene zu beweisen. Sie hat angesichts dessen einen eminent deskriptiven Charakter erworben, der bald zu ihrem wesentlichen Merkmal wurde. Die historische Analyse, die sich den deutschen Nationalökonomen der 40er Jahre als das einzig wirksame Prüfungsmittel der Lehren der klassischen "Politischen Ökonomie" einfach aufdrängte, wurde im Laufe der Zeit zur ausschließlichen Methode der Untersuchungen nicht nur der kritischen, sondern auch der positiven, wobei jedwede Deduktion für unberechtigt, sogar für schädlich erklärt wurde. Ohne Übertreibung kann man heute die historische Schule eine rein deskriptive Richtung nennen, die ihre Aufmerksamkeit lediglich denjenigen Phänomenen des volkswirtschaftlichen Lebens zuwendet, die sich in wirtschaftlich-politischen Institutionen und Strömungen manifestieren, d. h. Prozesse unserer bewußten Reaktion auf die uns gegenüberstehenden ökonomischen Tatsachen bilden. Die Folge dessen ist, daß diese Schule, wenn nicht prinzipiell, so doch faktisch auf die Erklärung der ersten Ursachen und Elemente der Volkswirtschaft verzichtet, daß sie auf alle Fragen über das Wesen der volkswirtschaftlichen Phänomene, ebenso wie der Positivismus auf alle Fragen über das Wesen der Dinge, mit einem "ignoramus" [wir wissen es nicht - wp] antwortet; so hat sie sich dann selbst alle Wege, die zur Begründung einer wissenschaftlichen Methodologie führen könnten, freiwillig versperrt. Wie der Positivismus in der Philosophie, konnte sie nur noch eine allgemeine Kennzeichnung ihres Standpunktes liefern, sie vermochte uns aber keine Erkenntnistheorie der ihr Unternehmungsgebiet ausmachenden Phänomene zu geben. Sie vermochte nicht klar und deutlich zu definieren, in welches Gebiet unserer Erfahrung die volkswirtschaftlichen Erscheinungen gehören, noch weniger wußte sie das Verhältnis zu bestimmen, in dem sie sich zu einem Subjekt befinden, sowie die Kategorien, unter welchen wir sie wahrnehmen; sie konnte auch nicht die Grenzbegriffe der Nationalökonomie feststellen und die Denkprozesse bezeichnen, mittels derer wir zu "ursächlichen" Gesetzen gelangen können, sowie den erkenntnistheoretischen Wert derselben zu definieren. Und dies aus dem einfachen Grund, weil alle diese Fragen nur deduktiv zu lösen sind.

Was nun die "exakte" Schule anbelangt, so ist sie aus der Reakton gegen die, seitens der historischen Schule drohende Gefahr, die ganze Volkswirtschaftslehre auf eine einfache Geschichtsschreibung zurückzuführen, entstanden. Und tatsächlich trägt ihr bedeutendstes methodologisches Werk, nämlich MENGERs "Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften", einen nicht zu verkennenden polemischen Charakter. Diese Genesis hat aber die Richtung der "exakten" Schule vorausbestimmt. Sie hat ihre Aufmerksamkeit beinahe ausschließlich der Gewinnung "exakter" Gesetze gewidmet und demzufolge das Hauptgewicht ihrer Untersuchungen auf die Isolierung der nationalökonomischen Probleme und die Zerlegung der volkswirtschaftlichen Erscheinungen in deren einfachste Elemente gelegt, sie hat wieder nur eine partielle Aufgabe zu lösen unternommen. Denn es gibt keinen zureichenden Grund, um die wirtschaftlich-politischen Institutionen und Bestrebungen der Völker aus dem Bereich der rein wissenschaftlichen, kausalen Analyse auszuscheiden und lediglich vom Standpunkt der Staatskunst aus zu betrachten, oder um in unseren Untersuchungen nur auf die Gegenwart und nur auf eine bestimmte Kultur Rücksicht zu nehmen, auf die Modifikationen aber anderer Zeitalter und Zivilisationen nur nebenbei hinzuweisen (6). Die Vertreter der "exakten" Schule scheinen sich aber nicht bewußt zu sein, daß sie zuallererst das Gebiet ihrer Untersuchungen  a priori  beschränkt haben, um erst dann nach der Methode dieser Untersuchungen zu fragen, so daß ihre Methode nur zur Lösung partieller Aufgaben dienen kann, während sie aufgrund derselben sämtliche nationalökonomischen Fragen lösen wollen. So z. B. pflegen sie, nachdem sie die einfachsten Erscheinungsformen des Wertes analysiert haben, die in der modernen Gesellschaft zu finden sind, unmittelbar daraus nicht nur das Wesen des Wertes, sondern noch sämtliche komplizierten Erscheinungen der Volkswirtschaft zu deduzieren; ohne zu fragen, ob nicht vielleicht manche der letzteren ihren Ursprung in früheren Zuständen der Volkswirtschaft haben, und ob nicht vielleicht diese für unsere Zeit einfachsten formen der Beurteilung der Güterprodukte ganzer Jahrhunderte unseres kulturellen Lebens sind.

Der Umstand, daß sowohl die "historische" wie auch die "exakte" Schule im Grunde genommen nur einseitige Reaktionen gegen Gebrechen der früheren methodologischen Richtungen sind, hat es voraus bestimmt, daß sie einerseits zu zwei antagonistischen, nach direkt entgegengesetzten Zielen strebenden Richtungen geworden sind, daß aber andererseits ihre methodologischen Prinzipien eher Definitionen der partiellen Aufgaben, die sie im Begriff sind zu lösen, sowie der Standpunkte, die sie in ihren Untersuchungen einzunehmen beabsichtigen, als Erkenntnislehren der nationalökonomischen Phänomene bilden, und folglich in keinem prinzipiellen Gegensatz zueinander stehen. Da aber faktisch die eine, wie die andere Schule auf eine allgemeine Gültigkeit ihres eigenen Standpunktes Anspruch macht, so ist eine direkte Versöhnung zwischen ihnen unmöglich. Vielmehr kann diese letztere nur durch vollständig von ihnen unabhängige methodologische Untersuchungen zustande gebracht werden, die, sozusagen,  ab ovo  [vom Ei weg - wp] die Aufgabe, eine Erkenntnislehre der nationalökonomischen Phänomene zu liefern, zu unternehmen hätten.

Der erste Schritt dazu muß selbstverständlich eine möglichst präzise Definition dessen sein, was wir unter den volkswirtschaftlichen Erscheinungen zu verstehen haben.


II.

Die volkswirtschaftlichen Erscheinungen gehören, wie schon der Name andeutet, in das Gebiet des sozialen Lebens. Der Satz klingt banal, die Konsequenzen aber der in ihm enthaltenen Wahrheit sind einfach grundlegend für die ganze Methodenlehre der Nationalökonomie.

Die zunächst liegende ist, daß keine privatwirtschaftlichen Triebe, Neigungen und Akten, die ihre Quelle in privatwirtschaftlichen Rücksichten und Erwägungen haben, mit einem Wort keine Erscheinungen, die ihren Ausgangspunkt in den rein individuellen Bedürfnissen und den rein individuellen Mitteln, dieselbe zu befriedigen, besitzen, in das Gebiet der Volkswirtschaftslehre gehören. Leider gibt die Geschichte der Nationalökonomie allzuviele Beispiele von Übertretung dieser scheinbar so selbstverständlichen Regel. Besonders ist das von der "exakten" Schule zu sagen. Von der übrigens richtigen Behauptung ausgehend, daß volkswirtschaftliche Phänomene Resultanten einzelwirtschaftlicher Bestrebungen sind, pflegt sie die Erklärung der ersteren in den privatwirtschaftlichen Erwägungen der einzelnen Individuen zu suchen, als ob jede einzelwirtschaftliche Funktion eine privatwirtschaftliche bedeuten müßte. Selbstverständlich gibt es nur sehr wenige Gebiete unserer ökonomischen Tätigkeit, wo nationalökonomische Akten nicht zugleich privatwirtschaftliche sind. Und da gewöhnlich ein jeder in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit das eigene Wohl im Auge hat, so macht es den Anschein, als ob die privatwirtschaftlichen Erwägungen die allerletzten Ursachen des nationalökonomischen Lebens wären, während diese lediglich bestimmen, ob sich das Individuum an einer beliebigen volkswirtschaftlichen Funktion beteiligen wird, nicht aber das Wesen oder die Erscheinungsform dieser Funktion.

Eine nicht minder wichtige Konsequenz der sozialen Beschaffenheit nationalökonomischer Phänomene ist es, daß sie sämtliche wesentliche Momente der sozialen Erscheinungen besitzen müssen. Worin bestehen aber diese letzteren? Augenscheinlich in Funktionen der Gesellschaft. Die letztere aber ist nichts anderes, als eine Organisation der Individuen zur Erstrebung gemeinsamer Zwecke. Nun hängt das Wesen einer jeden Organisation ausschließlich vom Charakter der Beziehungen ab, die unter deren Einheiten bestehen. Selbstverständlich können hier aber nur solche Beziehungen in Betracht kommen, die für die entsprechende Organisation typisch sind, die man für sie normal nennen kann. Ohne vorläufig auf diese Frage näher einzugehen, können wir also sagen, daß die Gesellschaft ein System konstanter, typischer Beziehungen von Menschen und Gruppen von Menschen ist. Dann aber sind die sozialen Erscheinungen nichts anderes, als entweder eine Wiederholung oder Entstehungs-, Entwicklungs- und Zerlegungsprozesse dieser Beziehungen. Auf dem Gebiet des volkswirtschftlichen Lebens haben wir folglich immer nur mit typischen Verhältnissen, und zwar mit solchen zu rechnen, die unter den Menschen als sozialen Einheiten bestehen. Es ist also ebenso falsch, irgendwelche immanente Eigenschaften der Güter, wie die Beziehungen, in denen sich die Güter untereinander oder zu einzelnen Individuen befinden, als volkswirtschaftliche Phänomene darstellen zu wollen.

Die volkswirtschaftlichen Erscheinungen bilden aber nur einen besonderen Zweig des gesellschaftlichen Lebens. Sie müssen also spezielle Merkmale besitzen, durch welche sie sich von anderen sozialen Beziehungen unterscheiden. Augenscheinlich sind diese Merkmale nirgendwo anders, als in der Beschaffenheit der Funktion, der sie dienen, zu suchen, denn die sozialen Verhältnisse sind im Grunde genommen nichts weiter, als Funktionen, die von den an ihnen teilnehmenden Gruppen von Menschen im Zustand fortwährender Tätigkeit erhalten werden. Es ist übrigens eine notwendige Konsequenz dessen, daß die sozialen Einheiten, im Gegensatz zu den Bestandteilen der biologischen Körper, mit einem unbeschränkten Bewußtsein ausgestattet sind, das sie in ihrem Charakter der Bestandteile der Gesellschaft keineswegs einbüßen, weshalb sie zur gleichzeitigen Bestreitung einer ganzen Anzahl verschiedener sozialer Bedürfnisse fähig bleiben. Es kann also auf dem Gebiet des sozialen Lebens von keinen Organen im biologischen Sinn des Wortes die Rede sein, also von keinen, unabhängig von ihrer Tätigkeit wahrnehmbaren, morphologischen Strukturen, sondern einzig und allein von Organisationen, d. h. von gewissen, bestimmten sozialen Bedürfnissen entsprechenden Beziehungen der Individuen zueinander, kraft deren eine Reihe individueller Bemühungen zur einer einheitlichen gemeinsamen Aktion verbunden wird.

Der Charakter der sozialen Verbindungen ist folglich direkt durch die Beschaffenheit der ihnen entsprechenden sozialen Funktionen, und die Natur dieser letzteren durch die Natur der ihr entsprechenden sozialen Bedürfnisse bedingt. Was nun die Volkswirtschaft anbetrifft, so hat sie augenscheinlich zu ihrer speziellen Aufgabe die Bestreitung der materiellen Interessen und Bedürfnisse der Gesellschaft. Demgemäß können wir die nationalökonomischen Phänomene als typische, wechselseitige Beziehungen des Menschen zur Bestreitung ihrer materiellen Bedürfnisse bezeichnen. Dadurch werden die volkswirtschaftlichen Phänomene aus der Gesamtheit der sozialen Phänomene überhaupt isoliert, und das Untersuchungsgebiet der Nationalökonomie von demjenigen der anderen sozialen Wissenschaften abgegrenzt. Andererseits aber darf man nicht vergessen, daß die Volkswirtschaft nichts weiter als eine soziale Funktion besonderer Art ist, daß also die nationalökonomischen Phänomene unmittelbar durch die allgemeine soziale Entwicklung bedingt sind, indem sie sich, ebenso wie alle übrigen sozialen Funktionen, in einem Verhältnis der Unterordnung zum Ganzen der Gesellschaft befinden, deren oberstes Ziel - die Sicherung der Nation hinsichtlich einer freien Entwicklung ihrer Individualität - das höchste Kriterium bildet, nach welchem sie sich in ihren speziellen Bestrebungen richten. Eine derartige Unterordnung bedeutet nun, daß sowohl der Umfang und die relative Stärke der materiellen Bedürfnisse, als der Charakter der Einheiten, die als Elemente der das Wesen der nationalökonomischen Phänomene ausmachenden, typischen Beziehungen dienen, durch die sozialpolitische Struktur der Nation bedingt sind. Die Definition der volkswirtschaftlichen Phänomene muß also den sozialen Charakter sowohl der Funktion, derer Erfüllung sie dienen, als der Einheiten der ihnen zugrunde liegenden Verbindungen deutlich zum Ausdruck bringen. Im Hinblick darauf sind  die volkswirtschaftlichen Phänomene als regelmäßige wechselseitige Verhältnisse sozialer Einheiten und Gruppen derselben zur Bestreitung der materiellen Bedürfnisse der Gesellschaft  zu bezeichnen.


III.

Eine jede Erkenntnis bedeutet ein Verhältnis vom erkennenden Subjekt zum wahrgenommenen Objekt. Nach der Natur dieses Verhältnisses klassifizieren wir die Phänomene unserer Erfahrung in jene der Außen- und Innenwelt. Die sozialen Erscheinungen besitzen nun die Eigentümlichkeit, daß das sie erkennende Subjekt zugleich ein Subjekt und Objekt derselben ist, daß einerseits das Individuum den Hauptfaktor der sozialen Evolution bildet, andererseits aber ein Resultat seines sozialen Milieus ist. Ein jeder von diesen sich scheinbar widersprechenden Sätzen wurde zum Ausgangspunkt einer besonderen Richtung der sozialen Wissenschaften. In der Soziologie stehen sich also rein objektive und rein subjektive Systeme, von denen die einen, wie z. B. das SPENCERs und GUMPLOWICZs, dem menschlichen Subjekt die bescheidene Rolle eines passiven Substrates der sozialen Funktionen, einer Zelle des gesellschaftlichen Organismus zuschreiben, die anderen aber, wie die Lehre FOUILLEs und TARDs, die Ideen der Individuen, wenn auch nur der hervorragendsten, für die eigentlichen Triebfedern des sozialen Lebens erklären. Selbstverständlich sind die beiden Richtungen auch in der Volkswirtschaftslehre vertreten. Zwar waren sie sich in den ersten Zeiten der Entwicklung dieser Wissenschaft der sie voneinander trennenden Unterschiede nicht bewußt, je mehr sich aber die Nationalökonomie entwickelte, je tiefer ihr Inhalt wurde, desto schärfer wurde der eine wie der andere Standpunkt präzisiert. Den konsequentesten Ausdruck hat die objektiv-materialistische Richtung in der Lehre von MARX gefunden, die zum eigentlichen Faktor des volkswirtschaftlichen Lebens nicht den Menschen, sondern die Ware macht, und unsere ökonomischen Bestrebungen als einen einfachen Reflex der den ökonomischen Kategorien eigentümlichen Dialektik darstellt. Andererseits wiederum sehen wir die "exakte" Schule, die die Volkswirtschaft als eine Resultante privatwirtschftlicher Urteile und Bestrebungen betrachtet (7).

Zwischen diesen extremen Richtungen steht die historische Schule, deren Lehre gewissermaßen eine Versöhnung der beiden oben genannten Gesichtspunkte bildet. Sie führt nämlich einerseits die volkswirtschaftlichen Erscheinungen - zwar nur die volkswirtschaftlich-politischen, diesen aber nur eine reale Bedeutung zusprechend, - auf die Bestrebungen und Ideen der einzelnen Individuen zurück, andererseits aber stattet sie die Individuen mit speziellen gesellschaftlichen Trieben und Neigungen, oder mit einem Gemeinsinn aus, der das Produkt der Wirkung auf die Einzelnen ihrer sozialen Umgebung bilden soll, indem der Eigensinn ein Inbegriff ihrer persönlichen, individuellen Eigenschaften ist. Auf diese Weise gelangt sie aber zu einer künstlichen Zerlegung unserer Seele in zwei vollkommen heterogene Unterseelen, die einer jeden wissenschaftlichen Psychologie widerspricht (8). Übrigens ist die Frage danach, ob der wirtschaftende Mensch ein ausschließlich egoistisches Wesen ist, oder auch den altruistischen Erwägungen zugänglich, für die Methodologie der nationalökonomischen Untersuchungen von sehr geringer Bedeutung, denn sowohl ein rein egoistisch gedachter Mensch, als auch ein mit Gemeinsinn ausgestatteter, kann ebenso ausschließlich als Objekt, wie auch ausschließlich als Subjekt der volkswirtschaftlichen Phänomene gedacht werden. Nicht also nach den Triebfedern unserer sozialen Tätigkeit, sondern nach dem Wesen der Beziehungen, die unter den Einzelnen, als sozialen Einheiten, bestehen, muß gefragt werden. Bekanntlich unterscheiden sich dieselben von jenen, die wir auf dem Gebiet sowohl der biologischen als auch der unorganischen Welt beobachten, vorzugsweise dadurch, daß sie weder eine räumliche Koordination der Bestandteile, noch irgendeine Modifikation ihrer morphologischen Struktur bedeutuen, daß sie sich also überhaupt nicht auf ihr materielles Wesen beziehen. Dann aber können sie nur physischer Art sein, d. h. auf Prozessen unseres Bewußtseins beruhen. Als solche, sind sie aber immer auf das psychische Leben der Individuen zurückzuführen, bzw. auf bestimmte Vorgänge desselben, deren Resultanten sie bilden. Die Frage also nach dem Wesen der sozialen Beziehungen wird in ihrer allerletzten Formulierung lauten:  Worin bestehen die psychischen Funktionen der Einzelnen, aufgrund derer sie in regelmäßige Beziehungen zueinander treten, zwecks Bestreitung ihrer gemeinsamen Bedürfnisse? 

Dabei sind zwei wesentliche Umstände in Erwägung zu ziehen:
    1) daß die erwähnten psychischen Funktionen in irgendwelchen Modifikationen der geistigen Struktur der Einzelnen bestehen müssen, da dieselben, indem sie zu sozialen Einheiten werden, eo ipso [schlechthin - wp] in das Verhältnis der Bestandteile zum Ganzen eintreten, die Unterordnung aber immer eine gewisse Anpassung, d. h. eine Modifikation bedeutet;

    2) daß die letztere nur qualitativer Art sein kann, da eine Einschränkung der Intensität der psychischen Funktionen der Einzelnen zugunsten der Gesamtheit, welche die einzig hier mögliche quantitative Veränderung wäre, a priori schon ausgeschlossen ist, da die Gesellschaft, als Ganzes begriffen, kein separates Bewußtsein hat.
Selbstverständlich aber beruth diese qualitative Veränderung nicht auf speziellen Sinnen oder Trieben, die unter dem Einfluß des gesellschaftlichen Zusammenlebens in uns entstehen können, denn unsere Seele ist kein Komplex nach verschiedenen Richtungen strebender, heterogener Fähigkeiten, und unseres Bewußtseins - kein aus mehr oder weniger einfachen Elementen zusammengesetztes Gebilde. Vielmehr, ist es die unmittelbare Empfindung der Einheit unseres Bewußtseins, die alle die verschiedenen, einander folgenden Zustände desselben, die den Inhalt unseres geistigen Lebens ausmachen, zu Funktionen desselben Geistes zusammenbindet und einen kausalen Zusammenhang unter ihnen begründet. Als psychologische Einheiten können also nur die einfachsten Zustände unseres Bewußtseins betrachtet werden. Die Klassifikation der psychologischen Phänomene in Erkenntnis-, Gefühl- und Willensfunktionen beruth doch lediglich auf dem, einer jeden wissenschaftlichen Untersuchung eigenen Bedürfnisse, Beobachtungen derselben Art möglichst getrennt zu halen und möglichst isoliert zu betrachten. Und da wir unsere Bewußtseinszustände von drei verschiedenen Gesichtspunkten, nämlich nach ihrem Verhältnis
    1. zur Außenwelt,
    2. zu unserem eigenen Bewußtsein,
    3. zu unserer Tätigkeit
beobachten können, so klassifizieren wir sie in die drei genannten Kategorien, die keine empirisch festgestellten Elemente des geistigen Lebens, sondern Hilfsbegriffe unserer Untersuchung bilden. Deshalb läßt sich auch unser psychisches Leben nach diesen drei Richtungen zwar leicht zerlegen, aber aus den auf diesem Weg festgestellten Elementen läßt sich nicht eine der Wahrheit entsprechende Synthese herstellen. Demzufolge bedeutet der Begriff der geistigen Struktur nichts anderes, als den Inbegriff der regelmäßigen Koordinationen unserer Bewußtseinszustände, und die erwähnte qualitative Modifikation unserer psychischen Organisation, die den sozialen Erscheinungen zugrunde liegt, ist einfach in der Veränderung der Richtung unserer Empfindungen, die sich auf unsere sozialen Funktionen beziehen, zu suchen. Und tatsächlich sehen wir, daß sämtliche Individuen, insofern sie als Mitglieder einer sozialen Verbindung auftreten, stets das Wohl der Gesamtheit mit ihrem eigenen identifizieren. Einen Schlüssel zur Erklärung dieses eigentümlichen Phänomens liefert uns DARWINs Lehre von der Anpassung der Einzelnen an ihre Umgebung. Zwar ist schon öfters und mit Recht die Übertragung biologischer Gesetze auf das Gebiet der sozialen Wissenschaften angefochten worden. Es gibt aber einen prinzipiellen Unterschied zwischen einer direkten Verwendung biologischer Gesetze zur Erklärung der sozialen Phänomene, und der Verwertung dazu gewisser, durch biologische Untersuchungen festgestellter Wahrheiten. Und eine derartige Verwertung ist umso berechtigter, als man angesichts des von der gesamten modernen Psychologie anerkannten Parallelismus geistiger und physischer Funktionen keineswegs leugnen kann, daß der Evolution der anatomischen und physiologischen Eigenschaften der Individuen eine entsprechende Entwicklung ihrer physischen Fähigkeiten korrespondieren muß. Neben der biologischen sind wir also genötigt, noch eine psychologische, zugleich die erstere allmähliche und unbewußte, Anpassung der Individuen an ihr Milieu annehmen.

Die biologische Anpassung kann aber schon zweifacher Art sein. Die eine führt zur Entstehung neuer Gattungen, die andere zur Vereinigung mehrerer Individuen derselben Art zu einer stärkeren und lebensfähigeren Einheit. Schon bei den  Protozoen  [Einzeller - wp] und  Zoophyten  sind derartige Verbindungen zu finden, und wir sehen sie dann auf beinahe allen Entwicklungsstufen der biologischen Welt. Selbstverständlich gibt es unter allen diesen Aggregatsformen bedeutende Unterschiede. Nichtsdestoweniger besitzen sie alle insgesamt einen gemeinsamen Charakterzug, daß die Funktionen der Bestandteile, obwohl sie Äußerungen ihres individuellen Lebens sind, zugleich doch Funktionen des Ganzen bilden. Bei den Protozoen, Zoophyten und gewißermaßen bei den Insekten äußert sich dies in einer entsprechenden Veränderung der morphologischen Struktur der einzelnen und einer Beschränkung der individuellen Lebensfähigkeit derselben, sowie einer Differenzierung ursprünglich gleichartiger biologischer Einheiten in eine Anzahl von Typen, gemäß der Unterscheidung der Funktionen des Ganzen. Schon bei den Insekten aber sehen wir neben dieser Anpassung der biologischen Struktur auch jene der psychophysischen Funktionen, nämlich der Richtung der Reflexe, die, nur vom Gesichtspunkt des Ganzen aus betrachtet, sich als zweckmäßig erweisen. Bei den niedrigeren  Mamifera  [Meeressäugetiere - wp] bildet die letztere die einzige Grundlage der sozialen Verbindungen. Und auf den höchsten Entwicklungsstufen, speziell bei den Menschen, manifestiert sich dieses, für sämtliche sozialen Aggregate fundamentale Verhältnis des einzelnen zur Gesamtheit nicht mehr in der Richtung der Reflexe, sondern in der Form der Koordination ihrer Empfindungen, insofern sich diese auf ihre sozialen Funktionen beziehen (9).

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Da es aber keine soziale Verbindung gibt, die unser ganzes psychisches Leben in Anspruch nehmen könnte, so bezieht sich das eben Gesagte nur auf diejenigen psychischen Vorgänge, die in unseren Funktionen der Mitglieder gewisser sozialer Aggregate zum Ausdruck kommen. Wir empfinden also als soziale durchschnittliche Einheiten nur diejenigen Bedürfnisse und Interessen, deren Bestreitung ein direktes Ziel der gesellschaftlichen Organisation, an der wir uns beteiligen, bildet und beurteilen vom Standpunkt des Wohls der Gemeinschaft nur diejenigen Erscheinungen, die dieses Ziel direkt berühren. Und da sich dasselbe Individuum zugleich an einer ganzen Anzahl verschiedener Organisationen beteiligen kann, und sogar beteiligen muß, so wird es, als soziale Einheit begriffen, angesichts der immer weiteren Differenzierung der Gesellschaft, immer mehr zu einem Durchkreuzungspunkt verschiedener kollektiver Strömungen und verschiedener Bestrebungen der mannigfachen sozialen Verbindungen deren Mitglied es ist (10). Insofern ist es auch ein Produkt seiner sozialen Umgebung, ein Objekt der Gesellschaft. Dieselbe kommt aber nur dadurch zustande, daß das Einzelne sich an ihr aktiv beteiligt, daß es im gesellschaftlichen Zusammenleben die Wahrung seiner eigenen Interessen sieht. Insofern ist es auch ein Subjekt der Gesellschaft. Und die darin liegende Antinomie löst sich dadurch, daß es auf dem Weg der allmählichen, unbewußten Anpassung zum sozialen Wesen geworden ist, welches in allen seinen Funktionen, die aus seinem sozialen Zusammenleben hervorgehen, als eine durchschnittliche Einheit denkt, fühlt und will, dabei aber das Bewußtsein besitzt, sich nach seinem individuellen Wohl zu richten.

Auf das Gebiet der einzelnen Zweige des öffentlichen Lebens übertragen bedeutet das, daß die auf dieselben sich beziehenden Phänomene Resultanten der Bestrebungen einzelner Individuen sind, deren Richtung einerseits im Charakter der speziellen Aufgabe des betreffenden Zweiges des sozialen Lebens, andererseits in der Natur der Einflüsse auf die geistige Natur dieser Einzelnen der verschiedenen anderen sozialen Verbindungen, an denen sie teilnehmen, begründet ist.

Nun, die Volkswirtschaft hat zur Aufgabe die Bestreitung der materiellen Bedürfnisse der Gesellschaft. Augenscheinlich sind die einzigen Mittel, die dazu dienen können, die Güter und die Dienstleistungen. Sie können aber zu diesem Zweck nur insofern verwendet werden, als wir ihre Fähigkeit, die materiellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu tilgen, erkannt und sie also entsprechend beurteilt haben. Da aber unter den letzteren nur diejenigen zu verstehen sind, die von der Gesellschaft als solche empfunden werden, diese aber, als Ganzes begriffen, kein separates Bewußtsein besitzt, so sind die sozialen ökonomischen Bedürfnisse, als diejenigen materiellen Bedürfnisse der Einzelnen zu bezeichnen, die von diesen, als durchschnittlichen Einheiten der Gesellschaft, empfunden sind.

Demgemäß können wir die  volkswirtschaftlichen Phänomene als typische, wechselseitige Beziehungen der Menschen und Gruppen von Menschen definieren, die aufgrund der Beurteilung seitens derselben, durch den Stand der nationalen Kultur ihnen zur Verfügung gestellter, Güter und Dienstleistungen nach deren Fähigkeit, ihre, aus der Durchkreuzung der verschiedenen Interessenssphären der ebenfalls verschiedenen sozialen Funktionen und Verbindungen, an denen sie sich beteiligen, hervorgehenden materiellen Bedürfnisse zu befriedigen, entstehen. 


IV.

Der Umstand, daß das Individuum nicht nur ein Subjekt, sondern auch ein Objekt der Gesellschaft ist, daß es also die Wirkungen der Gesellschaft erleidet und sich in seinen individuellen Bestrebungen den Erfordernissen des sozialen Zusammenlebens anpassen muß, hat zur Folge, daß die sozialen Phänomene uns als unabhängig von unseren geistigen Funktionen existierende Erscheinungen der Außenwelt, deren Wirkung wir ausgesetzt sind, und auf die wir wieder unsererseits zurückwirken, zu Bewußtsein kommen. Wir projezieren also die Verhältnisse, in die wir uns selbst in unserem Bewußtsein zu den übrigen Gliedern der Nation gestellt haben, d. h. unsere Bewußtseinszustände in die Außenwelt, und nehmen sie folglich unter der Gestalt von außer uns stehenden Vorgängen, die sich aber ihrer Natur nach in einem bestimmten Verhältnis zu uns befinden, und die wir auf Grund der Empfindungen, welche wir von ihnen erhalten, erkennen. Diese letzteren können dann aber entweder auf einfachen Perzeptionen der uns umgebenden Dinge und ihrer Veränderungen, bei denen wir uns passiv verhalten oder auf solchen, die unsere Tätigkeit begleiten und sich auf die Resultate ihrer Wirkung auf die uns umgebenden Dinge beziehen, oder schließlich auf der Empfindung derselben als Schranken unserer Tätigkeit beruhen.  Demgemäß  können die  sozialen Phänomene von uns entweder als Eigenschaften der Dinge oder Vorgänge der Außenwelt oder als Effekte unserer Einwirkung auf dieselben, oder als über uns stehende Gesetze wahrgenommen werden.  Und da wir sie infolge unserer Natur, als soziale Einheiten, stets nur unter einer dieser Formen erkennen können, so sind auch diese Formen als  Erkenntniskategorien der sozialen Phänomene,  und die ihnen entsprechenden Gebiete der gesellschaftlichen Erscheinungen als  Kategorien der sozialen Phänomene  zu bezeichnen.

Die einfachste nun und zugleich für alle übrigen ausschlaggebende Form der Beziehungen der wirtschaftenden Menschen besteht augenscheinlich darin, daß diese, als Mitglieder derselben Nation, die Güter vom Standpunkt derselben sozialen Bedürfnisse beurteilen, sich also in einem gewissen  Identitätsverhältnis  befinden, dessen Wesen in irgendeiner psychischen Funktion der Einzelnen bestehen muß, das also auf dem Bewußtsein der objektiven Gültigkeit unserer Urteile über die uns zur Verfügung gestellten Güter beruth. Und da unser alltägliches Bewußtsein nur den außer uns stehenden Tatsachen eine objektive Gültigkeit zuerkennt, so projezieren wir aus uns die Ergebnisse dieser Urteile, um sie dann als immanente Eigenschaften der Güter zu empfinden. Wir fassen also die einzelnen Urteilsprozesse als Empfindungen auf, die sich nach den gewöhnlichen psychologischen Regeln zu bestimmten Begriffen koordinieren, wobei letztere mit dem Namen der  nationalökonomischen  Grundbegriffe bezeichnet werden können und den Ausgangspunkt unseres ganzen volkswirtschaftlichen Lebens bilden. Sie stellen nämlich eine Reihe objektivierter Formen der Beurteilung der Güter und Dienstleistungen von verschiedenen, verschiedenen materiellen Interessen der Gesellschaft entsprechenden, Gesichtspunkten dar.

Angesichts der fortwährenden Entwicklung und der daraus folgenden Differenzierung der Funktionen, zerfällt die Gesellschaft in eine ganze Anzahl von Gruppen und Abteilungen, die spezielle, voneinander verschiedene Interessen verfolgen. Und diese Differenzierung der Gesellschaft ist heutzutage bereits so weit fortgeschritten, daß eine jede industrielle Unternehmung, daß beinahe ein jeder selbständiger Produzent zum selbständigen wirtschaftlichen Organismus, der seine besonderen Interessen hat, geworden ist. Augenscheinlich empfinden all die zahlreichen Gruppen die Interessen der Gesamtheit in einer besonderen Weise. Es bestehen also unter den Mitgliedern der Gesellschaft nicht unbeträchtliche Unterschiede in Bezug auf ihre Beurteilung der ökonomischen Güter. Nur was die allgemeinste Form dieser Urteile, die Richtung, in welcher sie sich bewegen, anbelangt, sind sich die wirtschaftenden Menschen gleich. Die unter ihnen also existierenden Verhältnisse, insofern sie sich auf ihre konkreten Urteile beziehen, sind keine Verbindungen mehr homogener, sondern heterogener Elemente. Nichtsdestoweniger setzt die Gleichheit der allgemeinen Richtung ihrer wirtschaftlichen Urteile ihre Koordination voraus, denn sie bedeutet nichts anderes, als daß die Individuen in ihrer volkswirtschaftlichen Tätigkeit, obwohl sie bewußt ihre individuellen Interessen verfolgen, sich doch nicht nach diesen, sondern nach denjenigen der Gesamtheit richten, daß sie also objektiv nach der Erfüllung einer gemeinsamen Aufgabe streben. Ein Zusammenwirken heterogener Elemente ist aber nur unter der Form einer Koordination möglich, die vom Standpunkt dieser letzteren einen Ausgleich der unter ihnen bestehenden Unterschiede bedeutet. Indem nun die Individuen ihre eigenen Urteile über die ökonomischen Eigenschaften der Güter, die sie denselben aufgrund ihrer Grundbegriffe zuschreiben, sowie die diesen Urteilen entsprechenden Willensregungen mit den Urteilen und Bestrebungen anderer Individuen auszugleichen suchen, erhalten in ihrem Bewußtsein ihre persönlichen ökonomischen Tendenzen den Charakter subjektiver Prozesse, diejenigen aber der anderen wirtschaftenden Menschen - objektiver, ihnen gegenüberstehenden Tatsachen, und die Resultate dieser Ausgleichung - objektiver, nur bis zu einem gewissen Grad von uns abhängigen Resultate unserer ökonomischen Tätigkeit, die angesichts dessen, daß sie sich auf die wirtschaftlichen Eigenschaften der Güter beziehen, von den Einzelnen als konkrete, ihrer privatwirtschaftlichen Tätigkeit unter gewissen Umständen folgende Äußerungen der immanenten Eigenschaften der Güter empfunden werden. Indem wir also diejenigen volkswirtschaftlichen Beziehungen, die ihre Quelle in der Identität unserer allgemeinen Beurteilungsformen haben, als volkswirtschaftliche Begriffe von allgemeiner Gültigkeit wahrnehmen, empfinden wir die nationalökonomischen Verhältnisse, die auf einer verschiedenen Anwendung dieser allgemeinen Beurteilungsformen durch einen jeden von uns beruhen, als  nationalökonomischen Tatsachen, die auf das innigste mit unserer persönlichen Tätigkeit verbunden sind. 

Sämtliche soziale Verbindungen, die auf heterogenen Elementen beruhen, weisen ein Streben der Einzelnen, deren individuellen Eigentümlichkeiten mit dem Fortschritt der Kultur immer schärfer ausgeprägt werden, nach der Auflösung der unter ihnen bestehenden Koordination auf. Auf das Gebiet des volkswirtschaftlichen Lebens übertragen, bedeutet es, daß die Unterschiede, die zwischen den Einzelbestrebungen der wirtschaftenden Individuen bestehen, je mehr sich die Kultur entwickelt, desto schärfer ausgeprägt werden, wodurch die Koordination der ökonomischen Kräfte erheblich erschwert wird. Sie wird nur noch unter der unvollkommenen Form der Konkurrenz möglich. Die Geschichte weist uns aber keine lebensfähige Gesellschaft auf, die nicht nach Beschränkung derartiger zentrifugaler Bestrebungen getrachtet hätte. Das Individuum wird demgemäß in ein  Subordinations verhältnis zur Gesellschaft gestellt. Dies kann augenscheinlich nur dadurch geschehen, daß das Individuum die ihm von der Gesellschaft auferlegten Grenzen seiner persönlichen Bestrebungen als Äußerungen einer oberen Gewalt wahrnimmt, daß sie für ihn die Bedeutung von Gesetzen höheren Ursprungs, nämlich von Moral- oder Staatsgesetzen, haben. Da sich aber andererseits ein jedes derartiges Gesetz auf unsere volkswirtschaftliche Tätigkeit bezieht, d. h. diejenigen Beziehungen der Menschen zum Objekt hat, die unter ihnen aufgrund ihrer verschiedenen Beurteilung der materiellen Güter und Dienstleistungen bestehen, so richtet er sich in letzter Instanz auf die Bedeutung, die diesen Gütern und Dienstleistungen zuzuschreiben ist. Die Gesellschaft bringt folglich die Fähigkeit der Güter, als Mittel der Befriedigung gewisser ökonomischer Bedürfnisse zu dienen, in Abhängigkeit von bestimmten Bedingungen, und spricht ihnen dieselbe nur dann zu, wenn die von ihr festgestellten Bedingungen erfüllt sind, was seinen positiven Ausdruck darin hat, daß die Gesellschaft gewisse bestimmte Eigenschaften der Güter, kraft der ihr als einer Organisation höheren Rangs (Staat, Gemeinde, Kirchen, Klasse) zugute kommenden Gewalt garantiert, wenn sie den dazu nötigen Bedingungen entsprechen, und auf diese Weise die Gesellschaft als eine Organisation höheren Rangs in die Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse eingreift, um die durch die Antagonismen der verschiedenen Konkurrenzkräfte bedrohte Einheit der volkswirtschaftlichen Funktionen zu wahren, verleiht sie zugleich den aus dieser Intervention hervorgehenden Institutionen einen gewissen staatlichen Charakter. Ihr Kriterium wird demnach nicht nur die möglichst vollständige Befriedigung der materiellen Bedürfnisse der Nation, sondern auch die Wahrnung ihrer äußeren Selbständigkeit und Machtstellung, die Sicherung der Stabilität der politischen und sozialen Verhältnisse, der Schutz der Privilegien und Vorrechte der herrschenden Klassen, sowie andererseits die Wahrung der ethischen Gesetze in den wechselseitigen Beziehungen der Menschen usw. Sie sind also im Grunde genommen keine rein ökonomischen, sondern  wirtschaftlich-politische  und  wirtschaftlich-moralische  Institutionen.


V.

Die volkswirtschaftlichen Erscheinungen werden gewöhnlich als Funktionen der Volkswirtschaft aufgefaßt, diese letztere aber als der "Inbegriff der in einem Staat vorhandenen, teils neben, teils übereinander und aufeinander angewiesenen Einzelwirtschaften" (11), definiert, wobei die Einzelwirtschaft als Privatwirtschaft physischer oder juristischer Personen verstanden wird. Und da das Wesen einer jeden Privatwirtschaft in der Tätigkeit der Menschen liegt, die auf eine planmäßige Befriedigung ihres Bedarfs an äußeren Gütern gerichtet ist, so wird demgemäß die Volkswirtschaft für eine organisierte Tätigkeit erklärt, und die Elemente derselben in den einfachsten Beziehungen der wirtschaftenden Menschen zur Natur oder zu den Gütern gesucht. Eine derartige Auffassung macht aber  a priori  die Lösung der Frage danach, "wie es kommt, daß Menschen mit ihren zunächst und scheinbar rein individuellen Bedürfnissen gemeinsam füreinander wirtschaften", einfach unmöglich. Denn die Einzelwirtschaft kennt das Individuum nur als Subjekt, der Begriff aber einer sozialen Gruppe setzt auch denjenigen des Individuums als Objekt der Gesellschaft voraus. Tatsächlich ist auch  die Volkswirtschaft keine organisierte wirtschaftliche Tätigkeit, sondern eine Organisation der Beziehungen,  die unter den Menschen aufgrund der Ähnlichkeit und Verschiedenheit ihrer wirtschaftlichen Urteile und Bestrebungen entstehen. Sie ist folglich nicht ein Produkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit, sondern vielmehr eine Voraussetzung derselben. Der Ausgangspunkt der Volkswirtschaft ist nicht in den einzelwirtschaftlichen Akten, sondern in den wechselseitigen Beziehungen der Individuen und ihrer Gruppen zu suchen, die unsere privatwirtschaftliche Tätigkeit begrenzen und bedingen. Dann aber können die Elemente der Volkswirtschaft sich einzig und allein in den einfachsten Formen dieser Beziehungen befinden, die wir unter den drei Kategorien der nationalökonomischen Begriffe, Tatsachen und Institutionen wahrnehmen. Zwar bilden dieselben keine selbständigen Akte unserer volkswirtschaftlichen Tätigkeit. Vielmehr sind sie nur einzelne Momente derselben, die in einem jeden wirtschaftlichen Akt zu finden sind. Als Elemente des sozialen, bzw. des volkswirtschaftlichen Lebens sind aber überhaupt nicht die Äußerungen unserer Tätigkeit zu verstehen, sondern die sie begleitenden Beziehungen der Menschen untereinander. Unsere Tätigkeit bildet nichts weiter als ein materielles Substrat des sozialen Lebens in gleicher Weise wie die biologischen Funktionen ein materielles Substrat der psychischen Phänomene sind. Von einer "Bifurkation" [Aufspaltung - wp] (12) der nationalökonomischen Phänomene, auf die sich die historische Schule stets beruft, kann also keine Rede sein. Dieselbe patß nur auf unser individuelles Leben, das eine Reihe von Äußerungen unserer Tätigkeit bildet, die sowohl durch unsere physische wie durch unsere geistige Struktur bedingt sind. Indem wir uns aber an den Funktionen der Gesellschaft beteiligen, also als soziale Einheiten auftreten, sind wir nur noch psychische Größen, und die unter uns bestehenden Beziehungen sind ausschließlich psychische Verhältnisse, d. h. solche, die sich in unserem Bewußtsein vollziehen und sich nicht auf unsere räumliche Lage und unsere physischen Funktionen, sondern auf unsere Empfindungen, Urteile und Willensregungen beziehen.

Indem nun die Elemente der Volkswirtschaft nicht in den einfachsten Äußerungen unserer wirtschaftlichen Tätigkeit, sondern in den einfachsten Formen der unter den wirtschaftenden Menschen bestehenden typischen Verhältnisse beruhen, können auch keineswegs die materiellen Eigenschaften der Güter und Produktionsmittel, sowie ihr Verhältnis zu unserer materiellen Tätigkeit und zur Zahl der Bevölkerung, wie es die klassische und zum gewissen Teil auch die historische Schule behauptet, Faktoren der Volkswirtschaft bilden. Zwar können wir uns keinen konkreten Zustand der Volkswirtschaft vorstellen, ohne zugleich an die geographischen Eigenschaften des Landes, an die Kommunikationsmittel, Produktionsmethoden und Produkte, Fabriken, Werkstätten und Maschinen zu denken, die die notwendigen Bedingungen derselben bilden. Wenn wir also den Begriff der Ursache in seiner philosophischen Deutung, d. h. als die Gesamtheit der Bedingungen auffassen wollten, müßten sie für Faktoren der Volkswirtschaft erklärt werden. Die exakte Forschung aber, die nur wahrnehmbare Veränderungen bestimmter Größen mit wahrnehmbaren Veränderungen anderer bestimmter Größen verknüpfen kann, muß streng zwischen den wirkenden Ursachen, d. h. Phänomen, deren Veränderungen Veränderungen anderer Phänomene im Gefolge haben, und den notwendigen Bedingungen des Erfolgs der Wirkung der Ursachen unterscheiden (13).

Deshalb ist auch der Satz SCHMOLLERs: "Auf der einen Seite stehen die natürlich technischen Ursachen ..., auf der anderen stehen die aus dem psychologisch-sittlichen Leben der Völker stammenden Ursachen", (14)nur teilweise richtig zu nennen. Er bezeichnet doch selber die ersteren als "Fundament" und "Grenzen" der Volkswirtschaft und sagt "die in der Welt der Natur hineingebaute Welt der wirtschaftlichen Kultur dankt doch ihre Entstehung in erster Linie den geistigen Kräften der Menschen". Ein "Fundament" bedeutet aber nicht dasselbe wie die wirkenden Ursachen, auf die die kausale Erklärung der Phänomene zurückzuführen ist! Es gibt doch keine physischen Erscheinungen, die nicht die stofflichen Eigenschaften des Körpers zu ihrem Fundament gehabt hätten und nicht durch die kosmischen Phänomene begrenzt wären (15). Als Ursachen derselben bezeichnen wir aber nur die Gesetze der Bewegung, auf die wir ihre kausale Erklärung zurückführen. Denn eine jede Erklärung bedeutet zugleich eine Zurückführung weniger allgemeiner und mehr komplizierter Phänomene unter allgemeineren und weniger komplizierten, unter deren Begriff der allgemeinste Begriff der ersteren notwendigerweise subsumiert sein muß (16). Eine solche Notwendigkeit besteht aber nur dann, wenn ein gegebener Begriff einen breiteren voraussetzt, indem er denselben mit einem Prädikat bezeichnet. Deswegen führt uns auch die vollendete Bearbeitung des Begriffs der Wirkung zum Begriff der Substanz. Wir suchen nämlich die Ursachen der biologischen Erscheinungen in den chemischen und physischen, denn der Begriff der organischen Körper setzt jenen der materiellen Vorgänge voraus, die nur dadurch, daß sie kausal verknüpft sind, einem Ziel dienen können, und die er mit dem Prädikat der Zweckmäßigkeit bezeichnet. Wir führen ferner die chemischen und physischen Phänomene auf Gesetze der Mechanik zurück, da der Begriff der Verschiedenheit der in Raum und Zeit wahrnehmbaren Erscheinungen jenen ihres Unterschiedes voraussetzt, indem er denselben mit dem Prädikat der Qualität bezeichnet. Wir bezeichnen schließlich als Ursachen der mechanischen Erscheinungen die substantiellen Kräfte, denn der Begriff der Bewegung setzt jenen der Vielheit der sich bewegenden Einheiten, sowie deren Kraft, Bewegung hervorzurufen, voraus.

Bekanntlich gehören nun die volkswirtschaftlichen Phänomene in das Gebiet des sozialen Lebens. Der allgemeinste Begriff desselben setzt aber nur jenen der geistigen Funktionen voraus, indem er denselben mit dem Prädikat der objektiven Zweckmäßigkeit bezeichnet. Die volkswirtschaftlichen Phänomene sind also nur auf psychische Vorgänge, auf Bewußtseinszustände zurückzuführen, und ihre wirkenden Ursachen, ihre Faktoren nur auf dem Gebiet des geistigen Lebens zu suchen. Denn es gibt keine andere Erscheinungssphäre, deren Begriff demjenigen der Volkswirtschaft subsumiert sein müßte. Die materiell-technischen Erscheinungen sind vielleicht allgemeiner als die sozialen. Es gibt aber keinen Satz, der uns nötigen würde, in denselben die Ursachen der nationalökonomischen Erscheinungen zu suchen. Wohl aber sind wir genötigt Erscheinungen, die wir als objektive Größen wahrnehmen, von denen wir aber keine räumliche Vorstellung haben, uns als geistige Funktionen zu denken, die wir aber im Gegensatz zu uns als Subjekt unserer Bewußtseinszustände, wahrnehmen, die also objektiv sind in dem Sinne, daß sie uns stets zu Bewußtsein, als Phänomen nicht nur unserer individuellen, sondern unserer gemeinsamen Erfahrung kommen, die also mit dem Bewußtsein unserer Zusammengehörigkeit an eine Gemeinschaft verknüpft sind; und da es keinen Satz gibt, der uns nötigen würde unsere Bewußtseinszustände als gleichartig mit jenen der anderen Individuen  a priori  zu erkennen, so kann es nur teleologische begriffen werden, nämlich als notwendige Bedingung eines geregelten Zusammenlebens. Und was die übrigen sozialen Erscheinungssphären, die Veränderungen der ethischen, politischen, sozialen Struktur der Gesellschaft anbetrifft, so sind sie weder allgemeiner noch einfacher in Bezug auf die volkswirtschaftlichen Phänomene. Sie können ihnen also keineswegs subsumiert werden. Ebenso wie die materiell-technischen Erscheinungen, die Arbeit inbegriffen, sind sie nur als Bedingungen und nicht als Faktor der Volkswirtschaft zu verstehen.

Selbstverständlich können wir in einzelnen Fällen, wenn uns die Faktoren einer volkswirtschaftlichen Erscheinung bekannt sind, oder als selbstverständlich erscheinen, die entsprechenden Veränderungen auf die veränderten Bedingungen zurückführen. Für die Methodologie hat aber die Frage danach, wo die Faktoren und wo die notwendigen Bedingungen der Volkswirtschaft zu suchen sind, eine prinzipielle Bedeutung. Denn von der Art, wie sie beantwortet wird, hängt unmittelbar die Entscheidung ab, nicht nur über die Stellung, die wir der Nationalökonomie in der Klassifikation der Wissenschaften zuweisen, sondern noch über die Grenzbegriffe und die Natur der Gesetze der Volkswirtschaftslehre.


VI.

Die Klassifikation der Wissenschaften ist augenscheinlich kein fester Begriff. Seit COMTE wird aber gewöhnlich darunter eine Ordnung verstanden, die uns die Wissenschaften als eine Reihe von Lehren, die sich gegenseitig bedingen und auf sich gegenseitig zurückführen, darstellt. Demgemäß zerteilen wir dieselben
    1. in abstrakte und konkrete, von denen sich die ersteren mit den Methoden unserer Erkenntnis, die letzteren mit den Phänomenen unserer Erfahrung beschäftigen. Und die konkreten Wissenschaften klassifizieren wir

    2. in angewandte, deskriptive und theoretische, die drei ziemlich parallel laufende Reihen bilden. Mit dem Fortschrit der Wissenschaft manifestiert sich aber sowohl bei den praktischen wie bei den deskriptiven Lehren eine deutliche Tendenz nach einem möglichst nahen Abschluß an die theoretischen Wissenschaften.
Das Hauptgewicht der Klassifikation fällt also auf die Ordnung dieser letzteren, weshalb auch manche Forscher, wie z. B. WUNDT (17), den Unterschied von deskriptiven und theoretischen Lehren aufheben und beide Reihen in einer einheitlichen Ordnung zusammenfassen. Da aber heutzutage noch die deskriptiven Wissenschaften als ihre nächste Aufgabe die Feststellung der Tatsachen in ihrer vollen empirischen Wirklichkeit betrachten, und nur nebenbei auf die Gewinnung von Gesetzen, wohlgemerkt nur der empirischen eingehen, scheint uns vorläufig noch die Dreiteilung der konkreten Wissenschaften in praktische, deskriptie und theoretische fehlt am Platz zu sein. Sie scheint uns auch der von MENGER vorgeschlagenen Klassifikation in praktische, historische und theoretische Lehren (18) vorzuziehen zu sein. MENGER behauptet, es gebe außer der angewandten nur noch zwei Arten von Wissenschaft. Die einen, wie z. B. die Statistik und die Geschichte, hätten zur Aufgabe die Erkenntnis der konkreten Phänomene in ihrer Stellung, in Raum und Zeit und in ihren konkreten Beziehungen zueinander, die anderen aber die Erkenntnis der im Wechsel der konkreten Erscheinungen wiederkehrenden Erscheinungsformen. Die ersteren sind die historischen, die letzteren die theoretischen. Tatsächlich gibt es aber keine Wissenschaft, die sich auf die bloße Feststellung des Individuellen beschränken könnte oder lediglich auf die Erkenntnis des Typischen gerichtet wäre. Denn einerseits setzt jede Definition eine Klassifikation voraus, und andererseits fordert die Feststellung der typischen Eigenschaft, die ihrer Erkenntnis vorangehen muß, eine genaue Kenntnis sämtlicher individueller Fakten, weswegen auch, wenn diese letztere unmöglich ist, geben wir unserer Klassifikation einen nur hypothetischen Charakter, indem wir stillschweigend annehmen, daß
    1. die weitere Beobachtung uns keine neuen Typen enthüllen wird, und daß

    2. zwischen den Einheiten der untersten uns bekannten Klasse keine irgendwie für uns in Betracht kommenden Verschiedenheiten bestehen.
Übrigens werden die Wissenschaften zu theoretischen nicht dadurch, daß sie nach der Erkenntnis der Typen und typischen Relationen, sondern weil sie nach der Erklärung der  Notwendigkeit  nicht nur des Seins, sondern auch des So-seins der Phänomene trachten. Ihr Hauptmerkmal liegt darin, daß sie sich mit "empirischen" Gesetzen nicht begnügen, sondern dieselben durch "ursächliche" Gesetze zu erklären suchen. Selbstverständlich setzt eine derartige Erklärung eine Abstraktion, eine Ordnung der entsprechenden Phänomene in ein System von Begriffen voraus.

Was nun die sozialen Wissenschaften überhaupt und die Volkswirtschaftslehre inbesondere anbetrifft, so entsprechen sie dieser Forderung vollständig. Denn die sozialen Phänomene sind ihrer Natur nach formell, bzw. typisch. Die sozialen Einheiten sind doch immer durchschnittliche Einheiten und die unter ihnen bestehenden Beziehungen müssen folglich ebenfalls durchschnittliche, typische Verhältnisse sein.

Wenn als MENGER vom formalen Charakter der Volkswirtschaftslehre (19) spricht, so ist es insofern richtig, als sie mit Erscheinungen zu tun hat, die ihrer Natur nach schon typisch und formell sind, nicht aber in dem Sinne, wie er es versteht, nämlich, daß sie auf die Erkenntnis nur der Form der volkswirtschaftlichen Phänomene und nicht ihrer konkreten Eigenschaften gerichtet ist. Der Platz der Nationalökonomie ist folglich unter den konkreten Wissenschaften. Nichtsdestoweniger kann sie eine theoretische Wissenschaft sein. Eine kausale Erklärung der volkswirtschaftlichen Phänomene stößt auf keine unüberwindlichen Schwierigkeiten. Die historische Schule pflegt, um ihren Agnostizismus zu rechtfertigen, auf die angeblich außerordentliche Kompliziertheit der nationalökonomischen Erscheinungen hinzuweisen, die eine Klassifikation derselben beinahe unmöglich machen soll. Eine derartige Auffassung beruth aber auf einer vollständigen Verkennung der wahren Natur der volkswirtschaftlichen Phänomene, auf der grundfalschen Anschauung, sie wären Äußerungen der organisierten wirtschaftlichen Tätigkeit. Tatsächlich sind sie aber Funktionen der Organisation, d. h. der allgemeinsten Formen derselben. Die einfachste Beobachtung bringt sie uns schon zu Bewußtsein als Manifestationen bestimmter Gruppen, Klassen und Kategorien. Und da sie im Grunde genommen eine nur besondere Sphäre des geistigen Lebens bilden, da sie also auf die gewöhnlichen psychologischen Gesetze zurückgeführt werden können, so müssen auch "ursächliche" Gesetze auf dem Gebiet der Nationalökonomie wohl möglich sein. Der Umstand aber, daß die volkswirtschaftlichen Erscheinungen Funktionen nicht der einzelnen Menschen, wie sie aus der Hand der Natur hervorgehen, sondern der Mitglieder historisch gegebener Gesellschaften bilden, bedeutet, daß die Gesetze der Psychologie nur unter gewissen Bedingungen zur Erklärung der nationalökonomischen Phänomene dienen können. Die Volkswirtschaftslehre kann also zu denselben greifen nur um abzuleiten, wie bei einem gegebenen Stand der geistigen Kultur und der ihr entsprechenden materiellen Bedürfnissen der Gesellschaft einerseits und einem ebenfalls gegebenen Stand der Technik, der natürlichen Produktionskräfte und der Leistungsfähigkeit der Produzenten, d. h. der sozialen Mittel der Tilgung der wirtschaftlichen Bedürfnisse, andererseits, sich die typischen Formen unserer Beurteilung der wirtschaftlichen Güter gestalten müßten. Dabei wird sie aber immer auf die zwei Begriffe der ethisch-sozialen und der technisch-materiellen Kultur als auf ihre Grenzbegriffe stoßen ohne imstande zu sein, dieselben zu erklären oder auf dieselben die Erklärung ihrer Untersuchungsobjekte zurückzuführen. Denn sie bilden zugleich die Voraussetzung und die Folge des volkswirtschaftlichen Lebens. Was aber eine Voraussetzung desselben ist, kann nicht durch volkswirtschaftliche Gesetze erklärt werden, sowie das, was eine Folge der letzteren bildet, keineswegs zu ihrer Erklärung dienen kann. Eine Lösung dieses Widerspruchs ist erst auf dem Gebiet der Geschichtsphilosophie möglich, die allein die Grenzen, die zwischen den verschiedenen Zweigen unserer Kultur bestehen, aufheben kann, um diese letzteren als nur einzelne Momente der Entwicklung des menschlichen Geistes zu betrachten. Die Frage nach der Wechselwirkung der verschiedenen Zweige der Kultur geht auf diese Weise in jene des Zusammenhangs der verschiedenen Momente, die den Prozeß des geistigen Wachstums der Menschheit charakterisieren, über, eine Frage, die wohl ohne Widerspruch gelöst sein kann.

Die Volkswirtschaftslehre aber, die eine konkrete Wissenschaft ist, muß die nationalökonomischen Phänomene nicht in ihrer Ähnlichkeit, sondern in ihrer Verschiedenheit von den übrigen Strömungen des sozialen Lebens betrachten. Sie ist also keineswegs imstande, die Natur des Verhältnisses der volkswirtschaftlichen Evolution zur Evolution der sozial-ethischen und materiell-technischen Kultur zu erklären. Die Zurückführung also der ersteren auf die letztere als auf ihre Ursache, wie es die historische Schule zu tun pflegt, ist aus prinzipiellen methodologischen Gründen unzulässig. Andererseits aber ist es nicht minder falsch, von den sozialen und materiellen Bedingungen der Volkswirtschaft vollständig abstrahieren zu wollen, wie es MENGER tut. Denn um die Notwendigkeit eines Zusammenhangs zu leugnen, muß man doch ebenfalls dessen Natur erkannt haben. Die Frage nach der Isolierung und der universellen Betrachtung der nationalökonomischen Probleme kann nur insofern gelöst werden, als wie  die beiden Begriffe der ethisch-sozialen und der materiell-technischen Kultur für Grenzbegriffe  erklären und demgemäß als die eigentliche Aufgabe der theoretischen Nationalökonomie - die Erklärung dessen betrachten,  wie und weshalb sich die Beurteilungsformen der Güter sowie die von ihnen bedingten Formen der Beziehungen unter den wirtschaftenden Menschen entsprechend  den Veränderungen der technisch-materiellen und der ethisch-sozialen Kultur so und nicht anders gestalten und verändern.

Angesichts dessen muß aber sowohl die Behauptung SCHMOLLERs und KNIEs, es gäbe keine "ursächlichen" nationalökonomischen Gesetze, als die entgegengesetzte MENGERs, die Nationalökonomie müsse nach "naturwissenschaftlichen", unter allen Umständen gleichmäßig wirkenden, Gesetzen trachten - für irrtümlich erklärt werden.

Denn einerseits können sämtliche volkswirtschaftlichen Phänomene als Manifestationen der allgemeinsten Gesetze angesehen werden, nach welchen alle unsere wirtschaftlichen Urteile stets ihrer Form nach Beurteilungen der gesellschaftlichen Mittel gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen bilden müssen. Auf diese allgemeinsten, grundlegenden Gesetze, die das Wesen der Volkswirtschaft zum Ausdruck bringen möchten, wären demgemäß alle weiteren nationalökonomischen Gesetze zurückzuführen. Die statistisch so konstatierbaren Formen der Beziehungen unter den wirtschaftenden Menschen, die sich in den nationalökonomischen Tatsachen unserer Zeit objektivieren, können als notwendige unter der Herrschaft der bestehenden Institutioinen Formen des Ausgleichs der, bei den gegebenen sozial-ethischen und materiell-technischen Verhältnissen ebenfalls notwendigen, Formen der Modifikation der Grundbegriffe im Bewußtsein der verschiedenen volkswirtschaftlichen Gruppen, die Grundbegriffe aber als notwendige, beim gegebenen Stand der sozialen und materiellen Kultur des Volkes Äußerungen der allgemeinsten Gesetze über die Gestaltung und Objektivierung der Formen unserer wirtschaftlichen Urteile abgeleitet werden.

Andererseits aber kann letztere Erklärung, nämlich diejenige der Grundbegriff, nur eine genetische sein. Denn diese letzteren, ebenso wie alle übrigen Kulturbegriffe, bilden Produkte der ganzen Vorgeschichte unseres Geschlechts. Sie lassen sich also keineswegs direkt, wie es MENGER meint, aus der wirtschaftlichen Natur der Menschen deduzieren. Und dies aus dem einfachen Grund, daß dieselbe in einer jeden Kulturepoche verschieden aussieht. Vielmehr können sie nur dann verstanden werden, wenn wir sie als Produkte einer bestimmten, durch die allgemeine soziale Entwicklung bedingten, Evolution unserer ökonomischen Urteilsformen betrachten, die sich stets in unserem Bewußtseins zu Begriffen von immanenten Eigenschaften der Dinge zu objektivieren pflegten, deren moderne Gestalt also ein Resultat der beiden Prozesse: einerseits der Entwicklung und Differenzierung, andererseits der Objektivierung und Kristallisation unserer Urteilsformen, wie sie durch den Lauf der Geschichte  bedingt,  und durch die Wirkung der allgemeinsten unter allen Umständen sich gleichbleibenden Gesetze  bestimmt  waren, darstellt.

Das Verlangen MENGERs nach diesen letzteren ist also vollkommen berechtigt. Wenn er aber meint, es sei dazu eine Zweiteilung der Volkswirtschaftslehre in eine "exakte" und eine "empirisch-realistische" nötig, von denen die letztere auf die Erkenntnis der Typen und typischen Zusammenhänge der realen Phänomene, die erstere dagegen auf die Definition ihrer abstrakten, für alle historischen Epochen gültigen Formen und die Zerlegung derselben in ihre einfachsten Elemente gerichtet wäre, so beweist dies nur, daß die "exakte" Methode, ebensowenig wie die "historische", imstande ist, eine "ursächliche" Erklärung der volkswirtschaftlichen Phänomene zu liefern. Es gibt doch einen prinzipiellen Unterschied zwischen der begrifflichen Ordnung unserer Erfahrung und der Abstraktion vom realen Tatbestand der Dinge. Wenn wir von diesem letzteren abstrahieren, dann ist keine "ursächliche" Erklärung der Erscheinungen unserer Erfahrung mehr möglich. MENGER scheint dies selbst zuzugestehen, indem er sagt, die Ergebnisse der exakten Forschung müßten stets vom realen Tatbestand abweichen. Er tröstet sic haber mit dem Hinweis auf die Gesetze des Falls der Körper, die ebenfalls von den realen Bedingungen absehen. Die Analogie ist nicht besonders gut gelungen; denn der wissenschaftliche Wert dieser Gesetze beruth nicht darauf, daß sie uns eben die konkreten Verschiedenheiten in der Geschwindigkeit, mit welcher verschiedene Körper fallen, als notwendige Folgen der verschiedenen Verhältnisse, die zwischen ihrem Umfang und ihrer Masse bestehen, begreifen lassen, daß sie also nur eine ursächliche Erklärung der realen Phänomene unserer Erfahrung liefern.

Die "empirische" und die "ursächliche" - von MENGER "exakte" genannte - Erklärung sind also nicht zwei verschiedene, voneinander unabhängige Richtungen, sondern zwei wechselseitig auf sich angewiesene Momente derselben. Die erstere stellt den kausalen Zusammenhang der Dinge, die letztere dessen Notwendigkeit fest. Eine  vollendete Erkenntnis  ist erst durch eine Vereinigung beider möglich.

Angesichts dessen sind die  allerhöchsten volkswirtschaftlichen Gesetze  nicht in einem logischen Verhältnis der begrifflichen Elemente der, durch Abstraktion von einem realen Tatbestand gewonnenen, abstrakten Ausdrücke der volkswirtschaftlichen Verhältnisse zu suchen, sondern in den  Regeln derjenigen Funktionen unseres Geistes,  durch welche die Volkswirtschaft zustande kommt, die folglich die ständigen Faktoren desselben bilden, und aus deren Wirkung sich, mit Berücksichtigung der veränderten Bedingungen, stets die konkreten Veränderungen der volkswirtschaftlichen Beziehungen ableiten lassen.

Es sind nämlich die psychologisch notwendigen Regeln der  Entstehung, Gestaltung und Koordination unserer objektiv, d. h. vom Gesichtspunkt der Gesamtheit und nicht der Einzelnen, zweckmäßigen volkswirtschaftlichen Urteile. 
LITERATUR Stanislaw Grabski, Zur Erkenntnislehre der volkswirtschaftlichen Phänomene, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, III. Folge, Bd. 17, Jena 1899
    Anmerkungen
    1) Vgl. SCHMOLLER, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im deutschen Reich, 1883, "Zur Methodologie der Staats- und Sozialwissenschaften".
    2) SCHMOLLER, a. a. O.
    3) MENGER, Untersuchungen über die Methode der sozialen Wissenschaften und der politischen Ökonomie insbesondere, zweites Buch, Kap. I.
    4) SCHMOLLER, Jahrbuch, a. a. O.
    5) MENGER, a. a. O., erstes Buch, Kap. 4
    6) MENGER, a. a. O, zweites Buch, Kap. 1
    7) MENGER, a. a. O, drittes Buch, Kap. 2, § 4
    8) Bereits KNIES (Die politische Ökonomie vom geschichtlichen Standpunkt) mach ROSCHER gegenüber diesen Einwand. Selbst aber stellt er eine Dreiteilung auf, indem er außer dem Eigen- und Gemeinsinn noch einen Sinn für Recht und Billigkeit unterscheidet.
    9) vgl. ESPINAS, "Sociétés animales" und KAUTSKY, "Die sozialen Triebe in der Tierwelt" (Neue Zeit).
    10) vgl. BALICKI, Organisation spontanée de la société politique.
    11) SCHMOLLER, Über einige Grundfragen der Sozialpolitik und der Volkswirtschaftslehre, Seite 227.
    12) KARL KNIES, Nationalökonomie nach historischer Methode, Seite 7
    13) SIGWART, Logik, drittes Buch, Abteilung 5
    14) SCHMOLLER, Über einige Grundfragen etc., a. a. O., Seite 57
    15) WILHELM WUNDT, Logik, Bd. 2, Abteilung 3
    16) SIGWART, Logik, Bd. 2, § 65
    17) WUNDT, Logik II, Abteilung 3, Kap. 1 und Abteilung 4, Kap. 1
    18) MENGER, Untersuchungen, Seite 7
    19) MENGER, Untersuchungen, Buch 1, Kap. 2