cr-2O. Külpevon Malottkivon Aster    
 
AGOSTINO GEMELLI
Die Realisierung

"Die moderne Psychologie bemüht sich mit wachsendem Erfolg, festzustellen, z. B. in der Empfindungslehre, was den Empfindungen in sich genommen zukommt und was unsere Auffassung in sie hineinträgt. Die Evidenz der Wahrnehmung ist unfähig, das zu tun, und überhaupt im allgemeinen die Scheidung zwischen Gegenstand und Auffassung vorzunehmen."

"Wir können hier nicht die positiven Argumente für den Realismus anführen, aber abgesehen von der Tatsache, daß die These, die das ganze Sein auf das Sein des Bewußtseins zurückführt, willkürlich und dogmenhaft ist, bemerken wir, daß die Himmelskörper ihren Lauf nehmen, auch wenn sie nicht gewußt werden, daß sich das Ei nach der Befrucht entwickelt auch in den Zeiträumen, in denen kein Bewußtsein an dasselbe denkt."

"Die reine Erfahrung ist nicht frei von Zusätzen aus früheren Erfahrungen, von Handlungen, die ihre Eindrücke ändern, von begrifflichen Voraussetzungen. Die reine Erfahrung wird daher abhängig von einem bestimmten Gesichtspunkt."

Ein philosophisches System, das zu irgendeiner Zeit imstande ist, eine große Schar von Anhängern um sich zu sammeln, ist immer von tausenderlei Gedankenströmungen der verschiedensten Art vorbereitet, die sich nach und nach den Geistern mitteilen, ihr Denken beeinflussen und so den Boden vorbereiten, in dem dann die zukünftige Lehre sich entwickeln und siegreich durchsetzen kann. Wer auch nur oberflächlich das Auftreten des Idealismus in seinen extremsten Formen studieren wollte, würde ohne Schwierigkeit den Spuren der zahlreichen Tendenzen begegnen, die die Geister der Gegenwart bestimmt haben, ihn mit einem so unbegründeten Enthusiasmus zu umfassen. Man kann sagen: angefangen von der Theorie über die primären und sekundären Eigenschaften der Körper, die lehrt, daß das Subjekt keine leere Form ist, die darauf wartet, in sich das Objekt aufzunehmen, sondern daß sie vielmehr dieses a priori determiniert, bis herab zu den modernen Systemen, die die Realität nicht mit dem begrifflichen Gedanken und auch nicht mit den wissenschaftlichen Formeln erfassen wollen, sondern mit der intuitiven Beschauung des Künstlers oder mit der Hingabe des Mystikers, war alles ein ununterbrochenes Aufeinanderfolgen von Begriffen, die die neuerlichen Triumphe des Idealismus begünstigt haben.

Dieser Idealismus stellt uns heute vor ein Problem, an dem niemand vorübergehen kann, dem jeder Studierende gegenübertreten muß, das Problem, das in seinem neuesten Werk OSWALD KÜLPE "das Problem der Realisierung" (1) nennt. Es bezieht sich einerseits auf die Setzung, die Existenz einer Realität, die nicht identifiziert werden kann mit den Zuständen unseres Selbstbewußtseins und unserem Denken, andererseits auf die Bestimmung, das Wesen der Realität selber. Es ist ein verwickeltes Problem, das bei näherem Zusehen uns vier Fragen zur Beantwortung vorlegt:
    1. Ist die Existenz von etwas Realem annehmbar? Nein, antwortet der Konszentialismus, der subjektive Idealismus, nach welchem man sich in das Reich der Phantasie und grundloser metaphysischer Spekulationen verliert, wenn man sich nicht auf unmittelbare vom Selbstbewußtsein gegebene Tatsachen, auf sinnliche Wahrnehmungen, Vorstellungen, Gefühle, Gedanken beschränkt. - Nein, antwortet auch der objektive Idealismus, der keine Unterscheidung zwischen realen und idealen Objekten zuläßt und der leugnet, daß der Gedanke, der alles hervorbringt, in mancher Beziehung von den äußeren Objekten abhängig ist.

    2. Falls der Idealismus Unrecht hätte, wie ist dann die Setzung von Realem möglich? Welchen Wert haben die Argumente des Realismus?
Wenn auch der Realismus auf diese beiden Fragen eine erschöpfende Antwort geben könnte, so würden sich doch sofort zwei weitere Fragen aufdrängen:
    3. Ist eine Bestimmung von Realem zulässig? Kant und im allgemeinen der Phänomenalismus will, daß wir uns damit genügen lassen, zur Existenz des Noumenon zu gelangen, das Wesen der Realität wird uns immer unbekannt bleiben.

    4. Im Falle, daß die Aufstellungen Kants unbegründet wären, wie ist dann ein Bestimmen von Realem möglich?
Eine Antwort auf all diese Fragen zu geben, ist die Aufgabe, die sich KÜLPE stellt in seinem Werk, das er seit langem geplant hat und das vier Bände umfassen soll, entsprechend den vier Problemen. Bis jetzt ist nur der erste Band erschienen, vorbereitet durch jahrelange Denkarbeit.

Das hohe Genie, die Gedankentiefe und der wohlbekannte wissenschaftliche Ernst des berühmten Professors der Psychologie an der Universität zu Bonn laden uns ein, im weiten Umfang nochmals die detaillierte Diskussion und die ins Einzelne gehende Analyse aufzunehmen, die er bezüglich der vom Konszentialismus und vom objektiven Idealismus für ihre These vorgebrachten Beweise anstellt. KÜLPE befaßt sich nicht damit, die positiven Gründe zu prüfen, die uns zum Realismus führen müssen (das wird Gegenstand des zweiten Bandes sein): er begnügt sich für jetzt damit, eine Verteidigungsstellung einzunehmen: durch ein Abschlagen der gegnerischen Angriffe sucht er, wenn auch nur rein negativ, die Festigkeit der realistischen Position zu zeigen.

I. Die Evidenz der inneren Wahrnehmung. Die positive Stütze des Konszentialismus ist die Evidenz der inneren Wahrnehmung; angefangen von den Kyrenaikern bis zu den Skeptikern, von DESCARTES bis zur modernen Philosophie, wurde sie stets als die einzige Stütze der Erkenntnisgewißheit betrachtet. Nun können aber nur die Tatsachen des Bewußtseins sich jener Evidenz rühmen. Nur sie allein können also gewiß sein; wir müssen uns an sie halten und uns nicht in das Reich des Transzendentalen verlieren.

Um diesen ersten Einwand zu prüfen, untersucht KÜLPE in einer sehr eingehenden Analyse die Bedeutung und Tragweite der Selbstgewißheit des Bewußtseins und erörtert darauf die Beziehung zur Problem der Wirklichkeit.

Bezüglich des ersten Punktes müssen wir gegenüber den Ergebnissen der modernen Psychologie vom Gedanken sagen, daß die Evidenz der inneren Wahrnehmung auf sehr bescheidene Grenzen reduziert worden ist. Sie ist vor allem ein subjektiver Eindruck, abhängig von den besonderen Verhältnissen des Subjekts und beschränkt auf dieses. Sie hat also nicht den Charakter einer objektiven Erkenntnis, sie irrt sogar häufig, und sie kann auch keine universale Geltung beanspruchen. Außerdem kann sie nur ein Erlebnis wahrnehmen, das unmittelbar gegenwärtig ist: eine Gewißheit, die sich auf die Erinnerung stützt, ist stets weniger sicher und ist im höchsten Grad subjektiven Einflüssen unterworfen. Dazu kommt noch, daß die Gewißheit sich nur auf zwei Bewußtseinsstufen findet, nicht auf den anderen, deren Existenz durch neuere Experimente nachgewiesen worden ist. Schließlich ist zu beachten, daß, so sehr ich auch darüber gewiß sein kann, eine innere Erfahrung gehabt zu haben, ich mich doch oftmals in Verlegenheit befinde und selbst oft irre, wenn es sich darum handelt, sie in all ihren detaillierten Umständen zu beschreiben. All das beweist, daß die Evidenz der äußeren Wahrnehmung keine absolut sichere Grundlage für die Erkenntnis, daß sie kein Kassationshof [höchstrichterliche Instanz - wp] ist, vor dem weder Fragen noch Zweifel zulässig wären.

Was den zweiten Punkt angeht, nämlich die Beziehung der Selbstgewißheit des Bewußtseins zum Problem der Realität, so behaupten die Konszientialisten, daß wir hinter den Tatsachen des Bewußtseins kein anderes Objekt suchen dürfen. Sich stützend auf die Theorie von BENEKE und WUNDT, die im Gegensatz zu KANT vom Feld der Psychologie die Unterscheidung zwischen Phänomen und Ding-ansich verbannt haben, behaupten sie, daß wir unsere Erlebnisse so wahrnehmen, wie sie in sich sind: die Evidenz der Wahrnehmung ist ihre psychologische Verwirklichung. Und diese Evidenz, sagen sie weiter, ist der einzige Weg, der zum Realen führt: daher ist die einzige Realität die des Bewußtseins. Diese Bemerkungen sind nach KÜLPE von Grund aus falsch.

BENEKE und WUNDT haben zugleich, der erste mit der Bejahung der Seele, der andere mit seiner voluntaristischen Metaphysik, die psychologische Realisierung jenseits und außerhalb der Wahrnehmungsgewißheit gesucht. Diese ist niemals eine sichere Garantie für ihre Wirklichkeit: es ist weder notwendig, daß das Reale mit Evidenz umfaßt wird, noch auch, daß das evident Wahrgenommene real ist. Die moderne Psychologie bemüht sich mit wachsendem Erfolg, festzustellen, z. B. in der Empfindungslehre, was den Empfindungen in sich genommen zukommt und was unsere Auffassung in sie hineinträgt. Die Evidenz der Wahrnehmung ist unfähig, das zu tun, und überhaupt im allgemeinen die Scheidung zwischen Gegenstand und Auffassung vorzunehmen. Hierzu ist eine schwierige Untersuchung notwendig, die namentlich nach einer Anwendung von Experimenten zahlreiche und interessante Resultate zutage gefördert hat. Einer ähnlichen wissenschaftlichen Untersuchung müssen wir vertrauen, eher als der intuitiven Methode BERGSONs, wenngleich auch sie ein Beweis dafür ist, daß die einfache Wahrnehmung, trotz ihrer Evidenz, keine hinreichende Garantie für die psychische Realität ihres Objekts ist.

Hieraus ersieht man, wie falsch die Methode ist, die innere Wahrnehmung als Modell und Typus einer jeden Verwirklichung aufzufassen: nicht allein ihre Evidenz wird schon beschränkt durch die Psychologie selber, wie wir sahen, sie hat auch in sich selber nicht die Macht der Verwirklichung. Wenn sie gegenüber der äußeren Wahrnehmung Vorteile aufzuweisen hat, so hat sie doch auch Nachteile, denn bei jener ist es sehr leicht zu bestimmen, ob wir es mit realen Objekten oder mit subjektiven Gemütsbewegungen zu tun haben, bei dieser hingegen ist es schwer, zu erkennen, was die Fähigkeit des psychologischen Subjekts und die Wahrnehmung zur Erscheinung ihres Objekts beitragen.

Das erste Argument des Konszientialismus verliert also viel von seiner Bedeutung. Es beweist, daß Erfahrung der Ausgangspunkt und die letzte Grundlage der Realisierung ist, sodaß man behaupten kann: ohne Wahrnehmung keine Realisierung. Das soll aber nicht besagen, daß die Wahrnehmung ihre einzig mögliche Form ist, noch auch, daß das Vorhandensein eines Objekts im Bewußtsein es damit schon real macht; die Beschränktheit der Wahrnehmung, als Folge der natürlichen Unvollkommenheit unserer Organanlagen, verlangt, daß wir in den Realwissenschaften uns niemals mit ihren Angaben und ihren Bestimmungen begnügen dürfen.

II. Die logischen Schwierigkeiten der Transzendenz. Polemische Ergänzung des Konszentialismus ist der Kampf gegen die Transzendenz, ein Kampf, der drei Formen annimmt:

a) Der Gedanke an ein nicht gedachtes Objekt ist absurd. Wie konnte doch BERKELEY in seinen Principles of Knowledge und in den Dialogues between Hylas and Philonous sich fragen und wie kann man sich nur vorstellen, daß ein Ding, das man denkt, existieren kann, ohne gedacht zu werden? Ist das Objekt des Gedankens, fährt SCHUPPE in seiner Erkenntnistheoretischen Logik fort, nicht etwa nach seinem eigentlichen Begrif nur ein Inhalt des Bewußtseins?

Diese Einwände hätten einen Wert, wollte man den Gedanken mit den Wahrnehmungen und den Vorstellungen gleichsetzen: dann freilich läge ein Widerspruch im Denken an ein Objekt, das kein Gedanke wäre, wie ein Widerspruch liegen würde in der Wahrnehmung von Farbe, die keine Wahrnehmung wäre. Sicherlich ist es unmöglich, daß ein Objekt zu einer Zeit gedacht oder nicht gedacht wird, aber das sagen wir auch nicht; wir sagen bloß, daß das Objekt, das gedacht wird, kein bloßer Gedanke wird. Es bleibt, was es ist, und das Denken an dasselbe ändert durchaus nichts an seinem Wesen. Derselbe Gegenstand, z. B. ein Haus, das ich und ein Architekt sehe, bringt zwei ganz verschiedene Gedankeninhalte hervor. Der Gedanke steht also nicht im Verhältnis von Identität und Gleichheit mit dem Objekt und noch weniger mit der Vorstellung; kann es doch, wie die moderne Denkpsychologie bewiesen hat, Gedanken geben ohne Bilder.

b) Es ist etwas Widersprechendes, sagen die Gegner, der Gedanke an einen Gegenstand, der unabhängig wäre vom Denken. Wenn ein Objekt gedacht wird, hängt es ab vom Gedanken, darum kann es nicht von diesem unabhängig sein.

Wenn wir die Unabhängigkeit eines gedachten Objekts vom Gedanken behaupten, dann wollen wir nur sagen, daß die Existenz, die Eigenschaften und die Veränderung des Objekts nicht an die entsprechende Existenz, die Eigenschaften und Veränderung des Gedankens gebunden sind. Die Beweisführung der Gegner, bemerkt LIEBMANN in seiner Abhandlung Zur Analysis der Wirklichkeit, ähnelt jener anderen: Wenn sich ein Gegenstand widerspiegelt, hängt es vom Spiegel ab; also kann er nicht von diesem unabhängig sein und nicht ohne jenen existieren.

Um aber die Schwierigkeit völlig zu beheben, ist daran zu erinnern, daß es Fälle gibt, in denen ein Objekt unabhängig vom Gedanken existiert. Daß ein solcher Fall für die Bewußtseinsinhalte zutrifft, haben FREYTAG (Der Realismus und das Transzendenzproblem) und HUSSERL (Logische Untersuchungen) bewiesen. Zur Bestätigun würde es genügen, darauf hinzuweisen, daß die mathematischen Größen und Zahlen ihre festen Relationen haben und daß die Begriffe und Urteile der Logik ihre Gültigkeit behalten, auch wenn sie nicht gedacht werden. Und dann, ist es etwa nicht wahr, daß die Objekte,, über die man nachdenkt, gleichbleiben während der verschiedenen logischen Operationen und der verschiedenartigsten wissenschaftlichen Schlüsse? Ist das nicht ein Beweis dafür, daß das Objekt, wenn es gedacht wird, vor dem Gedanken jene Unabhängigkeit bewahrt, die das Grundprinzip der Logik und der Wissenschaften ist?

c) Die logische Schwierigkeit des Realismus kann endlich eine andere Form annehmen. RICKERT hat in seinem Werk "Der Gegenstand der Erkenntnis" geschrieben: all das, was für mich existiert, steht unter der allgemeinsten Bedingung, Tatsache meines Bewußtseins zu sein. Mit welchem Recht wird ein Objekt angenommen, das keine Tatsache des Bewußtseins ist? Die Transzendenz hätte nötig bewiesen zu werden, um keine willkürliche und wissenschaftlich unzulängliche Hypothese zu sein. Für RICKERT, den Verfechter eines Immanenzstandpunktes, sind alle Objekte Tatsachen des Bewußtseins, dieses ist eine Wahrheit, die unmittelbar evident ist, und auch die Einzelwissenschaften fassen die Realitäten als Inhalt des Bewußtseins.

Nun ist das letztere aber falsch. Nicht allein die Metaphysik betrachtet Gott, die Nomaden usw. als eine Realität, die unabhängig ist von den Bewußtseinsinhalten, sondern auch die anderen Wissenschaften, von der Physik bis zur Psychologie, betrachten die Gegenstände der Natur, des psychischen Lebens oder der Geschichte als unabhängig vom Inhalt des Bewußtseins. Der Idealismus RICKERTs ließe sich so fassen: alle Objekte, alle Realitäten der Wissenschaften sind Bewußtseinsinhalte, sofern sie gewußt werden, oder: sofern etwas gewußt wird, wird es gewußt.

Man sagt, der Realismus sei eine willkürliche Behauptung: für die Setzung eines Realen gebe es keinen hinreichenden Grund. Wir können hier nicht die positiven Argumente für den Realismus anführen, aber abgesehen von der Tatsache, daß die These, die das ganze Sein auf das Sein des Bewußtseins zurückführt, willkürlich und dogmenhaft ist, bemerken wir, daß die Himmelskörper ihren Lauf nehmen, auch wenn sie nicht gewußt werden, daß sich das Ei nach der Befrucht entwickelt auch in den Zeiträumen, in denen kein Bewußtsein an dasselbe denkt. Diese Kontinuität der Entwicklung, wofür man tausenderlei andere Beispiele anführen könnte, ist ein Beweis dafür, daß das Objekt nicht identisch ist mit dem Bewußtseinsinhalt.

III. Das tatsächliche Gegebensein aller Gegenstände im Bewußtsein. Aber der Konszentialismus beruhigt sich noch nicht und sucht sonderbarerweise den Kampf gegen die Transzendenz zu führen, indem er im Namen der Erfahrung kämpft. Daß der Erkennende nur die Bewußtseinsinhalte und nichts anderes zur Verfügung hat, ist die einfache Konstatierung einer Tatsache. Hier teilen sich die Konszentialisten in zwei Richtungen: die einen verteidigen des Solipsismus, wonach das Bewußtsein, dem alle Objekte der Erkenntnis angehören, das individuelle und persönliche Bewußtsein der einzelnen Subjekte ist. Die anderen hingegen verstehen unter Bewußtsein entweder die Erlebnisse oder die Auffassungsweise des Subjekts: das ist der Immanenzstandpunkt. Sehen wir uns die Schwäche der einen wie der anderen Auffassung an.

a) Niemals wurde energischer als bei von SCHUBERT-SOLDERN (in seinen "Grundlagen der Erkenntnistheorie") die Idee ausgesprochen, daß alle Objekte der Erkenntnis nichts anderes sind, als Inhalte meines Bewußtseins, und daß wir in den Grenzen von diesem bleiben müssen. Der Solipsismus wäre also eine evidente Tatsache, die nicht einmal bewiesen zu werden brauchte. von SCHUBERT-SOLDERN ist nicht logisch: mit der Feststellung der Tatsache, daß alles, was ich denke, ein Bewußtseinsinhalt ist, ist nicht die Unmöglichkeit von Objekten bewiesen, die nicht gedacht werden. Empirisch ist weder eine Unmöglichkeit noch Notwendigkeit gegeben.

Außerdem löst sich, wie schon GAETSCHENBERGER und vor allem HERBART in seiner Polemik gegen die Idealismus von FICHTE bemerkt haben, der Solipsismus in eine unendliche Reihe auf. Wenn alle Objekte der Erkenntnis Erfahrungen meines Bewußtseins sind, so ist es auch dieses zweite Urteil und so fort bis ins Unendliche. Übrigens, von welchem Bewußtsein spricht man denn? Ist es logisch, von meinem Bewußtsein zu reden, wenn nicht andere vorausgesetzt und angenommen werden und ich so aus den Grenzen meines Bewußtseins hinausgehe?

Der Solipsismus treibt sein Spiel mit dem Wort "Bewußtsein", indem er es in einem doppelten Sinn gebraucht. Wenn dieses Wort die subjektiven Erlebnisse, das Seelenleben des Subjekts bezeichnen soll, so irrt der Solipsismus, denn die psychischen Vorgänge bilden ja nur einen Teil der Erfahrung und der erkannten Objekte, gar nicht davon zu reden, daß, falls sie die ganze Erfahrung und alle erkannten Objekte darstellten, wir dann von ihnen aussagen müßten, was wir von diesen aussagen: wir müßten dann auch ihnen die Kristallisierung, die Zellenscheidung, den Planetenlauf usw. zuschreiben können. Nimmt man aber das Wort "Bewußtsein" in einer anderen Bedeutung und will man sagen, daß alle Objekte der Erkenntnis erkannt werden müssen, dann hat der Solipsismus Recht. Aber diese sehr einfache Wahrheit besagt nicht, was und von welcher Art die Objekte sind, wenn sie nicht gedacht werden.

Es irren also jene, die einen Solipsisten für unwiderleglich halten oder die mit SCHOPENHAUER als einziges Mittel der Widerlegung seine Überführung in eine Irrenanstalt betrachten; nein, der Solipsismus treibt eine Spielerei mit dem Doppelsinn eines Wortes, sodaß wir eine quarterion terminorum [syllogistischer Fehlschluß durch zwei verschiedene Mittelbegriffe - wp] haben würden, wollten wir seine Beweisführung in eine syllogistische Form kleiden.

b) Kommen wir dann zum Standpunkt der Immanenz und lassen wir RICKERT, dem wir schon geantwortet haben, beiseite, so begegnen wir ERNST MACH und RICHARD AVENARIUS. Diese lehren, der erste in seinen "Beiträgen zur Analyse der Empfindungen" und in "Erkenntnis und Irrtum", der anderen in der "Kritik der reinen Erfahrung", daß physisch und psychisch Reflexionsbegriffe sind, daß aber das Gegebene weder physisch noch psychisch ist; der Standpunkt der Immanenz besteht gerade im Nicht-Überschreiten der reinen, primitiven, ungeteilten Erfahrung. Die reine Empfindung (Sensation) gibt uns die nicht von praktischen Zwecken gefälschte Kenntnis von der Wirklichkeit.

Die äußere Form, das Bild, die natürliche Kopie, die wir uns von der Welt machen, bemerkt KÜLPE gegen diese Auffassung des Erfahrungskritizismus, ist nicht die reine Erfahrung. Denn sie ist nicht frei von Zusätzen aus früheren Erfahrungen, von Handlungen, die ihre Eindrücke ändern, von begrifflichen Voraussetzungen. Darum ist vor allem eine reinigende Untersuchung notwendig, und die Experimentalwissenschaften tun gut daran, sie vorzunehmen, um ihren Ausgangspunkt zu gewinnen. Dann wenden sich die Wissenschaften nicht auf die ganze Tatsache, sondern nur auf einen Teil, nach verschiedenen Richtungen; die reine Erfahrung wird daher abhängig von einem bestimmten Gesichtspunkt. Die Empfindungen sind der Psychologie überlassen und werden nicht von den Naturwissenschaften betrachtet. Die Naturgesetze als Empfindungsgesetze betrachten, ist ein Verfahren ähnlich jenem eines Psychologen, der das Seelenleben der anderen Menschen für einfache Inhalte seiner Wahrnehmung hält, oder dem eines Historikers, der ein gefundes Dokument für einen bloßen Eindruck des Sehvermögens betrachten würde. Freilich, auch das fremde müßte logischerweise vom Empiriokritizismus geleugnet werden; wenn AVENARIUS es doch annimmt, so tut er das im Widerspruch zu seinem Immanenzstandpunkt.

Es ist so wenig wahr, daß die Sinnesinhalte das einzige Erkennungsmittel sind, daß z. B. den emprischen Wissenschaften nichts an der spezifischen Eigenschaft des mit den Sinnen Wahrgenommenen liegt: die Sinneswahrnehmungen werden nicht wegen ihrer Eigenschaften der Ausgangspunkt für die Wissenschaften, sondern wegen gewisser Relationen und Beziehungen, die man an ihnen wahrgenommen hat, wegen der Unabhängigkeit ihres Gehens und Kommens, ihres Bleibens oder ihrer Veränderung, ihrer Trennung oder Vereinigung. In all diesen Momenten spricht sich eine Abhängigkeit von Objekten aus, die nicht mit uns identisch sind. Wären die Vorstellungsinhalte so veränderlich und frei von allen Gesetzen, so könnten sie nicht der Ausgangspunkt für wissenschaftliche Beobachtungen werden. Nicht die Sinneswahrnehmungen, sondern die Wirklichkeit der Natur ist das Kriterium der Wissenschaft.

Die Immanenztheorie könnte aber daran festhalten, daß diese Realitäten der Natur nichts anderes sind als Gedenken und Begriffe: jede Kenntnis der Natur, sagt MACH, ist eine Anpassung der Gedanken an Tatsachen, und wir sehen dabei von der nebenher anerkannten Anpassung der Gedanken aneinander ab. Begriffe und wissenschaftliche Theorien sind sämtlich nur provisorisch, nützlich für die Praxis; die Empfindungen allein sind das Unabhängige, wonach wir unsere Gedanken richten müssen: ihre Analyse und ihre Kenntnis bilden das erste Erfordernis des Forschers, der wirklich empirisch vorgehen will.

Wer in solcher Weise spricht, vergißt, daß die Gedanken, die in Anpassung an Sinneswahrnehmung gebildet sind, ein ganz anderes Objekt haben als jene Sinneseindrücke. Die Naturwissenschaften handeln nicht so sehr von Farben, Tönen, von Temperaturwahrnehmungen, sondern vom Äther, von der Materie, von Schwingungen, Elektronen usw. Wir bringt MACH es fertig, zu erklären, daß die Gedanken nichts anderes sind als eine Nachbildung der Sinnesempfindungen, während sie doch gar nicht von diesen handeln?

Man wird sagen, daß die logischen und wissenschaftlichen Konstruktionen, die Materie, die Elektronen usw. bloße Begriffe sind, bequeme, wenn man will, aber keine wahren. O nein! es ist nicht der Gedanke, sondern die Realität, die uns sagt, welches die Zusammensetzungen der Kohlensäure sind, die uns unterweist, mit welcher Geschwindigkeit sich das Licht bewegt usw. Damit jener Einwand Sinn hat, müßte man die realen Objekte mit den idealen gleichsetzen; aber wir würde dann zu erklären sein, daß die realen Objekte nur mit Hilfe einer schwierigen Beobachtung von Tatsachen erkannt werden können? und wie kommt es, daß der Wert des Gedankens über sie nicht bloß eine immanente Grundlage hat, sondern von der Erfahrung bedingt ist?

Wir ziehen also den Schluß, daß der Solipsismus und die Immanenz keine Tatsachen, sondern nur ungenügende Theorien sind, unbewiesene Behauptungen, die im Widerspruch stehen zu den Realwissenschaften.

IV. Die abstrakte Natur jeder Realität. Die Abstraktionen - so lautet eine andere Idee des Konszentialismus - existieren nicht. Nun müßte es aber, wenn es etwas Reales gäbe,, auch etwas Abstraktes geben, eine allgemeine Idee. Also existiert das Reale nicht.

BERKELEY mit seiner Theorie der abstrakten Begriffe ist einer der Verfechter dieser Schwierigkeit; die englische Philosophie vor allem stellt, nachdem sie den Gedanken nach dem Muster von Sinneseindrücken und Vorstellungen behandelt hat, folgenden Schluß an: Die abstrakte Idee ist etwas, was man sich nicht vorstellen kann; also ist sie noch weniger denkbar.

Ganz abgesehen von dem Nachweis, den die moderne Psychologie von der Denkbarkeit einer freilich nicht mit sinnlichen Bildern vorstellbaren Materie geliefert hat, die weder warm noch kalt, weder schwer noch leicht, weder hell noch dunkel, sondern nur räumlich bestimmt ist; abgesehen davon, daß die abstrakte Idee nur für den naiven Realismus, nicht für den kritischen Realismus, etwas Unverständliches und Widersprechendes sein wird, zeigt sich in klarer Weise die Unzulässigkeit des Vorgehens BERKELEYs, wenn man unterscheidet zwischen Gedanke und Objekt. Warum kann die Kenntnis der Objekte nicht unbestimmt und allgemein sein, ohne daß die Objekte die gleiche Eigenschaft haben? Es kommt hinzu, daß auch für den Naturforscher die Objekte nicht bloß Abstraktionen oder Allgemeinheiten sind; der Biologe z. B. pflegt als real nicht die Arten und Gattungen, sondern die Individuen zu betrachten. Wir können zuweilen, wenn wir von einer realen Seite abstrahieren, uns auf eine andere nicht weniger reale Seite beschränken. Die allgemeinen der Naturwissenschaften können immer durch die Wahl gewisser Konstanten auf ein bestimmtes Objekt angewandt werden. Und wie im Übrigen der Astronom einen Himmelskörper studiert, so kann jedes Naturobjekt als ein Gegenstand für sich allein betrachtet werden. Wollte man die Existenz von realen Objekten leugnen, bloß weil sie mit Hilfe von Abstraktionen gewonnen wurden, so müßte man auch die Begriffe der Logik und die geometrischen Figuren verwerfen.

In keiner Weise hat man das Recht, den realen Objekten den Anspruch auf Konkretheit und Individualität zu versagen. Andererseits ist das Leugnen jeden Wertes einer abstrakten und allgemeinen Erkenntnis gleichbedeutend mit dem Leugnen aller Wissenschaften.

V. Der empirische Gehalt der Gedanken transzendenter Gegenstände. Untersuchen wir nun die Theorie
HUMEs. Die Ideen können nach HUME nicht mehr enthalten, als in den sinnlichen Eindrücken gegeben ist, da sie ja aus diesen entstehen; folglich muß aus den Begriffen Substanz, Kausalität, Außenwelt alles entfernt werden, was nicht aus den ursprünglichen Gegebenheiten des Bewußtseins abgeleitet werden kann. Soviel über den Inhalt der Gedanken. Bezüglich ihrer Anwendung ist zu sagen: Die Gedanken können sich nur an Realitäten anlehnen, die vom Bewußtsein vorgestellt werden können, da sie ja in diesen ihren Ursprung nehmen.

Wir haben schon wiederholt, daß der Gedanke sich wesentlich von den Sinneseindrücken und den Vorstellungen unterscheidet, nicht bloß weil es Gedanken gibt ohne Bilder, nicht bloß weil er zum Unterschied von jenen sich von seinem Gegenstand unterscheidet, sondern auch, weil er sich viel weiter ausdehnt als die Einbildungsvorgänge. Wegen dieser Ideen ohne Bilder ist das alte Axiom unhaltbar: Nihil est in intellectu quod prius non fuerit in senso [Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war. - wp] Selbst wenn man einen Ursprung der Gedanken in den Empfindungen annehmen würde, so würde das doch nicht eine qualitative Gleichheit des Gedankens und des Vorstellungsinhaltes bedeuten.

Noch einmal: Das Vorgehen des Empirismus beweist nicht die Unmöglichkeit eines nicht empirischen Inhaltes der Gedanken. Er will, daß jeder Gedankeninhalt abgelehnt wird, der sich nicht auf Sinneseindrücke zurückführen läßt; aber das ist nur ein ungerechtfertigtes Verbot; gehen denn die Analogie und die wissenschaftliche Induktion nicht über die Erfahrung und zwar mit Nutzen, hinaus?

Was dann die zweite Frage angeht, wird man gut tun, daran zu erinnern, daß die Begriffe nicht bloß angewandt werden können auf jenes Gegebene, von dem sie herstammen.
    "Niemand wird behaupten wollen, daß die Zahlen, weil sie zunächst von Fingern und Zehen ihren Ursprung genommen haben, auch nur auf diese Gegenstände angewandt werden dürfen."
Die Wissenschaft liefert in zahlreichen Fällen den Nachweis, wie willkürlich jede Beschränkung ist. Im Allgemeinen sodann kann und muß man behaupten, daß, wenn unsere Gedanken neben der Wahrnehmung einen Sinn und Wert haben sollen, sie auch einen selbständigen Inhalt und eine unabhängige Funktion haben müssen.

VI. Die Transzendenz und das Ideal der Wissenschaft. Sehr sonderbar ist der Versuch, im Interesse und Namen der Wissenschaft zu kämpfen.

Die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen sich durch Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit auszeichnen. Nun kann aber die Annahme transzendenter Objekte nicht diese Merkmale haben. Ihre Existenz ist bloß eine Hypothese, unwürdig der ernsten Strenge der Experimentalwissenschaften. Die Antwort ist leicht: nicht alles in der Wissenschaft hat die oben beschriebenen Eigenschaften. Wenn das wäre, so hätten wir eine durchaus vollkommene Wissenschaft; jedermann aber weiß, wie viele Lücken sich in den verschiedenen Zweigen der Wissenschaft finden. - Man wird vielleicht sagen, daß hier immer die Möglichkeit des Fortschritts gegeben ist, während ein solcher nach dem Beweis der realen Existenz des Transzendenten hin nicht möglich ist. Auch das ist falsch: nicht, daß der Empirismus nicht die Unmöglichkeit eines solchen Nachweises darlegen kann, auch im Bereich der Realisierung gibt es einen Fortschritt und eine Entwicklung: Das, was anfänglich eine Supposition [Verwendung ein und desselben Wortes zur Bezeichnung von Verschiedenem - wp] war, kann dann eine wohlbeachtenswerte wissenschaftliche These werden; von den Atomen DEMOKRITs kann man hinüberkommen bis zur modernen Atomistik. Und, um nichts anderes zu sagen, waren die großen Forscher nicht etwa Realisten? Hätten sie viele ihrer Entdeckungen gemacht, wenn sie sich auch einen konszientialistischen Standpunkt gestellt hätten? Wann ist jemals der Realismus für das Ideal der Wissenschaft ein Hindernis gewesen?

VII. Das Prinzip der Zweckmäßigkeit und die Transzendenz. Das Zweckmäßigkeitsprinzip, bemerkt in einem anderen Einwand MACH, herrscht unbestritten in der Wissenschaft, die ihr Ziel auf dem kürzesten Weg und mit dem geringsten Kraftverbrauch erreichen muß. Alle überflssigen Voraussetzungen müssen unnachsichtlich ausgeschieden werden. Dahin gehören aber die transzendenten Objekt.

Verständigen wir uns zunächjst gut über das Sparsamkeitsprinzip: zur Erreichung eines gesteckten Zieles muß man die am wenigsten kostspieligsten Mittel wählen: sehr gut. Die ganze Frage hängt also vom Ziel ab: es muß entschieden werden, ob dieses das Ziel der Wissenschaft ist: eine Nachbildung von Tatsachen in Gedanken zu sein, oder jenes, die objektive Realität zu erkennen. Bei dieser zweiten Möglichkeit würde das genannte Prinzip nicht das Transzendente ausschließen.

Es wäre auch interessant, zu erfahren, wie wir uns vom konszientialistischen Standpunkt aus das Gesetz der Schwerkraft vorstellen müssen; oder welche zukünftige Naturwissenschaft von ihm abgeleitet werden kann. Vorläufig ist die moderne Naturwissenschaft von realistischen Voraussetzungen beherrscht. Auch in unserem praktischen Leben sündigen wir eher durch ein Übertreiben des Realismus, indem wir auch die Sinnesqualitäten als reale Beschaffenheiten auffassen. Die konszentialistische Auffassung wrde eine sehr unbequeme und umständliche Redeweise mit sich bringen.

Übrigens muß die Existenz des Transzendenten mit dem Kriterium der Wahrheit, nicht der Bequemlichkeit, bewiesen werden.

VIII. Psychologie, Metaphysik und Geisteswissenschaften. Das letzte Bollwerk des Konszientialismus ist die Psychologie. Diese verzichtet auf alle Transzendenz und treibt uns so an, ein gleiches auch in den anderen Wissenschaften zu tun.

Indem der Verfasser diesen letzten Angriff abschlägt, kommt er zu dem Resultat, daß, so verschieden auch das Kriterium der Realisierung in der Psychologie und den Naturwissenschaften sein mag, jene sowohl wie diese in gleicher Weise zu realisieren.

Schließlich untersucht KÜLPE die Beziehungen des Konszientialismus zu den Geisteswissenschaften und zur Metaphysik. Für die ersteren, z. B. für die Geschichte, würde es gleichbedeutend sein mit einem Verzicht auf jegliche Erkenntnis des Vergangenen: zu sagen, dem Wort Alexander entspreche eine Persönlichkeit, die im 4. Jahrhundert v. Chr. gelebt hat, wäre eine unerlaubte Transzendenz. Das erklärt uns, weshalb sich unter den Vertretern der Geisteswissenschaften keine Konszientialisten finden. Was dann die andere (die Metaphysik) angeht, so sucht KÜLPE zu zeigen, daß es eine induktive Metaphysik gibt, die die einzelnen Realwissenschaften zusammenfaßt, deren Vorgehen keinem anderen Gesichtspunkt unterliegt, als allein der Methode, die in den Geistes- und Naturwissenschaften anerkannt und allgemein anerkannt wird, nämlich einer Setzung und Bestimmung von Realität. Das Vorhaben, die Metaphysik auf die unmittelbare und intuitive Erfahrung zu gründen, ist eitel und nichtig.

Wir werden dem Verfasser in diesem Teil nicht folgen und auch nicht in dem großartigen Rückblick, wo er in Schlachtordnung auf der einen Seite die Argumente des Konszientialismus aufstellt, die Vorteile seiner Position, die Nachteile der Transzendenz und auf der anderen Seite die nach ihm erschöpfenden Antworten, die ihm (dem Konszientialismus) entgegengesetzt werden können. es ist das ein sehr wohlgelungenes synthetisches Kapitel, bei dem es einem vorkommt, als wohne man einer gewaltigen Entscheidungsschlacht bei.

IX. Die Schule von Marburg. Der letzte Teil des Buches ist einem anderen Feind des Realismus zugewandt, nämlich dem objektiven Realismus, speziell der Marburger Schule. Für COHEN und NATORP ist die Mathematik Prototyp aller Wissenschaft; die schöpferische Tätigkeit des Gedankens ist der Ursprung jeder Erkenntnis; die Objekte der Realwissenschaften sind lediglich ideale Objekte; das Gegebene ist nichts weiter als eine neue Aufgabe, die gelöst werden will: alles ist Gedanke, und der Gedanke ist in fortwährender Ausgestaltung, in ewigem Fortschritt begriffen.

Unter Hinweis auf das, was AUGUST MESSER in einem neueren Artikel in der "Internationale Monatsschrift" (März 1912) mit Bezug hierauf geschrieben hat, wendet KÜLPE gegen die Marburger Schule und gegen jeglichen objektiven Idealismus folgenden Verteidigungsplan an. Er beginnt damit, daß er die Begriffe, die die Elemente von Vorstellungen bilden, und die idealen Objekte, die Gegenstand der Untersuchung sind, auseinanderhält. Sodann will er beweisen, daß nicht jedes Objekt, das in Frage steht, ein ideales Objekt ist, daß vielmehr die Forschungsmethoden einen wesentlich verschiedenen Charakter annehmen gegenber realen und idealen Objekten. So kommt er zu einer kurzen Prüfung der einzelnen Beweise, die der Idealismus herbeibringt, umd die ersten mit den zweiten identifizieren zu können, wobei er den idealen Objekten die vorherrschende und dominierende Stellung zuweist. Wir folgen der übersichtlichen Anordnung des vorzüglichen Autors:

a) Wir finden nicht, sagt der Idealist, die realen Objekte fertig und gemacht; sie müssen bearbeitet werden und erfordern daher, wie die idealen Objekte, einen Erzeugungsprozeß. Ohne die Spontaneität des Forschers können sie nicht gesetzt und bestimmt werden. - Zwischen den einfachhin gegebenen realen Objekten, erwidert KÜLPE namens seines kritischen Realismus, und zwischen den (durch das Erkennen) geschaffenen realen Objekten ist noch Platz für eine dritte Möglichkeit, ein Erfassen der Realität, die nicht gegeben ist, uns ihre Existenz und ihr Wesen aber durch Gegebenes offenbart. Nicht das reale Objekt selber, sondern seine Erforschung ist der Spontaneität überlassen; diese ist ja keine Tätigkeit, die frei schaffen kann, sondern sie ist begrenzt und geleitet vom Maß der Erkenntnis realer Gegenstände.

b) Bei den realen und idealen Objekten ist es immer die Erfahrung, die ihre Hervorbringung veranlaßt. Ohne eine Raumanschauung wäre wahrscheinlich niemals die Geometrie, ohne Dinge, die sich zählen lassen, niemals die Arithmetik entstanden. - Nein; die Bedeutung der Erfahrung für die Realwissenschaften ist viel größer als für die Idealwissenschaften. Die idealen Objekte der Mathematik sind, nachdem ihre Konstruktion sich vollzogen hat, unabhängig von der Erfahrung, und keine ihrer Feststellungen oder ihrer Beweisführungen nimmt ihre Zuflucht zu dieser. Auch in den Anwendungen paßt sich nicht ihre Bestimmungen den Forderungen der Wirklichkeit an, sondern umgekehrt, sie paßt diese letzteren der mathematischen Behandlung an.

Gerade das Gegenteil trifft zu bei den anderen Wissenschaften, da bei ihnen die Erfahrung den Ausgangspunkt bildet, nicht bloß für die Setzung und die Bestimmung der Realität, sondern weil sie auch die ständige Grundlage und die stete Kontrolle ihrer Ergebnisse ist. Hieraus sieht man, daß die realen und idealen Objekte nicht nur nicht identifiziert werden können, sondern daß die Mathematik nicht einmal als Typus aller Wissenschaften betrachtet werden kann.

c) Man kann auch nicht sagen, daß die Realobjekte wie die Idealobjekte sich nur denken lassen. Die Frage ist diese, ob diesen gedachten Objekten eine Realität entspricht, oder ob sie von uns selber herstammen. Diese zweite Möglichkeit wird ausgeschaltet, wenn man bedenkt, daß unser Gedanke, weit entfernt von der Möglichkeit, die gewünschten Objekte zu schaffen, vielmehr von der Erfahrung beeinflußt wird.

d) Der Idealiist wendet noch ein, daß die realen wie die idealen Objekte als Abstraktionen, Kombinationen oder Modifikationen gegebener Elemente betrachtet werden können. Die Gleichheit der hervorbringenden Tätigkeit scheint die Bildung gleicher Objektarten mit sich zu bringen. Jene Abstraktionen, Kombinationen, Modifikationen unterliegen für die realen Objekte der Herrschaft bestimmter Kriterien der Realisierung und werden in enger Anlehnung an die Tatsachen vorgenommen; diese Kriterien und dieser Anschluß hat keine Bedeutung für die Erforschung der idealen Objekte. Werden diese Operationen aber vorgenommen, sei es für die realen oder die idealen Objekte, so geschieht es, weil die einen wie die andern Gegenstände sind; das soll aber nicht besagen, daß zwischen ihnen keine Unterschiede bestehen: es gibt deren, und die gegenwärtige Diskussion belehrt uns, daß es tiefgehende Unterschiede sind.

e) Man sagt auch, daß zwischen den Idealwissenschaften, z. B. der Mathematik, und den Realwissenschaften, z. B. der Physik, so wenig eine scharfe Grenze besteht, daß man von einer mathematishen Physik reden kann; so ein unvermittelter Übergang von den einen zu den anderen Wissenschaften läßt sich nur dann erklären, wenn die Objekte beider von derselben Art sind. Die Mathematik kan zur Hilfe herangezogen und so eine Hilfswissenschaft der Physik werden, aber sie kann nicht etwa die Beobachtung und das Experimentieren ersetzen und reale Naturvorgänge aus ihren eigenen Voraussetzungen ableiten. Ihre Verbindung geschieht daher immer nur gelegentlich aus Zweckmäßigkeitsgründen, und die Eigentümlichkeiten der einzelnen Wissenschaften gehen nicht verloren, wenn sie zusammenwirken.

f) Es ist unmöglich - sagt man weiter - etwas Reales anzugeben, das nicht etwas Ideales enthält, so zwar, daß die euklidische Geometrie gut als eine Erfahrungswissenschaft und die Mechanik als Idealwissenschaft bezeichnet worden ist; folglich ist die Unterscheidung der zwei Arten von Objekten illusorisch. - Der Idealist vergißt, was für eine Kluft immerhin zwischen diesen beiden Arten von Objekten bleibt: die Idealwissenschaften lassen sich bei ihrer Forschung ausschließlich von den allgemeinen Denkgesetzen leiten und sind nicht an die Erfahrung gebunden, sodaß sogar eine nicht eudklidische Geometrie möglich ist. Die Naturwissenschaften hingegen stützen sich auf die Erfahrung und wenden die euklidische Geometrie an, weil die Erfahrung nicht zwingt, darüber hinauszugehen.

g) Aber was ist es dann, ruft COHEN aus, mit der wichtigen Forderung der Einheit? - Was für ein Mißbrauch wird mit diesem Appell an die Einheit getrieben? Die Einheit einer Wissenschaft besteht nicht darin, daß alle Objekte gleich sind und noch weniger darin, daß sie stets die gleichen Methoden anwenden; sie besteht vielmehr in dem Ziel, daß sie sich vornimmt und in den Zusammenhängen, die sie findet und begründet. Übrigens ist die Differenzierung nicht bloß erlaubt, sondern auch Pflicht. Und wie es durchaus nicht notwendig ist, daß auf Erden nur entweder Psychisches oder Physisches existiert, wie ein materialistischre oder spiritualistischer Monismus glauben machen möchte, ebensowenig ist es auch notwendig, daß für unsere Erkenntnis nur ideale Objekte zugelassen werden.

So ist also, schließt KÜLPE in einigen Schlußbemerkungen, auf die erste Frage, die wir uns in unserem Programm gestellt hatten, nunmehr geantwortet. Das Setzen, die Existenz der Realität ist zulässig; die Einwände dagegen sind als haltlos nachgewiesen worden.

X. Positiver Teil. Wir sagten schon, daß KÜLPE in diesem ersten Band sich nur mit dem Problem der Realisierung befaßt, indem er die Einwände des Idealismus gegen die Existenz einer vom Gedanken unabhängigen Realität abweist. Die Lösung anderer Fragen, d. h. den positiven Teil seiner Erkenntnistheorie, wird er in aufeinanderfolgenden Veröffentlichungen bieten. Wir finden aber bereits die genaue Ankündigung und die Richtlinien seiner künftigen Lösungen in einem Vortrag, den er am 19. September 19010 auf dem 82. Kongreß der Naturforscher und Ärzte zu Königsberg gehalten hat, unter dem Titel "Erkenntnistheorie und Naturwissenschaft". (2)

Nach einem Loblied auf das Zusammengehen von Naturwissenschaft und Metaphysik und nach einem Hinweis darauf, daß in keinem anderen Ort besser als in der Stadt KANTs eine solche Allianz feierlich ausgesprochen werden könnte, steckt er sich als Ziel eine kurze Beantwortung der Frage, wie ein Setzen und Bestimmen des Realen möglich ist.

Jede Erfahrung, führt KÜLPE aus, enthält Faktoren, die von uns unabhängig sind und die Zutaten, die von der besonderen Veranlagung des Subjekts bewirkt werden. Die Aufgabe der Realisierung besteht nun gerade darin, daß sich diese beiden Koeffizienten unserer Erfahrung trennt, um in ihren Eigenschaften zu finden, was von uns nicht abhängig ist. Auch der naive Realismus stellt dieses Programm auf; er schreibt aber diese Unabhängigkeit allem zu, was nicht dem Einfluß unseres Willens unterliegt. Hingegen hat das Prinzip der Subjektivität der Empfindungsqualitäten, das sich in der modernen Zeit der wissenschaftlichen Forschung aufgedrängt hat, uns belehrt, daß die Empfindungen, wenn sie auch von unserem Willen unabhängig sind, dennoch von "uns" abhängen, d. h. von der Veranlagung unserer Sinnesorgane. Man stellte daher ein neues Kriterium der Realität auf; die völlige Unabhängigkeit vom Subjekt, das Versuche anstellt, ist das Losungswort der objektiven Welt des Naturforschers. Eine solche Unabhängigkeit läßt sich nur bei einem abstrakten Gegebensein der Erfahrung feststellen. Änderungen in Raum und Zeit, das Erscheinen oder Verschwinden der Sinnesinhalte, ihre längere oder kürzere Dauer, ihr Nebeneinander und ihre Aufeinanderfolge, ihre Gestaltung und Ordnung, das alles verrät zweifelsohne eine Gesetzlichkeit, die unabhängig von uns existiert. Die abstrakten Beziehungen aber werden uns unter Inhalten mitgeteilt, die als solche sicherlich von unserer Organveranlagung abhängen.

Diesen Inhalten müssen die Empfindungsqualitäten beigezählt werden, die deshalb kein Recht auf Realisierung haben. Es sind auch nicht, wie einige wollen, die mechanischen Eigenschaften, Druck, Stoß, Zug, Kraf, Gewicht, Widerstand, Undurchdringlichkeit, mit einem Wort: die Gefühls und Muskeleigenschaften auszunehmen. Einerseits tragen auch sie in Wirklichkeit, ähnlich den übrigen, den Stempel unserer psychophysischen Veranlagung; andererseits sieht man bei einer Beobachtung der Ausdrucksweise des Naturforschers sofort, daß er ganz und gar von solchen Qualitäten abstrahiert. Druck, Stoß, Zug, Kraft sind nicht an bestimmte Wahrnehmungsinhalte gebunden: sie werden auch da als vorhanden gedacht, wo eine Mitwirkung unserer mechanischen Eigenschaften ausgeschlossen ist; jene wissenschaftlichen Bestimmungen sind keine Übertragung von Empfindungsqualitäten in die äußere Welt. Sie sind daher Begriffe ohne Vorstellungsinhalt, eine Sache, die nach den Ergebnissen der modernen Psychologie niemanden einen Anstoß geben darf.

Die reale Welt des Naturforschers ist also vor allem ein abstraktes Geschehen, eine Änderung ohne veränderliches Objekt, eine Bewegung ohne Bewegliches, eine Beziehung ohne die Glieder ... Und in diesem Geschehen wird sie von Gesetzen regiert, die, unabhängig von uns, das bunte Heer unserer Sinneseindrücke regieren und beherrschen.

Daraus ergibt sich die Erfahrung und der Gedanke. Es gibt keine rein theoretischen oder rein empirischen Kriterien der Realität. KANT sagte, daß die Gedanken ohne Inhalt leer sind, daß die Vorstellungen ohne die Begriffe reich sind und daß nur aus ihrer Vereinigung die Erkenntnis entspringen kann; das gilt sicherlich in dem Sinn, daß der Realismus aus dem Zusammenwirken von empirischen und rationalen Bewegungen entstehen muß.

Mit dieser Methode trennt der kritische Realismus die vonuns abhängigen Beziehungen von denen, die den Sinneseindrücken anhaften, und versucht, diese letzteren zu bestimmen. Hierzu ist er durch die Tatsache gezwungen,daß die von uns unabhängigen Beziehungen weder an bestimmte und gleichartige Wahrnehmungsinhalte noch an bestimmte Personen gebundensindund daß sie auch dann vorhanden sind, wenn die Bewußtseinszusammenhänge und die Sinneseindrücke, in denen sie wahrgenommen wurden, sich ändern. Sie müssen also offenbar existieren können, auch ohne daß der Sinnesinhalt ihre scheinbare Stützt bildet, d. h. sie müssen Beziehungsglieder haben, die von den Sinnen verschieden sind. Das ist der Weg, der von der Realität des Selbstbewußtseins zur realen Natur, zur Setzung der äußeren Welt führt. Wie man sieht, besteht das wahre Motiv für den wissenschaftlichen Realismus nicht, wie SCHOPENHAUER sagte, arin, daß die äußere Welt die Ursache unserer Sinneswahrnehmungist, als ob sich von subjektiven Wirkungen die Eigenschaften der objektiven Ursachen ableiten lassen würden. Wenn es einen Weg gibt, der zur Realität der Natur führt, so kann er nur an den Relationen gefunden werden, die von den Wahrnehmungsinhalten unabhängig sind, und um diese Relationen zu erkennen, müssen wir die Resultate aller Wissenschaften benutzen.

Eine völlig verschiedene Methode der Realisierung hat man dann, wenn von den realen Beziehungen die andern von uns abhängigen bestimmt werden müssen. Konszentialisten und Phänomenalisten wollen nicht die erzwungenen Beziehungen unserer Sinnesinhalte auf die Faktoren zurückführen, die sie erzwingen. Die Phänomenalisten sodann leugnen, obschon sie die Existenz ähnlicher Faktoren zugeben, daß man über ihr Wesen irgendetwas aussagen kann.

Aber die Naturwissenschaften haben sich nicht täuschen lassen und konstruieren ein System des realen Geschehens, in dem die Träger dieses Geschehens eine wichtige Rolle spielen. Das ihnen zur Norm dienende Prinzip ließe sich so formulieren: Die Naturobjekte, als Träger der realen Beziehungen, müssen als diesen adäquat gedacht werden, d. h. sie müssen fähig und geeignet sein, all jene Prozesse auszuführen oder durchzumachen, denen sie als Substrate dienen müssen. Das, was in unserer Erfahrung unmittelbar zugänglich ist, ist etwas Reales, das abhängig ist und darum der Beziehung zu einer unabhängigen Realität bedarf, die der Träger von jenem genannt werden kann.

So bleibt nun ein Feld für die Bestimmung dieser Träger, wenn und insofern wir sie auf der Grundlage der Prozesse charakterisieren, die von ihnen getragen werden müssen. Natürlich würde eine volle Erkenntnis nur zu erwarten sein, wenn alle Kräfte und Fähigkeiten der Objekte bekannt wären. Aus diesem Grund liegt das Ziel der Realisierung in so weiter Ferne, im Unendlichen.

Aber selbst wenn wir es erreichen könnten, müßten wir immer ein bestimmtes Feld für die Bestimmung der Träger annehmen. Es kann in der Tat nicht bloß die Welt reicher sein als unsere Erfahrung, sondern, auch abgesehen davon, ist die Summe der Existenzbedingungen des unabhängigen Realen niemals hinreichend mit der Gesamtheit seiner empirischen Fähigkeit gekennzeichnet. Um sich davon zu überzeugen, genügt es, an die atomistisch-mechanischen, energetischen, wissenschaftlichen und metaphysischen Theorien zu erinnern, die der Natur und dem Wesen der Träger nachgehen.

Diese unsere Unkenntnis darf uns nicht erschrecken und veranlassen, auf den Realismus zu verzichten. Die Erkenntnis des Wesens der realen Objekte hat sich ständig intensiv und extensiv vermehrt; von den Atomen EPIKURs sind wir zur modernen Atomistik gekommen, von der Psychologie HERBARTs zur Psychophysik gelangt usw. Auch darf uns keineswegs das Prinzip der Subjektivität der Sinnesqualitäten erschrecken, von dem Augenblick an, da Physik und Chemie, Anatomie und Physiologie, Entwicklungsgeschichte und Geologie durch jenes Prinzip in ihren Forschungen nicht gehindert worden sind. Die Anatomie, die Lehre von der Kraft, die geologischen und astronomischen Aufstellungen über die Formation der Erde und der Sterne, die biologischen Untersuchungen über die Entwicklung des Lebens usw., das alles beweist, daß trotz des Verzichts auf die Sinnesqualitäten ein glänzender Realismus möglich bleibt. Wenn jetzt der Naturforscher sich die äußere Welt nicht mehr mit Hilfe von Bildern vorstellen und so von ihr eine getreue Photographie haben kann, so kann er doch diese Lcke mit begrifflichen Bestimmungen ausfüllen. Wie in der Psychologie, so müssen wir auch in der Erkenntnistheorie mit dem Dogma brechen, daß der Gedanke ohne Vorstellungsbilder ein Nichts oder etwas Absurdes ist.

So werden die Grenzen und Schranken, die der Phänomenalismus aufrichten wollte, vom Realismus beseitigt. Dieser kann auch pragmatischen Prinzipien gegenüber seinen verdienten hohen Wert festhalten Die Wissenschaft eines NEWTON ist realistisch, während die stolze Konstruktion von HEGELs Dialektik zum Tod und zur Verneinung der Wissenschaft führt. Heute, angesichts der glorreichen Eroberungen, die diese auf der Grundlage eines mutigen Realismus gemacht hat, darf die Erkenntnistheorie nicht das Schauspiel einer in sich verschlossenen Disziplin bieten, die sich um formalistische Gedanken dreht. Sie ist berufen, nicht hinter der Naturwissenschaft zurückzubleiben, sondern sie zu begreifen, um ihren Realismus verständlich zu machen, um ihre Prämissen und ihre Methoden zu systematisieren und ihr so ihre Grenzen anzuweisen.

Auf diese Weise wird sich die Vereinigung und die Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Erkenntnislehre vollziehen. Die erstere gibt uns die Wissenschaft von der Natur, die zweite hingegen die Theorie dieser Wissenschaft: sie unterscheiden sich deshalb voneinander, wei die künstlerischen Produktionen von den ästhetischen Theorien. Sie sind vereinigt; denn je größer die Entdeckungen der einen sind, umso bedeutender werden auch die Fortschritte der anderen sein.

XI. Ein Wort der Kritik. In der Erwartung, daß KÜLPE in seinen Bänden über die Realisierung die in diesem Vortrag angedeuteten Begriffe noch besser entwickelt und klarer gestaltet, erlauben wir uns einige Bemerkungen über den negativen Teil seiner Auffassung.

Es ist unmöglich, ein vollständiges Urteil über den ersten Band abzugeben, solange KÜLPE nicht in weitem Maß den zweiten Teil seines Werke bearbeitet und uns gesagt hat, welche positiven Gründe für eine realistische Auffassung sprechen.

Für jetzt müssen wir uns mit zwei Fragen begnügen. Vor allem: welchen Wert haben die Widerlegungen, die er den Schwierigkeiten entgegensetzt, die immer in redlicher Weise angeführt und streng diskutiert werden? Es scheint uns - und wir sind sicher, daß viele mit uns derselben Ansicht sein werden -, daß der Verfasser fast immer überzeugt, oftmals glücklich ist und zuweilen seinen Gegner zermalmt und vernichtet.

Aber eine andere Frage: Hat KÜLPE wirklich alle Feinde des Realismus vernichtet? Hat er nicht vielleicht, während er einige niederstreckte, die am meisten zu fürchtenden und die gefährlichsten am Leben gelassen?

Dieser Verdacht wächst, wenn man bedenkt, daß er niemals den Idealismus in seinem geschichtlichen Entstehen verfolgt, niemals auf jenes harte Arbeiten der philosophischen Reflexion, auf jenen langen Prozeß von Anstrengungen hinweis, die von BRUNO und von DESCARTES bis auf SPINOZA und auf VICO, von der aprioristischen Synthese KANTs bis auf die drei großen nachkantianischen Philosophen (aber nicht bloß wegen der von KÜLPE in den einleitenden Blättern aufgezählten Gedankenrichtungen) zur absoluten Negierung des Transzendenten und zur völligen Identifizierung des Gedankens mit dem Realen beigetragen haben. Der Verfasser hingegen nimmt eine Objektion nach der anderen vor und erwect so in uns den Eindruck, als ob er, anstatt einem kompakten Heer gegenüberzutreten und sich ihm entgegenzustellen, die einzelnen Soldaten packen und das Vergnügen haben wollte, sie einzeln mit Leichtigkeit zu töten. Mit einem Wort: es erweckt den Anschein - und war aus der Nähe die tiefe und ausgedehnte Gelehrsamkeit KÜLPEs kennt, weiß, wie verfehlt dieser Eindruck ist -, als ob er bislang die Geschichte des modernen Idealismus noch nicht tief genug erforscht hat.

Ein anderer Irrtum, der den eben ausgesprochenen Verdacht bestätigt und bestärkt, liegt darin, daß sich der Verfasser fast ausschließlich auf Deutschland beschränkt, als ob außerhalb Deutschlands (ja, wir tragen kein Bedenken, zu sagen: mehr außerhalb des Vaterlandes HEGELs als in ihm) der Idealismus nicht eine ungeheure Entwicklung gehabt hat. Um vier Denker zu nennen, deren Namen sich von selber auf die Zunge drängen, weshalb doch KÜLPE nicht WEBER, ROYCE, BAILLE und CROCE herangezogen, die in ihren Ländern, in Frankreich, Amerika, England und Italien, alle Transzendenz bekämpft haben?

Aus dieser Unterlassungssünde folgt jene andere, die unserer Ansicht nach den größten Mangel des Buches ausmacht: Viele Antworten sind argumenta ad hominem [auf den Menschen abzielend - wp], haben Wert einem Gegner gegenüber, der gerade aufs Korn genommen wird, treffen aber nicht die anderen Idealisten. Um nur ein Beispiel anzuführen: KÜLPE setzt als unwidersprochen den theoretischen Wert des empirischen und abstrakten Begriffs voraus; deshalb werden die zahlreichen Antworten, die sich auf diese Grundlage stützen, jenen überzeugen, der mit ihm eine solche Auffassung teilt, werden aber keinen Eindruck auf einen Idealisten machen, der jene These verwirft.

Die zweite Auflage des Buches, die wir ihm bald wünschen, wird gewiß diese Lücken ausfüllen. Hoffen wir, daß inzwischen der hervorragende Denker sein Werk fortführt und uns bald die versprochene Fortsetzung bringt. Seine Arbeit wird sicher den Beifall der Gelehrten finden und zu einem ernstlichen Nachdenken auch jene anregen, die nicht seinen kritischen Realismus teilen.
LITERATUR - Agostino Gemelli, Die Realisierung, Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft, Bd. 26, Fulda 1913
    Anmerkungen
    1) OSWALD KÜLPE, Die Realisierung - ein Beitrag zur Grundlegung der Realwissenschaften, Bd. 1, Leipzig 1912, Seite X und Seite 257.
    2) OSWALT KÜLPE, Erkenntnistheorie und Naturwissenschaft, Leipzig 1910.