cr-4cr-2 BaconLockeMalebrancheVico    
 
GIAMBATTISTA VICO
Grundzüge einer Neuen Wissenschaft
[ 1 / 2 ]

"Der Schulmann hat für dergleichen Arbeiten selten die nötige Zeit und gewinnt er einmal diese, nicht immer die wünschenswerte Lust. Dafür entschädigt ihn die glückliche Wirksamkeit durch die lebendige Rede des Mundes unter frischen jugendlichen Herzen, was in alle Ewigkeit mehr wert bleiben wird, als Bücher schreiben und in den Literaturzeitungen jagen oder gejagt werden."

"Es scheint aber diese Algebra eine arabische Erfindung, die natürlichen Zeichen der Größen auf gewisse willkürliche Ziffern zurückzubringen, wie denn die Araber die Zeichen der Zahlen, die bei den Griechen und Lateinern deren Buchstaben waren, welche beiden, zumindest die großen, regelmäßige geometrische Linien sind, auf zehn ganz individuelle Ziffern zurückführten. Und so wird mit der Algebra der Geist gedrückt, weil sie nichts sieht, als das Eine, welches ihr vor den Füßen ist: sie macht das Gedächtnis stumpf, weil sie, sobald das zweite Zeichen gefunden ist, sich nicht weiter um das erste bekümmert: sie blendet die Phantasie; weil sie auch gar nicht imaginiert."

Vorwort des Übersetzers

Ich hatte 1817 während meines Aufenthalts zur Kur GIAMBATTISTA VICOs  Neue Wissenschaft  im Original kaum zu durchblättern begonnen, als mich der eigentümliche Geist und Ton des Werkes lebhaft anzog und gegen die Aufforderungen einiger Freunde, selbige ins Deutsch zu übersetzen, willig macht. Allerdings überschlug ich damals die vielerlei Schwierigkeiten, welche sich diesem Unternehmen in den Weg stellen mußten, sehr wenig: bei Einigem nicht ohne Geschicklichkeit untersuchten, Manchem kühn und geistreich gedachten, Vielen fruchtbaren, wenn auch nur hingeworfenen Ideen, wie viel teils Grundfalsches, teils Windschiefes und selbst Abgeschmacktes, das den deutschen Leser und beim gegenwärtigen Stand der Wissenschaft unmöglich einnehmen kann! Dazu die sowohl durch Abstrusität mancher erörterten Materien wenigstens für den Philologen, als durch die seltsame Behandlung geschürzten vielfachen Knoten des Verständnisses: endlich die von der gewöhnlichen Kenntnis italienischer Darstellung, wo solche durch das Studium der toskanischen Klassiker erworben wird, durchaus abliegende Sprache, die selbst den Landsleuten des Verfassers für äußerst kitzlig gilt!

Indessen bildete sich mir, als ich das Werk aufmerksam durchgearbeitet hatte, sehr bald eine Ansicht über dasselbe, welche dessen Verdeutschung in Betracht des Publikums rechtfertigen, für mich selbst aber lehrreich und angenehm genug machen konnte, um die bemerkten Schwierigkeiten geduldig zu bestehen und zu überwinden.

Betrachtet man nämlich VICOs Werk von Seiten der wissenschaftlichen Form, so ist keine Frage, daß es nicht nur vielfältig mangelhaft erscheint, sondern selbst namhafte Blößen gibt. Je zuversichtlicher er oft wissenschaftlich zu deduzieren geglaubt hat, in desto größere Unhaltbarkeit ist er verfallen: die allerverschiedenartigsten Dinge bindet er zusammen, baut auf die abenteuerliche Verquickung Schluß auf Schluß und läßt sich dagegen manchmal das Brauchbare und Beweisende unter den Händen durchschlüpfen. Nicht viel besser ist es bei ihm um die eigentliche Gelehrsamkeit beschaffen. Von Jesuiten erzogen, in einem Land, dessen geistige Regsamkeit noch tief in den hohlen Formeln der Scholastik verstrickt war und das ihm auch nicht  ein  lebendiges Muster achklassiger Bildung aufstellen konnte: sodann, als ihn seine Strebsamkeit hingerissen hatte, als Autodidakt sich selber einen Weg zu suchen, phantastisch hin und herschweifend zwischen den Alten und den Modernen, zwischen Rechtswissenschaft, Philosophie, Philologie, Poetik, Kritik, Physik, Medizin, Kirchenrecht, selbst Münzwissenschaft und Heraldik, über Alles hinflatternd, an Wenigem hängen bleibend, noch Wenigeres erschöpfend: so studierte VICO. Rastlos blitzte sein elektrischer Geist genialische Funken aus: aber jede Idee, gleichviel, ob sie leuchten, oder nur glänzen mochte, sofort ergreifend und sich in ihr gleichsam berauschend, sah und suchte er überall nichts als Reflexe dieser seiner Idee und gar nicht träumend, als könne die Sache wohl auch ganz anders gewesen sein, als sie diese seine Idee ihm zeigte, nicht darauf ausgehend, aus der Forschung Resultate zu ziehen, sondern die Forschung größtenteils nur als Anhang seiner Voraussetzungen betrachtend, einseitig im Studium der Sprachen, das Griechische bald gar wegwerfend, wie hätte er da eine methodisch gelehrte Adstruktion [Rekonstruktion - wp] seiner Behauptungen bewirken mögen? Ja gerade eben wegen dieses Mangels konnte ihm das Formale seiner Neuen Wissenschaft nicht anders als mißraten. (1)

Aber dieses Chaos seines Wissens und Suchens erwärmt und belebt ein höchst ehrenhafter, großartiger sittlicher, tiefernster Wille, durch unermüdlich tätige Studien in Vergleichung aller Zustände des Menschengeschlechts wie in den alten und ältesten, so in den neuen und neuesten Zeiten, aufzufinden, was das Leben und die Bestimmung der Völker sei, auf welchen Wegen die Vorsehung selbige zu ihrem Heil geführt habe und führe und wodurch sie diese Führung selbst unbewußt unterstützen müssen. Dieses Chaos seines Wissens und Suchens beseelt eine religiöse Begeisterung, die sich über das Treiben und Brausen des Völkerlebens beruhigt emporhebt in ihrem festen kirchlichen Glauben, dessen Vorbereitung sie in allen Erscheinungen der Vorwelt nachzuzeigen weiß; welche Begeisterung auch der Nichtkatholik nicht ohne Rührung betrachten kann; weil nicht die Art und Weise, in welcher der Mensch sich zu Gott emporzuheben strebt, sondern das Faktum, daß es dies wirklich geschehe, zunächst ist, was unser Gemüt anspricht. Dieses Chaos seines Wissens und Suchens befruchtet endlich eine Fülle eigentümlicher glücklicher Lichtblicke, die von einer reichen Anlage zum Erkennen der Wahrheit zeugen und das große Feld seiner Untersuchungen auf eine Weise erhellen, daß, wenn man VICO absprechen muß, durch ein wohlbegründetes gelehrtes Detail gleichsam einzelne Enden der Wissenschaft vollends fertig gesponnen zu haben, ihm doch nicht bestritten werden kann, er habe in manchem Stück die lange Zeit an falschen Punkten gesuchten Anfänge derselben, wie durch Sehergabe erleuchtet, angeschaut und den ziellos Tappenden gewiesen. Durch welches dieser beiden wird die Wissenschaft wahrhaft weiter gebracht?

Einen solchen Geist aber auf seinem selbstgewählten Weg durch welch ein Gebiet der menschlichen Erkenntnis immer zu begleiten und seinen originalen Operationen zuzusehen, ist auch dann noch interessant und belehrend, wenn selbst das, was er auf die Bahn bringt, bereits entweder in seiner Unbündigkeit dargetan oder in seiner Richtigkeit bewährt erfunden und durch andere geordnetere und gründlichere Geister zum Ziel geführt ist. So würde nach dem, was unabhängig von dem in Deutschland, ja in seinem eigenen Vaterland so lange gänzlich unbekannten VICO, über HOMER WOLF, über die ältere Geschichte Roms NIEBUHR, aus der Fülle ebenso reicher Geniusgaben, als umfassender historischer und kritischer Gelehrsamkeit zutage gefördert, niemand sein kritisches Studium jener Gegenstände auf VICOs kühn zusammengebaute Gerüst gründen mögen: aber bedeutungslos würden seine Leistungen weder jenen ihm durch tiefe Sachkenntnis, Klarheit und Ruhe der Untersuchung, wie durch Bestimmtheit der Resultate weit überlegenen Gelehrten erschienen sein (2), noch dürfte die Bekanntschaft mit solchen in  der  Zeit und an  dem  Ort, da VICO lebte und schrieb, so geistvoll gewagten Versuchen einer wohlwollenden Teilnahme von Seiten des übrigen gelehrten Publikums vergeblich entgegensehen müssen.

Nach diesen Gesichtspunkten, welche weitläufig zu kommentieren unnötig wäre, war die unternommene Verdeutschung zuende gebracht: nach eben denselben aber der anfängliche Plan, das Werk mit diskutierenden Anmerkungen (3) zu versehen, als unzweckmäßig verworfen: was in den zugefügten an diesen Plan erinnern könnte, ist durch zufällige Zusammenstellung entstanden und half die Langweiligkeit des Geschäfts, die Zitate des Originals eaufzusuchen, ein wenig erleichtern. Darum bitte ich seinem Dastehen Nachsicht zu schenken. Von jener Mühe des Nachschlagens und Anmerkens der Zitate des Verfassers glaubte ich mich, um anderen ähnlichen Verdruß zu ersparen, da ich mich einmal der Arbeit hingegeben habe, nicht loszählen zu dürfen: die entsetzliche Plage aber, die mir die Bewerkstelligung dieses Vorsatzes verursacht hat, will ich dem ärgsten Pedankten nicht anwünschen. Nicht nur hat VICO eine Menge Stellen vermengt und entweder einen falschen Autor oder eine falsche Schrift desselben angeführt, sondern hundertmal steht das, was er supponiert, entweder ganz anders oder nur halb im Sinne der Anführung da. Von dieser Seite hoffe ich daher für das, womit ich die Arbeit ausstatten konnte, wenigstens  den  Dank zu verdienen, daß man mir, wo einmal, besonders gegen das Ende, Geduld und Lust nicht mehr aushalten wollten, dies nicht zu Sünde anrechne.

Die Verzögerung, unter welcher dieses Werk, nachdem es bereits vor drei Jahren angekündigt worden war, ans Licht kommt, lag erstens an den vielfachen Schwierigkeiten des Verständnisses einzelner Stellen, wo ich mir teils an der unerhörten Seltsamkeit des Ausdrucks den Kopf zerbrechen, teils, wie bei so manchen juristischen Erörterungen zuvor die nötige Ansicht und Sachkenntnis wenigstens im Allgemeinen erwerben mußte. Hatte ich durch vielfältiges Grübeln und Nachschlagen den Sinn solcher Rätselschlingen heraus, so kam es mir zunächst darauf an, solchen in der Übersetzung auszudrücken und Noten zu sparen, weil dem Lesenden billig zugemutet wird, daß er sich in den Verfasser auch seinerseits hineinarbeite. Die metaphysischen Beibringungen des Verfassers entwickelten sich mir leicht, als ich die Bemerkung gemacht hatte, daß er sich in dieser Hinsicht mehrenteils der Cartesianischen Terminologie bediene. Nun mag zwar Manches noch von mir irrig behandelt worden sein: indessen bin ich mir bewußt, keinen Punkt dieser Art leicht genommen und im Notfall fremden Rat eingezogen zu haben; wie ich denn hin und wieder wenigstens auch den italienischen Text mit untersetzte. Die erlangte Gewißheit, daß VICO oft wirklich selber unklar gewesen ist, was er zu sagen habe, tröstet mich über meine etwaigen Mißverständnisse und kann den Leser beruhigen, daß er in einem solchen wenigstens keine wesentliche Einbuße erleidet. Zweitens, an meinen in den letzten anderthalb Jahren selbst bedeutend vermehrten Berufsgeschäften. Der Schulmann hat für dergleichen Arbeiten selten die nötige Zeit und gewinnt er einmal diese, nicht immer die wünschenswerte Lust. Dafür entschädigt ihn die glückliche Wirksamkeit durch die lebendige Rede des Mundes unter frischen jugendlichen Herzen, was in alle Ewigkeit mehr wert bleiben wird, als Bücher schreiben und in den Literaturzeitungen jagen oder gejagt werden.

Über die Art, wie ich mein Werk ausgeführt habe, erwarte ich nun ruhig der Sachverständigen Urteil. Daß und warum ich den Ton und Geist des Originals auch im Bau der Perioden und Sätze und in Beibehaltung der altertümlichen Vorstellungen und Redensarten nachzubilden gesucht habe, braucht vor ihnen keiner Entschuldigung. Nicht mit Unlust werden sie den mächtigen Genius einer nach den Alten gebildeten italienischen Zunge hin und wieder rauschen hören. Wo derselbe bisweilen in seinem Flug stockt, habe auch ich warten wollen, bis er wieder gelenk war und selten nachgeholfen.

Die Idee des Werkes, welche im Original nach einem sonderbaren etwas geschmacklosen Kupfer gleichsam eine Erklärung des Wirtschaftsgerätes dieser  Neuen Wissenschaft  ausführt, habe ich ins Kurze gezogen, weil dieses Kupfer in der Deutschen Arbeit mit Recht für überflüssig erachtet wurde.

ERNST WILHELM WEBER




Das Leben des Verfassers
[Von ihm selbst beschrieben] (4)

Herr GIAMBATTISTA VICO ist geboren zu Neapel im Jahre 1670 (5) von achtbaren Eltern, die einen sehr guten Ruf von sich hinterlassen: der Vater war von heiterem Humor, die Mutter ziemlich melancholischen Temperamentes; und solchermaßen wirkten auch beide ein auf die Gemütsart dieses ihres Sohnes. Denn derselbe war, als Kind, äußerst geistvoll und rastlos: als er jedoch in einem Alter von sieben Jahren kopfüber von der Höhe einer Treppe auf den Boden stürzte, wovon er wohl fünf Stunden lang ohne Bewegung und sinnlos blieb; und ihm die rechte Seite der Hirnschale zerschellt war, ohne daß doch die Haut geborsten wäre; verlor er durch die vielen und tiefen Schnitte der ihm durch den Bruch erregten unförmlichen Geschwulst viel Blut: so daß der Wundarzt, da er den Hirnschädel geborsten sah und in Erwägung der langen Ohnmacht, von ihm prophezeite, er werde entweder daran sterben oder im Überlebensfall blödsinnig bleiben. Indessen bewährte sich dieses Urteil Gott sei Dank in keinem der beiden Stücke; dagegen zeigte sich als Folge der Genesung vom Unfall, daß er seitdem melancholischer und reizbarer Natur blieb, wie sie gehört für sinnreiche und tiefe Menschen, die von Seiten des Geistes in seinen Einfällen aufblitzen, von Seiten der Reflexion aber an Spitzfindigkeiten und am Falschen keinen Genuß finden.

Als er hierauf nach einer langwierigen Genesung von beinahe drei Jahren wieder in die Grammatikschule getan wurde, zuhause aber alles, was ihm der Lehrer gab, in kurzer Zeit fertig brachte, hielt der Vater diese Gewandtheit für Unfleiß und fragte eines Tages den Lehrer, ob sein Sohn den Obliegenheiten eines ordentlichen Schülers nachkomme? Da ihn nun dieser dessen versicherte, bat er ihn, selbigem die Arbeiten zu verdoppeln. Da sich der Lehrer jedoch deswegen entschuldigte, weil er ihn nach dem Maßstab seiner übrigen Mitschüler behandeln müsse und keine Klasse für einen Einzigen errichten könne, die folgende aber viel zu hoch sei; bat das Kind, welches gerade bei dieser Unterredung zugegen war, seinen Lehrer mit Inständigkeit, daß er ihm erlauben möge, in die höhere Klasse überzugehen: es wolle für sich selbst ergänzen, was ihm zu lernen noch ausstände. Der Lehrer, mehr um zu versuchen, was ein kindlicher Geist vermöge, als daß er wirklich an das Gelingen gedacht hätte, ließ es ihm zu und zu seinem Erstaunen fand er binnen wenigen Tagen ein Kind, das sein eigener Lehrmeister geworden war.

Als dieser erste Lehrer abging, ward er zu einem anderen gebracht, bei welchem er sich nur kurze Zeit aufhielt; denn dem Vater wurde geraten ihn zu den Vätern der Gesellschaft JESU zu senden, von welchen er in ihren zweiten Kursus aufgenommen wurde: dessen Lehrer ihn, da er seinen guten Kopf bemerkte, nach und nach dreien seiner tüchtigsten Scholaren zum Gegner gab; deren einen er mit den Diligenzen [Fleißigkeiten - wp], wie es die Väter nennen, d. h. den außerordentlichen Schularbeiten überholte; den zweiten über dem Wetteifer mit ihm auf das Krankenbett brachte; der dritte wurde, als von der Gesellschaft gern gesehen, vor dem Ablesen der Liste, wie sie es nennen, als ein wegen seiner Fortschritte Bevorrechteter in die erste Klasse befördert: worüber, als einer ihm geschehenen Kränkung GIAMBATTISTA empfindlich wurde und da er einfach, daß im zweiten Halbjahr das schon im ersten Vorgenommene wiederholt werden würde, jene Schule verließ, daheim nach ALVAREZ für sich lernte, was die Väter in der ersten - und in der Humanitätsklasse noch zu lehren hatten und im folgenden Oktober zum Studium der Logik überging. In dieser Zeit, da es gerade Sommer war, setzte er sich abends an sein Tischchen und wenn dann die gute Mutter aus dem ersten Schlaf aufwachte und ihn aus Zärtlichkeit zubett gehen hieß, fand sie dann oft, daß er bis zum Morgen studiert hatte: was ein Zeichen war, daß, wenn sein Alter in den Studien der Wissenschaften würde vorgerückt sein, er seinen Ruf als Gelehrter tapfer zu behaupten wissen würde.

Er hatte eben zum Lehrer den Jesuiten, Pater ANTONIO del BALZO, einen Nominalphilosophen: und da er in den Schulen gehört hatte, daß ein guter Summulist ein gediegener Philosoph und der beste, der über die Summulae geschrieben hatte, PETRUS HISPANUS sei, machte er sich eifrig daran, ihn zu studieren: hierauf von seinem Lehrer aufmerksam gemacht, daß PAUL von VENEDIG der scharfsinnigste aller Summulisten gewesen war, nahm er auch jenen zur Hand, um durch ihn weiter zu kommen: da aber sein Geist noch zu schwach war, um jener Art Chrysippischer Logik [Chrysippos von Soli - wp] gewachsen zu sein, so fehlte wenig, daß er nicht darüber zugrunde gegangen wäre; weshalb er zu seinem großen Herzeleid davon abgehen mußte. In dieser Verzweiflung (so gefährlich es ist, jungen Leuten Fächer zum Studium anzuweisen, die über ihr Alter sind!) wurde er zum Ausreißer an den Studien und schweifte eineinhalb Jahre von ihnen ab. Es soll hier nicht gedichtet werden, was da schlauerweise RENATUS CARTESIUS über die Methode seiner Studien gedichtet hatte, um lediglich die Philosophie und die Mathematik in die Höhe zu bringen, alle anderen Bestrebungen aber, welche die göttliche und menschliche Gelehrtheit ausmachen, herunterzusetzen: sondern mit der Unbefangenheit, die des Historikers Pflicht ist, wird genau und schlicht die Reihe sämtlicher Studien VICOs erzählt werden, auf daß man die eigentlichen und natürlichen Ursachen erkennen möge, warum er als Gelehrter so und nicht anders werden mußte.

Wie ein edles im Krieg viel und wohl geübtes Roß, welches man lange Zeit nach seinem Gefallen duch die Felder weiden ließ, wenn es zufälligerweise die Kriegstrompete vernimmt, die Kampfbegier in sich aufwachen fühlt und brennt, vom Reiter bestiegen und in die Schlacht geführt zu werden, so ward VICO, während er besagterweise aus der geraden Bahn einer wohlgeregelten ersten Jugend abirrte, bei Gelegenheit, da die berühmte  Akademie der Infuriati  nach einer Reihe von Jahren in St. Lorenzo wieder hergestellt wurde, wo sich wackere gelehrte Männer mit den vorzüglichsten Advokaten, Ratsherren und Adeligen der Stadt zusammenfanden, von seinem Genius getrieben, den verlassenen Weg wieder einzuschlagen und er trat wieder auf die Straße. Diese herrliche Frucht bringt den Städten glänzenden Akademien: daß die Jünglinge, deren Alter durch das muntere Blut und die geringe Erfahrung ganz Zuversicht und voll erhabener Hoffnungen ist zum Studium entflammt werden mögen auf dem Weg des Beifalls und des Ruhmes, damit nachher, wenn das Alter der Besonnenheit, welches um Vorteile besorgt ist, eintritt, sie sich solche durch Anstrengung und durch Verdienst auf ehrenhafte Weise erwerben mögen. So begab sich VICO ganz von vorn zur Philosophie zurück unter dem Pater JOSEPH RICCI, gleichfalls Jesuiten, einem Mann von scharfsinnigstem Geist, Scotisten der Sekte nach, Zenonisten aber im Grunde, von welchem er mit vielem Genügen vernahm, daß die abstrakten Substanzen mehr Realität hätten, als die Moden des Nominalen BALZO: was ein Vorzeichen war, daß er seiner Zeit mehr als an allen anderen an der  platonischen Philosophie  Geschmack finden würde, der sich unter den scholastischen keine mehr nähert, als die scotistische: und daß er einst mit anderen Gedanken, als den verfälschten des ARISTOTELES, die  Punkte des  ZENO erörtern würde, wie er es getan hat in seiner  Metaphysik.  Als ihm indessen jetzt vorkam, daß RICCI sich zu sehr aufgehalten hat bei der Erklärung des Seienden und der Substanz, insofern sie nach den metaphysischen Stufen unterschieden wir, er aber nach neuen Kenntnisse begierig war und gehört hatte, der Pater SUAREZ handle in seiner  Metaphysik  über alles philosophisch Wißbare in einer ausgezeichneten Manier, wie es dem Metaphysiker zukommt und in einer höchst klaren und leichten Schreibart, wie selbige wirklich bei ihm in unvergleichlicher Beredtsamkeit hinfließt, verließ er die Schule mit besserem Erfolg, als das erstemal und schloß sich auf ein Jahr zuhause ein, um nach SUAREZ zu studieren.

Unterdessen begab er sich ein einziges Mal in die Königliche Universität der Studien und ward von seinem guten Genius in die Schule des DON FELIX AQUADIES geführt, des trefflichen ersten Lektors der Rechte, in dem Augenblick, als derselbe seinen Schülern folgendes Urteil über HERMANN VULTEJUS aufstellte, daß nämlich derselbe der beste sei von allen, die jemals über die Institutionen des Zivilrechts geschrieben hatte, welches Wort sich VICO ins Gedächtnis prägte und welches eine der Hauptursachen der ganzen besseren Ordnung seiner Studien und dessen, was er darin leistete, geworden ist: denn als ihn sofort sein Vater für die Rechtsfächer bestimmt, ward er teils wegen der Nachbarschaft, noch mehr aber wegen der Berühmtheit des Lektors, zu DON FRANCESCO VERDE geschickt, und als er sich bei diesem bloße zwei Monate über Lektionen, die ganz ausgefüllt wurden mit Fällen aus der kleinfügigsten Praxis des einen und des anderen Forums und von denen der junge Mensch die Prinzipien nicht einsah; als der durch die Metaphysik bereits angefangen hatte, seine Seele universal zu bilden und über das Besondere nach Grundsätzen oder Maximen zu handeln; sagte er seinem Vater, daß er nicht mehr dahin zum Unterricht gehen möge, weil er bemerke, daß er bei VERDE nichts lerne: und ersuchte ihn nun, vom Ausspruch des AQUADIES Gebrauch machend, sich ein Exemplar des HERMANN VULTEJUS auszubitten von einem Doktor der Rechte Namens NICOLO MARIA GIANATTASIO, unberühmt in den Gerichtshöfen, aber sehr gelehrt in der echten Rechtswissenschaft, welcher mit langer und vieler Sorgfalt eine äußerst kostbare Sammlung gelehrter Rechtsbücher zusammengebracht hatte; denn nach diesem Verfasser gedenke er die Institutionen unmittelbar für sich selbst zu studieren: worüber der Vater, eingenommen durch den allgemeinen und großen Ruf des Lektor VERDE, sich stark verwunderte: da er aber sehr nachgiebig war, wollte er hierin seinem Sohn zu Willen sein und forderte ihn von MARIA, dem der Vater, wie ihn der Sohn um den VULTEJUS ansprach, als welcher in Neapel ziemlich selten zu Hause war, als ein Buchhändler sich erinnerte, früherhin einen abgegeben zu haben. Als MARIA vom Sohn selbst die Ursache seines Verlangens zu erfahren wünschte, dieser aber ihr sagte, daß er nämlich bei den Lektionen des VERDE nichts zu tun habe, als das Gedächtnis zu üben, den Verstand aber verurteilen müsse, dabei müßig zu bleiben, gefiel dem brachen und in solcherlei Dingen einsichtsvollen Mann dieses Urteil oder vielmehr der richtige und keineswegs jugendliche Sinn des Jünglings dermaßen, daß er dem Vater eine zuversichtliche Weissagung über das gute Gedeihen seines Sohnes tat, jenem aber den VULTEJUS nicht lehnte, sondern selbst schenkte und überdies noch die  Institutiones Canonicae  des HEINRICH CANISIUS, weil dieser dem MARIA unter den Kanonisten selbige am besten dargestellt zu haben schien: und so brachte das kluge Wort des AQUADIES und die wohlwollende Tat des MARIA VICO auf die richtigen Straßen zu beiden Rechten.

Indem er nun an die einzelnen Kapitel des Zivilrechts kam, empfand er das höchste Vergnügen über zwei Stücke: zuerst, bei den Hauptteilen der Gesetze zu bemerken, wie von den scharfsinnigen Auslegern zu allgemeinen Maximen des Gerechten die besonderen Motive der Billigkeit abgezogen wurden, welche die Rechtsgelehrten und die Kaiser hinsichtlich der Gerechtigkeit der Sachen wahrgenommen hatten: welcher Umstand ihm für die alten Ausleger Neigung einflößte, von denen er sofort bemerkte und urteilte, daß sie die Philosophen der natürlichen Billigkeit seien: das zweite, zu beobachten, mit welcher Sorgfalt die Rechtsgelehrten selbst die Worte der Gesetze, der Senatsbeschlüsse und der Prätorenedikte, die sie auslegen, erwogen: was ihn für die gelehrten Ausleger einnahm, von denen er sofort bemerkte und anerkannte, sie seien reine Geschichtsschreiber des römischen bürgerlichen Rechts: und diese beiden Vergnügungen waren ebenso viele Zeichen, die eine, daß er sein ganzes Studium in die Aufsuchung der  Prinzipien des allgemeinen Rechts  setzen würde; die andere des Ertrages, der ihm aus der lateinischen Sprache erwachsen sollte, vornehmlich in den Sprachgebräuchen der römischen Rechtsgelehrsamkeit, deren schwierigster Teil ist, die Ausdrücke der Gesetze erklären zu können.

Eingeübt, wie er war, in beiderlei Institutionen nach den Grundtexten sowohl des bürgerlichen als des kanonischen Rechts, wollte er, ohne sich an die sogenannten  Materien  zu kehren, welche innerhalb des Quinquennium [Zeitraum von 5 Jahren - wp] des rechtlichen Kurses gelehrt werden müssen, sich den Gerichtshöfen widmen und ward von Herrn DON CARLO ANTONIO di ROSA, einem Ratsherrn von strengster Redlichkeit und Beschützer seines Hauses, die Praxis des Forum zu lernen, zu Herrn FABRIZIO del VECCHIO geführt, einem höchst achtbaren Sachwalters, welcher nachher als Greis in der höchsten Armut starb: und um ihn den gerichtlichen Gang besser kennen zu lehren, fügte es das Schicksal, daß kurz darauf seinem Vater ein Prozeß vor dem geistlichen Kollegium zugezogen wurde, unter der Kommission des Herrn DON GERONIMO AQUAVIVA, welchen er in einem Alter von sechzehn Jahren selbst führte und dann vor der Ruota [Gericht - wp] unter Beistand des Herrn FABRIZIO del VECCHIO selbst mit siegreichem Erfolg verteidigte; durch dessen Auseinandersetzung er den Beifall des Herrn PIET ANTONIO CIAVARI, eines hochgelehrten Rechtskundigen und Rats jener Ruota, erwarb, so wie er beim Herausgehen die Umarmungen der Herrn FRANCESCO ANTONIO AQUILANTE empfing, eines alten Sachwalters bei jenem Gerichtshof, der sein Gegner gewesen war.

Indessen kann man aus Folgendem, wie aus ziemlich vielen ähnlichen Fällen, leicht einsehen, daß Menschen, die in einigen Zweigen des Wissens einen guten Grund gelegt haben, sich in anderen unter bedauernswürdigen Irrtümern umherdrehen können wegen des Mangels, daß sie nicht geleitet und unterstützt sind durch eine lückenlose und sich in allen ihren Teilen entsprechende Erkenntnis: woher im Geiste VICOs zuerst der Gedanke kam zu einer Darstellung  De Nostri Temporis Studorium Ratione  und darauf ausgeführt wurde im Werk  de Universi Juris uno Principio;  davon das andere  de Constantia Jurisprudentis  ein Anhang ist. Da er nämlich ansich schon von metaphysischer Richtung war, deren Geschäft es ist, das Wahre nach Gattungsbegriffen zu erkennen und es nach bestimmten Unterscheidungen, so genau nach den Arten der Gattungsbegriffe durchgeführt sind, in seinen äußersten Spaltungen aufzufassen; gefiel er sich in den verderbtesten Manieren des modernen Poetisierens, welches sich in nichts anderem ergötzt, als in Verirrungen und im Verkehrten: in welcher Manier VICO dadurch bestärkt wurde, daß, als er sich eines Tags zu Pater JACOB CUBRANO begeben, einem Jesuiten von unermeßlicher Gelehrsamkeit und Ansehen in jenen Zeiten, da die geistliche Beredtsamkeit beinahe überall entartet war, um sich dessen Urteil zu erbitten, ob er in der Poesie vorwärts gekommen ist und ihm eine selbst verfertigte  Canzone über die Rose  zur Verbesserung vorgelegt hatte, dem Pater, der außerdem wohlwollend und höflich war, diese so sehr gefiel, daß derselbe in einem jahreschweren Alter und auf dem Gipfel der höchsten Anerkennung als großer geistlicher Redner, keinen Anstand nahm, einem Jüngling, den er niemals zuvor gesehen, auch seinerseits ein von ihm über denselben Gegenstand verfaßtes Idyllium zu rezitieren. Indessen hatte VICO diese Art Poesie als eine Geistesübung in Werken des Witzes betrachtet; als welche einzig ergötzt; weil das Verkehrte in einen blendenden Aufzug gehüllt ist, der die gerechte Erwartung der Zuhörer überraschen mag; woher ebenso, wie dieselbe bedächtigen und ernsthaften Gemütern Überdruß erregen würde, sie den noch schwachen jugendlichen Vergnügen erregt. Und in der Tat könnte dieser Irrtum eine fast notwendige Zerstreuung genannt werden für solche Jünglingsgeister, welche bereits sehr zugespitzt und eingehärtet wurden im Studium der Metaphysiken: wie denn der Genius auf Abwege geraten muß für die feurige Kraft des Alters, auf daß er nicht ganz und gar starr werde und vertrockne und aus einer vor der Zeit angenommenen übermäßigen Bedächtigkeit des Urteils, wie sie für das reife Alter gehört, hernach nichts zu unternehmen wage.

Unterdessen lief er Gefahr, seiner zarten Leibesbeschaffenheit den Tod an der Schwindsucht zuzuziehen; auch waren teils die Glücksgüter seiner Familie in sehr knappe Umstände gekommen; teils hatte er ein heißes Verlangen nach Ruhe, um seine Studien zu verfolgen; und seinen Geist widerte ungemein das Geräusch des Forum: als es die gute Gelegenheit fügte, daß in einer Bibliothek Monsignor HIERONYMUS ROCCA, Bischof von Ischia (6), ein hochberühmter Rechtsgelehrter, wie es dessen Werk beurkunden, mit ihm eine Unterhaltung anfing über die beste Methode, die Rechtswissenschaft zu lehren; durch welche der Monsignore so befriedigt blieb, daß er bei ihm anfragte, ob er wohl Lust habe, sie seinen Neffen auf einem Schloß des Cilento, von höchst anmutiger Lage und vollkommenster Lust, zu lehren? Es sei das eine Besitzung eines seiner Brüder, Herrn DON DOMENICO ROCCA (welchen er nachher als seinen edelmütigsten Mäzen erprobte und der sich ebenfalls an gedachter Manier von Poesie ergötzte): er würde von diesem in allen Stücken ganz wie dessen Kinder behandelt (wie er ihn nachher wirklich behandelte) und daselbst durch die gesunde Lust der Gegend völlig hergestellt werden, auch alle Muße zum Studieren genießen.

So geschah es: denn während eines wohl neunjährigen Aufenthalts daselbst vollendete er den größten Teil seiner Studien, tiefeindringend in dem der Gesetze und Kanones, wozu ihn seine Obliegenheit verpflichtete: und als er dem kanonischen Recht zuliebe sich weiter auf das Studium der Dogmen verlegt, fand er sich sofort in der rechten Mitte der katholischen Lehre bei der Materie von der Gnade, insonderheit mit Lesung des RICARDUS, eines Theologen der Sorbonne, den er zufälligerweise aus dem Buchladen seines Vaters mit sich genommen hatte; als welcher nach einer geometrischen Methode die Lehre des heiligen AUGUSTINUS darstellt wie in der Mitte liegend zwischen zwei Äußersten, der Calvinistischen und der Pelagianischen, so wie der übrigen Ansichten, welche einer oder der anderen dieser beiden sich annähern: welche Stimmung für ihn wirksam wurde, nachher ein  Prinzip des natürlichen Rechts der Völker  zu begründen, das teils brauchbar wäre, die Ursprünge des römischen so wie jedes andere heidnische Zivilrecht von Seiten der Geschichte zu erklären; teils angemessen der vernünftigen Lehre von der Gnade, von Seiten der moralischen Philosophie. Zu gleicher Zeit veranlaßte ihn LAURENZ VALLA bei Gelegenheit seines Tadels der römischen Rechtsgelehrten in Hinsicht ihres lateinischen Ausdrucks, das Studium der lateinischen Sprache fortzusetzen, wobei er den Anfang machte mit den Werken des CICERO.

Indem er aber noch voll des Vorurteils fürs Poetisieren lebte, begegnete ihm glücklicherweise, daß er in einer Bibliothek der minderen Brüder von der Observanz auf jenem Schloss ein Buch in die Hände bekam, an dessen Ende sich, er erinnert sich nicht mehr, ob eine  Kritik  oder eine  Apologie  eines  Epigramms  vorfand von einem wackeren Kanonikus des Ordens, mit Namen MASSA, wo von den wundervollen poetischen Rhythmen, die sich insonderheit an VIRGILIUS wahrnehmen ließen, die Rede war: und er von solcher Bewunderung hingerissen wurde, daß er sich eifrig an das Studium der lateinischen Dichter und zuvörderst jenes Vornehmsten begab. Als ihm von da an seine Manier modernen Poetisierens zu mißfallen begann, kehrte er zum Betrieb der toskanischen Sprache zurück, nach deren Hauptgeistern, BOCCACCIO in der Prosa, DANTE und PETRARCA in der Dichtkunst: und las in täglicher Abwechslung CICERO oder VIRGILIUS oder HORATIUS, in Vergleichung des ersten mit BOCCACCIO, des zweiten mit DANTE, des dritten mit PETRARCA, aus der Absicht, mit unbestochenem Urteil deren Verschiedenheiten zu erkennen; und lernte daraus, um wieviel in Hinsicht aller drei die lateinische Sprache vor der Italienischen voraus hat: wobei er immer die vorzüglichsten Schriftsteller in folgender Ordnung dreimal las: das erstemal, um die Einheit ihres Planes zu fassen; das zweitemal um die Anknüpfungen und den Fortgang der Gegenstände zu erkennen; das drittemal mehr teilweise, um die schönen Formen der Gedanken und des Ausdrucks zu sammeln, die er in den Büchern selbst anmerkte, ohne sie in Gemeinplätze oder Phrasen zusammenzutragen: als welches Verfahren er für hinreichend hielt, um dieselben bei Veranlassungen, wo er sich ihrer ihres Ortes erinnerte, auf eine schickliche Weise in Anwendung zu bringen, was der einzige Weg einer guten Darstellung in Gedanken und Ausdruck ist.

Als er sofort in der  Poetik  des HORATIUS gelesen, daß der reichhaltigste Vorrat für die Poesie durch das Lesen der Moralphilosophen gewonnen wird, legte er sich ernstlich auf die  Moral der alten Griechen,  und machte den Anfang mit der des ARISTOTELES, dessen Autorität er während seiner Lektüre sehr oftmals bei mancherlei Grundsätzen der Institutionen des Zivilrechts angezogen gefunden! und bei diesem Studium gewahrte er, daß die römische Rechtsgelehrsamkeit eine Ausübung der Billigkeit sei, welche durch unzählige einzelne Vorschriften des natürlich Rechten, wie solche von den Rechtsgelehrten innerhalb der Tendenzen der Gesetze und der Absicht der Gesetzgeber aufgesucht worden, gelehrt werde: dagegen die Wissenschaft des Rechten, welche die Moralphilosophen vortragen, nach wenigen ewigen Wahrheiten fortschreitet, die auf metaphysischem Weg durch eine topische Gerechtigkeit diktiert werden, welche beim Bau der Städte die Stelle der Baumeisterin einnimmt, und den beiden besonderen Gerechtigkeiten, der kommutativen [tauschmäßigen - wp] und distributiven [verteilungsmäßigen - wp] gebietet, als zwei göttliche Werkmeisterinnen, so die Vorteile nach zwei ewigen Maßen abmessen sollen, dem arithmetischen und geometrischen, als welches die zwei mathematisch erwiesenen Proportionen sind. Womit er inne zu werden begann, wie da weniger als zur Hälfte die Wissenschaft des Rechts erlernt werden mag nach der Methode gewöhnlicher Studien, wie man sie gegenwärtig beobachtet. Er mußte sich daher von neuem zur  Metaphysik  wenden, aber da ihm in diesem Stück die des ARISTOTELES, wie er sie bei SUAREZ gelernt hatte, nicht zustatten kam und er die Ursache davon nicht einzusehen wußte, entschloß er sich, geleitet durch den bloßen Ruf, daß PLATO der Erste der göttlichen Philosophen sei, ihn für sich selbst zu studieren: und lange nachdem er in ihm vorwärts gekommen war, sah er die Ursache ein, warum ihm die Metaphysik des ARISTOTELES keine Förderung gewährt habe für die Studien der Moral, so wie sie dem AVERROES von keinem Nutzen gewesen ist, dessen Auslegung die Araber nicht menschlicher und zivilisierter gemacht, als sie vorher waren, weil die Metaphysik des ARISTOTELES auf ein Naturprinzip hinführt, welches Materie ist, aus der sich die individuellen Formen herausbilden; und so Gott zu einem Töpfer macht, welcher die Dinge als außer sich befindlich, hervorbringe: dagegen die Metaphysik des PLATO auf ein Naturprinzip hinführt, welche die ewige Idee ist, die aus sich herausbildet und schafft die Materie selbst, als ein befruchtender Geist, der sich selber das Ei forme. In Gemäßheit dieser Metaphysik gründet er seine Moral auf eine ideale Tugend oder ideale Gerechtigkeit als Baumeisterin, derzufolge er einen idealen Staat begründete, dem er in seinen Gesetzen ein ebenfalls ideales Recht gab. So daß seit jener Zeit, da sich VICO nicht befriedigt fühlte durch die Metaphysik des ARISTOTELES, um die Moral gründlich zu begreifen und sich durch die des PLATO zu belehren versuchte, in ihm, ohne daß er es merkte, der Gedanke zu erwachen begann, ein  ewiges ideales Recht zu begründen, das da geübt würde in einer universalen Gemeinheit nach der Idee oder dem Plan der Vorsehung, zufolge welcher Idee sofort alle Staaten aller Zeiten, aller Nationen gegründet sind:  Welches jener ideale Staat war, denzufolge seiner Metaphysik PLATO hätte begründen müssen, nach der Unwissenheit des ersten gefallenen Menschen aber dies nicht zu bewirken vermochte.
LITERATUR: Giambattista Vico, Grundzüge einer Neuen Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur der Völker, Leipzig 1822
    Anmerkungen
    1) Damit wird nicht geleugnet, daß VICO ein sehr unterrichteter Mann gewesen ist: schon die Vielseitigkeit seiner Studien beweist das hinlänglich; auch las er gewiß nicht oberflächlich und seinen lateinischen ARISTOTELES und ficinischen [Marsilio Ficino - wp] PLATO hatte er sicher auf dem Nagel inne: aber daß ihm, dem so beschaffenen Geist, seine Erudition [Gelehrsamkeit - wp] nicht das nutzen konnte, was sie bei Unternehmungen, wie  er  wagte, nutzen muß, darüber braucht man nur die  Neue Wissenschaft  durchzusehen. Ihm fehlte es zur Konsolidierung seines Erlernten an Ordnung und zur Ordnung an Ruhe und geduldigem Auf sich wirken lassen von Seiten des Erlernten. Das schaffende Prinzip trat häufig das empfangende in ihm nieder. Dafür aber war er ein wirklicher Geist, der lebte und webte. Dies ist das erste. Jenes zweite wird häufiger getroffen, weil es wohlfeiler zu haben ist. Die Achtung gegen die Verdienste VICOs wird wachsen, wenn man seine Lebensverhältnisse erwägt, wie er solche mit trockenem Ernst, aus welchem die festabgeschlossene durcharbeitete Persönlichkeit klar und kräftig hervortritt, in seinem Leben berührt. Übrigens beiläufig: über den Inhalt des Werkes hier vorzureden, hielt ich für völlig überflüssig. Den sachlichen geben die Inhaltsanzeigen; über Behandlung und Ideengang belehrt sich der Teilnehmende am besten aus dem Buch selbst. Was ich über das Einzelne meine, kann niemand interessieren.
    2) Wie treffend und selbst in der vielleicht etwas zu großen Schärfe ehrenvoll WOLF ihn würdigte, liegt im Aufsatz "Giambattista Vico über den Homer", Museum der Altertumswissenschaft I, 3. Allen vor: doch verdient vornehmlich, was am Ende des Aufsatzes, Seite 569 und 570 gesagt ist, Beherzigung.
    3) Dahin würden auch vergleichende Bemerkungen mit BEAUFORT, GOGUET, de PAUW u. a. gehört haben
    4) Diese Biographie stand zuerst in ANGELO CALOGERA racolta d'opusculie scientif. o filolog. To. 1. Venez. 1747, Seite 147-256. Eine andere von von AUGUSTO FABRONI gedruckte steht in ANGELO FABRONII vitae Italorum doctrina exellentium, Vol. XII, Pisis 1785, Seite 272-306.
    5) Nach der Bibliotheca Italiana, Januar 1819, Seite 27, war er am 23. Juni 1660 geboren.
    6) In NAPOLI SIGNORELLI, Vicende della Coltura nelle due Sicilie) steht Vescovo d'Isernia.