ra-2Paul TillichReinhold NiebuhrMystik    
 
ALBERT BASTIAN
Der Gottesbegriff bei Jakob Böhme
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"Nimmt man die wunderliche Zahlenmystik hinzu, in die sich Böhme verliert, die sprach- und gedankenquälende Erklärung des Schöpfungsberichts und des Vaterunsers, die Einflechtung ethischer und religiöser Mahnungen und Lehren in die metaphysischen und physischen Darlegungen, so wird man uns recht geben, daß der Gottesbegriff auf der Stufe des Buches vom Dreifachen Leben noch vielfach trübe und verworren ist und die hervorgehobenen Gedanken nur aus dem Chaos phantastischen Überschwangs und erbaulicher Ansichten hervorleuchtende Geistesblitze sind."


I. Kritische Darstellung des
Gottesbegriffs Jakob Böhmes

Daß BÖHME einen geistigen Entwicklungsgang durchgemacht habe (nicht, wie seine Anhänger vielfach meinten, alles sofort klar offenbart erhalten), bekennt er selbst mehrfach.

Von seinem Erstlingswerk, der "Aurora" (verfaßt 1612) bekennt er, daß in ihr die "Wahrheit noch sehr tief im Mysterium liegt ... auf das erstemal war es der Vernunft nicht möglich, sie zu erfassen; der Autor war dessen noch ganz ungewohnt. Nachdem ... aber ... erlangte er einen besseren Stil und auch eine tiefere und gründlichere Erkenntnis." (1) "Nachdem mir die Pforte der Erkenntnis aufgeschlossen worden, so mußte ich gleichwohl hierin zu arbeiten anfangen, wie ein Kindlein, das zur Schule geht. Im Innern sah ich wohl die Wahrheit, aber wie in einer großen Tiefe und wie in einem Chaos (2) darinnen alles liegt und dessen Auswicklung war mir unmöglich. Von Zeit zu Zeit eröffnete sichs mir wie ein Gewächs." - Noch deutlicher unterscheidet BÖHME § 66 - 74 des 12. Sendbriefes  drei  Klassen seiner Schriften:  zunächst  "I. die Aurora steiget aus der Kindheit auf und zeiget Euch die Schöpfung der Wesen, aber fast (=sehr) heimlich und nicht genug."  Alsdann  nennt er (II-IV) die Schriften "von den drei Prinzipien göttliches Wesens", das "Buch vom dreifachen Leben" und die "40 Fragen von der Seele" - die er alle drei sowohl als die äußerlich umfangreichsten, wie auch die inhaltlich "alles, was der Mensch wissen soll" umfassenden Werke seiner Feder kennzeichnet. Endlich bezeichnet er als seine  "tiefsten"  Schriften die den vorigen zeitlich sich anschließenden "Von der Menschwerdung Christi" (V) "6 (theosophische und mystische) Punkte" (VI) "de Signatura rerum" (VII), nebst anderen kleineren "Traktätlein".

Diese aus dem Jahre 1621 herrührende Unterscheidung dreier Entwicklungsperioden durch BÖHME selbst finden wir auch hinsichtlich der Entwicklung seines Gottesbegriffs berechtigt.

Natürlich ist bei einem Geist wie BÖHME nicht zu verlangen, daß diese Perioden haarscharf voneinander geschieden seien und nicht hin und wieder Rückfälle in frühere Anschauungen stattfinden.


A.
Erste Stufe der Entwicklung
des Gottesbegriffs bei Böhme

Die erste Entwicklungsstufe des BÖHMEschen Gottesbegriffs ist in der "Aurora" dargestellt.

Wenn man den BÖHMEschen Gottesbegriff bisher nur aus enzyklopädischen Darstellungen, die ihn in seiner höchsten Entwicklungsstufe wiederzugeben versuchen, kennen gelernt hat, so ist man erstaunt, in der "Aurora" diesen Begriff ein einer ganz anderen Fassung zu finden. Ja, in der "Aurora" selbst findet eine Entwicklung des Gottesbegriffs von der noch theistisch beeinflußten Darstellung der ersten Kapitel zur mystisch vertieften der späteren statt. (3)

Gott erscheint hier zunächst als der Beherrscher der gesamten Natur, die hier als aus sechs (später sieben!) Qualitäten bestehend vorgeführt wird.

Ganz im Gegensatz zur späteren Ansicht von Gottes Zornfeuer wehrt BÖHME im 2. Kapitel der "Aurora" diese Vorstellung energisch ab. Ebenso stellt er im 3. Kapitel, das die göttliche Dreieinigkeit behandelt, den "Vater" dar als den "allmächtigen, allweisen, allwissenden, allsehenden, allhörenden, allriechenden, allschmeckeden, allfühlenden Gott,  der  da ist in sich sänftig, freunlich, lieblich, barmherzig und freudenreich, ja die Freude selber." "Er ist von Ewigkeit zu Ewigkeit, also unveränderlich. Er ist von nicht herkomen oder geboren, sondern selber alles in Ewigkeit ... Die Natur und alle Kreaturen sind aus seiner Kraft geworden, die von ihm ist von Ewigkeit ausgegangen." "Alles Licht, Hitze, Kälte, Luft, Wasser und alle Kräfte der Erde; Bitter, Sauer, Süß, Herbe, Hart, Weich, das alles hat seinen Ausgang vom Vater;" doch sind diese Kräfte keine Bestandteile, aus denen sich das Wesen des "Vaters" zusammensetzt, sondern "es sind alle Kräfte im Vater ineinander wie eine Kraft" und sind enthalten "im Vater in einem unerforschlichen Licht und Klarheit." Kurz, der Vater ist "der Anfang und das Ende aller Dinge und außer ihm ist nichts."

Demgemäß ist die zweite Perons der Dreieinigkeit, "der Sohn" keineswegs "ein anderer Gott als der Vater, ... auch nicht ... außer dem Vater ... als wenn zwei Männer nebeneinander stehen, da einer den andern nicht begreift; nein eine solche Substanz" (d. h. Beschaffenheit) hat es nicht mit dem Vater und dem Sohn."

Vielmehr ist er Sohn "das Herz im Vater: alle Kräft, die im Vater sind, die sind des Vaters Eigentum und der Sohn ist das Herz oder der Kern in allen Kräften im ganzen Vater". "Der Sohn ist im Vater des Vaters Herz oder Licht und der Vater gebäret den Sohn von Ewigkeit und des Sohnes Kraft und Glanz leuchtet wieder im ganzen Vater ... seine Kraft, Glanz und Allmacht ist nichts kleiner als der ganze Vater." "So der Vater aufhören würde (ihn) zu gebären, so wäre der Sohn nicht mehr; und so der Sohn nicht mhr im Vater leuchtete, so wäre der Vater ein finsteres Tal: denn des Vaters Kraft stiege nicht auf von Ewigkeit zu Ewigkeit und könnte das göttliche Wesen nicht bestehen."

Denn "obgleich er (der Sohn) aus den Kräften des Vaters immer geboren wird, so scheinet er doch wieder in die Kräfte des Vaters; denn er ist zwar "nicht ein anderer Gott", wohl aber eine andere Person, als der Vater."

"Gott der heilige Geist ist die dritte Person ... und gehet vom Vater und Sohne aus, der heilige wallende Freudenquell im ganzen Vater und gehet vom Vater und Sohn aus, ein lieblich sanftes und stilles Sausen, aus allen Kräften des Vaters und des Sohnes", er ist "der bewegliche Geist im ganzen Vater und gehet von Ewigkeit zu Ewigkeit immer vom Vater und dem Sohn aus und erfüllet den ganzen Vater. Er ist nichts kleiner oder größer als der Vater und Sohn, seine webende Kraft ist im ganzen Vater."

Bis hierher könnte man mit GRETCHEN im Faust sagen: "Ungefähr so sagts der Herr Pfarrer auch, nur mit ein wenig anderen Worten." Mit dem nikänischen und athanasischen Symbolum lassen sich obige Darlegungen ohne viel Schwierigkeiten in Harmonie bringen. Bemerkenswet ist, daß BÖHME hier alle drei Personen der Gottheit als lichte, freundliche und "freudige" Potenzen darstellt. (4) Die "böse Qualität" in der Welt, von der sogleich der § 2 des 1. Kapitels der "Aurora" spricht, bleibt vor der Han noch unerklärt; ebenso läßt die Darstellung der Erschaffung oder richtiger Emanierung der Engel aus der Gottheit noch viel an Klarheit zu wünschen übrig.

Von Kapital 8 ab erfährt der Gottesbegriff nebst allen Nebenthemen wie Grund des Bösen, Angelologie et. tatsächlich (wie wir schon BÖHME oben andeuten sahen) eine Vertiefung, ja gewisse Modifikationen.

Schon das ist bezeichnend, daß im 14. Kapitel die göttliche Kraft nicht nur als über die endliche Natur, sondern auch als über die Ideen herrschend dargestellt wird. Bedeutsam ist ferner der Ausdruck von der ewigen Geburt Gottes aus sich selbst (also Gott als causa sui) mit der fortwährenden Betonung, daß das begriffliche prius der einen Person vor der anderen absolut kein zeitliches sei, sondern daß jene Reihenfolge nur in Anbequemung der Darstellung an das diskursive Denken vom Autor angenommen werde. Aus diesem Grund sieht sich BÖHME auch veranlaßt, die sieben Naturgestalten in Gott (zu Anfang der Aurora hatte er nur 6 Qualitäten!) sukzessive zu behandeln. "Ich sehe wohl alle sieben, aber wenn ich in sie spekuliere, so kann ich sie nicht alle sieben auf einmal erfassen, sondern nur nach einander ... indem ich sie nicht alle sieben in meinem verderbten Gehirn in ihrer Vollkommenheit auf einmal ertragen kann." Die sieben Naturgestalten, in denen sich die dreieinige Gottheit gebiert, durchdringen einander; einer dieser "Geister" - wie BÖHME sie auch nennt - "gebäret immer den anderen, es ist keiner der erste und keiner der letzte, im ewigen Wesen Gottes sind sie, trotzdem das diskursive Denken sie scheiden und zum Teil als Gegensätze betrachten muß, ausgeglichen: "sie triumphieren alle in Gott wie ein Geist: einer liebt immer den andern und ist unter ihnen nichts als Freude und Wonne."

Diese Qualitäten - oder Quellgeisterlehre benutzt nun BÖHME zur Entwicklung seiner Angelologie, die ihm wiederum vor allem dazu dient, das Problem des Bösen und seines Verhältnisses zur hellen, freundlichen, barmherzigen Gottheit, die wir oben dargestellt sahen, zu erörtern.

"Gott hat in seinem Wallen die heiligen Engel erschaffen, nicht aus einer fremden Materie, sondern aus ihm selber, aus seiner Kraft und ewigen Weisheit." Die Engel sind also Emanationen Gottes, entstanden aus einer Bewegung innerhalb der dreieinigen Gottheit. Denn "als sich Gott kreatürlich machte" (d. h. den schöpferischen Emanationsakt - anders können wir es nicht nennen - vollzog), "da machte er sich nach seiner Dreiheit kreatürlich" und so entstanden drei Engelsreiche, die unter drei "Fürstenengeln" MICHAEL, LUZIFER und URIEL stehen. "Gleichwie MICHAEL ist erschaffen nach der Art und Schönheit des Vaters, also ist LUZIFER erschaffen nach der Art und Schönheit des Sohnes ... URIEL ist nach der Art und Beschaffenheit des heiligen Geistes gebildet."

LUZIFER! bei ihm verweilt BÖHME mit einem gewissen schmerzlichen Wohlgefallen. Es wirkt hier latent die kirchliche Anschauung LUZIFERs als des späteren Gegners CHRISTI mit. Als aus der Gottheit emaniert ist LUZIFER aber zunächst gut; denn "die Engel haben" zunächst "unter einander  einen  Liebewillen" und LUZIFER, der ja dem Sohne wesensähnlich ist, ist zunächst mit diesem "in Liebe verbunden gewesen als ein lieber Sohn und sein Herz ist auch im Zentrum des Lichtes gestanden." Weit entfernt also, daß LUZIFER etwa aus einem finsteren Prinzip, als das sich später vielfach der "Vater" darstellt, hervorgegangen wäre, hat er seinen Ursprung in der lichten Herrlichkeit des Sohnes und BÖHME kann sich gar nicht genug tun im Rühmen der "königlichen Bilden" und "hohen Glorie" des ursprünglich "so schönen" LUZIFER, mittels deren er dastand als ein göttlicher König in unerforschlicher Klarheit. - Und dieser "Engelsfürst" ward der Höllenfürst, dieser LUZIFER der Fürst der Finsternis? Wie ist das möglich? Wie sein Ursprung, die Gottheit, so hat auch jeder Engel "aller sieben Quellgeister" (oder Qualitäten) "Kraft in sich." Anstatt nun aber mit dieser Wesensbeschaffenheit "in Gott zu wallen, wie Gott in ihm" - was die anderen Engel taten - verkehrte er durch übermütigen Stolz über sein königliches Wesen, alle seine in ihm (wie in Gott stets) ursprünglich guten Qualitäten ins Gegenteil und verderbte dadurch sein ganzes Wesen. "Da war kein Rat mehr, der da hätte können helfen", "aus der Liebe wurde Feindschaft" und aus dem lichten Engel "ward ein finsterer schwarzer Teufel". Nicht die "herbe Qualität" in Gott, sondern "die herbe Qualität in LUZIFER hat ihr Wesen also hart zusammengezogen", daß LUZIFER den freien  Entschluß faßte,  "über Gottes Herz sich hinaus zu schwingen." Hier tritt uns zum ersten Mal der Wille als das finstere Prinzip in seiner Realität (Finsternis als Qualität war ja  potenziell  auch in der Gottheit vorhanden!) entgegen, als "der Geist, den LUZIFER in sich selbst geboren", als freier und zwar bewußter Eigenwille; denn LUZIFER "wußte, daß er nicht selbst Gott wäre", ebenso "auch, wieweit sich seine Macht erstreckte", aber er wollte etwas ganz Neues, wollte "höher sein, als der ganze Gott und sein Revier" (Gewalt) über die ganze Gottheit, über alle Königreiche haben."

Durch diesen seinen Abfall von Gott riß LUZIFER nicht nur andere Engel mit sich, sondern hat auch die ganze Schöpfung verderbt, diese Welt durch seine Tätigkeit bei ADAMs Fall zum Jammertal gemacht und "arbeitet auch jetzt dahin, böse Früchte zu bringen." Sein böser Eigenwille ist der Grund des sündigen, widergöttlichen Eigenwillens im Menschen. Darum kann sich BÖHME nicht enthalten, immer wieder in ehrlichem Zorn dem "listigen Teufel", diesem "stinkenden Bock", diesem "Lügenteufel", diesem "verfluchten stinkenden Teufel" seine unheilvolle Schuld in einem wahren Brillantfeuer von Verbalinjurien vorzuhalten.

Die sittliche Entrüstung über das böse Prinzip und sein Wirken entspricht zwar ganz dem ethischen Grundcharakter der "Aurora", der trotz allen Beiwerks immer wieder hervortritt - kann aber doch nicht hindern, ja merkt es nicht einmal, daß der Teufel, der bekanntlich ein böser Logiker ist, dem Gottesbegriff des Autors einen schlimmen Streich spielt.

LUZIFER ist nach dem Wesen des "Sohnes" gebildet, wie wir sahen. Aber aus diesem Wesen kann das Aufflammen des Bösen in LUZIFER nicht erklärt werden; denn nach Kap. 3, § 23 liegt im Wesen des Sohnes absolut keine Potenzialität widergöttlicher Regung, auch nicht der leiseste Schatten einer Negation. Vielmehr ist der "Sohn" gerade die Person in der Dreifaltigkeit, von der BÖHME am allerbestimmtesten nur Positives und zwar positiv Gutes behauptet: "In seiner Kraft lebt und ist alles, was da gut ist - aber das Böse ist nich in ihm." Etwas Negative kann von hier überhaupt nicht entspringen; die Ableitung des Wesens LUZIFERs, in dem doch schon die Möglichkeit einer Negation des Göttlichen, eines Sichselbstsetzens und des Gebärens eines "eigenen Geistes" durch Kontraktioin der "herben Qualität" liegt - diese Ableitung des Wesens LUZIFERs aus der "Art und dem Wesen des Sohnes" ist metaphysisch unmöglich. Noch weniger möglich ist eine solche Ableitung aus dem Wesen des heiligen Geistes. Nicht nur, daß dieser von den 3 Personen der Gottheit bei BÖHME am farblosesten erscheint. Da er erst ex patre filioque [aus dem Sohn - wp], um mich des Wortes des athanasianischen Symbolum zu bedienen, hervorgeht, ist eine solche Selbstsetzung, wie wir sie bei LUZIFER finden, ein solcher schöpferischer Akt aus seinem Wesen herau, das ja überdies als sanftes Säuseln beschrieben wird, metaphysisch auch nicht denkbar. Dagegen ist nach Kapitel 8, § 4 in Gott dem Vater "ale Kraft und aller Kräfte Quellbrunn", in ihm ist ja auch neben dem Licht die Finsternis. Wie BÖHME trotz seiner Zusammenstellung des LUZIFER mit dem "Sohne" doch dessen Wesen vielmehr aus dem "Vater" entwickelt, zeigen folgende Stellen: "Das Licht leuchtet aus allen Kräften des  Vaters.  Wenn aber die Kräfte verderbt werden, wie bei LUZIFER zu sehen ist, so erlöschet das Licht und bleiben die Kräfte der Finsternis." "In der göttlichen Kraft ist im Verborgenen die herbe Qualität ... das ist eine Spezies oder Zornquelle; ... sie ist aber im göttlichen Pomp nicht also erheblich," bleibt vielmehr ganz potentiell; "allein König LUZIFER hat diese Qualität ... durch seine Erhebung und Hoffart angezündet. Wie die ewige Gebärung des Sohnes aus dem Vater "zuförderst in der herben Qualität ihren Ursprung nimmt, so sahen wir durch die Kontraktion der herben Qualität in LUZIFER dessen eigenen Willen, das antigöttliche "Wallen" seinen Ursprung nehmen. Nehmen wir noch hinzu, daß schon in den ersten Kapiteln der Aurora und später noch mehr der "Vater" eigentlich nicht mehr reine "Person" ist, während der Sohn in der Lehre von der Menschwerdung CHRISTI uns immer konkreter entgegentritt als der positive Gott, während der "Vater" mehr als Abstraktion der Gottheit, den Hintergrund bildet, so wird uns begreiflich werden, wie die finstere Qualität LUZIFERs, wie sein Prinzip der Negation, zugleich aber auch sein Streben nach "Selbstgebärung" sich metaphysisch viel mehr mit des Wesen des "Vaters" berührt. Zugleich werden wir es nun verstehen, wie BÖHME bei größerer, wenn auch nicht völliger Gewöhnung an metaphysisches Spekulieren sich veranlaßt sah, das finstere Prinzip ursprünglich in der Gottheit selbst begründet zu sehen und warum er gerade den "Vater" zum Vertreter dieses Prinzips ausersieht. Das Ringen nach einer mehr metaphysischen Einheit der Gesamtanschauung, wo nicht mehr das Böse als ein dem Gottesgedanken Widersprechendes aufgefaßt, sondern potentiell dem göttlichen Wesen immanent gedacht wird - dieses Ringen zeigt uns


B.
die zweite Stufe des
Gottesgedankens bei Jakob Böhme

Ganz rein läßt sich eigentlich diese Stufe noch nicht von der vorhergehenden scheiden, da BÖHME bei allen neuen Gesichtspunkten oftmals wieder in die Anschauungen der "Aurora" zurückverfällt. Der Flug der eigenen Gedanken ist ihm oft zu kühn und mitten in seinem Vorwärtsstreben erlahmt er und fällt wieder auf den vorigen Standpunkg zurück. Soviel aber läßt sich zur allgemeinen Charakteristik hier doch sagen, daß wenn beim Gottesbegriff der "Aurora" zunächst überkommene theologische Anschauungen und vielfach ethische Momente die Hauptrolle spielten, verbrämt mit der wunderlichen Terminologie der paracelsischen Naturphilosophie, - daß, sage ich, hier die Naturphilosophie und physikalisch-physiologische Momente in bedeutend weiterem Umfang sich geltend machen; daß dabei BÖHME, soweit er sich von biblischen Anschauungen entfernt, die Bibel zu zitieren nicht vergißt und ethische Ausführungen immer wieder einstreut, ist beim ganzen Charakter seiner Theosophie ja selbstverständlich.


a.
"Die drei Prinzipien des göttlichen Wesens."


Gleich zu Beginn dieser zweiten Hauptschrift BÖHMEs sehen wir den Einfluß des Problems des Bösen auf die Umgestaltung des Gottesbegriffs.

"Gott ist", sagt BÖHME, "das Wesen  aller  Wesen; denn von ihm ist  alles  erboren (sich), geschaffen und hergekommen und nehmen alle Dinge ihren ersten Anfang in Gott." Sofort drängt sich hier dem Verfasser die Frage auf, ob daher auch das Böse aus Gott komme und mithin eine Eigenschaft Gottes sei: "Daß aber nun ein  Unterschied  sei: daß das Böse nicht Gott heiße und sei, das wird im  ersten Prinzipio  verstanden. Denn da ist der Quell der  Grimmigkeit,  nach welcher sich Gott einen eifrigen, zornigen Gott nennt. Denn in der Grimmigkeit besteht des Lebens und aller Beweglichkeit Urkund." Gott hat diese Welt und alles erschaffen (aus keiner fremden Materie, sondern) aus seinem eigenen Wesen durch Wallen, sich Bewegen und sich immer selbst Gebären. (Denn Gott ist ein Geist), ein Geist aber ist wie ein Wille oder Sinn, der aufsteigt und sich selbst in seinem Aufsteigen sucht, infiziert und gebärt." Wir erblicken also schon wie durch Nebel bei BÖHME den Gedanken eines dunklen Grundes in der Gottheit, einer schöpferischen Kraft der Selbstdifferenzierung und eines zu sich erfassen suchenden, aber noch nicht seiner recht bewußten Willens. BÖHMEs in der Aurora noch persönlicher, theologisch gestalteter Gottesbegriff ringt mit den neuen metaphysischen Gedanken. Daß die Gottheit selbst noch einen, wie wir sagen würden, intelligiblen Grund und Ursprung haben, sich differenzieren soll usw., kommt ihm doch hart an. Aber die Notwendigkeit, das Böse metaphysisch abzuleiten, zwingt ihn doch zu einer Wandlung des Gottesbegriffs der "Aurora".

"Gott hat" zwar "keinen Anfang; in ihm ist (an und für sich) kein Unterschied; allein wenn man forscht, woher  Böses oder Gutes komme, muß man wissen, was da "der erste urkundliche Quell des Zorns und dann auch  der Liebe sei, weil beide aus einem Urkunde (Urgrunde) sind." (5) Und wiederum: "Man kann nicht sagen, daß in Gott der Tod und höllisch Feuer und Traurigkeit sei, allein man weiß, daß es  daraus ist worden.  - So muß man forschen nach dem Quell oder der Ursache, was materia prima ist zur Bosheit und dasselbe in Urkund Gottes sowohl als der Kreaturen." "Denn das ist im Urkund alles ein Ding" also noch nicht geschieden, differenziert. "Siehe es sind vornehmlich drei Dinge im Urkund: Herbe, Bitter und Feuer sind im Urkund im ersten Prinzipio und heißet Gott im ersten Prinzipio nicht Gott, sondern Grimmigkeit, Zornigkeit, ernstlicher (sic) Quell, davon das Böse urkundet." "Man kann nicht sagen, daß es (schon) Gott sei und ist doch der innerliche erste Quell, der in Gott dem Vater ist, nach welchem er sich einen zornigen, eifrigen Gott nennt. Und derselbe Quell ist das erste Prinzipium und ist Gott der Vater nach seinem Urkund." Hier ist BÖHME schon auf demselben Weg, wie später, wo er diesen "Urkund" in der Gottheit noch klarer festzustellen sucht. Hier scheint der Gedanke nur durch das krause, alchimistische und naturphilosophische Beiwerk hindurch und wird auch wieder von der mehr persönlichen Vorstellung des "Vaters" verdrängt. Es mag zum Teil stilistische Unbeholfenheit sein, wenn BÖHME sagt; "Es muß ein Wille im Geist Gottes sein, den Zornquell zu gebären" - statt "Es muß ein Wille sein, der in dem Zornquell geboren wird": jedenfalls zeigt sich hier seine Unklarheit über das metaphysische Verhältnis. Ebenso ist es wenigstens ein Widerspruch im Ausdruck, wenn er in den oben angeführten Worten sagt, vom ersten Prinzip könne man nicht sagen, daß es Gott sei, dagegen kurz vorher (§ 44) gestehen zu müssen behauptet, daß das erste Prinzip Gott der Vater sei. So nahe es läge, hier den späteren Gedanken zu sehen, daß der Vater hier als der dunkle, noch nicht geoffenbarte Gott angesehen werde, so widerspricht dem doch der Umstand, daß BÖHME gleich darauf wieder auf den Gottesbegriff der "Aurora" (und zwar in der Fassung der ersten Kapitel dort) zurückgreift, deren Worte über Vater, Sohn und heiligen Geist er fast wörtlich ausschreibt. In der "Aurora" dort ist aber, wie wir deutlich gesehen haben, der "Vater" durchaus etwas anderes, als hier das dunkle "erste Prinzip", vielmehr der lichte Gottvater. Dennoch sieht sich BÖHME genötigt, weil er einmal das Böse doch unterbringen muß und es zum "Vater" in Beziehung gesetzt hat, dieses "Böse, Zornige, Finstere" in ihm nicht bloß, wie in der Aurora, potentiell vorhanen sein zu lassen, sondern vielmehr virtualiter [der Möglichkeit nach - wp]. Hierdurch bekommt er eine schärfere Unterscheidung, als ihm in der Aurora möglich war, zwischen der Beschaffenheit des Vaters und des Sohnes, welch letzterer "das zweite Prinzip aufschleust und den zornigen, grimmigen Vater versöhnt." Gerade indem das "zweite Prinzip" als das Reich des Lichts dargestellt wird, wird das erste Prinzip im Gegensatz dazu das Reich der "Finsternis, die sich das Licht gebar", um mit GOETHE zu reden. Wie der Vater mit dem Sohne in Korrelation schon in der Aurora stand, so hier das erste und zweite Prinzip. Je mehr im zweiten die Züge der positiven Gottheit des Christentums hervortreten, desto mehr wird das erste zum negativen Korrelat; wir könnten das Verhältnis mit dem von actus und potentia vergleichen, umsomehr als doch in der potentia ein Hinstreben zum actus liegt und BÖHME hier dem ersten, finsteren Prinzip ein sich Sehnen nach den zweiten, lichten Prinzip, einen dunklen Drang nach dem Positiven zuschreibt, sowie er auch das zweite Prinzip als "Kraft", nämlich des "Lichtes", bezeichnet.

Mit dieser Veränderung in der Bestimmung des ersten Prinzips oder des Vaters hängt auch ein weiterer Unterschied der Gotteslehre in der Schrift von den 3 Prinzipien und jener in der Aurora zusammen. In letzterer kamen jeder Person der Gottheit alles sieben "Qualitäten" zu. Dagegen hat jetzt in den "drei Prinzipien" das erste Prinzip nur die vier ersten Qualitäten (Herbe, Bitter, Wasser, Feuer) zu eigen, ja das Feuer nur zur Hälfte, sofern es nämlich brennt; sofern es leuchtet, kommt es auch dem zweiten Prinzip zu. - Die fünfte Qualität, die "holdselige Liebe" konnte BÖHME jetzt unmöglich mehr dem "Vater" zuschreiben, nachdem dieser zum "eifrigen, zornigen Gott", zum finsteren Prinzip geworden war.

Mit dem heiligen Geist setzt BÖHME das "dritte Prinzipium" in Beziehung. Wie in der Aurora "der heilige Geist alles formte und bildete", die "Erschaffung der materialischen Welt samt den Sternen und Elementen, da dann das erste und andere Prinzipium klärer verstanden wird." Wenn wir uns erinnern, daß BÖHME den heiligen Geist vom Vater und Sohn ausgehen läßt, ferner, daß wir das erste und zweite Prinzip mit potentia und actus, dynamis und energeia des ARISTOTELES verglichen, so dürfte das dritte Prinzip, als das Wesenhafte, Konkrete darstellend, nich unpassend mit dem aristotelischen synolon [Einzelding - wp] zu vergleichen sein. Doch ist dieser Vergleich nicht ganz genau. Denn BÖHME verbindet mit dem Wort "drittes Prinzip" zwei verschiedene Vorstellungen, einmal das zwischen "Paradieseshelle und tiefer schauerlicher Nacht" in der Mitte liegende irdische Sein, zweitens aber das diesem zugrunde liegende Reale innerhalb der Gottheit, ihre "wahrhafte Wesenheit", die sich zu den beiden anderen Prinzipien etwa verhält, wie das Erschaffen zur göttlichen Allmacht und zu ihrem Heilsplan oder wie das Tun zum Können und Wollen, - eine Parallele, die BÖHME schon dunkel in der "Aurora" angedeutet hat, allerdings so, daß im Können schon ein dunkles Wollen liegt, weil es Kraft ist.

Klarer ist nicht nur der letztere Gedanke, sondern die ganze Prinzipienlehre - trotz allen naturphilosophisch-alchimistisch-mythischen Rankenwerks - ausgeführt in der sich an die "drei Prinzipien" anschließenden Schrift "vom dreifachen Leben des Menschen". (6)


b.
"Vom dreifachen Leben des Menschen."


Das zunächst Bemerkenswerte ist die Unterscheidung von zweierlei Willen, einem im ersten, einem im zweiten Prinzip, wie denn überhaupt der Wille als metaphysisches Prinzip die größte Bedeutung hat. Auch hier treten die Ausführungen BÖHMEs nicht immer klar hervor und Altes wird wiederholt. Das Wesentlichste der Fassung des Gottesbegriffs aber und der Fortschritt gegenüber der vorigen Schrift liegt in folgendem: "Der erste Wille heißt nicht Gott, sondern Natura, der andere Wille heißt A und O, Anfang und Ende, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und im ersten Willen wäre die  Natur nicht offenbar; der andere Wille  (erst)  macht sie offenbar, denn er ist die Kraft in der Stärke". 

Das Weitere müssen wir aus einer Menge von alchimistischem und kabbalistischem Beiwerk, das hier aus den Schriften des PARACELSUS (um dies schon im Voraus zu bemerken) immer reichlicher eindringt, herausschälen. Was nun den erwähnten "ersten Willen" und seine (intelligible, nicht historische) Entwicklung zum andern Willen" betrifft, so lehrt BÖHME: "Nun ist derselbe (erste) Wille ewig und  herrühret aus nichts,  als nur aus sich selber und so der nicht wäre, so wäre alles ein Nichts, weder Finsternis noch Licht und so dann etwas ist, so ist es der ewige Wille der (insofern er) ist herbe und begehrend, als nämlich die Wunder der Schöpfung (begehrend) ... So denn nun der Wille ein ewiges Begehren ist, so zeucht [schafft - wp] er in sich selber und schwängert sich, daß aus dem Nichts eine Finsternis wird (denn der Wille ist dünn als ein Nichts und das Angezogene im Willen machet den Willen dick und ist seine Finsternis) und das Anziehen machet den Stachel der ersten Essentien, daß also eine  Regung  sei und ein  Urkund der Beweglichkeit.  Nun aber kann der Wille das Anziehen nicht leiden; denn er will frei sein und vermag es doch nicht, denn er ist der Begehrende; und so er nicht vermag frei zu werden, gehet er mit dem Anziehen in sich und fasset sin sich einen anderen Willen aus der Finsternis auszugehen in sich selber und derselbe andere  gefaßte  Wille ist das ewige Gemüt und gehet in sich selber (7) ... und zersprenget die Finsternis und gehet in sich selber aus und wohnet in sich selber und machet ihm also  ein ander Prinzipium".  - Denn die große Weite ohne Ende begehret der Enge und eine Einfaßlichkeit, darinnen sie sich mag offenbaren. Denn in der Weite und Stille wäre keine Offenbarung; so muß ein Anziehen und ein Einschließen sein daraus die Offenbarung erscheine, also muß ein  Wider-Wille  sein; denn ein ... stiller WIlle ... gebieret nichts, sondern ist eine ewige Stille ohne Regung." Mit noch vielen anderen Wendungen quält sich BÖHME hier, um das zu verdeutlichen, was wir "Selbstdifferenzierung des Absoluten" nennen dürfen und zwar eine solche behufs Selbstoffenbarung. BÖHME spricht hier auch einmal von der "puren Gottheit"; er ist augenscheinlich hier auf dem besten Weg, die absolute Gottheit oder "Natura" von der sich offenbarenden reiner zu scheiden als bisher. Jene wäre dann das, "so noch nicht Gott heißt" und die offenbarte Gottheit wäre in der Trinität zu finden. BÖHME bringt hier auch gleich die Trinitätslehre herbei, aber doch noch nicht behufs solcher Anwendung, sondern im Geistes seiner bisherigen Anschauungen. Er identifiziert den "Vater" mit dem "ewigen Willen", den "Sohn" mit dem "anderen Willen" und den (auch hier wieder schlecht wegkommenden) "Geist" mit der bei jener Differenzierung und ferner auch bei der Emanierung der Welt tätigen Kraft, respektive mit der Welt selbst. "So der ewigen Wille nicht einen anderen Willen in sich schöpfte, in sich selber auszugehen (als ein scheinend Licht aus einer Kerze brennet und von der Kerze nicht weichet), so wäre der Vater einig und eine strenge Finsternis (unoffenbar), auch hätte die Welt, als das  dritte  Prinzipium, nicht mögen (können) erschaffen werden. So aber der  Vater  ... der  ewige Wille selber  ist und gebieret aus sich einen  anderen  Willen, welcher aufschließet in dem ersten ewigen Willen, welches ist der Vater, das Prinzipium  des Lichts,  darinnen der Vater ... lieblich, freundlich, mild, rein und sanft wird: so ist der Vater nicht in der Qual der Finsternis; denn der  wiedergefassete Wille,  der aus dem Centro ausgehet und zersprenget die Finsternis, er ist sein Herz und ... erleuchtet den Vater; und derselbige Wille ist des ewigen Vaters  Wort  und ist billig eine andere Person, denn er wohnet in sich selber. Und dieses Wort oder Wille hat alle Dinge erschaffen, verstehe: aus des Vaters Essentien; denn es ist die ewige Allmacht." "Nun spricht der Vater, als der ewige Wille, alle Dinge durch dieses Wort, als aus dem Centro der Freiheit aus; und der Ausgang aus dem Vater durch's Wort ist der  Geist  der Kraft des Worts im Vater; der formet das Ausgesprochene nach Geistes Art."

Zwischen diesen verhältnismäßig klaren Gedanken und im weiteren Verlauf der Schrift immer mehr zunehmend, findet sich ein Wust von pseudo-physikalischen und naturphilosophien Erörterungen über die sieben Naturgestalten (zu denen hier die Qualitäten oder Quellgeister des früheren Stadiums geworden), über Sul und Phur, Mercurius und Sal, die herbe Matrix usw. - ebenso von mystischen Ausdrücken und Anschauungen, wie Ternarius sanctus, mystischer Leib Christi, der Jungfrau SOPHIA, die ebenso wie die alchymisten terminie von der Tinktur, dem Lapis philosophorum und dem Wasser des Lebens etc. hier die verschiedenen Arten der Manifestation der Gottheit bezeichnen. Wenn die Terminologie nicht so schwankend wäre, sodaß die Unterschiede der einzelnen termini vielfach verschwimmen, so könnte man die "Naturgestalten" = Qualitäten 1 - 7 als eine Art "metaphysischer Ideen" bezeichnen; die im Kapitel 3 und 4 behandelten "Gestalten" könnte man als Qualität und Substantialität deuten, da dort "Ton, Klang ... Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen ... Pein und Qual, sowohl Freude als Liebe, Begierde des Guten und auch Begierde des Bösen", hier "Begreiflichkeit Wesenheit und Leiblichkeit als Merkmale angegeben werden. Doch geht ein strengerer Unterschied bei dem Gewirr der Gedanken wieder verloren. Nimmt man noch die wunderliche Zahlenmystik hinzu, in die sich BÖHME verliert, die sprach- und gedankenquälende Erklärung des Schöpfungsberichts und des Vaterunsers, die Einflechtung ethischer und religiöser Mahnungen und Lehren in die metaphysischen und physischen Darlegungen, so wird man uns recht geben, daß der Gottesbegriff auf der Stufe des Buches vom "Dreifachen Leben" noch vielfach trübe und verworren ist und die oben hervorgehobenen Gedanken nur aus dem Chaos phantastischen Überschwangs und erbaulicher Ansichten hervorleuchtende Geistesblitze sind. Ein Beispiel mag die hier noch herrschende Verwirrung von Physischem und Metaphysischem, Sinnlichem und Geistigem zeigen: In § 11 des achten Kapitels gibt BÖHME als Grund des den Junde gewordenen Schweinefleisch-Verbots an, daß sich das (bei der Verdauuung) angezündete Schweinfett mit dem Seelenfeuer vermische, ihm "seine Eigenschaft" mitteile; Gott aber könne an solch unreinem Feuer keinen Gefallen haben. Darum mahne CHRISTUS (!): Seid nüchtern und mäßig in Essen und Trinken! (1. Petr. 5,8).


c.
Die Psychologie vera, 40 Fragen von der Seelen

ist, wie BÖHME in der Vorrede selbst andeutet, nur eine weitere Ausführung der im "Dreifachen Leben" erörterten psychologischen oder besser psychosophischen Erörterungen. Trotzdem BÖHME viel von der Schrift hält, können wir sie hier übergehen, da sie für unser Thema nichts Neues bietet. - Wir kommen nun zu der Schrift, die wir oben als den Übergang zur dritten und höchsten Stufe der BÖHMEschen Theosophie bezeichneten:


d.
De incarnatione verbi
oder von der Menschwerdung Jesu Christi

Einen Übergang bildet diese Schrift zu der nächsten Stufe schon insofern, als hier die Mystik, die Versenkung des Ich in Gott und Vernichtung des Ich-Willens durch Eingehen in den erlösenden Gotteswillen sich mehr als vorher vom Schlingwerk naturphilosophischer terminie frei gemacht hat und ferner insofern, als hier die Lehre vom "Urgrund" von der absoluten Gottheit und ihrer Differenzierung "und ewigen Geburt" in drei Personen und drei, diesen korrespondierende Prinzipien zum ersten Mal klarer hervortritt, während wir noch soeben BÖHME vor dem entscheidenden Schritt stehen bleiben sahen. Der Fortschritt ist umso bemerkenswerter, als die "Menschwerdung" noch im selben Jahr (1620) geschrieben ist, wie das "Dreifache Leben" und die "40 Fragen". Daß jene Unterscheidung noch nicht ganz rein hervortritt, sondern sich nur langsam aus der früheren Anschauung emporringt, macht die Schrift zu einer Übergangsschrift.

So redet denn BÖHME am Schluß des ersten Kapitels des 1. Teils der "Menschwerdung", wie auch kurz vorher, noch im Sinne der vorhergehenden Schriften, indem er sagt: "Der  Vater  ... ist das Wesen aller Wesen. Er ist der  Ungrund  und Grund und teilet sich in der ewigen Geburt in drei Eigenschaften, als in drei Personen, auch in drei Principia; da ihrer doch in der Ewigkeit nur zwei im Wesen sind und das dritte als ein Spiegel der ersten beiden ist, aus welchem (dritten) die Welt, als ein greiflich Wesen, im Anfang und Ende geschaffen ist".

Doch schon im ersten Kapitel des 2. Teils ist die Anschauung eine andere geworden - wie denn BÖHME während des Schreibens überall mit dem Stoff ringt und ihn weiter ausgestaltet.

"In der Ewigkeit als dem  Ungrunde  außer der Natur ist nichts als Stille ohne Wesen; es hat auch nichts, das etwas gebe, es ist eine ewige Ruhe und keine Gleiche, ein Ungrund ohne Anfang und Ende ... Derselbe Ungrund ist gleich einem Auge; denn es ist sein eigner Spiegel; er hat kein Wesen, weder Licht noch Finsternis und ist vornehmlich eine Magia und hat einen  Willen  ... Mit demselben Willen verstehen wir den Grund der Gottheit, welcher keines Ursprungs ist; denn er fasset sich selber in sich ... Es ist ein begehrender Wille, der der Anfang und das Ende ist; denn das Ende machet auch den Anfang des Wilens und der Anfang das Ende wieder" ... In diesem Urgrund-Auge "beschauet sich der Wille selber, was er doch sei und in dem Schauen wird er begehrend des Wesens, das er selber ist. Und das Begehren ist ein Einziehen und ... der Wille zeugt sich im Begehren selber und modelt ihm in seinem Begehren vor, was er ist". Immer deutlicher sucht BÖHME diesen Gedanken von dem differenzierenden Willen herauszuarbeiten: "Der ewige  Anfang  im Ungrunde ist ein ewiger Wille in sich selber ... Ein Wille ist dünn als ein Nichts; darum ist er begehrend: er will etwas sein, daß er  in sich offenbar  sei. Denn das  Nichts  ursachet (veranlaßt) den Willen, daß er  begehrend  sei; und das Begehren ist eine Imagination, da sich der Wille im Spiegel erblickt, so imaginieret er aus dem Ungrunde in sich selber und machte ihm in der Imagination einen Grund in ihm selber und schwängert sich mit der Imagination".

"Der  Wille  ist der Vater und die Schwängerung im Vater als im Willen ist Herz oder  Sohn  ... So denn der Wille in ihm selber stumm wäre, so ist das Gefassete aus der Weisheit (welches Herz oder Zentrum heißt) des Willens Wort ... oder Kraft. Und ... der Wille als der Vater spricht mit Bewegung des  Geistes  die Kraft aus im Spiegel der Weisheit ... sodaß das dreifältige Wesen der Gottheit in der Weisheit offenbar wird.

Wir haben also hier den Ungrund, das dunkle, ruhende Nichts, das auf sich selbst reflektierend, einen Willen, ein Begehren nach Positiv-Sein aus sich heraussetzt, sich durch Selbstreflektion selber differenziert und das Resultat dieser Differenzierung ist das positive Prinzip. Während jener Anfang der Bewegung im Nichts oder Ungrund "Vater" heißt, wird das positive Prinzip "Sohn" genannt. Der "Geist" wird als die Wirkungskraft des "Vaters" bei diesem "Gebären" des "Sohnes" aufgefaßt. Es wird also unterschieden:
    A. Ungrund = ruhendes Absolutes
    a) Vater = Begehren nach Differenzierung
    b) Sohn = Differenzierungsprodukt
    c) Geist = Differenzierungskraft
Aber noch vermag BÖHME diese metaphysische Entwicklung nicht lange festzuhalten. Alsbald erklärt er, wieder auf seinen vorhergehenden Standpunkt zurücksinkend, Ungrund und erste Person für identisch. Dieses Ringen der beiden Entwicklungsstufen geht durch die ganze Schrift von der Menschwerdung hindurch. Es ist dies auch ganz erklärlich, da es hier ja weniger auf das Absolute und den "Vater", als vielmehr auf den "Sohn" und seine Inkarnation nebst deren Heilkonsequenzen ankam und die Metaphysik alsbald in die religiöse Ethik übergeht.

Aber das Moment des Fortschritts war doch schon gefunden und noch in demselben Jahr 1620 gelangt BÖHME auf die höchste Stufe seiner Darstellung des Gottesbegriffs, die wir die  dialektische  nennen können.

Nachdem BÖHME sie einmal erreicht hat, hält er sie in den folgenden Schriften ungefähr in gleicher Ausbildung fest; das heißt, eine weitere Ausbildung findet nicht mehr statt, nur ein gelegentliches Herabsinken auf die früheren Stufen - nicht allzulange kann er die scharfe metaphysische Höhenluft vertragen.

Während wir bis jetzt - und ich glaube das erste Mal in dieser Ausführlichkeit - den Entwicklungsgang des BÖHMEschen Gottesbegriffs durch die einzelnen in Betracht kommenden Schriften der unteren Stufen verfolgt haben, deren jede einen gewissen Fortschritt zeigt, können wir angesichts der gleichen Grundanschauung der nun folgenden Schriften ihre Aussagen über das göttliche Wesen und seinen Prozeß in zusammenfassender Darstellung wiedergeben, umso mehr, als fast alle Darsteller des BÖHMEschen Gottesbegriffs gerade auf den Schriften dieser Periode fußen.

LITERATUR Albert Bastian - Der Gottesbegriff bei Jakob Böhme, Kiel 1905
    Anmerkungen
    1) Sendbrief 12, 13. - Ähnlich in der I. Apologie wider TILKE § 356 von der Aurora: "Ich hatte geschrieben wie ein jung Kind am Mysterio Gottes, das ... noch am ABC hing."
    2) Chaos, eine Einheit, die erst die Möglichkeit einer Vielheit enthält. (Vgl. HAMBERGER, Lehre Böhmes, Seite 339). BÖHME meint, daß er einen Totaleindruck, aber noch nicht Einzelerkenntnis gehabt habe.
    3) BÖHME sagt selbst in der Vorrede § 107 (SCHIEBLER Bd. II, Seite 20): "Die ersten 7. Kapitel handeln ganz  schlecht"  (schlicht) "und  begreiflich"  (d. h. sinnlich) "vom Wesen Gottes ... mit  Gleichnissen,  damit der Leser möchte von einer Stufe zur andern, endlich in tiefen Sinn und rechten Grund kommen. Im 8. Kapitel beginnt die  Tiefe  im göttlichen Wesen und so fort, je weiter je  tiefer.  Es ist manche Species (mancher Punkt) oft wiederholt und immer tiefer beschrieben, um des Lesers,  auch meiner selbst zähen Begreiflichkeit willen." 
    4) Daher die Ausdrücke "triumphierende heilige Gottheit" (Kap. 3, § 24), "göttlicher (himmlischer) Pomp" (Kap. 9, § 17)
    5) Aurora § 4. - Daß BÖHME neben dem Bösen und Zorn auch das Gute und "dann auch" die Liebe anführt, weist schon darauf hin, daß er den "Zorn" als metaphysisches prius ansieht, die "Liebe" erst als sekundäres Produkt der "Selbstgebärung" des Göttlichen.
    6) Die Parallelisierung der 3 göttlichen Prinzipien mit der biblischen Dreiteilung des Menschen in Seele, Geist und Leib war schon bei PARACELSUS und den meisten älteren Mystikern zu finden.
    7) d. h. als eigene Wesenheit; vgl. sogleich darauf: "und wohnet in sich selber." Ebenso in dieser Arbeit: "in sich selbst wohnen" selbständig sein.