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Zur Würdigung der Kritik der reinen Vernunft [1/2]
MELLIN zählt nicht zu den "selbständigen" Philosophen, indessen gehört unter Umständen mehr Selbständigkeit dazu, die Lehren eines anderen anzuerkennen, als sie gewaltsam durch neue Erfindungen zu ersetzen. Die Rückkehr zu einer absoluten Philosophie nach IMMANUEL KANT war ein Beweis des Mißverständnisses, nicht wahrhafter philosophischer Einsicht. Unsere Vernunft hat es sehr leicht, mit transzendenten Einbildungen zu spielen, die der Widerlegung ebensosehr als der Bestätigung spotten. Trotz des Einflusses und eines nur zu getreuen Anhangs kann man in gewissem Sinne Originalität den illustren Philosophen unseres Jahrhunderts nicht nachsagen. Sie folgen nur dem Beispiel all der Männer, die in der 2000-jährigen Geschichte der Philosophie dichtend und grübelnd vorausgegangen sind. Wer kann in einer absoluten Metaphysik Entdeckungen machen, die sich nicht mit irgendeinem früheren Gedanken nahe berühren? KANT kritisiert nicht weniger als alle nur möglichen Richtungen; nicht ruhmredig, sondern seiner Einsichten gewiß, macht er sich anheischig [erklärt sich bereit - wp], in jedem dogmatischen Beweis den Fehler aufzudecken. Man darf überzeugt sein, daß es für ihn ein Leichtes gewesen wäre, die möglichen "Prinzipien" neuer dogmatischer Versuche zu diskutieren und seinen allgemeinen kritischen Untersuchungen einzuordnen. Es ist auf diesem Gebiet nicht mehr gut möglich, Neues zu erfinden; der Entdecker aber hat in übersinnlichen Gefilden nichts zu hoffen. "Der Irrtum liegt an der Oberfläche, die Wahrheit verbirgt sich in der Tiefe." Es ist leicht zu kritisieren, schwer die Wahrheit zu finden. Aber bei KANT vereinigt sich beides: er kritisiert allgemein, jeder Fehltritt der Vernunft oder der Urteilskraft findet in seinem System eine Stelle, aber weit darüber hinaus belehrt er uns über den Ursprung und die Quelle von Täuschungen und Truggebilden, denen sich frühere Versuche nicht zu entziehen vermochten. Der Einfluß der Kritik macht sich heute weit mehr durch das geltend, was wir nicht sehen, was verschwunden ist, als durch das, was sich dem Auge bietet. Ein Blick auf die metaphysischen Schriften des vorigen Jahrhunderts läßt uns leichter verstehen, wie nötig die kantische Tat war. Finden die metaphysischen Lächerlichkeiten, mit denen in jener Zeit die Akademien behelligt worden sind, keine Statt mehr, so hat dennoch der scharfe kantische Besen noch heute sein Arbeitsfeld. Moderne Metaphysik tritt freilich vorsichtiger auf, aber wor sie mit Mutmaßungen und Wahrscheinlichkeiten in übersinnlichen Gebieten operiert, ist sie die Widerlegung nicht wert. Diese "Hypothesen" verwechseln samt und sonders Erscheinungen (und was für sie gilt) mit Dingen-ansich, auf die unsere Begriffe keine Anwendung haben. Die Kritik der reinen Vernunft kann durch sie nicht umgestoßen werden und so sicher sich ihr Urheber seinen Platz neben ARISTOTELES bestimmt hat, so sicher werden ihre Fragen nicht eher zur Ruhe kommen, als man nicht mehr von Kantianern, d. h. von den Anhängern einer Partei reden wird. KANT war Partei für alle edlen Interessen der Menschheit, wo es sich aber um die Fragen des Wissens handelt, war der wahrheitsliebende Philosoph so wenig ein Parteigänger wie EUKLID. Die Kr. d. r. V. steht über den Parteien. Daß nicht alles kantisch ist, was sich dafür ausgibt, braucht nicht erst gesagt zu werden; wenn es verschiedene Auffassungen der Kritik gibt, so können sie nicht alle recht haben. Die Kr. d. r. V. ist aus einem Guß und kann nur auf eine Weise verstanden werden. Mit einer vollständigen Fassungslosigkeit gegenüber ihren Zielen und Zwecken erscheint heute nicht selten eine Gönner- und Freundschaft der Kritik, für die sich KANT selbst hätte bedanken müssen. Man macht sich mit leichter Phrase vom Buchstaben frei, tritt in allen "haltbaren" Positionen für den Königsberger ein und eröffnet sich damit nur das Recht, den Philosophen ohne große Bedenken mißzuverstehen. Man lasse sich durch schöne Redensarten nicht blenden. Die Kritik läßt sich nur durch eine systematisch vollständige Gegenkritik ersetzen, sie ist aber nicht durch Argumentationen abzutun, die mit einem ganzen Lexikon von Schlagworten den geschmeichelten Leser präokkupieren [vorweg einnehmen - wp]. Die Kritik bildet ein festes Gefüge. Es geht ihr gegenüber nicht an, das eine Mal ja und an derer Stelle nein zu sagen, wenn man das Gleichgewicht des Systems nicht stören will. KANT hat das selbst häufig genug ausgesprochen, aber man scheint seine Versicherungen nicht ernst zu nehmen. In jenem Gleichgewicht lag für KANT eine Gewähr seiner Arbeit. Es gehört zu den ersten Bedingungen des Verständnisses der Kritik, daß man die Notwendigkeit des Systems und die mit ihm verbundene Selbstkontrolle der Gedanken nicht glauben, sondern einsehen lernt. Wenn der so rechthaberische KANT sich keine Mühe verdrießen läßt, zu überzeugen, wenn er unermüdlich mit Gründen der Vernunft vor dem freien Gerichtshof der Vernunft plädiert, so hat man heutzutage vielfach das Vertrauen zu seiner eigenen Vernunft vollkommen verloren. Man spottet über eine reine Vernunft und hat die Sinnlosigkeit des nur "wahrscheinlichen" Kausalgesetzes, d. h. eines unsicheren Verstandes erfunden. Die kantische Revolution der Denkungsart hat man aus Worten kennen gelernt, und es ist häufig nur beim unbegriffenen Wort geblieben. Man hat nicht einmal die "Teile in der Hand", geschweige daß man das "geistige Band" zu schlingen imstande wäre. Von einem transzendental gebrauchten Verstandesbegriff des dogmatischen, vom naiven Bewußtsein verleiteten Philosophen sich loszulösen und zur Einsicht in das formale Gesetz unseres Denkens überzugehen, das fordert allerdings kritisches Denken. Man muß sich davon frei machen, zwischen beiden entgegengesetzten Polen hin und her zu schwanken, um einen festen Standpunkt einzunehmen. Man soll nur sich selber recht verstehen lernen. Wer von der Sinnlichkeit, vom Verstand, von der Einbildungs- und Urteilskraft und von der Vernunft spricht, der scheidet von ihnen in Gedanken alles Besondere aus, was ihnen jemals anheimfällt; alle diese Vermögen sind mit Gegenständen von unendlicher Verschiedenheit beschäftigt. Aber dennoch verlangt der Nachbar vom Nachbarn, daß er bei demselben objektiv bestimmten Gegenstand dieselben Bestimmungen anerkennt. Sieht man von diesen besonderen Bestimmungen ab, so hat man ein Recht, von den Bestimmungsmöglichkeiten selbst, als von den notwendigen Gesetzen einer gemeinsamen allgemeinen Vernunft zu sprechen. Man kann diese Gesetze als schlechthin allgemeine, d. h. formale ableiten; sie kommen sofern nicht von den Dingen, sondern vom Subjekt, dem sie als Bedingungen der Erkenntnis von Gegenständen, d. h. aber als Bedingungen der Gegenstände selbst seinerseits innewohnen. Sofern es nur eine einzige sichere, für alle geltende Aussage gibt, so muß sich mit Rücksicht auf sie auch die Gesetzlichkeit der Vernunft als eine notwendige einsehen lassen. KANT kennt nur ein Wissen von empirischen Objekten, aber für dieses Wissen enthält die Vernunft die Bedingungen. Der gedankenlose Empirismus möchte diese Vernunft gleichsam mit Händen greifen und mit seinen Augen sehen, und doch macht er selbst von der hier geforderten Abstraktion in allen seinen Untersuchungen Gebrauch. Das Einmaleins ist eine solche schon dem Kind zugemutete Abstraktion; für sich ohne jede Bedeutung, gilt es doch für alles, was jemals gezählt und gerechnet werden kann. Bei dieser unmittelbaren Einsicht kümmert uns die Mannigfaltigkeit der Objekte gar nicht, wir sind nicht bloß der Apodiktizität [sicheren Gewißheit - wp], sondern auch der Geltung jener einfachen Zahlformeln gewiß, was wir ihnen auch einordnen. Nur zählbar muß das sein, was wir hier einordnen. Ein mit fünf multiplizierter Rechtsgrundsatz gibt einen Nonsens ebenso wie ein fünfmal genommenes Ding-ansich. - Man kann uns noch so oft beschreiben, wie das Kind an Gegenständen jene Formeln zuerst anwenden lernt, so berührt uns diese Frage in der Erkenntniskritik gar nicht, wo wir nur nach der Möglichkeit fragen, auf der dieses mit einem unzweideutigen, unausweichlichen Zwang der Vernunft vor sich gehende Erlernen beruth. Daß eine solche reine Vernunft für sich bedeutungslos und nur mit Rücksicht auf die Erkenntnis realer Objekte oder auf die praktische Verwirklichung ihrer Ideen in der Erfahrung selbst zu begreifen ist, wußte niemand besser als IMMANUEL KANT. Die Kritik verdankt dieser natürlichen Auffassung ihre Entstehung. In jeder reinen, d. h. allgemeinen und notwendigen Erkenntnis ruht nur die Möglichkeit der Erfahrung. Eben diese Einsicht schränkt unser Erkenntnisvermögen auf Gegenstände ein, die uns gegeben werden können. Von dieser Einschränkung befreit, werden alle unsere Begriff sinnlos, d. h. sinnenleer. Alle jene reinen Quellen der Erkenntnis fließen nur zu dem einen Zweck, reale, in der Anschauung gegebene Objekte zu bestimmen und ihre empirische Erkenntnis zu wissenschaftlicher, systematischer Einheit zu verknüpfen. Wenn man aber das Gesetz irgendeiner isoliert gedachten Erscheinung, wie z. B. des freien Falls, bestimmt, obwohl niemals dieser freie Fall rein zu beobachten ist, so hat man aich ein Recht, all jene Erkenntnisfaktoren mit Rücksicht auf ihren Zweck abgesondert zu denken und so sich selbst im Gebrauch seiner Vernunft verstehen zu lernen. KANT hatte die Bekämpfung seiner Lehre nicht zu fürchten, was ihr allein Gefahr bringen konnte, war das Mißverständnis. Er hat dem spekulativen Philosophen als "Depositar [Verwalter - wp] der Vernunftkritik" ein Vermächtnis hinterlassen. Verdient die Philosophie den Namen einer Wissenschaft, so muß sie dafür Sorge tragen, daß Lob und Tadel der Kritik sich auf ein vollständiges Verständnis der Gedanken stützt, die jeweils dem Urteil unterliegen. Daß jedermann seine eigene Privat-Weltanschauung hat, kann man viel eher ertragen, als daß sich jedermann seinen Privat-Kant konstruiert, dem er anhängt oder gegen den er zu Feld zieht. Es ist eine Pflicht der Philosophie, den Streit um KANT vollständig auszutragen; das kann nur geschehen, wenn an die Stelle einer nicht selten voreiligen "Kantkritik" oder einer die "intimste" Kenntnis der Absichten und Gedanken affektierenden "Kantforschung" zunächst einmal ein viel gründlicheres und tieferes Kantstudium tritt. Nur zu oft trägt der Kantkritik nichts anders als die Lücken seines eigenen Verständnisses zur Schau. Kein Wunder, daß man sie in die Kr. d. r. V. selbst verlegt.
Der Polyhistor CASAUBONUS fragte im Disputiersaal der Sorbonne: Was hat man uns hier ausgemacht? So fragt auch KANT, und das Recht auf diese Frage ist bis zum heutigen Tag nicht verwehrt. Was kann ein ewiger, jeder Entscheidung spottender Streit der Wissenschaft nützen? Sollen wir uns mit dem Schlagwort abfinden lassen, daß er der Vater aller Dinge ist? Man fordert Resultate, aber man fährt fort, sich im Kreis zu drehen. Nie verlegener Witz belehrt uns, daß es zwar rundum, aber doch in der Spirale vorwärts geht. Woran aber kann man diesen Fortschritt selbst erkennen? Wo sind die sicheren, untrüglichen Merkmale, die uns das kund tun? Sind sie nicht selbst ein Gegenstand des Streits? An aller metaphysischen Erkenntnis verzweifelnd, hatte ein Mann wie DAVID HUME der Welt zugerufen:
HUMEs Einfluß auf KANT ist eine bekannte Tatsache; aber es ist ein Unrecht, sich mangels eigener Klarheit für seine Zweifel gegen KANT auf HUME zu berufen. Bei aller Skepsis ist auch dieser Mann kein Vernunftverächter, wenn er die Hoffnung ausspricht, die Frage nach der Natur der menschlichen Erkenntnis könne vielleicht doch einer gücklicheren Lösung entgegengehen. HUMEs Skepsis bedeutet nicht mehr und nicht weniger als einen konsequenten Empirismus; sie ahnt Schranken, die sie nicht zu bestimmen vermag, aber sie selbst hält sich vorsichtig auf dem Gebiet der Erfahruhng, deren Horizont erst der Nachfolger mit unbedingter Sicherheit ausmißt. Zwischen der phantasierenden Schwärmerei, wie sie auch LOCKE nicht zu beheben vermochte, und der auf völlige Einsicht verzichtenden Skepsis nimmt die Kritik ihren Platz ein. Der Name der Kritik (der Beurteilung) ist wohlweislich gewählt. Beurteilt der Kritiker meatphysische Versuche mit seiner eigenen Vernunft, so will er doch ein allgemeines Votum der Wissenschaft abgeben, die er vertritt. Dazu gehören Prinzipien, die man also auch feststellen kann. KANT will freilich nicht "Bücher und Systeme" kritisieren, aber er verlangt einen "Gerichtshof" der "grundlose Ausmaßungen nicht durch Machtsprüche, sondern nach den ewigen und unwandelbaren Gesetzen" der Vernunft abfertigt; dieses Tribunal ist die Kritik der reinen Vernunft. Vor diesem Gericht erweisen sich die dogmatischen Versuche einer sich über alle Erfahrung erweiternden Vernunft als das, was sie in Wirklichkeit sind: Täuschungen, die ein schier unüberwindlicher dialektischer Schein uns vorspiegelt. Der oberflächliche Empirismus aber wird schon an der Schwelle abgewiesen. Hebt alle Erkenntnis mit der Erfahrung an, so entstammt ihr doch nicht eine jede. Wenn der Empirist seine Verstandesbegriffe als von Erfahrungen abstrahiert ansieht, so müssen sie eben in diesen Erfahrungen schon gewesen sein. Wie sind sie hineingekommen? Welches sind die ursprünglichen, nicht weiter zerlegbaren Elemente unseres Anschauens und Denkens, die sich in aller Erkenntnis vorfinden? Wie sollte man sie von den Gegenständen gewinnen, wenn sie diese selbst erst bedingen? Gleichviel wie sich der Entwicklungsprozeß des Individuums oder der Wissenschaft vollzieht: Allgemeine, für das Denken eines jeden Gegenstandes ohne empirischen Unterschied notwendige Begriffe entstammen dem Erkenntnisvermögen und nicht den Dingen. 3. So sicher wir ohne Erfahrung von nichts, und nicht einmal von uns selbst eine Kunde haben würden, so berechtigt sind wir, sie selbst nach ihren Elementen zu scheiden. Das gibt eben den Unterschied reiner und empirischer Erkenntnis. Die Erfahrung als solche lehrt uns nur, was wir in der Wahrnehmung durch Empfindung erhalten. Das ist für jedes Individuum verschieden; wir können auch von keiner Erscheinung das a priori wissen, was sie von jeder anderen als diese bestimtme trennt. Nur um die Möglichkeit dieser Bestimmungen selbst ist es der Kritik zu tun. Daß der Donner dem Blitz folgt, daß der Schall eine langsamere Art der Fortbewegung hat als das Licht, kann man nicht a priori wissen, obwohl in unseren physikalischen Erklärungen dieser Erscheinungen apriorische Elemente enthalten sind. In der Erkenntnis begegnen sich zwei Faktoren, von denen der eine einen zufälligen, der andere einen notwendigen Charakter hat. Die reine Erkenntnis läßt sich von der zufälligen, anders denkbaren scheiden, und ihre Möglichkeit bedeutet eben eine allgemeine Menschenvernunft, die sich in ihrem reinen, von der Zufälligkeit der Objekte unabhängigen Gebrauch nur in einer gesetzmäßigen Weise entwickeln kann. Sie ist das alle erkennenden Wesen unserer Art umschlingende Band, das ebensosehr die völlige Übereinstimmung in der Logik und Mathematik, wie den Streit über irgendwelche wissenschaftliche Fragen möglich macht. Selbst dieser Streit wäre ohne die Möglichkeit, richtiges Denken vom Irrtum zu trennen, sinnlos. Sicherlich ist jede eingesehene Wahrheit in gewissem Sinne auch Erfahrung. Der geometrische Satz, den ich jetzt denke, ist mir historisch überliefert, und daß ich ihn jetzt denke, ist eine Tatsache meiner inneren Erfahrung. Indessen sehe ich ihn mit Notwendigkeit und Allgemeinheit ein, und das gibt ihm einen ganz anderen Charakter als der Tatsache selbst. Diesen mächtigen Unterschied, der keinerlei mystische Vorstellungen vom Apriori bedingt, kann niemand in Abrede stellen. Der mathematische Satz kann nicht ebenso von Erfahrungen, von einzelnen Beispielen, abgezogen sein, wie die Regel der Aufeinanderfolge von Blitz und Donner. Wir sehen nur als notwendig und allgemein ein, was in der eigenen Vernunft begründet ist, und es ist nur ein Resultat bescheidener Vernunft, das in der kantischen Kritik sich geltend macht: Unsere reine Vernunft lehrt und den Anteil kennen, den wir an jeglicher Erkenntnis von realem Inhalt beisteuern. Jede Erkenntnis von Objekten hat zwei Elemente, eine Form und einen Inhalt, eine Materie; diese wird uns aufgenötigt, jene geben wir hinzu. Alles, was zum reinen Erkenntnisvermögen gehört, läßt sich unabhängig von einem Inhalt besonderer Natur für sich betrachten und erkennen. Die Mathematik ist sofern nichts anderes als eine Art der Selbsterkenntnis, die Notwendigkeit und Allgemeinheit ihrer Sätze ist ein Kennzeichen für die Beisteuer unserer eigenen Vernunft, die aber nur formale Kriterien geben kann. Eben der andere Faktor gibt ihr erst einen Inhalt, der ihren Formen gemäß sein, aber doch erst, wie die Erscheinungen des Blitzes und Donners, gegeben sein muß, wenn man die Formen auf ihn anwenden will. Wo jemals eine reine Wissenschaft sich von beliebigem Inhalt frei gemacht hat, da legte sie ein Zeugnis ab für eine allgemeine Vernunft. die letzte Frage, die uns hier zu lösen möglich ist, stellt sich noch über jene reinen Disziplinen und will wissen, wie sie möglich sind, d. h. wie man aus reiner Vernunft von möglichen Gegenständen etwas wissen kann. Die Antwort gibt transzendentale Einsichten, díe sich auf keinen besonderen Gegenstand, sondern auf seine allgemeine Möglichkeit als Erkenntnisobjekt beziehen. Den Anlaß zu dieser Frage gibt die Metaphysik selbst, sofern sie nicht bloß unsere eigenen, keiner Erfahrung entnommenen Begriffe deutlich machen, sondern auch von jenseitigen Objekten Bestimmtes a priori zu wissen vorgibt. In diesem Problem knüpft KANT an die skeptischen Untersuchungen seines englischen, ebenso scharfsinnigen wie geistreichen Vorgängers an. Bei beiden ist die Metaphysik mit ihren Schlüssen auf Übersinnliches in Frage gestellt, nicht die Physik. Gleichviel, ob sich der Metaphysiker nur im Reich der Ideen bewegt, oder ob er von der Erfahrung ausgeht und von ihr seinen Absprung in andere Regionen bewirkt, seine Schlüsse sind ein Gebrauch a priorischer Begriffe. Mit empirischen Begriffen kann man nicht ins Jenseits wandern. Das ist sinnlos; eben deshalb ist auch für die Kritik nur in Frage, was reine Begriffe zu leisten vermögen. 4. HUME behandelt in seinem berühmten Essay wie sein Nachfolger die Frage der Metaphysik. Was HUME in der Erforschung eines einzigen Begriffs, der Kausalität, zu leisten versucht, das findet in der kantischen Kritik eine allgemeine, systematische und anhand eines glücklich entdeckten Prinzips eine erschöpfende Lösung. Was kann die reine Vernunft in der theoretischen Erkenntnis leisten?`Das ist die kantische Frage, deren Beantwortung über die Metaphysik notwendig zu entscheiden hat, sofern sie übersinnliche Objekte zu erkennen, d. h. unter bestimmten Prädikaten zu denken sich vorsetzt. Die Frage ist zur Hälfte beantwortet, wenn man die reine Vernunftleistung der formalen Logik, die bloße Erwägung leerer Denkformen, richtig einschätzt. Die Gesetze der Logik sind schlechthin allgemein und gelten für alles, was wir auch zu denken uns vorsetzen, ob empirische oder transzendentale oder überhaupt erdichtete Gegenstände. Die bloßen Denkformen setzen immer schon einen Gegenstand voraus; wir ordnen und vergleichen in ihnen unsere Vorstellungen, oder auch unsere Urteile selbst, aber wir bestimmen durch sie keine Objekte. Eine Wissenschaft, die für alles Denken ohne Unterschied Normen gibt, kann nur auf eine logische Ordnung der Gedanken abzielen und muß einen jeden nur erdenkbaren Gegenstand gut heißen. Die logische Ordnung der Gedanken allein kann aber nicht für die Wahrhaftigkeit ihres Inhalts einstehen. Die reine Erkenntnis hat an der allgemeinen Logik kein Organon, wenngleich diese ihr eine oberste Bedingung stellt. Es bleibt also von jener Frage noch ein Teil übrig, der das Wesen der Kritik ausmacht. Wie ist es möglich, durch reine Vernunft eine Erkenntnis von Objekten zu bewirken? Diese Frage ist transzendental und läßt nur eine Lösung zu. Man vergesse nie, daß der Philosoph seine Arbeit im Interesse der Metaphysik und erst in zweiter Linie zugunsten der Physik und Mathematik leistet, die ihren eigenen "Probierstein" der Wahrheit haben. Physik und Mathematik als wirkliche, anerkannte und zweifellos in stetigem Fortschritt befindliche Wissenschaften müssen im Gegenteil als Zeugen dienen. KANT will sie trotz seiner Abwehr philosophischer Schikanen nicht stützen; wenn er ihr von der reinen Vernunft gesponnenes Gewebe bloßlegt, so will er zeigen, daß man mit ihren reinen Begriffen sich deswegen nicht über alle Erfahrung sich hinauswagen darf, weil sie nur in der Erfahrung allein Sinn und Bedeutung erhalten können. Reine Begriffe und Urteile sind nur mit Rücksicht auf mögliche Erfahrung als gültig einzusehen. Auf den unsinnigen Zweifel unserer Zeit, der auch dem empirischen Gebrauch der Begriffe zu nahe tritt, war IMMANUEL KANT noch nicht gefaßt. Ihm erscheinen "Gleichgültigkeit und Zweifel" gegenüber der dogmatischen Metaphysik als "Beweise einer gründlichen Denkunsart", während er Klagen über die "Seichtigkeit" seiner Zeit mit dem Hinweis auf die von der Metaphysik skeptisch sich abwendende Mathematik und Physik und ihren "alten Ruhm der Gründlichkeit" zu widerlegen suchte. Kein Zweifel, daß der Gedanke einer reinen, für sich erkennenden Vernunft schon der dogmatischen, d. h. aus reinen Begriffen entwickelnden Metaphysik völlig klar gewesen ist. Dafür ist das System SPINOZAs, die Philosophie eines LEIBNIZ Zeuge. Man wußte sehr wohl, daß man über jenseitige Objekte, die sich der Wahrnehmung entziehen, nur in der menschlichen Vernunft Aufschluß zu suchen hatte. Das ist eben das Wesen des dogmatischen Rationalismus, durch reines Denken sich auch über Dinge zu belehren, wie sie in den Sinnen nicht vorgefunden werden. Was man bei diesen Bemühungen übersehen hat und was keinem der Intellektualphilosophen vor KANT völlig klar geworden ist, bezieht sich auf die Natur der Logik und der Mathematik, reiner Vernunftwissenschaften, deren Bedeutung die Kritik endgültig zur Einsicht bringen will. Man bemerkte nicht, daß die formale Logik, als Organon mit Bestimmungsgründen objektiver Natur ausgestattet, notwendig dialektisch wird, man verkannte, daß die Mathematik samt den reinen Begriffen, in deren Gebrauch sich die Metaphysik mit einer reinen Physik berührt, nur Bedeutung hat, sofern durch sie mögliche Objekte bestimmt werden. Wenn es dem Mathematiker gelingt, eine Wissenschaft aus seinem Haupt zu spinnen - so bildet man sich ein - warum sollte nicht auch der Metaphysiker mit Axiomen, Definitionen und Demonstrationen auf den Plan rücken dürfen? Diesem überaus naheliegenden Vorurteil macht die Vernunftkritik ein Ende. Sie ist nicht töricht genug, der auf unmittelbar einleuchtenden Axiomen ruhenden Mathematik den Charakter einer reinen Vernunftwissenschaft abzusprechen, aber sie läßt sich nicht dadurch irreführen, daß im mathematischen Beweisgang die Regeln des formalen Denkens in ihrer schematischen Form die Führung übernehmen. Wir haben hier nicht nur eine reine Verstandesoperation, sondern auch ein reines, in der Anschauung mögliches Objekt, das uns a priori zur Bestimmung gegben ist. Wenn man aus dem Begriff eines Körpers, der vor unseren Augen gegeben ist, alles wegnimmt, was von ihm empfunden wird, so bleibt als Rest der Begriff eines mathematischen Körpers, der für sich bestimmbar ist. Auch dieses Bestimmbare gehört zur reinen Vernunft, aber die Bestimmung des a priori gegebenen Faktors hat nur einen Sinn, weil dieser Faktor unsere reine Sinnlichkeit selber ist, die aller empirischen notwendig zugtrunde liegt. Diese reinen Sinnlichkeit ist eine Abstraktion, die so legitim ist wie die andere, für deren Verständnis sie sorgt, nämlich wie die Abstraktion der Mathematik selbst. Wie der Verstand die Möglichkeit bedeutet, Objekte allgemein zu denken, so hat er die Funktion, reine Gesetze möglicher Objekte zu entwickeln, weil auch der Sinnlichkeit allgemein, von der Einzelerfahrung unabhängige Formen zugrunde liegen. Der Mensch erhält vom Raum und von der Zeit keine Kunde durch die Dinge, sondern umgekehrt, er kann von den Objekten etwas erfahren, weil Raum und Zeit in seinem Erkenntnisvermögen als a priori gegebene Formen der Sinne schon gegeben sind. Und kehren wir die Beziehung um, so kann auch von einer reinen Anschauung nicht die Rede sein, wenn es nichts gibt, das in ihr angeschaut werden kann. "Wenn nicht ausgedehnte Wesen wahrgenommen werden, so kann man sich auch keinen Raum vorstellen." Nur weil es Reales gibt oder weil es gegeben ist, kann auch von einer Form die Rede sein, in der es angeschaut wird. Das Apriori und Aposteriori bedingen sich gegenseitig, aber die Form geht dem Inhalt voraus, weil sie für sich mit Allgemeinheit und Notwendigkeit erkannt, d. h. antizipiert werden kann (1). Raum und Zeit sind mit dem Subjekt notwendig verbunden, es kann sich von ihnen nicht lösen, und wenn der Verstand die unbezweifelbare Fähigkeit hat, von ihnen zu abstrahieren, d. h. raum- und zeitlose Dinge zu denken, so soll er sich hüten, die logische Operation mit einer realen oder mit einer solchen zu verwechseln, die ein Erkenntnisobjekt übrig läßt. Er denkt dann noch ein Etwas überhaupt, aber dieses Etwas ist völlig unbestimmt und unbestimmbar. Bestimmte Objekte gibt es nur in den Sinnen. Ohne Raum und Zeit unterscheiden wir nur Begriffe des Verstandes, d. h. die Begriffe, durch die unterschieden wird, sofern es etwas gibt, das zu bestimmen ist. Man erschwert sich das Verständnis dieser Gedanken, wenn man mit seinen Fragen auch nur einen Schritt weiter geht, als das Problem des Philosophen es zuläßt. KANT will in der Kritik nur das Verständnis des eigenen Erkennens herbeiführen. Man soll sich selbst verstehen lernen, die Bedingungen einsehen, durch die etwas als mein Objekt gedacht und erkannt, zugleich aber auch ein Objekt für jeden unter denselben Bedingungen erkennenden Verstand werden kann. Diese unseren eigensten Besitz betreffende Aufgabe ist mit unbedingter Sicherheit lösbar trotz aller gedankenlosen Skepsis unserer Tage, die völlig vergißt, daß sie auch dieselbe Frage, deren Lösbarkeit sie zu bestreiten nicht müde wird,m eine apodiktische [mit Sicherheit gewiß - wp] Anwort gibt. Indem KANT Bedingungen der Erkenntnis feststellt, macht er diese Bedingungen relativ auf die empirische Erkenntnis begreiflich, in deren unangefochtenem Besitz die Wissenschaft und der gemeine Verstand seit Jahrtausenden ist. Aber er geht nicht weiter. Wie diese Bedingungen ansich möglich sind, nach dem jenseitigen Grund fragt er nicht. Gleichwohl sind seine kritischen Einsichten nicht empirisch; was nur als allgemeine Bedingung der Erfahrung angesehen werden kann, ist eine transzendentale aus Erfahrungen selbst ableitbare, sondern diese selbst allgemein beurteilende Erkenntnis. KANT opfert nichts von dem immer behaupteten Zand mathematischer Lehren, wenn er sie nicht auf der Logik allein beruhen läßt; hier ist der Philosoph so oft mißverstanden worden, als man aufgrund der logischen Möglichkeit andere als die Axiome EUKLIDs behauptet oder nur als möglich hingestellt hat. KANT erklärt jenen Zwand nur anders und zwar zum ersten Mal so,m daß die alten Zweifel an der Wirklichkeit der Außenwelt ebenso wie die philosophischen Schikanen gegenüber der Mathematik ihren Sinn völlig einbüßen. Der Mathematiker bestimmt a priori die Möglichkeit von Objekten im Raum und in der Zeit, er bestimmt durch seinen Verstand eine reine Anschauung nach den Begriffen der Größe und Eigenschaft (Gestalt), und diese reine Anschauung liegt aller empirischen notwendig zugrunde. Nur für die in den Sinnen gegebene Welt hat unsere reine Vernunft konstitutive Prinzipien, und nur auf uns gegebene oder für uns mögliche Gegenstände beziehen sich alle Regeln, nach denen wir unserem Erkenntnisvermögen gemäß urteilen. Man lasse sich durch empirisch-psychologische Erwägungen nicht in dieser Aufgabe irreleiten. Alle Erscheinungen, die man hier erörtert, setzen für die Beurteilung Raum und Zeit schon voraus, wie sie von KANT erwogen werden. Es wäre keine Sinnestäuschung feststellbar, wenn nicht schon Gesetze des Raumes und der Zeit anerkannt würden. Man kann den empirischen Gebrauch apriorischer Begriffe und Formen beim Einzelnen wiederum empirisch untersuchen; aber man kann daraus nichts gegen diese Begriffe und Formen ableiten, weil man sich ihrer selbst schon immer notwendig bedient. Raum und Zeit sind nicht Eigenschaften irgendwelcher Dinge-ansich, die unabhängig von unserer Sinnlichkeit dem Verstand gegenübertreten; unser Verstand bezieht vielmehr alle seine Begriffe auf Erscheinungn, d. h. auf Gegenstände, die im Raum und in der Zeit, also in unseren Sinnen anzutreffen sind. Und von Raum und Zeit hat der Verstand den Gegenstand loszulösen, wenn er ihn mit dem Metaphysiker als ein reines Gedankending denken will. Solchen Gedankendingen aber entsprechen keine möglichen Objekte. Weit entfernt, daß diese von KANT ein- für allemal festgestellte Tatsache die Objekte unserer Erkenntnis in Schein verwandelt oder daß auch nur ein solcher Unsinn aus kantischer Lehre folgt, wird vielmehr durch sie zum ersten Mal in der Philosophie klar erkannt, wie reine Mathematik möglich und wie durch sie der Gegenstand der Erkenntnis nach apriorischen Gesetzen bestimmbar ist. Man erörtert zuweilen das Problem, wie eine reine Sinnlichkeit mit der empirischen koinzidieren [zusammentreffen - wp] kann. Das erweckt das komische Bild des zerstreuten Gelehrten, der seine Brille auf der Nase hat und sie dennoch sucht. Mit der reinen, allgemein gültigen, notwendig mit uns verbundenen Anschauung ist eben die Tatsache erklärt, daß wir für die Erkenntnis der mathematischen Gesetze der empirischen Anschauung nicht bedürfen, daß diese Gesetze von allen empirischen Unterschieden unabhängig und dennoch für alles gültig sind, was wir ihnen jemals einzuordnen vermögen. Wenn wir, wie oben geschehen, von einem physikalischen Körper alles absondern, was ihnen zu diesem bestimmten Körper macht, so bleibt der Begriff eines mathematischen Körpers. Aber hier behalten wir nicht den Begriff eines Begriffs, einer Verstandeshandlung, sondern den Begriff einer von allem Empirischen gesonderten, d. h. einer reinen Anschauung übrig. Es bleibt kein reales, ansich seiendes Objekt, ein geheimnisvolles Etwas, das für sich existiert und ein ansich seiendes Ding als erste materiale Grundlage möglich machte. Nur die Form eines möglichen Gegenstandes der Erfahrung bleibt übrig. Niemals hätte KANT bezweifelt, daß wir zu dieser Abstraktion zeitlich nur nach gemachten Erfahrungen gelangen können. Aber seine Frage ist eben etwas tiefer liegen: Wie ist es möglich, daß man jene Abstraktion nicht allein vollziehen, sondern daß man sie in der Aufstellung einer sich beständig erweiternden Wissenschaft, der Mathematik, aufrecht erhalten und dennoch für alle möglichen Gegenstände der Erfahrung Gesetze a priori entwickeln kann? Für diese Frage kann allein die kantische Antwort einen befriedigenden Aufschluß geben. Und an ihr ist wesentlich kantisch, daß Raum und Zeit Bestimmbares und nicht Bestimmendes, daß sie Anschauungen und nicht Begriffe, weder empirische noch allgemeine Verstandesbegriffe (wie Subsistenz und Inhärenz), sind. Es bleibt bei jener Abstraktion weder eine geheimnisvolle Substanz noch eine Eigenschaft übrig, die der eine Körper auszieht, um sie bei der Ortsveränderung dem Nachfolger zu zedieren [überlassen - wp]. Der Rest ist wirklich eine in Gedanken von aller Empfindung frei gedachte Anschauung, d. h. aber nichts als die Möglichkeit empirischer Anschauung. Die mathematischen Begriffe haben samt den mathematischen Grundsätzen nur sofern objektive Gültigkeit, als sie sich auf empirische Anschauungen beziehen können. Die Mathematik hat sich auch ohne diese klare Einsicht entwickelt, und die "Schikanen" einer "seichten" Philosophie mit ihren bis auf den heutigen Tag ängstlich konservierten kritiklosen Sorgen um die Gültigkeit der apodiktischen Sätze haben niemals vermocht, ihrem Fortschritt Einhalt zu gebieten. Aber wie gesagt, nicht über die keinem Zweifel unterliegende Mathematik, sondern über die nicht hinreichend konsolidierte Metaphysik soll entschieden werden. Wenn Raum und Zeit nur Formen der Sinnlichkeit sind, so kann man mit ihnen nicht mehr über alle Erfahrung hinaus wollen. Keine Metaphysik ferner, die mit bloßen Begriffen operiert, kann sich auf Mathematik berufen, wenn für diese reine Erkenntnis ein Gegenstand als Inhalt nachgewiesen ist, der a priori dem Subjekt zugehört und für sich kein Dasein führen kann. Ein völlig unsinniger Gedanke, der Raum und Zeit zu ansich bestehenden Undingen und damit jede konsequente Auffassung der eigenen Vernunft unmöglich macht. 5. Aus KANTs Lehre vom Raum und von der Zeit folgt seine Unterscheidung von Dingen-ansich und Erscheinungen mit Notwendigkeit. Wir beurteilen und bestimmen nur, was in den Bannkreis des Subjekts eintritt, was wir im Raum und in der Zeit vor uns hinstellen und in ihnen zu verbinden vermögen; die Dinge-ansich aber, von unseren Sinnen befreite Wesen, können nicht voneinander unterschieden, also auch nicht bestimmt, d. h. erkannt werden. Wir haben kaine Objekt ohne Raum und Zeit, d. h. ohne sinnliche feststellbare Unterschiede; jede empirische Erkenntnis setzt Raum und Zeit immer schon voraus, also sind Raum und Zeit apriorische Bedingungen der Objekte. Denken wir noch einen transzendentalen, unerforschlichen Grund der Erscheinungen und nennen wir ihn Ding-ansich, so können wir freilich sagen: das Ding-ansich liefert der Sinnlichkeit in der Empfindung den Stoff zu Anschauungen, unser Verstand aber hat es mit diesem Stoff und nie mit seinem Ursprung zu tun, er erhält von der Sinnlichkeit sei es reine oder ihnen notwendig gemäße empirische Anschauungen, und sie allein bilden den Stoff für unseren urteilenden, durch Begriffe bestimmenden Verstand. Es tritt also kein für sich seiendes Ding in einen unmittelbaren Rapport [Beziehung - wp] mit unserem Verstand. Man sollte denken, daß bisher keine Tatsache diese Lehre verleugnet und kein begründetes Denken dagegen unsere Wirklichkeit anzutasten vermocht hätte. Was wir beurteilen, das ist unsere Vorstellung, und "alle Vorstellungen haben, als Vorstellungen ihren Gegenstand und können selbst wiederum Gegenstände anderer Vorstellungen sein". Aber wir kommen niemals auf ein Letztes, von dem wir sagen könnten: Hier haben wir nun den Urgrund aller Erscheinung, der auch unabhängig von unserer Sinnlichkeit in bestimmbarer Weise da ist. Immer finden wir in der Erkenntnis von Gegenständen "bloße Verhältnisse", sei es der
Wir können so weit denken, wie es die Philosophie jederzeit getan hat, aber die Gedanken finden nichts mehr, dessen sie sich zu bemächtigen imstande wären, sie sind mit sich allein. Was wir vermöge reiner Sinnlichkeit im mathematischen Begrif bestimmen können, läßt sich in empirischer Sinnlichkeit konstruieren und ist niemals ein bloßes Gedankending. Was aber nicht in empirischer Sinnlichkeit gegeben werden und auch nicht in einen Zusammenhang mit unserer Wahrnehmung treten kann, ist kein Objekt für uns und kann es niemals werden. Das Wesen solcher übersinnlicher Dinge kann man ganz auf sich beruhen lassen, in der Erkenntnis unserer Wirklichkeit wird danach niemals gefragt; hier findet sich hinreichende Arbeit, und das Wissen findet keine Schranke. Schon mit KANTs transzendentaler Ästhetik, der Lehre von einer reinen Sinnlichkeit, auf der alle mathematische Erkenntnis beruth, ist KANTs Urteil über die dogmatische Metaphysik entschieden. Nicht ohne zwingenden Grund steht diese Lehre an der Spitze aller Untersuchungen. Wir schauen mit den Sinnen an und denken mit dem Verstand. Das sind verschiedene, wenn auch immer verbundene Leistungen des Erkenntnisvermögens, die von einer Theorie der reinen Erkenntnis nach ihrem Anteil zu scheiden sind. Wir haben alle Ursache, uns bei allen Begriffen von Gegenständen zu fragen, ob sie vor den Sinnen verknüpft sind oder nur vor dem Verstand. KANT nennt das eine transzendentale Reflexion, eine Überlegung, die seine Vorgänger versäumt oder in irriger Weise angestellt haben. Eine Verwechslung der Reflexionsbegriffe hat LEIBNIZ verleitet, nach Prinzipien für Verstandesdinge zu suchen, da er den eigenen Anteil an der Erkenntnis von Erscheinungen lediglich im Verstand begründet sah. Die Erscheinungen, alles, was Gegenstand der Physik ist, glaubte er von den Fesseln der Sinnlichkeit frei, d. h. ansich durch den Verstand erkennen zu können, er übersah, daß in den Sinnen ursprüngliche Bedingungen liegen, die den Verstand nicht etwa verwirren, sondern ihn selbst erst als ein erkennendes Vermögen möglich machen. Die Sinne schränken den Verstandesgebrauch auf mögliche Objekte ein; sie allein können ihm objektive Bedeutung verschaffen. Auch LEIBNIZ vertritt die Idealität von Raum und Zeit, aber bei ihm ist die Stelle verfehlt, die er ihnen anweist. Er kann als dogmatischer Rationalist in ihnen nur Verhältnisbegriffe sehen, durch die eine Gemeinschaft (Wechselwirkung) und eine Aufeinanderfolge von Gründen und Folgen gedacht wird; LEIBNIZ
Die Anschauung geht dem Denken, das Bestimmbare seiner Bestimmung voraus. Raum und Zeit sind vor dem, was in ihnen angetroffen werden kann, ein Vorzug, der nicht zeitlich, sondern transzendental ist. Transzendental aber heißt nicht, wie schon bemerkt wurde, eine Erkenntnis des Gegenstandes selbst, sondern eine Einsicht, die sich auf die allgemeine Möglichkeit eines jeden Gegenstandes, wie er auch als ein besonderer beschaffen sein mag, beziehen soll. Die transzendentale Reflexion ist der bloß logischen entgegengesetzt. Diese geht nur auf den Gedanken und setzt den Gegenstand schon voraus, jene fragt nach seiner Möglichkeit selbst. Wie die Physik bei ihren Untersuchungen und Feststellungen davon absieht, wo ihre Erscheinungen sich abspielen und welche nebensächlichen Umstände sie jeweils begleiten mögen, so sieht die Erkenntniskritik von allen empirischen Unterschieden kraft ihrer allgemeinen Aufgabe ab. Und man sieht auch, daß sie in erster Linie die Metaphysik und nicht die Physik mit dem unumstößlichen Resultat belehren will. Gibt es keinen bestimmbaren Gegenstand, der nicht im Raum oder in der Zeit wäre, so kommen Raum und Zeit unseren Gegenständen als Erscheinungen notwendig zu. Man kann sich keine Vorstellung davon machen, daß Raum und Zeit nicht wären; aber man kann von dem in ihnen gegebenen Inhalt absehen, ohne mit dieser Abstraktion selbst die Bedingungen eines Gegenstandes zu vernichten. Beweis: die Mathematik, die sich nur um räumliche und zeitliche Beziehungen bekümmert und dennoch Erkenntnis liefert. 6. Verhält sich das erkennende Subjekt in jeglicher Art der Anschauung rezeptiv, so ist dagegen alles Denken Handlung, Spontaneität oder, wie KANT sich ausdrückt, Funktion, die immer reine oder empirische Anschauung voraussetzt, wo erkannt werden soll. Raum und Zeit sind Anschauungsformen und nicht Funktionen. Man halte das auseinander wie Rezeptivität und Spontaneität. Das Denken besorgt der Verstand, von dem KANT als oberstes Erkenntnisvermögen mit besonderen Leistungen die Vernunft unterscheidet. Im Gebrauch des Wortes Vernunft ist bei unserem Schriftsteller immer leicht zu ersehen, wo er diesen Terminus in allgemeiner und wo er ihn in jener besonderen Einschränkung verwendet. In der Lehre vom Verstand stellt der Philosoph fest, was menschlicher oder vielleicht allgemeiner, was ein auf sinnliche Anschauung angewiesener reiner Verstand zu leisten vermag. Niemand hat wohl bisher bestritten, daß der Verstand eine notwendige Erkenntnisbedingung ist. Eine solche ausdrückliche Anerkennung des Verstandes könnte geradezu lächerlich erscheinen, wenn es nicht gerade die Kategorienlehre wäre, die einem beständigen Spott voreiliger Kritik preisgegeben scheint. Hat aber der Mensch Verstand, so muß sich völlig unabhängig von der Entwicklung des Einzelnen und der Gesamtheit angeben lassen, welche Leistungen man ihm in der Erkenntnis zusprechen darf. Diese Funktionen, letzte nicht weiter spaltbare Akte unseres Denkens, denen weder etwas Empirisches noch ein anschaulicher Inhalt zukommen kann, müssen sich in endlicher Zahl vorfinden, wenn auch von ihnen eine unendlich vielfacher Gebrauch im Einzelnen möglich ist. Sie müssen sich in allem auf Erfahrung angewandten Denken vorfinden, aber man kann sie nicht empirisch erwerben. Man setzt sie immer schon voraus, wo auch Erfahrung anhebt. Schon die Tatsache der formalen, nur auf Ordnung der Gedanken abzweckenden Logik legt hier ein vollgültiges Zeugnis ab; KANT ergänzt sie durch eine Logik des verbindenden Denkens, eine Logik der Synthesis, die auf die Handlungen des Verstandes acht hat, durch die wir Vorstellungen erwerben und miteinander verknüpfen. Die analytischen Operationen, die im Vergleich der Vorstellungen zu begriffen führen, die Ordnung, die im analytischen Urteilen und Schließen die Deutlichkeit der Erkenntnis fördert, sie setzen schon eine Tätigkeit des Verstandes voraus, die KANT mit dem Namen der Synthesis bezeichnet. Das Mannigfaltige der Anschauung - eine Abstraktion sowohl im Sinne der reinen Faktoren Raum und Zeit als auch mit Rücksicht auf einen empirischen Inhalt - muß erst vom Verstand durchgenommen und zur Einheit des Bewußtseins verbunden, vereinigt werden, ehe der Verstand es in analytischer Weise ordnen kann. Verbindung und Ordnung, Synthesis und Analysis sind verschiedene, aber doch die Funktionen ein und desselben Verstandes. Was lehren uns nun alle Denkformen, diese Vorstellungen von leeren Verstandeshandlungen, denen ein jeder Inhalt genehm ist? Geben sie nicht einen Begriff vom Verstand selbst, wenngleich man ihn nur in Gedanken isolieren kann? Ohne zeitlich vorhergehende Erfahrungen würde kein Mensch jene Formen aufzustellen vermögen. Das ist nicht allein unbedingt richtig, sondern auch von KANT niemals bestritten worden. Er lehrt ja gerade, daß Anschauen und Denken notwendig verbunden sind und sich immer auf mögliche Erfahrung beziehen müssen, wenn von Erkenntnis die Rede sein soll. Eine solche Lehre ist aber gar nicht möglich, wenn keine Erfahrung vorausgegangen ist. Man lese doch nur aufmerksam die ersten Worte der Kritik:
Wenn man will, so geht die Kritik nur auf alle die Fälle, in denen unsere Abstraktion noch die Erkenntnis zumindest eines möglichen Gegenstandes zuläßt. So war die in der Mathematik vorliegende Abstraktion nicht allein erlaubt, sondern auch fruchtbar, weil sie sich auf einen möglichen empirischen Gebrauch bezieht. Diese Abstraktion war deswegen möglich und sie war notwendig, weil wir ohne sie keine Mathematik als Wissenschaft hätten. Ebenso ist die Isolierung des reinen Verstandes in einer allgemeinen Logik erlaubt, weil sie sich auf alles Denken bezieht. Aber man muß von den Isolationen nicht mehr verlangen, als sie bieten können. Die angewandte Mathematik gibt nur sofern Gewähr, als der jeweils vorliegende Gegenstand ihren besonderen Sätzen gemäß ist. Das zu entscheiden ist eine Sache der Urteilskraft, des gesunden Verstandes; er hat zu befinden, ob den Formeln das Objekt entspricht, auf das ich sie gerade anwende. Reine Mathematik ist von objektiver Gültigkeit, weil sie sich jederzeit einen Gegenstand geben, d. h. weil sie ihre Begriffe wirklich machen, konstruieren kann. Die allgemeine Logik gibt nur Formen des richtigen Denkens überhaupt, den Gegenstand selbst richtet und beurteilt sie nicht; ihr ist eben jeder Gegenstand genehm, sofern er nur nicht schon im Begriff widersprechend gedacht, d. h. undenkbar ist. Sofern stellt sie oberste Bedingungen, aber sie gibt keine Kriterien objektiver, sondern nur logischer Wahrheit. Zugestanden nun, daß ein Denkvermögen mit Formen, in die ein jeder Inhalt hineinpaßt, nicht diesem Inhalt, sondern dem denkenden Subjekt zugesprochen werden muß, so ist nicht ein jedes Denken zugleich auch ein Erkennen. Nicht jeder Gedanke bestimmt einen wirklichen oder auch nur einen möglichen Gegenstand, auch wenn dieser Gedanke den Regeln unseres Denkens gemäß ist. Aber alles Erkennen ist unzweifelhaft immer ein Denken. Das Erkennen für sich, d. h. allgemein gedacht, bedeutet das reine Denken eines möglichen, d. h. eines beliebigen Gegenstandes, sofern er erkannt, d. h. als ein Objekt bestimmt und von anderen unterschieden werden kann. Er soll sich sofern von einem bloßen Hirngespinst unterscheiden. Denken und Erkennen bedeuten beide so viel als Urteilen, aber das Erkennen ist ein Denken, das seinen Gegenstand durch Begriffe, d. h. durch Prädikate möglicher Urteile für jedermann, d. h. objektiv bestimmen will. Im Begriff vereinigen wir verschiedene Vorstellungen zu einer einzigen; wir bringen diese Vorstellungen zur Einheit unseres Bewußtseins, das nun jene mannigfaltigen Vorstellungen in einer einzigen Vorstellung denkt (begreift). Im Urteil beziehen wir verschiedene gegebene Vorstellungen auf einen Gegenstand, wir erkennen den Gegenstand mittelbar durch Vorstellungen, indem wir einen Begriff, der für viele gilt, eben auf diesen Gegenstand beziehen. Begriff und Urteil sind für sich betrachtet Handlungen, Funktionen des Verstandes, durch die die Einheit des Verstandes in bestimmter Weise gedacht wird. KANT zeigt uns nun, wie eine jede Handlung des Verstandes auf ein Urteil zurückgeführt werden kann. Der Begriff bedeutet sofern nichts anderes als das Prädikat zu einem möglichen Urteil. So viele Arten es gibt, zu urteilen, d. h. durch Begriffe einen Gegenstand zu erkennen, so viele Arten muß es auch geben, die Einheit des Verstandes in unsere Anschauungen zu bringen. Mit anderen Worten: Die Formen des Urteils und die Formen aller Begriffe des Verstandes stellen uns dieselben Verstandeshandlungen allgemein vor. Sie lassen sich nicht auf einfachere Formen reduzieren; sie sind nicht von Anschauungen bestimmter Art abgezogen, sondern umgekehrt, daß wir bestimmte, in der Einheit des Begriffs zum Bewußtsein gebrachte Vorstellungen haben können, verdanken wir dem Verstand, der in jedem möglichen Gegenstand ebensowohl von uns stillschweigend mit vorausgesetzt wird wie die reine Anschauung selbst, in der er gegeben werden kann. Wenn man die Formen des Urteils als Verstandesleistungen bezeichnen darf, so sind es auch die Begriffe, durch die wir sie unterscheiden. Von jenen ist jeder Inhalt abgeblendet; es kann sich also auch kein empirischer Zusatz in den Begriffen mehr vorfinden. Die kantische Kategorienableitung ist apodiktisch und jeder Zweifel ist mißverständlich. In jenen Urteilsformen, die wir eben durch so viele Momente des Denkens zu unterscheiden pflegen, als es ihrer überhaupt gibt, erschöpfen sich die Leistungen unseres reinen, d. h. für alles Denken und Erkennen maßgebenden Verstandes. Die Tafel der im Verstand entspringenden Urteilsformen war für KANT als ein uralter Besitz der Logik gegeben. Wer einzusehen vermag, daß dieser Besitz kein blanker Zufall, sondern zum Denken und Erkennen notwendig ist, hat sich auch der kantischen Kategorienlehre gefangen zu geben. Wer beständig von seinem gesamten Verstand, also von allen seinen Funktionen Gebrauch macht, der darf deswegen nicht verbieten, daß man sie sondert, soweit das möglich ist. Man mache sich nur einmal klar, daß man selbst die Verpflichtung hat, seine Begriffe zu bestimmen. Solange man die Leistungen des Verstandes nicht angeben kann, hat man seine Natur nicht bestimmt. Hier kam es also darauf an, zu wissen, was dem Verstand ursprünglich und nicht der Anschauung eigen ist, und die Untersuchung war nötig, um die Verstandesbegriffe und die aus ihnen entspringenden Grundsätze des Verstandes, synthetische Urteile a priori, einmal als von objektiver Gültigkeit, fürs andere aber als solche zu erweisen, die nur mit Rücksicht auf mögliche Erfahrung Sinn und objektive Bedeutung haben. 7. Jene Urteilsformen der formalen Logik setzen, wo man sie auch in der Erkenntnis anwendet, schon auf Begriffe gebrachte Vorstellungen voraus. Sehen wir vom Einzelinhalt der Vorstellungen ab, so bleibt nichts als der Gedanke an ein Mannigfaltiges der Anschauung überhaupt, in das der Verstand synthetisch seine Einheit hineinträgt. Diese reine Synthesis, die für alle unsere Vereinigung des gegebenen Mannigfaltigen der Anschauung überhaupt, in das der Verstand synthetisch seine Einheit hineinträgt. Diese reine Synthesis, die für alle unsere Vereinigung des gegebenen Mannigfaltigen gedacht werden muß, gibt also den reinen Verstandesbegriff. Tausendfältig beim Einzelnen und bei allen nach dem Inhalt verschieden, ist diese Synthesis immer nur so weit zu sondern, als es Momente des Denkens gibt. Sie ist wirksam, wo der Mathematiker den reinen Raum a priori und wo jedermann seine empirischen Anschauungen denkend bestimmt. Der Mathematiker findet seine Formen nicht im Raum, sondern umgekehrt, er bestimmt sie a priori nach Begriffen, und er kann das nur, wenn ihm sowohl die Anschauung a priori gegeben und die hier als Elemente des Verstandes allein in Frage kommenden Begriffe der Größe und Qualität ursprünglich zu eigen sind. Man hat nicht erst den Begriff der Größe, den von Gestalten im Raum und die Anschauung überhaupt in Erfahrungen zu suchen, sondern man bringt das alles schon mit, wenn man Mathematik treibt. Der Lehrer setzt das alles bei seinen Schülern voraus, wenn er sie zu unterrichten beginnt, und er ist nicht einmal in der Lage, seine Begriffe durch reine, ihnen völlig adäquate Konstruktionen deutlich zu machen. Dennoch verlangt er vom Schüler, daß er ihn versteht, und was Lehrer und Schüler im Unterricht eint, kann nichts anderes sein, als die gemeinsame Form der Anschauung und die Möglichkeit, sie durch Begriffe zu bestimmen. Es ist derselbe Verstand und es ist dieselbe Leistung des Verstandes, lehrt KANT, die verschiedene Vorstellungen in einem Urteil vereinigt, die auch der Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit gibt. Diese Lehre rechtfertigt die besonders aufgestellte Erkenntnistheorie, sofern sie die spontane, von uns kaum bemerkte Tätigkeit der Einbildungskraft entdeckt, die nicht bloß in der Reproduktion von Vorstellungen, sondern schon mit aller Auffassung der Wirklichkeit immer verbunden ist. Wir kommen hierauf zurück. Schwierigkeiten macht die abstrakte Form der Darstellung und das Ansinnen, zu trennen, was bei uns immer verbunden ist. Anschauungen ohne Begriffe sind blind, Begriffe ohne Anschauungen sind leer. Wir haben immer beides vereint, denn wir denken immer zugleich, wenn wir mit Bewußtsein anschauen. Aber wenn auch der Verstand sich nicht wegdenken läßt, so können wir doch von jeder Anschauung abstrahieren, und das heißt weiter nichts als: wir können Verstandeshandlungen für sich denken, wie es in der allgemeinen, für die richtige Abstraktion eines reinen Verstandes zeugende Logik immer geschehen ist. Die Kritik ist nur zu dem Zweck geschrieben, uns auf die Täuschung aufmerksam zu machen, die sich mit diesem leeren Denken verbindet, wenn man mit dem formalen Verstand allein ein Urteil über die Dinge wagt, die in keiner Erfahrung gegeben und also auch nicht durch jene Begriffe allein erkannt werden können. Wie man mit sinnlichen Formen der Anschauung die Erfahrung nicht überfliegen und das ansich Seiende also nicht als räumlich und zeitlich sich vorzustellen versuchen soll, so ist es auch verlorene Liebesmüh, mit reinen Verstandesformen dahin auszuschweifen, wo diese reinen Verstandeshandlungen so rein bleiben müssen, wie sie nun einmal für sich sind. Die Schwierigkeiten des Verständnisses, die sich anfangs jenem Gedanken einer notwendigen Korrespondenz zwischen Urteilsformen und Verstandesbegriffen entgegenstellen, heben sich, wenn man sich nur an den alltäglichen Gebrauch erinnern will, den man mit ihnen unwillkürlich verbindet. Wenn die Urteilsformen sich nach der Größe des Umfangs, der logischen Qualität (der Eigenschaft), nach dem Verhältnis (der Relation) der logischen Elemente und nach dem Verhältnis der Aussage zu unserem Denken selbst scheiden lassen, so sind es dieselben Momente des Denkens, unter denen wir jeweils irgendwelche gegebenen Anschauungen durch Begriffe bestimmen. Kein möglicher Gegenstand bietet andere Bestimmungsmöglichkeiten, als die der Größe (des irgendwie durch eine Einheit, durch ein Maß bestimmten Umfangs), der Eigenschaft, der Verhältnisse und der Beziehung, die der Gegenstand zu unserem Erkenntnisvermögen selbst beansprucht. Diese Bestimmung der Kategorien nach ihrer Anzahl ist eine mathematische, und es ist begreiflich, daß ihr Entdecker über sie eine besondere Genugtuung empfunden hat. Überlegene Weisheit hat die Kategorien als blinde Fenster bezeichnet; sie sind so durchsichtig, daß man Mühe hat, sie zu bemerken, und dabei ist der kantische Gedanke so einfach, wie es alle großen Entdeckungen sind; sie entziehen sich leicht darum dem Blick, weil sie uns gar so nahe liegen. Wir begreifen das frohe Heureka!, mit dem der Philosoph den Gedanken begrüßt haben mag, so schwer es dem Leser auch zunächst wird, dem großen Mann zu folgen. In dieser Kategorienableitung liegt die Möglichkeit, mit Sicherheit zu lehren: Ein Gegenstand ist in objektiver Weise nur dann erkennbar, wenn er in der Anschauung gegeben und nach reinen Verstandesbegriffen bestimmt werden kann. Wo diese Bestimmung sich als sinnlos verbietet, da hat auch unser Verstand ein Ende, d. h. da können wir auch nichts mehr verstehen. Das mag bedauerlich sein, aber die Klage ist so unnütz, wie die Einsicht auch in die Grenzen unseres Könnens wertvoll ist. 8. Es ist nun gar kein Wunder, daß jene Beziehung zwischen formal logischen und den beim Erkennen geübten Verstandesleistungen besteht. Wovon sollten denn jene Urteilsformen schon in aller Frühe philosophischer Betrachtung abstrahiert sein, wenn nicht von inhaltsvollen Urteilen? Unser Verstand muß erst einen Inhalt gedacht haben, ehe er sich daran wagen konnte, von diesem Inhalt zu abstrahieren. Unter allen Umständen ist Erfahrung die erste Erkenntnis, die sich uns zeitlich bietet. Man mag auch in einer empirischen Mathematik lange herumgetappt haben, bis man bemerkt hat, daß man hier der Erfahrung nicht erst bedarf. Überhaupt ist alles Wissen älter, als die Frage nach seinen Elementen und die nach seiner eigenen Möglichkeit. Und so ist es auch begreiflich, daß die genaue und peinliche Rechenschaft, die sich die Philosophie durch KANT über das eigene Erkenntnisvermögen gibt, sehr lange auf sich hat warten lassen. Diese Arbeit konnte nicht anders geleistet werden, als unter Einwirkung der Idee einer zum Erkennen bestimmten Vernunft, die der Fragestellung ein richtiges Gleis hat gegeben. Man befreie sich nur einmal von dem alleinseligmachenden Problem der Entwicklung der Fähigkeiten im Einzelnen und in der Gesamtheit. So nützlich es sonst wohl sein mag, hier kann es nichts leisten. Es liegt in allen Zweifeln an der kritischen Methode nur ein Mangel der Reflexion oder eine falsche Vorstellung vom Apriori. Erkenntnis, die jedermann anerkennen soll, kann - allgemein gesprochen - nur auf eine Weise wirklich sein, jene Entwicklung aber als solche ist zufällig und von besonderen Verhältnissen abhängig. Die Begriffe des Verstandes aber sind ebenso notwendig, wie der Zwang, den uns die eigene Anschauung auferlegt; ist Erkenntnis wirklich, so kann sie als solche nicht von zufälligen, für das erkennende Subjekt anders denkbaren Bedingungen abhängen. Enthält unsere Auffassung der Dinge im Einzelnen einen Irrtum, so ficht das die allgemeine Beurteilung in den formalen Bedingungen nicht an. Ohne formale Kriterien der objektiven Wahrheit aber ist keine Erfahrung, am wenigstens wissenschaftliche, denkbar. Wissenschaftliche philosophische Kritik überhaupt wäre ohne sie so sinnlos, wie sie es nicht selten ohnehin ist, wenn nur die Person des Kritikers redet. KANT holt in seiner Kritik nur nach, was die Logiker durch Jahrtausende versäumt haben. Sie haben bei ihren allgemeinsten Abstraktionen den Gegenstand des Denkens selbst in seiner unauflöslichen sinnlichen Verbindung mit dem Subjekt aus den Augen verloren. Für das bestimmbare Objekt hat sich das Subjekt samt seinen Erkenntnisbedingungen immer mitzudenken. Das Subjekt setzt sich nicht selbst, und es stellt sich auch kein Nichtich gegenüber; aber es findet sich samt dem äußeren Objekt unter Bedingungen vor, von denen es sich nun einmal nicht durch den Gedanken zu befreien vermag. Es tritt in eine Welt ein, die es zu erkennen vermag, weil es mit Sinnen, einem Verstand und mit Vernunft ausgestattet ist, die sich alle an zufälligen Objekten entwickeln, aber sich mit einem Zwang geltend machen, von dem es sich nicht frei machen kann und in dem es sich mit allen anderen, vernünftigen Menschen einig weiß. Nun kommt ihm die Einsicht freilich spät: Alle spekulative Vernunft kann nichts ausrichten, als die Möglichkeit der Erfahrung zu verstehen und einzusehen, wie in die Gesamtheit der Erfahrungen eine Einheit hineingetragen wird, zu der die Vernunft selbst uns rät. Man kann nur das a priori erkennen, was selbst als unser Anteil in den Erfahrungen liegt. Eben deshalb darf man aber auch nicht von apriorischen Bedingungen abstrahieren, ohne die Möglichkeit des Gegenstandes selbst aufzuheben. KANT inventarisiert die Bedingungen der Erkenntnis, damit man sich darüber vergewissern kann, wo sie fehlen. Während die vorkantische Philosophie mangels einer transzendentalen Überlegung für ihre logischen Gesetze jeden nur möglichen Gegenstand, sofern er ihnen nur nicht zuwider war, zulassen mußte, faßt KANTs transzendentale Logik den Gegenstand selbst nach seiner realen Möglichkeit ins Auge. Es gibt keine Erkenntnis ohne einen Gegenstand, der erkannt, bestimmt und von allen anderen unterschieden wird. Alles aber, was in den Bannkreis des Subjekts tritt, wird eben dadurch erst ein Objekt, daß es eben angeschaut und in der Anschauung als bestimmt gedacht werden kann. Alle die Akte des Denkens, durch die ein Gegenstand bestimmt werden kann, sind so viele notwendige Bedingungen, und zwar die einzigen, die wir als solche einzusehen vermögen. Alle unsere Erkenntnis ist eine mittelbare, d. h. durch die Sinne bedingte; ihre Formen sind relativ auf Erkenntnis notwendig, wie es auch die Gedankenformen sind. Kein Erkenntnisvermögen kann uns ansich betrügen, der Irrtum und die Täuschung entsteht erst, wenn wir nicht auf die formalen Bedingungen eines jeden Einzelnen acht haben und nicht trennen, was auf Rechnung der Sinne, was auf die des Verstandes kommt, die in der Abstraktion zu scheiden, in Wirklichkeit aber immer verbunden sind. Der reine Verstand, dem der dogmatische Metaphysiker Dinge-ansich unmittelbar gegenüberstellt, denkt noch nach seinen reinen Verstandesbegriffen, aber er kann nun mit ihnen nichts mehr verstehen. Er kann nur noch nach bloßen Begriffen, d. h. transzendental unterscheiden; dabei bemerkt der dogmatische Philosoph nicht, daß in diesen Unterschieden Verstandeshandlungen sich trennen, durch die man dann unterscheidet, wenn etwas Bestimmbares gegeben ist. - Eine Übereinstimmung unseres Denkens mit einem schlechthin vom Subjekt losgelösten Sein wird häufig und fast trotzig gefordert, obwohl sie nicht verständlich ist. Wie alle anderen Kategorien hat auch die des Daseins nur einen bestimmten Sinn, wenn sie auf einen Gegenstand der Erfahrung bezogen wird. Die Erfahrung ist aber ein vom Subjekt abhängiges Produkt; was in ihr erkannt wird, ist also nicht ansich existent. Das Sein besteht nicht im Wahrgenommenwerden; aber wir erkennen nur unsere Wirklichkeit. Das ansich Seiende geht keine Erkenntnis etwas an. Läßt sich eine Koinzidenz von Denken und absolutem Sein weder behaupten noch verstehen, so ist die notwendige Übereinstimmung der Denkformen und der Formen des Erkennens einerseits und ihre Anwendung auf einen ihnen gemäßen empirischen Inhalt vollkommen begreiflich; für eine Erkenntniskritik sind jene das Einzige, was der Untersuchung eine Handhabe gibt. Wo wir auch das absolute Sein zu denken versuchen, da beschreiben wir nicht das Unerfaßbare, sondern den eigenen reinen Verstand. Geistreiche und dunkle Phantasien versuchen immer wieder das Wesen des Ansichseins zu erfassen. Aber hier affektiert unbescheidener Menschenwitz ein Wissen, wo die Ahnung und Mutmaßung nur durch das Drängen einer unbefriedigten Vernunft entschuldigt wird. Die vorkantische Metaphysik beschrieb unter dem stolzen Titel einer Ontologie Momente des Seins; die nachkantische, die sich auf den von KANT bewegten Wogen schaukelte, sah die ansich seiende Welt durch den Nebel mystischer Vorstellungen. Momente des Denkens und Erkennens aber beziehen sich nur auf unsere Wirklichkeit, die uns durch die Sinne gegeben und in der an lösbaren Rätseln, vernünftigen Aufgaben der Forschung, kein Mangel ist. Eine Welt a priori zu konstruieren, können wir uns ersparen; es liegt nicht in unserer Aufgabe und in unserer Macht, wenn wir nur einmal verstanden haben, daß jedes Apriori seine objektive Realität in der möglichen Erfahrung nachzuweisen und in der Erfahrung einen vorgefundenen, nicht a priori erzeugten Inhalt zu bestimmen hat. Man kann leicht verstehen, wie die reine Anschauung den Gegenstand bedingt, sofern er uns gegeben wird. Diese Lehre hat gleichsam einen anschaulichen Charakter. In der Kategorienlehre tritt uns aber der Grundgedanke der Kritik in seiner abstraktesten und seiner schwierigsten Aufführung entgegen. Man hat sich also vorerst darüber Klarheit zu verschaffen, daß man a priori die Natur als Gegenstand der Erfahrung nicht ohne Irrtümer kritisch untersuchen kann. So gestellt führt das Problem leicht auf die Verwechslung von ansich seienden Dingen und Erscheinungen. KANT erforscht die allgemeinen, subjektiven Begriffe und Gesetze, unter denen Erfahrung als Erkenntnis formal möglich ist, um danach die Möglichkeit einer Natur zu bestimmen. Von dieser anderen Seite kommend, muß man derselben Aufgabe gerecht zu werden vermögen, da unser erkennendes Bewußtsein jeder Erfahrung und also auch den Gegenständen, die sie umschließen kann, seine Bedingungen stellt. Es ist immer und bei jeglicher Erkenntnis mitzudenken; es kann sofern auch von seinen eigenen Bedingungen nicht absehen, als diese am Gegenstand notwendig beteiligt sind. Wie in letzter Linie die Erfahrung zu ihrem Inhalt kommt, das ist keine lösbare Frage. Man kann auch nie ergründen, wie man zu Raum und Zeit oder zu Verstand kommt. Sofern aber der erkennende Mensch sich selbst über die Tatsachen seines Bewußtseins Rechenschaft zu geben vermag, so muß er von seiner Seite mit apodiktischer Gewißheit entscheiden können, unter welchen formalen Bedingungen überhaupt ihm Gegenstände gegeben und unter welchen allein sie als bestimmte gedacht werden können. Kann er nur durch Kategorien den Gegenstand als Objekt erkennen, so ist eben die Kategorie, durch die er Mannigfaltiges der Anschauung im Begriff zum Objekt nicht bloß für sich, sondern für jedermann vereinigt, eine notwendige Bedingung der Erfahrung und also auch des Objekts, das in ihr gedacht wird. Der Metaphysik muß diese Untersuchung vorhergehen, weil sie ohne Einsicht in die Natur ihrer bloß formalen Begriffe in Versuchung gerät, von ihnen einen materialen Gebrauch zu machen; der Skepsis HUMEs mußte sie notwendig folgen, wenn die Vernunft ihr eigenes Vertrauen zurückgewinnen sollte. Das Beispiel der reinen Mathematik und der reinen Naturwissenschaft bürgt für die reine Vernunft, aber sie beide lassen sich nur mit Rücksicht auf mögliche Erfahrung verstehen; beide Wissenschaften haben nur sofern Erkenntnisse, als man für sie Objekte voraussetzt, auf die sich ihre Lehren beziehen können. Mit der Frage: wie reine Erkenntnis möglich ist? soll also über Metaphysik entschieden werden. Die allgemeine, für die Beurteilung aller Erkenntnis, also auch der Metaphysik maßgebende Kritik hat diese Möglichkeit begreiflich zu machen, und wenn ihr das nur gelingt, indem sie den Gebrauch der reinen Vernunft auf sinnliche Bedingungen eingeschränkt zeigt, so verbietet sich der transzendentale, d. h. auf Dinge-ansich erstreckte Gebrauch des Verstandes von selbst. Für diesen Gebrauch läßt sich die objektive Realität nicht beweisen, d. h. zur Einsicht bringen. ![]()
1) Es ist überaus wichtig, beständig das kantische Problem vor Augen zu haben. Leibniz fragt, wie alle Intellektualphilosophen, nach dem Wesen der Dinge, nach dem Bleibenden, ansich Seienden. In seinen Monaden, die nicht als physikalische Einheiten gedacht werden dürfen, glaubte er es entdeckt zu haben. Eine solche Lehre spottet jeder Bestätigung durch Erfahrung und schreibt sich der reinen Vernunft zu, die also auch über die Wahrheit zu entscheiden hat. Kant behandelt also als Voruntersuchung für eine solche Behauptung die Natur des Erkenntnisvermögens überhaupt. Die Monade ist weder räumlich noch zeitlich und ein richtig gebildeter metaphysischer Begriff. Es ist also die Frage, was wir durch einen solchen Begriff erkannt und ob wir mit ihm selbst ein Objekt bestimmt haben. - - - Zeigt sich, daß unserem Verstand niemals ein Objekt unmittelbar, d. h. ohne die Vermittlung der Sinne gegenübertreten kann, daß unsere Begriffe nur bei gegebenen Objekten Sinn erhalten können, so bleibt ein solcher metaphysischer Begriff für uns leer und unbestimmbar. Leibniz glaubte, daß das Sinnenwesen sich von der Sinnlichkeit frei denken läßt und dennoch etwas Bestimmbares übrig bleibt. Kant zeigt, daß damit eine Bedingung der Erkenntnis und also das Objekt selbst aufgehoben wird. |