![]() |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() | |||||
Einleitung zu Immanuel Kants Prolegomena [1/2]
V o r w o r t Die Methode, die ich bei dieser rein historischen Untersuchung befolgt habe, weicht von der meist gebräuchlichen Art der Rekonstruktion philosophischer Gedanken insofern ab, als ich versucht habe, auf die Motive, die KANTs Denken geleitet haben, sorgfältiger einzugehen, besonders auch die äußeren Anregungen, die ihm durch die Wechselwirkung seiner Gedanken mit der Philosophie seiner Zeit gegeben wurden, bestimmter in Anschlag zu bringen. Es ist nicht die Aufgabe der Geschichte der Philosophie, die verschiedenen Systemversuche in systematischer Darstellung wiederzugeben, sondern die kausale Entwicklung der philosophischen Probleme und ihrer Lösungsversuche zu reproduzieren. Sie soll nicht sowohl zeigen, was ein philosophisches System enthält, als vielmehr, wie dasselbe geworden ist. Eine solche Erkenntnis des Inhalts ist eine unter den Voraussetzungen, nicht der Zweck der Rekonstruktion der philosophischen Entwicklung. Die systematischen Auszüge, aus denen nicht wenige Darstellungen der Geschichte der neueren Philosophie bestehen, geben deshalb nicht die Geschichte selbst, sondern nur die unbehauenen Steine zu derselben. Ein Philosoph wird wir jedes andere Objekt der Geschichte historisch nicht charakterisiert durch die reifste Ausbildung, die er seinen Gedanken hat geben können, sondern durch die Entwicklungsgeschichte, die ihn zu derselben geführt hat. Man verwechselt den sachlichen Wert dieser reifsten Ausbildungen mit ihrer geschichtlichen Stellung, wenn man sie als fertige Objekte behandelt, in deren Beschreibung die Aufgabe der Geschichte der Philosphie aufgeht. Man hascht nach der Lösung eines Problems, das sich selbst widerspricht, wenn man meint, die kontinuierliche Entwicklung der philosophischen Gedanken aus den diskreten Stücken der einzelnen hervorrangenderen Systeme zusammensetzen zu können. Die Voraussetzung aller geschichtlichen Reproduktion der Philosophie aber ist nicht bloß die volle Einsicht in die vorhandenen Quellen, die hier mehr als in jedem anderen Fall in der allgemeinen Kultur der Zeit liegen, und deshalb reichhaltiger und vielseitiger fließen als sonst überall, sondern auch das kritische Urteil über den sachlichen Wert der Gedanken, dessen Einfluß auf das Resultat man nie eliminieren kann, das deshalb von vornherein bestimmt in Rechnung zu ziehen ist. Die historische Rekonstruktion also schließt die sachliche Würdigung nicht aus, sondern fordert sie. Auch hier aber ist die Erkenntnis der tatsächlichen Mängel, der Unbestimmtheiten, der unbewiesenen, weil als selbstverständlich geltenden Voraussetzungen, endlich der Widersprüche, die aus der geschichtlichen Zusammengehörigkeit des Systems mit dem Denkinhalt und der Denkrichtung der Zeit folgen, nur ein Baustein zur historischen Einsicht. Es gilt nicht, den Widerspruch darzustellen, sondern begreiflich zu machen, wie derselben auf einem früheren Standpunkt, d. h. von anderen Voraussetzungen aus und unter anderer Richtung der Aufmerksamkeit zu einer Denknotwendigkeit werden konnte. Da es sich hier um ein hinsichtlich KANTs fast vollkommen unbearbeitetes Gebiet handelt, so bitte ich um Nachsicht, wenn das, was ich erreicht habe, nicht zugleich auch das ist, was nach dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnis zu erreichen möglich war. [...] ![]() Einleitung
Die Prolegomenen genießen den Ruf, daß sie mehr als jede andere Schrift KANTs geeignet sind, in die Gedankengänge des kritischen Idealismus einzuführen. Dieser Ruf ist gewiß verdient. Die präzise und zugleich konkret gegliederte Fragestellung der Einleitung, sowie die eingehende, mehrfach wiederkehrende Besprechung des Verhältnisses dieser Fragestellung und ihrer Beantwortung durch KANT zu dem Problem und dem Lösungsversuch HUMEs lassen die allgemeine Absicht des Werkes bestimmt und andauernd hervortreten; die einfache analytische Entwicklung fernder der beiden ersten Teile der "transzendentalen Hauptfrage" gibt den Bau der Argumentation deutlich zu erkennen; die knappe Form dieser Ausführungen endlich macht den Zusammenhang des Ganzen leicht übersehbar. Keiner dieser Vorzüge jedoch hat die Prolegomenen vor dem Schicksal bewahrt, in den Gegensatz der Interpretationen hineingezogen zu werden, den die Kr. d. r. V. möglich gemacht hat; für jede der verschiedenartigen Auffassungsweisen, welche den gegenwärtigen Stand der Einsicht in die Gedankenarbeit KANTs auf eine nicht eben erfreuliche Weise charakterisieren, haben sie Stützpunkte hergeben müssen. Auch in der besonderen Streitfrage über der Verhältnis der beiden Auflagen der Kr. d. r. V. sind sie von jeder der mannigfachen Parteien in ihrem Sinn verwertet worden. Nun gibt es zur Schlichtung jenes allgemeinen Streites über den eigentlichen Sinn des kritischen Hauptwerks nur einen einzigen Weg: es ist der dichtverwachsene, vorläufig noch an fast keiner Stelle sicher erkennbare Pfad, der durch die Entwicklungsgeschichte KANTs führt. Die Einsicht in die Beschaffenheit der Prolegomenen und ihr Verhältnis zur ersten Auflage der Kr. d. r. V. wird daher ebenfalls nur durch diese rein historische Untersuchungsmethode gewonnen werden können. Glücklicherweise ist es von vornherein wahrscheinlich, daß es gelingen wird, diese kurze Strecke zu lichten, ehe der Weg bis zu ihr allgemein betretbar gemacht worden ist, da es sich hier um die relativ stillste Periode in KANTs Entwicklung handelt. Vielleicht ist es sogar möglich, bei der Auseinanderschiebung dieses leichteren Geflechts manchen stärkeren Ast zu beseitigen, der an früheren Stellen hemmt. Die Aufgabe einer solchen Untersuchung ist jedoch auch hier wie bei allen historischen Forschungen ebenso leicht gestellt als schwer zu lösen. Sie fordert, die inneren Fortwirkungen und äußeren Anregungen zu bestimmen, von denen KANTs Entwicklung in der Zeit zwischen der Beendigung der Kr. d. r. V. und der Fertigstellung der Prolegomenen abhängig gewesen ist, so daß die letzteren als das notwendige Produkt aller dieser Einflüsse begriffen werden können. Auf den ersten Blick kann es scheinen, als werde die Erfüllung dieser Forderung hier ausnahmsweise einmal nicht durch den Reichtum, sondern durch die Geringfügigkeit solcher Einflüsse erschwert. Dieser Schein hält jedoch nur so lange an, als man nicht versucht, den Quellen nachzuspüren, welche auch für diese Zeit ungleich reichlicher fließen, als eine Orientierung in den allgemein bekannten Daten vermuten läßt. Es bleibt also auch hier die alte Form des größten Hemmnisses, das allen historischen Rekonstruktionsversuchen entgegensteht: den Anteil nämlich des Subjekts an der Geschichte rein herauszulösen. Schon die inneren Einwirkungen, welche zunächst in Betracht kommen, sind von beachtenswerter Intensität. Diejenigen zwar, an die man zuerst denken könnte, haben offenbar eine nur sehr geringe Bedeutung gehabt. Denn daß KANT bald nach der Niederschrift seiner Kritik, die gegen das Ende des Jahres 1780 fertig war, an die Ausarbeitung jenes "Systems der reinen spekulativen Vernunft" gegangen ist, auf dessen "ungleich reicheren Inhalt bei noch nicht der Hälfte der Weitläufigkeit" er am Schluß der Vorrede zu derselben hingewiesen hatte, davon findet sich nirgends eine Andeutung. Es ist vielmehr sicher, daß dieser Plan um die Zeit des Abschlusses der Prolegomenen noch nicht weiter gediehen war als damals, wo er als eine natürliche Ergänzung der eben beendeten Kritik in KANT zuerst eine bestimmtere Gestalt gewonnen hat. Noch im August 1783, als er eben am letzten Teil seiner Prolegomenen schrieb (1), bemerkt er in einem Brief an MENDELSSOHN (2), daß er vorhat,
Weitaus am größten mußten jedoch diese inneren Fortwirkungen der bereits von ihm entwickelten Gedankenreihen von Anfang an da werden, wo sie bei oberflächlicher Überlegung am wenigsten erwartet werden möchten, in dem für KANTs Urteil wertvollsten Abschnitt nämlich der Kr. d. r. V. in der transzendentalen Deduktion der Kategorien. KANT war zwar aus methodologischen Gründen überzeugt, daß sein Werk, welches "eine Bestimmung aller reinen Erkenntnis liefert", schlechthin notwendig und allgemeingültig, ja sogar "das Richtamaß aller apodiktischen Gewißheit" sein muß (Kr. d. r. V. A, Seite IV) (6); und er hatte erklärt, daß er sich, was die Gewißheit betrifft, selbst das Urteil gesprochen hat, da es in dieser Art von Betrachtungen auf keine Weise erlaubt ist zu meinen, und alles, was darin einer Hypothese ähnlich sieht, auch nicht um den geringsten Preis feil [zum Verkauf - wp] stehen darf. Jedoch hatte er zugleich zugegeben, daß seine Argumentation in einem Teil jenes Abschnitts allerdings "etwas einer Hyothese Ähnliches an sich hat, hier also der Fall zu sein scheint, daß er sich erlaube zu meinen". Und in der Tat hatte er das Bewußtsein, daß seine Arbeit hier am wenigsten abgeschlossen ist. Der Zusammenhang sowohl in den eben angeführten Stellen der Vorrede als auch in der "vorläufigen Erinnerung" zur Deduktion (Kr. d. r. V. B, Werke II, Seite 98) beweisen das; am deutlichsten vielleicht die Versicherung, daß es sich, wie er bei anderer Gelegenheit darlegen wird, in der Tat nicht um etwas einer Hypothese Ähnliches handelt. Selbst ohne äußere Belege würden wir wissen, daß so nur die Sprache der Hoffnung, nicht die der Gewißheit lautet, und zwar jener Hoffnung, die aus der halb bewußten Unabgeschlossenheit des eben Vollendeten entspringt. An solchen Belegen aber ist kein Mangel. Hier genügt es jedoch, daran zu erinnern, daß KANT später selbst gestanden hat,
Ehe er jedoch dazu kam, waren mancherlei, teilweise kaum weniger lebhafte äußere Anregungen an ihn herangetreten. Schon als er die Ausarbeitung seiner Kritik kaum beendet hatte, wurde ihm ein Anlaß geboten, sich mit HUMEs Dialogen über die natürliche Religion zu beschäftigen. HAMANN nämlich forderte ihn auf, seine Übersetzung derselben durchzusehen (8); und so lebhaft wurde er durch dieselben, wenn auch nur in polemisch abweichendem Sinn angeregt, daß er die erste Gelegenheit ergriffen hat, sich mit ihnen auseinander zu setzen. Diese aber fand er da, wo er sie am wenigsten erwartet hatte, in der Aufnahme nämlich, die sein Werk in den nächst interessierten Kreisen seiner persönlichen Bekannten und Fachgenossen erfahren hat. KANT war sich bewußt, eine Arbeit geliefert zu haben, die nicht bloß alle metaphysischen Aufgaben auf eine neue und überraschende Weise auflöst, sondern auch die Quellen, den Umfang und die Grenzen der Metaphysik aus Prinzipien bestimmte, welche jeden Zweifel an der Richtigkeit seiner Lösung ausschließen (Kr. d. r. V. B, Vf). Er wußte überdies, daß seine Arbeit erwartet wird. Und nicht bloß sein Vorhaben überhaupt, sondern auch die allgemeine Tendenz desselben war schon in weiteren Kreisen bekannt geworden. In Berlin hatte MARCUS HERZ, nach HERDER und KRAUS der hervorragendste unter seinen vorkritischen Schülern, der in seiner Vaterstadt mit allen irgendwie bedeutenden Vertretern der Philosophie wohl bekannt, mit einzelnen, wie MENDELSSOHN, sogar eng befreundet war, sicher dafür Sorge getragen, daß der Zweck des langsam reifenden Werkes in seinem Kreis kundbar wird. Noch mehr hatte offenbar KRAUS, der im Jahr 1778 vorübergehend in Berlin Aufenthalt nahm, für die Verbreitung der Gedanken seines damals von ihm noch begeistert verehrten Lehrers gewirkt (9); denn er war besser von KANTs jetzigen Ansichten unterrichtet als HERZ, der sich seit Jahren auf KANTs seltene und wenig ausführliche Briefe angewiesen sah. Der uns erhaltene Brief KANTs an ENGEL beweist, welche Erwartungen in diesen Kreisen, denen die hervorragendsten Anhänger der Popularphilosophie angehörten, damals gehegt wurden (10). Auch in Göttingen wußte man wenigstens, daß eine umfassende Arbeit von KANT vorbereitet wird, wenngleich man sich hier von dem Mann, der keine Kompendien der Logik und Metaphysik geschrieben hat, sogar eine nicht geringer Verachtung aller Metaphysik kundgegeben hatte, nicht eben viel versprochen hat (11). KANT durfte demnach glauben, die Bedeutung seiner Untersuchungen werde wenigstens von den unmittelbar Beteiligten schnell erkannt, wenn auch nur langsam gewürdigt werden. Er mußte Widerspruch von allen Seiten erwarten, denn er hatte sich zu keiner der herrschenden Parteien bekannt; er konnte sogar auf herbe, absprechende Urteile gefaßt sein, die keinem erspart bleiben, der den vorhandenen Besitzstand einer Wissenschaft empfindlich angreift. Die Folgen jedoch, die wirklich zunächst eintraten, hatte er nicht vorausgesehen. Von allen Seiten hörte er nicht Lob oder Tadel, sondern Klagen über eine fast unaufhellbare Dunkelheit seines Werks (12). Selbst die hervorragendsten Köpfe aus seiner Umgebung bildeten keine Ausnahme. HAMANN z. B., der doch nach KANTs eigenem Urteil eine nicht geringe Gabe besaß, "sich die Sachen im allgemeinen zu denken" (13), klagte in seinen Briefen an HERDER sowie an den Verleger KANTs lebhaft über die Mühe, die ihn das Studium des Werkes kostet. Als er erfuhr, daß KANT sich beschwert hat, eine damals schon begonnene lateinische Übersetzung seiner Kritik selbst nicht verstehen zu können, gestand er, daß dem Autor Recht geschieht, die Verlegenheit seiner Leser an sich selbst zu erfahren. (14) Der Absatz der Schrift beschränkte sich deshalb im ersten Jahr hauptsächlich auf die näher interessierten Kreise in Königsberg (15) und wohl auch in Berlin, so daß der Verleger ernsthaft besorgt zu werden begann (16). Auf diesen äußeren Mißerfolg war KANT zwar von vornherein gefaßt, hatte er doch dem Königsberger Buchhändler HARTUNG, dem das Werk zuerst angeboten war, "ganz treuherzig erklärt, er wisse nicht, ob er zu seinen Kosten kommen wird", und diesen dadurch abgeschreckt hat. (17) Jedoch empfand er es als eine Kränkung, fast von niemandem verstanden zu werden (18); umso mehr vielleicht, als er sich nicht verhehlen konnte, daß er an diesem Mangel selbst den größeren Teil der Schuld trägt. Er ging zwar sicher zu weit, wenn er sich das Talent einer lichtvollen Darstellung überhaupt abgesprochen hat (19), das er in seinen vorkritischen Schriften hinreichend bewährt hatte. Aber er hatte die früher erworbene Fertigkeit allerdings nicht ohne seine eigene Schuld eingebüßt. In der langen einsamen Gedankenarbeit, die der Veröffentlichung der Kr. d. r. V. vorausgegangen ist, hatte er den Maßstab für die Verständlichkeits einer Vorstellungskreise verloren; nahm er in jener Zeit doch nicht einmal mehr Gelegenheit, sich darüber zu orientieren, wie weit er von seinen Zuhörern verstanden wird (20). Und er hatte sich nicht bloß viel zu sehr isoliert und viel zu sehr des Schreibens für andere entwöhnt, sondern auch bei der Abfassung seiner Kritik viel zu wenig an die Bedürfnisse des Lesers gedacht. Denn, wie er MENDELSSOHN selbst gestand, hatte er
Schon im Anfang August 1781, als er eben die ersten Dedikationsexemplare versendet hatte (22) und nur von seinen näheren Bekannten, wie SCHULZE, KRAUS und HAMANN bestimmtere Nachricht vom Eindruck des Werkes haben konnte (23), war er deshalb Willens, einen "populären Auszug seiner Kritik" (wie HAMANN etwas erklärt "auch für Laien") herauszugeben (24). Bald darauf ist er mit der Ausarbeitung desselben, der nur einige Bogen umfassen sollte, bereits beschäftigt. Er mußte erwähnt haben, daß er in wenigen Wochen mit der Niederschrift zu Ende kommen wird, denn schon im Oktober vermutet HAMANN, daß das Manuskript druckfertig ist. Jedoch hatte KANT damals bereits auch die Vorarbeiten der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" begonnen; Schwierigkeiten, die er in der Neubearbeitung der Deduktion fand, vielleicht auch die Erwartung baldiger öffentlicher Besprechungen mochten hinzukommen. Daher verzögerte sich die Arbeit so, daß er im Anfang Januar 1782 erst die Hoffnung aussprechen konnte, bis Ostern "mit seiner kleinen Schrift" fertig zu sein (25). Über die Tendenz dieser Schrift wäre kein Zweifel möglich, selbst wenn wir nur auf HAMANNs Titelangabe angewiesen wären. Um jenen von allen Seiten seiner Bekanntschaft erhobenen, nicht unberechtigten Klagen abzuhelfen, wollte er eine möglichst konkrete und übersichtlich verkürzte Darstellung seiner hauptsächlichsten Ergebnisse liefern; um jenen besonderen, selbstempfundenen Mangel der Deduktion zu beseitigen, mußte der diesen Abschnitt zugleich umarbeiten, zwar nicht, um zu neuen Ergebnissen zu kommen, wohl aber, um die gefundenen besser zu begründen. Vielleicht dachte er auch daran, die Ergebnisse seiner Kritik der natürlichen Theologie mit den Konsequenzen HUMEs auseinander zu setzen, um an diesem Gegensatz den positiven ethischen Sinn dieses Teils seiner Lehre, der ihm durch seine ethischen Studien inzwischen besonders wertvoll geworden war, deutlicher zu kennzeichnen. Diese ursprünglich maßgebenden Motive blieben auch während der bisher besprochenen Zeit der Ausarbeitung unverändert in Kraft. Denn die polemischen Einwirkungen, denen er während derselben in seinem näheren Bekanntenkreis ausgesetzt war, waren viel zu unbestimmt, und trafen auf viel zu fest assoziierte Gedankenreihen, um so schnell irgendwie umgestaltend wirken zu können. Überdies waren unter seinen Bekannten nur wenige, von denen eine erwähnenswerte Polemik ausgehen konnte; nur KRAUS und HAMANN kommen in Betracht. Jdeoch der erstere war damals in KANTs Gedankengang noch viel zu sehr eingelebt, und der letztere, der es zwar an kritischen Äußerungen gelegentlich nicht fehlen ließ, warf nach seiner Art im mündlichen Gespräch sicher ebenso wie in seinen Briefen nur flüchtige Bemerkungen hin, die zwar wohl zu einer ernsthaften Diskussion führen konnten, jedoch, solange sie die einzigen blieben, eine einigermaßen tiefgreifende Wirkung nicht auszuüben vermochten. Demnach handelte es sich für KANT in der Tat lediglich um einen erläuternden Auszug aus seiner Kr. d. r. V. Schon war der größere Teil desselben vollendet (26), da brachten die Göttinger Gelehrten Anzeigen vom 19. Januar 1782 (Zugaben, Stück III) die erste, neun Seiten umfassende Rezension , deren Entstehungsgeschichte als ein denkwürdiges Beispiel der Art, wie Rezensionen gemacht werden können, erzählt zu werden verdient. Zu den Leitern der Göttinger Gelehrten Anzeigen) gehörte damals JOHANN GEORG FEDER, einer der angesehensten akademischen Vertreter der eklektischen [aus dem Vorhandenen zusammengestellt - wp] Popularphilosophie. Er war ein Mann von höchst mittelmäßiger Begabung, der jedoch nicht geringe Erfolg seiner Kompendien und seiner Lehrtätigkeit hatte ihm jene sorglose Selbstgewißheit gegeben, die der Durchschnitt der Gelehrten so leicht zu erwerben und so schwer zu verlieren weiß. Als er ein Rezensionsexemplar von KANTs Kr. d. r. V. erhielt, begnügte er sich mit einem Durchblättern des umfangreichen Buches (27), denn er fühlte sich nicht nur mit den darin abgehandelten Gegenständen ansich, sondern auch mit der Manier und den Grundsätzen des Verfassers (28) schon vertraut, war also seines Urteils auch bei diser Form der Lektüre sicher. Daß KANT, der so lange geschwiegen hatte, in der Zwischenzeit eine tiefgehende Entwicklung seiner Gedanken durchgemacht haben könnte, diese Vorstellung lag ihm fern. Er war mit seinen Gedanken lange im Reinen. Ist es doch ein Vorzug der Mittelmäßigen, mit ihrer geistigen Entwicklung schnell fertig zu sein. Das Buch behagte dem Eklektiker wenig. Die scheinbar spielende Kritik in den "Träumen eines Geistersehers" hatte ihm gefallen, aber hier lag ein ernster, bis ins kleinste sorgfältig geplanter Angriff gegen die herrschende Metaphysik vor, bei dem man sich nicht so leicht beruhigen konnte. Überdies schien ihm sein eigener Dogmatismus "bereits hinreichend gemäßigt und geläutert" zu sein. So
Trotz dieser elenden Entstehungsweise macht die Rezension im Ganzen keinen ungeschickten Eindruck; sie hat durch die Verkürzung sogar fast gewonnen, da die ausführlicheren Argumentationen GARVEs viel deutlicher die Schwäche der erreichten Einsicht verraten als diese Zusammenstellung der Ergebnisse. Es ist daher begreiflich, daß HAMANN schreiben konnte, er habe sie mit Vergnügen gelesen, sie komme ihm gründlich und aufrichtig und anständig vor. (32) Anders aber lautete das Urteil KANTs. Er war über diese erste Anzeige, besonders über jene historischen und kritischen Bemerkungen mit Recht empört, denn er sah sich nicht nur mit einer für einen MEINERs oder FEDER, auf die man in Königsberg zuerst geraten hat (33), abgeschmackten Vornehmheiet behandelt, sondern auch in allen seinen wesentlichen Absichten mißverstanden. Das Letztere sowohl in dem, was verschwiegen, als in dem, was ausgesprochen war. Von der transzendentalen Deduktion der Kategorien z. B., in der er den Schwerpunkt seines Systems, zugleich aber auch die schwächste Seite seiner Argumentation befindlich wußte, fand er nicht einmal ein Wort der Erwähnung. Stattdessen hatte die Rezension einen Gesichtspunkt sowohl für ihre Auffassung als für ihre Polemik gewählt, von dem aus das Ganze ein so "merkwürdiges" (Prolegomena, Seite 203) Ansehen erhielt, daß KANT seine eigenen Gedanken kaum wieder erkannte. Er wußte, das Neue und Wesentliche seiner Untersuchungen liegt sowohl in der Problemstellung als auch der Problemlösung seiner transzendentalen Analytik. Die Frage der Deduktion: "Wie ist es möglich, daß sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen können", d. h. "wie können subjektive Bedingungen des Denkens objektive Gültigkeit haben, oder Bedingungen der Möglichkeit aller Erkenntnis der Gegenstände sein?" bildete den Ausgangspunkt seiner kritischen Untersuchungen. Die Antwort auf diese Frage: "Dadurch ist diese Beziehung möglich, daß die Begriffe a priori die Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrung sind" (34), hatte ihn nicht nur bis gegen 1780 am intensivsten beschäftigt, so daß sie in ihrer Argumentation selbst bei der Abfassung der Kritik für sein eigenes Urteil noch nicht beendet war; die Ergebnisse derselben, die ihm schon feststanden, als er ihren Beweis noch zu keinem ihn selbst befriedigenden Abschluß gebracht hatte, bildeten überdies den eigentlichen Keimpunkt für alle diejenigen Gedanken, welche den originalen Inhalt seiner Schrift ausgemacht haben. Der springende Punkt seiner Erörterungen lag daher für ihn selbst in dem empiristisch gerichteten Nachweis, daß die Begriffe a priori "nichts Anderes sein, als die Bedingungen des Denkens in einer möglichen Erfahrung" (Kr. d. r. V. B, Seite 111). Die Voraussetzungen für diesen Nachweis bildeten die Ergebnisse der transzendentalen Ästhetik, die ihm bereits seit 1769 feststanden, daß nämlich Raum und Zeit nur Formen der Sinnlichkeit, die anschaulichen Vorstellungen daher nur Erscheinungen, nicht die Dinge selbst sind. Da diese Konsequenz somit die Grundlage all seiner Erörterungen bildete, so hatte er, trotzdem sie nicht den eigentlichen Inhalt seiner kritischen Gedanken ausmachte, vielmehr nur die gegebene Voraussetzung für jene war, nach derselben sein System als transzendentalen Idealismus bezeichnet (35). Die Rezension dagegen hatte gerade an diesen letzten Punkt angeknüpft, und damit jenes Ergebnis der Ästhetik, das KANT schon 1770 in einem ganz anderen Zusammenhang ausgesprochen hatte, zum Schwerpunkt des ganzen Systems gemacht. Statt der empiristischen, gegen die Ergebnisse der rationalistischen Metaphysik gerichteten Tendenz der Deduktion wurde somit die idealistsche Tendenz der Ästhetik zur Seele des Systems. Die Konsequenz der Ästhetik war also nicht, wie bei KANT, die Voraussetzung für die empiristischen Ergebnisse seiner Analytik, sondern die letzteren wurden zu einer idealistischen Vertiefung der ersteren. Das Problem der Deduktion, die Frage nach der möglichen Beziehung der Kategorien auf Gegenstände der Erfahrung, trat gänzlich in den Hintergrund. KANT hatte gefolgert: Wenn unsere sinnliche Erkenntnis uns nur die Erscheinungen gibt, welche die Dinge-ansich in uns wirken, so können auch die Kategorien sich nur auf mögliche Erscheinungen beziehen; auch die Verstandesbegriffe des Daseins, der Realität, der Kausalität gelten daher lediglich für mögliche Erfahrung. Hier fand er geschlossen: Wenn die Kategorien keinen transzendentalen Gebrauch zulassen, so sind die Dinge ansich nicht real, nicht daseiend, nicht in kausaler Beziehung. Die Voraussetzung seiner ganzen Argumentation war also in einem idealistischen Sinn aufgehoben. KANT konnte sich nicht verhehlen, daß diese Auffassung durch seine eigenen Äußerungen nicht ausgeschlossen, sogar nahegelegt ist. Hatte er doch solche Schlüsse selbst gezogen. Dennoch blieb diese Auffassung für ihn ein grobes Mißverständnis. Denn er hatte, da es ihm nie in den Sinn gekommen war, jene Voraussetzung zu bezweifeln, durch alle bezüglichen Äußerungen nur einschärfen wollen, daß wir die Dinge auch durch unseren Verstand nicht erkennen können, wie sie sind (36). Sein Unwille über die Rezension wurde deshalb durch diese Einsicht nicht verringert; vielleicht dadurch vergrößert. Denn eben weil er sich selbst nicht ohne Schuld fühlte, mochte er den Mangel an Aufmerksamkeit dem Rezensenten weniger leicht verzeihen. Er beschloß, seinem Auszug eine Erwiderung an denselben anzuhängen. Aber er erkannte zugleich, daß durch eine Abfertigung dieser ersten Anzeige der Mangel seiner Darstellung nicht beseitigt wird. Hier gab es nur ein Mittel, aber ein solches, von dem er sich nicht geringen Erfolg versprechen durfte. Jenes Mißverständnis nämlich war offenbar nur für den möglich, der den Entwicklungsgang seiner kritischen Gedanken nicht kennt. Deshalb durfte er glauben, eine eingehendere Darstellung desselben werde weiteren Irrtümern sicher vorbeugen. Damit aber war auch eine Erweiterung der kritischen Absicht von selbst gegeben. Das Mißverständnis mußte nicht bloß als ein tatsächliches erfolgtes, sondern auch als ein sachlich naheliegendes behandelt werden. Dazu aber waren umfangreichere Zusätze und Einschiebungen notwendig. So macht KANTs Unwille über die Göttinger Rezension aus dem "Populären Auszug" die "Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können". (37) Sobald jedoch diese Motive für die Veränderung seiner anfänglichen Absicht gegeben waren, hörten sie auf, die einzigen zu sein, die für die Ausführung derselben in Betracht kamen (38). Denn jetzt erhielten jene Einwendungen, die ihm schon vor dem vollständigen Erscheinen der Kritik gelegentlich von befreundeter Seite, besonders von HAMANN gemacht worden waren, eine ganz andere Bedeutung, da die Polemik desselben einen Punkt betraf, der mit dem Mißverständnis der Rezension in engstem Zusammenhang stand. Selbst solche Einwürfe, die ihm von einzelnen, philosophischen Untersuchungen ferner stehenden Bekannten gemacht worden sein mochten, erhielten jetzt, wenn sie nur der abzuwehrenden Auffassungsweise nahe standen, einiges kritisches Ansehen. Jedoch nur die Polemik HAMANNs konnte noch von namhaftem Einfluß werden. War dieser doch der einzige unter den ihm bis jetzt bekannt gewordenen Gegnern aus seinem Freundeskreis, an dessen Urteil ihm wirklich gelegen sein mußte. HAMANNs Ansicht über KANT hatte manchen Wechsel erfahren. In den ersten Jahren ihrer Bekanntschaft (1759) hatte er prophezeit: "Kant möchte einen so allgemeinen Weltweisen und guten Münzwardein [unabhängiger Münzbeamter zur Prüfung des Feingehalts - wp] abgeben, als Newton war." (39) Kurz vor dem Erscheinen der Kr. d. r. V. urteilte er anders; jetzt schrieb er an HERDER: "Ich mache mir großen Staat darauf, daß dieser Mann mir in einigen Dingen vorgearbeitet haben wird." (40) Jedoch eher er noch alle Aushängebogen des Werks, deren regelmäßige Zusendung von ihm erbeten war, gelesen hatte, kehrte er zu seiner früheren Meinung wieder zurück. Gelegentlich zwar bemerkt er, wohl im Ärger über das mühselige Studium, "es scheine ihm alles auf Schulfuchserei und leeren Wortkram hinauszulaufen" (41), und findet, daß ein so korpulentes Buch weder des Autors Natur noch dem Begriff der reinen Vernunft angemessen ist. Im Ganzen jedoch verkennt er die Bedeutung der Arbeit keineswegs. Bald ist er darin mit sich einig, daß in demselben eine eigenartige Erneuerung von HUMEs Skepsis versucht wird. Er findet, KANT verdiene immer den Titel eines preußischen Hume. Alles scheint ihm "doch auf ein neues Organon, neue Kategorien, nicht sowohl scholastischer Architektonik als auch skeptischer Taktik hinauszulaufen". Selbst den Vergleich, den die Rezension zwischen KANT und BERKELEY zieht, findet er später trotz KANTs Unzufriedenheit nicht unangemessen. "Soviel ist gewiß", schreibt er bei der Erwähnung der Rezension an HERDER, "daß ohne Berkeley kein Hume gewesen wäre, wie ohne diese kein Kant". (42) Einverstanden jedoch weiß sich HAMANN weder mit HUME noch mit KANT. Nur in Anbetracht der beiden gemeinschaftlichen kritischen Ausführungen, unter denen er offenbar ihre Polemik gegen die dogmatische Metaphysik versteht, ist er der gleichen Ansicht. Sonst ist ihm HUME zu skeptisch, KANT dagegen, und zwar in seiner transzendentalen Theologie, die auf ein Ideal der Entität [des Seins - wp] hinausläuft, zu mystisch; ohne es zu wissen, schwärme derselbe ärger als PLATO in der Intellektualwelt über Raum und Zeit. Als KANT ihn aufmuntert, seine Übersetzung der Dialoge HUMEs herauszugeben, bemerkt er gegen HARTKNOCH, KANT bedenke nicht, daß er den englischen HUME nicht übersetzen kann, ohne dem preußischen zu nahe zu kommen, und den Speer gegen die ganze Transzendental-Philosophie und sein System der reinen Vernunft zu brechen. Im Ganzen zieht er sogar HUME seinem Nachfolger vor, denn derselbe habe wenigstens das Prinzip des Glaubens veredelt und in sein System aufgenommen. KANT dagegen ist ihm trotz seiner Mystik andererseits nicht religiös genug; er wiederkäue immer HUMEs Kausalitätsstürmerei ohne an jenes Glaubensprinzip zu gedenken. Das komme ihm nicht ehrlich vor. Einmal spricht er sogar von Transzendental-Philosophen, die von Gott nichts wissen und sich in die liebe Natur vergaffen wie die Narren. Selbst wenn es uns nicht ausdrücklich durch HAMANN bezeugt würde (43), dürften wir annehmen, daß KANT von dieser Auffassung seines Systems wohl unterrichtet war. Denn er war sicher auf die ersten sachverständigen Urteile viel zu gespannt, um nicht bei den damals gerade nicht seltenen Zusammenkünften mit HAMANN (44) die Gelegenheit zu einer Diskussion im Notfall selbst hervorzurufen, und HAMANN andererseits war viel zu unbekümmert und seiner selbst viel zu gewiß, um eine solche Gelegenheit, wo sie sich fand, nicht zu ergreifen. KANT mochte HAMANNs Polemik anfangs als ein aus der Geistesrichtung desselben leicht begreifliches Mißverständnis hingenommen haben; nach dem Erscheinen jener Rezension jedoch mußte er dieselbe ernster fassen. Denn er fand hier einen ähnlichen Irrtum wie dort. Auch hier war die Bedeutung seiner Deduktion unverstanden. Einen Vergleich mit HUME hatte er zwar, da er auf ihn als seinen einzigen Vorgänger hingewisen hatte (Kr. d. r. V. Seite 788f) selbst herausgefordert; aber die Art, wie HAMANN denselben zog, stellte den eigentlichen Zusammenhang in Schatten. Nicht die skeptische Konsequenz, sondern die kritische Fragestellung war es, die HUME zu seinem Vorgänger machte. Hier aber wurde die erste betont, die letztere dagegen ganz außer Acht gelassen. So drängte ihn auch dieses Mißverständnis auf eine ausführliche Auseinandersetzung mit HUME hin, die schon durch die irrige Auffassung der Rezension aus anderen Gründen gefordert war. Es waren ziemlich umfangreiche Zusätze und Einschiebungen, die KANT für seinen neuen Plan nötig gefunden hat. So verging, trotzdem er keinen Anlaß hatte, den ursprünglich ausgearbeiteten Auszug selbst irgendwie wesentlich zu verändern, der Sommer 1782, ehe das Werk in seiner neuen Gestalt fertig war (45). Denn auch jetzt noch war wohl der größere Teil seiner Zeit der Ausarbeitung der ethischen Gesichtspunkte gewidmet, die auf die Ausführung seines Vorhabens übrigens nicht ohne Einfluß geblieben sind, und vielleicht damals schon begannen durch die unerwarteten Mißverständnisse der Auffassung seines Hauptwerkes affiziert [angeregt - wp] zu werden. Äußere Einwirkungen von nennenswerter Bedeutung dagegen traten in dieser Zeit nicht mehr an ihn heran (46). Das Schweigen, mit dem die Kritik im ersten Jahr aufgenommen worden war, dauerte nach der kurzen Unterbrechung durch jene Rezension, welche zeigt, wie selbst wissenschaftliche Erbärmlichkeit gelegentlich von Einfluß werden kann, auch damals noch fort. Erst im August 1782, als er eben im Begriff war, die Prolegomenen zu vollenden, erschien eine zweite Rezension in den Gothaischen Gelehrten Zeitungen. Dieselbe zeigte jedoch nur, daß ihr Verfasser (47) unfähig war, den Inhalt der Kritik zu begreifen. Sie begnügt sich mit einigen Auszügen aus der Einleitung und der transzendentalen Ästhetik. KANT fand zwar in seinem Unwillen über die schiefe Auffassung der Göttinger Rezension in derselben eine empfehlenswerte "Probe eines aus sachlichen Gründen verspäteten eindringenden Urteils" (Prolegomena, Seite 216). Hatte ihn doch jener Unwille schon so weit gebracht, daß er aus bitterer Ironie am Schluß der Prolegomenen (Seite 216) erklärte, er sei dem gelehrten Publikum auch für das Stillschweigen verbunden, womit es eine geraume Zeit hindurch seine Kritik beehrt hat. Dasselbe beweist doch einige Behutsamkeit, durch kein übereiltes Urteil das noch zarte Pfropfreis zu brechen und zu zerstören. ![]()
2) Kants Werke, hg. von Hartenstein, 1867-68, Bd. VIII, Seite 683. 3) Bekanntlich verlor Kant diesen Plan, der ihm noch 1789 vorschwebte (Werke VIII, Seite 714), später so ganz aus den Augen, daß er es für eine "unbegreifliche Anmaßung" hielt, ihm die Absicht zu unterschieben, er habe bloß eine "Propädeutik" [Vorschule - wp] zur Transzendentalphilosophie, nicht das System dieser Philosophie selbst liefern wollen (a. a. O., Seite 600). 4) Hamanns Werke, hg. von Friedrich Roth, Bd. VI, Seite 236. 5) Kants Werke VIII, Seite 683. 6) Zur Orientierung über diese Zitate bemerke ich, daß in meiner demnächst erscheinenden Ausgabe der Kr. d. r. V. der Text und die Paginierung der zweiten Auflage zugrunde gelegt ist. Alle Abweichungen der ersten Auflage sind unter dem Text angemerkt, außer 1) die Vorrede zu derselben, 2) die Deduktion der Kategorien, 3) die Kritik der psychologischen Paralogismen. Diese sind als Beilage (B) I, II, III im Anhang gemäß der Paginierung der ersten Auflage zusammengedruckt. Alle Seitenangaben der Kr. d. r. V. (und entsprechend der Prolegomenen) in dieser Abhandlung beziehen sich auf diese Normalzahlen. 7) Werke IV, 365 8) Hamanns Werke, Bd. VI, Seite 154, 158. Aus äußeren Gründen (man vgl. meine Einleitung zur Kr. d. r. V.) ist nicht unwahrscheinlich, daß Kant um den Anfang September, als er Hamanns Übersetzung erhielt (die vorher Lauson zur Durchsicht gehabt hatte), mit der Niederschrift seiner Kr. d. r. V. nahezu im reinen war, sie vielleicht schon beendet hatte. Innere Gründe machen dies nahezu sicher. Kant erwähnt Hume in der ersten Auflage seiner Kr. d. r. V. erst in der Methodenlehre; Humes theologischen Ansichten ganz kurz (Seite 723), bald darauf (Seite 788, 792) seine Theorie der Kausalität ausführlich. Die ersteren werden ferner im Gegensatz zu denen Priestleys, und überdies nicht in unmittelbarer Beziehung zu Kants eigenen bezüglichen Ansichten charakterisiert. In den Prolegomenen dagegen wird Humes Kritik des dogmatischen Anthropomorphismus, die den eigentlichen Inhalt der Dialoge bildet, eingehend besprochen, und zwar im Anschluß an Überlegungen, die schon in der ersten Auflage angestellt werden, ohne daß doch dabei Humes Name genannt oder auf Humes Lehren mittelbar Bezug genommen worden wäre. Eine unmittelbare polemische Einwirkung Humes auf Kant zur Zeit der Abfassung des Teils der Kr. d. r. V. oder gar der transzendentalen Dialektik ist dadurch ausgeschlossen. Andererseits aber ist sicher, daß Kant durch die Einsicht in Hamanns Übersetzung der Dialoge lebhaft angeregt wurde, wie sein Dringen auf eine Veröffentlichung dieser Übersetzung beweist (Hamann, Werke VI, Seite 190). Also bleibt nur anzunehmen, daß Kant die Dialoge Humes erst nach Abschluß der Kr. d. r. V. kennen gelernt hat. 9) Kraus war (zugleich als Überbringer der von Zedlitz dringend erbetenen Kollegienhefte Kants über Logik und Metaphysik) vom Dezember 1778 bis zum Spätsommer 1779 in Berlin, wo er außer mit Herz und Mendelssohn besonders noch mit Biester, dem damaligen Privatsekretär von Zedlitz verkehrte. Man vgl. Kants Briefe an Herz aus dieser Zeit und Johannes Voigt, Das Leben des Professor Christian Jakob Kraus (in Kraus' Schriften, Bd. VIII, Seite 76f) 10) Kants Werke VIII, Seite 727; man vgl. Seite 703. 11) Kraus' Leben, Seite 87. Nur das Obige scheint mir aus der hier erzählten Anekdote zu folgen. Sehr unwahrscheinlich ist es, daß man Kant dort für einen "Dilettanten in der Philosophie" gehalten hat. Feder, dessen Gegenwart bei dem Gespräch ausdrücklich erwähnt wird, kannte damals verschiedene der vorkritischen Schriften Kants und wußte auch schon, daß Kant der Verfasser der "Träume eines Geistersehers" ist, die er früher mit großem Lob angezeigt hat (Feder, Über Raum und Kausalität, 1787, Vorrede, Seite IIIf). 12) Man vgl. Johann Schulze, Erläuterungen zu des Herrn Professor Kant Kritik der reinen Vernunft 1784, Vorrede Seite 5f. 13) Man vgl. Hippels Selbstbiographie in Schlichtegrolls Nekrolog auf das Jahr 1796, Bd. VII, Seite 286. 14) Hamanns Werke, Bd. VI, Seite 178 und a. a. O. 15) Hamann, a. a. O, Seite 190; man vgl. Seite 198. 16) Hamann, a. a. O., Seite 204. Die Fabel, welche Rink (Ansichten aus Kants Leben, Seite 52) berichtet, daß der Verleger die Absicht gehabt hat, das Buch in die Makulatur zu werfen, beweist nur, welche übertriebenen Vorstellungen man später, als die Flut der Kant-Literatur bereits zu einer erstaunlichen Höhe herangewachsen war, von dem ersten geringen Erfolg der Kr. d. r. V. hegte. Die Unkenntnis, die noch gegenwärtig über die bedeutsamen Anfänge dieser ganzen Bewegung herrscht, hat es ermöglicht, daß ähnliche Annahmen noch jetzt erhalten sind. 17) Kraus bei Reicke, Kantiana, Seite 21, Anm. 53 18) Schulze, Erläuterungen, Seite 9. 19) Kr. d. r. V., Seite XLIII. Man vgl. Prolegomena, Seite 18 und die Briefe Kants an Schulze a. a. O. 20) Kants Werke VIII, Seite 705. 21) a. a. O., Seite 677 22) Hamann, Bd. VI, Seite 201; 197. 23) Hamann hatte bereits am 1. Juli 1781 eine Rezension en gros fertig, a. a. O. Seite 204. 24) Hamann, a. a. O., Seite 202. 25) Man vgl. Hamann, a. a. O., Seite 215, 219, 222, 236. 26) Man vgl. hier Anmerkung 38. 27) Die obige Darstellung würde unhistorisch sein, wenn Feders Bericht zutreffend wäre. Er will die Kritik durch die Rezension in der "Gothaer Gelehrten Zeitung" kennen gelernt haben (Feders Leben, Seite 117). Aber die Göttinger Rezension ist die erste erschienene. 28) Feder, Über Raum und Kausalität, Vorrede Seite IV. 29) Man vgl. hierzu Feders Leben, Seite 117f. 30) Das Maximum für eine Rezension sollte damals bei den "Göttinger Gelehrten Anzeigen" einen Bogen betragen (Gustav Hugo, Beiträge zur civilistischen Bücherkenntnis, Bd. 1, Seite 39). Die Rezension Feders umfaßt jedoch nur neun Seiten. 31) Die oben gegebene Darstellung ergibt sich aus einer Vergleichung der verkürzten Rezension mit dem späteren Abdruck der ursprünglichen in der "Allgemeinen Deutschen Bibliothek", den Kant erst nach Beendigung der Prolegomenen kennenlernte (man vgl. das Nähere in meiner Einleitung zur Kr. d. r. V.). Feder gesteht direkt nur den auf Berkeley bezüglichen Zusatz ein (Feders Leben, Seite 119). 32) So schreibt Hamann an Herder (a. a. o., Seite 243). 33) Man vgl. Hamann, a. a. O., Garve klärte den Zusammenhang erst auf, nachdem er durch die Prolegomenen erfahren hatte, wie Kant über jene Anzeige geurteilt hat. 34) Kr. d. r. V. A, Seite 117; B Seite 89f. 35) Die nähere Begründung dieser Auffassung folgt aus den späteren Ausführungen dieser Einleitung. 36) Man vgl. die späteren Ausführungen dieser Einleitung. 37) Hamann spricht charakteristischerweise bis zum 11. Januer 1782 nur von einem "Populären Auszug". In dem Brief an Herder vom 20. April 1782 heißt das Werk dagegen zuerst "Prolegomena einer noch zu schreibenden Metaphysik". Beweiskräftig sind diese Äußerungen jedoch nur für die Veränderung der Tendenz der Schrift, über die Kant sich eher aussprach als über den Titel. Denn daß die Bezeichnung als "Prolegomena" von Kant späterhin auch schon für den ursprünglichen Auszug bestimmt war, folgt aus gelegentlichen Erwähnungen desselben an solchen Stellen des Textes, die nicht den späteren Zusätzen beizurechnen sind (Prolegomena, Seite 97, 100). 38) Die erforderlichen Zeitbestimmungen seien hier gleich erwähnt. Wie oben geziegt wurde, ist der "Populäre Auszug" von Kant etwa im September 1781 begonnen worden. Aus dem in der vorhergehenden Anmerkung Mitgeteilten folgt, daß die Erweiterung des früheren Plans in der Zeit bis Ende Januar (am 19. erschien die Rezension) und Mitte April 1782 vor sich ging. Aus späteren Erörterungen (weiter unten in dieser Einleitung) ergibt sich, daß Kant damals seinen Auszug etwa bis § 55 der Prolegomenen beendet hatte. Die Prolegomenen selbst ferner waren vermutlich im September 1782 druckfertig. Denn nach Kants eigener Äußerung (Prolegomena, Seite 216) erhielt er die Gothaische Rezension vom 24. August 1782, als er eben an den letzten Absätzen der Prolegomenen schrieb. Im Dezember muß der Druck (nach Hamann, Bd. VI, Seite 305) bereits einigermaßen vorgerückt gewesen sein. 39) Hamann, a. a. O., Bd. II, Seite 7. 40) Hamann, a. a. O., Bd. VI, Seite 171. 41) Diese wie die folgenden Äußerungen finden sich in den Briefen Hamanns an Herder und Hartknoch aus dieser Zeit (a. a. O., Seite 178f). 42) Später schreibt Hamann an Jacobi: "Mich ärgert an Kants Auslegern das Verstecken des Idealismus, der doch die Seele des Systems ist." (Jacobis Werke, Bd. IV, Seite 313). Die allgemeine Auffassung hat ihn also in Mitleidenschaft gezogen. 43) Hamann, a. a. O., Bd. VI, Seite 227. 44) Hamann, a. a. O., Bd. VI, Seite 227. 45) Man vgl. hier Anmerkung 37 und weiter unten in dieser Einleitung. 46) Zu jenen Anregungen, deren Einfluß unbestimmbar gering ist, gehört auch die Schrift des Pastor Schulz, Versuch einer Anleitung zur Sittenlehre für alle Menschen ohne Unterschied der Religion, die Kant im Aprilheft 1783 des "Raisonnierenden Verzeichnisses neuer Bücher" besprochen hat. Die Abdrucke dieser kleinen Abhandlung in den Gesamtausgaben (bei Hartenstein, Bd. IV, Seite 135) sind übrigens höchst mangelhaft. 47) Sie rührt von einem Hofmarschallamtssekretär Ewald in Gotha her (Reinhold, Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse etc., Bd. II, Seite 2). |