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JOHANN SCHULZE
Erläuterungen über des
Herrn Professor Kant
Kritik der reinen Vernunft


"Nun da sich ein Mann findet, der einen Beweis abgibt, daß ich verstanden werden kann und zugleich ein Beispiel, daß meine Aufsätze nicht ganz unwürdig sind, durchgedacht zu werden, um sie zu verstehen, und hernach allererst ihren Wert oder Unwert zu beurteilen: so hoffe ich, es werde die Wirkung tun, die ich wünsche, nämlich die längst zurückgelegte Sache der Metaphysik aufs Neue vorzunehmen und zur Entscheidung zu bringen." - Kant


V o r r e d e

Die Kritik der reinen Vernunft, welche Herr Professor KANT der gelehrten Welt vor drei Jahren überliefert hat, ist ohne Zweifel die auffallendste und wichtigste Erscheinung, die sich im Feld der spekulativen Weltweisheit ereignen konnte. Dieses Werke, das in Anbetracht der Neuheit seines Gegenstandes und der Behandlung desselben ganz Original, und in Anbetracht der durchdringenden Scharfsinnigkeit und der kaum erreichbaren Tiefe, die es durchgehends auszeichnen, beinahe das einzige seiner Art ist, zeigt mit apoktischer [sicherer - wp] Gewißheit, nicht nur, daß alle bisherige metaphysischen Systeme lauter Sophistereien und leerer Dunst sind, sondern es entdeckt auch den Weg, auf welchem wir endlich einmal zu einer Metaphysik kommen können, die zuverlässig und für unsere Vernunft vollkommen befriedigend ist. Und dieses Werk ist nicht eines Probeschrift eines raschen Jünglings, oder ein Gewebe sinnreicher Extemporalienfälle [Stehgreifarbeit, bzw. "Ex" - wp] eines begeisterten Schwärmers, dem System und Welten umschaffen, ebenso leicht ist, wie seine Frisur umwandeln, sondern ein Werk eines Mannes, den Deutschland schon lange als einen seiner größten Philosophen ehrt, ein Lehrgebäude, das bis auf die kleinsten Bruchstücke aufs Tiefste durchgedacht ist, dessen Gründung und Aufführung der ruhige Forscher den größten Teil seines Lebens gewidmet hat, über dessen Idee er schon von neunzehn Jahren mit dem berühmten LAMBERT korrespondierte (1), und dessen erste Grundlage er bereits vor vierzehn Jahren in seiner Inauguraldisputation (2) bekannt machte.

Ein Werk von diesr Art verdient nicht nur die Aufmerksamkeit eines jeden, dem die Berichtigung und Erweiterung unserer allgemeinen Vernunfterkenntnisse nicht gleichgültig ist, sondern auch die genaueste und sorgfältigste Prüfung der Kenner. Die Deduktion der Unrechtmäßigkeit unserer metaphysischen Besitzungen ist nun einmal im Archiv der philosophischen Geschichte unseres Jahrhunderts vollständig niedergelegt. Sie darin ungeprüft liegen lassen, wäre also ein stillschweigendes Geständnis, daß KANT Recht hat, und daß wir nunmehr entweder nach seiner Art philosophieren, oder uns alles weiteren Philosophierens gänzlich begeben wollten. Das Letztere wäre, wie KANT sehr naiv anmerkt, wohl ebenso viel, als der Entschluß, um keine unreine Luft mehr einzuatmen, uns lieber des Atemholens gänzlich zu enthalten. Das erstere aber setzt schon ansich Kenntnis und Untersuchung des kantischen Systems voraus.

Indessen hat dieses wichtige Werk das eigene Schicksal, daß man fast allgemein über unüberwindliche Dunkelheit und Unverständlichkeit desselben klagt. Öffentliche Beweise hiervon von unter andern die beiden Rezensionen desselben in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen und in der Allgemeinen deutschen Bibliothek. Daß nun ein Buch, wie die Kr. d. r. V., wo der Gegenstand der Untersuchung die ursprüngliche Grundlage und Möglichkeit allen Empfindens und Denkens, folglich gerade die feinste und tiefste unter allen Spekulationen betrifft, wo in jeder Materie eine gänzliche Abstraktion von allem Sinnlichen erfordert wird, und die Vernunft ganz für sich allein ohne alle Beihilfe sinnlicher Bilder arbeiten muß, wo überdem jeder Tritt noch ungebahnt, wo jede eröffnete Aussicht ganz fremd und unerwartet, wo alles zusammen, Vorstellung und Sprache, gleich neu und ungewohnt ist, - daß ein solches Buch nicht populär und jedem verständlich sein kann, daß es selbst geübten Denkern sehr schwer und anstrengend zuweilen auch dunkel bleiben, und bei seiner beträchtlichen Größe auch den geduldigsten Leser ermüden muß, dies ist, denke ich, wohl gar nichts Befremdendes. Daß man aber dasselbe beinahe als ein versiegeltes Buch, das niemand öffnen kann, oder als eine solche Tiefe ansieht, die auch Philosophen durch das Tageslicht des gemeinen Menschenverstandes vergeblich zu erhellen suchten - das ist in der Tat befremdend.

Dieses unerwartete Schicksal, das dem Verfasser natürlich sehr unangenehm sein mußte, hatte inzwischen für das Publikum den günstigen Erfolg, daß es durch die Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, welche Herr Professor KANT im vorigen Jahr herausgegeben hat, eine sehr schätzbare Erläuterung seiner Kritik erhielt. In der Tat verbreiten diese über das System des Verfassers manches angenehme Licht. Gleichwohl ist hierdurch die Klage über die Unverständlichkeit desselben bis jetzt noch wenig vermindert worden. Ja, es scheint beinahe, daß man vor den Prolegomenen fast nicht weniger zurückbebt, als vor der Kritik. Soviel ich davon einsehe, kann vielleicht der Grund hiervon darin liegen: So deutlich auch der Anfang der Prolegomenen den eigentlichen Zweck der Kritik enthält, so sind sie doch im weiteren Fortgang in einigen Stellen zu weitläufig und mit vielen Nebenumständen durchflochten, als daß man die eigentliche Kette der Schlüsse bemerken und festhalten könnte. Hier wurde der Verfasser dunkel, bloß weil er zu deutlich sein wollte. In den meisten Materien aber sind sie für sich allein gar nicht verständlich, sondern erfordern notwendig schon eine Bekanntschaft mit der Kritik, und eine Vergleichung mit dieser. Diese Vergleichung aber ist eine so äußerst mühsame und schwierige Sache, daß man statt der gesuchten Aufklärung sehr oft nur in noch größere Verwirrung gerät. Hierzu kommt noch, daß die Kritik die synthetische Methode befolgt, die hier der eigentlichen Natur der Sache angemessene ist, die Prolegomena dagegen analytisch verfahren, folglich zwar die Einsicht in die ganze Sache wirklich bereichern, aber dem Leser, der schon Mühe hat, auf dem einen Weg fortzukommen, durch die Leitung auf diesen zweiten, die Übersicht des Ganzen mehr erschweren, als befördern.

Dem sei indessen, wie ihm wolle, so hat die Kr. d. r. V. nun einmal das besondere Schicksal, daß sie selbst für den größten Teil des gelehrten Publikums ebenso viel ist, als ob sie aus lauter Hieroglyphen [ägyptische Bilderschrift - wp] bestünde. Sollte es also nicht mehr, als bloße Vermutung sein, daß eine kurze allgemein verständliche Zergliederung dieses wichtigen Werkes jedem forschenden Freund der Wahrheit ebenso angenehm sein dürfte, als sie zur künftigen zweckmäßigen Prüfung desselben, und eben hierdurch zu weiteren Fortschritten in der Philosophie, unentbehrlich zu sein scheint? Es scheint zwar eine nicht geringe Vermessenheit für den zu sein, der sich zu einem solchen Unternehmen stark genug glaubt. Allein wenn ich mir ohne Vermessenheit zu sagen getraue, daß das so dunkle System der Vernunftkritik mir, der ich mich doch so wenig zu den Metaphysikern von Profession zählen kann, durch bloß wiederholtes Lesen und Durchdenken in einem Zeitraum von kaum dreiviertel Jahren ebenso hell und so geläufig geworden, als irgendeines von denen, die ich vorher durchdacht habe; so sehe ich nicht ab, warum es nicht jedem denkenden Kopf ebenso hell und geläufig werden sollte, wenn ich ihm das, was ich erst aus einem weitläufigen Werk durch viele Mühe hervorsuchen mußte, in einer kurzen Übersicht von wenigen Bogen darstelle.

Da ich nicht eher, als vorigen Sommer, die nötige Muße gefunden habe, die kantischen Kritik im Zusammenhang durchzulesen; so war mein erster Plan bloß dahin gerichtet, ihren Inhalt mit einer kurzen Prüfung in einer ausführlichen Rezension mit Weglassung aller neuen Kunstwörter, so populär wie möglich zu zergliedern. Um mich vollkommen zu versichern, ob ich den Sinn der Kritik auch überall richtig getroffen habe, schickte ich die Anzeige des Inhalts, die aber schon bei weitem die Grenzen einer Rezension überstieg, dem Herrn Verfasser zur eigenen Entscheidung zu und die freundschaftliche Antwort desselben gab mir hiervon sehr bald die angenehmste Gewißheit.
    "Es macht mir", schrieb er unter anderem, "ungemein viel Vergnügen, Sie an meine Versucht mit Hand anlegen zu sehen, vornehmlich aber die Allgemeinheit der Übersicht, mit der Sie allenthalben das Wichtigste und Zweckmäßigste auszuheben, und die Richtigkeit, mit welcher Sie meinen Sinn zu treffen gewußt. Dieses letztere tröstet mich vorzüglich für die Kränkung, fast von niemand verstanden worden zu sein, und nimmt die Besorgnis we, daß ich die Gabe, mich verständlich zu machen, in einem so geringen Grad, vielleicht in einer so schweren Materie gar nicht besitze, und alle Arbeit vergeblich aufgewandt haben möchte. Nun da sich ein Mann findet, der einen Beweis abgibt, daß ich verstanden werden kann und zugleich ein Beispiel, daß meine Aufsätze nicht ganz unwürdig sind, durchgedacht zu werden, um sie zu verstehen, und hernach allererst ihren Wert oder Unwert zu beurteilen: so hoffe ich, es werde die Wirkung tun, die ich wünsche, nämlich die längst zurückgelegte Sache der Metaphysik aufs Neue vorzunehmen und zur Entscheidung zu bringen."
Ich wurde hiervon sowohl in verschiedenen persönlichen Unterredungen, als auch durch mehrere gütige Zuschriften, noch vollkommener versichert, wobei Herr Professor KANT allemal den Wunsch äußerte, daß ich meinen Aufsatz nicht in ein Journal einrücken lassen, sondern ihn noch ausführlicher eingerichtet als eine besondere Schrift herausgeben, und darin zugleich mich über die eigentliche Art auslassen möchte, wie die Untersuchung seines Werkes, wenn sie für die Wissenschaft den gewünschten Vorteil haben soll, anzustellen sei. So schrieb er mir unter anderem bald nachher bei Mitteilung der Rezension seiner Kritik in der Allgemeinen deutschen Bibliothek ausdrücklich:
    "Da Sie, wie mir gesagt wurde, das Resultat Ihres Urteils schon aufgesetzt haben, so halte ich diese Ihre Teilnehmung für so wichtig, daß ich wünsche, Sie möchten der Vollendung derselben noch einigen Aufschub geben, um, wo möglich, dem metaphysischen Publikum einen Wink zu geben, wie, in welcher Ordnung, und nach welcher, auf die wesentlichen Punkte zu Anfangs allein zu richtenden Aufmerksamkeit, die Untersuchung hierüber anzustellen, und die Grenze aller unserer Einsicht in diesem Feld sicher zu bestimmen wäre. Denn auf diese Art allein kann ein für die Wissenschaft vorteilhafter Ausgang gehofft werden, es mag nun von meinen Versuchen viel oder wenig übrig bleiben."
Dergleichen wiederholte Erklärungen, die mich hinreichend überzeugen konnten, daß ich den Inhalt der Vernunftkritik richtig gefaßt habe, nebst der wirklichen Erfahrung, daß mein Aufsatz auch anderen, die mit dem Werk selbst teils nur wenig, teils noch gar nicht bekannt waren, vollkommen deutlich und verständlich war, schienen mir eine Aufforderung zu sein, dem Wunsch des Verfassers gemäß, meinen Aufsatz durch mehrere Ausführlichkeit noch gemeinnütziger zu machen. Da ich aber bald eingesehen habe, daß ich meinen Zweck immer nur unvollkommen erreichen, und bei aller Deutlichkeit in der Auseinandersetzung des eigentlichen Systems der Kritik dennoch schwerlich bei meinen Lesern allen Mißverstand gänzlich verhüten könnte, sofern ich nicht ins Detail gehe, und den ganzen Gedankengang des Verfassers durch alle Abschnitte der Kritik, nach allen ihren Sätzen und deren Beweisen so vollständig zu machen, daß ein jeder aus demselben allein die völlige Bekanntschaft mit dem ganzen Inhalt derselben erlangen könnte, ohne daß er erst die beschwerliche Mühe anwenden dürfte, dieses weitläufige Werk selbst darüber zu Rate zu ziehen. Um aber zugleich denen, die gerne mit eigenen Augen sehen, und aus der Quelle selbst zu schöpfen wünschen, auch das Lesen der Kritik auf die möglichste Art zu erleichtern, so änderte ich meinen anfänglichen Entschluß, die neue Terminologie des Verfassers gänzlich wegzulassen, und wählte vielmehr den Weg, bei jeder Materie zugleich die dahin gehörigen neuen Kunstwörter deutlich zu erklären, bei ihrem nachmaligen Gebrauch aber nur sehr sparsam zu sein. Auf diese Weise hoffe ich, für jede Klasse meiner Leser gesorgt zu haben.

Da ich mich einmal mit der Kr. d. r. V. so vertraut gemacht habe; so war es mein fester Vorsatz, meiner Erläuterung des kantischen Systems, und den Winken zu einer zweckmäßigen Prüfung desselben, zugleich den eigenen Versuch einer unparteiischen und ausführlichen Prüfung beizufügen. Allein da die Nähe der Messe mir die Vollendung derselben unmöglich gemacht hat; so verspare ich diese, sofern das Publikum sie seiner Aufmerksamkeit nicht für unwürdig hält, zu einer der beiden nächsten Messen umso lieber, da eine Nichtübereilung wohl in keiner Sache nötiger sein kann, als in dieser. Noch angenehmer aber würde es mir sein, wenn mittlerweile Männer von tieferen und ausgebreiteteren Kenntnissen durch eine gründliche Beurteilung des kantischen Systems meinen geringen Beitrag hierzu ganz entbehrlich machen würden. Mir wird es schon Befriedigung genug sein, wenn meine Arbeit das Glück hat, der großen Erwartung, die ein mir unbekannter Gelehrter in dem diesjährigen zwölften Stück der Gothaischen gelehrten Zeitungen dem Publikum davon gemacht hat, auch nur zum Teil zu entsprechen, und über die Kr. d. r. V. nur so viel zu verbreiten, daß jeder geübte Denker ohne außerordentliche Anstrengung ihren wahren Inhalt kennenlernen kann, und kein Philosoph durch die Besorgnis, den Verfasser etwa mißzuverstehen, von der Untersuchung dieses wichtigen Werkes, zur endlichen gewünschten Entscheidung der wahren Art und Grenze unseres Philosophierens, weiter abgeschreckt werden darf.


Über Kants
Kritik der reinen Vernunft


Erster Abschnitt
Versuch einer deutlichen
Anzeige ihres Inhalts

Der Zweck der kantischen Vernunftkritik ist kein geringerer, als dieser, die Vernunft zu ihrer wahren Selbsterkenntnis zu führen, die Gerechtsame [Berechtigung - wp] zu untersuchen, auf welche sie den vermeintlichen Besitz ihrer metaphysischen Erkenntnisse gründet, und eben hierdurch die wahren Grenzen abzustecken, über welche sie sich mit ihren Spekulationen nicht hihauswagen darf, sofern sie sich nicht in ein leeres Feld von lauter Hirngespinsten verirren will - ein Unternehmen, davon schon die bloße Idee den philosophischen Geist ihres Erfinders hinlänglich verrät.

Unsere Erkenntnisse, sagt er, fangen von Erfahrung an. Allein die Erfahrung lehrt uns zwar, was da ist, aber nicht, daß es notwendig so und nicht anders, und also auch jedesmal so sein muß. Daher wird durch sie die Vernunft mehr gereizt, als befriedigt, denn diese strebt nach Erkenntnissen, die Allgemeinheit und innere Notwendigkeit mit sich führen. Solche allgemeine Erkenntnisse, die zugleich den Charakter der inneren Notwendigkeit haben, müssen also von der Erfahrung unabhängig, für sich selbst klar und gewiß sein, daher nennt man sie Erkenntnisse a priori, da im Gegenteil das, was lediglich von der Erfahrung erborgt ist, nur a posteriori oder empirisch erkannt wird. Die Vernunft ist das Vermögen, welches die Prinzipien der Erkenntnisse a priori an die Hand gibt. Reine Vernunft heißt daher diejenge, welche die Prinzipien enthätl, etwas völlig und schlechthin a priori zu erkennen.

Nun sind überhaupt zweierlei Arten von Urteilen oder Sätzen möglich, nämlich entweder ist das Prädikat schon auf eine versteckte Weise im Begriff des Subjekts enthalten, oder es liegt ganz außerhalb des Begriffs vom Subjekt. Die Urteile und Sätze der ersten Art nennt der Verfasser analytische, und die von der zweiten Art synthetische - Benennungen, die beide sehr wohl gewählt sind. Analytische Sätze erweitern also den Begriff des Subjekts nicht im Mindesten, denn sie tun zum Inhalt desselben nichts hinzu, sondern sie zergliedern bloß das, was im Begriff schon wirklich, obgleich nur verworren gedacht wird, und machen daher denselben deutlich und verständlich. So erweitert z. B. der Satz: "alle Körper sind ausgedehnt" meinen Begriff vom Körper nicht im Mindesten, sondern löst ihn bloß auf, denn dieser Satz ist bloß analytisch, indem ich im Begriff des Körpers, die Ausdehnung schon wirklich denke. Synthetische Sätze dagegen erweitern den Begriff des Subjekts und vergrößern daher die Erkenntnis desselben, denn diese fügen zum Begriff des Subjekts einen ganz neuen hinzu, der in jenem an und für sich nicht enthalten ist. So ist z. B. der Satz: "einige Körper sind schwer" ein synthetischer Satz, denn der Begriff des Körpers schließt ansich den Begriff der Schwere nicht in sich, daher fügt dieser Satz zum Begriff des Körpers einen neuen Begriff hinzu, und vergrößert also meine Erkenntnis vom Körper.

Die Möglichkeit analytischer Sätze ist daher leicht einzusehen. Denn da sie im Prädikat nur das sagen, was schon im Subjekt enthalten ist; so geschieht die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt bloß durch den Satz des Widerspruchs, die Begriffe, die der Satz enthält, mögen empirisch sein, oder nicht. Daher sind auch alle analytischen Sätze ohne Ausnahme Erkenntnisse a priori, weil hier die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt keine Erfahrung nötig hat.

Die Möglichkeit synthetischer Sätze a posteriori ist gleichfalls offenbar. Denn hier wird die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt durch die Erfahrung gegeben, z. B. in dem Satz, daß einige Körper schwer sind, wird das Prädikat der Schwere mit dem Begriff des Körpers durch die Erfahrung verknüpft. Dagegen macht die Möglichkeit synthetischer Sätze a priori umso mehr Schwierigkeit. Denn insofern die sie synthetische Sätze sind, so ist hier das Prädikat nicht im Begriff des Subjekts enthalten, also kann jenes auch nicht aus diesem durch den Satz des Widerspruchs hergeleitet werden, und insofern sie Sätze a priori sind, so kann die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt auch nicht von der Erfahrung abhängen.

Man nehme z. B. den Satz: alles, was geschieht, hat seine Ursache: hier zeigt der Begriff einer Ursache etwas von dem, was geschieht, ganz verschiedenes an, und ist im letzten Begriff gar nicht enthalten . Daher kann der Begriff der Ursache aus dem Begriff dessen, was geschieht, durch den Satz des Widerspruchs gar nicht gefolgert werden, sondern der Satz ist synthetisch. Da er aber nicht nur ein allgemeiner Satz ist, sondern das Prädikat mit dem Subjekt auch auf eine notwendige Art verknüpft ist; so kann man sich bei dieser Verknüpfung auch nicht auf die Erfahrung berufen, sondern der Satz ist zugleich ein Satz a priori. Also frägt es sich, wie der Verstand dazu kommt, zum Begriff dessen, was geschehen ist, den ganz fremden Begriff einer Ursache, der in jenem gar nicht liegt, gleichwohl als ihm notwendig zugehörig hinzuzufügen.

Nun beruth auf solchen synthetischen Sätzen die ganze Endabsicht unserer spekulativen Erkenntnisse a priori. Denn die analytischen Sätze sind zwar höchst wichtig und nützlich, um unseren Begriffen von Gegenständen die nötige Deutlichkeit zu geben, aber sie erweitern unsere Begriffe, folglich auch unsere Erkenntnis von den Dingen nicht, sondern dies geschieht bloß durch synthetische Sätze. Also hängt der Wert oder Unwert aller Erkenntnis a priori von der Frage ab: wie sind synthetische Sätze a priori möglich?

Ehe man diese Frage hinreichend zu beantworten weiß, ist es bloß falsche prahlerische Weisheit, auch nur einen einzigen synthetischen Satz als einen Satz a priori auszugeben. Da nun besonders die eigentlich metaphysischen Sätze insgesamt synthetisch und zugleich von der Art sind, daß sie sogar ganz außerhalb des Feldes aller möglichen Erfahrung liegen, z. B. die Unsterblichkeit unserer Seele, das Dasein eines notwendigen Urwesens etc, folglich schon ihrer Natur nach Erkenntnisse a priori sein müssen, so entsteht, ungeachtet der großen Menge metaphysischer Systeme, die wir haben, nun auf einmal die unerwartete und auffallende Frage: ob auch überhaupt so etwas, wie Metaphysik möglich ist?

Man kann schon daraus erkennen, von welchem Gewicht die obige Frage ist und wieviel Verdienst der Verfasser sich schon dadurch um die Philosophie erworben, daß er diese Frage aufgeworfen und die Notwendigkeit ihrer Auflösung so deutlich gezeigt hat. Allein einen so weit größeren Dank verdient es von jedem Denker, daß er die schwere Arbeit selbst übernommen hat, die Auflösung dieser Frage in ihrer größten Allgemeinheit und Vollständigkeit zu versuchen. Dies ist eben der ganze Zweck und Inhalt seiner Kritik, der er daher mit Recht eine Kritik der reinen Vernunft nennt, weil sie nicht eine Beurteilung philosophischer Systeme, sondern der Vernunft selber ist, wie diese nämlich vermögend und befugt ist, unabhängig von aller Erfahrung, Begriffe miteinander zu verknüpfen, die ansich einander ganz fremd sind, d. h. synthetische Sätze a priori zu erzeugen. Wenn man also erwägt, daß es hier darauf ankommt, das ganze Vermögen der Vernunft durch sie selbst auszumessen, und wenn ich es recht ausdrücken soll, das allerletzte Warum vom Warum auszuspähen, so wird man leicht einsehen, daß dieses die feinste spekulative Untersuchung ist, die von irgendeinem Philosophen angestellt werden kann.

Die Kr. d. r. V. beschäftigt sich demnach bloß mit der Untersuchung: ob, und in welcher Art synthetische Erkenntnisse a priori möglich sind, und wie man dieselbe a priori auf Gegenstände anwenden kann? Dergleichen Erkenntnisse nun, welche das eine, oder das andere lehren, nennt der Verfasser transzendental. Ein System solcher Erkenntnisse würde, wenn dasselbe zugleich die analytische Zergliederung eines jeden darin vorkommenden Begriffs enthält, Transzendental-Philosophie heißen. Zu dieser Wissenschaft muß daher die Vernunftkritik den vollständigen Stoff liefern; und wenn nun dieser erst da ist, so ist es nachher leicht, die ausführliche Zergliederung der dazu gehörigen Begriffe hinzuzufügen.

Der Verfasser teilt die ganze Kr. d. r. V. in eine Elementarlehre, und in die Methodenlehre. Da es nun zwei verschiedene Quellen der menschlichen Erkenntnis gibt, Sinnlichkeit und Verstand, so enthält die Elementarlehre zwei Teile, nämlich die transzendentale Sinnenlehre oder Ästhetik und die transzendentale Verstandeslehre oder Logik.


Die transzendentale Ästhetik

Die beiden Urquellen unserer Erkenntnisse sind die Sinnlichkeit und der Verstand. Durch die erstere werden uns Gegenstände gegeben, durch den letzteren werden sie gedacht. Die Sinnlichkeit heißt die Fähigkeit, oder Rezeptivität, Vorstellungen durch die Art zu bekommen, wie wir von Gegenständen affiziert werden. Daher liefert uns die Sinnlichkeit Anschauungen, d. h. Vorstellungen, die sich auf den Gegenstand unmittelbar beziehen. Der Verstand dagegen heißt das Vermögen zu denken. Dieser liefert uns also Begriffe, d. h. Vorstellungen, die sich auf den Gegenstand bloß mittelbar, durch die Hilfe anderer Vorstellungen, beziehen. Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungstätigkeit, sofern wir von demselben affiziert werden, heißt Empfindung. Eine Anschauung, die sich auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht, heißt empirisch; eine solche dagegen, in welcher nichts ist, was zur Empfindung gehört, heißt eine reine Anschauung. Der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung heißt Erscheinung oder ein Phänomen. In einer Erscheinung heißt das, was der Empfindung korrespondiert, die Materie derselben, dasjenige aber, welches macht, daß das Mannigfaltige der Erscheinung, in gewissen Verhältnissen geordnet, angeschaut wird, heißt die Form der Erscheinung. Da also letztere nicht selbst wieder Empfindung sein kann, sondern vor aller Empfindung, als welche durch sie erst möglich wird, schon vorhergehen muß; so muß sie eine Vorstellung a priori sein, die bereits in unserem Gemüt selbst liegt, und da sie sich auf die zu empfindenden Gegenstände unmittelbar bezieht; so muß auch selbst Anschauung sein. Also ist die Form der Sinnlichkeit, oder die formale Bedingung, unter welcher allein eine empirische Anschauung möglich ist, selbst Anschauung, und zwar eine reine Anschauung a priori. Und hieraus erhellt sich schon erstens die Möglichkeit synthetischer Sätze a priori in Anbetracht derjenigen Wissenschaften, die die Form der Sinnlichkeit zum Objekt haben, indem hier zu jedem Begriff des Subjekts neue Prädikate unmittelbar durch reine Anschauung a priori gegeben werden.

Da nun alle unsere Empfindungen entweder äußere oder innere sind, so muß es auch zwei verschiedene Formen der Erscheinungen geben. Die Form der äußeren Erscheinungen ist der Raum, die Form der inneren die Zeit. Denn mittels des äußeren Sinnes stellen wir uns Gegenstände außerhalb von uns selbst und als getrennt voneinander vor. Das aber, was diese Vorstellung allein möglich macht, ist der Raum. Denn außerhalb meiner selbst heißt nichts anderes, als an einem anderen Ort des Raums, als ich bin, und getrennt voneinander, heißt nichts anderes, als an verschiedenen Orten des Raumes, folglich muß bei den Vorstellungen außerhalb von uns, und getrennt voneinander, schon die Vorstellung des Raums zugrunde liegen. In diesem allein ist die Gestalt der äußeren Dinge, ihre Größe und ihr Verhältnis gegeneinander bestimmt, oder bestimmbar. Folglich ist der Raum nichts anderes, als die Form aller äußeren Erscheinungen. Der innere Sinn gibt uns zwar keine Anschauung von der Seele selbst, als einem Objekt, allein mittels desselben schaut sie doch ihren inneren Zustand an, und zwar so, daß wir uns alle Bestimmungen desselben, entweder als zugleich, oder aufeinander folgend vorstellen. Das aber, was diese Vorstellung allein möglich macht, ist die Zeit. Denn zugleich heißt nichts anderes, als in einerlei Zeit und aufeinander nichts anderes, als in verschiedener Zeit. Folglich ist die Zeit eigentlich nichts anderes, als die Form aller inneren Erscheinungen.

Allein da alle diese Vorstellungen, welche äußere Dinge zu Gegenständen haben, als Bestimmungen unseres Gemüts gleichfalls zum inneren Zustand gehören; so ist die Zeit auch mittelbar die Form aller äußeren Erscheinungen, also überhaupt die Form aller sowohl inneren als auch äußeren Erscheinungen, da hingegen der Raum bloß die Form der äußeren Erscheinungen ist. Also sind Raum und Zeit die beiden Formen der Sinnlichkeit, folglich reine Anschauungen a priori.

Der Verfasser setzt diesen Beweis auf folgende Art ausführlicher auseinander. Daß nämlich Raum und Zeit nicht empirische Vorstellungen, die wir aus der Erfahrung schöpfen, sondern Vorstellungen a priori sind, erhellt sich
    1) daraus, weil sie vor aller Erfahrung vorhergehen, und ihr schon zugrunde liegen, indem die Empfindung äußerer Dinge ohne die Vorstellung des Raums, und die Empfindung unseres inneren Zustandes ohne die Vorstellung der Zeit gar nicht möglich ist.

    2) weil Raum und Zeit ganz notwendige Vorstellungen sind. Denn wir können zwar alle Gegenstände aus dem Raum und aus der Zeit wegdenken, aber den Raum und die Zeit selbst können wir nicht wegdenken. Aber Vorstellungen, die uns ganz notwendig ankleben, sind nicht Produkte der Erfahrung, sondern Vorstellungen a priori.

    3) weil alle Axiome vom Raum und von der Zeit apodiktische Gewißheit mit sich führen. Zum Beispiel daß verschiedene Räume nicht aufeinander folgen, und verschiedene Zeiten nicht zugleich sein können, daß zwischen zwei Punkten nur eine gerade Linie möglich ist [als kürzeste - wp] etc. dergleichen apodiktische Grundsätze können nicht aus der Erfahrung gezogen werden, sondern sie belehren uns vor aller Erfahrung und sind daher Sätze a priori. Wären sie dagegen aus der Erfahrung geschöpft, so würden wir nur sagen können: so lehrt es die gemeine Wahrnehmung, nicht aber: so muß es sich verhalten.
Daß aber Raum und Zeit nicht diskursive oder allgemeine Begriffe, sondern Anschauungen [unmittelbare Vorstellungen - wp] sind, erhellt sich
    1) weil wir uns nur einen Raum, und nur eine Zeit vorstellen können, so daß, wenn wir von verschiedenen Räumen und Zeiten reden, jene nur Teile eben desselben einigen Raums, und diese nur Teile ein und derselben einigen Zeit bedeuten, und diese Teile stellen wir uns auch nicht als Bestandteile vor, aus denen der einige allbefassende Raum und die einige allbefassende Zeit zusammengesetzt wäre, sondern wir denken die Teile des Raums bloß in ihm, und die Teile der Zeit bloß in ihr. Da also sowohl der Raum als auch die Zeit wesentlich einig sind, so daß hier das Ganze nicht durch die Teile, sondern vielmehr die Teile bloß durch das Ganze möglich sind; so können Raum und Zeit nicht allgemeine Begriffe sein, sondern sie sind unmittelbare Vorstellungen, als Anschauungen.

    2) weil alle Grundsätze vom Raum und der Zeit synthetische Sätze sind, z. B. daß die gerade Linie der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten ist, daß verschiedene Zeiten nicht zugleich sein können usw. Da nun synthetische Sätze nie aus bloßen allgemeinen Begriffen entstehen können; so können Raum und Zeit nicht allgemeine Begriffe sein, folglich sind sie Anschauungen.

    3) weil wir uns sowohl den Raum, als auch die Zeit, als eine unendliche Größe vorstellen, folglich alle bestimmte Größe ihrer Teile nur durch Einschränkungen des unendlichen Raums und der unendlichen Zeit, keineswegs aber aus einem allgemeinen Begriff vom Raum und der Zeit möglich ist. Wären also Raum und Zeit nicht Anschauungen, sondern allgemeine Begriffe, so wäre gar kein Begriff von der Größe und den Verhältnissen in Raum und in der Zeit möglich.
Da also Raum und Zeit nichts Empirisches haben, sondern reine Vorstellungen a priori, aber nicht allgemeine Begriffe, sondern Anschauungen a priori sind, so sind sie reine Anschauungen a priori. Allein dieses können sie auf keine andere Art sein, als wenn man sie als die ursprünglichen Formen der Sinnlichkeit betrachtet, unter denen wir allein eine empirische Anschauung von Gegenständen haben können.

Da nun die Geometrie den Raum und die Arithmetik die Zahlen zum Objekt hat, das Zählen aber nicht anders, als mittels der Zeit geschieht, so ist hieraus klar, wie Geometrie und Arithmetik, d. h. wie reine Mathematik möglich ist, nämlich weil allen mathematischen Begriffen eine reine Anschauung als Stoff synthetischer Sätze a priori zugrunde liegt. Und eben hieraus sieht man nicht nur den Grund, woher die reine Mathematik eine reine Vernunftwissenschaft ist, deren Sätze insgesamt Sätze a priori, und daher apodiktisch gewiß sind, sondern auch woher sie die größte Evidenz haben, nämlich weil der Mathematiker alle seine Begriffe konstruieren, d. h. sie in einer reinen Anschauung darstellen kann und muß.

All all dem zieht der Herr Verfasser endlich folgende bemerkenswerte Schlüsse:

1. Raum und Zeit sind also nicht Geschöpfe einer dichtenden Phantasie, sondern sie sind die beiden Formen unserer Sinnlichkeit, d. h. die subjektiven Bedingungen, unter welchen allein, teils unseren inneren, teils unseren äußeren Sinnen Gegenstände erscheinen können, folglich haben sie eine notwendige Beziehung auf Gegenstände, nämlich auf Erscheinungen, also objektive Realität. Daher muß nicht nur alles, was ein Gegenstand unserer äußeren Anschauung sein soll, im Raum, und alles, was ein Gegenstand unserer äußeren Anschauung überhaupt sein soll, in der Zeit sein, sondern alles was vom Raum und der Zeit gilt, muß auch aufs präziseste von dem gelten, was im Raum und in der Zeit ist. Da ferner die Rezeptivität des Subjekts, von Gegenständen affiziert zu werden, notwendigerweise vor allen Anschauungen dieser Objekte vorhergeht; so läßt sich hieraus zugleich verstehen, wie die Form aller Erscheinungen vor allen wirklichen Wahrnehmungen, folglich a priori, im Gemüt vorhanden sein muß.

2. Eben daher aber, weil Raum und Zeit bloße Formen der Sinnlichkeit, folglich nichts weiter, als subjektive Bedingungen sind, unter welchen allein uns sinnliche Anschauung möglich ist; so sind sie weder etwas für sich bestehendes, noch Eigenschaften und Bestimmungen, die an den Dingen selbst haften, sondern sie existieren bloß als Vorstellungen, die unserer Sinnlichkeit als notwendige Bedingungen anhängen, in uns, so daß, wenn wir von den subjektiven Bedingungen unserer menschlichen Anschauung abstrahieren, Raum und Zeit bloße ideale Dinge, d. h. Nichts sind. Obgleich also die Form der äußeren Erscheinungen, nämlich der Raum, von der Art ist, daß er uns als etwas außerhalb von uns Befindliches von unserem Gemüt vorgestellt wird; so ist er doch bloß etwas in unserer Vorstellung, außerhalb derselben aber gar nichts.

3. Hieraus folgt also, daß wir nicht sagen können, daß diejenigen Dinge, welche wir die äußeren nennen, und die wir uns, vermöge der Natur unserer Sinnlichkeit, im Raum, als ausgedehnt, figuriert, undurchdringlich, beweglich etc. vorstellen, auch ohne Rücksicht auf unsere sinnlichen Vorstellungen von ihnen, ansich einen Raum einnehmen, und ansich ausgedehnt, undurchdringlich, beweglich wären, und eine Gestalt hätten etc. Denn alle diese Prädikate legen wir ihnen nur sofern bei, sofern sie Gegenstände unserer Sinnlichkeit sind, und uns als solche erscheinen.

Nun aber können wir gar nicht urteilen, ob die Anschauungen anderer denkender Wesen an eben dieselbe Form gebunden sind, und ob sie daher nicht die Dinge, die uns unsere Anschauung, im Raum, als ausgedehnt etc. vorstellt, unter einer ganz anderen Form anschauen können. Folglich können wir gar nicht sagen, daß die Dinge, die uns als außerhalb von uns, im Raum, und ausgedehnt erscheinen, auch ansich diese Eigenschaften haben können. Ein Gleiches gilt auch von den Gegenständen unseres inneren Sinns. Dieser stellt uns sowohl die äußeren, als auch die inneren Dinge in der Zeit, entweder als zugleich, oder aufeinander folgend, folglich veränderlich vor.

Allein hier können wir ebensowenig sagen, daß dieses Zugleichsein, oder diese Folge, imgleichen das, was wir uns an ihnen als Veränderung vorstellen, Eigenschaften sind, die ihnen ansich zukommen, und daß jedes denkende Wesen überhaupt sich dieselben unter diesen Eigenschaften vorstellt. Also kennen wir die Dinge bloß, wie sie uns erscheinen, folglich sind sie für uns nichts weiter, als Erscheinungen oder Phänomena. Was sie ansich sein mögen, davon wissen wir nichts, und können auch nichts wissen, sondern das Etwas, was diesen Erscheinungen zugrunde liegt, und sich uns, zufolge der Natur unserer Sinnlichkeit, als ausgedehnt, veränderlich usw. zu erkennen gibt, ist uns ansich und nach seiner eigentlichen Beschaffenheit gänzlich unbekannt. Dieses unbekannte Etwas nennt daher der Verfasser den transzendentalen Gegenstand der Erscheinungen, folglich ist dieser in allen Erscheinungen für uns einerlei, nämlich ein unbekanntes = X.
LITERATUR - Johann Schulze, Erläuterungen über des Herrn Professor Kant Kritik der reinen Vernunft, Frankfurt und Leipzig 1791