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JULIUS GUTTMANN
Kants Begriff der
objektiven Erkenntnis

[3/6]

"Mögen sich die einzelnen Erfahrungsinhalte als etwas unserem Bewußtsein von außen her Gegebenes und passiv Hinzunehmendes auffassen lassen, so weist man für die Prinzipien unserer Erkenntnis jede Möglichkeit ab, ihnen einen derartigen Ursprung zuzuschreiben. Sie werden von uns nicht passiv hingenommen und den Objekten entlehnt, in denen sie sich unabhängig von unserer Erkenntnisarbeit vorfänden; erst die Aktivität unserer Erkenntnis liegt sie den Objekten zugrunde und kann sie deshalb nur aus sich selber schöpfen."

"So oft ich etwa an die Zahl 2 denke, ist es stets eine neue Vorstellung, die in mein Bewußtsein tritt und die in ihren psychologischen Merkmalen niemals ganz mit den früheren Bewußtseinsinhalten übereinstimmt, die mir gegenwärtig waren, als ich mir die Zahl 2 vorstellte. Bei aller Verschiedenheit dieser Vorstellungen aber ist es derselbe gedankliche Inhalt, der in ihnen allen erfaßt wird; so viele Menschen auch an die Zahl 2 denken mögen, und so verschieden auch die Vorstellungen sein mögen, die dabei in ihnen ablaufen, die Zahl 2 selbst, an die sie alle denken, ist stets die gleiche."


III. Die Einheit des Bewußtseins und
die Einheit der Erkenntnis

Beide Bearbeitungen der Deduktion zeigen übereinstimmend, wo KANT den letzten Grund der Gewißheit sieht, der uns die gegenständliche Geltung der Kategorien verbürgt. Er begnügt sich nicht mit dem Nachweis, daß der Begriff des Erfahrungsgegenstandes seine Abhängigkeit von den Gesetzen der transzendentalen Logik in sich schließt. Denn so deutlich es dieser Nachweis auch hervortreten läßt, daß die objektive Geltung, die wir unseren Erfahrungsurteilen zusprechen, die Anerkennung einer logischen Erfahrungsgesetzlichkeit zu ihrer Voraussetzung hat, so wenig vermag er uns darüber Aufschluß zu geben, ob wir mit der Anerkennung der Erfahrungsurteile selbst im Recht sind. Die Gegenstände der Erfahrung, deren Begriff jene Betrachtung analysiert, sind keine letzten Elemente der Erkenntnis; sie bauen sich aus Inhalten der Wahrnehmung auf, deren Verknüpfung wir im Erfahrungsurteil mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit vollziehen. Auf diese Elemente der gegenständlichen Einheit, die Wahrnehmungen, richtet sich daher die von KANT immer wieder aufgeworfene Frage, ob auch sie den Gesetzen der Erfahrung unterstehen und erst in der Beantwortung dieser Frage glaubt KANT die Geltung der Kategorien deduziert zu haben.

Denn jetzt stützt sich die Beweisführung für die apriorische Geltung der Kategorien nicht länger auf eine Annahme, deren eigenes logisches Recht in Frage gestellt werden kann, sondern auf die evidenteste Grundtatsache aller Erkenntnis, auf die Tatsache des denkenden Bewußtseins selbst, das die Voraussetzung all unseres Wissens ist. So gewiß es ist, daß alle Inhalte möglicher Erkenntnis einem denkenden Subjekt gegeben sein müssen, das sie als sich zugehörig erkennt, so fest steht es auch, daß sie den Gesetzen unterstehen, die es dem Bewußtsein erst ermöglichen, irgendeinen Inhalt denkend zu erfassen. Ist aber nicht in diesem Gedankgengang ein uns nur durch Erfahrung zugängliches Faktum, die Tatsache des wirklichen Bewußtseins, zur Grundlage letzter logischer Gewißheiten gemacht, und gleiten wir so nicht auf die Bahn der psychologischen Erkenntnislehre hinüber, die durch Beobachtung der empirischen Prozesse, in denen sich unsere Erkenntnis abspielt, deren Recht und Wert zu verstehen und zu begründen sucht? Das ist nach der Auffassung KANTs nicht der Fall, weil er sich auf die Tatsache des Bewußtseins lediglich in einem rein formalen Sinn stützt, in dem sie durch den Begriff der Erkenntnis selbst vorausgesetzt wird. Der Begriff der Erkenntnis schließt die Beziehung auf ein denkendes Bewußtsein notwendig in sich. Wie die Vorstellungen, in denen sie sich bewegt, einem denkenden Subjekt angehören müssen, so weisen insbesondere die Formen und Gesetze des Erkennens, denen wir die Inhalte unserer Erkenntnis unterordnen, auf ein denkendes Subjekt zurück, das sie seiner Denktätigkeit zugrunde legt und an die Inhalte seiner Erkenntnis heranbringt. Der Voraussetzung des Bewußtseins in diesem Sinn kann sich auch die logische Analyse der Erkenntnis nicht entziehen. Trotzdem also die kantische Untersuchung auf den Begriff des Bewußtseins zurückgeht, weiß sie sich von einer empirischen Beobachtung der Bewußtseinsphänomene streng geschieden. Denn sie knüpft nur an den Begriff des Bewußtseins an, den sie nur in seiner formalen Beziehung zur Erkenntnis betrachtet und auf seine rein begrifflichen Merkmale hin untersucht. Ihre Methode ist nicht der empirischen Beobachtung besonderer Bewußtseinserscheinungen, sondern die abstrakte Zergliederung der im Bewußtseinsbegriff enthaltenen Voraussetzungen, auf denen die Möglichkeit jeder solchen Erscheinung beruth. Denn
    "innere Erfahrung überhaupt und deren Möglichkeit der Wahrnehmung überhaupt und deren Verhältnis zu anderer Wahrnehmung, ohne daß irgendein besonderer Unterschied derselben und Bestimmung empirische gegeben ist, kann nicht als empirische Erkenntnis, sondern muß als Erkenntnis des Empirischen überhaupt angesehen werden und gehört zur Untersuchung der Möglichkeit einer jeden Erfahrung, welche allerdings transzendental ist." (Kr. d. r. V. Seite 294)
Wie die Methode, welche die kantische Untersuchung des Bewußtseinsbegriffs befolgt, die begrifflicher Abstraktion ist, so erhebt auch das Ergebnis, zu dem sie gelangt, auf eine strenge begriffliche Allgemeinheit Anspruch. Was sie ermittelt, ist die Form des Bewußtseins, d. h. der Inbegriff derjenigen Bedingungen, die überall da verwirklicht sein müssen, wo ein denkendes Bewußtsein möglich sein soll. Eben weil lediglich der Begriff des denkenden Bewußtseis die Grundlage der kantischen Untersuchung ist, gilt alles, was sie als einen notwendigen Bestandteil dieses Begriffs erweist, für alle denkenden Subjekte in der gleichen Weise. Denn der Begriff des Denkens ist in allen Fällen seiner Verwirklichung unterschiedslos der gleiche; die bloße Tatsache des Bewußtseins läßt in sich keine Verschiedenheit der einzelnen Bewußtseinssubjekte zurück. Kein Subjekt kann sich den begrifflichen Bedingungen des Bewußtseins entziehen, ohne damit aufzuhören, ein denkendes Bewußtsein zu sein. Deshalb gelten die Regeln, die zum Bewußtseinsbegriff gehören, für alle erkennenden Subjekte in gleicher Weise. Formgesetze des Bewußtseins sind diejenigen Gesetze, nach denen jedes Bewußtsein die ihm gegebenen Inhalte vereinigen muß. Deshalb hebt die Abhängigkeit der Erfahrungsgegenstände von den Einheitsgesetzen des Bewußtseins ihre logische Unabhängigkeit vom Einzelsubjekt nicht auf, sondern begründet ihre Objektivität, weil sie die Allgemeingültigkeit ihrer formalen Voraussetzungen in sich schließt.

Der Begriff der Einheitsgesetze des Bewußtseins bedarf indessen einer schärferen und genaueren Fassung als ihm bisher zuteil geworden ist. Unter den Einheitsgesetzen oder Regeln des Bewußtseins können einmal solche Gesetze logischer Einheit verstanden werden, deren Geltung von jedem Bewußtsein anerkannt werden muß. die logischen Voraussetzungen, auf denen der Begriff der Erfahrung ruht, beanspruchen, Einheitsregeln des Bewußtseins in einem solchen Sinn zu sein. Daß sie diesen Anspruch mit logischem Recht erheben, will KANT dadurch beweisen, daß er ihre Identität mit den Einheitsgesetzen, auf denen schon die Einzelwahrnehmung beruth, aufzeigt. Die Abhängigkeit unserer Wahrnehmungen von Gesetzen der Bewußtseinseinheit aber begründen beide Deduktionen übereinstimmend dadurch, daß sie den Prozeß der Aufnahme der Wahrnehmungen in das Bewußtsein als durch diese Einheitsgesetze bedingt erweisen. Unsere Wahrnehmungen sind von ihnen abhängig, weil sie ihnen die Aufnahme in das Bewußtsein verdanken. Die Einheitsgesetze, welche das leisten, sind ersichtlich solche Gesetze, nach denen das Bewußtsein verfahren muß, um die Einheit seiner Vorstellungen zustande zu bringen. Ihre Bedeutung besteht nicht darin, daß ihre Geltung von jedem Bewußtsein anerkannt werden muß, sondern darin, daß es sie zur Anwendung bringen muß, um die Einheit seiner Vorstellungen herzustellen. Sie sind, wie unsere Wiedergabe beider Deduktionen mit vielleicht übergroßer Ausführlichkeit gezeigt hat, die Funktionsgesetze, denen gemäß unser Bewußtseinsprozeß notwendig verlaufen muß. Ihre Beziehung zur Form des Bewußtseins beruth demnach darauf, daß jedes mögliche Bewußtsein in der gleichen Weise ihnen gemäß verfahren muß, um die Einheit seiner Vorstellungen möglich zu machen. Weil jedes Bewußtsein seinem Begriff nach erst durch seine verbindende Tätigkeit den Zusammenhang seiner Vorstellungen herstellt, ist das Gesetz der Zusammensetzung, das die Einheit der Vorstellungen ermöglicht, mit der Tatsache des Subjektseins unlöslich verbunden. Die Einheit der Wahrnehmungen in einem Subjekt beruth auf dem gemeinsamen Funktionsgesetz des Bewußtseins. Die logischen Gesetze gegenständlicher Einheit fallen mit der Auffassungsform jedes möglichen Bewußtseins zusammen.

Für die logischen Gesetze der Gegenstandserkenntnis ergibt sich so eine ganz ähnliche Auffassung, wie sie für die Formen der sinnlichen Anschauung weithin verbreitet ist. Daß wir die Dinge räumlich und zeitlich auffassen, wird nach der Meinung ihrer Vertreter von KANT dadurch erklärt, daß Raum und Zeit die Auffassungsarten unseres Bewußtseins sind. Sie sind die Gesetze, nach denen unser Anschauungsprozeß vonstatten geht und denen daher ein Anschauungsinhalt ebensowenig widersprechen kann wie etwa ein Bewegungsprozeß den allgemeinen Gesetzen der Bewegung, nach denen er verläuft. Ganz in der gleichen Weise haben wir uns auch die Einheit des Bewußtseins von den Gesetzen der synthetischen Vereinigung abhängig zu denken. Auch sie sind die formenden Prinzipien, nach denend der Akt der Vereinheitlichung erfolgt. Sie brauchen deshalb dem Bewußtsein keinesweg als fertige Vorstellungen vom Beginn seines empirischen Daseins an gegenwärtig zu sein, so wenig wie dies bei den Formgesetzen unseres sinnlichen Bewußtseins der Fall ist. Nicht als angeborene Vorstellungen, sondern als Funktionsgesetze allen Vorstellens gehören sie dem Bewußtsein an (1).

Läßt sich nun diese Annahme, daß die Aufnahme unserer Vorstellungen in das Bewußtsein nach logischen Prinzipien erfolgt, aus den Tatsachen des Bewußtseins rechtfertigen und ist die Auffassung der gegenständlichen Grundgesetze als der Funktionsgesetze oder Verbindungsformen unseres Bewußtseins mit ihrer logischen Bedeutung vereinbar?

Die einzige Bedingung, die unseren Vorstellungen durch ihre Zugehörigkeit zu unserem Bewußtsein auferlegt wird, ist ihre Vorstellbarkeit und da nur der Zusammenhang der Vorstellungen sie zu Inhalten desselben Bewußtseins macht, ihre Fähigkeit, miteinander verbunden zu werden. Sie müssen, in der kantischen Terminologie ausgedrückt, apprehendierbar [zusammenfaßbar - wp] sein. Die Elemente, die diesem Prozeß der Apprehension unterliegen, sind die konkreten Inhalte des Bewußtseins, die zu bestimmter Zeit als reale Erlebnisse von mir vorgefunden werden; es sind Vorstellungen im Sinne der Psychologie, wie eine Farbempfindung, ein Ton oder dgl. Die Einheit, zu der sie der Akt der Apprehension zusammenfügt, ist wiederum die konkrete Einheit eines sinnlichen Ganzen, wie sie etwa zwischen den Teilen einer von mir angeschauten Linie besteht; und endlich ist auch der Akt der Synthesis selbst, der jede solche Einheit hervorbringt, ein realer Prozeß, ein wirkliches zeitlich verlaufendes Geschehen innerhalb des erlebenden Bewußtseins. Verlauf und Ergebnis dieses Prozesses aber müssen von logischen Gesetzen abhängig gedacht werden, wenn wir in diesen die Bedingungen möglicher Wahrnehmungen erblicken sollen.

Worauf gründet nun KANT die Annahme, daß eine derartige Abhängigkeit unseres realen Wahrnehmungsprozesses von logischen Gesetzen tatsächlich vorliegt? Das Argument, auf das seine Beweisführung immer wieder zurückgeht, ist die Berufung auf den begrifflichen Charakter unserer Apperzeption. Nur im begrifflichen Denken vermag ich mir Rechenschaft davon abzulegen, daß eine Vorstellung mir angehört, vermag ich eine Mehrheit von Vorstellungen voneinander zu unterscheiden und festzustellen, daß ein Zusammenhang irgendeiner Art unter ihnen besteht. Schon die unentwickeltste Form meines Wissens, die bloße Konstatierung der Tatsache, daß mir ein Bewußtseinsinhalt gegeben ist, schließt die begrifflichen Formen in sich, ohne die keinerlei Wissen möglich ist. Diese Abhängigkeit meiner psychologischen Selbsterkenntnis von den apriorischen Voraussetzungen allen Erkennens besteht in der Tat, so gewiß eben auch unsere Selbsterkenntnis eine Erkenntnis ist. Es könnte nicht wahr sein, daß irgendein Inhalt meinem Bewußtsein angehört, wenn der Gedanke der Wahrheit als solcher keinen Bestand hätte. Seine Geltung ist die logische Voraussetzung der Erkenntnisse, deren Objekte meine Bewußtseinsinhalte sind, und damit aller Tatsachen meines Bewußtseins, so gut wie jeder anderen Erkenntnis und des in ihr erfaßten Sachverhalts. Die Fähigkeit, den Gedanken der Wahrheit zu erfassen und die mir gegebenen Sinnesinhalte logisch zu beurteilen, ist die unerläßliche Voraussetzung dafür, daß ich die Zugehörigkeit eines Erlebnisses zu meinem Bewußtsein feststellen kann.

Diese logische Bedingtheit jeder einzelnen Bewußtseinstatsache durch den formalen Begriff der Wahrheit darf aber nicht dahin gedeutet werden, daß die Aufnahme eines Inhalts in das Bewußtsein nach begrifflichen Gesetzen erfolgt. Der Eintritt einer Vorstellung in mein Bewußtsein vollzieht sich in einem rein psychologischen Vorgang. Er wird nicht durch das Wirken begrifflicher Funktionen hervorgebracht, die als reale Bestandteile in ihm aufweisbar sind; die logischen Gesetze bedingen nur als ideale Voraussetzungen die Geltung des Urteils, das mir den Eintritt eines Inhalts in mein Bewußtsein verbürgt, ohne jemals als reale Faktoren in den Bewußtseinsprozeß selbst einzugreifen. Es ist deshalb auch keineswegs erforderlich, daß jeder Bewußtseinsprozeß von einem Akt logischen Erkennens tatsächlich begleitet ist. Wir erleben, wie KANT selbst hervorhebt, zahllose Bewußtseinsvorgänge, ohne daß sich die Tätigkeit des Urteils ausdrücklich auf sie richtet, was notwendig der Fall sein müßte, wenn diese Tätigkeit eine Bedingung jedes Bewußtseinsaktes wäre. Die gemeinsame Abhängigkeit aller Tatsachen meines Bewußtseins von den Formprinzipien aller Wahrheit verbürgt daher keinen anderen Zusammenhang unter ihnen als die für sie alle gleichmäßig bestehende Möglichkeit, Objekt eines Wahrnehmungsurteils zu werden.

Die sonstigen Beweise, welche KANT für die Abhängigkeit unserer Wahrnehmungen von synthetischen Einheitsfunktionen des Bewußtseins erbringt, beschränken sich durchgehends auf die Aufweisung der psychologischen Voraussetzungen, von denen die Tätigkeit des Wahrnehmens abhängig ist. Die oberste unter ihnen ist die Identität des Bewußtseins selbst, um den Zusammenhang seiner Vorstellungen erfassen zu können. Dieses Bewußtsein muß sodann die in ihm auftretenden Eindrücke zusammensetzen können, um ein einheitliches Vorstellungsganzes aus ihnen herzustellen. Es verbindet gegebene Raumeindrücke zur Einheit einer Linie, hält die Elemente einer Wahrnehmung bis zu ihrer Vereinigung in der Erinnerung fest und konstituiert so zwischen allen seinen Inhalten einen durchgreifenden Zusammenhang. Dieser Zusammenhang aber besteht lediglich in der gemeinsamen Abhängigkeit aller unserer Wahrnehmungen von derselben psychologischen Vereinigungsform, ohne daß dadurch ein sachlicher Zusammenhang der so vereinigten Inhalte sichergestellt würde. Die psychologische Funktion der Synthesis vermag die heterogensten Vorstellungen zur Einheit eines Bewußtseinsganzen zusammenzufassen. Ich kann in demselben Vorstellungsakt das Vorhandensein zweier Vorstellungen bemerken, die nichts miteinander gemeinsam haben als die Tatsache, daß sie sich gleichzeitig in meinem Bewußtsein darbieten. Wohl ruht die Gewißheit ihres zeitlichen Zusammentreffens auf den logischen Gesetzen des Urteils; der Zusammenhang selbst aber, der sie als Inhalt meines Bewußtseins verbindet, ist rein psychologischer Art. Er ist allein in der Zufälligkeit meines augenblicklichen Bewußtseinszustandes und in der jeweiligen Richtung meiner freischaltenden Tätigkeit begründet, wie es sich am deutlichsten in der freien Vorstellungskombination des reflektierenden Bewußtseins bekundet, das etwa einen Inhalt meines geschichtlichen Wissens und eine mathematische Formel gleichzeitig als Inhalte meines Bewußtseins zu rekognoszieren [wiedererkennen - wp] vermag.

Auch wenn wir im Wahrnehmungsakt eine Mehrheit von Eindrücken zur Einheit einer Wahrnehmung zusammenfassen, beschränkt sich die synthetische Funktion des Bewußtseins darauf, die Eindrücke so, wie sie nacheinander dem Bewußtsein dargeboten werden, zusammenzusetzen. Sie bringt nicht bestimmte Einheitsformen schöpferisch an die gegebenen Inhalte heran, sondern setzt diese zu Einheiten zusammen, deren Formen sie im gegebenen Material selbst vorgezeichnet findet. Wenn wir etwa die Aufeinanderfolge mehrerer Eindrücke bemerken, so bedarf es allerdings einer die Einzelelemente zusammenfassenden Bewußtseinstätigkeit, um die Vorstellung einer solchen Sukzession zu bilden. Die Tatsache der Aufeinanderfolge selbst aber wird vom Bewußtsein hier schon als etwas Gegebenes vorgefunen. Der Bewußtseinsakt, der die einander folgenden Empfindungen als Glieder einer zeitlichen Reihe erfaßt und die Vorstellung ihrer Zeitbeziehung erzeugt, ist nur die Grundlage unseres psychologischen Zeitvorstellens, während er den Zeitzusammenhang der Empfindungen selbst zu einer notwendigen Voraussetzung hat. Das Gleiche gilt von der räumlichen Vereinigung unserer Wahrnehmungen durch das auffassende Bewußtsein. Auch wenn wir die Elemente einer räumlichen Mannigfaltigkeit zu einem räumlichen Ganzen zusammensetzen, ist die Bewußtseinssynthese an die gegebene räumliche Anordnung gebunden. Wir setzen die gegebenen Rauminhalte, die wir im Bewußtsein festhalten, aneinander und gelangen so zu einer bestimmten Raumgestalt, deren Beschaffenheit uns durch die vorgefundene Anordnung der Wahrnehmungen vorgeschrieben ist. Das gilt auch für die freie geometrische Konstruktion, bei der gleichfalls die zu konstruierende Figur ideell bereits vorhanden ist und nur gemäß der gegebenen Bestimmtheit des Raumes durch das verbindende Bewußtsein aufgefunden wird. Ziehe ich eine gerade Linie, so wird die bestimmte Beziehung ihrer Elemente nicht durch die spontane Funktion der Zusammensetzung erzeugt. Diese ist vielmehr nur darum möglich, weil zwischen den verbindenden Elementen eine bestimmte Beziehung besteht, deren Erfassung durch unser Bewußtsein freilich erforderlich ist, um den Akt der Konstruktion zu ermöglichen. Die psychologische Funktion der Synthesis bringt uns so nur den gegebenen Zusammenhang unserer Anschauung zum Bewußtsein. Die verbindende Tätigkeit des Subjekts, die in der subjektiven Deduktion der Kategorien als Bedingung des Wahrnehmungsaktes nachgewiesen ist, leistet Nichts weiter, als daß sie die psychologisch gegebenen Inhalte unseres Bewußtseins, so wie sie diesem im Einzelfall entgegentreten, zusammenfügt. Daß sie dabei nach begrifflichen Gesetzen verfährt und so einen objektiven Zusammenhang der Erscheinungen verbürgt, ist aus den Tatsachen des Bewußtseins nirgends erweisbar.

Auch die Beispiele, an denen die zweite Deduktion der Kategorien nachweisen will, daß zur Bildung unserer Wahrnehmungen begriffliche Funktionen erforderlich sind, lassen es bei genauerer Analyse deutlich hervortreten, daß im psychologischen Prozeß der Wahrnehmungsbildung keine Gewähr für einen objektiven Zusammenhang der Erscheinungen gegeben ist. Das erste unter ihnen weist darauf hin, daß die Vereinigung räumlicher Wahrnehmungen zur Gestalt etwa eines Hauses eine Funktion synthetischer Einheit auf ein Mannigfaltiges der Anschauung anwendet, die ihrem letzten Ursprung nach mit der logischen Kategorie der Größe identisch ist. Sicherlich ist es wahr, daß wir im geschilderten Fall eine Mehrheit von Raumeindrücken zu einem räumlichen Ganzen zusammensetzen. Ist damit aber auch die Abhängigkeit des so entstandenen Raumgebildes von logischen Gesetzen der Größenzusammensetzung erwiesen? Offenbar nur dann, wenn unsere psychologische Vereinigung der gegebenen Raumeindrücke nach strengen Gesetzen verlaufen muß. Denn die kategorialen Gesetze der Größenzusammensetzung fordern, daß aus der Vereinigung bestimmter Größeninhalte stets dasselbe Ergebnis hervorgeht. Nur dann darf ich ihre Geltung von den Inhalten meiner sinnlichen Wahrnehmung behaupten, wenn ich sicher bin, daß die Verbindung der gleichen Rauminhalte stets dieselbe Raumgröße ergeben muß. Daß dies aber tatsächlich der Fall ist und daß die im Wahrnehmungsakt erfolgende Verbindung meiner Raumeindrücke eine allgemeingültige ist, läßt sich aus der Abhängigkeit meiner Wahrnehmungen von einem Akt der Synthesis nicht erschließen. Nichts gibt mir die Sicherheit, daß dieser Akt stets in der gleichen Weise erfolgen muß - es sei denn die logische Einsicht, daß sich gegebene Rauminhalte nur in einer Form vereinigen lassen. Erst wenn ich weiß, daß alle Zusammensetzung von Rauminhalten unter einem allgemeingültigen Gesetz der Größenverbindung steht, bin ich zu der Erwartung berechtigt, daß die von mir am konkreten Vorstellungsmaterial vollzogene Vorstellungsverbindung den kategorialen Gesetzen der Größe entsprechen muß. Die logische Konstanz des Ergebnisses meiner Verbindungstätigkeit beruth allein auf der Geltung logischer Normen, die nur eine bestimmte Vereinigung gegebener Rauminhalte zulassen. Weil alle Rauminhalte als Größen bestimmt sind und unter Gesetzen der Größenvereinigung stehen, muß jeder durch mein Bewußtsein zusammensetzbare Anschauungsinhalt seiner Größe nach objektiv bestimmt sein. Nicht die Tätigkeit meiner Verbindung schreibt den Inhalt meiner Wahrnehmung die Gesetze ihrer Größenbeziehung vor, sondern die Geltung dieser Gesetze von den Inhalten meiner Wahrnehmung macht es notwendig, daß ich in der Zusammensetzung räumlicher Eindrücke ihnen gemäß verfahre.

Das zweite Beispiel KANTs will die Abhängigkeit unserer Zeitwahrnehmung von der Kategorie der Kausalität daraus erweisen, daß wir nur mit ihrer Hilfe die Bestimmtheit des zeitlichen Verhältnisses zweier Wahrnehmungsinhalte zu erfassen vermögen. Um das Gefrieren des Wassers wahrzunehmen, müssen wir die beiden Zustände der Flüssigkeit und Festigkeit als Glieder einer Zeitfolge erfassen und können dies nur, indem wir eine bestimmte Anordnung dieser beiden Zustände vollziehen, war nur mit Hilfe des Gesetzes der Zeitbestimmung, der Kausalität, möglich ist. Die Kategorie der Kausalität gilt somit, wie aufs Neue deutlich hervortritt, als die Funktion des Bewußtseins, welche die Anordnung seiner zeitlichen Inhalte vollzieht und die zeitliche Aufeinanderfolge unserer Wahrnehmungen bestimmt. Nur weil so jede einzelne Wahrnehmungsfolge auf der Anwendung der Funktion der Zeitbestimmung beruth, ist die Geltung des Gesetzes der Kausalität für alle zu unserer Wahrnehmungen gelangenden Erscheinungen gesichert.

Auch hier zeigt jedoch eine genauere Zergliederung des Beispiels, daß die Funktion der Verbindung, welche die Glieder einer Wahrnehmungsfolge zur Einheit einer Zeitreihe zusammenfaßt, nicht mit dem logischen Gesetz der Kausalität identisch ist. Welches von zwei Gliedern einer Wahrnehmungsfolge das frühere und welches das spätere ist, erkenne ich nicht durch Einsicht in ihren gesetzmäßigen Zusammenhang, sondern finde ihre Folge als etwas Gegebenes vor und bedarf nur der Fähigkeit, die einzelnen Momente der Zeitfolge psychologisch festzuhalten, um zur Zeitwahrnehmung zu gelangen. Die Funktion der Bewußtseinstätigkeit in der Zeitwahrnehmung ist nicht die Erzeugung einer bestimmten Ordnung, sondern nur die Zusammenfassung der sich in gegebener Aufeinanderfolge darbietenden Einzelinhalte. Diese Funktion aber vermag keinen gesetzmäßig bestimmten Zusammenhang des zeitlichen Geschehens zu begründen. Sie macht es nicht notwendig, daß der einmal festgestellte Zusammenhang bestimmter Wahrnehmungen auch in allen anderen Fällen ihres Auftretens inne gehalten wird; denn jede einzelne Wahrnehmungsfolge kann in sich bestimmt sein, ohne daß ein allgemeines Gesetz der Verknüpfung darüber entscheidet, an welcher Stelle jedes ihrer Glieder auftritt.

Der Gedanke einer gesetzmäßigen Ordnung der Erscheinung ist erst dann erforderlich, wenn wir statt der subjektiven Folge unserer Wahrnehmungen den zeitlichen Verlauf eines objektiven Geschehens erkennen wollen. Suchen wir, um beim kantischen Beispiel zu bleiben, zu bestimmen, welcher von den beiden Zuständen der Flüssigkeit und Festigkeit nicht in unserer psychologischen Wahrnehmung, sondern im Objekt selbst auf den andern folgt, so ist diese Feststellung nur aufgrund des Prinzips der Kausalität möglich, nach dem die Anordnung der einzelnen Zeitfolge in einem allgemeingültigen Gesetz des Zeitgeschehens begründet ist.

Nunmehr aber ist die Funktion des Kausalbegriffs eine durchaus andere geworden als in der ursprünglichen Anlage des kantischen Beispiels. Er ist nicht mehr die Verknüpfungsform, deren sich unser Bewußtsein bedient, um die Glieder einer Wahrnehmungsreihe in ihrer psychologischen Aufeinanderfolge anzuordnen, sondern die Norm, von der wir in unserem Urteilen ausgehen, um zu objektiv gültigen Zeitansetzungen zu gelangen. Der Kausalbegriff ist nicht die subjektive Form unserer Anordnung zeitlicher Inhalte, sondern die logische Voraussetzung, auf der die Objektivität all unserer Zeiterkenntnis beruth. Daß alles zeitliche Geschehen von unverbrüchlichen Gesetzen der Aufeinanderfolge beherrscht wird, ist die unerläßliche Bedingung dafür, daß die einzelnen Zeitgeschehnisse in allgemeingültiger Weise in ihrer Aufeinanderfolge erkennbar sind. Die bloße Tatsache unseres Zeitwahrnehmens reicht deshalb nicht aus, um die Abhängigkeit aller Zeitinhalte von konstanten Gestzen der Zeitfolge zu erweisen; diese ist erst dann gesichert, wenn es feststeht, daß jeder Zeitinhalt einem objektiven Zeitzusammenhang angehören muß.

Schon diese letzten Erwägungen zeigen, daß ebensowenig, wie die Tatsachen unseres Bewußtseins die Annahme gestatten, daß die begrifflichen Gesetze der Erkenntnis als reale Faktoren an ihrem Zustandekommen beteiligt sind, der Begriff logischer Erkenntnisgesetze selbst mit ihrer Auffassung als Betätigungsformen unseres Bewußtseins vereinbar ist. Denn diese Auffassung macht es ihnen unmöglich, als Normen unsere Erkennens zu fungieren, die über die Gültigkeit der von uns vollzogenen Einzelerkenntnis entscheiden. Sind sie als die Formen, in denen das Bewußtsein seine Vorstellungen vereinigt, bereits wirksam, um das Dasein unserer Wahrnehmungsinhalte zu ermöglichen, so muß jede von uns tatsächlich vollzogene Vorstellungseinheit eine allgemeingültige sein. Unsere psychologisch gegebenen Wahrnehmungen müssen ihrem Dasein nach bereits so zusammengesetzt sein, wie es die logische Norm unserer Erkenntnis erfordert. Wahrnehmungszusammenhänge, die mit den objektiven Gesetzen der Erkenntnis nicht im Einklang stehen, könnten in unserem Bewußtsein nicht auftreten.

Damit aber wäre der Grundgedanke der kantischen Erfahrungslehre aufgehoben, welche die Erfahrung als das ideale Ziel betrachtet, dem unsere Erkenntnis nachzustreben hat. Die zufällige Verbindung, in der das Einzelsubjekt seine Wahrnehmungen vorfindet, ist für sie nicht mit der objektiv gültigen Einheit der Wahrnehmungsinhalte identisch, die wir als Erfahrung zu erkennen haben. Wir erleben dieselben Wahrnehmungen bald in der, bald in jener Verbindung; es hängt von der Willkür unserer Wahrnehmungstätigkeit ab, ob wir zuerst das Dach eines Hauses und dann seinen unteren Teil betrachten oder umgekehrt. Das objektive Zeitverhältnis aber, das hier besteht, ist, unabhängig von der Richtung unserer Wahrnehmungstätigkeit, das der Gleichzeitigkeit. Während jedes erkennende Subjekt von demselben Gegenstand ein nur individuell gültiges Wahrnehmungsbild hat, ist dieser Gegenstand selbst für sie alle identisch. Es ist die Aufgabe der Erfahrung, den Zusammenhang unserer Wahrnehmungen herzustellen, der dem allgemeingültigen Gesetz ihrer Verknüpfung entspricht. Diese Aufgabe ist stets nur annäherungsweise erreichbar. Die mit dem Anspruch auf objektive Geltung von uns vollzogene Erkenntnis des Erfahrungsobjekts kann diesen Anspruch nur solange vertreten, als es sich zeigt, daß sie den Normen unserer Erfahrungserkenntnis entspricht und sich in einen gesetzlichen Zusammenhang der Erscheinungen einfügt. Statt dessen wäre diese Aufgabe der Erkenntnis überflüssig, wenn unsere Wahrnehmungen als solche dem objektiven Gesetz der Erfahrungseinheit notwendig entsprechen müßten, weil sie nur diesem gemäß in unser Bewußtsein aufgenommen werden können. Denn die Abhängigkeit des Wahrnehmungsaktes von den ihn hervorbringenden Prinzipien objektiver Einheit bringt unsere Wahrnehmungsinhalte in eine solche Abhängigkeit von diesen Prinzipien, daß sie ihnen nicht etwa bloß als den Normen ihrer Beurteilung unterstehen, sondern bereits ihnen gemäß bestimmt sein müssen. Eine über die in unseren Wahrnehmungen selbst verwirklichte logische Bestimmtheit ihrer Inhalte hinausgehende Unterordnung unter logische Normen sind wir dagegen nicht berechtigt, von ihnen zu fordern. Der Gedanke, daß sie einer gesetzlichen Ordnung angehören, die uns nur als das ideale Ziel wissenschaftlicher Arbeit vorschwebt, daß ein gesetzlicher Zusammenhang unter ihnen besteht, auch wenn er sich unserem empirischen Bewußtsein verhüllt, ist nicht durchführbar, wenn wir die logische Bestimmtheit unserer Wahrnehmungen auf die den Wahrnehmungsakt selbst hervorbringende Wirksamkeit logischer Prinzipien gründen.

Um seinen kritischen Standpunkt gegen alle Verwechslung mit einer psychologischen Erkenntnislehre zu schützen, hat KANT die objektive Einheit der Apperzeption, die auf den allen erkennenden Subjekten gemeinsamen Gesetzen der Bewußtseinseinheit beruth, von der psychologischen Einheit des inneren Sinnes unterschieden. Auch diese Unterscheidung aber ist nicht durchführbar, solange die Einheitsgesetze der Apperzeption als Funktionsgesetze verstanden werden, die den subjektiven Zusammenhang unserer Vorstellungen begründen. Denn in diesem Fall besteht die Leistung der Apperzeptionsgesetze eben darin, den Zusammenhang der Vorstellungen im Einzelbewußtsein herzustellen, der mit der psychologischen Einheit des inneren Sinnes identisch ist. Die Einheit des inneren Sinnes, der psychologische Zusammenhang unserer Wahrnehmungen, ist das Ergebnis der Einheit der Apperzeption. Diese allen Subjekten gemeinsame Einheitsform bringt in jedem von ihnen die Einheit seiner Wahrnehmungen zustande. Sofern daher, trotz dieser Abhängigkeit von derselben Einheitsfunktion, die Einheit des inneren Sinnes von Subjekt zu Subjekt wechselt, kann die so verstandene Einheit der Apperzeption die überindividuelle Geltung der Erfahrungserkenntnis nicht begründen.

Daß tatsächlich die Einheit des persönlichen Selbstbewußtseins mit der des inneren Sinnes zusammenfällt, ist leicht nachweisbar. Auch die Objekte der äußeren Erfahrung sind meinem Bewußtsein nur in der Gestalt gegeben, in der ich sie in einem zufälligen Wahrnehmungsakt erfasse. Die Wahrnehmungselemente, aus denen sie bestehen, sind mir nur als Inhalte meines inneren Sinns gegeben. Aber auch die Einheitsform, zu der ich sie verbinde, ist durchaus von der Zufälligkeit meines Bewußtseinsverlaufs abhängig. Wenn ich ein Objekt der äußeren Wirklichkeit erkenne, so denke ich es zwar als unabhängig von meiner persönlichen Vorstellung; die Art, wie ich es denke, ist jedoch meinem psychologischen Bewußtsein angehörig. Es ist eine psychologische Tatsache, daß ich zu einer bestimmten Zeit eine bestimmte Objektsetzung vollziehe. Nur diese psychologische Tatsache aber gehört der Einheit meines persönlichen Selbstbewußtseins an. Nur meine Objektvorstellung, niemals dagegen das in ihr gedachte Objekt, ist ein Inhalt meines Bewußtseins und kann mit anderen Vorstellungen zur Einheit eines Ich zusammengefaßt werden. Die Einheit der Apperzeption, als Einheitsform des persönlichen Bewußtseins gedacht, umfaßt daher die Objekte der äußeren Erfahrung nur in der Form, wie sie vom Einzelsubjekt vorgestellt werden. Sie kann deshalb niemals die subjektiv bedingten Objektvorstellungen der verschiedenen erkennenden Individuen einer für sie alle gültigen Wirklichkeitserkenntnis unterordnen.

Das ist vielmehr nur dann möglich, wenn wir die Einheit der Apperzeption als das höchste logische Prinzip verstehen, das über die Geltung unserer Objekterkenntnis zu entscheiden hat, wenn wir sie als die für jedes Bewußtsein verbindliche Einheitsnorm auffassen, welche die Allgemeingültigkeit unserer Objektserkenntnis begründet. Eine solche gibt uns einen Maßstab, um die logische Berechtigung unserer tatsächlichen Objekterkenntnis zu prüfen, während die gemeinsame Einheitsform, die in jedem Bewußtsein den Zusammenhang seiner Vorstellungen hervorbringt, unseren logisch berechtigten und unseren irrigen Vorstellungen gleichmäßig zugrunde liegt. Die ihr gemäß verknüpften Wahrnehmungsinhalte sind nicht mehr mit den dem Einzelsubjekt angehörigen Vorstellungseinheiten identisch. Sie sind vielmehr, vom Standpunkt des Einzelsubjekts aus gesehen, das Ziel, das wir in unserer wirklichen Erkenntnistätigkeit zu erreichen haben. Die Objekte unserer Erfahrung sind nicht gleichbedeutend mit den von Subjekt zu Subjekt differierenden Objektvorstellungen, die dem Einzelbewußtsein angehören. Durch diese werden sie von uns gedacht. Sie selbst aber sind dasjenige, was wir in unseren Objektvorstellungen zu erfassen suchen und was besteht, unabhängig davon, ob es unserer Erkenntnis jemals gelingt, sich seiner zu bemächtigen. Der Gedanke der Erfahrung besagt, daß alle Inhalte unserer Wahrnehmung einem allgemeingültigen Zusammenhang angehören, der vom Einzelsubjekt als bestehend vorausgesetzt werden muß, auch ohne ihm bekannt zu sein. Wir gehen an die Inhalte unserer Wahrnehmung mit der Voraussetzung heran, daß sie unter logischen Gesetzen der Einheit stehen, und erwarten von ihnen, daß sie ihnen gemäß verbindbar sind. Wir schreiben es nur der Mangelhaftigkeit unserer Einsicht zu, wenn sich uns der objektive Zusammenhang der Erscheinungen entzieht, und unterscheiden damit auf das Deutlichste den wirklichen Zusammenhang unserer Vorstellungen, wie er durch die psychologischen Auffassungsformen des Bewußtseins zustande gebracht wird, von der geltenden Einheit der Erfahrungserkenntnisse, die auf den logisch gültigen Gesetzen der Objektbestimmung beruth.

So treten jetzt das logische Prinzip der Erfahrungseinheit, der Grundsatz der Einheit, der Apperzeption und die subjektive Einheit unseres Bewußtseins scharf auseinander. Die Notwendigkeit dieser Trennung zeigt sich in der gleichen Weise auch in der Darstellung derjenigen Forscher, die im Anschluß an KANT von der Identifizierung beider Einheitsformen ausgehen und zugleich den objektiven Sinn des kantischen Idealismus aufrechterhalten. Zur Bestätigung und genaueren Präzisierung des gewonnenen Ergebnisses zeigen wir deshalb an der scharfsinnigen und bedeutenden Darstellung, in der STADLER die kantische Erkenntnislehre vertritt, wie er von der gleichen Identifizierung ausgeht, um sie gleich KANT mehr und mehr fallen zu lassen. Ihr Ausgangspunkt ist die Tatsache, daß alle Vorstellungen "die Eigenschaft haben müssen, meine Vorstellungen zu sein." (2) Nur als Bestandteile eines Bewußtseins lassen sich die Vorstellungen definieren; Nichts aber berechtigt uns, "unter Bewußtsein etwas anderes zu verstehen als das Bewußtsein des denkenden Individuums". Ein Zusammenhang der Vorstellungen ist deshalb nur unter der Voraussetzung denkbar, daß "dieses Subjekt des Vorstellens wirklich absolut unveränderlich" ist. So erweist sich die Identität des Selbstbewußtseins "als evidente Fundamentalannahme aller Logik", und rechtfertigt damit jede Hypothese, "ohne welche die Identität nicht gedacht werden kann."

Die Bedingung, "ohne welche das Ich nicht zum Bewußtsein seiner Identität gelangen kann, ist nun die Einheitsfunktion, welche die als solche völlig isolierten einzelnen Vorstellungen so verbindet, "daß eine Vorstellung aus ihnen wird". "Erst wenn ich mir dieser ihrer Einheit bewußt werde", erkenne ich, "daß das Ich, auf welches die einzelnen (Vorstellungen) bezogen wurden, identisch war". "Die Einheitsfunktion des Bewußtseins ist also Bedingung seiner Identität und als solche notwendig" (a. a. O., Seite 44/45).

Diese Erläuterung des kantischen Gedankens, daß der analytischen Einheit des Selbstbewußtseins eine ursprüngliche synthetische Einheit zugrunde liegt, läßt keinen Zweifel darüber, daß die in ihr geforderte Einheitsfunktion eine wirkliche Betätigungsform des individuellen Bewußtseins ist. Das bestätigt sich aufs Neue, wenn STADLER aus dem entwickelten erkenntnistheoretischen Prinzip eine Forderung ableitet, die sich an die Psychologie richtet.
    "Indem wir verlangen, daß die Vorstellungen unter die Einheit des Bewußtseins gebracht werden, setzen wir voraus, daß nach den psychologischen Naturgesetzen dieser Vorgang möglich ist."
Die genauere Beschreibung und Einteilung der dazu erforderlichen Prozesse bleibt der Psychologie überlassen; die Erkenntnistheorie fordert nur, "daß durch die Bewegungen, welche die Psychologie darstellt, die Möglichkeit einer synthetischen Einheit erklärt wird" (Seite 45/46). Das aber ist offenbar nur dann möglich, wenn die synthetische Einheit ein wirkliches Geschehen innerhalb des denkenden Individuums bedeutet. Die so verstandene Einheitsfunktion gilt von allen Gegenständen unseres Bewußtseins, die als Verbindungen von Vorstellungen dem Gesetz der Verbindung, auf dem sie beruhen, nicht widersprechen können. Alle einzelnen Prinzipien der Erfahrung finden ihre Legitimation dadurch, daß sie als notwendige Bedingungen der Bewußtseinseinheit erwiesen werden.

Schon der erste Schritt zu dieser Legitimation vollzieht sich indessen auf ganz anderem Weg, als diese prinzipiellen Feststellungen erwarten lassen. Als erste Bedingung der Bewußtseinseinheit fordert STADLER die Gegebenheit materialer Einzelvorstellungen der Empfindungen, welche durch die Einheitsfunktion zu verknüpfen sind. Damit diese einzelnen Momente des Bewußtseins sich zur Einheit eines Zustandes verknüpfen lassen, müssen sie sich ohne Unterbrechung aneinander reihen. Die Synthese des Bewußtseins darf an keinem Punkt unterbrochen werden, da wir sonst statt einer Bewußtseinseinheit nur "eine Summe zusammenhangloser Elemente entstehen" ließen. So ist die Stetigkeit der Verknüpfung "Bedingung der Bewußtseinsidentität oder die Vorstellungseinheit ist nur durch eine kontinuierliche Synthesis der Empfindungen möglich" (Seite 65).

Den naheliegenden Einwand, daß unser Bewußtsein in Wirklichkeit einer Kontinuität entbehrt, da es oft durch die bewußtlosen Zustände des Schlafs oder der Ohnmacht unterbrochen wird, weist STADLER als eine Verwechslung von erkenntnistheoretischer und psychologischer Wahrheit ab. Die erkenntnistheoretische Forderung der Kontinuität des Bewußtseins besagt nicht, "daß von der psychologischen Geschichte unseres Ich die Zustände der Bewußtlosigkeit ausgeschlossen sind"; sie erklärt nur, "daß solche Zustände in keiner Bewußtseinsfolge, die eine objektive Geltung hat, als Glieder enthalten sind". Statt daß die erkenntnistheoretische Stetigkeit der Synthese, an der sich die Bewußtseinseinheit erzeugt, durch die psychologischen Unterbrechungen der Synthese aufgehoben würde, vermag ich die Zustände, die in der psychologischen Wirklichkeit des Bewußtseins durch eine Zeit der Bewußtlosigkeit unterbrochen sind, nur dadurch in meinem Bewußtsein zu vereinigen daß ich sie so verknüpfe, "wie sie in den kontinuierlich sich aneinender reihenden Bewußtseinszuständen enthalten gewesen wären." Nicht für die Aufeinanderfolge der beiden Zustände, zwischen denen die Unterbrechung meines Bewußtseins liegt, sondern für die Sukzession behaupte ich objektive Gültigkeit, in der ich die Lücke meines Bewußtseins mit der Empfindungsfolge ausgefüllt denke, "welche stattgefunden hätte, wenn mein Bewußtsein nicht auf den Nullpunkt herabgesunken wäre." (Seite 68)

Verstehen wir diese Ausführungen STADLERs so, wie sie sich zunächst darstellen, so enthalten sie einen unlösbaren Widerspruch. Wenn das individuelle Bewußtsein, dessen Identität das erkenntnistheoretische Grundprinzip STADLERs ist, in seiner psychologischen Wirklichkeit die von ihm geforderte Kontinuität nicht besitzt, so hat auch die Erkenntnistheorie kein Recht, sie ihm zuzuschreiben. Denn dem Bewußtsein des denkenden Individuums gehören allein die Inhalte an, die psychologische Wirklichkeit in ihm besitzen, und nur an ihnen vermag es seine verknüpfende Tätigkeit auszuüben. Wenn deren Kontinuität eine notwendige Bedingung der Bewußtseinssynthese ist, so kann die Erkenntnistheorie die Unterbrechungen unseres wirklichen Bewußtseins nicht dadurch überwinden, daß sie ihm eine Stetigkeit zuschreibt, die ihm in Wirklichkeit fehlt. Erst dann verliert die Forderung STADLERs die ihr anhaftende Paradoxie, wenn sie dahin verstanden wird, daß sie, statt einer der psychologischen Wirklichkeit widersprechenden Kontinuität des individuellen Bewußtseins vielmehr die Stetigkeit der von unserem Bewußtsein zu erkennenden Objekte meint, für die es gleichgültig ist, ob sie zu einer wirklichen Wahrnehmung eines Einzelbewußtseins gelangen oder nicht.

Daß dies der allein mögliche Sinn dieser Forderung ist, ergibt sich deutlich, wenn wir uns ihre ganze Tragweite zu Bewußtsein bringen. Sie verlangt nicht nur, daß wir die Lücke unseres Bewußtseins durch die Inhalte ergänzen, die wir bei fortgesetztem Bewußtsein hätten wahrnehmen müssen, sondern erstreckt sich für jeden Zeitpunkt auf die Gesamtheit der Inhalte, die an allen Teilen des Raumes als wirklich zu denken sind. Ebenso wie es von uns gefordert wird, daß wir alle Stellen der Zeit kontinuierlich ausgefüllt denken, müssen wir auch die Grenzen unserer räumlichen Wahrnehmung überschreiten und statt des uns zugänglichen begrenzten Raumausschnitts die Unendlichkeit des Raumes kontinuierlich mit wahrnehmbaren Objekten erfüllt denken. Das will nicht sagen, daß wir dem individuellen Bewußtsein nun auch die Umfassung dieser ganzen unbegrenzten Fülle der Objekte zumuten, sondern kann nur heißen, daß wir die Objekte unserer räumlichen Anschauung vom Einzelbewußtsein unabhängig machen und ihrem objektiven Zusammenhang die Stetigkeit zuschreiben, die unserem psychologischen Erlebnis versagt ist.

Auch in den eigenen Ausführungen STADLERs wird diese Auffassung gefordert, wenn er die erkenntnistheoretische Annahme der Kontinuität des Bewußtseins dadurch erläutert, daß wir nur dem Zeitverlauf eine objektive Gültigkeit zuschreiben, der eine kontinuierliche Bewußtseinssynthese ergibt. Denn hier wird der Begriff einer Objektivität eingeführt, die nicht mehr durch die Beziehung auf den früheren Objektbegriff, der lediglich eine Zusammensetzung gegebener Bewußtseinsinhalte bezeichnete, definierbar ist. Von der Aufeinanderfolge der Bewußtseinsinhalte, wie sie im individuellen Bewußtsein wirklich ist, wird hier eine Zeitordnung von objektiver Gültigkeit unterschieden. Nicht dem Zeitverlauf unserer Bewußtseinsvorgänge, sondern der von uns zu erkennenden gegenständlichen und allgemeingültigen Ordnung des Zeitgeschehens wird die geforderte Kontinuität zugeschrieben. Die Objekte, von denen sie behauptet wird, sind nicht die Empfindungskomplexe, so wie sie von meiner Bewußtseinstätigkeit zufällig zusammengefühgt werden; wir schreiben ihnen vielmehr eine feste unverbrüchliche Ordnung zu, die von unserer persönlichen Betätigung unabhängig ist. Nur diese Ordnung suchen wir durch unser Bewußtsein zu ergänzen, wenn wir die Lücken unseres Bewußtseins ausfüllen. Wir fragen nicht, was während dieser Zeit sich in unserem Bewußtsein würde abspielen können, sondern suchen lediglich die Folge der Veränderungen der Objekte festzustellen, die in die Unterbrechung unseres Bewußtseins fallen. Diese Folge ist aber für unser Erkennen stets nur ein Ideal, das es niemals abschließend zu erfassen vermag, weil gerade die Kontinuität des Ablaufs der Objektzustände ihre Erschöpfung durch einen endlichen Erkenntnisprozeß ausschließt. Statt daß die kontinuierliche Folge der Erscheinungen uns wirklich gegeben wäre, wie sie es sein müßte, wenn sie die notwendige Voraussetzung für die Möglichkeit der Bewußtseinssynthese wäre, setzen wir ihr Bestehen nur voraus, ohne sie jemals vollkommen erfassen zu können. Schon in der Annahme einer Bewußtseinsunterbrechung aber ist die gleiche Voraussetzung enthalten. Nur dann kann von einer solchen Unterbrechung die Rede sein, wenn eine von unseren persönlichen Zeitwahrnehmungen unabhängige Zeitordnung besteht, die den Verlauf unseres Bewußtseins umschließt.

Vom Standpunkt unseres Bewußtseins aus gesehen, ist somit die kontinuierliche Folge des Geschehens eine von uns unabhängige Ordnung von Objekten, die gleichfalls einen von uns unabhängigen Bestand aufweisen. Wird gleichwohl der Bestand dieser Objekte auf die Funktion eines sie umschließenden Bewußtseins zurückgeführt, so ist nicht mehr von einem individuellen Bewußtsein die Rede, von dem die Untersuchung ausging, sondern von einem idealen Bewußtsein, in dem die allgemein gültige Ordnung verwirklicht ist, die das Ziel unserer erkennenden Arbeit bildet.

Ebenso wie diese Forderung der Stetigkeit des zu verknüpfenden Erkenntnisinhalts führt auch die Ableitung der Verknüpfungsformen, nach denen wir ihn zusammenfassen, über die ursprüngliche Auffassung hinaus, welche die objektive Ordnung der Erfahrung auf die verbindende Tätigkeit des individuellen Subjekts zurückführen will. Beschränken wir uns in unserer Prüfung auf die Prinzipien der zeitlichen Verknüpfung, so geht deren Deduktion zunächst allerdings wieder von der allgemeinen Forderung aus, daß alle Inhalte unseres Bewußtseins der Einheitsfunktion genügen müssen, auf der ihre Zusammensetzung aus den Elementen der Empfindung beruth. Auf die zeitlichen Verhältnisse unserer Vorstellungen angewandt, heißt dies, daß alle unsere Vorstellungsinhalte, die ja nur als Zeitinhalte möglich sind, sich zu einheitlichen Anschauungen in der Zeit verknüpfen lassen müssen. Jede Vorstellungseinheit muß zugleich eine Zeiteinheit sein (Seite 56). Zur Bildung solcher Zeiteinheiten genügt jedoch die bloße kontinuierliche Aufeinanderfolge meiner Vorstellungen noch nicht. "Das Nacheinander meines Bewußtwerdens ist noch nicht das Bewußtwerden eines Nacheinander." (Seite 81) Zu einer Zeiteinheit werden die aufeinanderfolgenden Inhalte der Wahrnehmung erst durch das Bewußtsein,
    "daß mehrere Momente meines Vorstellens zeitlich so zusammengehören, daß ich den einen ohne die entsprechende Zuordnung des anderen überhaupt nicht reproduzieren kann", "daß die Vorstellung eines Zeitpunktes die eines anderen unausbleiblich nach sich zieht."
Da die Erfahrung statt einer solchen untrennbaren Zusammengehörigkeit der Wahrnehmungen vielmehr den unaufhörlichen Wechsel ihrer Verbindungen zeigt, kann die für die Identität des Bewußtseins erforderliche Vorstellung einer notwendigen Zusammengehörigkeit von Erscheinungen "nur aus dem Bewußtsein entspringen, daß die Handlung der Synthese nach einer unumgänglichen Regel geschieht." (Seite 82)

Die Aufgabe der hier geforderten Regel ist es somit, uns zum Bewußtsein der Sukzession unserer Vorstellungen zu verhelfen. Sie soll erklären, wie wir zur Erkenntnis der sich in uns vollziehenden Vorstellungsfolgen gelangen. Wir haben früher schon festgestellt, daß wir um eine Aufeinanderfolge von Bewußtseinserscheinungen zu bemerken, in Wahrheit keiner derartigen Regel der Verknüpfung bedürfen, daß sich die Wahrnehmung der Sukzession im Einzelfall unabhängig von der Erkenntnis eines notwendigen Zusammenhangs unserer Vorstellungen vollzieht. Denken wir uns aber, wie STADLER es will, unsere Zeitwahrnehmung von solchen Gesetzen geleitet, so kann deren Leistung nur darin bestehen, in uns das Bewußtsein der Folge unserer Vorstellungen zu erzeugen. Das Ergebnis der zeitlichen Zusammenfassung unserer Vorstellungen kann nichts anderes sein als die Vorstellung eines bestimmten Ablaufs unserer Bewußtseinszustände. Die objektiv gültige Zeitfolge, die das Ergebnis einer Bewußtseinssynthese ist, muß demnach mit der erlebten Folge unserer Wahrnehmungen identisch sein.

Statt einer solchen Erkenntnis der Folge unserer Wahrnehmungen läßt STADLER aber aus der Synthese des Bewußtseins eine objektive, von unserer Wahrnehmung unabhängige, Folge des Geschehens hervorgehen. Der Übergang zu dieser Auffassung vollzieht sich in seiner Begründung des Substanzgesetzes. Zunächst freilich wird die Annahme eines beharrlichen Substrats der Vorstellungsveränderungen damit begründet, daß ich die wechselnden Elemente als Bestimmungen eines Bleibenden ansehen muß, um ihre Sukzession zu bemerken. Den dadurch gebotenen Schluß aber, daß ich die Folge meiner Wahrnehmungen auf ein von mir unabhängiges beharrendes Substrat beziehen muß, um ihre Sukzession zu bemerken. Den dadurch gebotenen Schluß aber, daß ich die Folge meiner Wahrnehmungen auf ein von mir unabhängiges beharrendes Substrat beziehen muß, um sie als solche zu bemerken, zieht STADLER nicht, wie sie ja auch der wirklichen Funktion des Substanzbegriffs widerspricht. Die Selbständigkeit des so gewonnenen substantiellen Objekts dient ihm vielmehr dazu, um auch die Folge seiner Bestimmungen von der subjektiven Folge unserer Wahrnehmungen zu unterscheiden und abzulösen. Die gesetzmäßige Zeitfolge ist nicht mehr die einer "Modifikation des Inneren", sondern die einer "Veränderung der Natur", so wie sie "auch einem anderen Bewußtsein als notwendig" erscheinen muß. Die Folge der Modifikationen meines Innern bedarf jetzt, um zu meiner Wahrnehmung zu gelangen, nicht mehr der Anwendung einer allgemein gültigen Regel der Zeitbestimmung; diese ist vielmehr erst da erforderlich, wo es gilt, von der Folge der Wahrnehmungen zu der der gegenständlichen Bestimmungen fortzuschreiten.

Damit aber hat sich die Bedeutung der Regel der Zeitbestimmung genau in der gleichen Weise verschoben, wie wir es bei KANT festgestellt haben. Sie ermöglicht mir nicht mehr die psychologische Vollziehung der Zeitwahrnehmung, sondern schreibt mir vor, wie ich die Folge der Erscheinungen zu denken habe, damit die von mir gedachte Zeitordnung auf Allgemeingültigkeit Anspruch hat. Sie ist dazu bestimmt, eine von der Zufälligkeit des Wahrnehmens unabhängige Ordnung der Erscheinungen zu erzeugen, und gründet ihr Recht auf die Voraussetzung, daß die meinem Bewußtsein angehörigen Erscheinungen in allgemein gültiger Weise bestimmbar sind. Die veränderte Auffassung, vor der wir nunmehr stehen, spricht sich mit vollkommener Deutlichkeit aus, wenn STADLER hervorhebt, daß die gesetzliche Bestimmtheit der Aufeinanderfolge auch da vorauszusetzen ist, wo der Zusammenhang der Erscheinungen mir noch unbekannt bleibt, daß nicht die Wahrnehmung der Ursache, sondern ihre Voraussetzung die Veränderung zu einer notwendigen macht (Seite 152). Denn jetzt kann nicht mehr davon die Rede sein, daß die objektive Ordnung der Erscheinungen durch die tatsächlich von mir vollzogene Verknüpfung meiner Vorstellungen erzeugt wird. Die Aufgabe des erkennenden Individuums besteht vielmehr darin, die Ordnung der Erscheinungen zu erkennen, die auch da besteht, wo unser Wissen sich ihrer noch nicht bemächtigt hat. Alle Erscheinungen der Natur gehören einem gesetzmäßig bestimmten Zusammenhang an, für den es gleichgültig ist, in welchem Umfang seine Erkenntnis uns gelingt. Dieser ist ebensowenig wie mit der Folge unserer Wahrnehmungen mit der Auffassung des Naturgeschehens identisch, der ich in einem gegebenen Stadium der Erkenntnis Objektivität zuschreibe. Die wahrhaft objektive Zeitfolge könnte ich nur dann erfassen, wenn ich die Unendlichkeit der in Betracht kommenden Momente zu erkennen und zu widerspruchsloser Einheit zu bringen vermöchte. Sie ist begründet in einem Gesetz der Zeitbestimmung, das uns versichert, daß ein notwendiger Zusammenhang aller zeitlichen Veränderungen besteht. Demnach verdankt auch das Gesetz der Zeitbestimmung selbst nicht der Betätigung des vorstellenden Subjekts seine Geltung; diese wird vielmehr bei aller Betätigung unseres Denkens als bestehend vorausgesetzt. Die Inhalte unserer Zeiterkenntnis folgen nun diesem Gesetz nicht, indem wir durch die jeweilige Vereinigung unserer zeitlichen Vorstellungen deren objektiven usgesetzt. Die Inhalte unserer Zeiterkenntnis folgen nun diesem Gesetz nicht, indem wir durch die jeweilige Vereinigung unserer zeitlichen Vorstellungen deren objektiven Zusammenhang erzeugen, sondern indem wir uns seiner als der Norm bedienen, nach der wir entscheiden, ob unser Urteil über zeitliche Zusammenhänge eine objektive Geltung hat. Es ist die logische Voraussetzung, die wir als wahr anerkennen müssen, wenn wir über Zeitverhältnisse in allgemein gültiger Form urteilen wollen.

So hat sich der Unterschied zwischen den Formen der Verbindung, welche den aktuellen Zusammenhang der Vorstellungen im einzelnen Subjekt erzeugen, und den logischen Prinzipien, die den gesetzmäßigen Zusammenhang des Erfahrungsobjekts begründen, immer schärfer herausgestellt. Die Fähigkeit des Subjekts zur Vereinigung seiner Vorstellungen, die es ihm ermöglicht, den Zusammenhang seiner Inhalte zu erfassen, ist allerdings die unerläßliche Voraussetzung unserer Kenntnis dieser Prinzipien. Wenn die subjektive Deduktion der Kategorien die verschiedenen Akte aufweist, die erforderlich sind, um eine einheitliche Vorstellung zu bilden, so enthüllt sie damit zugleich die Bedingungen, auf dneen die psychologische Möglichkeit alles begrifflichen Erkennens beruth. Wäre unser Bewußtsein nicht imstande, die einzelnen ihm auftretenden Inhalte einheitlich zusammenzufassen, Beziehungsvorstellungen zu bilden, in denen eine Mehrheit von Einzelgliedern zu einer Reihe vereinigt wird, so wäre die Möglichkeit alles begrifflichen Wissens für uns aufgehoben und wir könnten niemals zur Vorstellung der Objekte und ihres Zusammenhangs gelangen. Aber eben nur diese psychologische Verwirklichung des Gedankens einer objektiven Ordnung wahrgenommener Inhalte, die Möglichkeit, uns diese Ordnung zum tatsächlichen Bewußtsein zu bringen, hat in dieser Fähigkeit unseres Bewußtseins ihre Begründung. Deren Bestand dagegen kann schon darum nicht von der Tätigkeit unseres Bewußtseins abhängig sein, weil erst sie deren gesetzmäßigen Ablauf verbürgt. Wollen wir uns daher überzeugen, daß wir mit sachlichem Recht eine solche Ordnung des Geschehens voraussetzen, fragen wir nach der Gewißheit, die dafür bürgt, daß alle uns gegebenen Inhalte einem gesetzmäßig bestimmten Zusammenhang angehören, so können wir uns nicht länger auf die gegebene Funktionsweise unseres Bewußtseins stützen, sondern nur die innere gedankliche Notwendigkeit, die dieser Voraussetzung innewohnt, kann über ihr Recht entscheiden.

Unter den subjektiven Bedingungen, welche die Bildung einheitlicher Bewußtseinsinhalte ermöglichen, ist die höchste und allgemeinste die der Einheitlichkeit des Bewußtseins selbst. Sie läßt sich als formale Bedingungen des Bewußtseins bezeichnen, weil sie die notwendige Voraussetzung ist, auf der die Möglichkeit jedes denkenden Bewußtseins beruth und die deshalb überall da gegeben sein muß, wo ein solches Bewußtsein möglich sein soll. Jeder Bewußtseinsinhalt setzt, um als solcher erfaßbar zu sein, mit begrifflicher Notwendigkeit ein Subjekt voraus, dem er gegeben ist. Diese begriffliche Voraussetzung allen Bewußtseins ist deshalb in unterschiedesloser Gleichheit überall da verwirklicht, wo immer ein erkennendes Subjekt seinen Inhalten gegenüber steht. Aller Unterschied der Einzelsubjekte betrifft nur die besonderen Inhalte ihres Bewußtseins; die Tatsache des Subjektseins selbst und die durch sie geforderte Einheitsform läßt keine Mannigfaltigkeit individueller Bestimmungen in sich zurück. Auch diese formale Bedingung jedes möglichen Bewußtseins aber betrifft nur den Vorgang des Bewußtseins in seiner psychologischen Wirklichkeit, der nujr in einem einheitlichen Subjekt stattfinden kann. Wenn daher auch die Gesetze, denen das Erkennen jedes Bewußtseins untersteht, als formale Gesetze jedes möglichen Bewußtseins bezeichnet werden, so sind doch beide Bedeutungen, die so der Begriff der "Bewußtseinsform" annimmt, auf das Schärfste zu unterscheiden. Die formalen Bedingungen, denen jedes Bewußtsein genügen muß, damit irgendein Bewußtseinsvorgang in ihnen möglich ist, haben nichts gemein mit den formalen Prinzipien, denen das Erkennen jedes Bewußtseins untersteht, sofern es als Erkennen gültig ist. Nur wenn daher die Erkenntnistheorie aus der objektiven Analyse der Erkenntnis in die Beschreibung des Erkenntnisvorgangs übergeht, kann der Begriff der "Bewußtseinseinheit" für sie Bedeutung gewinnen.

Nur dann tritt der formale Begriff des Bewußtseins in eine nähere Beziehung zu den Prinzipien unseres Erkennens, wenn er nicht als Gattungsbegriff jedes möglichen Bewußtseins, sondern als Idealbegriff eines Bewußtseins verstanden wird, der so verstandene Begriff eines überindividuellen Subjekts, für das die objektive Erkenntnis, der wir nachstreben, Wirklichkeit geworden ist, hat sicherlich zur Verdeutlichung der Ziele, auf die unser Erkennen gerichtet ist, seine gute Bedeutung (3). Er bringt es zum Ausdruck, daß alle individuellen Differenzen, welche in unserer Erkenntnis durch die zufälligen subjektiven Bedingungen unseres Wahrnehmens und Erkennens, durch die psychologischen Schranken unserer Erkenntnisfähigkeit bedingt sind, aus unserer Erkenntnis fortschreitend auszuscheiden sind, damit wir zu objektiv gültigen Ergebnissen gelangen. Das Ziel, das von unserer Erkenntnis zu verwirklichen ist, wäre abschließend nur einem idealen Bewußtsein erreichbar, dem alle materialen Daten der Erkenntnis vollständig zu Gebote stehen und dessen Erkenntnisakte ausnahmslos den Normen des Erkennens entsprechen. So tritt es in diesem Begriff deutlich hervor, daß ein notwendiger Abstand zwischen unserer wirklichen Erkenntnis und ihrem idealen Ziel besteht, daß nur die Idee der Erkenntnis von absoluter Geltung ist, während ihre tatsächliche Verwirklichung stets nur eine relative Bedeutung besitzt. Zugleich tritt uns in ihm die Erkenntnis als Aufgabe entgegen, bezeichnet er die Richtung, die unsere erkennende Tätigkeit innezuhalten hat. Die Normen unserer Erkenntnis gelten für uns alle in der gleichen Weise und ihre Anwendung auf die Inhalte unserer Erkenntnis ergibt in fortschreitender Vollkommenheit die Wirklichkeit, die uns allen gemeinsam ist.

Der Begriff eines derartigen überindividuellen Bewußtseis dient so ausschließlich der Veranschaulichung der unserer Erkenntnis gesteckten Ziele, ohne die Voraussetzungen unseres Erkennens sachlich tiefer begründen oder ergänzen zu können. Eine solche Leistung ist ihm schon deshalb versagt, weil der Begriff des überindividuellen Bewußtseins selbst nur aufgrund der Normen unseres Erkennens, die von ihm verwirklicht werden, bestimmbar ist. Bezeichnen wir die Gesetze unserer Erkenntnis als die Erkenntnisformen eines überindividuellen Bewußtseins, so ist damit nichts Anderes gesagt, als daß ein Bewußtsein, dessen Erkenntnisse auf allgemeine Geltung Anspruch erheben dürfen, ihnen gemäß verfahren muß. Es ist nur die Umschreibung der Geltung dieser Gesetze für jedes mögliche Bewußtsein, wenn wir sie als die Erkenntnisformen eines idealen Bewußtseins bezeichnen. Diese personifizierende Beziehung dieser Gesetze auf ein überindividuelles Bewußtsein trägt daher nichts zur Begründung ihrer Geltung bei, sondern verdeutlicht nur den Anspruch dieser Gesetze, für jedes zur Erkenntnis der Wahrheit fähige Bewußtsein gültig zu sein (4).

Nur in diesem Sinn verwendet auch KANT den Begriff des Bewußtseins überhaupt. Die Differenz, die das Erfahrungsurteil von dem der Wahrnehmung scheidet, formuliert er dahin, daß ich in ihm die Wahrnehmungen nicht, wie im Wahrnehmungsurteil, "in einem Bewußtsein meines Zustandes", sondern "in einem Bewußtsein überhaupt verbinde" (Prolegomena § 20, Seite 80). Nur der Geltungswert des Erfahrungsurteils, der es von der bloß psychologischen Verknüpfung der Vorstellungen im Einzelsubjekt unterscheidet und ihm eine von jedem Bewußtsein anzuerkennende logische Bedeutung verleiht, findet in diesem Begriff des Bewußtseins überhaupt seinen Ausdruck. Urteile sind, wie KANT es an anderer Stelle mit unzweideutiger Klarheit ausspricht,
    "entweder bloß subjektiv, wenn Vorstellungen auf ein Bewußtsein in einem Subjekt allein bezogen und in ihm vereinigt werden, oder sie sind objektiv, wenn sie in einem Bewußtsein überhaupt, das ist, darin notwendig vereinigt werden." (Prolegomena, Seite 85)
Der Begriff des Bewußtseins überhaupt hat so nur die methodische Bedeutung, die Notwendigkeit der in unserer Erfahrungserkenntnis sich vollziehenden Urteilseinheit zu bezeichnen. Die logischen Prinzipien, in denen die Objektivität unserer Erfahrungsurteile begründet ist, sind demnach die Gesetze eines Bewußtseins überhaupt. Sie sind die Bedingungen, an die das Erkennen jedes Bewußtseins gebunden ist und denen jeder Inhalt genügen muß, um in die Einheit des Bewußtseins überhaupt aufgenommen werden zu können.

So reduziert sich die Beziehung dieser Gesetze auf das wirkliche Bewußtsein der Einzelsubjekte darauf, daß sie für deren Erkenntnisthätigkeit eine normative Bedeutung besitzen. Sie sind nicht mehr die Einheitsformen, die den realen Zusammenhang eines Erlebnisses des Einzelsubjekts zustande bringen, sondern die Maßstäbe, nach denen jedes erkennende Subjekt die Geltung seiner Urteile bewertet, die Voraussetzungen, die es seinen Urteilen über alle empirischen Inhalte mit Notwendigkeit zugrunde legen muß. Nicht der empirische Vollzug des Einzelurteils wird durch sie herbeigeführt; nur der objektive Inhalt des Urteils ist durch sie bedingt. Durch die psychologische Tätigkeit des Denkens wird die objektive Einheit der Erkenntnis nicht erst geschaffen; vielmehr ist durch die Gesetze unseres Erkennens unseren Erkenntnisinhalten eine Ordnung vorgeschrieben, die von unserer Denktätigkeit nur aufzufinden und zu entdecken ist. So klar in dieser Auffassung die normative Bedeutung der logischen Prinzipien für unsere Erkenntnis bezeichnet ist, so deutlich es in ihr hervortritt, daß jedes erkennende Individuum an diese Normen gebunden ist, so läßt sie über das Wesen der logischen Prinzipien selbst noch eine Unklarheit bestehen, die der Erledigung bedarf. Sie läßt es unentschieden, ob es zum Begriff der logischen Gesetze gehört, daß wir sie als Normen für die Erkenntnistätigkeit denkender Individuen verstehen, oder ob diese normative Fassung nur die Bedeutung der logischen Gesetze für unser wirkliches Denken bezeichnet, ohne in ihren eigenen Begriff als notwendiges Moment einzugehen. Es bleibt die Frage offen, ob die Prinzipien unserer Erkenntnis sich in ihrem logischen Sinn verständlich machen lassen, auch ohne daß wir sie zu unserer durch sie zu normierenden psychologischen Denktätigkeit in Beziehung setzen, oder ob es zu ihrem Begriff gehört, daß wir sie als Regeln denken, nach denen ein erkennendes Bewußtsein sich in seinen Urteilen richtet.

Diese letztere Auffassung wird von einer Reihe namhafter Anhänger der kritischen Erkenntnistheorie vertreten und bietet ihnen die Möglichkeit, den Begriff des Bewußtseins als unentbehrliche Grundlage auch der objektiven Erkenntnis festzuhalten. So streng sie auch zwischen dem objektiven Gehalt dieser Erkenntnis und unserer psychologischen Erkenntnistätigkeit unterscheiden, so weit sie davon entfernt sind, die Einheit der psychologischen Vorstellungen im denkenden Subjekt mit der logischen Einheit unserer Erkenntnisse zu identifizieren und die Prinzipien des Erkennens als Funktionsgesetze des Bewußtseins aufzufassen, so meinen sie doch, daß gerade der normative Charakter der logischen Prinzipien ihre Beziehung auf ein denkendes Subjekt notwendig voraussetzt. Sie gelten ihnen gerade ihrer objektiven Bedeutung nach als Forderungen, die sich mit Notwendigkeit an ein Bewußtsein richten, das ihnen gemäß in seiner Erkenntnis verfährt. Denken wir uns jedes Bewußtsein aufgehoben, das ihnen genügen kann, so werden sie zu Forderungen, die sich an Niemanden mehr richten. Zumindest die Möglichkeit eines denkenden Bewußtseins ist also in ihrem Begriff mitgedacht. Nicht nur das Dasein der Erkenntnis setzt also, wie sich von selbst versteht, ein erkennendes Subjekt voraus, die Erkenntnis bedarf nicht nur, um wirklich bewußt zu werden, der Entdeckung durch empirische Individuen. Auch wenn wir von den wirklich vollzogenen Erkenntnissen, die als zeitliche Prozesse Tatsachen der geschichtlichen Wirklichkeit sind, ganz absehen und nur von den Wahrheiten und ihren Gesetzen selbst reden, die vom geschichtlichen Wandel unserer sie allmählich entdeckenden Erkenntnis unberührt bleiben, so setzen doch auch sie in ihrem Begriff die Beziehung auf ein denkendes Bewußtsein notwendig voraus. Die Geltung der Erkenntnis und des in ihr begründeten Objektbegriffs bleibt allerdings auch die gleiche, auch wenn kein empirisches Bewußtsein vorhanden ist, das sie tatsächlich vollzieht, aber sie schließt in sich die Beziehung auf den Begriff eines möglichen Bewußtseins, für das sie gilt.

Eine solche Beziehung hat man gerade bei den apriorischen Prinzipien der Erkenntnis als unabweisbar betrachtet, weil sie nicht von unserer Erkenntnis in den Objekten der Erfahrung vorgefunden, sondern erst von ihr an die Objekte herangebracht werden. Mögen sich die einzelnen Erfahrungsinhalte als etwas unserem Bewußtsein von außen her Gegebenes und passiv Hinzunehmendes auffassen lassen, so weist man für die Prinzipien unserer Erkenntnis jede Möglichkeit ab, ihnen einen derartigen Ursprung zuzuschreiben. Sie werden von uns nicht passiv hingenommen und den Objekten entlehnt, in denen sie sich unabhängig von unserer Erkenntnisarbeit vorfänden; erst die Aktivität unserer Erkenntnis liegt sie den Objekten zugrunde und kann sie deshalb nur aus sich selber schöpfen. Unter diesem Gesichtspunkt hat neuerdings wieder JONAS COHN dem Satz der Immanenz, der für jedes Objekt ein ihm zugrunde liegendes Subjekt fordert, eine prägnantere Bedeutung zu geben unternommen. Wenn er in seiner gewöhnlichen Fassung dem Einwand ausgesetzt ist, daß wohl die Erkenntnistätigkeit nicht aber der Inhalt unserer Erkenntnis ein erkennendes Subjekt voraussetzt, so weit er diesem Einwand gegenüber darauf hin, daß jeder Inhalt unserer Erkenntnis unter den Erkenntnisformen steht, die im erkennenden Bewußtsein ihren Ursprung haben und deshalb auch die durch sie bedingten Erkenntnisinhalte an das ihnen zugrunde liegende Bewußtsein binden. (5)

In dieser Beweisführung aber ist gerade das Moment außer Acht gelassen, das die eigentliche Schwierigkeit des Problems bildet. Es wird in ihr als selbstverständlich vorausgesetzt, daß die Prinzipien unserer Erkenntnis, die von den gegebenen Einzelobjekten unabhängig sind, ihren Ursprung in der Aktivität des erkennenden Subjekts haben müssen. Dieser Schluß aber ist nur insofern einleuchtend, als die psychologische Verwirklichung unserer Erkenntnis erklärt werden soll. Diese ist nur dadurch möglich, daß unser Bewußtsein die Prinzipien, die es in den gegebenen Einzelinhalten nicht vorfindet, selbsttätig an sie heranbringt. Sie setzt voraus, daß das erkennende Bewußtsein die Prinzipien in sich vorfindet, nach denen es die zu erkennenden Einzelinhalte ordnet und gestaltet. Allein die ganze Unterscheidung der aktiven Betätigung des Bewußtseins von der passiven Entgegennahme vorgefundener Inhalte ist nur für das psychologische Verständnis der Erzeugung des Erkennens im Einzelsubjekt von Bedeutung, die logische Unterscheidung der einzelnen Erkenntnisarten dagegen ist nicht an sie gebunden. Die Differenz zwischen den apriorischen Prinzipien des Erkennens und den empirisch gegebenen Erkenntnisinhalten betrift lediglich ihren sachlichen Wert und die Art ihrer Evidenz, ohne an und für sich auf ihren psychologischen Ursprung Rücksicht zu nehmen. Die Unabhängigkeit der Erkenntnisformen von den materialen Inhalten des Erkennens besagt nur, daß die Geltung der formalen Prinzipien unserer Erkenntnis nicht aus den empirischen Einzelurteilen abgeleitet werden kann, sondern in jedem konkreten empirischen Urteil bereits vorausgesetzt werden muß. Sie haben ihre Eigenart darin, daß ihre Gewißheit von der des jeweils empirischen Einzelfalles unabhängig ist, daß ihnen eine begriffliche Notwendigkeit zukommt, die dem material bestimmten Einzelurteil versagt ist. Dadurch aber werden die formalen Prinzipien des Erkennens nicht enger an unser Bewußtsein gebunden als die konkreten Inhalte unserer Erkenntnis. Der Schluß von ihrer apriorischen Geltung auf ihren Ursprung in der Aktivität des Bewußtseins wäre nur dann berechtigt, wenn es notwendig wäre, über den Gedanken ihrer logischen Geltung hinauszugehen und nach einem Faktor zu fragen, der sie zu den Objekten der Erkenntnis in Beziehung setzt.

Diese Notwendigkeit aber ist in der erörterten Beweisführung nirgends dargelegt. Sie setzt sich nirgends mit der Möglichkeit auseinander, daß die Gesetze und Prinzipien unserer Erkenntnis eine Geltung besitzen können, die keinen außer ihr gelegenen Ursprung fordert. Sobald diese Möglichkeit ins Auge gefaßt wird, fällt die Alternative fort, ob unsere Erkenntnis in den Dingen oder im Bewußtsein ihren Ursprung hat. Wenn wir nach dem Ursprung unserer Erkenntnisse fragen, so kann das logisch verstanden nichts anderes heißen, als daß wir ihre Geltung aus den letzten Grundgesetzen unseres Erkennens abzuleiten suchen. Diesen selbst gegenüber kann nach einem ferneren Ursprung nicht mehr gefragt werden. Auch wenn wir von einer Erzeugung bestimmter Erkenntnisse reden, darf darunter logisch nichts anderes gedacht werden, als ihre begriffliche Ableitung aus den letzten gedanklichen Ursprüngen unseres Erkennens. So scheidet jede Berufung auf die Aktivität des denkenden Bewußtseis aus der logischen Begründung der Erkenntnis aus, ohne daß dadurch die Differenz der reinen und der empirischen Erkenntnis im Geringsten verwischt würde. Diese Differenz ist im Unterschied ihrer logischen Notwendigkeit ausreichend begründet, ohne einer Stütze in ihrer Beziehung auf die Subjektivität unseres Bewußtseins zu bedürfen.

Die logische Rationalität bestimmter Erkenntnisse, die begriffliche Möglichkeit, von den letzten sachlichen Ursprüngen unseres Erkennens zu den in ihnen begründeten Einzelerkenntnissen fortzuschreiten, erklärt es vielmehr erst, inwiefern unser Bewußtsein zu einer Erzeugung von Erkenntnissen befähigt ist. Weil es zur Erfassung jener letzten Fundamente des Erkennens imstande ist und den sachlichen Zusammenhang der Erkenntnis zu begreifen vermag, stellt sich die fortschreitende Verwirklichung der Konsequenzen, die in den formalen Voraussetzungen unseres Erkennens gegründet sind, subjektiv als eine Erzeugung der Erkenntnisse durch das Bewußtsein dar. Nichts anderes ist unter dieser Erzeugung zu verstehen, als die fortschreitende Verwirklichung des begrifflichen Zusammenhangs der Erkenntnis in unserem Bewußtsein. Damit unser Bewußtsein zu dieser Leistung befähigt ist, muß es freilich bestimmte Denkakte zu vollziehen vermögen, in denen sich ihm das apriorische Wissen darstellt. Es bedarf der Vollziehung bestimmter Denkoperationen, die vom Vorfinden sinnlicher Einzelinhalte grundsätzlich verschieden sind, um zum Wissen von den apriorischen Prinzipien des Erkennens und zu ihrer Anwendung auf die konkreten Inhalte unserer Wahrnehmung gelangen zu können. Diese Denkoperationen aber sind nur die Voraussetzung dafür, daß wir uns in unserem Denken des objektiven Bestandes der Erkenntnis zu bemächtigen vermögen; in diesen Bestand selbst aber gehen sie nirgends als sachliche Voraussetzungen ein. Deshalb ist die Ermittlung dieser Denkoperationen nur für die subjektive Analyse unserer Denkprozesse von Bedeutung, während die logische Deduktion der Erkenntnis allein in ihren objektiven Gründen und Prinzipien sich zu bewegen hat.

So hat sich die Berufung auf die Abhängigkeit unserer Erkenntnis von apriorischen Prinzipien des Erkennens als unzugänglich erwiesen, um den Begriff eines erkennenden Bewußtseins als eine notwendige Voraussetzung der Erkenntnis nachweisen zu können. Statt die notwendige Beziehung unseres Erkennens auf ein denkendes Subjekt zu beweisen, hat diese Auffassung es vielmehr als selbstverständlich vorausgesetzt, daß die apriorische Geltung von Erkenntnissen nur in ihrem Ursprung aus der Aktivität des erkennenden Subjekts begründet sein kann. Wenn wir diese Voraussetzung näher analysieren, so hat sie ihren Grund in der Annahme, daß die Geltung des Erkennens nur durch den Anspruch auf Anerkennung verständlich zu machen ist, den sie an erkennende Subjekte richtet. Um über das Recht dieser Auffassung zu entscheiden, genügt es nicht, die besondere Bedeutung bestimmter Einzelfaktoren der Erkenntnis zu analysieren. Hier kann vielmehr nur eine Prüfung des Erkenntnisbegriffs selbst, in dem jene Auffassung ihre letzte Wurzel hat, die endgültige Entscheidung herbeiführen.

Der Wahrheitsbegriff, für den die Geltung der Erkenntnis ein an sie gebundenes Subjekt voraussetzt, findet in der Lehre vom Urteil als der Grundgestalt aller Erkenntnis seinen deutlichsten und unmittelbaren Ausdruck. Das Urteil wird von den Vertretern dieser Auffassung als eine allgemeingültige und notwendige Verknüpfung von Vorstellungen definiert. Von allen bloß psychologischen Vorstellungen unterscheidet es sich dadurch, daß es mit dem Anspruch auftritt, von jedem erkennenden Bewußtsein in seiner Notwendigkeit anerkannt zu werden. Es ergibt sich von selbst, daß diese Auffassung des Urteils eine notwendige Beziehung aller Erkenntnis auf ein denkendes Subjekt in sich schließt. Denn für sie ist alle Erkenntnis ihrem Begriff nach eine Vereinigung von Vorstellungen, die als solche nur als Inhalte eines vorstellenden Bewußtseins gedacht werden können; sie geht davon aus, daß uns das Urteil nur als eine Betätigung unseres Denkens gegeben ist und jeden vorstellbaren Sinn verliert, wenn wir es von den Vorstellungen ablösen, in denen sich all unser Urteil vollzieht. Bei diesem Ausgangspunkt wird es unvermeidlich, die Allgemeingültigkeit des Urteils in einem normativen Sinn zu verstehen. Die Allgemeingültigkeit einer bestimmten Art von Vorstellungsverbindungen läßt keine andere Deutung zu al die, daß jedes erkennende Bewußtsein die Geltung der vollzogenen Vorstellungsvereinigung anzuerkennen hat. So werden die Gesetze des Urteils mit Notwendigkeit ihrem Begriff nach zu Bedingungen, denen wir in unseren Urteilen zu folgen haben, um diesen den Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu verleihen. Von dem einmal ausgewählten Ausgangspunkt aus, der unsere psychologischen Vorstellungen als Elementarbestandteile unserer Urteile ansieht, bleibt keine andere Deutung der Objektivität des Urteils offen als seine Auffassung als eine von jedem erkennenden Bewußtsein anzuerkennende Vorstellungseinheit.

Die Elemente, welche diese Urteilstheorie in die Einheit des Urteils eingehen läßt, sind ihrer Definition nach reale Inhalte unseres Bewußtseins, die, um als solche möglich zu sein, ein Dasein des Bewußtseins voraussetzen. So ist an diesem Punkt eine existente Wirklichkeit die Voraussetzung nicht nur des Daseins, sondern des Begriffs der Erkenntnis. Damit aber stellen sich auch hier die Schwierigkeiten ein, welche überall die Folge der Bindung des Erkennens an eine ihm übergeordnete Wirklichkeit sind.

Sie machen sich im vorliegenden Fall für das Verhältnis der Erkenntnis zu dem ihr zugrunde gelegten Bewußtsein geltend. Dieses steht nach den Voraussetzungen der dargelegten Urteilstheorie notwendigerweise außerhalb der Sphäre, auf die sich die Kompetenz des Urteils erstreckt. Denn wenn es zum Begriff des Urteils gehört eine Verbindung von Vorstellungen zu sein, wenn seine Geltung sich darin erschöpft, die in ihm vorliegende Vorstellungsverknüpfung für alle erkennenden Subjekte notwendig zu machen, so kann es uns niemals über den Umkreis unserer Vorstellungen hinausführen. Wir überschreiten aber den Kreis unserer Vorstellungen nicht nur, wenn wir eine transzendente Wirklichkeit zu Gegenstand unseres Urteils machen, sondern ebenso, wenn wir unser Urteil auf das unseren Vorstellungen zugrunde liegende Bewußtsein richten. Denn dieses gehört ebensowenig dem Gebiet unserer Vorstellungen an wie irgendeine metaphysische Realität. Es ist keine Vorstellung, sondern die unentbehrliche Grundlage, auf der sich unsere Vorstellungen erst aufbauen sollen. So kann das erkennende Bewußtsein, gerade weil es das unentbehrliche Subjekt der Erkenntnis ist, niemals zum Gegenstand unseres Erkennens werden. Damit aber verliert die Behauptung, daß unsere Erkenntnis ein denkendes Bewußtsein voraussetzt, ihr eigenes Recht. Denn in ihr greifen wir über das Gebiet unserer Vorstellungen hinaus und beziehen diese auf ein Subjekt, dem wir ein Dasein außerhalb unserer Vorstellungen zusprechen. Nicht das erkennende Bewußtsein selbst, sondern nur unsere Vorstellung eines erkennenden Bewußtseins kann in unser Urteil eingehen. Wir dürfen nicht länger mehr sagen, daß unsere Erkenntnis ein ihr zugrunde liegendes Bewußtsein erfordert; wir müssen uns vielmehr mit dem Urteil begnügen, daß wir mit allen unseren Erkenntnissen die Vorstellung eines ihnen zugrunde liegenden Bewußtseins verbinden müssen, und haben damit offenbar das objektive Recht der Behauptung, daß unsere Urteile nur für das Gebiet unserer Vorstellungen gelten, aufgegeben. So hebt sich die Bindung unserer Erkenntnis an ein sie vollziehendes Subjekt auf, weil dieses Subjekt selbst nurim Urteil unserem Wissen zugänglich ist. Der Versuch, das erkennende Subjekt zur Grundlage unserer Erkenntnis zu machen, scheitert daran, daß er, um selbst möglich zu sein, einen Wahrheitsbegriff voraussetzt, der nicht auf die Vorstellungen erkennender Subjekte eingeschränkt ist, sondern mit schlechthin uneingeschränkter Allgemeinheit gilt. Statt daß die Geltung unserer Erkenntnisse ein sie vollziehendes Subjekt voraussetzt, erweist sich vielmehr der Begriff der Wahrheit als die unumgängliche Voraussetzung, die uns erst das Sein eines erkennenden Subjekts sicherzustellen vermag.

Die dargelegten Schwierigkeiten lassen sich nicht dadurch beheben, daß statt eines wirklichen Bewußtseins nur der Begriff eines solchen als Grundlage unserer Erkenntnis gefordert wird. Der bloße Begriff eines Bewußtseins kann den Aufgaben nicht genügen, die hier an ihn gestellt werden. Wird das Urteil als eine Verknüpfung von Vorstellungen an ein Bewußtsein gebunden, das zum Vollzug dieser Verknüpfung fähig ist, so kann nur ein wirkliches Bewußtsein als Grundlage des Urteils gedacht werden. Auch wenn die Allgemeingültigkeit des Urteils dahin bestimmt wird, daß es für jedes mögliche Bewußtsein gilt, bleibt diese Beziehung auf ein existierendes Bewußtsein bestehen. Denn auch das mögliche Bewußtsein, für das ich die Geltung des Urteils behaupte, wird der Möglichkeit nach als existierend gedacht. Spreche ich dem Urteil Geltung für jedes mögliche Bewußtsein zu, so erkläre ich damit, daß jedes Bewußtsein, sofern es zu denken vermag, die Geltung des Urteils anerkennen muß. Überdies aber bleiben die entwickelten Schwierigkeiten in unverringerter Kraft bestehen, auch wenn nur der Begriff eines Bewußtseins als Voraussetzung unserer Erkenntnis behauptet wird. Denn durch die Funktion, die diesem Begriff zugewiesen wird, stellt er sich außerhalb der logischen Einheit, deren Bedingung er sein soll. Er bedingt das Urteil nicht als ein formaler Bestandteil der Urteilseinheit selbst, sondern als ein Beziehungspunkt, auf den die Einheit des Urteils als auf ihr Korrelat hinweist. Während die formalen Prinzipien des Urteils diesem selbst angehören und den Begriff der Urteilsgeltung zu ihrer Voraussetzung haben, soll der Begriff des Bewußtseins die Möglichkeit des Urteils selbst erklären und dem Begriff der Urteilsgeltung zugrunde liegen. Auch der Begriff eines Bewußtseins, das die Grundlage des Urteils sein soll, stellt sich außerhalb der Sphäre der Vorstellungen, die im Urteil zur Einheit verknüpft werden. Daß er gleichwohl als Begriff gedacht werden will und damit die Prinzipien des begrifflichen Denkens als seine Voraussetzungen anerkennt, läßt den Widerspruch, zu dem die Begründung des Urteils in einer außer ihm liegenden Instanz führt, nur umso schärfer hervortreten.

Der Begriff des "Bewußtseins" aber ist nicht die einzige Voraussetzung, welche die uns beschäftigende Urteilstheorie unserer Erkenntnis voranstellt. Als Bedingung des Urteils genügt ihr nicht das Dasein eines erkennenden Subjekts; ebenso bedarf sie auch noch einer verknüpfenden Tätigkeit des Bewußtseins, um die Einheit des Urteils zu erzeugen. Die Gesetze des Urteils sind für sie die Normen, welche die Urteilstätigkeit einzuhalten hat, um zu einem allgemeingültigen Ergebnis zu führen, und setzen deshalb die Betätigung des Bewußtseins voraus, um zur Anwendung gelangen zu können. Man mag den Begriff der Bewußtseinsverknüpfung noch so sehr sublimieren, auch in seiner abstraktesten Form schließt er die Vorstellung eines sich im Bewußtsein vollziehenden Geschehens, ja die noch weit voraussetzungsvollere Vorstellung einer Bewußtseinstätigkeit in sich, in der, wie NATORP mit Recht hervorhebt, "Grundbegriffe wie Substanz und Ursache, und nicht wenig andere vorausgesetzt werden." (6) Ebenso wie die Wirklichkeit des Bewußtseins selbst liegt aber auch die dieses sich in ihm vollziehenden Geschehens außerhalb des Gebietes der Vorstellungen, auf das sich die Funktion des Urteils beschränkt. Nur das Ergebnis dieses Prozesses untersteht der Gesetzlichkeit des Urteils; seine eigene Realität dagegen kann nicht von den Gesetzen abhängig sein, die nur für die Verknüpfung unserer Vorstellungen Geltung besitzen. Wenn sie gleichwohl behauptet werden muß, um die Auffassung des Urteils als eine Verknüpfung unserer Vorstellungen möglich zu machen, so bestätigt es sich aufs Neue, daß die eigene Konsequenz dieser Auffassung dazu hinführt, die Bindung der Erkenntnis an den Begriff des Bewußtseins fallen zu lassen und den Begriff der Wahrheit als den letzten Grundbegriff anzuerkennen, der kein über ihm liegende Voraussetzung duldet und uns erst die Wirklichkeit des Bewußtseins und der ihm angehörigen Prozesse, in denen es seine Urteile vollzieht, zu sichern vermag.

Führen somit schon die Konsequenzen, zu denen die Auffassung der Erkenntnis als allgemeingültige Verknüpfung von Vorstellungsinhalten eines Bewußtseins nötigt, unvermeidlich über sie hinaus, so gilt es nunmehr, ihren Irrtum in der Wurzel aufzudecken, indem wir sie den Grundtatsachen des Urteils gegenüberstellen. So scharf sie auch die Geltung des Urteils, die unabhängig von seiner tatsächlichen Anerkennung durch irgendein Bewußtsein besteht, von seiner Verwirklichung durch irgendein Einzelbewußtsein unterscheidet, so sieht sie doch als Elemente des Urteils wirkliche oder mögliche Vorstellungen, d. h. Bewußtseinsinhalte denkender Subjekte, an. Sie unterscheidet das Urteil von einer bloß psychologischen Vorstellungsverbindung durch die allgemeingültige Form seiner Verknüpfung und setzt eben damit voraus, daß es dieselben Elemente sind, die diesen verschiedenen Verknüpfungsformen angehören können. Das ist selbstverständlich insofern richtig, als aus unseren psychologischen Bewußtseinsinhalten sich all unser tatsächliches Wissen aufbaut, als die Erfassung der Erkenntnis durch irgendein Subjekt sich ausschließlich in Verknüpfungen psychologischer Inhalte vollzieht. Dagegen ist es unmöglich, auch die Erkenntnisse selbst, denen wir Wahrheit oder Unwahrheit zusprechen, als eine Zusammensetzung psychologischer Inhalte anzusehen. Von den Vorstellungen, die als reale Bestandteile unserem Bewußtsein angehören, ist es unabtrennbar, daß sie in einen zeitlichen Verlauf kommen und gehen. Sie existieren nur für das Bewußtsein, dem sie tatsächlich angehören, und auch für dieses nur solange, als sie mit psychologischer Aktualität in ihm vorhanden sind. Wenn eine Mehrheit erkennender Individuen dieselbe Erkenntnis vollzieht, so sind die Vorstellungen, die ihnen diese Erkenntnis vermitteln, so vielmals vorhanden, wie es Individuen gibt, die jene Erkenntnis erfassen. Es sind andere, in ihren psychologischen Merkmalen, in ihrer Lebhaftigkeit oder Blässe, ihrem schnelleren oder langsameren Ablauf vollkommen verschiedene, Vorstellungen, in denen jedes einzelne Subjekt dieselbe Erkenntnis vollzieht. Es steht nicht anders mit jedem einzelnen Subjekt selbst. So oft ich etwa an die Zahl 2 denke, ist es stets eine neue Vorstellung, die in mein Bewußtsein tritt und die in ihren psychologischen Merkmalen niemals ganz mit den früheren Bewußtseinsinhalten übereinstimmt, die mir gegenwärtig waren, als ich mir die Zahl 2 vorstellte. Bei aller Verschiedenheit dieser Vorstellungen aber ist es derselbe gedankliche Inhalt, der in ihnen allen erfaßt wird; so viele Menschen auch an die Zahl 2 denken mögen, und so verschieden auch die Vorstellungen sein mögen, die dabei in ihnen ablaufen, die Zahl 2 selbst, an die sie alle denken, ist stets die gleiche. Urteile ich aber über die Zahl 2, sage ich, daß sie in der Zahlenreihe auf die 1 folgt, so rede ich nicht von den psychologischen Vorstellungen, die irgendeinem wirklichen oder möglichen an die Zahl 2 denkenden Subjekt angehören, sondern an die Zahl 2 selbst, die allen denkenden Individuen gleichmäßig gegenübersteht. Aus solchen gedachten Inhalten setzen sich alle unsere Urteile zusammen, und diese Elemente unserer Urteile kommen und gehen nicht wie unsere psychologischen Vorstellungen, sondern sind ihrer gedanklichen Bedeutung nach von allem zeitlichen Wandel unberührt, nicht weil sie in zeitloser Dauer existieren, sondern weil ihnen jedes Dasein fremd ist, das ihnen eine Beziehung zur Zeit verleihen könnte. Fälle ich das Urteil, "gelb ist eine Farbe", so ist wohl jede einzelne der Vorstellungen, die dabei in meinem Bewußtsein auftritt, ebenso wie ihre psychologische Einheit, die mein Urteilserlebnis darstellt, in einem bestimmten Zeitpunkt in mein Bewußtsein eingetreten, um nach einiger Zeit wieder aus ihm zu verschwinden. Dagegen wäre es unverständlich, wollte man sagen, daß der Sinn, den ich mit der Vorstellung gelb verbinde, die Bedeutung, die dem Wort gelb eigen ist, jemals entstehen oder vergehen könnte. Und ebensowenig kann das Urteil, das ich gefällt habe, beginnen oder aufhören, wahr zu sein, kann der wahre Satz, "gelb ist eine Farbe", einen zeitlichen Ursprung haben.

Wir brauchen nur die Auffassung, die im Urteil eine allgemeingültige Verknüpfung von Vorstellungen sieht, schärfer zu analysieren, um zu erkennen, daß sie unvermerkt statt unserer psychologischen Vorstellungen deren von uns gedachten Sinn in die Urteilseinheit eingehen läßt. Die Allgemeingültigkeit des Urteils bestimmte sie dahin, daß die in ihm vollzogene Vorstellungsverknüpfung für jedes erkennende Bewußtsein bindend ist. Diese Forderung hat offenbar nur dann einen Sinn, wenn dieselben Vorstellungen die von mir im Urteil zusammengefaßt sind, auch von jedem anderen erkennenden Subjekt erfaßt werden können. Es muß mit anderen Worten zwischen den Vorstellungen der verschiedenen erkennenden Subjekte eine Identität vorhanden sein, damit auch dieselbe Verknüpfung von ihnen allen gefordert werden kann. Die Identität des Verknüpfungsgesetzes vermag der vom einzelnen Subjekt vollzogenen Vorstellungsverknüpfung solange keine über ihr einmaliges Auftreten hinausreichende Bedeutung zu verleihen, als es nicht feststeht, was unter der Identität der Vorstellungen verschiedener Individuen zu verstehen ist. Nun liegt es auf der Hand, daß zwischen den Vorstellungen verschiedener Individuen Identität in einem numerischen Sinn nicht bestehen kann: dem Dasein nach sind meine Vorstellungen von denen jedes anderen Subjektes stets verschieden. Worin also besteht die Identität verschiedener Vorstellungen, die uns berechtigt, die gleiche Verknüpfung dieser Vorstellungen von allen erkennenden Individuen zu fordern? Um diese Frage zu beantworten, genügt es nicht, auf die Gleichheit des Inhalts verschiedener Vorstellungen hinzuweisen, solange der vieldeutige Begriff des Vorstellungsinhaltes nicht geklärt ist. Wird unter dem Inhalt einer Vorstellung nur die ihr anhaftende psychologische Beschaffenheit gemeint und wird demnach die Gleichheit verschiedener Vorstellungen als Übereinstimmung ihrer psychologischen Merkmale gedacht, so reicht diese Übereinstimmung nicht aus, um die Identität verschiedener Vorstellungen zu begründen, die in der Forderung ihrer übereinstimmenden Verknüpfung vorausgesetzt ist. Schon diese psychologische Gleichartigkeit verschiedener Vorstellungen setzt wie alle Gleichheit nach dem überzeugenden Nachweis HUSSERLs ein identisches Moment voraus, in dem verschiedene Inhalte miteinander übereinstimmen, und ist darum unfähig, die Identität des Inhalts verschiedener Vorstellungen zu begründen (7). Die Identität des Vorstellungsinhalts aber, die gemeint ist, wenn eine übereinstimmende Verknüpfung derselben Vorstellungen von jedem erkennenden Bewußtsein gefordert wird, hat mit der Gleichartigkeit der psychologischen Beschaffenheit verschiedener Vorstellungen nichts zu tun. Die Forderung, daß ein von mir vollzogenes Urteil von jedem erkennenden Individuum anzuerkennen ist, meint nicht, daß alle anderen erkennenden Subjekte ihr noch so ähnlichen Vorstellungsinhalte ebenso wie ich verknüpfen sollen. Die logische Forderung, daß das Urteil "2 x 2 = 4", von jedem erkennenden Bewußtsein anzuerkennen ist, macht diese Anerkennung nicht davon abhängig, welches Maß an Ähnlichkeit zwischen den Vorstellungserlebnissen verschiedener Individuen besteht, wenn sie an die Zahl 2 denken. Sie richtet sich vielmehr an jeden, der darüber urteilt, wieviel 2 x 2 ist, gleichgültig was dabei in ihm vorgehen mag. Die Vorstellungen verschiedener Individuen besitzen dann die Identität, die ihre übereinstimmende Verknüpfung erforderlich macht, wenn der in ihnen gemeinte Sinn derselbe ist, wenn in ihnen dieselbe gedankliche Bedeutung erfaßt wird.

So läßt sich die Identität verschiedener Vorstellungen, welche die Gemeinsamkeit unserer Erkenntnis ermöglichen soll, nur dadurch bestimmen, daß wir von ihrem psychologischen Inhalt den gedanklichen Sinn unterscheiden, der in ihnen gemeint ist. Diese Bedeutung einer Vorstellung oder einer Vorstellungsverbindung, die man wohl auch als ihren Inhalt bezeichnet, ist kein realer Bestandteil des Vorstellungserlebnisses. Sie fällt nicht mit dem psychologischen Vorstellungsinhalt oder irgendwelchen seiner Bestandteile zusammen. Wenn ich an die Zahl 2 denke, so ist diese kein Bestandteil meines psychologischen Erlebnisses, der mit diesem selbst entstehen oder vergehen könnte: sie ist vielmehr das, worauf sich mein Bewußtsein richtet, was ich meine, wenn ich die Vorstellung 2 vollziehe. Nur diese Vorstellung gehört meinem Bewußtsein an, der Sinn dagegen, den ich in ihr erfasse, das, was die Vorstellung 2 meint, ist kein Inhalt meines Bewußtseins, dem nur wirkliche konkrete Erlebnisse angehören können. Nur weil jeder Akt unserer Erkenntnis sich auf einen solchen gedachten Inhalt richtet, der unserem Bewußtsein als etwas von ihm Unabhängiges gegenübersteht, sind die Erkenntnisakte verschiedener Individuen logisch miteinander vergleichbar. Die Identität des gemeinten Inhalts, auf den sich die Erkenntnisakte der verschiedenen Individuen richten, verleiht allein der Forderung einen Sinn, daß die Vorstellungsverknüpfung, die ich in meinem Urteil vollziehe, auch von allen anderen erkennenden Subjekten anzuerkennen ist. Die Übereinstimmung, die von uns allen gefordert wird, besteht darin, daß wir alle anerkennen, daß zwischen bestimmten gedachten Inhalten, auf die sich unsere Erkenntnis gemeinsam richtet, eine Beziehung bestimmter Art besteht. Diese Forderung, den Bestand einer solchen Beziehung anzuerkennen, ist aber nur die psychologische Ausdrucksform dafür, daß unter den gedachten Inhalten selbst nur diese Beziehung möglich ist. Heben wir daher den logischen Sinn dieser Forderung aus ihrer psychologischen Form heraus, so beansprucht sie nicht mehr für die im Urteilsakt vollzogene Vorstellungsverknüpfung allgemeine Anerkennung, sondern spricht der in diesem Akt erfaßten Beziehung gedachter Inhalte einen von unserem Vorstellen unabhängigen Bestand zu.

So ergibt sich, daß das Urteil, welches das eigentliche Objekt der logischen Analyse ist, keine Einheit psychologischer Vorstellungsinhalte, sondern solcher in unserem Vorstellen erfaßter, gedanklicher Inhalte darstellt. Das Urteil, 2 x 2 = 4, setzt sich nicht aus psychologischen Bewußtseinsinhalten zusammen, sondern ist eine Einheit von gedanklichen Bedeutungen, die in unserem Vorstellungsprozeß von uns erfaßt und verstanden werden. Wahr oder unwahr ist nicht der Urteilsakt, den wir vollziehen, wenn wir irgendein Urteil fällen, sondern der Satz, den wir in diesem Urteilsakt erfassen, dessen Sinn von mir verstanden wird, wenn ich ein Urteil fälle. Auf solche Sätze, die wahr oder falsch sein können, beziehen sich die logischen Prinzipien, in denen unsere Erkenntnis begründet ist. Die Gesetze der Logik sind die formalen Bedingungen, die im Begriff der Wahrheit enthalten sind und von denen daher die Wahrheit jedes Satzes abhängig ist. Die so verstandenen Urteile sind unabhängig von ihrer Beziehung nicht nur auf ein einzelnes Bewußtseins, sondern auch vom Begriff eines sie erfassenden Bewußtseins überhaupt. Die Möglichkeit, daß ein Satz wahr ist, schließt keinerlei Beziehung auf ein Bewußtsein in sich, das seiner Wahrheit inne wird. Es schließt keinen Widersinn in sich, alles mögliche Bewußtsein in unseren Gedanken aufzuheben; versuchen wir dagegen den Gedanken der Wahrheit aufzuheben, so ist auch dieser Versuch nicht möglich, ohne daß er selbst den Gedanken der Wahrheit voraussetzt. Wenn alles Bewußtsein aufgehoben wird, so bleibt es wahr, daß kein Bewußtsein besteht.

Wenn so die Erkenntnis als der Inbegriff wahrer Urteile und der sie ermöglichende Grundbegriff der Wahrheit von jeder Beziehung auf ein denkendes Bewußtsein losgelöst wird, so wird ihr damit keinerlei metaphysische Existenz zugeschrieben. Sie besteht nicht in irgendeiner außerhalb unseres Bewußtseins liegenden Wirklichkeit; sie besitzt vielmehr kein anderes Sein als die zeitlose Geltung, die wir als ihren Sinn erkannt haben. Das einzige Sein der Erkenntnis ist ihr Wahrsein, und das einzige Sein der Wahrheit selbst ist eben diese notwendige Geltung, die sie auch den einzelnen wahren Erkenntnissen verleiht und die ebensowenig wie der Begriff der Wahrheit selbst weiter abgeleitet und definiert werden kann. Halten wir den Begriff der Wahrheit in dieser Strenge fest, so sind wir auch gegen den Einwand gesichert, unserer wirklichen Erkenntnis, die allein in den von uns tatsächlich gefällten Aussagen besteht, unfaßbare Sätze und Wahrheiten zu substituieren, von denen nicht zu begreifen ist, wie unser zeitlich verlaufendes Denken sich zu ihnen in Beziehung zu setzen vermag. Dieser Einwand wäre nur dann berechtigt, wenn wir in den idealen Wahrheiten und Sätzen, in denen sich die Erkenntnis ihrem logischen Sinn nach für uns konstituiert, einen Faktor einführen, der an die von uns vollzogene Erkenntnis äußerlich herangebracht ist. In Wahrheit aber ist es der Sinn unseres Erkennens selbst, der die Anerkennung des von allem Vorstellen unabhängigen idealen Bestandes der Wahrheit von uns fordert. Wie es freilich unserem psychologischen Denken möglich ist, sich der zeitlos geltenden Wahrheit zu bemächtigen, vermögen wir nicht zu beantworten. Wir können auf diese Frage nur das Eine erwidern, daß sie uns hinter die Erkenntnis zurückführen möchte, die uns allein gegeben ist. Denn all unser Erkennen ist nichts Anderes als die Erfassung einer zeitlos gültiger Wahrheit im zeitlichen Prozeß unseres Bewußtseins. In unserem wirklichen Erkennen sind diese beiden Momente in einer unauflöslichen Korrelation während der offziellen Bürozeiten aufeinander bezogen; wir vermögen sie wohl begrifflich voneinander zu sondern, können aber nicht aus den beiden isolierten Momenten dieser Korrelation das Zustandekommen unserer Erkenntnis begreiflich machen. Wie es unserem Erkenntnisakt während der offziellen Bürozeiten gelingt, zum idealen Sein der Wahrheit vorzudringen, mag, wenn man es so nennen will, ein Rätsel sein; ein Problem der Wissenschaft ist es nicht, die hier, wie überall, die Bedingungen unserer Erkenntnis, die ihr selbst zugrunde liegen, nur feststellen und beglaubigen aber nicht erklären und ableiten kann. Das gleiche "Rätsel" aber, zu dessen Anerkennung wir somit genötigt sind, bleibt auch dann bestehen, wenn man das Urteil als eine allgemeingültige Vorstellungsverbindung bestimmt. Denn auch hier vollzieht sich der zeitliche Verlauf unserer Erkenntnis gemäß idealen Normen von zeitloser Geltung, deren Verwirklichung durch unser Bewußtsein auch bei dieser Auffassung nur hinzunehmen ist, ohne weiter abgeleitet werden zu können.

Seinen deutlichsten Ausdruck findet der Gegensatz der Auffassungen über das Verhältnis von Erkenntnis und Bewußtsein in der Verschiedenheit, die im Begriff der Geltung der Erkenntnis zwischen ihnen besteht. Betrachten wir die Erkenntnis als den Inbegriff der Wahrheiten, die als solche keinerlei Beziehung auf ein sie erfassendes Bewußtsein in sich schließen, so ist auch im Begriff ihrer Geltung keinerlei derartige Beziehung enthalten. Die notwendige Geltung, die wir der Erkenntnis zusprechen, ist nur ein anderer Ausdruck für ihr Wahrsein, ohne daß sie den Gedanken an irgendein Subjekt, für das sie gilt, in sich enthielte. So wenig wie der Begriff der Wahrheit ist der seine Notwendigkeit zum Ausdruck bringende der logischen Geltung einer weiteren Definition fähig; wir können ihn nur in unserer Erkenntnis als ihre letzte Voraussetzung aufweisen, die sich eben als solche jeder ferneren Zurückführung entzieht. Wird dagegen das Urteil als allgemeingültige Vorstellungsverbindung bestimmt, so geht die im Begriff der Vorstellung enthaltene Beziehung auf ein ihr zugrunde liegendes Bewußtsein auch auf den Begriff der Geltung über, die dem so verstandenen Urteil zugesprochen wird. Die Allgemeingültigkeit, durch die sich das Urteil von einer bloß psychologischen Vorstellungsverknüpfung unterscheidet, besteht jetzt darin, daß die vollzogene Vorstellungsverbindung auf die Anerkennung jedes erkennenden Subjekts Anspruch erhebt. Es fordert von jedem erkennenden Bewußtsein Anerkennung, und die, alle denkenden Subjekte gleichmäßig bindende, Notwendigkeit dieser Forderung ist es, die ihm seine Allgemeingültigkeit verleiht.

Sobald wir jedoch den Inhalt dieser Forderung genauer zu bestimmen suchen, tritt es klar zutage, daß sie den Begriff der Wahrheit und ihrer von unserer Denktätigkeit unabhängigen Geltung zu ihrer notwendigen Voraussetzung hat. Halten wir uns allerdings an den Wortlaut, in den sich die erörterte Urteilslehre zumeist kleidet, so geht die Forderung, die sich im Urteil an jedes erkennende Subjekt richtet, dahin, eine bestimmte Vorstellungsverbindung zu vollziehen. Das Urteil: "der Tisch ist gelb" fordert die Verbindung der Vorstellungen Tisch und gelb, während das Urteil "der Tisch ist nicht gelb", die Verbindung dieser Vorstellungen verbietet. Das aber ist ersichtlich nicht der Sinn, den in Wirklichkeit das Urteil, "der Tisch ist gelb" hat und der auch in der Forderung seiner Anerkennung gemeint ist. Wenn ich von jedem erkennenden Subjekt fordere, das Urteil, der Tisch ist gelb, anzuerkennen, so fordere ich damit nicht von Irgendjemandem, seine psychologischen Bewußtseinsinhalte Tisch und gelb in irgendeiner Weise zusammenzufassen, ebensowenig wie ich durch das Urteil, "der Tisch ist nicht gelb" einem erkennenden Subjekt die Vereinigung der Vorstellungen Tisch und gelb verbieten will. So wenig es mir im ersten Fall genügt, daß jemand seine psychologischen Vorstellungen Tisch und gelb psychologisch verknüpft, so wenig will ich es ihm im andern Fall verwehren, diese Vorstellungsverknüpfung zu vollziehen. Was ich verlange ist vielmehr in einem Fall, daß er den Tisch für gelb hält, im anderen Fall, daß er dies nicht tut. Wenn man daher das bejahende Urteil als Zustimmung zu einer bestimmten Vorstellungsverknüpfung, das verneinende als Ablehnung einer solchen bestimmt hat, so ist es nunmehr deutlich, daß diese Bestimmung zur Erfassung des Urteils nicht genügt. Die Zustimmung, wie sie im bejahenden Urteil enthalten ist, richtet sich nicht auf den Vollzug einer bestimmten Vorstellungsverknüpfung, sondern darauf, daß irgendeinem Inhalt eine Bestimmung zugesprochen wird. Das an und für sich bestimmungslose Zustimmen oder Ablehnen wird erst zum logischen Bejahen oder Verneinen, wenn es den Sinn erhält, der Zusprechung eines Merkmals an einen Denkinhalt zuzustimmen oder zu widersprechen. Dieses Zusprechen eines Merkmals an ein Subjekt aber ist nichts anderes als urteilen. Erst wenn sich das Zustimmen oder Ablehnen auf die Tätigkeit des Urteils richtet, wird es demnach zum logischen Bejahen oder Verneinen. Genau das Gleiche gilt auch von der Forderung, auf deren Anerkennung die Allgemeingültigkeit des Urteils zurückgeführt werden sollte. Statt daß sie uns vorschreibt, eine bestimmte Vorstellungsverbindung zu vollziehen oder zu unterlassen, verlangt sie vielmehr von uns, daß wir einem Inhalt eine Bestimmung zuschreiben, etwa den Tisch für gelb halten, und richtet sich damit auf die Tätigkeit des Urteilens. Worin diese Tätigkeit besteht, was es heißt, einem Gegenstand eine Bestimmung zuzuschreiben, muß daher schon unabhängig von dieser Forderung feststehen, wenn sie selbst einen bestimmten Sinn erhalten soll. Wir müssen bereits wissen, was es heißt, den Tisch für gelb zu erklären, damit die Forderung, die das von uns verlangt, einen vollziehbaren Sinn hat.

In der Tätigkeit des Urteils aber, die somit in jener Forderung als bereits bestimmt vorausgesetzt wird, ist der Begriff der Wahrheit notwendig mitgedacht. In allen Ausdrücken, durch die wir diese Tätigkeit umschrieben haben, mochten wir nun sagen, daß wir einem Subjekt ein Merkmal zusprechen, oder daß wir es für so oder so bestimmt halten oder erklären, stellt sich die Tätigkeit des Urteils als ein Fürwahrhalten oder Fürwahrerklären heraus. Wir erklären es im Urteil für wahr, daß Irgendetwas ist oder nicht ist, und diese Tätigkeit des Fürwahrhaltens wird von uns gefordert, wenn die Vollziehung eines Urteils von uns verlangt wird. Das Fürwahrhalten seinerseits nun schließt die Anerkennung dessen in sich, was Wahrheit ist. Die psychologische Tätigkeit des Fürwahrhaltens, die wir im Urteilsakt vollziehen, richtet sich auf die Wahrheit selbst, die wir einem Urteil zusprechen. Indem wir den Akt des Fürwahrhaltens vollziehen, erkennen wir an, daß das Urteil, auf das sich unsere Denktätigkeit richtet, wahr ist. So weist die psychologische Tätigkeit des Fürwahrhaltens auf den Begriff der Wahrheit selbst hin, der von ihr nur erfaßt und anerkannt wird, ohne seinem eigenen Bestand nach an sie gebunden zu sein. Die Allgemeingültigkeit der Forderung, die im Urteil vorliegende "Vorstellungsverknüpfung" anzuerkennen, hat ihre Wurzel in der Geltung, welche die Wahrheit bestimmter Urteile an und für sich besitzt und die uns berechtigt, ihre Anerkennung von jedem denkenden Bewußtsein zu fordern. Wir sehen ein, daß die Wahrheit besteht und daß bestimmte Urteile Wahrheit besitzen, und gründen darauf das Recht der Forderung, welche die Anerkennung dieser Wahrheit jedem denkenden Bewußtsein zumutet. So ist die Geltung der Forderungen, welche die normative Logik an unsere Denktätigkeit richtet, nur der Ausdruck für die Geltung bestimmter Gesetze, denen alle gedachten Inhalte unterstehen und die in jenen Forderungen nur auf die Tätigkeit unseres Denkens angewendet werden, das sich die Erfassung des idealen Gehalts der Wahrheit zur Aufgabe macht. Die Geltung der Wahrheit und ihrer Gesetze schließt die Geltung bestimmter sich an jedes Bewußtsein wendender Forderungen in sich, sobald die Erfassung der Wahrheit als Aufgabe eines Bewußtseins gedacht wird.

Nur wenn wir so an die psychologische Verwirklichung der Wahrheit in einem sie erfassenden Bewußtsein denken, wird auch dessen verknüpfende Tätigkeit eine notwendige Voraussetzung der Erkenntnis. Sehen wir dagegen von der psychologischen Verwirklichung der Erkenntnis ab und betrachten sie ausschließlich nach ihrem idealen Sinn, so tritt an die Stelle des Begriffs der Verknüpfung der der Relation, die zwischen bestimmten gedachten Inhalten besteht. Jedes Urteil behauptet, daß zwischen bestimmten Inhalten eine Beziehung irgendeiner Art besteht oder nicht besteht; es bejaht oder verneint eine bestimmte Relation der in ihm gedachten Inhalte. Es ist seinem eigenen Bestand nach eine Einheit gedachter Inhalte, die auf Wahrheit Anspruch erhebt und, sofern es ein gültiges Urteil ist, wahr ist. Die verknüpfende Tätigkeit des Urteils besteht darin, den idealen Bestand der in einem logischen Urteil erkannten Beziehungen zum Bewußtsein des denkenden Subjekts zu brigen. Weil jedes Urteil eine Beziehung gedachter Inhalte in sich schließt und unter allgemeinen Gesetzen der Beziehung steht, welche die formalen Bedingungen jeder einzelnen Relation sind, fordert auch der aktuelle Vollzug des Urteils im Einzelsubjekts bestimmte Akte der Verknüpfung seiner psychologischen Inhalte, um die Erfassung der im Urteil behaupteten gedachten Beziehungen möglich zu machen. So besteht eine genaue Korrelation zwischen den begrifflichen Bestandteilen, in die sich der ideale Sinn des Urteils, die von uns im Urteilsakt erkannte Wahrheit, zerlegt, und den Momenten des Urteilsaktes selbst, die zur Erfassung der Wahrheit erforderlich sind, ohne daß darum der Bestand der Wahrheit in irgendeine Abhängigkeit von den Akten unseres Denkens geriete, die uns allein die Einsicht in die Wahrheit möglich machen. (8)

Das gilt ebenso wie für den allgemeinen Begriff der Wahrheit und die in ihm wurzelnde Gesetzlichkeit des Urteils auch für den Begriff und die Gesetzlichkeit der gegenständlichen Wahrheit, die als Gebiet ihrer Anwendung eine Wirklichkeit fordert, von der sie gilt. Auch ihre Geltung ist nicht in der Denktätigkeit irgendeines Bewußtseins begründet; sie besteht vielmehr wie die Wahrheit überhaupt unabhängig von der sie erfassenden Tätigkeit unseres Bewußtseins, von der sie auch dann nicht abhängig wird, wenn alles wirkliche Dasein in den Bewußtseinsinhalten denkender Subjekte besteht. Unsere Bewußtseinstätigkeit, deren formale Voraussetzugen die subjektive Deduktion KANTs feststellt, gehört dem Bereich der Tatsächlichkeit an, von der der Begriff der gegenständlichen Wahrheit gilt oder jedenfalls doch zu gelten beansprucht. Sie fällt unter ihn als Objekt der gegenständlichen Erkenntnis, geht ihm aber nicht als Bedingung seiner Möglichkeit voraus. So bleiben die beiden Seiten der kantischen Deduktion, von der wir ausgegangen sind, endgültig getrennt. Die subjektive Deduktion der Kategorien beschreibt lediglich die Prozesse unseres Bewußtseins, auf denen die Möglichkeit eines einheitlichen Vorstellens beruth, und erweist die Abhängigkeit jeder Einzelvorstellung von der verknüpfenden Tätigkeit des Bewußtseins, ohne jedoch in den objektiven Beweisgang für die Geltung der Kategorien eingreifen zu können.

Von der nunmehr erreichten Fassung des Erkenntnisbegriffs aus, ergibt sich auch für das Begriffspaar der Immanenz und Transzendenz eine veränderte Bedeutung. Solange die Prinzipien der wissenschaftlichen Erkenntnis an ein sie vollziehendes Bewußtsein gebunden erscheinen, beschränkte sich ihr Geltungsbereich notwendig auf die einem Bewußtsein angehörigen Erscheinungen. Der Bereich möglicher Erkenntnis fiel mit dem möglicher Bewußtseinserscheinungen zusammen. Die Zugehörigkeit zu einem Bewußtsein bedingte zugleich die Abhängigkeit der Erscheinungen von den für die Erkenntnis jedes Bewußtseins bindenden Gesetzen des Erkennens, während eine vom Bewußtsein unabhängige Wirklichkeit damit zugleich auch dem Geltungsbereich unserer Erkenntnis entrückt wurde. Die Immanenz der Erscheinungen gegenüber dem ihnen zugrunde liegenden Bewußtsein sicherte auch ihre Immanenz gegenüber den Prinzipien der Erkenntnis, die als Regeln für die Erkenntnistätigkeit des Bewußtseins gedacht wurden, und entsprechend war eine Wirklichkeit, die dem Bereich möglicher Bewußtseinserscheinungen gegenüber transzendent war, ebenso transzendent gegenüber unserer Erkenntnis, die ihrem Begriff nach sich nur auf das Gebiet möglicher Bewußtseinserscheinungen erstreckte. Dieser Auffassung ist ihr Grund entzogen, nachdem wir festgestellt haben, daß die Geltung der Erkenntnis von jedem sie vollziehenden Bewußtsein unabhängig ist. Der Wahrheitsbegriff, wie er sich uns jetzt ergeben hat, besitzt eine von jeder Beziehung auf ein mögliches Bewußtsein unabhängige, also absolute Geltung und schließt damit auch die Einschränkung seines Geltungsgebietes auf die Sphäre unserer Bewußtseinsinhalte aus. Eine Wirklichkeit, die von unserem Bewußtsein unabhängig ist, entzieht sich damit noch nicht der Abhängigkeit von den Gesetzen der Wahrheit, die in absoluter Geltung bestehen, gleichviel ob irgendein Bewußt zu ihrer Erfassung und Anerkennung befähigt ist. Eine absolute Wirklichkeit in dem Sinn, daß ihr Bestand als unabhängig von den Gesetzen der Wahrheit gedacht würde, ist freilich ein unvollziehbarer Begriff. Aber nichts berechtigt uns, eine Wirklichkeit, die nicht unserem Bewußtsein angehört, und die insofern unserem Bewußtsein gegenüber absolut ist, auch als unabhängig von den Prinzipien der Wahrheit zu denken und sie damit der Sphäre der Erkenntnis überhaupt zu entheben. Es ist eine analytische Selbstverständlichkeit, daß wir jede Wirklichkeit, die wir zum Objekt unserer Erkenntnis machen, damit den Prinzipien des Erkennens, den Gesetzen der (formalen und gegenständlichen) Wahrheit unterstellen, die allem Begreifen und damit auch dem Begriff eines möglichen Seins erst Sinn und Bestand verleihen. Keineswegs aber ist es selbstverständlich, daß wir die Wirklichkeit, indem wir sie zum Objekt unserer Erkenntnis machen, damit auch als Inhalt eines Bewußtseins denken, das diese Erkenntnis in sich zu erzeugen vermag.

Es ist, wie nochmals betont sein soll, keineswegs meine Meinung, daß die absolute Geltung der Wahrheit eine absolute Wirklicheit fordert, von der sie gilt. Das reine logische Gelten der Wahrheit bedarf ebensowenig, wie es selbst mit irgendeiner Art dinglichen Seins innerhalb oder außerhalb unseres Bewußtseins gleichzusetzen ist, einer Wirklichkeit, um ein Gebiet seiner Geltung zu besitzen. Die Wahrheit gilt eben darum absolut, weil ihr idealer Bestand davon unabhängig ist, ob eine Wirklichkeit existiert, von der sie gilt, die das Objekt wahrer Erkenntnis ist. Dagegen fordert die absolute Geltung der Wahrheit, daß keine Wirklichkeit möglich ist, die sich ihr entzieht. Sofern es eine Wirklichkeit gibt, mag sie nun einem Bewußtsein angehören oder nicht, untersteht sie auch den Gesetzen der Wahrheit, deren Aufhebung auch die jedes möglichen Seins in sich schließt. In der absoluten Geltung der Wahrheit ist auch, wie an anderer Stelle nochmals nachzuweisen sein wird, ihre Geltung von jeder möglichen Wirklichkeit enthalten. Wäre es jedoch möglich, dies zu leugnen, wäre es denkbar, daß trotz der absoluten Geltung der Wahrheit eine Wirklichkeit existieren könnte, die sich ihren Gesetzen entzieht, so würde damit nicht nur die Erkennbarkeit einer entlegenen metaphysischen Realität, sondern ebenso die der uns vertrautesten Erscheinungen des Bewußtseins in Frage gestellt. Auch diese sind nur darum der Erkenntnis zugänglich, weil die einsichtig erkennbare Geltung der Wahrheit uns berechtigt, alles existierende Sein nach ihren Prinzipien zu beurteilen und zum Objekt unserer Erkenntnis zu machen. Wer dieses Recht in Frage stellt und unserer Erkenntnis die Kraft abspricht, das Dasein der Wirklichkeit zu ergreifen und zu ihrem Objekt zu machen, raubt damit auch allen Urteilen die Kraft, in denen wir die Tatsachen unseres eigenen Bewußtseins zu erkennen suchen. Denn auch unser Bewußtsein mit allen seinen Inhalten gehört dem Bereich des wirklichen Daseins an, ist eine Wirklichkeit, die von der geltenden Wahrheit als solcher ebenso verschieden ist, wie die Wirklichkeit irgendwelcher metaphysischer Realitäten. Das Verhältnis der Wahrheit zu existierenden Objekten ist das gleiche, ob diese als immanente Bewußtseinsinhalte oder als transzendente Realitäten gedacht werden. Dasselbe Recht des Urteils, das uns gestattet, das Dasein unseres eigenen Bewußtseins und der ihm angehörigen Inhalte zum Objekt des Erkennens zu machen, gestattet uns auch das Dasein einer von unserem Bewußtsein unabhängigen "absoluten" Wirklichkeit den Gesetzen der Wahrheit zu unterstellen. Die Geltung der Wahrheit, die von beiden Formen des Daseins gleich unabhängig ist, bildet die Voraussetzung, auf der die Möglichkeit jedes Daseins beruth, und enthält in sich die allgemeinsten Beziehungsformen, nach denen wir es zu beurteilen haben.

So erscheint die Grenze niedergerissen, welche KANT zwischen Erfahrung und Metaphysik aufgerichtet hatte. Denn nunmehr ist der Grund hinfällig geworden, der uns die Erkenntnis der metaphysischen Wirklichkeit verwehrte. Wenn auch eine metaphysische Wirklichkeit den Gesetzen der Wahrheit untersteht, so erscheint es nicht mehr aussichtslos, auch sie in das Gebiet unserer Erkenntnis einzubeziehen. Das trifft jedoch nur dann zu, wenn die Bindung des Wahrheitsbegriffs an den Begriff eines möglichen Bewußtseins die einzige Waffe ist, die KANT gegen die Metahphysik verwendet. Das ist jedoch nicht der Fall, und es ist leicht einzusehen, daß KANT diesen Gedanken niemals in voller Strenge durchgeführt hat. Wäre für ihn die Kompetenz des Urteils schlechthin auf die Erscheinungen unseres Bewußtseins eingeschränkt, so hätte er auch den formalen Prinzipien des Urteils die Anwendung jenseits der Grenzen unseres Bewußtseins versagen müssen. Wenn der Begriff der Erkenntnis ein Bewußtsein voraussetzt, das ihm gemäß verfährt und wenn es im Begriff des Urteils als allgemeingültiger Vorstellungsverbindung enthalten ist, daß es nur für den Bereich unserer Vorstellungen Geltung hat, so ist ebensowenig die Gesetzlichkeit unseres analytischen Denkens wie die synthetische Erkenntnisgesetzlichkeit einer Anwendung jenseits der Grenzen unseres Bewußtseins fähig. Schon der Begriff eines transzendenten Seins überschreitet dann die Grenzen unseres Denkvermögens und ist eine willkürliche Setzung des Denkens, das sich seiner eigenen Grenzen nicht bewußt ist. KANT brauchte unter dieser Voraussetzung seine Einwendungen gegen die Metaphysik nicht darauf zu beschränken, daß sie die Prinzipien unserer synthetischen Erkenntnis über das legitime Gebiet ihrer Anwendung hinaus verwendet; er müßte es ihr ebenso zum Vorwurf machen, daß sie die Gesetze des formalen Verstandesgebrauchs über die Grenzen unseres Bewußtseins hinaus zur Anwendung bringt. Vollends aber wird unter diesen Voraussetzungen jede Möglichkeit abgeschnitten, ferner das Dasein von Dingen-ansich zu behaupten. Auf welche Gründe sich immer diese Behauptung stützen mag, jede mögliche Begründung scheitert von vornherein daran, daß sie mit den Mitteln des Urteils eine Wirklichkeit behaupten will, die ihrem Begriff wie dem des Urteils nach, unserer urteilenden Erkenntnis niemals zugänglich sein kann. Ebenso wie die Erkenntnis von Dingen-ansich ist auch die Behauptung und vollends die Begründung ihrer Wirklicheit mit einem Standpunkt unvereinbar, der die Geltung des Urteils auf den Bereich unserer Vorstellungen einschränkt.

Diese Konsequenzen aber hat KANT niemals gezogen. Nicht nur daß er die Anwendung der analytischen Denkfunktionen auf eine transzendente Wirklichkeit nicht bestreitet, nicht nur daß er in unzweideutigen Ausführungen das Dasein von Dingen-ansich voraussetzt. Selbst da, wo er die transzendente Verwendung der gegenständlichen Kategorien ablehnt, beruft er sich nicht auf deren Abhängigkeit von einem verknüpfenden Bewußtsein, die ihnen nur für dessen Inhalte Geltung verleiht, sondern wesentlich darauf, daß sie erst in ihrer Anwendung auf anschaulich gegebene Inhalte aus bloßen Denkmöglichkeiten zu wirklichen Erkenntnisgesetzen werden. Nur den Grundsätzen der Erfahrung, in denen die Kategorien schon auf die Bedingungen unserer Anschauung bezogen werden, spricht er die Anwendbarkeit auf Dinge-ansich ab, während die Kategorien in ihrer rein begrifflichen Gestalt auch unabhängig von unserem Bewußtsein ihre Bedeutung behalten, freilich als bloße Denkformen, die eine theoretische Erkenntnis transzendenter Objekte nicht ermöglichen ("Kritik der praktischen Vernunft", Ausgabe KEHRBACH, Seite 65/66). In diesen Ausführungen bleibt die im Begriff des Urteils enthaltene Abhängigkeit von einem es vollziehenden Bewußtsein, die durch KANTs Urteilsdefinition gefordert wird, unberücksichtigt, und zur Abgrenzung der empirischen Erkenntnis gegen die Metaphysik beruft KANT sich nunmehr darauf, daß die Prinzipien unserer gegenständlichen Erkenntnis in ihrer bestimmten Form, die uns erst ihre Anwendung möglich macht, nur als Einheitsformen sinnlicher Anschauung deduzierbar sind, die als solche unter den Bedingungen unseres anschauenden Bewußtseins steht. Dieser Gedankengang nun bleibt seinem wesentlichen Gehalt nach auch für uns in Kraft. Die Deduktion der gegenständlichen Erkenntnisformen ruht, wie unsere weiteren Ausführungen zeigen werden, durchaus auf dem Gedanken, daß sie sich als die Einheitsbedingungen erweisen, welche einen allgemeingültigen Zusammenhang eines sinnlich gegebenen Mannigfaltigen begründen. Wir gelangen zur Aufstellung der Gesetze gegenständlicher Einheit nur unter Berücksichtigung bestimmter Eigenschaften der unserem Bewußtsein angehörigen sinnlichen Anschauungen. Nichts aber berechtigt uns zu der Annahme, daß diese auch unabhängig von einem Bewußtsein in der gleichen Art existieren können. Aus diesem Grund haben wir auch kein Recht den Gesetzen unserer Gegenstandserkenntnis eine über die Grenzen unseres Bewußtseins hinausreichende Bedeutung zuzuschreiben. Von den allgemeinen Gesetzen der Wahrheit unterscheiden sich die Prinzipien der Gegenstandserkenntnis eben dadurch, daß sie ihrem Begriff nach eine existierende Wirklichkeit als das Gebiet ihrer Anwendung fordern und in ihrer bestimmten Gestalt nur mit Bezug auf sie deduzierbar sind. Die Wirklichkeit aber ist uns nur in den Erscheinungen unseres Bewußtseins zugänglich, und erst deren Beschaffenheit gestattet es uns, vom allgemeinen Begriff einer Wirklichkeitsgesetzlichkeit fortzuschreiten. Die so deduzierten Prinzipien verlieren daher ihre Bedeutung, sobald sie aus ihrer Beziehung zu den Erscheinungen eines Bewußtseins herausgehoben werden, in denen allein der leere Begriff der Wirklichkeit sich mit einem bestimmten Gehalt erfüllt. Solange wir nicht wissen, ob die unserem sinnlichen Bewußtsein angehörigen Erscheinungen auch unabhängig von diesem zu existieren vermögen, solange wir mit anderen Worten nicht aus unserem Bewußtsein herauszutreten imstande sind, bleibt auch die Geltung der Prinzipien der Gegenstandserkenntnis nur für das Gebiet möglicher Bewußtseinserscheinungen deduzierbar und bleibt damit die Grenze zwischen Erfahrungserkenntnis und Metaphysik bestehen.

Noch aber ist die Deduktion der Gesetze der Gegenstandserkenntnis selbst für uns nicht abgeschlossen. Denn der Gedankengang, in dem KANT den Abschluß ihrer Deduktion gesucht hatte, ist durch unser bisheriges Ergebnis hinfällig geworden. Während ihn die objektive Deduktion der Kategorien nur bis zu dem Ergebnis geführt hatte, daß sie die Voraussetzungen des Begriffs des Gegenstandes als allgemeingültiger Einheit von Wahrnehmungen sind, hatte sie die Frage offen gelassen, ob auch die Einzelwahrnehmungen, aus denen sich unsere gegenständliche Erkenntnis aufbaut, den Bedingungen gegenständlicher Einheit genügen und, um selbst möglich zu sein, den Gesetzen gegenständlicher Einheit gemäß verknüpfbar sein müssen. Um diese Lücke der objektiven Deduktion zu schließen, hatte KANT sich auf die Abhängigkeit des Wahrnehmungsaktes von der verknüpfenden Tätigkeit des Bewußtseins berufen und aus ihr die Abhängigkeit unserer Wahrnehmungen von den Kategorien gefolgert, die ihm mit den Formen der Bewußtseinseinheit zusammenfielen. Diese Antwort ist uns nunmehr versagt, nachdem wir die Differenz zwischen den psychologischen Formen der Bewußtseinseinheit und den logischen Gesetzen der Gegenstandserkenntnis erkannt haben. So bleibt für uns die Frage bestehen, ob sich die Gesetze der Gegenstandserkenntnis als logische Voraussetzungen schon des Wahrnehmungsurteils nachweisen lassen und der Erörterung dieser Frage haben wir uns aufs Neue zuzuwenden.

LITERATUR - Julius Guttmann, Kants Begriff der objektiven Erkenntnis, Breslau 1911
    Anmerkungen
    1) Sie sind, wie sich der gleiche Gedanke formulieren läßt, apriorische Gesetze des Bewußtseins, ohne angeborene Vorstellungen zu sein. Dennoch ist auch die so gefaßte Apriorität, wie weiter eingehender gezeigt werden wird, durchaus psychologisch gedacht. Die Unterscheidung der Apriorität von der zeitlichen Priorität des Angeborenen genügt also keineswegs, um die Apriorität von jeder psychologischen Bedeutung freizuhalten. Sie kann ebenso wie der Abgrenzung der Logik gegen die Psychologie auch der Unterscheidung einer transzendental - psychologischen und empirisch - psychologischen Betrachtung dienen. Sie tut dies z. B., wenn die Apriorität des Raumes und der Zeit im Gegensatz zu ihrer psychologischen Priorität von Windelband dahin erläutert wird, "daß Raum und Zeit die immanente, dem Wesen der Anschauungstätigkeit eigene Gesetzmäßigkeit bilden", "welche bei der Genesis der Wahrnehmung ohne unser bewußtes Zutun in uns schon wirksam war". (Geschichte der neueren Philosophie, Bd. II, Seite 61).
    2) August Stadler, "Grundsätze der reinen Erkenntnistheorie in der kantischen Philosophie", Seite 43
    3) Vgl. Jonas Cohn, Voraussetzungen und Ziele des Erkennens, Seite 28-48.
    4) Über diese illustrative Bedeutung kann der Begriff eines Bewußtseins überhaupt nur da hinauswachsen, wo dieses nicht als ein methodischer Hilfsbegriff, sondern als ein reales Subjekt gedacht ist, dem die Erscheinungswelt immanent ist. So verstanden, kann das Bewußtsein überhaupt dazu verwendet werden, die Übereinstimmung der Wirklichkeit mit den Gesetzen unserer Erkenntnis verständlich zu machen; denn jetzt lassen sich die Gesetze der Erkenntnis als die Auffassungsformen des den Erscheinungen zugrunde liegenden Bewußtseins ansehen, denen daher alle Inhalte dieses Bewußtseins mit selbstverständlicher Notwendigkeit entsprechen müssen. Wir dürfen dieser Auffassung nach die Übereinstimmung der Wirklichkeit mit den Normen unserer Erkenntnis erwarten, weil diese Normen zugleich die Auffassungsgesetze des Bewußtseins sind, das aller Wirklichkeit zugrunde liegt. Im Sinne dieser Auffassung legt etwa Liebmann der Wirklichkeit ein Erfahrung bedingendes Subjekt zugrunde, dessen Bewußtseinsinhalte gleich den Objekten der äußeren Wirklichkeit auch die verschiedenen erkennenden Individuen sind (Gedanken und Tatsachen, Bd. II, Seite 50). Von diesem Subjekt werden den Erscheinungen die Gesetze vorgeschrieben, denen sie mit Notwendigkeit entsprechen. "Unsere Intelligenz wird von höchsten Gesetzen beherrscht, denen sowohl unsere intellektuelle Imagination als auch unsere Wahrnehmungserkenntnis gehorcht, aus denen die mehrgenannten Grundwahrheiten hervorgehen und welchen die empirische Wirklichkeit aus diesem Grund unweigerlich entspricht, weil sie eben nur ein Phänomen innerhalb unserer wahrnehmenden Intelligenz und daher den Gesetzen derselben ebenso unterworfen ist, wie das Phänomen der wechselnden Figuren im Kaleidoskop den in der Konstruktion dieses Instruments begründet liegenden Gesetzen." (Zur Analysis der Wirklichkeit, Seite 256). Liebmann selbst hebt mit kritischer Besonnenheit hervor, daß diese Annahme nur den Wert einer Hypothese besitzt und zwar, wie er in einem ähnlichen Zusammenhang hinzufügt, einer Hypothese, der die Voraussetzung zugrunde liegt, daß der Prozeß des Erkennens von allgemeingültigen Gesetzen beherrscht ist. Damit aber ist ausgesprochen, daß diese Hypothese nicht die Geltung unserer Erkenntnisprinzipien begründet, sondern nur die vorausgesetzte Tatsache dieser Geltung auf ihren Realgrund zurückzuführen sucht. Ohne in eine nähere Kritik dieses Versuchs, die sich aus der weiteren Darstellung von selbst ergibt, einzugehen, heben wir nur hervor, daß die Erkenntnistheorie jedenfalls an der Auffindung eines solchen Realgrundes uninteressiert ist. Die Deduktion unserer Erkenntnisprinzipien, um die es ihr zu tun ist, muß von dieser Hypothese aus dem doppelten Grund absehen, weil sie eingestandenermaßen die Geltung dieser Prinzipien bereits voraussetzt und weil sie selbst der Begründbarkeit entbehrt, die von einer erkenntnistheoretischen Deduktion zu fordern ist.
    5) Cohn, a. a. O. Seite 14f (siehe besonders Seite 26)
    6) Vgl. Paul Natorp, "Quantität und Qualität in Begriff, Urteil und gegenständlicher Erkenntnis", Philosophische Monatshefte, Bd. 27, Seite 4-7.
    7) Husserl, Logische Untersuchungen II, Seite 112/113.
    8) Eine eingehende Begründung des hier vertretenen Standpunktes gibt der erste Band von Husserls "Logischen Untersuchungen". Sehr nahe steht er auch den Ausführungen in Natorps "Sozialpädagogik" Seite 16-25. Zur Scheidung von Vorstellung und Erkenntnis vgl. auch Cohen "Logik der reinen Erkenntnis", Seite 19-21. Die Ausführungen unseres Textes wollen die Darlegungen dieser Autoren nicht wiederholen, sondern für die Auseinandersetzung mit der normativen Logik fruchtbar machen. Soweit Husserl diese berücksichtigt, hat er wesentlich ihre heteronome Fassung im Auge, welche die Logik als Kunstlehre vom richtigen Denken versteht. Dagegen läßt er ihre autonome Fassung, die den Begriff der Wahrheit selbst in einem normativen Sinn interpretiert, unberücksichtigt, deren Kritik in unseren Ausführungen versucht worden ist. Diese waren bereits im Wesentlichen abgeschlossen, als Rickert in seinem "Zwei Wegen der Erkenntnistheorie" eine eindringende Selbstkritik des von ihm bisher vertretenen Standpunktes vollzog. Die Differenz, die auch jetzt noch zwischen seinem Standpunkt und dem der "theoretischen" Logik besteht, ist im Wesentlichen terminologischer Art. Auch wenn man von einem idealen Sein der Wahrheit spricht, ist damit lediglich ihre Geltung gemeint, für die wir ja auch keinen anderen Ausdruck haben als den, daß Wahrheit "ist". Und es ist deshalb nur eine Frage terminologischer Zweckmäßigkeit, ob man auch im Ausdruck das Gelten der Wahrheit vom Sein der idealen Objekte unserer Erkenntnis sondern will. Sofern übrigens Rickert in die Sphäre des idealen Seins nicht nur die Objekte unseres reinen Erkennens, sondern auch die im Satz verbundenen Begriffe einbezieht, ist das Verhältnis des geltenden Urteils zum idealen Sein nicht einfach als das der logischen Überordnung zu bezeichnen, da die Begriffe nicht nur als Objekte der Urteilserkenntnis dieser folgen, sondern als ihre notwendigen Bestandteile in ihr enthalten sind. So gewiß nur das Urteil, nicht der einzelne Begriff, wahr sein kann, so setzt doch das Urteil nicht nur als Gebiet seiner Anwendung, sondern als notwendigen Bestandteil seiner selbst den Begriff voraus. Die Einordnung des logischen Geltens in das Gebiet der Werte, die Rickert durch seine Loslösung aus der Sphäre des idealen Seins begründen will, ist nur dann mit seiner jetzigen Position vereinbar, wenn jede Bezugnahme auf ein wertendes Subjekt vom Begriff des logischen Wertes ferngehalten wird. Da diese Beziehung aber vom Begriff der anderen Werte unabtrennbar ist, so bringt die Zusammenfassung so verschiedener Geltungsarten unter den Begriff des Wertes stets die Gefahr mit sich, ihren begrifflichen Unterschied zu verwischen.