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Die Wahrnehmung als sinnliche Erkenntnis
Die Psychologie mag die Wahrnehmung dem Allgemeinbegriff der Vorstellung unterordnen, die Erkenntnistheorie muß vielmehr die Wahrnehmung der Vorstellung entgegensetzen. Und zwar unterscheiden sich beide nicht bloß hinsichtlich des Grades ihrer Stärke oder Lebhaftigkeit, wonach schon HUME die "Impressionen" von den "Ideen", jene als ursprünglich, diese als abgeleitet, unterschieden hat. Dieser Unterschied ist nicht zu bestreiten. Aber er ist weniger wesentlich, als das entgegengesetzte Verhältnis, in dem das Subjekt zur Wahrnehmung einerseits, zur Vorstellung andererseits steht. In der Wahrnehmung ist das Subjekt vom wahrgenommenen Inhalt abhängig. Diese Abhängigkeit wird als der Zwang, als die Notwendigkeit der Wahrnehmung gefühlt. In der Vorstellung ist umgekehrt der Gegenstand vom Subjekt abhängig und das Subjekt ist sich dieser Abhängigkeit des Gegenstandes von ihm bewußt. Man kann im normalen Leben diese Abhängigkeit des Subjekts in der Wahrnehmung, die zwingende Notwendigkeit dieser einerseits, und seine Unabhängigkeit in der Vorstellung, die Willkür der letzteren andererseits unmöglich verkennen. Sie unterscheidet Wachen und Träumen, Außen- und Innenwelt, sie bildet jenes unmittelbare Wissen der von uns unabhängigen Wirklichkeit im Gegensatz zu der von uns abhängigen Welt der bloßen Vorstellung, das über allen Beweis erhaben ist und auf die Dauer jeder Zweifelsucht spottet. Es erscheint jedoch nützlich, dieses Verhältnis des Subjekts zur Wahrnehmung auch in pathologischen Fällen und im Traum zu studieren. In dem Grad, in dem sich der Gegensatz von Subjekt und Objekt überhaupt schwächt, das Bewußtsein also reduziert wird, büßt auch die Wahrnehmung ihren objektiven Charakter und damit das Übergewicht über die bloße Vvorstellung ein. Ist einmal die Sonne des wachen und normalen Lebens, die Wahrnehmung, unter dem Horizont des Bewußtseins gesunken, so beginnen die Halluzinationen des Traums und des Wahns mit erborgtem Licht zu glänzen. Man kann wirklich der Meinung des HOBBES sein, daß das Wachen in einer beständigen Unterdrückung der innerlich aufsteigenden Traumbilder durch die äußere Sinneswahrnehmung besteht. Sind die Pforten der äußeren Eindrücke geschlossen, so beginnt das Spiel dieser Bilder die Wahrnehmung nachzuäffen. Nichts kann verkehrter sein, als die Wahrnehmung aus Halluzinationen herzuleiten, wie TAINE, der sie "die wahre Halluzination" nennt. Das hieße das normale Leben des Geistes aus dem pathologisch veränderten herleiten. Bedingung des Halluzinierens ist eine traumhafte Depression des Bewußtseins. Nach MEYNERT begünstigt eine verminderte Erregung des Vorderhirns, folglich eine Herabsetzung seiner Hemmungswirkung, das Auftreten von Halluzinationen; während es selbst der intendiertesten Erregung des Vorderhirns nicht gelingt, dessen Erinnerungsbilder in alle Halluzinationen zu verwandeln (1). Wie beim Träumen so ist das Gehirn auch im Hallzinieren in einem Zustand teilweiser Anämie [Blutarmut - wp] und die Halluzination, das Traumbild während des Wachens, tritt nur deshalb mit dem Schein einer Wahrnehmung auf, weil die wirkliche Wahrnehmung zum Traumbild abgeschwächt ist. Wir begreifen, daß mit dem Wegfall oder der Herabsetzung der Reflexhemmung durch das Vorderhirn auf innere Reize hin entstehende Bilder mit Wahrnehmungen verwechselt werden müssen, daß also die Unterscheidungsfähigkeit zwischen objektiven und subjektiven Erregungen mit wegfällt oder doch herabgesetzt wird. Unser Satz vom subjektiven Abhängigkeitsgefühl, oder was dasselbe bedeutet, von einem unmittelbaren Wissen einer unabhängigen Wirklichkeit in der Wahrnehmung bleibt daher aufrecht. Diese Abhängigkeit läßt sich noch näher bestimmen und zeigen, daß der Inhalt des Subjekt- oder Ichbewußtseins überwiegend das Produkt der objektiven Wahrnehmungen ist. In dem Maße, als uns die Gegenstände der Außenwelt bekannt werden, werden wir selbstbewußt, werden wir auch uns selbst bekannt. Als Antithese zum Objektbewußtsein und in einer beständigen Rückwirkung auf dasselbe hat sich das Subjektbewußtsein ursprünglich gestaltet und unser normales Bewußtsein besteht in einem Ausgleich, einem gewissen Gleichgewicht seiner objektiven und subjektiven Richtung. Daher ist es ein Anzeichen beginnender Geistesstörung, wenn bekannte Dinge plötzlilch als neue und unbekannt erscheinen. Der Prozeß der Rückbildung des Bewußtseins ist hier die Umkehrung des Prozesses seiner Bildung. Erfahrungen ähnlicher Art lassen sich auch innerhalb der Breite des gesunden Geisteslebens anstellen. Wir werden perplex, wir verlieren momentan die Fassung, wenn wir etwa plötzlich und unerwartet aus dem Dunkeln in einen hell erleuchteten mit einer unbekannten Gesellschaft erfüllten Saal treten, wir nehmen zunächst nichts eigentlich wahr als ein unbestimmtes Ensemble auf uns einstürmender Eindrücke und verlieren momentan auch das deutliche Bewußtsein unserer selbst, bis sich allmählich die Fassung, eben jener Ausgleich einstellt und damit Objekt- und Selbstbewußtsein zugleich wiederkehren. - Hierher gehört ein Fall von Geistesstörung, welchen KRISHABER beschrieben hat, und der für die Abhängigkeit der Ichvorstellung von der Wahrnehmung im höchsten Grad instruktiv ist. In dieser Krankheit sind alle Empfindungen, oder beinahe ale, ganz verändert, aber die Fähigkeit der Reflexion, des Denkens, ist intakt geblieben. Die reine Ichform ist geblieben, aber es hat sich ihr ein gänzlich verschiedenes Empfindungsmaterial untergeschoben. Die eigene Stimme klingt einem solchen Kranken fremd, er erkennt sie nicht als die seine, spricht man zu ihm, so fühlt er sich wie betäubt als ob mehrere Personen zugleich zu ihm sprechen. Er erkennt weder Geschmack noch Geruch der Speisen, er unterscheidet die Gegenstände nicht mehr nach dem Gefühl, seine Muskelempfindungen sind gestört, er fühlt den Boden nicht, den er betritt, was seine Schritte unsicher macht und in ihm die Furcht zu fallen erregt usw. Die erste Folgerung, die aus aus diesem perversen Wahrnehmungszustand zieht, gibt sich in dem Ausruf kund: Ich bin nicht mehr. Nach einiger Zeit, nachdem ihm die neuen Wahrnehmungen gewohnt und bekannt geworden sind, erklärt der Kranke: Ich bin ein anderer. Ein neues Selbstbewußtsein, ein zweites Ich hat sich aufgrund der neuen Wahrnehmungswelt gebildet. TAINE, dem ich diese Mitteilung verdanke, bemerkt mit Recht, daß diese Beobachtung hinsichtlich der Entstehung und Natur des Selbstbewußtseins belehrender ist als ein ganze Band voll Metaphysik über die Substanz des Ich (2). Wir lernen daraus, daß das Ich nichts weiter ist, als die Form der Vereinigung gewisser mehr oder weniger konstanter Gefühle und Empfindungen, weil es ja mit der Veränderung dieser selbst zu einem anderen wird. Im gewöhnlichen Verlauf des Lebens ist diese Veränderung eine verhältnismäßig ruhige und stetige. Sie ist nicht plötzlich und nie vollständig, immer bleibt ein großer Teil der Gefühle und der Empfindungen unverändert und diese sind es, welche die Brücke schlagen von der Erinnerung zur Gegenwart und die es verhindern, daß wir unser tatsächliches Anderswerden bemerken. Würde kein Gefühl sich unverändert wiedererzeugen, keine Empfindung je sich wiederholen, so würde, wie ich fest glaube, kein Selbstbewußtsein entstehen. Das Selbstbewußtsein ist abhängig von der äußeren Wahrnehmung, es ist abhängig von der Wiederholung ähnlicher äußerer Wahrnehmungen. 2. Unserem Bewußtsein kann nichts gegeben werden, das nicht sogleich von demselben gebildet und umgebildet werden würde. Wir handeln daher vom Verhältnis der Vorstellung zur Wahrnehmung. Die Wahrnehmung ist zunächst abhängig von der Vorstellungsweise der einzelnen Sinne. Ich verstehe hier unter Sinn die peripherischen Endapparate, die gewissen Teilen der äußeren Wirklichkeit, bestimmten Bewegungsformen der Natur, angepaßt sind, zusammen mit ihren zentralen Endorganen, den sensorischen Zellen, die, wofür eine übereinstimmende Beobachtung von MUNK und FERRIER sprechen, ihren Sitz höchst wahrscheinlich im Schläfen- und Hinterhauptslappen haben, und den Verbindungssystemen derselben mit den motorischen Zellen des Vorderhirns. Ein Teil des voranstehenden Kapitels lieferte den Nachweis, daß die Raumwahrnehmungen durch den Tastsinn und durch das Gesicht, so weit es auf ihre sinnlichen Bestandteile ankommt, verschieden, folglich von der Vorstellungsart der genannten Sinne abhängig sind. Eine ähnliche Abhängigkeit findet auch hinsichtlich der Gehörs- und der Gesichtswahrnehmung ein und desselben Vorgangs statt. Nach den experimentellen Beweisen von HELMHOLTZ beruth die Klangfarbe eines Tons auf der Zusammensetzung der Schwingungsform der Luft aus einfachen, pendelartigen Schwingungen. Die einheitliche und für unsere Gesichtsvorstellung auch einfache Welle läßt sich ihrer Entstehung nach in solche Antriebe zerlegt denken, die, wenn ihre Wirkung isoliert wird, je eine einfache, pendelartige Schwingung zur Folge haben würden. Dabei können Wellen von sehr verschiedener Form die gleiche Klangfarbe ergeben, wenn sie nur ein eine Summe derselben einfachen Schwingungen von derselben Stärke zerlegt gedacht werden können. Wie HELMHOLTZ weiter zeigte, gelingt es dem Ohr bei geschulter Aufmerksamkeit diese einfachen Bestandteile auch einzeln als harmonische Töne zu empfinden und jedenfalls muß das Ohr dieselben in einem Klang von bestimmter Färbung mitempfinden. HELMHOLTZ findet diese Eigenschaft des Ohrs, eine Klangwelle zu zerlegen, sehr auffallend; denn es sei wohl daran zu erinnern, daß
3. Eindrücke werden an Gefühlen gemessen. - Durch innere Körperreize werden beständig Gefühle erzeugt und wiedererzeugt, deren Gesamtheit das Gemein- oder Lebensgefühl heißt. Sie sind verglichen mit den äußeren Eindrücken etwas dauerndes, diese im Vergleich mit ihnen etwas wechselndes, veränderliches. Durch das Dauernde wird das Veränderliche beurteilt. Lange bevor von einem deutlichen Selbstbewußtsein irgendwie die Rede sein kann, beginnt im Leben des Säuglings diese Beurteilung der Angemessenheit oder Unangemessenheit der Eindrücke mit seinen Gefühlen des Hungers und der Sättigung, des Behagens und Mißbehagens, von Wärme und Kälte usw. und durch diese Beurteilung werden die Eindrücke allererst zum Bewußtsein erhoben, erhalten sie die Beschaffenheit von Wahrnehmungen. Die primitiven Wahrnehmungsurteile sind Gefühlsurteile. Und da die ästhetischen und sittlichen Urteile von sinnlichen Gefühlsurteilen abstammen, so würde deren Betrachtung für eine allgemeine psychologische Theorie des Bewußtseins von großer Erheblichkeit sein. Doch kann ich hier diese Aufgabe nur andeuten. Eindrücke werden ferner an Vorstellungen gemessen. Durch die Wiederholung ähnlicher Eindrücke werden die Wahrnehmungsorgane selbst modifiziert. Die Widerstände der Leitung werden vermindert, die Bahnen gleichsam ausgeschliffen, in den perzipierenden Endorganen bestimmte Veränderungen gesetzt. Das öfters in derselben Weise erregte und tätige Organ wirkt anders auf neu ankommende gleichartige Eindrücke zurück als das zum ersten Mal affizierte. Ohne Zweifel fühlen wir diese veränderte Reaktion, die zunehmende Leichtigkeit und Geschicklichkeit, womit sich die fernere Aufnahme der Eindrücke vollzieht. Dieses Gefühl gibt der Wahrnehmung den Charakter der Bekanntheit. Von da zu einem Urteil einer Vergleichung, zur bewußten Wiedererkennung ist nur ein Schritt. Sobald die Eindrücke hinlänglich geläufig, die perzipierenden Organe zur Herstellung einer entsprechenden Vorstellung schon auf innere Reize hin befähigt worden sind, tritt notwendig diese Vorstellung mit den wiedereintretenden Eindrücken in Beziehung. Sie verschmilzt nicht mehr mit ihnen, wie es von den früheren, noch nicht hinlänglich befestigten Nachwirkungen der Fall war; sie bleibt von der Wahrnehmung gesondert, sie tritt ihr gegenüber und wird dennoch auf sie angewandt. Sie wird zum Prädikat, durch welches die erneute Wahrnehmung beurteilt wird. Und dieses Urteil drückt Gleichheit und Ähnlichkeit aus, abgesehen vom Zeitunterschied, dessen Bewußtsein die Vorstellung von der Wahrnehmung trennt. - Was wir soeben beschrieben haben, ist die Entstehung des kategorisch bejahenden Urteils, nach SIGWARTs richtiger Urteilstheorie, der Grundform aller Urteile, welche demnach auf dieser ersten Stufe in der Gleichsetzung einer Vorstellung (P) mit einer Wahrnehmung (S) besteht und die Rekognition der Wahrnehmung bewirkt. Gesetzt, die neue Wahrnehmung hat mit den bisher erworbenen Vorstellungen keine Ähnlichkeit, sie es hinsichtlich der Empfindungen selbst, sei es der räumlichen oder zeitlichen Gruppierung derselben: so wird sie nichtsdestoweniger durch die vorhandenen Vorstellungen beurteilt, denn die einmal modifizierten, innerlich gebildeten Wahrnehmungsorgane reagieren unwillkürlich. Das Ergebnis ist das kategorisch verneinende Urteil: die Wahrnehmung (X) ist nicht die Vorstellung (A), nicht die (B), nicht die (C), usw. Wir ersehen daraus, daß dieses Urteil nicht von gleicher Einfachheit und Ursprünglichkeit ist wie das kategorisch positive, vielmehr dasselbe als seine Grundform und Voraussetzung in sich enthält. Es besteht aus einem oder mehreren Versuchen bejahend zu urteilen, Vorstellung und Wahrnehmung gleichzusetzen; diese Versuche werden zurückgenommen, die Vorstellungen kehren aus der angenommenen Beziehung zurück, sie bleiben was sie sind, aber auch die Wahrnehmung bleibt in ihrer sinnlichen Notwendigkeit bestehen und die Vorstellungsbewegung gelangt schließlich zum rein identischen Urteil: X ist X. Mit fortschreitender Erfahrung wird die Zusammengehörigkeit der Wahrnehmungen, ihre Ähnlichkeit, ihre räumlichen und zeitlichen Verbindungen in zunehmender Vollständigkeit erkannt und der Anlaß, ein sinnliches Urteil der Verneinung zu fällen, seltener werden müssen. Auch hierdurch zeigt sich das negative Urteil als ungleichwertig, verglichen mit dem positiven. Die Ähnlichkeit hat natürlich Grade der Abstufung. Wahrnehmungen, welche Vorstellungen nicht gleich, aber doch hinlänglich ähnlich sind, um durch sie beurteilt werden zu können, verändern den Inhalt der Vorstellungen. Auf diesem Weg entsteht das partiell identische Urteil: X ist teilweise A, die Grundlage des partikulären Urteils der Logik, welches nichts anderes als eine Folgerung aus demselben ist von der Form: Einiges A ist X (6). Besonders auszuzeichnen ist noch eine dritte Klasse sinnlicher Urteile, ddie ich die gegensätzlich-verneinenden nennen will. Ihrer äußeren Form nach den kategorisch verneinenden ähnlich, sind sie doch in ihrer inneren Vorstellungsbewegung von diesen unterschieden. Sie sagen nicht bloß, daß eine gewisse Wahrnehmung und eine Vorstellung nicht zusammen bestehen, sondern daß sie nicht zusammen bestehen können und sie behaupten dies aufgrund einer unmittelbar gefühlten, anschaulichen Unvereinbarkeit beider. Ihren Ursprung nehmen sie aus den Kontrasterscheinungen, den Gegensätzen unter den Empfindungen, welche am genauesten vom Auge bekannt sind, sicher aber eine allgemeine Bedeutung haben und wonach jeder Eindruck am entschiedensten in der ihm eigenen Qualität empfunden wird, wenn er ebensowohl durch einen simultanen wie einen sukzessiven Kontrast gehoben oder verstärkt ist, - ein dunkler Gegenstand durch helle Umgebung, eine Farbe durch ihre komplementäre (7). Dieser Gegensatz der Empfindungen setzt sich in das Vorstellungsleben fort und bestimmt das Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Vorstellung in der Weise, daß auch eine Wahrnehmung durch die konstrastierende Vorstellung entschiedener ins Bewußtsein gehoben wird, als es ohne diesen Einfluß der letzteren geschehen würde. Dieser anschauliche Gegensatz ist wohl zu unterscheiden von einem logischen in dessen beiden Formen des vollständigen (kontradiktorischen) und unvollständigen (konträren) Gegensatzes. Doch ließe sich vielleicht zeigen, daß der logische Gegensatz aus einem sachlichen Antagonismus abstammt - nicht umgekehrt -, insofern sich Bejahung und Verneinung als Denktätigkeiten entgegengesetzt sind wie die Bewegung in einer Richtung der in ihrer Gegenrichtung. Die Vorstellung eines Sinnes übt auf die Wahrnehmung eines anderen einen gestaltenden Einfluß aus. Den wichtigsten hierher gehörigen Fall haben wir bereits kennen gelernt. Die Gesichtsvorstellung des Raumes bewirkt durch ihren Einfluß auf die Wahrnehmungen des Tast- und Muskelsinns, daß diese in simultaner Ausbreitung erscheinen, daß wir sie in einem ansich vorhandenen Raum, der doch nichts ist als die in uns vorhandene Gesichtsvorstellung der Ausdehnung, enthalten glauben. Aber auch die Wahrnehmungen des Gesichts erfahren einen Einfluß durch die Vorstellungen des Tast- und Bewegungssinnes. Wir glauben Entfernung zu sehen, Körper anzuschauen, weil das Sehen von vorausgegangenen Erfahrungen, von Vorstellungen, die dem Tast- und Muskelsinn entstammen, beherrscht werden. - Allgemein erregen Wahrnehmungen eines Sinnes entsprechende Vorstellungen der übrigen Sinne, welche Vorstellungen mehr oder weniger genau in die Wahrnehmungen selbst eingehen. So rufen Anschauungen die Vorstellungen gewisser Berührungsgefühle, Geruchsempfindungen usw. hervor. Wir sind geneigt, uns alle Objekte, die wir sehen, zugleich als berührbar vorzustellen. Die Zentralorgane der Empfindungen stehen ja in anatomischer und funktioneller Verbindung miteinander. - Hierin liegt der Anfang der Schlüsse der Analogie, der eigentlichen sinnlichen Schlüsse von bestimmten empfundenen Eigenschaften auf gewisse empfindbare, von der teilweisen Wahrnehmung eines Sinnes auf die vollständige aller, oder vom Teil auf das Ganze. 4. Aus dem Ensemble der Eindrücke, die unsere wachen Sinne treffen, der Gesamtwahrnehmung, heben sich durch ihre räumliche Begrenztheit und ihre Beweglichkeit, besondere Teile hervor und gewinnen dadurch für die Wahrnehmung einen sie auszeichnenden Charakter, - die Dinge. Ein Ding ist zunächst eine erfahrungsmäßig beharrliche und zusammenhängende, kurz eine konstante Gruppe von Empfindungen. Teile der Wahrnehmung, die sich innerhalb der Gesamtwahrnehmung in einem Zusammenhang bewegen, gehören ebenso zu den sinnlichen Dingen, wie Teile, die ruhend, aber in derselben gegenseitigen Lage und äußeren Abgrenzung verharren. Für die Wahrnehmung ist der Fluß so gut ein Ding, wie der Fels an seinem Ufer. Da die Veränderung das Bewußtsein weit eindringlicher berührt, als die Ruhe, so treten der kindlichen Wahrnehmung bewegte und insbesondere belebte Gegenstände früher als Wahrnehmungsdinge gegenüber, als unbelebte, - falls es überhaupt für diese Bewußtseinsstufe solche gibt. Unter den Empfindungen, die durch ihre Abgrenzung und Beharrlichkeit zu Sinnendingen werden, nehmen die des Tastsinns die erste Stelle ein. Sie sind die wesentlichen Merkmale eines Dings der Wahrnehmung. Denn durch die Empfindung von Widerstand werden wir zugleich mit dem Gefühl unserer eigenen körperlichen Existenz des Daseins anderer Körper inne; daher ist der Begriff der Raumerfüllung, der Festigkeit von irgendeinem Grad, der Grundbegriff der stofflichen Natur. Durch die in der Widerstandsempfindung erscheinende Korrelation des eigenen und des äußeren Daseins, erhält die Vorstellung des letzteren das Merkmal der Selbständigkeit. Sie ist auf dem Standpunkt der Wahrnehmung von ebenderselben Wirklichkeit wie das eigene Selbst. Erst an zweiter Stelle sind die optischen Eigenschaften des sinnlichen Dings aufzuführen. Farbe und Beleuchtungsverhältnisse gelten uns als weniger wesentlich im Vergleich zur Raumerfüllung oder Undurchdringlichkeit. Das Gesichtsbild ist noch keine Gewähr für die gültige Wahrnehmung eines wirklichen Objekts, die durch Druck und Widerstand erprobt werden muß. Die sinnliche Unterlage des abstrakten Begriffs des Daseins, die qualitativen Merkmale der Materie, sind die Empfindungen des Tastsinns. Materie ist das substantivum abgeleitet aus den Tastempfindungen, das Objekt des Tastsinns. Erst die Wissenschaft, die mit Recht alle Empfindung als relativ erkennt, abstrahiert auch von dieser Qualität des "Stoffes" und faßt die Materie als reinen Größenbegriff, ihre Eigenschaften als quantitative auf. Es soll jedoch nicht geleugnet werden, daß zwischen den Wahrnehmungsbegriffen des Stoffes und des Dings ein Unterschied besteht. Stoff ist das allgemein genommene Wahrnehmungsding. Wahrnehmungen von unbestimmter räumlicher Ausdehnung gelten dem sinnlichen Bewußtsein als Stoffe oder Elemente, so das Wasser, die Luft, das Feuer, die Erde. Und da der Erkenntnistrieb nach Allgemeinheit und Einheit zielt, so ist es begreiflich, wie bei den ersten Anfängen des sinnlichen Denkens einer dieser Stoffe oder Allgemeindinge, mit Ausnahme des zu unplastischen der Erde, für den Grundstoff aller Dinge angesehen werden konnte. Der Unterschiedzwischen den Empfindungen des Tastsinns und jenen durch die übrigen Sinne begründet auch die Unterscheidung von Ding und Eigenschaft, das Verhältnis der Inhärenz. Farbe und Geruch sind Eigenschaften, deren Träger das räumliche Objekt ist. Daß auch die Raumerfüllung, die Undurchdringlichkeit selbst abermals nur eine Eigenschaft eines sinnlich nicht mehr erkennbaren Objektes sein soll, ist dem Bewußtsein auf der Stufe der Wahrnehmung unbekannt. Der Ausdruck des attributiven Verhältnisses ist das Eigenschaftsurteil, z. B. das Ding X ist weiß. - Die Dinge der Wahrnehmung sind Teile einer Gesamtwahrnehmung, von der sie gleichsam umspannt werden, in der sie enthalten sind. Aus diesem Verhältnis der Sinnendinge zur Gesamtwahrnehmung entsteht eine andere Klasse von Urteilen, die substantivischen oder Subsumtions-Urteile. Wir bilden aus mehreren, wahrgenommenen Dingen ein künstliches Ding, das wir aus den übereinstimmenden Eigenschaften derselben zusammensetzen und denken die einzelnen Dinge in der Sphäre dieses künstlichen Allgemeindings eingeschlossen, gleich wie wir die wirklichen Dinge eingeschlossen sehen in der Gesamtwahrnehmung des Raums. So bilden wir aus gewissen Eigenschaften der Härte, des Glanzes, der Schwere das Ding Metall und sagen, das Eisen ist ein Metall. Zusammen mit den attributiven Urteilen bilden die subsumierenden die Klasse der Koexistenzurteile; denn in der Tat liegen diesen Urteilen die räumlichen Verhältnisse der Inhärenz und der Einordnung (oder des Enthaltenseins) zugrunde. Die Erzeugnisse dieser Urteile sind die Klassenbegriffe oder Gattungen. Wir haben bisher ausschließlich von den sinnlichen Grundlagen des Begriffs der Dinge gehandelt, ihrer Form, der Raumgestalt, ihrer Materie, der Raumerfüllung. Wie aber die Raumvorstellung überhaupt, so sind auch die besonderen Raumwahrnehmungen, die Dinge, durchdrungen und beherrscht von der Einheit des Bewußtseins, sie sind Funktionen dieser Einheit. Indem wir sukzessiv Empfindungen mit Empfindungen verknüpfen, bringen wir zugleich die Einheit des Bewußtseins hervor und diese Form unserer Auffassung überträgt sich von selbst auf die aufgefaßten Dinge, da diese Dinge ohne sie gar nicht Objekt unserer Wahrnehmung sein können. Die Einheit des Objektes ist also die Einheit des Subjektes in seiner Auffassung einer gegebenen Mehrheit von Empfindungen. Dinge sind konstante Gruppen von Empfindungen zur Einheit des Bewußtseins gebracht. Empirisch ist dabei nur die besondere Einschränkung des ansich unbegrenzten Einheitsprozesses, a priori seine Form. Daraus folgt, daß der Begriff des Dings bei allen sinnlichen Objekten ein und derselbe ist und daß alle sinnlichen Dinge relativ sind. Im ersteren liegt das Motiv, die Materie begrifflich als das vollkommen gleichartige Substrat zu denken. Das letztere soll bedeuten - nicht nur, daß es immer gewisse Gesichtspunkte der Erfahrung sind, unter denen bestimmte Gruppen zu objektiven Einheiten zusammengefaßt werden, daß wir also ein Molekül oder den aus Molekülen bestehenden Körper, eine Zelle oder den Organismus als ein Ding betrachten können; sondern auch, daß die Dinge der Erfahrung überhaupt ein notwendiges und unauflösliches Verhältnis zur Einheit des Denkens haben. Zu der Art, wie das Reale in der Empfindung erscheint, tritt also die Art hinzu, wie es sich im Denken abbildet, und eine von unserer sinnlichen und logischen Erkenntnisweise unabhängige Vorstellung der Dinge, wie sie der gemeine Realismus zu besitzen wähnt, ist nicht einmal denkmöglich. Der Mensch ist nicht nur als empfindendes Subjekt, wie PROTAGORAS wollte; er ist auch als denkendes "das Maß aller Dinge, der seienden wie sie sind, der nicht seienden wie sie nicht sind." Würde die Natur unseres Denkens eine wesentliche Veränderung erfahren, würden wir aufhören die Erscheinungen durch die Einheit des Grundes zu Objekten zu verknüpfen, so würde die Wirklichkeit für uns ebenso verändert sein, wie unter der Annahme, daß die Materie aufhörte zu beharren und daß Teile derselben vernichtet würden. Der Unterschied ist nur, daß die letztere Fiktion noch eher denkbar erscheint, als die erstere, mit der das Denken selbst und damit die Wirklichkeit für uns aufgehoben wird. - Die Folgerungen aus dem hier nachgewiesenen Verhältnis des Objektbegriffs zum Denkprinzip gehören zur Aufgabe des folgenden Teiles, in welchem auch gezeigt werden soll, daß es zwei Grenzen der Anwendung des Einheitsbegriffs des Denkens auf die Wirklichkeit gibt, - die Welt und das Atom. Die Dinge der Wahrnehmung entschwinden jeden Augenblick unseren Sinnen, nicht nur wenn wir das Auge schließen, die Hand von ihnen abziehen, sondern auch dadurch, daß sie ihre Form ändern, daß sie zerfallen und aufhören, berührbar und sichtbar zu sein. Aber damit, daß sie aus der Wahrnehmung entfernt sind, sind sie nicht aus dem Bewußtsein überhaupt verschwunden. Sie bleiben in ihm als mögliche Dinge bestehen und es entspringt die Neigung, sie dem Zeugnis der Sinne zum Trotz doch als irgendwie noch seiend vorauszusetzen. Was einmal ist, nehmen wir an, das muß auch in seinem Sein beharren. Wir haben keine Idee der Vernichtung. Zur räumlichen Einheit der Sinnendinge gesellt sich der Begriff ihrer zeitlichen Beharrlichkeit oder der Erhaltung und wenn auch der letztere Begriff ein synthetisches Urteil voraussetzt, so ist es doch ein solches, das wir aus dem natürlilchen Antreib unserer Denkeinheit fällen, soblad wir überhaupt nachzudenken beginnen. Die alten Physiologen haben daher bereits nach dem Zeugnis des ARISTOTELES für undenkbar gehalten, daß Etwas in Nichts vergehenen kann, wie sie es auch für undenkbar hielten, daß Etwas aus Nichts entstehen kann. Der Satz der Erhaltung des Wirklichen ist ein dem Bewußtsein natürlicher aus der Verbindung der Wahrnehmung mit dem Denken entspringender Grundsatz, der Antrieb und zugleich die Norm aller Erforschung der Natur. Er ist nicht zunächst ein Gesetz der Natur, sondern das Motiv des Geistes, Gesetze in der Natur zu suchen. Denn erst unter seiner Annahme wird ja das scheinbare Entstehen und Vergehen der Dinge zum Problem und die Lösung des Problems ist seine Anwendung. Hier haben wir also einen Satz, der völlig auf sich selber beruth, der, wie in der Folge zu zeigen ist, nicht so sehr die Natur selbst, sondern die Begreiflichkeit der Natur zum Gegenstand hat, also kein induktiver, sondern ein zur Form der Induktion gehöriger Satz ist. Von seiner bloß qualitativen Anwendung in der ältesten Naturforschung der ionischen Philosophen und der rein logischen bei den Eleaten bis zur exakten, quantitativen in Mechanik und Chemie war freilich ein sehr weiter Schritt zurückzulegen, der Schritt von der sinnlichen Erkenntnis zur wissenschaftlichen. Dennoch beweist seine frühe und allgemeine Anwendung, daß er wirklich durch den Kontakt der Wahrnehmung mit dem Denken erzeugt, also nicht aus der gegebenen Wahrnehmung abstrahiert, sondern ihr supponiert wird. 5. Den beständigen Gruppen von Empfindungen treten wechselnde gegenüber. Auch wird die Beständigkeit jener erst am Wechsel dieser erkannt. Denn Beständigkeit und Wechsel sind korrelativ. Die Beharrlichkeit ist die Verneinung und eben daher nach anderer Rücksicht die Bejahung des Wechsels. Aus den veränderlichen Eigenschaften treten besonders diejenigen hervor, die von einem Ding auf andere Dinge übergehen können, die mehr oder weniger dauernde Veränderungen in anderen Empfindungsgruppen zur Folge haben. Durch diese Fähigkeit getrennt von den Dingen zu erscheinen, von denen sie ausgegangen sind, unterscheiden sie sich von den Attributen, die an die räumliche Gegenwart des Dings gebunden sind. Wir bezeichnen sie als Folgeerscheinungen des Dings oder kurz: als Folgen. Das Wasser kann längst verlaufen sein, aber seine Spuren, das Bett, das es ausgewühlt, die Blöcke, die es herbeigewältz hat, bleiben bestehen. Die Wahrnehmung der Folge ruft assoziativ die Vorstellung eines antecedens [Vorhergehendes - wp], des Dings, das der Folge vorangeht, ins Bewußtsein zurück und diese Assoziation wird umso sicherer und zwingender sein, je häufiger dieselbe Folge nach demselben antecedens zur Erscheinung kommt und je kürzer der Zeitraum ist, der beide trennt, am strengsten also bei der beständigen und unmittelbaren Folge desselben antecedens. Dieses Verhältnis der Wahrnehmung (des consequens) zur Vorstellung (des antecedens) begründet das Urteil der Folge: Y folgt auf X. Dieses Urteil der Folge ist wohl zu unterscheiden vom Urteil der Verursachung: Y ist, weil X ist, oder Y ist eine Wirkung von X. Jedes Urteil der Verursachung schließt ein Urteil der bloßen Folge in sich ein; aber es enthält einen wesentlich davon verschiedenen Verknüpfungsbegrif, der ihm den Zusatz der Notwendigkeit gibt. Man kann bestreiten, daß die beiden Urteile: Y folgt erfahrungsgemäß immer und unmittelbar auf X und: es ist die Wirkung von X, objektiv verschieden sind, aber es ist unzweifelhaft: daß sie es subjektiv sind, daß wir mit dem letzteren etwas anderes meinen und behaupten als mit dem ersteren. Die objektive Gültigkeit, nicht die subjektive Tatsache dieses Unterschiedes kann in Frage gestellt werden. Auch HUME war weit entfernt, die Tatsache, daß wir durch Urteile der Verursachung mehr zu erkennen glauben, als in der zeitlichen Folge der Objekte wirklich gegeben wir, zu bezweifeln. Er bestreitet nur die reale Bedeutung dieses Glaubens, indem er zu zeigen sucht, daß derselbe durch keine wahre Impression oder Empfindung begründet ist. Folglich gibt es keine objektiv gültigen Begriffe von Hervorbringung, Macht, Kraft, Verursachung und dgl. Daß wir mit subjektiver Notwendigkeit solche Begriffe bilden, leugnet HUME nicht, da ja gerade ihre Auflösung in die Gewohnheit seine eigentliche Aufgabe bildet. Daß diese Erklärung des subjektiven Ursprungs der Kausalitätsbegriffe die richtige ist, soll so wenig zugestanden sein, wie die Richtigkeit der Reduktion der objektiven Seite der kausalen Verknüpfung auf die beständige und direkte Sukzession gewisser Erscheinungen. Wie werden Folgen zu Wirkungen, Antecedentien mithin zu Ursachen? Die Antwort auf diese Frage ist so einfach, daß sie längst richtig gegeben worden ist. Nur hat man immer wieder den Nachweis der subjektiv notwendigen Entstehung des Begriffs der Verursachung für einen hinlänglichen Beweisgrund seiner objektiven Gültigkeit gehalten. Man hat die beiden Fragen, deren erste erkenntnistheoretisch, die zweite aber psychologisch ist, nicht sorgfältig genug unterschieden: welche Verbindung findet zwischen Objekten und Vorgängen statt, aufgrund deren wir berechtigt sind, die eine Erscheinung als die Ursache der anderen zu erkennen und: welche Vorstellung bilden wir gewöhnlich von dieser Verbindung? Mit anderen Worten: welches ist das objektive Kriterium, um die ursächliche Verknüpfung von einer bloßen Folge zu unterscheiden, im Falle, daß beide nicht dasselbe sein sollen, und wie wird diese Verknüpfung in der Regel vorgestellt? Wir haben im gegenwärtigen Kapitel vorwiegend die zweite Frage zu behandeln, da dieselbe auf eine allgemeine innere Wahrnehmung zurückweist. Die Vorstellung der Verursachung stammt ihrem Inhalt nach aus der Wahrnehmung des eigenen Wollens ab und sie beschränte sich ursprünglich auch nur auf das Verhältnis der Außenwelt zum Willen. Der originale Begriff der ursächlichen Beziehung fällt mit der Vorstellung der Willensäußerung zusammen; alle sinnlichen durch die Sprache bezeichneten Modifikationen desselben schließen die Idee einer animalischen Tätigkeit ein. - Ich kann hier nicht in die schwierige Untersuchung der Frage: ob der Wille angeboren oder erworben ist? eintreten. Ich halte ihn für erworben. Noch mehr, ich glaube sogar, daß das Angeborensein dem Begriff des Willens widerspricht. Für den Menschen ist seine Erwerbung allerdings durch die angeborene Beschaffenheit des Nervensystems ungemein begünstigt, da dieses System durch wirkliche Willensäußerungen der Ascendenten zur Entwicklung eines neuen Willens vorgebildet ist. Auch der Wille der höheren Tiere wird erst im individuellen Leben erworben, wie die Versuche von SOLTMANN an neugeborenen Hunden beweisen (8). Wille ist die Herrschaft der Vorstellung über die Bewegungen. Der Wille schließt begrifflich die Fähigkeit ein, mindestens zwischen zwei Bewegungen zu entscheiden, die eine durch den psychomotorischen Reiz der Vorstellung zuzulassen, die andere durch die Hemmungswirkung eben dieses Reizes zu unterdrücken. Das Wesentliche des Willensvorganges besteht nicht, wie man gewöhnnlich glaubt, in der Fähigkeit eine bestimmte Bewegung auszuführen, sondern in der Hemmung gewisser anderer Bewegungen, die ohne ihn zur Auslösung gelangen würden. Jene Ausführung ist also das Resultat dieser Hemmung, das Ergebnis einer Auslese durch die Ausschließung einer Menge reflektorisch angeregter Bewegungen. Die übrig bleibende Bewegung vollzieht sich ohn alles Zutun des Willens nach rein physiologischen Gesetzen; mit anderen Worten: der Wille bewegt nicht selbst, er richtet nur die Bewegung dadurch, daß er einer Menge von Bewegungsimpulsen entgegenwirkt. Nachdem die anfangs unwillkürlichen Bewegungen allmählich unter die Herrschaft der Vorstellung gekommen sind, - durch die Reflexhemmung des bewußten Erregungen des Vorderhirns, welche gewisse Bewegungen unterdrückt und folglich nur bestimmte andere zur Auslösung kommen läßt -; ergibt sich der wichtige Unterschied zwischen solchen Veränderungen in der Außenwelt, die eine bewußte Tätigkeit oder zumindest Mittätigkeit von unserer Seite voraussetzen, und all den übrigen, die ohne diese Beteiligung der bewußten Absicht uns selbst gegen dieselbe erfolgen. Jene erscheinen als verursacht, diese werden solange als bloße Folgen betrachtet als nicht auch die Dinge der Außenwelt mit Gefühlen und Fähigkeiten ähnlich den unseren ausgestattet werden. Die letztere Übertragung geschieht so leicht und natürliche, namentlich hinsichtlich derjenigen Vorgänge, die das Bewußtsein interessieren d. h. eine fühlbare Beziehung auf den Willen haben, daß sie wahrscheinlich schon mit den ersten Anfängen des Selbstbewußtseins zusammenfällt. Der psychologische Begriff der Verursachung ist ein Erfahrungsbegriff. Noch mehr - er ist in einer gewissen Hinsicht ein experimenteller Begriff. Denn nur durch häufig wiederholte Versuche erwerben wir die bewußte Herrschaft über die Bewegungen unserer Glieder. Die Reproduktion eines Gefühls, z. B. der Befriedigung des Hungers, erweckt die Vorstellung einer bestimmten Bewegung, die erfahrungsgemäß zur Erlangung von Nahrung folglich zur Befriedigung des Hungers führte, auf diese Vorstellung folgen verschiedene Versuche, die Bewegung auszuführen, und erst aus der Erfahrung, daß die vorgestellte Bewegung wirklich ausgeführt werden kann, aus der Erprobung des Könnens entsteht das Wollen. Was uns erfahrungsgemäß unmöglich ist, das wollen wir nicht, und wir hören mit der Zeit auch auf, es zu wünschen. - Der Willensvorgang ist das Schema des teleologischen Urteils. So weit der Wille reicht, reicht auch der Zweck in der Natur. Die Vorstellung einer bestimmten Befriedigung, eines Lustgefühls, ist die Ursache und zugleich der Zweck der Vorstellung des Mittels, einer bestimmten Handlung, deren wirkliche Vollziehung das reale Lustgefühl zur Folge hat. Aus der reichsten und am meisten zusammengesetzten Vorstellung von Verursachung sind alle weiteren psychologischen Kausalitätsbegriffe des Vermögens, der Kraft, des Bestrebens, des Triebes usw. abgeleitet. Auch das Weil ist nur eine Abstraktion aus dem Damit. Gerade die unerklärlichste Form der Verursachung, der Hervorgang von Bewegung aus dem Wollen, erscheint dem ungebildeten Bewußtsein als die deutlichste, ja ganz eigentlich als die selbstverständliche und folgerichtig erklärt es daher alle anderen Vorgänge nach dieser Form. Vom Standpunkt einer wissenschaftlichen Erklärung aus erscheint umgekehrt eben dieser Fall als tatsächliche, aber bisher nicht weiter erklärbare Folge, während die Verknüpfung der äußeren Vorgänge unter sich etwas eingehender zu verstehen ist, als HUME und MILL zugestehen wollen. Der Grund jener Täuschung, als sei der Wille "die Kausalität von innen gesehen" ist unschwer zu entdecken. Das Gefühl eines bestimmten Bestrebens geht nicht bloß zeitlich der Bewegung voran, es bleibt auch in der Bewegung während ihres Verlaufes erhalten und scheint demnach die eigentliche innerliche Bewegungsursache zu sein, die wahren Ursachen jedoch, die chemischen und elektrischen Vorgänge in den Nerven und Muskeln gar nicht ins Bewußtsein fallen. Als rein innere Erscheinung kann der Wille nicht bewegen. Der ihm entsprechende äußere oder materielle Vorgang in der Kortikalsubstanz des Vorderhirns aber hängt von anderen materiellen Vorgängen ab - und der Einfluß der Vorstellung auf die Bewegung ist entweder ein Schein oder das tiefste Geheimnis der gesamten Erfahrung (9). Denn augenscheinlich ist es uns ganz ungleich verständlicher, daß Bewegung Bewegung erzeugen und abändern kann, obwohl wir auch dies nicht vollständig verstehen, als daß eine Vorstellung Bewegung hervorrufen oder verändern soll. Der "wilden" Metaphysik gelten als Ursachen nur wollende Wesen, nur Willensäußerungen für Wirkungen. Nicht das Regelmäßige und Beständige in den Erscheinungen erweckt das Erklärungsbedürfnis des Naturmenschen, sondern das scheinbar Willkürliche, ja Launenhafte, besonders sobald es für ihn von nützlichen oder schädlichen Folgen ist. Schon deshalb kann nicht die Gewohnheit der subjektive Entstehungsgrund der Kausalitätsvorstellung sein. Die Gewohnheit macht als solche gar keinen Eindruck, erst die Unterbrechung des gewohnten Verlaufs der Dinge durch das Neue und Außerordentliche verursacht eine sehr lebhafte Erschütterung des Bewußtseins. Man muß also gegen HUME sagen, daß der Gegensatz zu dem, was man gewohnt ist und daher gar nicht weiter beachtet, das Kausalitätsbedürfnis, den Trieb nach Erklärung, hervorruft, dessen Befriedigung sodann mit der Zurückführung der neuen Erscheinung auf das Gewohnte erreicht wird, entweder dadurch, daß der neue Inhalt des Bewußtseins durch Wiederholung selbst gewohnt und also nicht weiter beachtet, oder daß er irgendwie an die gewohnten Erfahrungen angeknüpft wird. Die letztere Methode wendet der Wilde an, so oft er äußere Vorgänge, die sein Interesse hinlänglich stark erregen, auf Willenskräfte und persönlich gedachte Dinge zurückführt; womit er sie an das ihm Bekannte und Gewohnte anknüpft. - Der "Animismus", die Beseelung auch der unbelebten Dinge durch Willenskräfte ist das früheste und auf dem Standpunkt einer noch unorientierten, Äußeres und Inneres vermengenden Auffassung ganz rationale System der Naturphilosophie; ein Versuch, das Prinzip, das zunächst nur für einzelne, besonders eindringlilche Naturereignisse zur Erklärung genommen wurde, zu verallgemeinern. Die Sprache ist noch heute beherrscht von dieser Philosophie, die eine allgemeinere Verbreitung hatte, als irgendeine spätere; ganz ungesucht werden die materiellen Vorgänge in ihrer sprachlichen Darstellung zur Mythologie des "Willens in der Natur". Das Wort, das vielleicht zuerst DEMOKRIT zur Bezeichnung der Ursache gebrauchte: aitia bedeutet ursprünglich: Schuld, moralische Verantwortlichkeit (10) und sogar der Ausdruck Gesetz ist nicht frei von einer sehr deutlichen Beimischung der Willensmetapher, so daß, wer aus Worten zu philosophieren pflegt, behaupten könnte, Naturgesetze seien nur als Willensäußerungen des Gesetzgebers der Natur denkbar. Auch nachdem schon die Regelmäßigkeit gewisser Erscheinungen, namentlich der Bewegungen der Himmelskörper, den nachsinnenden Blick gefesselt hatte, überwog noch lange Zeit das praktische Interesse über das theoretische. Der Mensch bezieht von Natur aus alles auf sich. Die Sternbewegungen dienen als Zeitmesser seinem Willen und von den Konstellationen läßt er magische Einflüsse auf sein persönliches Schicksal ausgehen, die er teils befürchtet, teils hofft. - Die Gewohnheit kann nicht genügen, den Ursprung des psychologischen Verknüpfungsbegriffs von Ursache und Wirkung zu erklären. Das Gewohnte wird uns als solches erst durch den Gegensatz zum Ungewöhnlichen bewußt, je größer dieser Gegensatz ist, je weiter die neue Erscheinung von den alltäglichen abweicht, desto mehr empfinden wir auch die entgegenstehende Macht der Gewohnheit, die wir ohnehin nicht bemerken. Aus diesem Gesichtspunkt erfaßt, zeigt sich uns die Forderung der Kausalität als das subjektive Streben nach Ausgleich unter unseren Vorstellungen, als das Streben, die Veränderung zu apperzipieren, sie irgendwie mit unseren gewöhnlichen Vorstellungen in Übereinstimmung zu bringen. Dabei hängt es lediglich von der Höhe der Bildung des Bewußtseins ab, welche Begriffe geeignet erscheinen, dieses Streben zu erfüllen. Der Wilde apperzipiert durch den Begriff des Willens, der Naturforscher durch den der Kraft, - worunter er, nachdem jeder Rest von Anthropomorphismus aus diesem Begriff beseitigt ist, nur einen Hilfsbegriff, Vorgänge bestimmter Art einheitlich zusammenzufassen, versteht und den er im Grunde nur zur Abkürzung seiner Gleichungen benützt. Daraus folgt aber, daß der psychologische Begriff der Verursachung kein Erkenntnisprinzip ist, da ja derselbe inhaltlich durch sehr verschiedene Vorstellungen vertreten wird. Allein außer dieser psychologisch-inhaltlichen Seite hat der Kausalitätsbegriff eine logisch-formale, welche, wie überhaupt die Form eines Begriffs, nicht aus der Wahrnehmung abgeleitet werden kann. Ich werde diese Seite im folgenden Abschnitt betrachten und begnüge mich hier nachzuweisen, daß die logischen Bestandteile des Kausalgesetzes nicht in der reinen Erahrung oder Wahrnehmung enthalten sind. Zunächst das Merkmal der direkten, unmittelbaren Folge. Die Wahrnehmung kann diese Unmittelbarkeit der Folge niemals verbürgen, schon wegen der unendlichen Teilbarkeit der Zeit nicht. Zwischen je zwei zeitlich noch so nahen Wahrnehmungen können wir immer eine beliebig große Anzahl von Zwischenzuständen eingeschaltet denken und die Unmittelbarkeit einer wahrgenommenen Folge mag für unsere praktischen Zwecke ausreichen, aber sie vermag nicht unser wissenschaftliches Interessen zu befriedigen. Das Postulat des vollkommen lückenlosen, ununterbrochenen Zusammenhangs der Folge der Erscheinungen ist nur ein anderer Ausdruck für die Stetigkeit der Zeit, die wir als logische Bestimmung des Zeitbegriffs kennen. Wir postulieren daher diesen Zusammenhang kraft des Kausalgesetzes, und wo immer es uns gelingt, den wissenschaftlichen Begriff der Verursachung anzuwenden, da schließen wir aus diesem Begriff auf die unmittelbare Folge. In diesem Sinne war KANT im Recht zu sagen, daß die objektive Folge, was bei ihm die allgemeine und notwendige Folge bedeutet, erst durch das Kausalgesetz erkannt wird, daß also dieses Gesetz nicht die Abstraktion aus der objektiven Folge sein kann. Zweitens das Merkmal der Begreiflichkeit der Folge aus dem Antecedens. Denn nicht alles, was sich, es sei direkt oder mittelbar folgt, gilt uns im streng wissenschaftlichen Verstand für verursacht, sondern nur, was sich auf begreifliche Weise folgt. Begreiflich ist uns aber, wie gezeigt werden soll, einzig und allein der Zusammenhang nach dem Prinzip der Identität und der Einheitsbegriff kausaler Folge in einem wissenschaftlichen Sinn ist der Begriff der Größengleichheit. Die stärkste Gewohnheit, eine noch so häufig bestätigte Erwartung, machen uns eine Folge um nichts begreiflicher als eine andere. Wohl aber kann uns eine einzige, aber wissenschaftlich genau analysierte Folge als begreiflich und verursacht erscheinen. Den Urteilen der Koexistenz treten die der Folge, der Verursachung, des Zweckes gegenüber als die Urteile der Sukzession. Ihre Erzeugnisse sind die Begriffe des Geschehens, die Gesetze. Gattungsbegriffe und Gesetze bilden zusammen die Bausteine der wissenschaftlichen Erkenntnis. 6. Die Umbildung der Wahrnehmung durch die Vorstellung ist die Bedingung unseres Fortschreitens in der Erkenntnis. Das menschliche Bewußtsein zeichnet sich vor dem tierischen durch das Übergewicht der Vorstellung über die Wahrnehmung aus. Der innere Reiz der Vorstellung ist das Motiv jener echt menschlichen Ausdrucksbewegung, der Sprache und die Erinnerungsbilder der Sprache sind wieder die mächtigsten Hilfsmittel, die Herrschaft der Vorstellung über die Wahrnehmung zu behaupten und immer weiter auszudehnen. Der entwickelte Mensch hat gar keine reine, sondern stets eine begrifflich gebildete Wahrnehmung. Er nimmt in der Form der Allgemeinheit wahr, weil er beständig die gegenwärtigen Eindrücke durch die Vorstellungen seiner vergangenen Erfahrung apperzipiert. Wenn er Menschen, Tiere, Bäume, Wolken und Sterne, das Nahe und Ferne sieht, so nimmt er etwas ganz anderes in diesen Dingen wahr, als das Tier. Er sieht die Dinge mit den tausend inneren Augen seiner sprachlich fixierten Begriffe an. Diesr Apperzeptionsprozeß vollzieht sich zunächst durch den psychologischen Mechanismus. Die Gesetze dieses Mechanismus sind zwar in allen Individuen wesentlich dieselben, aber ihre besondere Betätigung, woraus die sinnliche Erkenntnis hervorgeht, ist in jedem verschieden und wäre nicht wieder die Sprache da, die zur Mitteilung, zur Ausgleichung und Berichtigung der Kenntnisse befähigt, so hätte es mit der Allgemeinheit der Erkenntnis seine guten Wege. Immer wieder äußern rein subjektive Assoziationen ihren Einfluß auf die Art und Richtung der Apperzeption, und jene verdichteten Vorstellungen, durch die der Einzelne apperzipiert, hindern ihn ebenso oft die wahren Verhältnisse der Objekte zu erkennen, als sie ihn andererseits in ihrer Auffassung unterstützen. Nicht immer sind sie ihm das innere Licht, das die äußeren Dinge aufhellt und beleuchtet, sondern häufig ein Blendungsbild, das ihre wahre Gestalt verdeckt. Der Mensch, weil er mehr und beständig dennkt, ist auch mehr dem Irrtum ausgesetzt als das Tier. - Auch die Sprache wirkt verändernd auf die Auffassung der Wirklichkeit zurück, namentlich durch die täuschende Substantivierung von Eigenschaften, Vorgängen und bloßen Verhältnissen. Die Unterscheidung bloß sprachlicher Kategorien von den logischen wird so zu einer unerläßlichen Vorarbeit des kritischen Erkennens. Lassen sich zwar besondere Irrtümer auch durch besondere Erfahrungen berichtigen, so doch nicht der allgemeine Irrtum, der sich aus der individuellen Wirksamkeit des psychologischen Mechanismus, der subjektiv gearteten Apperzeption und der Herrschaft der Worte über die Sachen erzeugt. Es entsteht das Bedürfnis einer zusammenhängenden Untersuchung und Berichtigung der Erkenntnis, die Aufgabe, jene Kritik, welche die positiven Wissenschaften Schritt für Schritt sowohl an den Tatsachen, wie auch den Methoden ihrer wissenschaftlichen Auffassung ausüben, systematisch fortzusetzen, sie auf die allgemeine Erfahrung, den Begriff einer Erfahrungswissenschaft, zu erstrecken. Wir wollen die objektiven Elemente des Wissens und die denk- wie sachnotwendigen Formen ihrer Vereinigung zur Wissenschaft kennenlernen und begnügen uns nicht, zu erfahren, wie wir, getrieben vom psychologischen Mechanismus, tatsächlich apperzipieren, sondern bestreben uns, auf wissenschaftlichem Weg zu ermitteln, wir apperzipieren sollen, um den Zweck des Erkennens zu erreichen. Dies ist die allgemein ausgedrückte Aufgabe der Erkenntnistheorie - und in der Behandlung dieser Aufgabe hat dieselbe ihre ganze die Erkenntnis disziplinierende Macht zu erweisen. Näher besehen ist der Sinn dieser Aufgabe ein doppelter. - Der Zweck des Erkennens richtet sich vor allem nach der Natur unseres Denkens. Wir verhalten uns niemals, am wenigsten in der wissenschaftlichen Erfahrung, den Objekten gegenüber bloß empfangend, sondern jederzeit zugleich denktätig und die allgemeine Voraussetzung, die unsere Denktätigkeit regiert, ist die Begreiflichkeit der Natur. Die Grundbegriffe oder Prinzipien der Wissenschaft sind die verschiedenen Formen, in welchen die Erfahrung uns begreiflich wird. Wir müßten sie der Wirklichkeit gegenüber als Hypothesen bezeichnen, nennen sie aber Postulate der Wissenschaft, insofern sie aus der Form des Begreifens, der Art der Begriffsbildung, hervorgehen, sodaß ihre Denknotwendigkeit von vornherein feststeht. Der Begriff der Beharrlichkeit der Substanz ist ein derartiges Postulat der Begreiflichkeit der Erfahrung, das freilich durch seine Denknotwendigkeit allein noch keineswegs zum Gesetz der Wirklichkeit erhoben wird. Aus dem Zweck des Erkennens fließen als gewisse Annahmen her, die allgemeinen Erkenntnisbegriffe, deren Sinn zu erforschen und damit das Erkenntnisproblem nach seiner subjektiven Seite zu lösen, die Aufgabe der beiden ersten Kapitel des folgenden Abschnittes bildet. Allein - ist der Erkenntniszweck, der als solcher ein idealer ist, auch zu erfüllen? Ist die Natur begreiflich und wie weit ist sie es? Wir sehen sogleich, daß diese Frage keine rein logische, sondern daß sie die Frage nach einer Tatsache, nach der wirklichen Übereinstimmung der von uns unabhängigen Realität mit den Postulaten des Erkennens, ist. Also kann sie auch nicht in derselben Weise behandelt werden, wie die frühere nach der Begriffsform des Erkennens, noch ist ihre Lösung jemals vollständig zu geben, da vielmehr die Geschichte der Wissenschaften an ihrer fortwährenden Lösung arbeitet. Heute beschränkt sich die allgemeine, objektive Erkenntnisform der Natur auf die reine Mechanik und wir können einen kantischen Satz berichtigend sagen: in jeder Naturwissenschaft ist soviel eigentliche Wissenschaft enthalten, als in ihr reine Mechanik enthalten ist. Aber wird sie sich immer darauf beschränken? werden sich die psychischen Erscheinungen niemals mit derselben Exaktheit begreifen lassen, womit die objektiv-mechanische Seite der Natur begriffen wird? Niemand wird von der möglichen Erweiterung der wissenschaftlichen Erkenntnis, nach welcher unser mächtiges Erkenntnisstreben unablässig zielt, so kleinlich und beschränkt denken, um ihr durch die wirklich vorhandene Wissenschaft Schranken setzen zu wollen. - Dennoch läßt sich das Erkenntnisproblem in seiner objektiven Bedeutung etwas enger umgrenzen, als es zunächst den Anschein hatte. Ohne der Zukunft der Wissenschaft vorzugreifen, können wir nach dem Grund der bereits erreichten Übereinstimmung der Wirklichkeit mit den Annahmen des Denkens forschen und einigermaßen auch den Weg verzeichnen, auf welchem allein eine fernere Übereinstimmung zu erwarten ist. In den Größenbeziehungen der Natur haben wir die objektiven Korrelate unserer zunächst subjektiven Begriffsbeziehungen anzuerkennen und den Weg zu jenen Beziehungen eröffnet: die experimentelle Methode.
1) THEODOR MEYNERT, Fortschritte im Verständnis der krankhaften psychischen Gehirnzustände, Wien 1878 2) Näheres in der Mitteilung TAINEs, Revue philosophique I, Nr. 3, Seite 289f. 3) HELMHOLTZ, Lehre von den Tonempfindungen, 1870, Seite 196. Vgl. auch DÜHRING, Kritische Geschichte der allgemeinen Prinzipien der Mechanik, zweite Auflage, Seite 473f. 4) Das letztere wird durch die Beobachtung von CARL SACHS (Reicherts Archiv 1874) erklärt, welcher bewiesen hat, daß in den Muskeln des Froschschenkels sensible Fasern verlaufen und daß die Kontraktion eines Muskels für diese sensiblen Fasern zum Reiz wird. 5) KANT, Werke VII (Ausgabe ROSENKRANZ, Seite 48). 6) Das gewöhnlich in der Logik als partikulär bezeichnete Urteil ist ein zusammengesetztes, aus einer Summe von Individualurteilen bestehend, deren jedes logisch einem Allgemeinurteil gleichwertig ist. 7) WILHELM WUNDT, Logik, Seite 406f. 8) SOLTMANN konnte in bis zu 10 Tagen alten Hunden durch Reizungen im ganzen Bereich des Gyrus prae- und postfrontalis oder irgendeiner anderen Stelle der Großhirnrinde (also weit über den Umfang der HITZIGschen Reizungspunkte) keine Bewegungen hervorrufen; die ersten positiven Erfolge zeigten sich am zehnten Tag ... Besonders auffallend ist, daß der Rindenbezirk, welcher eine bestimmte Bewegung beherrscht, einen viel größeren Umfang hat als im älteren Tier. Die HITZIGschen "Zentren" sind also anfangs noch funktionsuntüchtig und ihre später, jedoch nicht gleichzeitig beginnende Funktionierung ist mit einer allmählichen Verschmälerung auf die bleibenden umschriebenen Stellen." - Nach der Geburt fehlt also noch die leitende Verbindung zwischen den Streifenhügeln, in denen koordinierte Bewegungen reflektorisch ausgelöst werden und den HITZIGschen Zentren, in welchen sie der Vorstellung subordiniert werden. Es fehlt also der eigentliche Wille. Mit zunehmender Herrschaft über die Bewegungen verschmälern sich die Rindenbezirke; die Subordination wird genauer und konzentrierter. (VIERORDT, Physiologie des Kindesalters, Tübingen 1877, Seite 184) 9) Näheres hierüber im zweiten Teil dieses Bandes im Kapitel: Das Verhältnis der psychischen und physischen Erscheinungen. 10) Democriti operum fragm. com, Hg. FRIEDRICH MULLACH, Berlin 1843. Unter den verlorenen Schriften DEMOKRITS werden mehrere mit dem Titel aitiai angeführt. |