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ALBERT SCHWEGLER
Die Eleaten

"Sein und Dasein, das Eins und das Viele fällt im eleatischen Prinzip schlechthin auseinander. Heraklit versöhnt diesen Widerspruch, indem er als die Wahrheit des Seins und Nichtseins, des Eins und des Vielen das Zumal beider, das Werden aussprach."


1. Verhältnis des eleatischen Prinzips
zum pythagoreischen

Hatten die Pythagoreer das Materielle, sofern es Quantität, Vielheit, Außereinander ist, zur Unterlage ihres Philosophierens gemacht, hatten sie damit nur erst von seiner bestimmten elementarischen Beschaffenheit abstrahiert, so gehen die Eleaten einen Schritt weiter, indem sie die letzte Konsequenz des Abstrahierens ziehen und die totale Abstraktion von aller endlichen Bestimmtheit, von aller Veränderung, allem Wechsel des Seienden zu ihrem Prinzip machen. Hatten die Pythagoreer noch an der Form des räumlichen und zeitlichen Seins festgehalten, so ist die Negation alles Außer- und Nacheinander der Grundgedanke der Eleatik. "Nur das Sein ist und das Nichtsein, das Werden ist gar nicht." Dieses Sein ist der rein bestimmungslose, wechsellose Grund, nicht das Sein  im  Werden, sondern das Sein mit Ausschluß alles Werdens, das nur durch das Denken zu erfassende reine Sein.

Die Eleatik ist hiernach Monismus, sofern sie die Mannigfaltigkeit alles Seins auf ein einziges letztes Prinzip zurückzuführen bestrebt ist; aber sie verfällt in Dualismus, sofern sie weder die Leugnung des Daseienden, der Erscheinungswelt durchführen, noch die letztere aus dem vorausgesetzten Urgrund mehr ableiten kann. Die Welt der Erscheinung, wenn auch für wesenlosen nichtigen Schein erklärt, existiert doch, es mußte ihr wenigstens hypothetisch, da die sinnliche Wahrnehmung sich nicht wegschaffen ließ, das Recht der Existenz belassen werden, sie mußte, wenn auch unter Verwahrungen, genetisch erklärt werden. Dieser Widerspruch des unversöhnten Dualismus zwischen Sein und Dasein ist der Punkt, wo die eleatische Philosophie über sich selbst hinausweist: doch tritt er noch nicht im Beginn der Schule mit XENOPHANES, hervor; das Prinzip selbst hat sich mit seinen Konsequenzen erst im Verlauf herausgestellt, indem es drei Perioden der Ausbildung durchlief, die sich an drei aufeinanderfolgende Generationen verteilen; die Grundlegung der eleatischen Philosophie fällt dem XENOPHANES zu, ihre systematische Ausbildung dem PARMENIDES, ihre Vollendung und zum Teil Selbstauflösung dem ZENO und MELISSUS (welchen letzteren wir hier übergehen).


2. Xenophanes
XENOPHANES, aus Kolophon in Kleinasien gebürtig und in die phokäische Pflanzstadt Elea (in Lukanien) eingewandert, jüngerer Zeitgenosse des PYTHAGORAS, ist Urheber der eleatischen Richtung. Er scheint zuerst den Satz ausgesprochen zu haben, Alles sei Eins, ohne jedoch nähere Bestimmungen über diese Einheit aufzustellen, ob sie eine begriffliche oder eine stoffartige sei. Auf die Welt als Ganzes, sagt ARISTOTELES, seinen Blick richtend, nannte er Gott das Eins. Das eleatische "Eins und Alles" (hen kai pan) hatte also bei ihm noch einen theologischen Charakter. Die Idee der Einheit Gottes und die Polemik gegen den Anthropomorphismus der Volksreligionen ist sein Ausgangspunkt. Er eifert gegen den Wahn, die Götter würden geboren, hätten menschliche Stimme, Gestalt usw. und schmäht auf HOMER und HESIOD, die Raub, Ehebruch, Betrug den Göttern angedichtet. Nach ihm ist die Gottheit ganz Auge, ganz Verstand, ganz Ohr, unbewegt, ungeteilt, mühelos durch ihr Denken alles beherrschend, den Menschen weder an Gesalt, noch an Verstand ähnlich. In dieser Weise, zunächst nur darauf bedacht, von der Gottheit verendlichende Bestimmungen und Prädikate abzuwerfen, ihre Einheit und Unveränderlichkeit festzustellen, sprach er dieses ihr Wesen zugleich als höchstes philosophisches Prinzip aus, ohne jedoch noch dieses Prinzip polemisch gegen das endliche Sein zu kehren und negativ durchzuführen.


3. Parmenides
Das eigentliche Haupt der eleatischen Schule ist PARMENIDES aus Elea, Schüler oder jedenfalls Anhänger des XENOPHANES. So wenig uns von seinen Lebensumständen überliefert wird, so einstimmig ist das gesamte Altertum im Ausdruck der Ehrfurcht gegen den eleatischen Weisen, in der Bewunderung vor der Tiefe seines Geistes wie vor dem Ernst und der Erhabenheit seiner Gesinnung. Die Redensart "parmenideisches Leben" wurde später unter den Griechen sprichwörtlich.

PARMENIDES legte, wie schon XENOPHANES, seine Philosophie in einem Gedicht nieder, von dem uns noch bedeutende Bruchstücke erhalten sind. Es zerfällt in zwei Teile. Im erster erörtert PARMENIDES den Begriff des Seins. Weit über die noch unvermittelte Anschauung des XENOPHANES sich erhebend, setzt er hier diesen Begriff, das reine einige Sein, allem Mannigfaltigen und Veränderlichen als dem Nichtseienden und folglich Undenkbaren schlechthin entgegen und schließt vom Sein nicht nur alles Werden und Vergehen, sondern auch alle Zeitlichkeit, Räumlichkeit, Teilbarkeit, Verschiedenartigkeit und Bewegung aus, erklärt dasselbe für ungeworden und unvergänglich, ganz und einartig, unwandelbar und ohne Begrenzung, unteilbar und zeitlos gegenwärtig, vollkommen und überall sich selbst gleicht und eignet ihm als einzige positive Bestimmung (denn die bisherigen waren nur verneinende gewesen) das Denken zu; "Sein und Denken" sind nach ihm "Eines und Dasselbe". Das auf dieses Sein gerichtete reine Denken bezeichnet er im Gegensatz gegen die trüglichen Vorstellungen über die Mannigfaltigkeit und Veränderlichkeit der Erscheinungen als die allein wahre untrügliche Erkenntnis und hat kein Hehl, dasjenige nur für Nichtseiendes und Täuschung zu halten, was die Sterblichen für Wahrheit ansehen, nämlich Werden und Entstehen, vergängliche Existenz, Vielheit und Verschiedenheit der Dinge, den Ort verändern und seine Beschaffenheit wechseln usw. Man hüte sich also, das parmenideische Eins für die Kollektiveinheit alles Seienden zu halten.

Soweit der erste Teil des parmenideischen Gedichts. Nachdem der Satz, daß nur das Sein ist, nach seinen negativen und positiven Bestimmungen entwickelt worden ist, sollten wir glauben, das System sei zu Ende. Allein es folgt ein zweiter Teil, der sich nun hypothetisch mit der Erklärung und physikalischen Ableitung des "Nichtseienden", d. h. der Erscheinungswelt beschäftigt. Obwohl fest überzeugt, nur das Eins sei dem Begriff und der Vernunft nach, ist PARMENIDES doch unvermögend, sich der Anerkennung eines erscheinenden Mannigfaltigen und Veränderlichen zu entziehen. Er bevorwortet daher, in dem er, duch die sinnliche Wahrnehmung genötigt, zur Erörterung der Erscheinungswelt übergeht, diesen zweiten Teil mit der Bemerkung: der Wahrheit Rede und Gedanke sei jetzt geschlossen und es sei von nun an nur sterbliche Meinung zu vernehmen. Leider ist uns der zweite Teil sehr unvollständig überliefert. So viel sich schließen läßt, erklärt er die Erscheinungen der Natur aus der Mischung zweier unveränderlicher Elemente, die ARISTOTELES als Warmes und Kaltes, Feuer und Erde bezeichnet. Von diesen beiden, bemerkt ARISTOTELES weiter, stellte er das Warme mit dem Seienden zusammen, das andere mit dem Nichtseienden. Alle Dinge sind aus diesen Gegensätzen gemischt; je mehr Feuer, desto mehr Sein, Leben, Bewußtsein; je mehr Kaltes und Starres, desto mehr Leblosigkeit. Das Prinzip der Einheit alles Seins wird nur darin festgehalten, daß nach PARMENIDES im Menschen die empfindende und denkende Substanz, Körper und Geist, eines und dasselbe ist.

Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß zwischen beiden Teilen der parmenideischen Philosophie, der Lehre vom Sein und der Lehre vom Schein, kein innerer wissenschaftlicher Zusammenhang stattfindet. Was PARMENIDES imersten Teil schlechthin leugnet und sogar für unsagbar erklärt, das Nichtseiende, das Viele und Veränderliche, gibt er im zweiten als wenigstens in der Vorstellung der Menschen existierend zu; alles es ist klar, daß das Nichtseiende auch nicht einmal in der Vorstellung existieren könnte, wenn es überhaupt und überall nicht existiert und daß der Versuch, ein Nichtseiendes der Vorstellung zu erklären, mit der ausschließlichen Anerkennung des Seienden in vollkommenem Widerspruch steht. Diesen Widerspruch, die unvermittelte Nebeneinanderstellung des Seienden und des Nichtseienden, des Eins und des Vielen, suchte PARMENIDES' Schüler, ZENO, zu heben, indem er vom Begriff des Seins aus die sinnliche Vorstellung und damit die Welt des Nichtseienden dialektisch zerstörte.


4. Zeno
Der Eleat ZENO, um 500 v. Chr. geboren, Schüler des PARMENIDES, hat die Lehre seines Meisters dialektisch fortgebildet und die Abstraktion des eleatischen Eins im Gegensatz gegen die Vielheit und Bestimmtheit des Endlichen am reinsten durchgeführt. Er rechtfertigte die Lehre vom einigen, einfachen und unveränderlichen Sein auf indirektem Weg durch die Nachweisung der Widersprüche, in welche die gewöhnlichen Vorstellungen von der Erscheinungswelt sich verwickeln. Hatte PARMENIDES behauptet, nur das eine Seiende ist, so zeigte ZENO polemisch, daß es
    1) weder eine Vielheit, noch
    2) eine Bewegung gebe,
weil diese Begriffe zu widersprechenden Folgen führen.
    1) Das Viele ist eine Anzahl von Eins, aus denen es zusammengesetzt ist; ein wirkliches Eins (ein Einfaches, das nicht selbst wieder Vielheit ist) ist aber nur das Unteilbare; das Unteilbare aber hat keine Größe mehr (sonst könnte es ja geteilt werden); folglich kann das Viele keine Größe haben, es muß unendlich klein sein. Will man dieser Folgerung ausweichen (weil, was keine Größe hat, so gut als nichts ist), so muß man die Vielen als selbständige Quanta setzen. Selbständiges Quantum aber ist nur, was selbst Größe hat und von anderen Quanta wieder durch etwas, das Größe hat, getrennt ist (da es sonst mit ihnen zusammenfließen würde). Diese trennenden Größen aber müssen (aus demselben Grunde) von denen, welche sie trennen, wieder durch andere getrennt sein und so fort. Alles ist somit von Allem durch unendlich viele Größen getrennt, alle begrenzte und bestimmte Größe verschwindet, es gibt nur unendliche Größe. Ferner: Gibt es Vieles, so muß es der Zahl nach begrenzt sein; denn es ist eben nur so viel als es ist, nicht mehr und nicht weniger. Ebenso aber muß das Viele der Zahl nach auch unbegrenzt sein; denn zwischen dem, was ist, ist immer wieder ein Drittes und so fort ins Unendliche.

    2) Ein sich bewegender Körper müßte, bevor er zum Ziel kommt, erst die Hälfte des Weges durchlaufen, von dieser wieder vorher die Hälfte usw., kurz er müßte unendliche Räume durchlaufen, was unmöglich ist; folglich gibt es kein Hinkommen von einem Punkt zum anderen, keine Bewegung; die Bewegung kann gar keinen Anfang gewinnen, da jeder zu durchlaufende Raumteil wieder in unendliche Teile zerfällt. Ferner: Ruhen heißt an einem und demselben Ort sein. Teilt man die Zeit, während welcher ein Pfeil fliegt, in Momente (Jetzt) ein, so ist der Pfeil während jedes dieser Augenblicke (eben jetzt) bloß an  einem  Ort; also ruht er stets, die Bewegung ist bloß scheinbar.
Um dieser Beweise willen, die wenigstens zum Teil mit Recht auf Schwierigkeiten und Antinomien, welche im Begriff der unendlichen Teilbarkeit von Materie, Raum und Zeit liegen, zuerst hingewiesen haben, nennt ARISTOTELES den ZENO den Urheber der Dialektik; auch auf PLATO hat ZENO wesentlich eingewirkt.

Das zenoische Philosophieren ist jedoch, wie die Vollendung des eleatischen Prinzips, so zugleich der Anfang seiner Auflösung. ZENO hat den Gegensatz des Seienden und Daseienden, des Eins und des Vielen so abstrakt gefaßt, so sehr überspannt, daß bei ihm der innere Widerspruch des eleatischen Prinzips noch stärker hervortritt, als bei PARMENIDES. Denn je folgerichtiger er ist in der Leugnung der Erscheinungswelt, um so auffallender mußte der Widerspruch sein, einerseits seine ganze philosophische Tätigkeit an die Widerlegung der sinnlichen Vorstellung zu wenden, andererseits ihr gegenüber eine Lehre aufzustellen, welche die Möglichkeit der falschen Vorstellung selbst aufhebt.

Sein und Dasein, das Eins und das Viele fällt im eleatischen Prinzip schlechthin auseinander: der angestrebte Monismus hat zum Resultat einen schlecht verhehlten Dualismus. HERAKLIT versöhnt diesen Widerspruch, indem er als die Wahrheit des Seins und Nichtseins, des Eins und des Vielen das Zumal beider, das Werden aussprach. Bleibt die Eleatik in dem Dilemma stehen: die Welt ist entweder seiend oder nichtseiend, so antwortet HERAKLIT, sie ist keins von beiden, weil sie beides ist.
LITERATUR - Albert Schwegler, Geschichte der Philosophie im Umriß, Stuttgart 1873