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M e l a n c h o l i e
Ich will für heute nicht feststellen, wie weit dieses Krankheitsbild der Diagnose Manie (Tollheit) entspricht, ein sinnloser Überschwang in den Äußerungen dieses Kranken und ein gewisses Maß an Schlaffheit seiner rechten Antlitzhälfte lassen mich diese Diagnose sogar anzweifeln. Was ich Ihnen aber in ihm vorführte, war doch das Krankheitsbild, welches Manie genannt wird. Der beherrschende Hauptzug der Manie, wenngleich nicht ihre ununterbrochene Erscheinung, ist die heitere, die ungebundene Stimmung, als krankhaft die heitere Verstimmung, ESQUIROLs Amoenomanie [krankhaft heitere Stimmungslage - wp], welche KAHLBAUM von der Freude Chaeromanie [gestörtes Freudeempfinden - wp] nannte, das psychische Behagen, die krankhafte Euphorie. Mit der manischen Verstimmung, deren physiologische Grundform gemäß der Ihnen zweifellos noch erinnerlichen anatomisch-physiologischen Einführung in die Klinik der Vorderhirnkrankheiten als heiterer Affekt in der Wahrnehmung einer apnoetischen Atmungsphase [langes Aussetzen der Atmung - wp] der Rindenzellen besteht, verbindet sich das Gefühl einer funktionellen Erleichterung im Gedankenablauf und einer funktionellen Erleichterung im Gedankenablauf und einer funktionellen Erleichterung in der Einwirkung der Willensimpulse auf die motorischen Nerven. Gedanken- und Bewegungsflucht genannt. Wenn der Kranke bei einer höheren Entwicklung dieses Zustands Wahnideen äußert, so sind es die des Größenwahns, die Sie von Jenem vernahmen. Der Größenwahn, welcher die eigene Persönlichkeit mit übertriebener körperlicher und intellektueller Wirkungsweise ausgestattet, verbindet sich aber noch mit einem, ich möchte sagen, psychologisch konsequenten Gegensatz. Die anderen Menschen erscheinen meist umso niedriger, je erhöhter der Kranke sich vorkommt, indem sie ihm gar nicht gleichwertig, ja nur verächtlich erscheinen. Es erzeugt sich in ihm der Gedanke eigener, uneingeschränkter Machtfülle, im Gegensatz zu vollkommener Rechtlosigkeit der Anderen. Wenn ich von diesem Gegenstand mit Vorbehalt der Wiederanknüpfung zunächst abgehe, so will ich nur noch ein Wort über den Mechanismus des manischen Größenwahns hinzufügen. Der Größenwahn ist eine nicht bloß der Manie angehörige Erscheinung. Er gehört auch dem partiellen Wahnsinn an, gestaltet sich aber dort aus einem ganz anderen psychischen Mechanismus. Der Größenwahn, beziehungsweise seine Ausdrücke gehen erst aus dem Bezug des manischen Glücksgefühls zu irrtümlichen Parallelschlüssen hervor, deren Grundlage der Wahn der volkstümlichen Vorurteile ist. Diese allgemeinen Anschauungen machen einen Schluß aus beneidenswerten Lebenslagen auf ein Glücksgefühl des mit ihnen Begabten, der tatsächlich, zumindest was die fortdauernde Stimmung betrifft, ein Fehlschluß ist. Dem Reichen, dem Herrschenden, dem Berühmten wird die Gemütslage eines Glücksgefühls, einer Euphorie zugeschrieben. Diese wahnhaften Assoziationen von äußeren Tatsachen und Stimmungen sind so gefestigt, daß sie auch die Schlüsse des an heiterer Verstimmung Kranken leiten. Nur verkehrt er die Schlußreihe und schließt von der Stimmung auf die Tatsachen. Weil er ein hohes Glücksgefühl empfindet, so assoziiert er dazu einen Ausdruck dieses Glücksgefühls, er schließt, daß dem Glücksgefühl Reichtum, Macht, Berühmtheit oder alles zusammen zugrunde liegt. Die Betonung, die er diesen Ausdrücken gibt, die Unumwundenheit oder Rückhaltung seiner Äußerungen hält zum Teil Schritt mit der Intensität der heiteren Verstimmung. Die Manie ist als reine Krankheitsform selten, am häufigsten als Komplikation von progressivem Blödsinn des Mannesalters. Ich knüpfe nun die Demonstration einer 42jährigen einstigen Lehrerin an, schon seit mindestens drei Jahren krank, die schon im Juli 1886 eine Woche in der Klinik verweilte. Damals war ihre Erkrankung schon vier Monate alt. Am 23. April 1889 wurde sie mit einem chirurgischen Verband wegen eines Versuchs, sich den Hals in der Gegend unter dem Zungenbein durchzuschneiden, aufgenommen. Sie hatte den Selbstmord versucht, um der sie verfolgenden Polizei zu entgehen, da sie von einer Schülerin ein gestohlenes Geldtäschchen genommen habe, sie habe ihre Schülerinnen teils durch Nachsicht, teils durch Härte unglücklich gemacht, ja in beiden Richtungen Todesfälle verschuldet. Sie vernahmen von ihr, daß sie keine Andacht gegen Gott besitzt, keine Liebe zu ihren Eltern, dergleichen habe sie nur oberflächlich an den Tag gelegt, sie habe sie ermorden wollen, denn sie seien durch Nachsicht an ihrer Verworfenheit schuld und würden noch erleben, daß sie aufgehängt wird. Sie sei selbst unwürdig, in das Gefängnis zu kommen, denn auch dort seien bessere Menschen als sie. Körperlich fühle sie sich ganz wohl, aber geistig wegen ihrer Niederträchtigkeit ganz unglücklich. Seit einem halben Jahr höre sie Stimmen, welche ihr laszives [schlüpfriges - wp] Zeug zurufen, das sei aber doch in ihrem Kopf entstanden, denn ein schlechter Mensch habe auch Sinnestäuschungen, die ihm zeigen, daß er nichts Gutes denken kann. Sie habe auch einmal, da sie keiner Andacht fähig ist, an einem Baum den Teufel gesehen und ihn in ihrer Schlechtigkeit anbeten wollen. Vergleichen Sie den Eindruck dieser Kranken mit dem vorangegangenen Bild von Manie, so drängt sich Ihnen ein voller Gegensatz auf, den Sie natürlich nicht nach dem Faselstandpunkt früherer Naturphilosophie als Polarität in den Naturerscheinungen auffassen werden. Die Stimmung der Kranken, die Gefühlsseite ihrer Erkrankung als Ausdruck der eigenen Wahrnehmung vom Chemismus ihrer Rindenzellen ist die traurige Verstimmung im Gegensatz zur heiteren, manischen Verstimmung. Diese Verstimmung trägt für uns den Namen Melancholie. ESQUIROL nannte sie Lypemanie, KAHLBAUM Melaena. Der wahrhafte Inhalt dieser Stimmung ist Gewissensangst. Der Mechanismus dieses Wahns liegt wieder begründet in populären Fehlschlüssen von Lebenslagen auf Stimmungen. Eine peinliche Stimmung wird dem Verbrecher im Gewissen zugeschrieben und da der Verbrecher Strafe zu erwarten hat, auch eine Angst davor. Der Traurig-Verstimmte entwickelt seinen Wahn durch eine Umkehr des volkstümlichen Fehlschlusses, denn der gesicherte Verbrecher muß gar nicht an trauriger Stimmung leiden. Der Kranke schließt aus der Stimmung auf Tatsachen. Er äußert diese wahnhafte Bewußtseinslage im Selbstanklagedelirium. Diese Unbeweglichkeit, mit welcher er auf dessen Inhalt beharrt, ist so groß wie die Beharrlichkeit, mit welcher der Manische seine Vorzüge behauptet. Seine selbstvernichtende Überzeugung steht ihm gleichsam höher als jeder freundliche Lebenseindruck, den er zurückweist. Die Selbstanklage ist der wahre Gegensatz des manischen Deliriums, doch war dieses reichhaltig durch Gedankenflucht, fortlaufende Verknüpfung von Assoziationen und Bewegungsimpulsen, wurden sie auch nicht zu Bewegungen, so lagen sie zumindest in dem manischen Gedankeninhalt als freies Spiel von Tätigkeit eingeschlossen, waren auch sehr zahlreich. Das Selbstanklagedelirium ist aber einförmig. Die melancholische Empfindung verbindet sich im Gegensatz zur Manie mit einer Hemmung des Gedankenablaufs und der Willensimpulse, welche die Bewegungen selten macht, sie verlangsamt und ein Maß der Erscheinung von Stupor [Starre - wp] in die Melancholie hineinträgt. Die Äußerungen des Manischen waren Größenwahn, die des Melancholischen sind dagegen Kleinheitswahn zu nennen. Der Kleinheitswahn hat wieder eine Kehrseite der Anschauung aus rein psychologischer Konsequenz. Wie dem Manischen im Größenwahn die anderen Menschen niederer erscheinen, so stehen sie dem Melancholischen mit dem Kleinheitswahn im selben Verhältnis höher. Die vernommene Kranke sagte Ihnen, sie sei selbst für das Gefängnis zu schlecht. Ich sah eine Melancholische vor einer ganz dürftigen Leidensgenossin niederknien, die ihr erhabener als die Kaiserin erschien und wahrscheinlich bezog sich die von GRIESINGER vernommene Äußerung "es seien Prinzen im Zimmer" auch auf den Fall echter Melancholie. Selbstanklagedelirium und Kleinheitswahn sind unmittelbare melancholische Symptome. Der Wahn aber, die Nebenvorstellung, vom Hochstehen der anderen ist ein begreiflicher psychologischer Kontrast des Kleinheitswahns und als mittelbares Symptom höchst kennzeichnend, doch nicht immer scharf ausgeprägt. Das Gleiche gilt vom Verfolgungswahn der Melancholischen, der übrigens ausschließlich nur ihre Strafbarkeit umfaßt, sich zu den furchtbarsten Voraussetzungen erhebt, gefolgert, verbrannt zu werden, aber in allem, was ihnen zu Leid geschähe, nie ein Unrecht der Anderen erblickt, sondern nur Gerechtigkeit. Ja, dieser ganze sekundäre Verfolgungswahn ist nur der beste Maßstab der Höhe der Selbstanklage, oder besser ihres Eindrucks auf den Kranken. Ein Melancholiker, der sich nur anklagt, in der Beichte eine läßliche Sünde verschwiegen zu haben, findet doch meist keine Sühne unter der Todesstrafe genügend. Auf dem Gipfel des Wahnes aber genügt ihm gar nicht mehr eine persönliche Folter und Vernichtung, er glaubt, die Seinen, die Welt müssen seiner Schuld wegen den Untergang finden. Von der Qual der Verstimmung ausgehend, hegt irgendeinmal ein Melancholiker auch den Wahn, seine Strafe müsse darin bestehen, daß er gar nicht sterben dürfe. Die Höhe dieser Qual ist wohl ausgedrückt in der ungemessenen Neigung zum Selbstmord, welche der Melancholie vielleicht vor jeder anderen Psychose innewohnt. Die Manie und die Melancholie zählen zu jenen Vorderhirnerkrankungen, denen eine anatomische Grundlage als Prozeß nicht abgewonnen wurde. Ohne anatomische Prozesse dabei auszuschließen, stelle ich sie für heute rückhaltender Weise unter die Erkrankungsgruppe von Ernährungsstörungen des Vorderhirns. Gewiß ist diese Auffassung ungenügend, denn Manie und Melancholie führen zu Blödsinn, dem sicher feinere und gröbere anatomische Veränderungen zukommen. Gerade nach einer Melancholie findet sich auch eine weitgehende Gehirnatrophie [Gehinrzellenschwund - wp]. Das Symptomenbild aber deckt sich auch mit einem Erkrankungsmechanismus ohne alle anatomische Veränderung des Vorderhirns, und dieser Mechanismus muß unter allen Bedingungen im Krankheitsprozeß eingeschlossen sein. Jedes funktionierende Organ befindet sich in einer Phase funktioneller Hyperaemie [übermäßiges Blutangebot in einem Organ oder Gewebe - wp]. Die Manie zeigt einen solchen Luxus, wenn auch anomaler, kortikaler Funktionen, daß sich die Folgerung aufdrängt, es gehe ihr eine funktionelle arterielle Gefäßerweiterung parallel. Die Melancholie zeigt aber eine Hemmung der kortikalen Aktion, einförmige Rindenbilder [Erinnerungsbilder - wp], Mangel an Bewegungsimpulsen. Diesem Funktionsmangel muß auch ein Mangel funktioneller Hyperaemie entsprechen. Was ist die funktionelle Hyperaemie für ein Vorgang? Die Physiologie gibt uns kund (HITZIG, LANDOIS, RIPPING), daß das Ausschneiden von Rindenstellen, welche das Vorderbein eines Hundes innervieren [Nervenimpulse - wp], nebst dessen Bewegungsstörung ein Steigen der Temperatur dieser Vorderpfote mit sich bringt: folglich konnte die weggenommene Rinde einen Einfluß auf die Verengung der Arterien gehabt haben. Eine Reizung der Rinde, welche z. B. vom Sitz einer Geschwulst aus iradiiert [wirkt - wp], führt eine Epilepsie, Bewußtlosigkeit, Funktionslosigkeit der Rinde herbei, iradiierende Reize der Rinde wirken also der funktionellen Hyperaemie, der Weite des arteriellen Strombettes entgegen. Die Assoziation, die Willensimpulse sind kortikale Reizerscheinungen. Die funktionelle Hyperaemie ist aber nicht von einem Reizzustand der Rinde herzuleiten, denn die Rinde ist nach dem Vorigen ein Gefäßzentrum, verengt also die Arterien. Die funktionelle Hyperaemie kann demnach nur eine Hemmungswirkung des Vorderhirns sein. GOLZ zeigt, daß sein Quakreflex gehemmt wird, wenn man das Bein des Frosches durch eine Umschnürung reizt, oft wird auch sein Umarmungsreflex gehemmt, wenn man dem Frosch Essigsäure aufpinselt. Daraus folgert er mit Recht bei einer Konfluenz [Zusammenfließen - wp] der Reflexapparate in der grauen Substanz, daß die Leistung des Zentrums umso präziser erfolgt, je weniger in ihm gleichzeitig Aufgaben erwachsen. Mehr als eine gleichzeitige Leistung hemmt die andere. Der Hirnrinde fallen zwei Leistungen zu, erstens eine Kontraktion der arteriellen Ringmuskeln, zweitens das Assoziationsspiel, in dessen Erregungszentren auch die Willensimpulse (motorische Innervationsgefühle) eingeschlossen sind. Unterstellen wir, daß eine Rindenstelle beiden Leistungen dient, dann ist die eine Leistung, die kortikale Assoziation, Gedankenbildung, Bewegungsimpuls, größer, während die andere Leistung, die Arterienverengung, kleiner wird. Daher wird das arterielle Gefäßnetz in den funktionierenden Rindengebieten und ihren Nervenbahnen weiter. Die Funktion führt die funktionelle Hyperaemie als eine Hemmungserscheinung der Gefäßinnervation mit sich. Mit der funktionellen Hyperaemie verbindet sich eine kortikale Wahrnehmung des, gleichsam durch eine Aufschwemmung von Sauerstoff veränderten Ernährungszustandes der Rindenzellen durch diese selbst. Der Ausdruck dieser apnoetischen Atmungsphase der Rindenzellen ist das Glücksgefühl, es begleitet schon physiologisch die kortikale Funktion, die geistige Arbeit. Im gegenteiligen Fall aber, während die eine Rindenleistung, die Assoziation (Gedankenfluß und Bewegungsinnervation) klein ist, wird die zweite Rindenleistung, die kortikale Gefäßinnervation, größer, die Hemmung der Verengung der Arterien, der des kortikalen Organes eingeschlossen, verschwindet, es verschwindet die funktionelle Hyperaemie. Ist die Funktion klein, so wächst die arterielle Verengung und anstelle einer apnoetischen Atmungsphase der Rindenzellen tritt eine dyspnoetische Atmungsphase [erschwerte Atmung - wp]. Diesen veränderten eigenen Ernährungszustand nehmen die Rindenzellen wahr im subjektiven Ausdruck des Mangels an Glücksgefühl in der gebundenen Stimmung, die sich zur traurigen Stimmung steigert. Der Mangel an Funktion, die geistige Unbeschäftigtheit erzeugt physiologisch eine gebundene Stimmung. Dem Mangel an Funktionshyperaemie entspricht die Hemmung der Leitungen. Ein Beispiel vom Zusammenhang der traurigen Stimmung mit einer Funktionshemmung ergibt der Todesfall einer geliebten Person. Deren Bild hing mit ungemein viel Assoziation zusammen, unsere Gesamttätigkeit nach außen, unser Wirken konnte mit ihr durch eine Unterstützung aller unserer Angriffe und Tätigkeiten bei einer Gattin, oder auch als Ziel desselben bei Kindern zusammenhängen. Dieses umfassende Rindenbild bildete gleichsam einen Knotenpunkt der Assoziation nach allen Richtungen unserer Gedankenziele. Durch seine Gegenstandslosigkeit tritt eine weitreichende Hemmung für die Auslösung und den Abschluß der Assoziationen ein. Die Funktionshemmung vereitelt die funktionelle Hyperaemie, an ihre Stelle tritt eine Enge des arteriellen Strombettes, das Vorderhirn nimmt die dyspnoetische Atmungsphase seiner Zellen als Affekt der Trauer wahr. Der lang dauernde Traueraffekt wirkt auf das allgemeine Gefäßzentrum, die Haut des Trauernden wird blaß, seine Ernährung nimmt ab. Die Manie und Melancholie sind pathologische Fälle von Höhe und Mangel der funktionellen Hyperaemie, doch gehen die entgegengesetzten Ernährungsphasen nicht physiologisch auf einer Funktionsfülle und einer Funktionshemmung hervor, vielmehr sind diese Letzeren die Folge einer pathologischen Ernährungsphase. Weil bei der Melancholie die Arterien eng sind, weil die Leistung des Kortex als Gefäßzentrum groß ist, wir die Assoziationsleistung und die der Bewegungsimpulse klein, und weil bei der Manie durch eine vasomotorische Störung die Gefäßinnervation klein ist, wird die Leistung des Assoziationsspiels und der motorischen Rindenimpulse groß durch das Zerrbild einer funktionellen Hyperaemie. Es entspricht aber keineswegs der Melancholie eine Hirnanaemie, ja, es aknn sich eher eine Stauungshyperaemie im anatomischen Hirnzustand ergeben. Es entspricht auch keineswegs eine anatomisch auffallend Hirnhyperaemie der Manie. Unter einer Gedanken- und Bewegungsflucht begünstigenden funktionellen Hyperaemie könnte auch nie eine solche verstanden werden, welche die Blutbewegung verlangsamt. Eine grobe Hirnhyperaemie erzeugt Angst und eine Funktionsschwierigkeit weit sicherer als eine heitere Verstimmung und die manischen Symptome. Was nun die Melancholie und die Manie für sich über ihr mit Mangel und Anstieg von funktioneller Hyperaemie zusammenhängendes Wesen uns nicht erklären, das gibt uns als glänzendes Beweismittel die Vereinigung beider Krankheitsbilder innerhalb der zirkulären Geistesstörung an die Hand. Diese ist eine Form des periodischen Irreseins, in welcher melancholische und maniakalische Krankheitsstadien in einem, oft höchst regelmäßigen Turnus miteinander abwechseln. Prognostisch steht es um eine einzelne Melancholie und eine einzelne Manie unsicher genug, daß ein über sechs Monate dauernder Anfall in Unheilbarkeit, in dauernden Blödsinn übergeht, ja, wie weit die Zahl dieser Ausgänge unter der Hälfte der Fälle nach echten Melancholien bleiben, ließe sich heute kaum entscheiden. Das Symptomenbild innerhalb der zirkulären Formen ist ganz das Gleiche. Vielleicht aufgrund erblicher Veranlagung einsetzend, tritt der erste Anfall von Melancholie oder Manie oft schon nahe der Kindheit auf. Die Dauer der Anfälle ist nicht immer kürzer, als die einer heilenden oder einer schon in Blödsinn übergehenden Manie oder Melancholie. Ein einzelner Anfall kann selbst eine Jahresfrist überschreiten. Das Leben bleibt ungefährdet. Es kann Einer nun während seiner Lebensdauer zwölf und mehr Anfäll von Manie und dazwischen ebensoviele von Melancholie erleiden. Erstaunlicherweise sind aber dem Kranken diese mehr als zwanzig Psychosen unschädlich geblieben, sie verschwinden wieder zur Gänze, lassen niemals Blödsinn zurück. Wenn nun in der zirkulären Form das Vorderhirn, auf dessen mehr oder weniger feinen Desorganisation der Blödsinn sich begründet, intakt bleibt, trotz der Fülle von so gefährlichen Erkrankungen, deren eine einzelne schon mit Blödsinn droht, so muss bezweifelt werden, daß das Vorderhirn dabei überhaupt anatomisch erkrankt ist und muß die Wahrscheinlichkeit erwogen werden, ob es nicht durch die Erkrankung eines anderen Hirnteils nur funktionell beeinträchtigt wird, welcher ihm die funktionelle Hyperaemie in der einen Phase der Erkrankung zu entziehen, in der anderen sie zu übertreiben geeignet wäre. Die zirkulären Formen sieht man oft unter Bedingungen allgemeinen Blutmangels entstehen, je nach den besonderen Anlässen desselben durch habituelles Nasenbluten, durch zu reichliche Menstruen. Die zirkuläre Form kann beispielsweise mit einer Manie einsetzen. Wenn das ganze Gehirn weitgehend blutarm ist, so wird in jedem Hirnteil die ihm angehörige Leistung an Stärke verlieren. Da auch das Gefäßzentrum in Hirnschenkel, Pons [Brücke zwischen Kleinhirn und Hinterhirn - wp] und Oblongata [Verbindung zwischen Mittelhirn und Rückenmark - wp] blutarm ist, so wird seine Leistung, die Verengung der Arterien, abnehmen. Die Arterien des Gesamthirns werden sich also erweitern. Diese Erweiterung wird im Assoziationsorgan die apnoetische Atmungsphase der Zellen hervorrufen mit dem subjektiven Ausdruck der heiteren Verstimmung. Die arterielle Erweiterung wird wie die funktionelle Hyperaemie wirken, erleichterte Auslösung von Gedanken und Bewegungen anregen und in deren Gefolge die Erscheinung des Größenwahns herbeiführen. Die arterielle Erweiterung, d. h. die Erschöpfung der Kontraktion, betrifft aber auch die Arterien des Gefäßzentrums selbst, z. B. im Pons. Die Leistung des Gefäßzentrums wird wie durch die funktionelle Hyperaemie wieder hergestellt. Die Manie erscheint geheilt. Eine über das Mittelmaß gehende Arterienweite im Gefäßzentrum führt aber auch noch zu einem Überreiz, welcher nach der Erholung dieses geschwächten Zentralteils zu einer anomalen Verengung dieses geschwächten Zentralteils zu einer anomalen Verengung der Arterien, einer Überleistung des Gefäßzentrums führt. Auf das Durchgangsstadium einer normalen Gehirnarterienfüllung, die parallel dem Verschwinden der manischen Krankheitssymptome ging, folgt nun das Bild, welches die Sperre der funktionellen Hyperaemie als dyspnoetische Atmungsphase der Rindenzellen, traurige Verstimmung, die Hemmungen des Gedankenablaufs und der Bewegungsbilder zur Folge hat, welchen der Kleinheitswahn parallel geht. Die vasomotorische Phase aber, welcher die Melancholie parallel ging, beruth auf einer Überreizung des Gefäßzentrums, der dessen Erschöpfung folgen muß. Diese führt neuerdings zu einem Durchgangsstadium normaler arterieller Blutspeisung des kortikalen Organs, einem zweiten Stadium der Heilung in einem viergliedrigen zirkulären Turnus. Daß nun der Turnus neu beginnt, mit einer abermaligen Manie einsetzend, begründet sich im Mangel eines dauernden Gleichgewichts der Gefäßinnervation, indem die Ermüdung der arteriellen Muskulatur über die Normalweite des arteriellen Strombettes hinaus zu einer zweiten anomalen, wie funktionellen Durchflutung der Hemisphären führt. Die obenerwähnte jedesmalige Restitution der Vorderhirnleistung zeigt uns, daß die vasomotorischen Bedingungen des gegensätzlichen physiologischen heiteren und traurigen Affektes in einer pathologischen Verlängerung auch die Bedingungen der Manie und Melancholie sind, ein wichtiges Verständnis derselben an die Hand gebend. Dabei ist, wie bemerkt, sehr möglich, daß hyperaemische Zustände des Gehirns durch eine Verlangsamung der Blutbewegung und eine Anwesenheit von Erstickungsblut bei der selbständigen Melancholie als nicht bloß funktionelle, sondern örtliche Erkrankung des Vorderhirns den Reiz für den arteriellen Gefäßdruck, die funktionelle Sperre abgeben und daß diese Hyperaemie eine anatomische Desorganisation einleitet. Man kann nicht sagen, daß diesbezüglich des zirkulären Irrsinns die Phasen arterieller Hyperaemie und ihres Mangels nur in das Gehirn hinein vorauszusetzen seien, weil parallel denselben, und man darf wohl sagen, im Zusammenhang mit ihnen, diese Phasen einer, durch vasomotorische Gegensätze abgeänderten Nutrition [Ernährung - wp] im Außenbild der zirkulär Irrsinnigen vor Augen treten und greifbar werden. - LUDWIG MEYER hat angegeben, daß die Kranken im manischen Stadium eine erhebliche Gewichtszunahme erfahren, im melancholischen Stadium dagegen eine erhebliche Gewichtsabnahme: ja, auch im Antlitz zeigen sich diese Innervationsphasen nutritiver Artals [?] als Turgor [Druckstelle - wp] mit Blutfärbung und als Kollaps mit Erblassen. Mit Recht kann man sagen, daß zwischen dem Aussehen ein und derselben Kranken im manischen und im melancholischen Stadium ein Altersunterschied von 10 - 15 Jahren zu liegen scheint und daß die melancholisch Gealterte sich im manischen Stadium wieder verjüngt. Die nutritive kortikale Funktionshebung wirkt daher hemmend auf das allgemeine subkortikale Gefäßzentrum mit Einschluß der Gesamtarterien des Körpers. Die funktionelle kortikale Hemmung dagegen wirkt wie eine Begünstigung der subkortikalen Gefäßinnervation, der allgemeinen Arterienkontraktion. Der Mechanismus der Melancholie ist zu einem vielleicht genügenden Verständnis zu bringen vom Gesichtspunkt des Kleinheitswahnes aus unter Zuhilfenahme der tatsächlichen Erscheinung der Hemmung und Vereinzelung der Assoziationen, sowie der motorischen Impulse. Die traurige Verstimmung ist ein gebundener Affekt. Fragen wir uns, was ist überhaupt der Unterschied zwischen einer Wahrnehmung und einem Affekt, zu deutsch einer Ergriffenheit? Was ist die Kennzeichnung der letzteren? Es ist klar, daß nur ein quantitativer Unterschied zwischen Wahrnehmung und Affekt, Ergriffenheit liegt. Die Finger in Wasser von 40 Grad Reaumur getaucht vermitteln die Wahrnehmung einer gewissen Wärme. Diese Temperatur erscheint dem Gefühl höher, wenn wir die ganze Hand, den Vorderarm eintauchen, also eine größere Zahl von Hautnerven erregt wird. Tauchen wir den ganzen Arm mit der Schulter ein, so beginnt die Wahrnehmung von Wärme einem Affekt, einer Ergriffenheit von Körperschmerz zu weichen, der beim weiteren Eintauchen von Körperoberfläche nicht mehr erträglich scheint. Der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Affekt war hier gleich dem Unterschied in der Zahl der erregten Nerven, ein quantitativer. Die Wahrnehmung einer menschlichen Gestalt ist eine Leistung der durch sie erregten optischen Projektionsbündel und der Assoziationsbündel, welche ihr die Form des räumlichen Kontinuums verleihen. Der Affekt, mit dem sich die Wahrnehmung einer menschlichen Gestalt umgibt, beruth auf den reichhaltigen Assoziationsbeziehungen, welche derselben durch die Erinnerungen langjährigen oder belangreichen Zusammenseins anhängt, oder einer Assoziationsfülle, die sich mit dem Rindenbild einer nicht gekannten Persönlichkeit verbindet. Der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Affekt beruth auch hier auf der Zahl von erregten Nervenelementen des Assoziationskomplexes. Die Färbung des Affekts hängt von der Beziehung der Assoziationsmassen zur Funktionshyperaemie ab. Des Freundes Anblick erfreut, sein Tod schafft Trauer, Feindes Anblick betrübt, sein Tod schafft eine funktionelle Erhöhung. Der Größenwahn einesteils und der Kleinheitswahn andernteils seind ebenfalls Unterschiede im Umfang eines sehr ausgebreiteten Assoziationsbildes, welches wir das "Ich", die Persönlichkeit, nennen. Es ist ein Sprachgebrauch im gemeinen und auch einer im sogenannten philosophischen Sinn, das "Ich" und die Außenwelt wie zwei getrennte Bezirke des Bewußtseins zu betrachten. Ich habe in den einleitenden Vorlesungen in Kürze ausgeführt, daß die räumliche Anschauung ein Assoziationsvorgang ist, bzw. sich auch Schlußprozessen aufbaut. - Ich zitiere den präzisen Satz SCHOPENHAUERs daß der Raum, in dem unser Kopf steckt, bei richtiger Erkenntnis in unserem Kopf steckt, im Gehirn. Unsere Persönlichkeit im rohen Sinn, unser äußerer Leib steckt mit dem Raum im Gehirn als ein Bestandteil der Außenwelt. Zwischen diesem Wahrnehmungsbild unserer Person und der Außenwelt ist kein Unterschied. Unser Leib ist aus Glieder- und Organmassen zusammengesetzt. Diese werden durch Projektionssystems, durch Erregungen, unter welchen auch die Innervationsgefühle der eigenen Körperbewegung einen namhaften Teil ausmachen, in unserem Kortex projiziert. Daß aber unsere Körperorgane ein Zusammenhängendes, das leibliche Ich bilden, würden wir nicht wissen, wenn nicht deren Einzelprojektionen im Kortex durch die Assoziation verknüpft wären. Die Bestandteile unseres Leibes sind für das Bewußtsein ein Ich durch den Assoziationsvorgang, durch welchen auch die Einzelbilder außerhalb von uns in einem Weltbild zusammenhängen. Wenn die Assoziation intensiv absinkt, wie im Wahnsinnszustand mit Verworrenheit, die gleichsam ein Nachlaß der Assoziationsbande ist, so schildern Kranke ein Gefühl des Auseinanderfließens ihres Körpers. Eine Kranke schilderte diesen Zustand dahin: "Sie käme sich wie eine Pomeranze vor, die in ihre Segmente auseinanderfällt." Dies ist die Schilderung einer Lösung der assoziativen Verbindung der körperlichen Einzelteile. Im Gehirnvorgang sind eben der Leib und die Außenwelt gar keine unterschiedlichen Wahrnehmungen. Es wird uns dienlich sein, das Ich seiner Entwicklung nach künstlich in zwei Kreise zu scheiden, das primäre Ich, unser kindliches Ich und das sekundäre Ich, welches sich gleichsam an dasselbe später mit hinzuentwickelt, durch Assoziation sich ihm angliedert. Die Abwehrakte und aggressiven Akte des Kindes sind auf die Verteidigung des Zusammenhangs einer Persönlichkeit gerichtet, deren Grenzen uns durch die Oberhaut gegeben sind. Sättigungsgefühl, Bewegungsfreude sind bei den stumpfen, unräumlichen, anfänglichen Sinneseindrücken die ganzen Motive der kindlichen Aggression, des Angriffs auf die Außenwelt und ihr Gegenteil der Inhalt der kindlichen Repulsion, der Abwehr. Die Entwicklung der Sinnesanschauung fügt äußere Gegenstände hinzu und anfänglich ist anzunehmen, daß die Körpergefühle und die Wahrnehmung der Außenwelt ein verschwommenes, recht unklar geschiedenes Assoziationsbild sind, welches allmählich, wie WUNDT und ich ausführten, die eigene Person durch Kennzeichen unterscheiden läßt. Als solche Kennzeichen unterscheidet sich die Kontinuität des gleichartigen Zuflusses von Wahrnehmungen des eigenen Leibes gegenüber dem wechselnden, unterbrochenen Zufluß von Wahrnehmungen außer ihm. Die Berührung äußerer Dinge veranlaßt nur ein Gefühl, das im tastenden Organ sitzt, die des eigenen Leibes zwei Berührungsgefühle, das der betastenden Oberfläche zu dem der tastenden. Das sichtbare Bewegungsspiel der Dinge wird mit den Augen gesehen, das Bewegungsspiel der eigenen Glieder ist aber dazu noch mit Innervationsgefühlen verknüpft. Nur der Klang der eigenen Stimme verbindet sich mit Innervationsgefühlen in Kopf, Hals und Brust, im Gegensatz zu allen außen entstandenen Schalleindrücken und schließlich verbindet sich die Verletzung des eigenen Leibes mit Schmerz. Dieses einfache Ich erweitert sich, indem es Dinge der Benützung und hilfreiche Personen in den Bezirk seiner Aggression und der begleitenden aggressiven Affekte einbezieht, indem es seine Trennung von ihnen mit Abwehraffekten verbindet, sowie die Trennung des Zusammenhanges des primären Ich im Weichbild der Epidermis [Oberhaut - wp]. Glänzende, bunte, schallende Wahrnehmung erregt sowohl Aggression, wie auch jene heitere Stimmung, wie Sättigungsgefühl und Bewegungsspiel des Körpers. Die Assoziation erweitert das enge, primäre Ich durch Gegenstände der Außenwelt. Geliebte Personen, anziehender Besitz, sehr zusammengesetzte Massen von Rindenbildern, Leistungen die wir Pflicht nennen, Umgebungen, die wir Vaterland nennen, Personenmassen, die wir Volk, Menschheit nennen, wobei wir die Sammelnamen (Begriffe) für die, einen solchen Inhalt nie umfassende Wahrnehmung setzen, werden in solcher Weise mit dem primären Ich assoziiert, daß Aggression und Repulsion unserer Gefühle, Angriff und Abwehr unserer Handlungen mit diesen Bildern außerhalb unserer Leibesgrenzen in dieselben Beziehungen treten, daß wir ihren Bestand verteidigen, ihre Verbindung mit uns, gleich jener der Leibesglieder unzerrissen zu erhalten suchen. Die Intensität der Beziehung unseres Bewußtseins und Handelns zu den mit Affekten assoziierten Personen, Gütern, Idealen kann an Intensität sogar die Beziehungen zu unserem primären Ich übertreffen. Wir suchen diese Angliederungen des Ich zu erhalten und geben unser primäres Ich um ihretwillen selbst der Vernichtung preis. Unser primäres Ich kann bestehen, ja sich entwickeln auch bei einem Defekt von Körpergliedern und von Sinnesorganen, armlos, blind und taub, und besteht dann aus den Assoziationen der restlichen Bestandteile der Körperorganisation. Das erweiterte, sekundäre Ich braucht hinwieder gar keine Grenzen zu kennen, es assoziiert sich selbst die kosmischen Körper als Wohnstätten eines vorausgesetzten künftigen Aufenthalts. Das sekundäre Ich ist als ein erweitertes Assoziationsphänomen nicht vom primären zu trennen, weil es sich gemeinsam um Gegenstände des Weltbildes handelt, die mit Affekten verbunden sind. Die Zahl der Geldstücke des Geizigen sind eine Erweiterung seines sekundären Ichs, der Affekt, mit dem er sie verteidigt, ist vielleicht wirksamer, als der, unter dem er eine Phalanx [Glied - wp] des kleines Fingers hergäbe. Wir unterscheiden also in unserem persönlichen Gehirnbild einen engeren und einen weiteren Assoziationskomplex, der erst zusammengenommen alle feststehenden Bestandteile unseres Bewußtseins, unseres Ichs ausmacht. Der funktionelle Zusammenhang dieses individuell ungemein abwechselnden Assoziationsphänomens ist durch die anatomischen Assoziationsbündel gegeben. Durch einen Ausfall der Assoziationen zerfällt das Ich, durch deren Hemmung verengt es sich. Der Größenwahn ist das durch eine krankhafte Leistung der Assoziationen erweiterte, der Kleinheitswahn das durch die krankhaft verminderte Leistung, durch eine Hemmung der Assoziation verengte sekundäre "Ich". Die Melancholie schließt keine Einschränkung des Gedächtnisses, keinen Rückgang in der Erinnerung für den Wert der Erscheinungen ein. Das ganze unverstümmelte Weltbild ist bloß außer Zusammenhang zur Persönlichkeit gesetzt. Es ist ein Mangel der Einwirkungen, welche die Erscheinungen der Welt auf die Persönlichkeit machen sollten. Ganz im Gegensatz zum Beachtungswahn anderer psychischer Krankheitsformen, in welchen der Kranke alles auf sich bezieht, vermag der Melancholiker eben nicht, sich auf die äußeren Erscheinungen zu beziehen. Weil diese Beziehungen mittels der leichten und reichhaltigen physiologischen Auslösbarkeit von Erregung in zahllosen Hirnelementen Affekte einschließen, welche Affekte ihm als Menschenliebe, Gattenliebe, Kinderliebe, Gottesliebe erscheinen, so erscheint er sich, bar dieser edlen Affekte des sekundären Ich als ein verwerflicher und strafbarer Mensch. Auch die leblosen Beziehungen, seine Tätigkeiten, seine Neigungen zu ästhetischen Dingen, sein Besitz, früher mit seinem Ich innig assoziierte Vorkommnisse seines Lebens erscheinen wie abgeschnürt, wie losgerissen von ihm, er ist schlecht, denn er hat für niemanden ein Gefühl, er ist gottlos, denn er vermag nicht andächtig zu sein, sein Besitz ist nicht sein, er ist verarmt, er nimmt die Welt wahr, aber er empfindet sie nicht, er bezweifelt ihre Bestandsfähigkeit. So selten Zitate in einer wirklichen Beziehung zu unserem Gegenstand stehen, so kann man doch die gänzliche Abschnürung des Melancholikers von allen Verbindungen, die das "Ich" bereichern und seine Gefühle wertvoll machen, in den Worten BYRONs wiedergegeben finden: ![]() Der Schwermut ist ein fürchterlich Geschenk. Was ist er anders als der Wahrheit Sehrohr, Das uns'rer Träumereien Ferne kürzt, Das Leben in der nacktesten der Blößen, Und kalte Wirklichkeit zu furchtbar zeigt." Ich habe in meinem Lehrbuch der Psychiatrie (Seite 281) die Reizerscheinungen der Melancholie, die traurige Verstimmung, das Selbstanklagedelirium, den Kleinheitswahn in das kortikale Organ verlegt. Diese Erscheinungen als kortikale Symptome aufzufassen, liegt schon darum ein positiver Grund vor, sofern das Ausfallssymptom, die Hemmung doch in eine funktionelle oder tiefere Veränderung der kortikalen Assoziationssysteme verlegt werden muß und weil die Veränderung, welche der Melancholische im Gegensatz zu dem ihm erinnerlichen gesunden Zustand empfindet, nur als eine Veränderung des Ich empfunden wird. Ihn beeinflußt nur seine eigene Veränderung, keine Einflüsse der Außenwelt. Subkortikale Reize sind bei Geisteskrankheiten dann im Spiel und die lokalisierende Diagnose ist dann auf Vorgänge in subkortikalen Organen zu richten, wenn der Kranke Einflüsse empfindet, die von der Außenwelt und die von seinem Körper ausgehen, denn auch der eigene Leib ist Außenwelt. Die Vereinigung der Körperorgane zum primärsten "Ich" ist schon das Phänomen ihrer Assoziation im Bewußtsein, schon dies ist ein kortikaler Vorgang, die Erweiterung des Ich zum sekundären, ist ein noch ausgreifenderes kortikales Assoziationsphänomen. Das gesamte Bewußtseinsbild, welches das Ich einschließt, ist allerdings ein der äußeren Wahrnehmung ganz unähnlicher, mittelbarer Bewußtseinsvorgang. Die Rindenbilder oder Erinnerungsbilder sind Folgen der äußeren Eindrücke, sie tragen aber von den sinnlichen Färbungen der Empfindungen, mit denen die Außenwelt sie ausstattete, nichts an sich. Sie tragen durchaus nicht, wie bei einer unklaren Erwägung vorausgesetzt werden könnte, einen noch so verblaßt halluzinatorischen Inhalt in sich. Das Ich, das Bewußtsein eines Assoziationsvorgangs, schließt nur Beziehungen zu den Wahrnehmungen, nichts von den Wahrnehmungen selbst in sich. Subjektive Wahrnehmungen werden auf die Außenwelt, nicht auf das Ich bezogen. Ein Halluzinierender glaubt, sein Halluzinationsbild liege außerhalb seines Kopfes, weil die Leitung der Sinneseindrücke im Erregungsvorgang durch Leitungsbahnen und Zentren hindurchgeht, die an den Sinnesoberflächen beginnen. Unterhalb der Leitungsbahnen des kortikalen Organs erregen die Empfindungsreize bestimmte subkortikale Zentren, HAGENs Sinneshirn. Die Leitung schreitet gleichsam stationenweise fort, z. B. der optische Eindruck gelangt von den Zellen der Retina zum Sehnerven, in das optische Basalganglion, den äußeren Kniehöcher, die oberen Zweihügel, die Thalamus opticus, in die Wand des Aquae ductus Sylvii. Diese subkortikalen Zentren geben der Empfindungsleitung gleichsam Wegsignale, Empfindungszeichen von der Bahn mit, der entlang sie verliefen. Die Reizung jeder einzelnen Station der Leitung wird mit einem Fehlschluß so empfunden, als wäre die ganze Leitungsstrecke bis zur Außenwelt in Tätigkeit, oder richtiger von der Außenwelt her, in der Reihenfolge, wie sich die zentralen Lokalzeichen zugesellen. Wenn ein Amputierter durch eine Reizung der Stämme seiner Empfindungsnerven im Stumpf Schmerzen empfindet, so glaubt er die ganze Verzweigung der Nervenstämme bis an die Oberfläche des Körpers noch in Tätigkeit, er meint die Zehen des amputierten Fußes schmerzen ihn. Der Fehlschluß ist dadurch begründet, daß die Erfahrung ihn die Reize immer an die Körperoberfläche versetzen lehrte. Ebenso urteilt Einer über neuralgische Schmerzen, die bei Tabes [Neurosyphillis - wp] durch den Untergang des zentralen Verlaufs einer hinteren Wurzel erregt werden. Erregungen der subkortikalen Sehzentren werden in die Außenwelt projiziert und geben Gesichtshalluzinationen, ebenso werden zentrale hypochondrische Sensationen in die peripheren Oberflächen und das Parenchym [organspezifisches Gewebe - wp] der Eingeweide verlegt. Alle auf Einflüsse der Außenwelt bezogenen Wahnideen tragen den Stempel subkortikaler Reize an sich, denn subkortikale Empfindungssignale bezeichnen die Leitungsbahn der Wahrnehmungen und rufen den Fehlschluß der sogenannten exzentrischen Projektion hervor. Kommen nun auch Halluzinationen bei Melancholischen vor, so sind sie doch keineswegs die Melancholie, sondern ein komplizierendes Symptom, wie Schwindel oder Kopfschmerz. Die Symptome der Melancholie weisen in keiner Art auf subkortikale Herde ihrer Entstehung hin. Die Wahrnehmung der veränderten Nutritionsphase des kortikalen Organs und die Leitungshemmung der Assoziationen wird vom Bewußtsein nur als ein innerer Vorgang, nicht als ein äußerer Vorgang wahrgenommen, was einzig der kortikalen Lokalisation entspricht. Die Hirnrinde ist blind, taub, fühllos, lahm, alle Nachricht von der Welt kommt ihr mittelbar durch das Sinnenhirn, das auch nach ihrer Exstirpation [Entfernung - wp] noch empfindet. Die Hirnrinde vernimmt immer nur den Boten, und wenn sie den Boten vernimmt, glaubt sie an eine Nachricht, auch wenn dieser nichts vernommen hat, wie in der Halluzination. Aber sie verbindet, sie ist der Assoziationsherd, der Ichbildende Herd und die reinen Veränderungen des Ich sind ein reiner Bindenvorgang. Differenzialdiagnostisch sind von der Melancholie alle die psychischen Veränderungen zu unterscheiden, mit denen sie zusammengeworfen wird. Erstens kann Melancholie bei Affektwirkungen mit einem physiologischen Traueraffect verwechselt werden. Derselbe hat bei einem Verlust von Personen und selbst von Gütern sogar eine innere Verwandtschaft mit dem Mechanismus des Kleinheitswahns. Die Verluste betreffen ja tatsächlich Bestandteile des sekundären, des erweiterten Ich, das Gefühl einer physiologischen Verengung des Ich ist im Traueraffekt eingeschlossen. Aber hauptsächlich die bessere Möglichkeit der Ablenkung der Stimmungen, der Gedanken durch freundliche Eindrücke und meist, wenn auch nicht ausnahmslos, die physiologische Reflexsteigerung, das Weinen, das bei Melancholischen selten, bei einem physiologischen Affekt sehr häufig ist, lassen und Affekt und Erkrankung differenzieren. Eine absolute Differenz läßt sich nicht aufstellen, daß ja der Affekt gleich der Melancholie in die allgemeine Innervation und Ernährung eingreifend, nicht streng außerhalb eines Krankheitsbildes steht, ja auch einen Selbstmord nach sich zieht. Zweitens: die Neurasthenie und die in ihr eingeschlossene Pathophobie, Hypochondrie im engeren Sinne. JOLLY ist übrigens ganz berechtigt, das indifferente Wort Hypochondrie überhaupt für Neurasthenie zu setzen. Sie ist eine Verstimmung, aber nicht die melancholische. Sie wird ja gerade charakteristisch auf die Außenwelt, nämlich auf den Körper und seine Organe bezogen, deren Empfindungsleitung durch bestimmte subkortikale Zentren Signale erhält, vor allem die des verlängerten Markes. Das Angstgefühl, welches die Furcht vor dem Aufhören des Lebens in sich schließt, ist von der kortikalen Gewissensangst des Melancholikers ganz verschieden. Unter den an Neurasthenikern zu beobachtenden Erscheinungen bieten einzig die auf Angst basierenden Zwangsvorstellungen, etwas Schreckliches verüben zu müssen, einen Vergleichspunkt mit der Melancholie, wenn etwa eine Gattin glaubt, sie könne ihren Mann und ihre Kinder ermorden. Dieser Angstvorgang schließt aber gar keine Selbstanklage ein. Der Kranke weiß, daß seine ganze Gesinnung der Untat widerspricht; er sieht in dieser Vorstellung etwas mit ihm gar nicht Zusammenhängendes, rätselhaft in ihn hinein Gezwungenes. Sein Gefühl dabei bleibt die Angst vor der Begebenheit. Eine Selbstanklage, Kleinheitswahn verbindet sich nicht damit. Wenn ein Amputierter durch eine Reizung der Stämme seiner Empfindungsnerven im Stumpf Schmerzen empfindet, so glaubt er die ganze Verzweigung der Nervenstämme bis an die Oberfläche des Körpers noch in Tätigkeit, er meint die Zehen des amputierten Fußes schmerzen ihn. Der Fehlschluß ist dadurch begründet, daß die Erfahrung ihn die Reize immer an die Körperoberfläche versetzen lehrte. Drittens werden Formen von Amentia (Verwirrtheit), allgemeiner Wahnsinn mit der Melancholie verwechselt. Derselbe kann unbezweifelt mit heftigen Angstgefühlen, sowie auch mit Äußerungen hypochondrischer Wahnideen verbunden sein. Daß Letztere die Melancholie nichts angehen, wurde eben gesagt. Die Angstgefühle führen zu tobsüchtigen Abwehr- und Angriffsbewegungen, die fern ab von der Melancholie stehen. Der allgemeine Wahnsinn aber zeigt außer solchen Reizsymptomen als eigentlich charakterisierendes Ausfallssymptom die Verwirrtheit, die Zusammenhanglosigkeit in den Äußerungen und Akten. Auf den Nachweis der Verwirrtheit kommt es für eine Diagnose an und dieses Fundamentalsymptom schützt vor Verwechslungen mit der Melancholie. Nur eine Form des akuten Wahnsinns muß von Melancholie differenziert werden, der Stupor, die Regungslosigkeit, der nicht selten mit der kataleptischen Bewegungsphase verbunden ist. Man hat den Stupor Melancholie mit Stumpfsinn genannt. Symptomatisch ist der Stupor mit der melancholischen Hemmung gleich, daß aber der Stupor, wie SPIELMANN sagte, ein Angstgefühl und zwar stets ein solches über der mittleren Höhe einschließt, ist ganz irrig. WESTPHAL bemerkte, daß die Stuporösen lächeln, wie im Hintergrund von einer manischen Verstimmung beherrscht. Die sogenannte Katatonie KAHLBAUMs bei, im Hintergrund spielenden verworrenen Größenwahn, einer nur unter Hemmungen sich äußernden heiteren Verstimmung zeigt, daß auch der Stupor minderen Grades keineswegs mit einer traurigen Verstimmung verbunden sein muß. Genesene Stuporöse sagen aus, daß der äußeren Regungslosigkeit eine ebensolche innere Herabminderung im Gedankenablauf und Bewegungsbildern entsprach, daß sehr wenig in ihnen vorging und kein Angstgefühl vorhanden war. Nur unter dem Einfluß einer traurigen Verstimmung, die nicht das subkortikale Angstgefühl ist, begründet eine Hemmung den Kleinheitswahn. Der Melancholiker geht keineswegs in der Hemmung auf, er macht sie sich zum Vorwurf, seine Trägheit wird mit zum Gegenstand der Selbstanklage. Zwischen beiden herrscht ein Unterschied wie zwischen einem Gebundenen und einem Gelähmten. Der Eine fühlt Impulse ohne Ausführung, der Andere nicht. Wenn es gelingt, von Stuporösen spärliche Antworten zu erhalten, so sind sie nie eine Bejahung der Frage, ob die Kranken Gewissensangst fühlen oder sich anklagen. Viertens: Die Paranoia, der partielle Wahnsinn wird als Verfolgungswahn mit Melancholie verwechselt. Bei der Paranoia ist, abgesehen von der Angst und einer peinlichen Reizbarkeit, die traurige Verstimmung sekundär, gleichsam eine psychologische Konsequenz, sowie der in der Strafbarkeit eingeschlossene Verfolgungswahn des Melancholikers innerhalb des Verständnisses der Melancholie als ein sekundärer Gedankengang erschien. Der partielle Wahnsinn hat in der überwiegendsten Zahl der Fälle einen sehr klaren, immer aber einen von der Melancholie ganz entfernten Bildungsmechanismus. Durch hypochondrische Sensationen steht der Organismus als das primäre Ich fortwährend im Bewußtsein, und weil gleichzeitig Wahrnehmungen gemacht werden, wird dieses fühlbarere Ich zu den objektiven Wahrnehmungen immerwährend assoziiert. Das Wahrgenommene bezieht sich auf das Ich, es tritt das Phänomen des Aufsichbeziehens auf, der Beachtungswahn. Der Melancholiker aber bezieht nichts fälschlich auf sich, außer im Sinn einer gerechten Kundgebung von Verachtung und gerechter Strafandrohung. Aus dem Beachtungswahn geht der Verfolgungswahn des partiellen Wahnsinns hervor, aber bei einem Mangel an Angstgefühlen meist gepaart mit dem Größenwahn. Verwechslungen können nur aus prinzipienlosen Fragestellungen hervorgehen, und keiner meiner aufmerksamen, wenn auch nur kurz mit dem Gegenstand vertrauten Hörer wird gegenüber dem positiven Symptomen der Melancholie eine solche begehen können. Die anderen Formen des partiellen Wahnsinns, wie die originäre oder die Fälle, in welchen die Kranken schlechthin fabulieren, geben gar keinen Anlaß zur Differenzierung von Melancholie. ![]() |