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ALOIS RIEHL
Helmholtz in seinem Verhältnis zu Kant

"Die Auffassung der Philosophie als Lehre von den Wissensquellen kehrt in den Schriften von Helmholtz immer wieder, ebenso die Unterscheidung der Philosophie von der Metaphysik. Nichts schien ihm der Philosophie so verhängnisvoll geworden zu sein, als ihre immer wiederholte Verwechslung mit der Metaphysik."

"Von den allgemeinen Naturbegriffen aber, die allein aus dem Faktum, daß es überhaupt bestimmte, nicht durch unsere Selbsttätigkeit hervorgebrachte Wahrnehmungen gibt, erschlossen sind, wird erklärt, daß sie und ihre Folgerungen aller Naturanschauung zugrunde liegen und ohne sie keine gedacht werden kann, daß sie also die  allgemeine und notwendige Form  der Naturanschauung sind, daher auch die Gewißheit ihrer Sätze absolut ist. - Diese Sätze sind, wie man sieht, Kants Grundsätze der Erfahrung."

"Man kann nicht die  Modalität  eines Sinnes für ausschließlich subjektiv erklären und zugleich jede einzelne Qualität als auch von der Form des äußeren Reizes abhängig denken. Denn die Modalität ist ein Abstraktum. Es gibt kein Sehen überhaupt, sondern nur das Sehen dieser oder jener bestimmten Helligkeit, dieser oder jener bestimmten Farbe, - kein Hören, das nicht das Hören eines bestimmten Geräusches oder eines Tones von bestimmter Höhe wäre. Sind also die Qualitäten durch die Beschaffenheit des Reizes mitbedingt, so muß es auch ihre Summe: die Modalität sein."


Bei der Feier zu KANTs Gedächtnis darf HELMHOLTZ nicht vergessen werden. Er war der Erste, der es aussprach, daß KANTs Ideen noch leben. Der Vortrag, in welchem diese Worte sich finden - er handelt über das Sehen des Menschen - stammt aus dem Jahr 1855. Eine ältere Rede von WEISSE (über die Frage, in welchem Sinn sich die deutsche Philosophie wieder an KANT zu orientieren habe,) konnte keinen Eindruck machen und der Erfolg, den SCHOPENHAUER hatte, der sich selbst zum Thronerben KANTs proklamierte, fällt ungefähr gleichzeitig mit dem Vortrag von HELMHOLTZ. KANT blieb eine Zeit lang der "Mann der Physiologen"; man brachte die Lehre von den apriorischen Formen der Erfahrung in Verbindung mit den Fortschritten der Physiologie der Sinne. Allein, nicht in dieser, durch HELMHOLTZ begründeten physiologischen Auffassung KANTs, welche, wie wie heute erkennen, den Gesichtspunkten der transzendentalen Methode unangemessen ist, liegt für uns das eigentliche Verdienst des großen Naturforschers; wir erblicken es vielmehr darin, daß HELMHOLTZ überhaupt auf KANT aufmerksam gemacht und so die durch die spekulativen Systeme von SCHELLING und HEGEL unterbrochene Verbindung zwischen Philosophie und Wissenschaft wieder angeknüpft hat. "Die prinzipielle Spaltung, welche jetzt Philosophie und Naturwissenschaften trennt, schreibt er 1855, bestand noch nicht zu KANTs Zeiten. KANT stand in Bezug auf die Naturwissenschaften mit den Naturfoschern auf genau denselben Grundlagen, - wie am besten seine eigenen naturwissenschaftlichen Arbeiten zeigen." Auch der physiologischen Auffassung der kritischen Lehren soll übrigens ein bedingter Wert nicht abgesprochen werden, bildet sie doch für den Noch-Außenstehenden den bequemsten Zugang zum Werk KANTs. SCHOPENHAUER hat sie durch die ihm eigene lichtvolle Darstellung populär gemacht und auch ALBERT LANGE in dem viel gelesenen Buch: Die Geschichte des Materialismus teilt ihren Standpunkt.

Das Interesse für erkenntnistheoretische Fragen hat HELMHOLTZ durch sein ganzes wissenschaftliches Leben hindurch begleitet. Wie frühe es ihm aber eingeprägt wurde - schon im Vaterhaus -, und wie sehr es ihn beschäftigte, so daß er sogar finden konnte, das viele Philosophieren mache zuletzt die Gedanken lax und vage und er müsse sie erst wieder einmal durch das Experiment und durch Mathematik disziplinieren, haben wir erst aus dem biographischen Werk von KOENIGSBERGER, diesem Denkmal bewundernder Freundschaft, erfahren. In brieflichen Stellen und selbst größeren, zusammenhängenden Aufzeichnungen bringt dieses Werk neues Material für das genauere Verständnis der Beziehungen, die HELMHOLTZ zur Philosophie hatte, und auch die folgende Darstellung muß daraus schöpfen.

Die ersten philosophischen Anregungen empfing HELMHOLTZ von seinem Vater. Dieser hatte in Berlin FICHTE gehört und wäre, da er für die Philosophie ebenso starke Neigung wie entschiedene Begabung besaß, am liebsten selbst Philosoph geworden, mußte sich aber der Philologie zuwenden und wirkte als Lehrer am Gymnasium in Potsdam. Er blieb Anhänger der Lehre FICHTEs, in ihrer zweiten, reiferen Gestalt, und der Sohn konnte ihn oft mit Kollegen, die HEGEL oder auch KANT vertraten, streiten hören. Irre ich nicht, so haben wir es dem Eindruck dieser Debatten zuzuschreiben, daß HELMHOLTZ von seinem Verwerfungsurteil gegen die nachkantische Philosophie FICHTE stets ausgenommen hat; er fügt freilich hinzu, soweit er ihn verstanden habe. FICHTEs Nicht-Ich z. B. erschien ihm noch zuletzt als der "ganz zutreffende negative Ausdruck für die Beobachtungstatsache, daß der Kreis der uns zur Zeit wahrnehmbaren Gegenstände nicht durch einen  bewußten  Akt unseres Vorstellens oder Willens gesetzt ist." - FICHTE konnte in einen Gegensatz gegen die Naturwissenschaften nicht geraten; aus dem einfachen Grund, weil er sich gar nicht mit ihnen berührte.

Das Studium KANTs begann HELMHOLTZ mit siebzehn Jahen, als er Eleve des Friedrich-Wilhelms-Institutes geworden war; er setzte es fort, als er, im zweiten Semester, bei JOHANNES MÜLLER Physiologie hörte und aus dieser gleichzeitigen Beschäftigung mit den Lehren des Philosophen und des Physiologen muß schon damals die Verbindung hervorgegangen sein, die seine Auffassung KANTs dauernd bestimmt hat, die Verbindung der kantischen Philosophie mit der Physiologie der Sinne. Neben KANT tritt unmittelbar JOHANNES MÜLLER. Wie dieser "in den Sinneswahrnehmungen den Einfluß der besonderen Tätigkeit der Organe nachwies", so habe KANT nachgewiesen, "was in unseren Vorstellungen von den besonderen und eigentümlichen Gesetzen des denkenden Geistes herrührt." Die Folgen dieser Auffassung haben wir noch zu prüfen. Die kritische Untersuchung der Erkenntnis, der Nachweis der Bedingungen und der Grenzen ihrer objektiven Gültigkeit, verwandelt sich durch sie in eine nativistische Theorie des Ursprungs unserer Vorstellungen, wie das in Bezug auf die Raumvorstellung durch JOHANNES MÜLLER geschah; und je mehr HELMHOLTZ selbst zu der entgegengesetzten Seite neigte, je konsequenter und ausschließlicher er in der empiristischen Richtung fortging, umso weiter glaubte er sich damit allein schon von KANT entfernen zu müssen. Sein Verhältnis zu KANT hat eine Entwicklung, die mit dieser Abwendung vom Nativismus Schritt hält.

In  einem  aber blieb er Anhänger KANTs, in der Ablehnung jeder transzendenten Metaphysik und der damit in Zusammenhang stehenden Begrenzung der Aufgabe der theoretischen Philosophie. "Kants Philosophie, äußert er im Vortrag über das Sehen des Menschen, beabsichtigte nicht, die Zahl unserer Kenntnisse durch das reine Denken zu vermehren, denn ihr oberster Satz war, daß alle Erkenntnis der Wirklichkeit aus der Erfahrung geschöpft werden müsse; sondern sie beabsichtigte nur, die Quellen unseres Wissens und den Grad seiner Berechtigung zu untersuchen, ein Geschäft, fügt HELMHOLTZ mit Nachdruck hinzu, welches für immer der Philosophie verbleiben wird und dem sich kein Zeitalter ungestraft wird entziehen können." Beinahe wörtlich damit übereinstimmend heißt es in der Rede von 1862: über das Verhältnis der Naturwissenschaften zur Gesamtheit der Wissenschaften: "Kants kritische Philosophie ging nur darauf aus, die Quellen und die Berechtigung unseres Wissens zu prüfen und den einzelnen übrigen Wissenschaften gegenüber den Maßstab für ihre geistige Arbeit aufzustellen. Ein Satz, der a priori durch reines Denken gefunden war, konnte nach seiner Lehre immer nur eine Regel für die Methode des Denkens sein, aber keinen positigen und realen Inhalt haben." Wir werden an Aussprüche in der Kritik der reinen Vernunft erinnert, die diesen Sätzen von HELMHOLTZ zur Bestätigung dienen mögen. "In dem bloßen Begriff eines Dings, erklärt KANT, kann gar kein Charakter seines Daseins angetroffen werden. Denn daß der Begriff vor der Wahrnehmung vorhergeht, bedeutet dessen bloße Möglichkeit, die Wahrnehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergibt, ist der einzige Charakter der Wirklichkeit. Fangen wir nicht von der Erfahrung an oder gehen wir nicht den Gesetzen des empirischen Zusammenhangs der Erscheinungen nach, so machen wir uns vergeblich Staat, das Dasein irgendeines Dings erraten oder erforschen zu wollen." - Erst die "Identitätsphilosophie" SCHELLINGs und HEGELs hat den "gesunden Standpunkt von Kant" verlassen und es ist von Interesse das Urteil zu vernehmen, das HELMHOLTZ in der genannten Schrift gegen sie richtet. Diese Philosophie, welche jeden, nicht aus dem Geist stammenden Inhalt der Erkenntnis leugnete, "ging von der Hypothese aus, daß auch die wirkliche Welt, die Natur und das Menschenleben, das Resultat des Denkens eines schöpferischen Geistes sei, welcher Geist seinem Wesen nach als dem menschlichen gleichartig betrachtet wurde." So mußte sie darauf ausgehen, die wesentlichen Resultate der übrigen Wissenschaften a priori zu konstruieren, - "neue aber konnte sie nicht ableiten". Mit Recht sieht nun HELMHOLTZ das entscheidende Prüfungsmittel für die Richtigkeit jener Hypothese nicht in der mehr oder weniger gelungenen Konstruktioni der Hauptergebnisse der Geisteswissenschaften, in Gebieten also, wo wir mit Tätigkeitsäußerungen des menschlichen Geistes zu tun haben, sondern in den Tatsachen der äußeren Natur. Ist die Natur das Resultat eines Denkprozesses, so mußten sich mindestens ihre einfacheren Formen und Vorgänge dem System einordnen lassen. "Aber hier gerade scheiterten die Anstrengungen der Identitätsphilosophie". Und damit schient die Philosophie selbst gescheitert zu sein. "Sie hatte alles in Anspruch nehmen wollen, jetzt war man kaum noch geneigt, ihr einzuräumen, was ihr wohl mit Recht zukommen möchte, das Mißtrauen gegen ihre jüngsten System wurde auf die ganze Wissenschaft übertragen. HELMHOLTZ aber warnte die Naturforscher davor, mit den ungerechtfertigten Ansprüchen, welche die Identitätsphilosophie erhob, nicht auch die berechtigten Ansprüche der Philosophie überhaupt über Bord zu werfen, die Ansprüche nämlich, wie er wiederholt, die Kritik der Erkenntnisquellen auzuüben und den Maßstab der geistigen Arbeit festzustellen.

Die Auffassung der Philosophie "als Lehre von den Wissensquellen, wie sie in einem Schreiben aus dem Jahr 1856 genannt wird, kehrt in den Schriften von HELMHOLTZ immer wieder, ebenso die Unterscheidung der Philosophie von der Metaphysik. Nichts schien ihm der Philosophie so verhängnisvoll geworden zu sein, als ihre immer wiederholte Verwechslung mit der Metaphysik; wir werden ihm hierin Recht geben müssen; denn er beschränkt den Namen der Metaphysik auf "diejenige vermeintliche Wissenschaft, deren Zweck es ist, durch reines Denken Aufschlüsse über die letzten Prinzipien des Zusammenhangs der Welt zu gewinnen." Der Prozeß gegen diese Metaphysik ist ausgetragen und die Akten desselben sind in der Kritik der reinen Vernunft niedergelegt - "zu Verhütung künftiger Irrungen ähnlicher Art". Es gibt eine Metaphysik auch in der Naturwissenschaft. HELMHOLTZ aber war weit entfernt, materialistischen Anschauungen zu huldigen; er redet gelegentlich, in einem Brief an seinen Vater, "von den trivialen Tiraden von VOGT und MOLESCHOTT" und tadelt, bei einem anderen Anlaß, wenn Naturforscher, "die sich am meisten in der Aufklärung fortgeschritten zu sein dünken", aus den überlieferten Formen der Begriffe der Materie, der Kraft, der Atome "neue metaphysische Stichworte" machen. Was wir erreichen können, lautet ein Satz von ihm, ist die Kenntnis der gesetzlichen Ordnung im Reich des Wirklichen, - dargestellt im Zeichensystem unserer Sinneseindrücke.

In der größten Annäherung an Kant treffen wir HELMHOLTZ in einem Entwurf, der der Abhandlung "über die Erhaltung der Kraft" voranging und die Umrisse seiner frühesten Philosophie bringt. Sogar der Ausdruck "reine Naturwissenschaft" wird hier gebraucht, jedoch in der Mehrzahl, weil HELMHOLTZ auch Zeitlehre und Geometrie zu den "allgemeinen oder reinen Naturwissenschaften" zählt. Es wird eine doppelte Aufgabe der Naturforschung unterschieden: die geordnete Übersicht des Empirischen - Naturbeschreibung - und die wissenschaftliche Physik, welche die Begriffe sucht, aus denen sich die einzelnen bestimmten Wahrnehmungen ableiten lassen, also das Wirkliche zu verstehen hat. Von den allgemeinen Naturbegriffen aber, die allein aus dem Faktum, daß es überhaupt bestimmte, nicht durch unsere Selbsttätigkeit hervorgebrachte Wahrnehmungen gibt, erschlossen sind, wird erklärt, daß sie und ihre Folgerungen aller Naturanschauung zugrunde liegen und ohne sie keine gedacht werden kann, daß sie also die "allgemeine und notwendige Form" der Naturanschauung sind, daher auch die Gewißheit ihrer Sätze absolut ist. - Diese Sätze sind, wie man sieht, KANTs Grundsätze der Erfahrung. - Jene Begriffe, fährt HELMHOLTZ fort, dürfen ferner nicht die Möglichkeit irgendeiner empirischen Kombinatioin der Wahrnehmungen beschränken, d. h. es darf aus ihnen durchaus kein empirisches Faktum oder Gesetz ableitbar sein, sondern sie können uns nur eine Norm für unsere Erklärungen geben. Wir glauben im ersten Teil dieses Zusatzes schon den Keim der späteren Bedenken gegen die Notwendigkeit der geometrischen Axiome zu sehen. - Ihrem wesentlichen Inhalt nach sind diese allgemeinwissenschaftlichen Anschauungen in die Einleitung zur Schrift über die Erhaltung der Kraft übergegangen, der Schrift, die den 26jährigen Forscher in die erste Reihe der mathematischen Physiker stellte. Als Aufgabe der experimentellen Teile der physikalischen Wissenschaften erscheint hier die Aufsuchung der allgemeinen Regeln für die einzelnen Vorgänge in der Natur, der Gattungsbegriffe des Geschehens. "Der theoretische Teil derselben such dagegen die unbekannten Ursachen der Vorgänge aus ihren sichtbaren Wirkungen zu finden: er sucht dieselben zu begreifen nach dem Gesetz der Kausalität." Dazu bemerkt HELMHOLTZ später (1881), die philosophischen Erörterungen der Einleitung seien durch KANTs erkenntnistheoretische Ansichten stärker beeinflußt, als er es jetzt noch für richtig halte. Er habe sich erst später klar gemacht, daß das Prinzip der Kausalität in der Tat nichts anderes ist, als die Voraussetzung der Gesetzlichkeit der Naturerscheinungen. Das aber ist genau die Ansicht KANTs. HELMHOLTZ muß also unter "unbekannten Ursachen" früher noch etwas Positiveres, Wesenhafteres verstanden haben, als die Kritik unter Ursache zu verstehen erlaubt. Dennoch besteht zwischen seiner früheren Philosophie und der späteren ein Gegensatz, namentlich in Bezug auf das Kausalprinzip und die erkenntnistheoretischen Anschauungen, zu denen HELMHOLTZ schließlich gelangte, zeigen mehr Verwandtschaft mit HUME und MILL, als mit KANT. Wir haben den Grund für diese veränderte Stellung zu KANT in der physiologischen Auffassung der kritischen Philosophie zu suchen.

Den leitenden Gesichtspunkt für diese Auffassung bildet bei HELMHOLTZ die Analogie der Formen des Anschauens und des Denkens mit den "spezifischen Energien" der Sinne. "Es war, heißt es im Vortrag über das Sehen des Menschen, der außerordentlichste Fortschritt, den die Philosophie durch KANT machte, daß er das angeführte Gesetz (der Kausalität) und die übrigen Formen der Anschauung und Gesetze des Denkens aufsuchte und als solche nachwies und damit für die Lehre von den Vorstellungen dasselbe leistete, was in einem engeren Kreis für die unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmungen auf empirischem Weg die Physiologie durch JOHANNES MÜLLER leistete". Und in der physiologischen Optik nennt HELMHOLTZ das Müllersche Gesetz "in gewissem Sinne die empirische Ausführung der theoretischen Darstellung KANTs von der Natur des menschlichen Erkenntnisvermögens." Bei dieser Art, die "Kritik" zu betrachten, mußte alles Gewicht auf den subjektiven Ursprung der Erkenntnisse a priori fallen, KANTs Vorhaben dagegen ist der Beweis der objektiven Gültigkeit dieser Erkenntnisse,  obgleich  sie a priori sind. "Es ist in der Kritik die Aufgabe zu zeigen, welche Gesetze die objektiv gültigen sind und wodurch man berechtigt ist, sie, als von der Natur der Dinge geltend, anzunehmen, d. i. wie sie synthetisch und doch a priori möglich sind." (KANT an C. L. REINHOLD) Erkenntnisse sind ferner nicht deshalb a priori, weil sei aus dem Subjekt stammen oder "die besonderen und eigentümlichen Gesetze des denkenden Subjekts" ausdrücken. Es kann manches seinen Ursprung im Subjekt haben, z. B. der Zweckbegriff, ohne darum schon a priori zu sein. Die Merkmale der Apriorität: wahre Allgemeinheit und strenge Notwendigkeit sind innere Merkmale gewisser Erkenntnisse selbst, nicht bloße Folgen ihrer Entstehung aus dem Subjekt. A priori im Sinne KANTs bedeutet kein zeitliches, sondern ein begriffliches Verhältnis zur Erfahrung. Und die Gültigkeit von Erkenntnissen a priori auch über den bloßen Bereich der Beziehungen der Begriffe hinaus zu beweisen und die Grenzen dieses ihres objektiv-gültigen Gebrauchs festzustellen: dazu ist die "transzendentale" Methode bestimmt. Zwar müssen wohl Erkenntnisse, die nicht aus der Erfahrung abzuleiten sind, weil sie mehr behaupten, als reine Erfahrung lehren kann, auf irgendeine Art dem denkenden Subjekt entstammen, also, wenn man so will,  subjektiv  a priori sein. Die Berufung aber auf ihren Ursprung aus der Organisation unseres Geistes ergäbe immer nur eine subjektive Notwendigkeit: weil wir so eingerichtet sind, können wir nur so, nicht anders vorstellen. Dieses Unvermögen kann aber kein Argument der Wahrheit irgendeiner Vorstellung sein. Auch würde es an solchen nicht fehlen, "die jene subjektive Notwendigkeit, die gefühlt werden muß, von sich nicht gestehen würden; zumindest könnte man mit niemandem über dasjenige hadern, was bloß auf der Art beruth, wie sein Subjekt  organisiert  ist". KANTs Frage ist nicht: wie kommt der Mensch zu Erfahrung und Wissenschaft, kraft welcher Organisation seines Geistes, obschon, was er gelegentlich auch zu dieser "subjektiven Deduktion" der Erfahrung beibringt, tiefes psychologisches Verständnis verrät. Seine Frage ist: wie ist Erkenntnis überhaupt möglich und unter welchen Voraussetzungen ist Erfahrung Erkenntnis. Durch Schlüsse aus Beobachtungen, auf dem Weg der Physiologie und Psychologie also, gelangt man wohl zu einer Analyse der Prozesse des Bewußtseins und damit zu einer Folgerung über die tatsächliche Organisation des menschlichen Geistes, die sich der Empirist nicht einfach genug denken kann; aber, um beurteilen zu können: ob und innerhalb welcher Grenzen unsere geistige Organisation zur Erkenntnis ausreiche, das Vermögen unseres Geistes also wirklich ein  Erkenntnis vermögen ist, müssen wir zuvor wissen, was Erkenntnis ist und was ihr Begriff vorschreibt.

In der Auffassung von HELMHOLTZ fließen beständig die Begriffe: a priori, dem Subjekt eigentümlich und transzendental ineinander über. Der ganze transzendentale Beweis fällt damit aus und er ist auch in der tat für die Physiologie und Psychologie des Erkennens nicht vorhanden, noch mit den Mitteln ihrer Methode zu führen.

"Kurz vor dem Beginn des neuen Jahrhunderts, schreibt HELMHOLTZ in der physiologischen Optik, hatte KANT die Lehre von den vor aller Erfahrung gegebenen oder, wie er sie deshalb (!) nannte, transzendentalen Formen des Anschauens und des Denkes ausgebildet, in welche aller Inhalt unseres Vorstellens notwendig aufgenommen werden muß, wenn er zur Vorstellung werden soll. Für die Qualitäten der Empfindung hatte schon LOCKE den Anteil geltend gemacht, den unsere körperliche und geistige Organisation an der Art hat, wie die Dinge erscheinen. In dieser Richtung nun haben die Untersuchungen über die Physiologie der Sinne, welche namentlich JOHANNES MÜLLER vervollständigte und dann in das Gesetz der spezifischen Sinnesenergien zusammenfaßte, die vollste Bestätigung, man könnte fast sagen, in einem unerwarteten Grad gegeben und dadurch zugleich das Wesen und die Bedeutung einer solchen von vornherein gegebenen subjektiven Form des Empfindens in einer sehr einschneidenden und greifbaren Weise zur Anschauung gebracht. - Die Qualitäten der Empfindung erkennt also auch die Physiologie als bloße Form der Anschauung an. Übereinstimmend im Vortrag über GOETHE 1892: "Solche Formen der Anschauung, wie sie KANT für den ganzen Umfang unseres Vorstellungsgebietes nachzuweisen sucht, gibt es auch für die Wahrnehmungen der einzelnen Sinne." KANT aber ging weiter, auch Zeit und Raum spricht er als gegeben durch die Eigentümlichkeiten unseres Anschauungsvemögens aus. Er bezeichnete die Zeit als die gegebene und notwendige, transzendentale Form der inneren, den Raum als die entsprechende der äußeren Anschauung. Selbst hier wird die naturwissenschaftliche Betrachtung bis zu einer gewissen Grenze mitgehen können." - Es genügt, KANTs eigene Erklärung damit zu vergleichen: "weder der Raum, noch irgendeine geometrische Bestimmung desselben a priori ist eine transzendentale Vorstellung, sondern nur die Erkenntnis, daß diese Vorstellungen gar nicht empirischen Ursprungs seien und die Möglichkeit, wie sie sich  gleichwohl  a priori auf Gegenstände beziehen können, kann transzendental heißen". (Kritik der reinen Vernunft, Seite 81) Man denke nicht, es sei dies ein Streit nur um ein Wort, das Wort "transzendental"; es ist ein Streit um die Sache, das heißt hier die Methode. Anschauungsformen und Arten des Empfindens ferner werden von KANT nicht gleich gesetzt, sondern unterschieden. Und gewiß mit Recht; denn wir gelangen zur Kenntnis jener Formen eben dadurch, daß wir von den Empfindungen abstrahieren. Was bei einer solchen Abstraktion Gegenstand unseres Bewußtseins bleibt, was wir dann noch vorstellen ist außer dem Begriff eines Dings die Form seiner Anschauung, z. B. die Gestalt eines Körpers, abgesehen von seiner Härte, Farbe und dgl. Die Vorstellung des absoluten Raums aber (und analog die der absoluten Zeit) bezeichnet KANT als reine Anschauung, um die von einem reinen Verstandesbegriff zu unterscheiden; ihr entspricht nach seiner Lehre kein wirklicher Gegenstand, noch ein ansich reales Verhältnis der Dinge selbst, sondern die allgemeine Form, oder wie KANT auch sagt, das Gesetz unseres Anschauens.

Die Absicht von HELMHOLTZ ist klar. Er will die "theoretische" Darstellung KANTs, soweit sie ihm richtig erscheint, durch sinnesphysiologische Ausführungen sicherstellen, - und sie erscheint ihm richtig, soweit sie sich durch solche Ausführungen erläutern läßt. Damit hat er sie aber nur mit niemals völlig sicheren empirischen Anschauungen in Verbindung gebracht. Das Müllersche Gesetz, das ihr zur Stütze und Bestätigung dienen sollte, ist nicht unbestritten geblieben und gerade HELMHOLTZ selbst hat es in einer Weise fortgebildet, die beinahe seiner Aufhebung gleichkommt. Man kann nicht die "Modalität" eines Sinnes für ausschließlich subjektiv erklären und zugleich jede einzelne Qualität als auch von der Form des äußeren Reizes abhängig denken. Denn die Modalität ist ein Abstraktum. Es gibt kein Sehen überhaupt, sondern nur das Sehen dieser oder jener bestimmten Helligkeit, dieser oder jener bestimmten Farbe, - kein Hören, das nicht das Hören eines bestimmten Geräusches oder eines Tones von bestimmter Höhe wäre. Sind also die Qualitäten durch die Beschaffenheit des Reizes mitbedingt, so muß es auch ihre Summe: die Modalität sein.
LITERATUR - Alois Riehl, Helmholtz in seinem Verhältnis zu Kant,Kant-Studien 9, Berlin 1904