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LUDWIG FEUERBACH
Grundsätze der
Philosophie der Zukunft
(1843)
[2/3]

"Die Materie ist der Vernunft ein wesentlicher Gegenstand. Wäre keine Materie, so hätte die Vernunft keinen Reiz und Stoff zum Denken, keinen Inhalt. Die Materie kann man nicht aufgeben, ohne die Vernunft aufzugeben; nicht anerkennen, ohne die Vernunft anzuerkennen. Materialisten sind Rationalisten."

"Was ist das Licht, als erleuchtendes, hell machendes Wesens, als Objekt der Optik, ohne das Auge? Nichts. Und so weit geht die Naturwissenschaft. Aber, was ist - so fragt nun weiter die Philosophie - das Auge ohne Bewußtsein? Gleichfalls Nichts - ob ich sehe ohne Bewußtsein oder nicht sehe, ist identisch. Erst das Bewußtsein des Sehens ist die Wirklichkeit des Sehens oder wirkliches Sehen."

"Die Identität von Denken und Sein ist daher nur der Ausdruck von der Gottheit der Vernunft - der Ausdruck davon, daß das Denken oder die Vernunft das absolute Wesen, der Inbegriff aller Wahrheit und Realität ist, daß es keinen Gegensatz der Vernunft gibt, daß vielmehr die Vernunft alles ist, wie in der strengen Theologie Gott alles ist, d. h. alles Wesenhafte und wahrhaft Seiende."

"Wenn es sich ... um das Sein eines Gegenstandes handelt ... so muß ich von mir unterschiedene Zeugen vernehmen. Diese von mir als Denkendem unterschiedenen Zeugen sind die Sinne. Sein ist etwas, wobei nicht ich allein, sondern auch die anderen, vor allem auch der Gegenstand selbst beteiligt ist. Sein heißt Subjekt sein, heißt für sich sein."

"Die alte (heidnische) Philosophie ließ etwas außerhalb des Denkens bestehen - einen Rest gleichsam übrig, der nicht in das Denken aufging. Das Bild dieses Seins außerhalb des Denkens ist die Materie - das Substrat der Realität. Die Vernunft hatte an der Materie ihre Grenze. Die alte Philosophie lebte noch im Unterschied von Denken und Sein ihr war noch nicht das Denken, der Geist, die Idee, die Alles befassende, d. h. die Einzige, die ausschließliche, die absolute Realität."

17. Die Erhebung der Materie zu einer göttlichen Wesenheit ist unmittelbar zugleich die der Vernunft zu einer göttlichen Wesenheit. Was der Theist aus Gemütsbedürfnis, aus Verlangen nach unbegrenzter Glückseligkeit, mittels der Einbildungskraft von Gott verneint, das bejaht der Pantheist von Gott aus Vernunftbedürfnis. Die Materie ist der Vernunft ein wesentlicher Gegenstand. Wäre keine Materie, so hätte die Vernunft keinen Reiz und Stoff zum Denken, keinen Inhalt. Die Materie kann man nicht aufgeben, ohne die Vernunft aufzugeben; nicht anerkennen, ohne die Vernunft anzuerkennen. Materialisten sind Rationalisten. Aber der Pantheismus bejaht die Vernunft als eine göttliche Wesenheit nur indirekt - nur so, daß er Gott aus einem Wesen der Einbildungskraft, welches er als ein persönliches Wesen im Theismus ist, zu einem Vernunftgegenstand, einem Vernunftwesen macht; die direkte Apotheose der Vernunft ist der Idealismus. Der Pantheismus führt notwendig zum Idealismus. Der Idealismus verhält sich zum Pantheismus gerade wie dieser zum Theismus.

Wie das Objekt, so das Subjekt. Nicht den Sinnen, sondern nur dem Verstand ist nach DESCARTES das Wesen der körperlichen Dinge, der Körper als Substanz Gegenstand; aber eben deswegen ist auch nicht der Sinn, sondern der Verstand nach DESCARTES das Wesen des wahrnehmenden Subjekts, des Menschen. Nur dem Wesen ist ein Wesen als Objekt gegeben. Die Meinung hat nach PLATO nur die unselbständigen Dinge zum Objekt, aber darum ist sie selbst das unbeständige, veränderliche Wissen - eben nur Meinung. Das Wesen der Musik ist dem Musiker das höchste Wesen - darum das Gehör das höchste Organ; er verliert lieber die Augen, als die Ohren; der Naturforscher dagegen lieber Ohren, als die Augen, weil sein objektives Wesen das Licht ist. Vergöttere ich den Ton, so vergöttere ich das Ohr. Sage ich also wie der Pantheist: Die Gottheit, oder, was eins ist, das absolute Wesen, die absolute Wahrheit und Realität, ist nur für die Vernunft, nur der Vernunft Gegenstand, so erkläre ich Gott für ein Vernunftding oder Vernunftwesen und spreche dadurch indirekt nur die absolute Wahrheit und Realität der Vernunft aus. Und es ist daher notwendig, daß die Vernunft auf sich selbst zurückgeht, diese verkehrte Selbstanerkennung umgekehrt, sich direkt als die absolute Wahrheit ausspricht, sich selbst unmittelbar, ohne das Zwischenglied eines Objekts, als die absolute Wahrheit Gegenstand wird. Der Pantheist sagt dasselbe, was der Idealist sagt, nur spricht jener objektiv oder realistisch aus, was dieser subjektiv oder idealistisch sagt. Jener hat seinen Idealismus im Gegenstand - außer der Substanz, außer Gott ist Nichts, alle Dinge sind nur Bestimmungen Gottes. Dieser hat seinen Pantheismus im Ich - außerhalb des Ichs ist Nichts, alle Dinge sind nur als Objekte des Ich. Aber gleichwohl ist der Idealismus die Wahrheit des Pantheismus; denn Gott oder die Substanz ist nur das Objekt der Vernunft, des Ich, des denkenden Wesens. Glaube, denke ich überhaupt keinen Gott, so habe ich keinen Gott; er ist für mich nur durch mich, für die Vernunft nur durch die Vernunft; - das a priori, das erste Wesen ist also nicht das gedachte, sondern das denkende Wesen, nicht das Objekt, sondern das Subjekt. So notwendig die Naturwissenschaft vom Licht auf das Auge, so notwendig ging die Philosophie von den Gegenständen des Denkens auf das: "Ich denke" zurück. Was ist das Licht, als erleuchtendes, hell machendes Wesens, als Objekt der Optik, ohne das Auge? Nichts. Und so weit geht die Naturwissenschaft. Aber, was ist - so fragt nun weiter die Philosophie - das Auge ohne Bewußtsein? Gleichfalls Nichts - ob ich sehe ohne Bewußtsein oder nicht sehe, ist identisch. Erst das Bewußtsein des Sehens ist die Wirklichkeit des Sehens oder wirkliches Sehen. Aber warum glaubst du, daß es etwas außerhalb von dir gibt? Weil Du etwas siehst, hörst, fühlst. Also ist dieses Etwas erst als Objekt des Bewußtseins ein wirkliches Etwas, ein wirkliches Objekt - also ist das Bewußtsein die absolute Realität oder Wirklichkeit, das Maß der Existenz. Alles, was ist, ist nur als seiend für das Bewußtsein, als Bewußtes; denn Bewußtsein ist erst Sein. So verwirklicht sich im Idealismus das Wesen der Theologie: im Ich, im Bewußtsein, das Wesen Gottes. Ohne Gott kann nichts sein, nichts gedacht werden; das heißt im Sinne des Idealismus: Alles ist nur als, sei es nun wirklicher oder möglicher, Gegenstand des Bewußtseins; Sein heißt Gegenstand sein, setzt also Bewußtsein voraus. Die Dinge, die Welt überhaupt ist ein Werk, ein Produkt des absoluten Wesens, Gottes; aber dieses absolute Wesen ist ein Ich, ein bewußtes, denkendes Wesen - also ist die Welt, wie DESCARTEs vortrefflich vom Standpunkt des Theismus aus sagt, ein ens rationis divinae [Wesen göttlicher Vernunft - wp], ein Gedankending, ein Hirngespinst Gottes. Aber dieses Gedankending ist im Theismus, in der Theologie, selbst wieder nur eine vage Vorstellung. Realisieren wir daher diese Vorstellung, führen wir, sozusagen, praktisch aus, was im Theismus nur Theorie ist, so haben wir die Welt als Produkt des Ich (FICHTE), oder - zumindest so, wie sie uns erscheint, wie wir sie anschauen - als ein Werk oder Produkt unserer Anschauung, unseres Verstandes (KANT). "Die Natur wird von den Gesetzen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt abgeleitet." "Der Verstand schöpft seine Gesetze (a priori) nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor." Der kantische Idealismus, wo sich die Dinge nach dem Verstand, nicht der Verstand nach den Dingen richtet, ist daher nichts anderes, als die Verwirklichung der theologischen Vorstellung vom göttlichen Verstand, der nicht von den Dingen bestimmt wird, sondern umgekehrt diese bestimmt. Wie töricht ist es darum, den Idealismus im Himmel, d. h. den Idealismus der Einbildung, als eine göttliche Wahrheit anzuerkennen, aber den Idealismus auf Erden, d. h. den Idealismus der Vernunft, als einen menschlichen Irrtum zu verwerfen! Leugnet ihr den Idealismus, nun, so leugnet auch Gott! Gott allein ist der Urheber des Idealismus. Wollt ihr die Konsequenzen nicht, so wollt auch das Prinzip nicht! Der Idealismus ist nichts, als der rationale oder rationalisierte Theismus. Aber der kantische Idealismus ist noch ein beschränkter Idealismus - der Idealismus auf dem Standpunkt des Empirismus. Dem Empirismus ist Gott, der schon oben gegebenen Entwicklung zufolge, nur noch ein Wesen in der Vorstellung, in der Theorie - Theorie im gewöhnlichen, schlechten Sinn - aber nicht in der Tat und Wahrheit; ein Ding-ansich, aber nicht mehr ein Ding für ihn; denn die Dinge für ihn sind allein die empirischen, wirklichen Dinge. Die Materie ist die einzige Materie seines Denkens - er hat daher keine Materialien mehr für Gott; Gott ist, aber er ist für uns eine tabula rasa, ein leeres Wesen, ein bloßer Gedanke. Gott - Gott, wie wir ihn vorstellen, denken - ist unser Ich, unser Verstand, unser Wesen; aber dieser Gott ist nur eine Erscheinung von uns für uns, nicht Gott ansich. KANT ist der noch im Theismus befangene Idealismus. Wir sind oft längst von einer Sache, einer Lehre, einer Idee der Tat nach frei, aber gleichwohl sind wir es noch nicht im Kopf; sie ist keine Wahrheit mehr in unserem Wesen - sie war es vielleicht nie - aber sie ist noch eine theoretische Wahrheit, d. h. eine Schranke unseres Kopfes. Der Kopf, weil er die Dinge am gründlichsten nimmt, wird auch am spätesten frei. Die theoretische Freiheit ist, zumindest in vielen Dingen, die letzte Freiheit. Wie Viele sind Republikaner des Herzens, von Gesinnung, aber im Kopf können sie nicht über die Monarchie hinaus; ihr republikanisches Herz scheitert an den Einwürfen und Schwierigkeiten, welche der Verstand macht. So ist es dann auch mit dem Theismus KANTs. KANT hat die Theologie in der Moral, das göttliche Wesen im Willen realisiert und negiert. Der Wille ist KANT das wahre, ursprüngliche, unbedingte, von sich selbst anfangende Wesen. KANT vindiziert also in der Tat die Prädikate der Gottheit dem Willen; sein Theismus hat daher nur noch die Bedeutung einer theoretischen Schranke. Der von der Schranke des Theismus freie KANT ist FICHTE - der "Messias der spekulativen Vernunft". FICHTE ist der kantische Idealismus, aber auf dem Standpunkt des Idealismus. Nur auf dem empirischen Standpunkt gibt es nach FICHTE einen von uns unterschiedenen, außerhalb von uns seienden Gott; aber in Wahrheit, auf dem Standpunkt des Idealismus, ist das Ding-ansich, ist Gott - denn Gott ist das eigentliche Ding-ansich - nur das Ich ansich, d. h. das vom Individuum, vom empirischen Ich, unterschiedene Ich. Außer dem Ich gibt es keinen Gott: "unsere Religion ist die Vernunft." Aber der Idealismus FICHTEs ist nur die Negation und Realisierung des abstrakten und formalen Theismus, des Monotheismus; nicht des religiösen, materiellen, inhaltserfüllten Theismus, des Tritheismus, dessen Realisierung erst der "absolute", der Idealismus HEGELs ist. Oder: FICHTE hat den Gott des Pantheismus nur inwiefern er ein denkendes Wesen, aber nicht sofern er ein ausgedehntes, materielles Wesen ist, realisiert. FICHTE ist der theistische Idealismus, HEGEL der pantheistische Idealismus.

18. Die neuere Philosophie hat das von der Sinnlichkeit, der Welt, dem Menschen abgesonderte und unterschiedene göttliche Wesen verwirklicht und aufgehoben - aber nur im Denken, in der Vernunft, und zwar einer gleichfalls von der Sinnlichkeit, der Welt, dem Menschen abgesonderten und unterschiedenen Vernunft. Das heißt: die neuere Philosophie hat nur die Gottheit des Verstandes bewiesen - nur den und zwar abstrakten Verstand, als das göttliche, das absolute Wesen erkannt. Die Definition des DESCARTES von sich, als Geist: Mein Wesen besteht einzig darin, daß ich denke, - ist die Definition der neueren Philosophie von sich. Der Wille des kantischen und fichteschen Idealismus ist selbst ein pures Verstandeswesen,  und die Anschauung, die SCHELLING, im Gegensatz zu FICHTE, mit dem Verstand verbunden hat, nur Phantasie, keine Wahrheit, kommt also nicht in Betracht.

Die neuere Philosophie ist von der Theologie ausgegangen - sie ist selbst nichts anderes als die in Philosophie aufgelöste und verwandelte Theologie. Das abstrakte und transzendente Wesen Gottes konnte daher selbst nur auf eine abstrakte und transzendente Weise verwirklicht und aufgehoben werden. Um Gott in die Vernunft zu verwandeln, mußte die Vernunft selbst die Beschaffenheit des abstrakten göttlichen Wesens annehmen. Die Sinne, sagt DESCARTEs, geben keine wahre Realität, kein Wesen, keine Gewißheit - nur der von den Sinnen abgezogene Verstand gibt Wahrheit. Woher dieser Zwiespalt zwischen dem Verstand und den Sinnen? Nur aus der Theologie kommt er. Gott ist kein sinnliches Wesen, er ist vielmehr die Negation aller Bestimmungen der Sinnlichkeit, wird nur erkannt durch die Abstraktion von derselben; aber er ist Gott, d. h. das allerwahrste, allerrealste, allergewisseste Wesen. Woher soll also Wahrheit in die Sinne kommen - in die Sinne, die geborene Atheisten sind? Gott ist das Wesen, bei dem sich die Existenz nicht vom Wesen, vom Begriff absondern läßt, das gar nicht anders, denn als seiend gedacht werden kann. DESCARTES verwandelt dieses objektive Wesen in ein subjektives, den ontologischen Beweis in einen psychologischen; das "weil Gott denkbar ist, darum existiert er", in das "Ich denke, also bin ich". Wie sich in Gott nicht das Sein vom Gedachtwerden, so läßt sich in mir - als Geist, der aber mein Wesen ist - nicht das Sein vom Denken absondern; und wie dort, so konstituiert auch hier diese Unzertrennlichkeit das Wesen. Ein Wesen, das nur ist - gleichviel, ob ansich oder für mich - als Gedachtes, als Gegenstand der Abstraktion von aller Sinnlichkeit, realisiert und versubjektiviert sich notwendig auch nur in einem Wesen, das nur ist als denkendes, dessen Wesenheit nur das abstrakte Denken ist.

19. Die Vollendung der neueren Philosophie ist die Philosophie HEGELs. Die historische Notwendigkeit und Rechtfertigung der neuen Philosophie knüpft sich daher hauptsächlich an die Kritik HEGELs.

20. Die neue Philosophie hat, ihrem historischen Ausgangspunkt nach, dieselbe Aufgabe und Stellung der bisherigen Philosophie gegenüber, welche diese der Theologie gegenüber hatte. Die neue Philosophie ist die Realisierung der Philosophie HEGELs, überhaupt aller bisherigen Philosophie - aber eine Realisierung, die zugleich die Negation und zwar widerspruchslose Negation derselben ist.

21. Der Widerspruch der neueren Philosophie, insbesondere des Pantheismus, daß er die Negation der Theologie auf dem Standpunkt der Theologie ist, oder die Negation der Theologie, welche selbst wieder Theologie ist: dieser Widerspruch charakterisiert insbesondere die Philosophie HEGELs.

Das immaterielle Wesen, das Wesen, wie es pures Verstandesobjekt, reines Verstandeswesen, ist der neueren Philosophie, so auch der Philosophie HEGELs, allein das wahre, das absolute Wesen - Gott. Selbst die Materie, die SPINOZA zum Attribut der göttlichen Substanz macht, ist eine metaphysisches Ding, ein pures Verstandeswesen; denn die wesentliche Bestimmung der Materie im Unterschied vom Verstand der Denktätigkeit, die Bestimmung, ein leidendes Wesen zu sein, ist ihr genommen. Aber HEGEL unterscheidet sich von der frühen Philosophie dadurch, daß er das Verhältnis des materiellen, sinnlichen Wesens zum immateriellen anders bestimmt. Die früheren Philosophen und Theologen dachten das wahre, das göttliche Wesen als ein von Natur, ansich von der Sinnlichkeit oder Materie abgelöstes, befreites Wesen; nur in sich selbst verlegten sie die Mühe und Arbeit der Abstraktion, des sich Freimachens vom Sinnlichen, um zu dem zu kommen, was ansich davon frei ist. In dieses Freisein setzten sie die Seligkeit des göttlichen, in dieses sich Freimachen die Tugend des menschlichen Wesens. HEGEL dagegen machte diese subjektive Tätigkeit zur Selbsttätigkeit des göttlichen Wesens. Gott selbst muß sich dieser Arbeit unterziehen, sich wie die Heroen des Heidentums, durch Tugend seine Gottheit erkämpfen. So nur wird die Freiheit des Absoluten von der Materie, die außerdem nur Voraussetzung, nur Vorstellung ist, Tat und Wahrheit. Aber diese Selbstbefreiung von der Materie kann nur in Gott gesetzt werden, wenn zugleich die Materie in ihm gesetzt wird. Wie kann sie aber in ihn gesetzt werden? Nur dadurch, daß er sie selbst setzt. Aber in Gott ist nur Gott. Also nur dadurch, daß er sich selbst als Materie, als Nicht-Gott, als sein Anderes setzt. Die Materie ist so kein dem Ich, dem Geist, auf eine unbegreifliche Weise vorausgehender Gegensatz: sie ist die Selbstentäußerung des Geistes. Damit bekommt die Materie selbst Geist und Verstand; sie ist aufgenommen in das absolute Wesen als ein Lebens-, Bildungs- und Entwicklungsmoment desselben. Zugleich ist sie aber doch wieder als ein nichtiges, unwahres Wesen gesetzt, indem er das aus dieser Entäußerung sich herstellende, d. h. die Materie, die Sinnlichkeit von sich abstreifende Wesen als das Wesen in seiner Vollendung, in seiner wahren Gestalt und Form ausgesprochen wird. Das Natürliche, Materielle, Sinnliche - und zwar das Sinnliche nicht im gemeinen, moralischen, sondern metaphysischen Sinn - ist also auch hier das zu Negierende, wie in der Theologie die durch die Erbsünde vergiftete Natur. Es wird zwar aufgenommen in die Vernunft, das Ich, den Geist; aber es ist das Unvernünftige in der Vernunft, das Nicht-Ich im Ich, das Negative desselben: wie bei SCHELLING die Natur in Gott das Nicht-Göttliche in Gott, in ihm außerhalb von ihm ist; wie in der Philosophie DESCARTES' der Leib, wenngleich mit mir, mit dem Geist verbunden, dennoch außerhalb von mir ist, nicht zu mir, zu meinem Wesen gehört, und es daher gleichgültig ist, ob er mit mir verbunden ist oder nicht. Die Materie bleibt im Widerspruch mit dem von der Philosophie als wahres Wesen vorausgesetzten Wesen.

Die Materie wird zwar in Gott gesetzt, d. h. als Gott gesetzt, und die Materie als Gott setzen ist so viel als sagen: es ist kein Gott; also so viel als die Theologie aufheben, die Wahrheit des Materialismus anerkennen. Aber zugleich ist doch die Wahrheit des Wesens der Theologie noch vorausgesetzt. Der Atheismus, die Negation der Theologie, wird daher wieder negiert, d. h. die Theologie durch die Philosophie wieder hergestellt. Gott ist Gott erst dadurch, daß er die Materie, die Negation Gottes, überwindet, negiert. Und erst die Negation der Negation ist nach HEGEL eine wahre Position. Am Ende sind wir daher wieder, wovon wir anfänglich ausgegangen sind - im Schoß der christlichen Theologie. So haben wir schon im obersten Prinzip der Philosophie HEGELs das Prinzip und Resultat seiner Religionsphilosophie, daß die Philosophie die Dogmen der Theologie nicht aufhebt, sondern nur aus der Negation des Rationalismus wieder herstellt, sie nur vermittelt. Das Geheimnis der Dialektik HEGELs ist zuletzt nur dieses, daß er die Theologie durch die Philosophie, und dann wieder die Philosophie durch die Theologie negiert. Anfang und Ende bildet die Theologie; in der Mitte steht die Philosophie als die Negation der ersten Position; aber die Negation der Negation ist die Theologie. Erst wird alles umgeworfen, aber dann wieder alles an seinen alten Platz gestellt, wie bei DESCARTES. Die Philosophie HEGELs ist der letzte großartige Versuch, das verlorene, untergegangene Christentum durch die Philosophie wieder herzustellen, und zwar dadurch, daß, wie überhaupt in der neueren Zeit, die Negation des Christentums mit dem Christentum selbst identifiziert wird. Die vielgepriesene spekulative Identität des Geistes und der Materie, des Unendlichen und Endlichen, des Göttlichen und Menschlichen ist nichts weiter, als der unselige Widerspruch der neueren Zeit - die Identität von Glaube und Unglaube, Theologie und Philosophie, Religion und Atheismus, Christentum und Heidentum auf seinem höchsten Gipfel, auf dem Gipfel der Metaphysik. Nur dadurch wird dieser Widerspruch bei HEGEL den Augen entrückt, verdunkelt, daß die Negation Gottes, der Atheismus, zu einer objektiven Bestimmung Gottes gemacht - Gott als ein Prozeß und als ein Moment dieses Prozesses der Atheismus bestimmt wird. Aber so wenig der aus dem Unglauben wieder hergestellte Glaube ein wahrer, weil stets mit seinem Gegensatz behafteter Glaube ist, so wenig ist der aus seiner Negation sich wieder herstellende Gott ein wahrer, vielmehr ein sich selbst widersprechender, ein atheistischer Gott.

22. Wie das göttliche Wesen nichts anderes ist, als das Wesen des Menschen, befreit von der Schranke der Natur, so ist das Wesen des absoluten Idealismus nichts anderes, als das Wesen des subjektiven Idealismus, befreit von der, und zwar vernünftigen, Schranke der Subjektivität, d. h. von der Sinnlichkeit oder Gegenständlichkeit überhaupt. Die Philosophie HEGELs läßt sich daher unmittelbar aus dem kantischen und fichteschen Idealismus ableiten.

KANT sagt:
    "Wenn wir die Gegenstände der Sinne wie billig, als bloße Erscheinungen ansehen, so gestehen wir hierdurch doch zugleich, daß ihnen ein Ding-ansich zugrunde liegt, ob wir dasselbe gleich nicht, wie es ansich beschaffen ist, sondern nur seine Erscheinung, d. h. die Art, wie unsere Sinne von diesem unbekannten Etwas affiziert werden, kennen. Der Verstand also, eben dadurch, daß er Erscheinungen annimmt, gesteht auch das Dasein von Dingen-ansich zu, und insofern können wir sagen, daß die Vorstellung solcher Wesen, die den Erscheinungen zugrunde liegen, folglich bloßer Verstandeswesen, nicht allein zulässig, sondern auch unvermeidlich ist."
Die Gegenstände der Sinne, der Erfahrung, sind also für den Verstand bloße Erscheinung, keine Wahrheit; sie befriedigen also nicht den Verstand, d. h. sie entsprechen nicht seinem Wesen. Der Verstand ist folglich durch die Sinnlichkeit keineswegs in seinem Wesen beschränkt; sonst würde er die sinnlichen Dinge nicht für Erscheinungen, sondern für blanke Wahrheit nehmen. Was mich nicht befriedigt, begrenzt und beschränkt mich auch nicht. Und dennoch sollen die Verstandeswesen keine wirklichen Objekte für den Verstand sein! Die kantische Philosophie ist der Widerspruch von Subjekt und Objekt, Wesen und Existenz, Denken und Sein. Das Wesen fällt hier in den Verstand, die Existenz in die Sinne. Die Existenz ohne Wesen ist bloße Erscheinung - das sind die sinnlichen Dinge - das Wesen ohne Existenz ist bloßer Gedanke - das sind die Verstandeswesen, die Noumena; sie werden gedacht, aber es fehlt ihnen die Existenz - zumindest die Existenz für uns - die Objektivität; sie sind die Dinge-ansich, die wahren Dinge; nur sind sie keine wirklichen Dinge, und folglich auch keine Dinge für den Verstand, d. h. keine von ihm bestimm- und erkennbaren. Aber was für ein Widerspruch: die Wahrheit von der Wirklichkeit, die Wirklichkeit von der Wahrheit abzutrennen! Heben wir daher diesen Widerspruch auf, so haben wir die Identitätsphilosophie, wo die Verstandesobjekte, die gedachten Dinge als die wahren auch die wirklichen sind; wo das Wesen und die Beschaffenheit des Objekts des Verstandes dem Wesen und der Beschaffenheit des Verstandes oder Subjekts entspricht; wo also das Subjekt nicht mehr beschränkt und bedingt ist durch einen außerhalb von ihm existierenden, seinem Wesen widersprechenden Stoff. Aber das Subjekt, das kein Ding mehr außerhalb seiner selbst und folglich keine Schranken mehr in sich hat, ist kein "endliches" Subjekt mehr - nicht mehr das Ich, dem ein Objekt gegenübersteht - ist das absolute Wesen, dessen theologischer oder populärer Ausdruck das Wort Gott ist. Es ist zwar dasselbe Subjekt, dasselbe Ich, wie im subjektiven Idealismus, - aber ohne Schranken; das Ich, das daher auch nicht mehr Ich, subjektives Wesen zu sein scheint, und deswegen auch nicht mehr Ich heißt.

23. Die Philosophie HEGELs ist der umgekehrte - der theologische Idealismus, wie die Philosophie SPINOZAs der theologische Materialismus ist. Sie hat das Wesen des Ichs außerhalb des Ich gesetzt, vom Ich abgesondert, als Substanz, als Gott vergegenständlicht; aber dadurch wieder - also indirekt, verkehrt - die Göttlichkeit des Ich ausgesprochen, daß sie dasselbe, wie SPINOZA die Materie, zu einem Attribut oder zur Form der göttlichen Substanz machte: das Bewußtsein des Menschen von Gott ist das Selbstbewußtsein Gottes. Das heißt: das Wesen gehört Gott an, das Wissen dem Menschen. Aber das Wesen Gottes ist bei HEGEL in der Tat nichts anderes als das Wesen des Denkens, oder das Denken abstrahiert vom Ich, dem Denkenden. Die Philosophie HEGELs hat das Denken, als das subjektive Wesen, aber gedacht ohne Subjekt, also als ein von demselben unterschiedenes Wesen vorgestellt, zum göttlichen, absoluten Wesen gemacht.

Das Geheimnis der "absoluten" Philosophie ist daher das Geheimnis der Theologie. Wie diese die Bestimmungen des Menschen dadurch zu göttlichen Bestimmungen macht, daß sie dieselben der Bestimmtheit beraubt, in welcher sie sind, was sie sind, gerade so macht es auch die absolute Philosophie.
    "Das Denken der Vernunft ist jedem zuzumuten; um sie als absolut zu denken, um also auf den Standpunkt zu gelangen, welchen ich fordere, muß vom Denken abstrahiert werden. Dem, welcher die Abstraktion macht, hört die Vernunft unmittelbar auf, etwas Subjektives zu sein, wie sie von den meisten vorgestellt wird; ja sie kann selbst nicht mehr als etwas Objektives gedacht werden, da ein Objektives oder Gedachtes nur im Gegensatz gegen ein Denkendes möglich wird, von dem hier völlig abstrahiert ist; sie wird also durch jene Abstraktion zu dem wahren Ansich, welches eben in den Indifferenzpunkt des Subjektiven und Objektiven fällt."
So SCHELLING. Ebenso ist es bei HEGEL. Das seiner Bestimmtheit, in der es Denken, Tätigkeit der Subjektivität ist, beraubte Denken ist das Wesen der Logik HEGELs. Der dritte Teil der Logik ist und heißt sogar ausdrücklich die subjektive Logik, und gleichwohl sollen die Formen der Subjektivität, welche der Gegenstand derselben sind, nicht subjektive sein. Der Begriff, das Urteil, der Schluß, ja selbst die einzelnen Schluß- und Urteilsformen, wie das problematische, assertorische Urteil, sind nicht Begriffe, Urteile, Schlüsse von uns; nein! sie sind objektive, an und für sich seiende, absolute Formen. So entäußert und entfremdet die absolute Philosophie dem Menschen sein eigenes Wesen, seine eigene Tätigkeit! Daher die Gewalt, die Tortur, die sie unserem Geist antut. Wir sollen das Unsrige nicht als Unsriges denken, sollen abstrahieren von der Bestimmtheit, in der etwas ist, was es ist, d. h. wir sollen es denken ohne Sinn, sollen es nehmen im Unsinn des Absoluten. Unsinn ist das höchste Wesen der Theologie - der gemeinen wie der spekulativen.

Was HEGEL da tadelnd von FICHTEs Philosophie bemerkt, daß jeder das Ich in sich zu haben meint, an sich erinnert wird, und doch nicht das Ich in sich findet, gilt von der spekulativen Philosophie überhaupt. Sie nimmt fast alle Dinge in einem Sinn, in welchem man diese Dinge nicht mehr erkennt. Und der Grund dieses Übels ist eben die Theologie. Das göttliche, das absolute Wesen muß sich unterscheiden von den endlichen, d. h. wirklichen Wesen. Aber wir haben keine Bestimmungen für das Absolute, als eben die Bestimmungen der wirklichen Dinge, sei es nun der natürlichen oder menschlichen. Wie werden also diese Bestimmungen zu Bestimmungen des Absoluten? Nur dadurch, daß sie in einem anderen Sinn als in ihrem wirklichen Sinn, d. h. einem gänzlich verkehrten Sinn genommen werden. Alles ist im Absoluten, was im Endlichen; aber dort ist es ganz anders, als hier; dort gelten ganz andere Gesetze, als bei uns; dort ist Vernunft und Weisheit, was bei uns purer Unsinn ist. Daher die grenzenlose Willkür der Spekulation, daß sie den Namen einer Sache gebraucht, ohne doch den Begriff gelten zu lassen, welcher mit diesem Namen verbunden ist. Die Spekulation entschuldigt diese ihre Willkür damit, daß sie sagt, sie wähle für ihre Begriffe aus der Sprache Namen, mit denen das "gemeine Bewußtsein" Vorstellungen verknüpft, welche eine entfernte Ähnlichkeit mit diesen Begriffen haben sollen; sie schiebt also die Schuld auf die Sprache. Aber die Schuld liegt in der Sache, im Prinzip der Spekulation selbst. Der Widerspruch zwischen dem Namen und der Sache, der Vorstellung und dem Begriff der Spekulation ist nichts anderes als der alte theologische Widerspruch zwischen den Bestimmungen des göttlichen und menschlichen Wesens, welche Bestimmungen in Bezug auf den Menschen im eigentlichen, wirklichen Sinn, in Beziehung auf Gott aber nur in einem symbolischen oder analogischen Sinn genommen werden. Allerdings hat sich die Philosophie nicht zu kehren an die Vorstellungen, welche der gemeine Gebrauch oder Mißbrauch mit einem Namen verbindet; aber sie hat sich zu binden an die bestimmte Natur der Dinge, deren Zeichen Namen sind.

24. Die Identität von Denken und Sein, der Zentralpunkt der Identitätsphilosophie, ist nichts anderes als eine notwendige Folge und Ausführung vom Begriff Gottes als des Wesens, dessen Begriff oder Wesen das Sein enthält. Die spekulative Philosophie hat nur verallgemeinert, nur zu einer Eigenschaft des Denkens, des Begriffs überhaupt gemacht, was die Theologie zu einer ausschließlichen Eigenschaft des Begriffs Gottes machte. Die Identität von Denken und Sein ist daher nur der Ausdruck von der Gottheit der Vernunft - der Ausdruck davon, daß das Denken oder die Vernunft das absolute Wesen, der Inbegriff aller Wahrheit und Realität ist, daß es keinen Gegensatz der Vernunft gibt, daß vielmehr die Vernunft alles ist, wie in der strengen Theologie Gott alles ist, d. h. alles Wesenhafte und wahrhaft Seiende. Aber ein vom Denken nicht unterschiedenes Sein, ein Sein, das nur ein Prädikat oder eine Bestimmung der Vernunft ist, das ist nur ein gedachtes, abstraktes Sein, in Wahrheit aber kein Sein. Die Identität von Denken und Sein drückt daher nur die Identität des Denkens mit sich selbst aus. Das heißt: das absolute Denken kommt nicht von sich weg, nicht aus sich heraus zum Sein. Sein bleibt ein Jenseits. Die absolute Philosophie hat uns wohl das Jenseits der Theologie zum Diesseits gemacht, aber dafür hat sie uns das Diesseits der wirklichen Welt zum Jenseits gemacht.

Das Denken der spekulativen oder absoluten Philosophie bestimmt im Unterschied von sich, als der Tätigkeit des Vermittelns, das Sein als das Unmittelbare, nicht Vermittelte. Für das Denken - zumindest das Denken, welches wir hier vor uns haben - ist das Sein nichts weiter als dieses. Das Denken setzt sich das Sein entgegen, aber innerhalb seiner selbst, und hebt dadurch unmittelbar ohne Schwierigkeit den Gegensatz desselben gegen sich auf; denn das Sein als Gegensatz des Denkens im Denken ist nichts anderes als selbst ein Gedanke. Wenn das Sein weiter nichts ist als das Unmittelbare, die Unmittelbarkeit allein seinen Unterschied vom Denken ausmacht, wie leicht ist es nachzuweisen, daß auch dem Denken die Bestimmung der Unmittelbarkeit also ein Sein zukommt! Wenn eine bloße Gedankenbestimmung das Wesen des Seins ausmacht, wie sollte das Sein vom Denken unterschieden werden?

25. Der Beweis, daß etwas ist, hat keinen anderen Sinn, als daß etwas nicht nur Gedachtes ist. Dieser Beweis kann aber nicht aus dem Denken selbst geschöpft werden. Wenn zu einem Objekt des Denkens das Sein hinzukommen soll, so muß zum Denken selbst etwas vom Denken Unterschiedenes hinzukommen.

Das von KANT bei der Kritik des ontologischen Beweises zur Bezeichnung des Unterschieds von Denken und Sein gewählte, von HEGEL aber verhöhnte Beispiel vom Unterschied zwischen hundert Talern in der Vorstellung und hundert Talern in der Wirklichkeit ist im Wesentlichen ganz richtig. Denn die einen Taler habe ich nur im Kopf, die anderen aber in der Hand; jene sind nur für mich da, diese aber auch für andere - sie können gefühlt, gesehen werden; aber nur das existiert, was für mich und den anderen zugleich da ist, worin ich und der andere übereinstimmen, was nicht nur mein - was allgemein ist.

Im Denken als solchem befinde ich mich in Identität mit mir selbst, bin ich absoluter Herr; da widerspricht mir nichts; da bin ich Richter und Partei zugleich, da ist folglich kein kritischer Unterschied zwischen dem Gegenstand und meinem Gedanken von ihm. Aber wenn es sich lediglich um das Sein eines Gegenstandes handelt, so kann ich nicht mich allein um Rat fragen, so muß ich von mir unterschiedene Zeugen vernehmen. Diese von mir als Denkendem unterschiedenen Zeugen sind die Sinne. Sein ist etwas, wobei nicht ich allein, sondern auch die anderen, vor allem auch der Gegenstand selbst beteiligt ist. Sein heißt Subjekt sein, heißt für sich sein. Und das ist wahrlich nicht einerlei, ob ich Subjekt oder nur Objekt bin, ein Wesen für mich selbst, oder nur ein Wesen für ein anderes Wesen, d. h. nur ein Gedanke. Wo ich ein bloßes Objekt der Vorstellung bin, folglich nicht mehr selbst bin, wie es der Mensch nach dem Tod ist, da muß ich mir alles gefallen lassen; da kann sich der andere ein Bild von mir machen, das eine wahre Karikatur ist, ohne daß ich dagegen protestieren kann. Aber wenn ich noch wirklich bin, so kann ich ihm einen Strich durch die Rechnung machen, kann es ihn fühlen lassen, beweisen, daß zwischen mir, wie ich in seiner Vorstellung, und mir, wie ich in Wirklichkeit bin, also zwischen mir, wie ich Objekt von ihm, und mir, wie ich Subjekt bin, ein himmelweiter Unterschied vorhanden ist. Im Denken bin ich absolutes Subjekt; ich lasse alles nur gelten als Objekt oder Prädikat von mir, dem Denkenden; ich bin intolerant. In der Sinnentätigkeit dagegen bin ich liberal; ich lasse den Gegenstand sein, was ich selber bin - Subjekt, wirliches sich selbst betätigendes Wesen. Nur der Sinn, nur die Anschauung gibt mir etwas als Subjekt.

26. Ein nur und zwar abstrakt denkendes Wesen hat gar keine Vorstellung von Sein, Existenz, Wirklichkeit. Sein ist die Grenze des Denkens; Sein als Sein ist kein Gegenstand der, zumindest abstrakten, absoluten Philosophie. Die spekulative Philosophie spricht dies selbst indirekt dadurch aus, daß ihr das Sein gleich Nichtsein - Nichts ist. Nichts ist aber kein Gegenstand des Denkens.

Das Sein, wie es Objekt des spekulativen Denkens ist, ist das schlechthin Unmittelbare, d. h. Unbestimmte; als nichts ist in ihm zu unterscheiden, nichts zu denken. Aber das spekulative Denken ist sich das Maß aller Realität; es erklärt nur das für Etwas, worin es sich betätigt findet, woran es Stoff zum Denken hat. Das Sein ist daher dem abstrakten Denken, weil es das Nichts des Gedankens, d. h. nichts für den Gedanken - das Gedankenlose ist, an und für sich selbst Nichts. Eben deswegen ist auch das Sein, wie es die spekulative Philosophie in ihr Gebiet hereinzieht, und sich den Begriff vindiziert, ein pures Gespenst, das absolut im Widerspruch steht mit dem wirklichen Sein und dem, was der Mensch unter Sein versteht. Unter Sein versteht nämlich der Mensch sach- und vernunftgemäß Dasein, Fürsichsein, Realität, Existenz, Wirklichkeit, Objektivität. Alle diese Bestimmungen oder Namen drücken nur von verschiedenen Gesichtspunkten ein und dieselbe Sache aus. Sein in Gedanken, Sein ohne Objektivität, ohne Wirklichkeit, ohne Fürsichsein ist freilich Nichts: aber in diesem Nichts spreche ich nur die Nichtigkeit meiner Abstraktion aus.

27. Das Sein der hegelschen Logik ist das Sein der alten Metaphysik, welches von allen Dingen ohne Unterschied ausgesagt wird, weil nach ihr alle darin übereinkommen, daß sie sind. Dieses unterschiedslose Sein ist aber ein abstrakter Gedanke, ein Gedanke ohne Realität. Das Sein ist so verschieden wie die Dinge, welche sind.

Darin, heißt es z. B. in einer Metaphysik aus der WOLFFischen Schule, stimmen Gott, die Welt, der Mensch, der Tisch, das Buch usw. miteinander überein, daß sie sind. Und Christ. THOMASIUS sagt: "Das Sein ist überall einerlei. Das Wesen ist so vielfältig wie die Dinge." Dieses überall gleiche, unterschieds- und inhaltlose Sein ist nun auch das Sein der hegelschen Logik. HEGEL bemerkt selbst, daß die Polemik gegen die Identität von Sein und Nichts nur daher kommt, daß man dem Sein einen bestimmten Inhalt unterstellt. Aber eben das Bewußtsein des Seins ist immer und notwendig an bestimmte Inhalte gebunden. Abstrahiere ich vom Inhalt des Seins und zwar von allem Inhalt, denn alles ist Inhalt des Seins, so bleibt mir freilich nichts übrig, als der Gedanke von Nichts. Und wenn daher HEGEL dem gemeinen Bewußtsein vorwirft, daß es etwas, was nicht zum Sein gehört, dem Sein, wie es Gegenstand der Logik ist, unterstellt, so trifft vielmehr ihn der Vorwurff, daß er eine bodenlose Abstraktion dem, was das menschliche Bewußtsein rechtmäßiger- und vernünftigerweise unter Sein versteht, unterstellt. Das Sein ist kein allgemeiner, von den Dingen abtrennbarer Begriff. Es ist Eins mit dem, was ist. Es ist nur mittelbar denkbar - nur denkbar durch die Prädikate, welche das Wesen eines Dings begründen. Das Sein ist die Position des Wesens. Was mein Wesen, ist mein Sein. Der Fisch ist im Wasser, aber von diesem Sein kannst du nicht sein Wesen abtrennen. Schon die Sprache identifiziert Sein und Wesen. Nur im menschlichen Leben sondert sich, aber auch nur in abnormen, unglücklichen Fällen, Sein vom Wesen - ereignet es sich, daß man nicht da, wo man sein Sein, auch sein Wesen hat, aber eben wegen dieser Scheidung auch nicht wahrhaft, nicht mit der Seele da ist, wo man wirklich, mit dem Leib ist. Nur wo dein Herz ist, da bist du. Aber alle Wesen sind - naturwidrige Fälle ausgenommen, - gern da, wo, und gern das, was sie sind, d. h. ihr Wesen ist nicht von ihrem Sein, ihr Sein nicht vom Wesen abgetrennt. Und du kannst folglich nicht das Sein als ein schlechthin Identisches im Unterschied von der Verschiedenheit des Wesens für sich fixieren. Das Sein nach Abzug aller wesentlichen Qualitäten der Dinge ist nur deine Vorstellung vom Sein - ein gemachtes, erdachtes Sein, ein Sein ohne das Wesen des Seins.

28. Die hegelsche Philosophie ist nicht über den Widerspruch von Denken und Sein hinausgekommen. Das Sein, mit welchem die Phänomenologie beginnt, steht nicht minder als das Sein, mit welchem die Logik anhebt, im direktesten Widerspruch mit dem wirklichen Sein.

Dieser Widerspruch kommt in der Phänomenologie in der Form des "Dies" und des "Allgemeinen" zum Vorschein; denn das Einzelne gehört dem Sein an, das Allgemeine dem Denken. In der Phänomenologie nun fließt Dieses mit Diesem ununterscheidbar für den Gedanken zusammen; aber was für ein gewaltiger Unterschied ist zwischen dem "Dies", wie es Objekt des abstrakten Denkens, und eben demselben, wie es Objekt der Wirklichkeit ist! Dieses Weib z. B. ist mein Weib, dieses Haus mein Haus, obgleich jeder von seinem Haus und seinem Weib, wie ich, sagt: dieses Haus, dieses Weib. Die Gleichgültigkeit und Unterschiedslosigkeit des logischen "Dies" wird hier also durch den Rechtssinn unterbrochen und aufgehoben. Würden wir das logische "Dies" im Naturrecht gelten lasen, so kämen wir direkt auf die Güter- und Weibergemeinschaft, wo kein Unterschied ist zwischen jener und dieser, Jeder Jede hat, - oder vielmehr geradezu auf die Aufhebung allen Rechts; denn das Recht ist nur gegründet auf die Realität des Unterschieds von Diesem und Jenem.

Wir haben im Anfang der Phänomenologie nichts weiter vor uns als den Widerspruch zwischen dem Wort, welches allgemein, und der Sache, welche immer eine einzelne ist. Und der Gedanke, der sich nur auf das Wort stützt, kommt nicht über diesen Widerspruch hinaus. So wenig aber das Wort die Sache ist, so wenig ist das gesagte oder gedachte Sein das wirkliche Sein. Entgegnet man, bei HEGEL sei nicht, wie hier, vom Sein auf einem praktischen, sondern nur von einem theoretischen Standpunkt die Rede, so ist zu erwidern, daß jener hier ganz am Orte ist. Die Frage vom Sein ist eben eine praktische Frage, eine Frage, bei der unser Sein beteiligt ist, eine Frage auf Leben und Tod. Und wenn wir im Recht an unserem Sein festhalten, so wollen wir es uns auch von der Logik nicht wegnehmen lassen. Es muß auch von der Logik anerkannt werden, wenn sie nicht im Widerspruch mit dem wirklichen Sein verharren will. Übrigens wird der praktische Standpunkt - der Standpunkt des Essens und Trinkens - selbst von der Phänomenologie zur Widerlegung der Wahrheit des sinnlichen, d. h. einzelnen Seins herbeigezogen. Allein auch hier verdanke ich meine Existenz nun und nimmermehr dem sprachlichen oder logischen Brot - dem Brot ansich - sondern immer nur diesem Brot, dem "Unsagbaren". Das Sein, gegründet auf lauter solche Unsagbarkeiten, ist darum selbst etwas Unsagbares. Ja wohl das Unsagbare. Wo die Worte aufhören, da fängt erst das Leben an, erschließt sich erst das Geheimnis des Seins. Wenn daher Unsagbarkeit Unvernünftigkeit ist, so ist alle Existenz, weil sie immer und immer nur diese Existenz ist, Unvernunft. Aber sie ist es nicht. Die Existenz hat für sich selbst, auch ohne Sagbarkeit, Sinn und Vernunft.

29. Das "über sein Anderes" - das "Andere des Denkens" ist aber das Sein - "übergreifende" Denken ist das seine Naturgrenze überschreitende Denken. Das Denken greift über sein Gegenteil über - heißt: das Denken vindiziert [beimessen - wp] sich, was nicht dem Denken, sondern dem Sein zukommt. Dem Sein kommt aber die Einzelheit, Individualität, dem Denken die Allgemeinheit zu. Das Denken vindiziert sich also die Einzelheit - es macht die Negation der Allgemeinheit, die wesentliche Form der Sinnlichkeit, die Einzelheit, zu einem Moment des Denkens. So wird das "abstrakte" Denken oder der abstrakte Begriff, der das Sein außerhalb seiner selbst hat, "konkreter" Begriff.

Wie kommt der Mensch aber zu diesen Übergriffen des Denkens in das Eigentum des Seins? Durch die Theologie. In Gott ist unmittelbar mit dem Wesen oder Begriff das Sein mit der Allgemeinheit die Einzelheit, die Existenzform verbunden. Der "konkrete Begriff" ist der in den Begriff verwandelte Gott. Aber wie kommt der Mensch vom "abstrakten" Denken zum "konkreten" oder absoluten Denken, wie von der Philosophie zur Theologie? Die Antwort auf diese Frage hat die Geschichte schon selbst gegeben in dem Übergang von der alten heidnischen Philosophie zur sogenannten neuplatonischen; denn die neuplatonische Philosophie unterscheidet sich von der alten nur dadurch, daß sie Theologie ist, während jene nur Philosophie ist. Die alte Philosophie hatte zu ihrem Prinzip die Vernunft, die "Idee"; aber "die Idee ist von Plato und Aristoteles nicht als das Alles Enthaltende gesetzt worden." Die alte Philosophie ließ etwas außerhalb des Denkens bestehen - einen Rest gleichsam übrig, der nicht in das Denken aufging. Das Bild dieses Seins außerhalb des Denkens ist die Materie - das Substrat der Realität. Die Vernunft hatte an der Materie ihre Grenze. Die alte Philosophie lebte noch im Unterschied von Denken und Sein ihr war noch nicht das Denken, der Geist, die Idee, die Alles befassende, d. h. die Einzige, die ausschließliche, die absolute Realität. Die alten Philosophen waren noch Weltweise - Physiologen, Politiker, Zoologen, kurz Anthropologen; nicht Theologen, zumindest nur teilweise Theologen - freilich eben deswegen auch nur erst teilweise, darum beschränkte, mangelhafte Anthropologen. Den Neuplatonikern dagegen ist die Materie, die materielle, die wirkliche Welt überhaupt keine Instanz, keine Realität mehr. Vaterland, Familie, weltliche Bande und Güter überhaupt, welche die alte peripatetische [aristotelische - wp] Philosophie noch zur Seligkeit des Menschen rechnete - all das ist nichts für den neuplatonischen Weisen. Er hält den Tod sogar für besser als das körperliche Leben; er rechnet den Leib nicht zu seinem Wesen; er versetzt die Seligkeit nur in die Seele, sich absondernd von allen körperlichen, kurz äußerlichen Dingen. Wo der Mensch aber nichts außer sich mehr hat, da sucht und findet er Alles in sich, da setzt er an die Stelle der wirklichen Welt die imaginäre, die intelligible Welt, in der Alles ist, was in der wirklichen, aber auf abstrakte, vorgestellte Weise. Selbst die Materie findet sich bei den Neuplatonikern in der immateriellen Welt, aber hier ist sie nur eine ideale, gedachte, imaginäre. Und wo der Mensch kein Wesen mehr neben sich hat, da setzt er sich in Gedanken ein Wesen, welches als ein Gedankenwesen doch zugleich die Eigenschaften eines wirklichen Wesens hat, als unsinnliches zugleich ein sinnliches Wesen, als ein theoretisches Objekt zugleich ein praktisches ist. Dieses Wesen ist Gott - das höchste Gut der Neuplatoniker. Nur im Wesen befriedigt sich der Mensch. Den Mangel des wirklichen Wesens ersetzt er sich daher durch ein ideales Wesen, d. h. er unterstellt jetzt das Wesen der aufgegebenen oder verlorenen Wirklichkeit seinen Vorstellungen und Gedanken - die Vorstellung ist ihm keine Vorstellung mehr, sondern der Gegenstand selbst; das Bild kein Bild mehr, sondern die Sache selbst; der Gedanke, die Idee Realität. Eben weil er sich nicht mehr als Subjekt zu einer wirklichen Welt als seinem Objekt verhält, so werden ihm dafür seine Vorstellungen zu Objekten, zu Wesen, zu Geistern und Göttern. Je abstrakter er ist, je negativer gegen das wirkliche Sinnliche, desto sinnlicher ist er gerade im Abstrakten. Gott, das Eine - das höchste Objekt und Wesen der Abstraktion von aller Vielheit und Verschiedenheit, d. h. Sinnlichkeit - wird durch Berührung, durch unmittelbare Gegenwart (parousia) erkannt. Ja wie das Niedrigste, die Materie, so wird auch das Höchste, das Eine durch Nicht-wissen, durch Unwissenheit gewußt. Das heißt: das nur gedachte, abstrakte, das nicht-, das übersinnlich Wesen ist zugleich ein wirklich seiendes, ein sinnliches Wesen.

Wie da, wo der Mensch sich entleibt, den Leib, diese vernünftige Schranke der Subjektivität negiert, er in eine phantastische, transzendente Praxis verfällt, mit leiblichen Gottes- und Geistererscheinungen umgeht, also den Unterschied zwischen Imagination und Anschauung praktisch aufhebt; so verliert sich auch theoretisch der Unterschied zwischen Denken und Sein, Subjektiv und Objektiv, Sinnlich und Unsinnlich, wo ihm die Materie keine Realität und folglich keine Grenze der denkenden Vernunft, wo ihm die Vernunft, das intellektuelle Wesen, das Wesen der Subjektivität überhaupt in dieser seiner Unbeschränktheit das alleinige, das absolute Wesen ist. Das Denken negiert alles, aber nur um alles in sich zu setzen. Es hat keine Grenze mehr an etwas außerhalb seiner selbst, aber dadurch tritt es selbst außerhalb seiner immanenten, seiner natürlichen Grenze. So wird die Vernunft, die Idee konkret: d. h. das, was die Anschauung geben soll, wird dem Denken zugeeignet, das, was die Funktion, die Sache des Sinns, der Empfindung, des Lebens ist, zu einer Funktion, einer Sach des Denkens. So wird das Konkrete zu einem Prädikat des Gedankens, das Sein zu einer bloßen Gedankenbestimmtheit gemacht; denn der Satz: der Begriff ist konkret, ist identisch mit dem Satz: das Sein ist eine Gedankenbestimmtheit. Was bei den Neuplatonikern Vorstellung, Phantasie ist, das hat HEGEL nur in Begriffe verwandelt, rationalisiert. HEGEL ist nicht der "deutsche oder christliche Aristoteles" - er ist der deutsche Proklus [Nach der proklischen Lehre ist bereits die anfängliche Einfachheit schlechthin vollkommen, ihre Mächtigkeit besteht gerade in ihrer Bestimmungslosigkeit und jede Vielheit ist von ihr prinzipiell ausgeschlossen. - wikipedia]. Die "absolute Philosophie" ist die wiedergeborene alexandrinische Philosophie. Nach HEGELs ausdrücklicher Bestimmung ist nicht die aristotelische, überhaupt altheidnische, sondern die alexandrinische Philosophie die absolute - die christliche, allerdings noch mit heidnischen Ingredenzien [Zutaten - wp] vermischte - Philosophie, aber noch im Element der Abstraktion vom konkreten Selbstbewußtsein.

Bemerkt wird noch, daß die neuplatonische Theologie besonders deutlich zeigt, daß, wie das Objekt, so das Subjekt und umgekehrt; daß folglich das Objekt der Theologie nichts anderes ist, als das vergegenständlichte Wesen des Subjekts, des Menschen. Gott in höchster Potenz ist den Neuplatonikern das Einfache, Eine, schlechthin Unbestimmte und Unterschiedslose - kein Wesen, sondern über dem Wesen, denn das Wesen ist dadurch noch bestimmt, daß es Wesen ist; kein Begriff, kein Verstand, sondern ohne Verstand und über dem Verstand, denn auch der Verstand ist dadurch bestimmt, daß er Verstand ist; und wo Verstand ist, da ist Unterscheidung, Entzweiung in Denkendes und Gedachtes, die folglich in dem schlechthin Einfachen nicht stattfinden kann. Aber was objektiv, das ist auch subjektiv dem Neuplatoniker das höchste Wesen; was er im Gegenstand, in Gott als Sein setzt das setzt er in sich als Tätigkeit, als Streben. Nicht mehr Unterschied, nicht mehr Verstand, nicht mehr Selbst sein ist und heißt Gott sein. Aber was Gott ist, bestrebt sich der Neuplatoniker zu werden - das Ziel seiner Tätigkeit ist, aufzuhören, "selbst zu sein, Verstand und Vernunft zu sein." Ekstase, Entzückung ist dem Neuplatoniker der höchste psychologische Zustand des Menschen. Dieser Zustand, als Wesen vergegenständlicht, ist das göttliche Wesen. So kommt der Gott nur aus dem Menschen, aber nicht umgekehrt, zumindest ursprünglich, der Mensch aus Gott. Dies zeigt sich besonders deutlich auch in der gleichfalls bei den Neuplatonikern vorkommenden Bestimmung Gottes als des nichts bedürftigen, des seligen Wesens. Denn worin anders als in den Schmerzen und Bedürfnissen des Menschen hat dieses schmerz- und bedürfnislose Wesen seinen Grund und Ursprung? Mit der Not des Bedürfnisses und Schmerzes fällt auch die Vorstellung und Empfindung der Seligkeit. Nur im Gegensatz zur Unseligkeit ist die Seligkeit eine Realität. Nur im Elend des Menschen hat Gott seine Geburtsstätte. Nur aus dem Menschen nimmt Gott alle seine Bestimmungen, Gott ist, was der Mensch sein will - sein eigenes Wesen, sein eigenes Ziel, vorgestellt als wirkliches Wesen. Hierin liegt auch der Unterschied der Neuplatoniker von den Stoikern, Epikureern und Skeptikern. Leidenschaftslosigkeit, Seligkeit, Bedürfnislosigkeit, Freiheit, Selbständigkeit war auch das Ziel dieser Philosophen, aber nur als Tugend des Menschen; das heißt: es lag noch der konkrete, der wirkliche Mensch als Wahrheit zugrunde: die Freiheit und Seligkeit sollte diesem Subjekt als Prädikat zukommen. Bei den Neuplatonikern aber wurde, obgleich auch die heidnische Tugend ihnen noch Wahrheit war - daher ihr Unterschied von der christlichen Theologie, welche die Seligkeit, Vollkommenheit und Gottgleichheit des Menschen ins Jenseits verlegte - dieses Prädikat zum Subjekt, ein Adjektivum des Menschen zum Substantiv, zu einem wirklichen Wesen. Eben dadurch wurde nun auch der wirkliche Mensch zu einem bloßen Abstraktum ohne Fleisch und Blut, zu einer allegorischen Figur des göttlichen Wesens. PLOTIN schämte sich, wenigstens nach dem Bericht seines Biographen, einen Körper zu haben.

30. Die Bestimmung, daß nur der "konkrete" Begriff, der Begrff, welcher die Natur des Wirklichen ansich trägt, der wahre Begriff ist, drückt die Anerkennung von der Wahrheit des Konkreten oder der Wirklichkeit aus. Weil aber gleichwohl von vornherein der Begriff, d. h. das Wesen des Denkens, als das absolute, allein wahre Wesen vorausgesetzt ist, so kann das Reale oder Wirkliche nur auf indirekte Weise, nur als das wesentliche und notwendige Adjektivum des Begriffs, anerkannt werden. HEGEL ist Realist, aber rein idealistischer oder vielmehr abstrakter Realist - Realist in der Abstraktion von aller Realität. Er negiert das Denken, nämlich das abstrakte Denken; aber selbst wieder im abstraktiven Denken, so daß die Negation der Abstraktion selbst wieder eine Abstraktion ist. Nur "was ist", hat die Philosophie nach ihm zum Objekt; aber dieses Ist ist selbst nur ein abstraktes, gedachtes. HEGEL ist ein sich im Denken überbietender Denker - er will das Ding selbst ergreifen, aber im Gedanken des Dings; außer dem Denken sein, aber im Denken selbst - daher die Schwierigkeit, den "konkreten" Begriff zu fassen.

31. Die Anerkennung des Lichts der Wirklichkeit im Dunkel der Abstraktion ist ein Widerspruch - die Bejahung des Wirklichen in der Verneinung desselben. Die neue Philosophie, welche das Konkrete nicht auf abstrakte, sondern auf konkrete Weise denkt, die das Wirkliche in seiner Wirklichkeit, also auf eine dem Wesen des Wirklichen entsprechende Weise, als das Wahre anerkennt, und zum Prinzip und Gegenstand der Philosophie erhebt: sie ist daher erst die Wahrheit der hegelschen, die Wahrheit der neueren Philosophie überhaupt.

Die historische Notwendigkeit oder Genesis der neuen Philosophie aus der alten ergibt sich näher so: Der konkrete Begriff, die Idee, ist nach HEGEL zunächst nur abstrakt, nur im Element des Denkens - der rationalisierte Gott der Theologie vor der Schöpfung der Welt. Aber wie Gott sich äußert, offenbart, verweltlicht, verwirklicht, so realisiert sich die Idee: HEGEL ist die in einen logischen Prozeß verwandelte Geschichte der Theologie. Kommen wir aber einmal mit der Realisierung der Idee in das Reich des Realismus, ist die Wahrheit der Idee, daß sie wirklich ist, daß sie existiert, so haben wir ja die Existenz zum Kriterium der Wahrheit: nur was wirklich ist, ist wahr. Und es fragt sich nur: was ist wirklich? Das nur Gedachte? das, was nur Objekt des Denkens, des Verstandes ist? Aber so kämen wir nicht aus der Idee in abstracto heraus. Objekt des Denkens ist auch die platonische Idee; innerliches Objekt auch das himmlische Jenseits - Objekt des Glaubens, der Vorstellung. Ist die Realtität des Gedankens die Realität als gedachte, so ist die Realität des Gedankens selbst wieder nur der Gedanke, so bleiben wir stets in der Identität des Gedankens mit sich selbst, im Idealismus - ein Idealismus, der sich vom subjektiven Idealismus nur dadurch unterscheidet, daß er allen Inhalt der Wirklichkeit umfaßt und zu einer Gedankenbestimmtheit macht. Ist es daher wirklich Ernst mit der Realität des Gedankens oder der Idee, so muß etwas anderes, als er selbst ist, zu ihm hinzukommen, oder: er muß als realisierter Gedanke ein anderes sein, denn als nicht realisierter, als bloßer Gedanke - Gegenstand nicht nur des Denkens, sondern auch des Nicht-Denkens. Der Gedanke realisiert sich, heißt eben: er negiert sich, hört auf, bloßer Gedanke zu sein. Was ist denn nun dieses Nichtdenken, dieses vom Denken Unterschiedene? Das Sinnliche. Der Gedanke realisiert sich, heißt demnach: er macht sich zum Objekt der Sinne. Die Realität der Idee ist also die Sinnlichkeit, aber die Realität die Wahrheit der Idee - also die Sinnlichkeit erst die Wahrheit derselben. Gleichwohl haben wir so die Sinnlichkeit erst zum Prädikat, die Idee oder den Gedanken zum Subjekt gemacht. Allein warum versinnlicht sich denn die Idee? Warum ist sie nicht wahr, wenn sie nicht real, d. h. sinnlich ist? Wird dadurch nicht ihre Wahrheit von der Sinnlichkeit abhängig gemacht? Nicht dem Sinnlichen für sich selbst, abgesehen davon, daß es die Realität der Idee ist, Bedeutung und Wert eingeräumt? Wenn die Sinnlichkeit für sich selbst nichts ist, wozu bedarf derselben die Idee? Wenn die Idee erst der Sinnlichkeit Wert und Gehalt gibt, so ist diese reiner Luxus, reiner Tand - nur eine Jllusion, die sich der Gedanke vormacht. Aber so ist es nicht. An den Gedanken ergeht die Forderung, sich zu realisieren, zu versinnlichen, nur darum, weil unbewußt dem Gedanken die Realität, die Sinnlichkeit, unabhängig vom Gedanken, als Wahrheit vorausgesetzt ist. Der Gedanke bewährt sich durch die Sinnlichkeit; wie wäre dies möglich, wenn sie nicht unbewußt für Wahrheit gelten würde? Weil aber gleichwohl bewußt von der Wahrheit des Gedankens ausgegangen wird, so wird die Wahrheit der Sinnlichkeit erst hinterher ausgesprochen und die Sinnlichkeit nur zu einem Attribut der Idee gemacht. Dies ist aber ein Widerspruch; denn sie ist nur Attribut, und doch gibt sie erst dem Gedanken Wahrheit, ist also zugleich Hauptsache und Nebensache, zugleich Wesen und Akzidenz. Von diesem Widerspruch erlösen wir uns nur, wenn wir das Reale, das Sinnliche, zum Subjekt seiner selbst machen; wenn wir demselben eine absolut selbständige, göttliche, primäre, nicht erst von der Idee abgeleitete Bedeutung geben.
LITERATUR Ludwig Feuerbach, Philosophie der Zukunft, Stuttgart 1922