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Grundsätze der Philosophie der Zukunft (1843) [3/3]
32. Das Wirkliche in seiner Wirklichkeit oder als Wirkliches ist das Wirkliche als Objekt des Sinns, ist das Sinnliche. Wahrheit, Wirklichkeit, Sinnlichkeit sind identisch. Nur ein sinnliches Wesen ist ein wahres, ein wirkliches Wesen. Nur durch die Sinne wird ein Gegenstand im wahren Sinn gegeben - nicht durch das Denken für sich selbst. Das mit dem Denken gegebene oder identische Objekt ist nur Gedanke. Ein Objekt, ein wirkliches Objekt, wird mir nämlich nur da gegeben, wo mir ein auf mich wirkendes Wesen gegeben wird, wo meine Selbsttätigkeit - wenn ich vom Standpunkt des Denkens ausgehe - an der Tätigkeit eines anderen Wesens ihre Grenze - Widerstand findet. Der Begriff des Objekts ist ursprünglich gar nichts anderes als der Begriff eines anderen Ich - so faßt der Mensch in der Kindheit alle Dinge als freitätige, willkürliche Wesen auf - daher ist der Begriff des Objekts überhaupt vermittelt durch den Begriff des Du, des gegenständlichen Ich. Nicht dem Ich, sondern dem Nicht-Ich in mir, um in der Sprache FICHTEs zu reden, ist ein Objekt, d. h. ein anderes Ich gegeben; denn nur da, wo ich aus einem Ich in ein Du umgewandelt werden, wo ich leide, entsteht die Vorstellung einer außerhalb von mir seienden Aktivität, d. h. Objektivität. Aber nur durch den Sinn ist Ich nicht-Ich. Charakteristisch für die frühere abstrakte Philosophie ist die Frage: wie verschiedene selbständige Wesen, Substanzen aufeinander, z. B. der Körper auf die Seele, das Ich, einwirken können? Diese Frage war aber für sie eine unauflösliche, weil von der Sinnlichkeit abstrahiert wurde; weil die Substanzen, die aufeinander einwirken sollten, abstrakte Wesen, pure Verstandeswesen waren. Das Geheimnis der Wechselwirkung löst nur die Sinnlichkeit. Nur sinnliche Wesen wirken aufeinander ein. Ich bin Ich - für mich - und zugleich Du - für andere. Das bin ich aber nur als sinnliches Wesen. Der abstrakte Verstand jedoch isoliert dieses Fürsichsein als Substanz, Atom, Ich, Gott - er kann daher nur willkürlich das Sein für andere damit verbinden; denn die Notwendigkeit dieser Verbindung ist allein die Sinnlichkeit, von welcher er aber abstrahiert. Was ich ohne Sinnlichkeit denke, denke ich ohne und außer aller Verbindung. Wie kann ich also das Unverbundene zugleich wieder als ein Verbundenes denken? 33. Die neue Philosophie betrachtet und berücksichtigt das Sein, wie es für uns ist, nicht nur als denkende, sondern als wirklich seiende Wesen - das Sein also als Objekt des Seins - als Objekt seiner selbst. Das Sein als Gegenstand des Seins - und nur dieses Sein ist erst Sein und verdient erst den Namen des Seins - ist das Sein des Sinns, der Anschauung, der Empfindung, der Liebe. Das Sein ist also ein Geheimnis der Anschauung, der Empfindung, der Liebe. Nur in der Empfindung, nur in der Liebe hat "Dieses" - diese Person, dieses Ding - d. h. das Einzelne, absoluten Wert, ist das Endliche das Unendliche: darin und nur darin allein besteht die unendliche Tiefe, Göttlichkeit und Wahrheit der Liebe. In der Liebe allein ist der Gott, der die Haare auf dem Haupt zählt, Wahrheit und Realität. Der christliche Gott ist selbst nur eine Abstraktion von der menschlichen Liebe, nur ein Bild derselben. Aber eben weil "Dieses" nur in der Liebe absoluten Wert hat, so erschließt sich auch in ihr nur, nicht im abstrakten Denken, das Geheimnis des Seins. Die Liebe ist Leidenschaft, und nur die Leidenschaft ist das Wahrzeichen der Existenz. Nur was - sei es nun wirkliches oder mögliches - Objekt der Leidenschaft ist, das ist. Das empfindungs- und leidenschaftslose abstrakte Denken hebt den Unterschied zwischen Sein und Nichtsein auf, aber der Liebe ist dieser dem Gedanken verschwindende Unterschied eine Realität. Lieben heißt nichts anderes als sich dieses Unterschieds inne zu werden. Wer nichts liebt - der Gegenstand sei nun welcher auch immer - dem ist es völlig gleichgültig, ob etwas ist oder nicht ist. Aber wie mir nur durch die Liebe, durch die Empfindung überhaupt, ein Sein im Unterschied von einem Nichtsein ist, so ist mir auch nur durch sie ein Objekt im Unterschied von mir gegeben. Der Schmerz ist ein lautes Protestieren gegen die Identifikation des Subjektiven und Objektiven. Der Schmerz der Liebe ist, daß as nicht in der Wirklichkeit ist, was in der Vorstellung ist. Das Subjektive ist hier das Objektive, die Vorstellung der Gegenstand; aber das soll eben nicht sein, das ist ein Widerspruch, eine Unwahrheit, ein Unglück - daher das Verlangen nach der Herstellung des wahren Verhältnisses, wo das Subjektive und Objektive nicht identisch ist. Selbst der animalische Schmerz spricht vernehmlich genug diese Differenz aus. Der Schmerz des Hungers besteht nur darin, daß nichts Gegenständliches im Magen, der Magen sich selbst gleichsam Objekt ist, die leeren Wände sich aneinander reiben, statt an einem Stoff. Die menschlichen Empfindungen haben daher keine empirische, anthropologische Bedeutung im Sinne der alten transzendenten Philosophie, sie haben eine ontologische, metaphysische Bedeutung: in den Empfindungen, ja in den alltäglichen Empfindungen sind die tiefsten und höchsten Wahrheiten verborgen. So ist die Liebe der wahre ontologische Beweis vom Dasein eines Gegenstandes außerhalb meines Kopfes - und es gibt keinen anderen Beweis vom Sein als die Liebe, die Empfindung überhaupt. Das, dessen Sein Dir Freude, dessen Nichtsein Dir Schmerz bereitet, das nur ist. Der Unterschied zwischen Objekt und Subjekt, zwischen Sein und Nichtsein, ist ein ebenso erfreulicher wie schmerzlicher Unterschied. 34. Die neue Philosophie stützt sich auf die Wahrheit der Liebe, die Wahrheit der Empfindung. In der Liebe, in der Empfindung überhaupt, gesteht jeder Mensch die Wahrheit der neuen Philosophie ein. Die neue Philosophie ist in Beziehung auf ihre Basis selbst nichts anderes als das zum Bewußtsein erhobene Wesen der Empfindung - sie bejaht nur in und mit der Vernunft, was jeder Mensch - der wirkliche Mensch - im Herzen bekennt. Sie ist das zu Verstand gebrachte Herz. Das Herz will keine abstrakten, keine metaphysischen oder theologischen - es will wirkliche, es will sinnliche Gegenstände und Wesen. 35. Wenn die alte Philosophie sagte: was nicht gedacht ist, das ist nicht; so sagt dagegen die neue Philosophie: was nicht geliebt wird, nicht geliebt werden kann, das kann auch nicht angebetet werden. Nur was Objekt der Religion sein kann, das ist Objekt der Philosophie. Wie aber objektiv, so ist auch subjektiv die Liebe das Kriterium des Seins - das Kriterium von Wahrheit und Wirklichkeit. Wo keine Liebe ist, ist auch keine Wahrheit. Und nur der ist etwas, der etwas liebt - nichts sein und nichts lieben ist identisch. Je mehr einer ist, desto mehr liebt er und umgekehrt. 36. Wenn die alte Philosophie zu ihrem Ausgangspunkt den Satz hatte: "Ich bin ein abstraktes, ein nur denkendes Wesen, der Leib gehört nicht zu meinem Wesen", so beginnt dagegen die neue Philosophie mit dem Satz: "Ich bin ein wirkliches, ein sinnliches Wesen; ja der Leib in seiner Totalität ist mein Ich, mein Wesen selber." Der alte Philosoph dachte daher in einem fortwährenden Widerspruch und Hader mit den Sinnen, um die sinnlichen Vorstellungen abzuwehren, die abstrakten Begriffe nicht zu verunreinigen; der neue Philosoph dagegen denkt im Einklang und Frieden mit den Sinnen. Die alte Philosophie gestand die Wahrheit der Sinnlichkeit ein - selbst im Begriff Gottes, welcher das Sein in sich begreift; denn dieses Sein sollte doch zugleich wieder ein vom Gedachtsein unterschiedenes Sein, ein Sein außerhalb des Geistes, außerhalb des Denkens, ein wirklich objektives, d. h. sinnliches Sein sein - aber nur versteckt, nur begrifflich, nur unbewußt und widerwillig, nur weil sie mußte: die neue Philosophie dagegen anerkennt die Wahrheit der Sinnlichkeit mit Freuden, mit Bewußtsein: sie ist die offenherzig sinnliche Philosophie. 37. Die neuere Philosophie suchte etwas unmittelbar Gewisses. Sie verwarf aher das grund- und bodenlose Denken der Scholastik, gründete die Philosophie auf das Selbstbewußtsein, d. h. sie setzte an die Stelle des nur gedachten Wesens, an die Stelle Gottes, des obersten letzten Wesens aller scholastischen Philosophie - das denkende Wesen, das Ich, den selbstbewußten Geist; denn das Denkende ist dem Denkenden unendlich näher, gegenwärtiger, gewisser, als das Gedachte. Bezweifelbar ist die Existenz Gottes, bezweifelbar überhaupt das, was ich denke; aber unbezweifelbar ist, daß ich bin, ich, der ich denke, der ich zweifle. Allein das Selbstbewußtsein der neueren Philosophie ist selbst wieder nur ein gedachtes, durch Abstraktion vermitteltes, also bezweifelbares Wesen. Unbezweifelbar, unmittelbar gewiß ist nur, was Objekt des Sinns, der Anschauung, der Empfindung ist. 38. Wahr und göttlich ist nur, was keines Beweises bedarf, was unmittelbar durch sich selbst gewiß ist, unmittelbar für sich spricht und einnimmt, unmittelbar die Affirmation, daß es ist, nach sich zieht - das schlechthin Entschiedene, schlechthin unzweifelhafte, das Sonnenklare. Aber sonnenklar ist nur das Sinnliche; nur wo die Sinnlichkeit anfängt, hört aller Zweifel und Streit auf. Das Geheimnis des unmittelbaren Wissens ist die Sinnlichkeit. Alles ist vermittelt, sagt HEGEL in seiner Philosophie. Aber wahr ist etwas nur, wenn es nicht mehr ein Vermitteltes, sondern Unmittelbares ist. Geschichtliche Epochen entstehen darum nur da, wo, was früher nur ein Gedachtes, Vermitteltes war, Objekt unmittelbarer, sinnlicher Gewißheit - also Wahrheit wird, was früher nur Gedanke war. Scholastik ist es, die Vermittlung zu einer göttlichen Notwendigkeit und wesentlichen Eigenschaft der Wahrheit zu machen. Ihre Notwendigkeit ist nur eine bedingte; sie ist nur da notwendig, wo noch eine falsche Voraussetzung zugrunde liegt; wo eine Wahrheit, eine Lehre auftritt im Widerspruch mit einer Lehre, die auch noch für wahr gilt, noch respektiert wird. Die sich vermittelnde Wahrheit ist die noch mit ihrem Gegensatz behaftete Wahrheit. Mit dem Gegensatz wird begonnen; er wird aber hernach aufgehoben. Wenn er nun aber ein Aufzuhebendes, ein zu Negierendes ist, warum soll ich mit ihm, warum nicht gleich mit seiner Negation beginnen? Ein Beispiel: Gott als Gott ist ein abstraktes Wesen; er besondert, bestimmt, realisiert sich zur Welt, zum Menschen; so ist er konkret, so erst das abstrakte Wesen negiert. Aber warum soll ich denn nicht gleich mit dem Konkreten beginnen? Warum soll denn das durch sich selbst Gewisse und Bewährte nicht höher sein, als das durch die Nichtigkeit seines Gegenteils Gewisse? Wer kann also die Vermittlung zur Notwendigkeit, zum Gesetz der Wahrheit erheben? Nur der, welcher selbst noch befangen ist in dem zu Negierenden, welcher noch mit sich kämpft und streitet, noch nicht vollkommen mit sich im Reinen ist: kurz - nur der, in welchem eine Wahrheit nur erst Talent, Sache eines besonderen, wenn auch eminenten Vermögens, nicht Genie, Sache des ganzen Menschen ist. Genie ist unmittelbares, sinnliches Wissen. Was das Talent nur im Kopf, das hat das Genie in Fleisch und Blut; d. h.: was für das Talent noch ein Objekt des Denkens ist, ist für das Genie ein Objekt des Sinns. 39. Die alte absolute Philosophie hat die Sinne in das Gebiet der Erscheinung, der Endlichkeit verstoßen; und doch hat sie im Widerspruch damit das Absolute, das Göttliche, als den Gegenstand der Kunst bestimmt. Aber der Gegenstand der Kunst ist - mittelbar in der redenden, unmittelbar in der bildenden Kunst - Gegenstand des Gesichts, des Gehörs, des Gefühls. Also ist nicht nur das Endliche, das Erscheinende, sondern auch das wahre, göttliche Wesen Gegenstand der Sinne - der Sinn Organ des Absoluten. Die Kunst "stellt die Wahrheit im Sinnlichen dar" - d. h., richtig erfaßt und ausgedrückt: die Kunst stellt die Wahrheit des Sinnlichen dar. 40. Wie mit der Kunst, ist es mit der Religion. Die sinnliche Anschauung, nicht die Vorstellung, ist das Wesen der christlichen Religion - die Form, das Organ des höchsten göttlichen Wesens. Wo aber die sinnliche Anschauung für das Organ des göttlichen, des wahren Wesens gilt, da wird das göttliche Wesen als ein sinnliches, das sinnliche als das göttliche Wesen ausgesprochen und anerkannt; denn wie das Subjekt, so das Objekt. "Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit." Nur für die Späteren ist der Gegenstand der christlichen Religion ein Objekt der Vorstellung und Phantasie; aber die ursprüngliche Anschauung wird wieder hergestellt. Im Himmel ist Christus, ist Gott Objekt der unmittelbaren, der sinnlichen Anschauung; dort wird er aus einem Gegenstand der Vorstellung, des Gedankens, also aus einem geistigen Wesen, was er hier für uns ist, ein sinnliches, ein fühlbares, sichtbares Wesen. Und diese Anschauung ist, wie der Anfang, so das Ziel - also das Wesen des Christentums. Die spekulative Philosophie hat daher die Kunst und Religion nicht im wahren Licht, im Licht der Wirklichkeit, sondern nur im Zwieliecht der Reflexion erfaßt und dargestellt, indem sie infolge ihres Prinzips, welches die Abstraktion von der Sinnlichkeit ist, die Sinnlichkeit nur zu einer Formbestimmtheit derselben verflüchtigt hat: die Kunst ist Gott in der Formbestimmtheit der sinnlichen Anschauung, die Religion Gott in der Vorstellung. Aber in der Wahrheit ist das gerade das Wesen, was der Reflexion nur als die Form erscheint. Wo Gott im Feuer erscheint und angebetet wird, da wird in Wahrheit das Feuer als Gott angebetet. Der Gott im Feuer ist nichts anderes, als das - den Menschen ob seiner Wirkungen und Eigenschaften frappierende - Wesen des Feuers; der Gott im Menschen nichts anderes, als das Wesen des Menschen. Und ebenso ist das, was die Kunst in der Form der Sinnlichkeit darstellt, nichts anderes, als das von dieser Form unabtrennbare, eigene Wesen der Sinnlichkeit. 41. Den Sinnen sind nicht nur "äußerliche" Dinge Gegenstand. Der Mensch wird sich selbst nur durch den Sinn gegeben - er ist sich selbst als Sinnenobjekt Gegenstand. Die Identität von Subjekt und Objekt, im Selbstbewußtsein nur ein abstrakter Gedanke, ist Wahrheit und Wirklichkeit nur in der sinnlichen Anschauung des Menschen vom Menschen. Wir fühlen nicht nur Steine und Hölzer, nicht nur Fleisch und Knochen; wir fühlen auf Gefühle, indem wir die Hände oder Lippen eines fühlenden Wesens drücken; wir vernehmen durch die Ohren nicht nur das Rauschen des Wassers und das Säuseln der Blätter, sondern auch die seelenvoll Stimme der Liebe und Weisheit; wir sehen nicht nur Spiegelflächen und Farbengespenster, wir blicken auch in den Blick des Menschen. Nicht nur Äußerliches also, auch Innerliches, nicht nur Fleisch, auch Geist, nicht nur das Ding, auf das Ic ist Gegenstand der Sinne. - Alles ist darum sinnlich wahrnehmbar, wenn auch nicht unmittelbar, doch mittelbar; wenn auch nicht mit den pöbelhaften, rohen, doch mit den gebildeten Sinnen, wenn auch nicht mit den Augen des Anatomen oder Chemikers doch mit den Augen des Philosophen. Mit Recht leitet daher auch der Empirismus den Ursprung unserer Ideen von den Sinnen ab; nur vergißt er, daß das wichtigste, wesentlichste Sinnesobjekt des Menschen der Mensch selbst ist; daß nur im Blick des Menschen in den Menschen das Licht des Bewußtseins und Verstandes sich entzündet. Der Idealismus hat daher recht, wenn er im Menschen den Ursprung der Ideen sucht; aber unrecht, wenn er sie aus dem isolierten, als für sich seiendem Wesen, als Seele fixierten Menschen, mit einem Wort: aus dem Ich ohne ein sinnlich gegebenes Du, ableiten will. Nur durch Mitteilung, nur aus der Konversation des Menschen mit dem Menschen, entspringen die Ideen. Nicht allein, nur selbander [mhd. zu zweit - wp] kommt man zu Begriffen, zur Vernunft überhaupt. Zwei Menschen gehören zur Erzeugung des Menschen - des geistigen so gut wie des physischen: die Gemeinschaft des Menschen mit dem Menschen ist das erste Prinzip und Kriterium der Wahrheit und Allgemeinheit. Die Gewißheit selbst vom Dasein anderer Dinge außerhalb meiner selbst ist für mich vermittelt durch die Gewißheit vom Dasein eines anderen Menschen außer mir. Was ich allein sehe, daran zweifle ich; was der andere auch sieht, das erst ist gewiß. 42. Die Unterschiede zwischen Wesen und Schein, Grund und Folge, Substanz und Akzidenz, Notwendig und Zufällig, Spekulativ und Empirisch, begründen nicht zwei Reiche oder Welten - eine übersinnliche, welcher das Wesen, und eine sinnliche Welt, welcher der Schein angehört, sondern diese Unterschiede fallen innerhalb des Gebietes der Sinnlichkeit selbst. Ein Beispiel aus den Naturwissenschaften: Im LINNÉschen Pflanzensystem werden die ersten Klassen nach der Zahl der Staubfäden bestimmt. Aber schon in der elften Klasse, wo 12-20 Staubgefäße vorkommen, noch mehr aber in der Klasse der Zwanzigfachenund der Vielfachen wird die Zahlbestimmung gleichgültig; es wird nicht mehr gezählt. Hier haben wir daher auf ein und demselben Gebiet vor unseren Augen den Unterschied zwischen bestimmter und unbestimmter, zwischen notwendiger und gleichgültiger, rationaler und irrationaler Vielheit. Wir brauchen also nicht über die Sinnlichkeit hinauszugehen, um an die Grenze des nur Sinnlichen, nur Empirischen im Sinne der absoluten Philsophie zu kommen; wir dürfen nur nicht den Verstand von den Sinnen abtrennen, um das Übersinnliche, d. h. Geist und Vernunft, im Sinnlichen zu finden. 43. Das Sinnliche ist nicht das Unmittelbare im Sinn der spekulativen Philosophie, in dem Sinn, daß es das Profane, das auf platter Hand Liegende, das Gedankenlose, das sich von selbst Verstehende ist. Die unmittelbare, sinnliche Anschauung ist vielmehr später als die Vorstellung und Phantasie. Die erste Anschauung des Menschen ist selber nur die Anschauung der Vorstellung und Phantasie. Die Aufgabe der Philosophie, der Wissenschaft überhaupt, besteht daher nicht darin, von den sinnlichen, d. h. wirklichen Dingen weg, sondern zu ihnen hin zu kommen - nicht darin, die Gegenstände in Gedanken und Vorstellungen zu verwandeln, sondern darin, das den gemeinen Augen Unsichtbare sichtbar, d. h. gegenständlich zu machen. Die Menschen sehen zuerst die Dinge nur so, wie sie ihnen erscheinen, nicht, wie sie sind; sehen in den Dingen nicht sich selbst, sondern nur ihre Einbildungen von ihnen, legen ihr eigenes Wesen in sie hinein, unterschieden nicht den Gegenstand und die Vorstellung von ihm. Die Vorstellung liegt dem ungebildeten, subjektiven Menschen näher, als die Anschauung; denn in der Anschauung wird er aus sich herausgerissen, in der Vorstellung bleibt er bei sich. Aber wie mit der Vorstellung, ist es mit dem Gedanken. Eher und weit länger beschäftigen sich die Menschen mit den himmlischen, göttlichen, als mit den irdischen, menschlichen Dingen, d. h. eher und weit länger mit den in den Gedanken übersetzten Dingen, als mit den Dingen im Original, in der Ursprache. Erst in neuerer Zeit ist die Menschheit wieder, wie einst in Griechenland nach dem Vorhergehen der orientalischen Traumwelt, zur sinnlichen, d. h. unverfälschten, objektiven Anschauung des Sinnlichen, d. h. Wirklichen, aber eben damit erst auch zu sich selbst gekommen; denn eine Mensch, der sich nur mit Wesen der Einbildung oder des abstrakten Gedankens abgibt, ist selbst nur ein abstraktes oder phantastisches, kein wirkliches, kein wahrhaft menschliches Wesen. Die Realität des Menschen hängt nur von der Realität seines Gegenstandes ab. Hast du nichts, so bist du nichts. 44. Raum und Zeit sind keine bloßen Erscheinungsformen - sie sind Wesensbedingungen, Vernunftformen, Gesetzes des Seins, wie des Denkens. Dasein ist das erste Sein, das erste Bestimmtsein. Hier bin ich - das ist das erste Zeichen eines wirklichen, lebendigen Wesens. Der Zeigefinger ist der Wegweiser vom Nichts zum Sein. Hier ist die erste Grenze, die erste Scheidung. Hier bin ich, dort du; wird sind auseinander; darum können wir beide sein; ohne uns zu beeinträchtigen; es ist Platz genug. Die Sonne ist nicht da, wo der Merkur, der Merkur nicht da, wo die Venus, das Auge nicht da, wo das Ohr ist usw. Wo kein Raum, da hat auch kein System Platz. Die Ortsbestimmung ist die erste Vernunftbestimmung, auf der jede weitere Bestimmung Fuß faßt. Mit der Verteilung an verschiedene Orte - aber mit dem Raum sind unmittelbar verschiedene Orte gesetzt - beginnt die organisierende Natur. Nur im Raum orientiert sich die Vernunft. Wo bin ich? ist die Frage des erwachenden Bewußtseins, die erste Frage der Lebensweisheit. Beschränkung in Raum und Zeit ist die erste Tugend, die Ortsdifferenz die erste Differenz des Schicklichen vom Unschicklichen, die wir dem Kind, dem rohen Menschen beibringen. Dem rohen Menschen ist der Ort gleichgültig, er tut alles an jedem Ort ohne Unterschied; der Narr desgleichen. Narren kommen darum zur Vernunft, wenn sie sich wieder an Ort und Zeit binden. Verschiedenes an verschiedene Orte zu stellen, räumlich zu scheiden, was qualitativ verschieden ist, das ist die Bedingung jeder Ökonomie, selbst der geistigen. Nicht in den Text zu setzen, was in die Anmerknung, nicht an den Anfang, was erst an das Ende gehört, kurz: räumliche Sonderung und Begrenzung gehört auch zur Weisheit des Schriftstellers. Allerdings ist hier immer die Rede von einem bestimmten Ort; aber es kommt hier auch nichts weiter in Betracht als die Ortsbestimmtheit. Und ich kann nicht vom Raum den Ort absondern, wenn ich den Raum in seiner Wirklichkeit erfassen will. Wo? ist allgemein, gilt von jedem Ort ohne Unterschied, und doch ist Wo bestimmt. Mit diesem Wo ist zugleich jenes Wo, mit der Bestimmtheit des Orts daher zugleich die Allgemeinheit des Raums gesetzt; aber eben deswegen ist der allgemeine Begriff des Raums nur in der Verbindung mit der Bestimmtheit des Orts ein realer, konkreter Begriff. HEGEL gibt dem Raum, wie überhaupt von der Natur nur eine negative Bestimmung. Allein Hiersein ist positiv. Ich bin nicht dort, weil ich hier bin - dieses Nichtdortsein ist also nur eine Folge des positiven, ausdrucksvollen Hierseins. Es ist nur eine Schranke für deine Vorstellung, aber keine Schranke ansich, daß Hier nicht Dort, daß Eines ohne das Andere ist. Es ist ein Ohneeinander, das sein soll, das der Vernunft nicht wider-, sondern entspricht. Bei HEGEL aber ist dieses Getrenntsein eine negative Bestimmung, weil es das Getrenntsein dessen ist, was nicht getrennt sein soll - weil der logische Begriff, als die absolute Identität mit sich, für die Wahrheit gilt - der Raum geradezu die Negation der Idee, der Vernunft, in welche daher auch nur dadurch wieder Vernunft gebracht werden kann, daß sie negiert wird. Allein geschweige, daß der Raum die Negation der Vernunft ist - im Raum wird vielmehr der Idee, der Vernunft gerade Platz gemacht; der Raum ist die erste Sphäre der Vernunft. Wo kein räumliches Getrenntsein ist, ist auch kein logisches. Oder umgekehrt: wenn wir, wie HEGEL, von der Logik aus zum Raum übergehen wollen - wo kein Unterschied ist, ist auch kein Raum. Die Unterschiede im Denken müssen verwirklicht werden als Unterschiedene; Unterschiedene treten aber räumlich auseinander. Das räumliche Getrenntsein ist daher erst die Wahrheit der logischen Unterschiede. Aber was getrennt ist, das kann auch nur nacheinander gedacht werden. Wirkliches Denken ist Denken in Raum und Zeit. Die Negation von Raum und Zeit (Zeitlänge) fällt immer innerhalb des Raums und der Zeit selbst. Wir wollen nur Raum und Zeit sparen, um Raum und Zeit zu gewinnen. 45. Die Dinge dürfen nicht anders gedacht werden, als wie sie in der Wirklichkeit vorkommen. Was in der Wirklichkeit getrennt ist, soll auch im Gedanken nicht identisch sein. Die Ausnahme des Denkens, der Idee - der Intellektualwelt bei den Neuplatonikern - von den Gesetzen der Wirklichkeit ist das Privilegium theolotischer Willkür. Die Gesetze der Wirklichkeit sind auch Gesetze des Denkens. 46. Die unmittelbare Einheit entgegengesetzter Bestimmungen ist nur in der Abstraktion möglich und gültig. In der Wirklichkeit sind die Gegensätze stets nur durch einen Mittelbegriff verbunden. Dieser Mittelbegriff ist der Gegenstand, das Subjekt der Gegensätze. Es ist daher nichts leichter, als die Einheit entgegengesetzter Prädikate aufzuzeigen; man braucht nur vom Gegenstand oder Subjekt derselben zu abstrahieren. Mit dem Gegenstand schwindet die Grenze zwischen den Gegensätzen; sie sind nun boden- und haltlos, fallen also unmittelbar zusammen. Betrachte ich z. B. das Sein nur als solches, abstrahiere ich von aller Bestimmtheit, die ist, so habe ich natürlich Sein gleich Nichts. Der Unterschied, die Grenze zwischen Sein und Nichts ist ja allein die Bestimmtheit. Wenn ich das, was ist, weglasse, was ist noch dieses bloße "Ist"? Aber was von diesem Gegensatz und seiner Identität, gilt auch von der Identität der übrigen Gegensätze in der spekulativen Philosophie. 47. Das Mittel, entgegengesetzte oder widersprechende Bestimmungen auf eine der Wirklichkeit entsprechende Weise in ein und demselben Wesen zu vereinigen, ist nur - die Zeit. So ist es zumindest in lebendigen Wesen. So nur kommt hier z. B im Menschen der Widerspruch zum Vorschein, daß jetzt diese Bestimmung - diese Empfindung, dieser Vorsatz - jetzt eine andere, eine geradezu entgegengesetzte Bestimmung mich erfüllt und beherrscht. Nur da, wo eine Vorstellung die andere, eine Empfindung die andere verdrängt, wo es zu keiner Entscheidung, keiner bleibenden Bestimmtheit kommt, die Seele sich in einem fortwährenden Wechsel entgegengesetzter Zustände befindet, nur da befindet sie sich in der Höllenpein des Widerspruchs. Würde ich die entgegengesetzten Bestimmungen zugleich in mir vereinigen, so würden sie sich neutralisieren, abstumpfen, gleichwie die Gegensätze des chemischen Prozesses, welche zugleich sa sind, ihre Differenz in einem neutralen Produkt verlieren. Gerade darin aber besteht der Schmerz des Widerspruchs, daß ich jetzt mit Leidenschaft will und bin, was ich den nächsten Augenblick darauf ebenso energisch nicht will und nicht bin, daß Position und Negation aufeinander folgen, beide Gegensätze, aber jeder mit Ausschluß des andern, mich also jeder in seiner vollen Bestimmtheit und Schärfe affiziert. [berührt, reizt, anregt - wp] 48. Das Wirkliche ist im Denken nicht in ganzen Zahlen, nur nur in Brüchen darstellbar. Diese Differenz ist eine normale - sie beruth auf der Natur des Denkens, dessen Wesen die Allgemeinheit ist, im Unterschied von der Wirklichkeit, deren Wesen die Individualität ist. Daß es aber bei dieser Differenz nicht zu einem förmlichen Widerspruch zwischen dem Gedachten und dem Wirklichen kommt, dies wird nur dadurch verhindert, daß das Denken nicht in gerader Linie, in der Identität mit sich fortläuft, sondern sich durch die sinnliche Anschauung unterbricht. Nur das durch die sinnliche Anschauung sich bestimmende und rektifizierende Denken ist reales, objektives Denken - Denken objektiver Wahrheit. Es ist das Wichtigste, zu erkennen, daß das absolute, d. h. das isolierte, von der Sinnlichkeit abgesonderte Denken nicht über die formale Identität - die Identität des Denkens mit sich selbst hinauskommt; denn wenngleich das Denken oder der Begriff bestimmt wird als die Einheit entgegengesetzter Bestimmungen, so sind doch diese Bestimmungen selbst wieder nur Abstraktionen, Gedankenbestimmungen - also immer wieder Identitäten des Denkens mit sich, nur Multipla der Identität, von welcher als der absoluten Wahrheit ausgegangen wird. Das Andere, was sich die Identität gegenübersetzt, ist als ein von ihr Gesetztes nicht wahrhaft, realiter von ihr unterschieden, nicht von der Idee entfernt entlassen, höchsten nur pro forma, zum Schein, um ihre Liberalität zu zeigen; denn dieses Andere der Idee ist selbst wieder die Idee, nur noch nicht in der Form der Idee, noch nicht gesetzt, verwirklicht als Idee. So bringt es das Denken für sich selbst allein zu keinem positiven Unterschied und Gegensatz von sich, hat aber eben deswegen auch kein anderes Kriterium der Wahrheit, als daß etwas nicht der Idee, nicht dem Denken widerspricht - also ein nur formales, subjektives Kriterium, welches nicht darüber entscheidet, ob die gedachte Wahrheit auch eine wirkliche Wahrheit ist. Das Kriterium, welches hierüber entscheidet, ist einzig die Anschauung. Man soll ja immer auch den Gegner hören. Aber eben die sinnliche Anschauung ist die Gegenpartei des Denkens. Die Anschauung nimmt die Dinge in einem weiten, das Denken im engsten Sinne; die Anschauung läßt die Dinge in ihrer unbeschränkten Freiheit, das Denken gibt ihnen Gesetze, aber sie sind nur zu oft despotische; die Anschauung klärt den Kopf auf, aber bestimmt und entscheidet nichts; das Denken determiniert, aber borniert auch oft den Kopf; die Anschauung für sich hat keine Grundsätze, das Denken für sich kein Leben; die Regel ist die Sache des Denkens, die Ausnahme von der Regel die Sache der Anschauung. Wie daher nur die durch das Denken determinierte Anschauung die wahre ist, so ist auch umgekehrt nur das durch die Anschauung erweiterte und aufgeschlossene Denken das wahre, dem Wesen, der Wirklichkeit entsprechende Denken. Das mit sich identische, kontinuierliche Denken läßt im Widerspruch mit der Wirklichkeit die Welt sich im Kreis um ihren Mittelpunkt drehen; aber das durch die Beobachtung von der Ungleichförmigkeit dieser Bewegung, also durch die Anomalie der Anschauung unterbrochene Denken verwandelt der Wahrheit gemäß diesen Kreis in eine Ellipse. Der Kreis ist das Symbol, das Wappen der spekulativen Philosophie, des nur auf sich selbst sich stützenden Denkens - auch die Philosophie HEGELs ist bekanntlich ein Kreis von Kreisen, obgleich sie in Bezug auf die Planeten, aber nur durch die Empirie hierzu bestimmt, die Kreisbahn für "die Bahn einer schlechtgleichförmigen Bewegung" erklärt, - die Ellipse dagegen ist das Symbol, das Wappen der sinnlichen Philosophie, des auf die Anschauung sich stützenden Denkens. 49. Die wirkliche Erkenntnis gewährenden Bestimmungen sind immer nur die, welche den Gegenstand durch den Gegenstand selbst bestimmen - seine eigenen, individuellen Bestimmungen - also nicht allgemeine, wie die logisch-metaphysischen Bestimmungen sind, welche keinen Gegenstand bestimmen, weil sie sich auf alle Gegenstände ohen Unterschied erstrecken. Ganz richtig hat daher HEGEL die logisch-metaphysischen Bestimmungen aus Bestimmungen von Gegenständen in selbständige Bestimmungen - Selbstbestimmungen des Begriffs - verwandelt; sie aus Prädikaten, was sie in der alten Metaphysik waren, zu Subjekten gemacht, und dadurch der Metaphysik oder Logik die Bedeutung des selbstgenugsamen, göttlichen Wissens gegeben. Aber ein Widerspruch ist es, daß dann doch wieder in den konkreten Wissenschaften, gerade wie in der alten Metaphysik, diese logisch-metaphysischen Schatten zu Bestimmungen der wirklichen Dinge gemacht werden, was natürlich nur dadurch möglich ist, daß entweder mit den logisch-metaphysischen Bestimmungen immer zugleich konkrete, aus dem Gegenstand selbst geschöpfte, darum treffende Bestimmungen verbunden werden, oder der Gegenstand auf ganze abstrakte Bestimmungen, in welchen er gar nicht mehr kenntlich ist, reduziert wird. 50. Das Wirkliche in seiner Wirklichkeit und Totalität, der Gegenstand der neuen Philosophie, ist auch nur einem wirklichen und ganzen Wesen ein Gegenstand. Die neue Philosophie hat daher zu ihrem Erkenntnisprinzip zu ihrem Subjekt nicht das Ich, nicht den absoluten, d. h. abstrakten Geist, kurz: nicht die Vernunft für sich allein, sondern das wirkliche und das ganze Wesen des Menschen. Die Realität, das Subjekt der Vernunft ist nur der Mensch. Der Mensch denkt, nicht das Ich, nicht die Vernunft. Die neue Philosophie stützt sich also nicht auf die Gottheit, d. h. Wahrheit, der Vernunft allein für sich, sie stützt sich auf die Gottheit, d. h. Wahrheit, des ganzen Menschen. Oder: sie stützt sich wohl auch auf die Vernunft, aber auf die Vernunft, deren Wesen das menschliche Wesen; also nicht auf eine wesen-, farb- und namenlose Vernunft, sondern auf die mit dem Blut des Menschen getränkte Vernunft. Wenn daher die alte Philosophie sagte: nur das Vernünftige ist das Wahre und Wirkliche, so sagt dagegen die neue Philosophie: nur das Menschliche ist das Wahre und Wirkliche; denn das Menschliche nur ist das Vernünftige; der Mensch ist das Maß der Vernunft. 51. Die Einheit von Denken und Sein hat nur Sinn und Wahrheit, wenn der Mensch als der Grund, das Subjekt dieser Einheit gefaßt wird. Nur ein reales Wesen erkennt reale Dinge; nur wo das Denken nicht Subjekt für sich selbst, sondern Prädikat eines wirklichen Wesens ist, nur da ist auch der Gedanke nicht vom Sein getrennt. Die Einheit von Denken und Sein ist daher keine formelle, so daß dem Denken an und für sich das Sein als eine Bestimmtheit zukommt; sie hängt nur ab vom Gegenstand, dem Inhalt des Denkens. Hieraus ergibt sich folgender kategorischer Imperativ: Wollen kein Philosophie sein im Unterscheid vom Menschen; sei nichts weiter als ein denkender Mensch; denke nicht als Denker, d. h. in einer aus der Totalität des wirklichen Menschenwesens herausgerissenen und für sich isolierten Fakultät; denke als lebendiges, wirkliches Wesen, als welches Du den belebenden und erfrischenden Wogen des Weltmeeres ausgesetzt bist; denke in der Existenz, in der Welt als ein Mitglied derselben, nicht im Vakuum der Abstraktion, als eine vereinzelte Monade, als ein absoluter Monarch, als ein teilnahmsloser, außerweltlicher Gott - dann kannst Du darauf rechnen, daß Deine Gedanken Einheiten sind von Sein und Denken. Wie sollte das Denken als Tätigkeit eines wirklichen Wesens nicht die wirklichen Dinge und Wesen erfassen? Nur, wenn man das Denken vom Menschen absondert, für sich selbst fixiert, entstehen die peinlichen, unfruchtbaren und für diesen Standpunkt unauflöslichen Fragen: wie das Denken zum Sein, zum Objekt kommt? Den für sich selbst fixiert, d. h. getrennt vom Menschen gesetzt, ist das Denken außerhalb allen Verbundes und Zusammenhang mit der Welt. Zum Objekt erhebst Du Dich nur dadurch, daß Du Dich dazu erniedrigst, selbst Objekt für Anderes zu sein. Du denkst nur, weil Deine Gedanken selbst gedacht werden können, und sie sind nur wahr, wenn sie die Probe der Objektivität bestehen, wenn sie der Andere getrennt von Dir, dem sie Objekt sind, auch anerkennt. Du siehst nur als ein selbst sichtbares, fühlst nur als ein selbst fühlbares Wesen. Offen steht die Welt nur dem offenen Kopf und die Öffnungen des Kopfes sind nur die Sinne. Aber das für sich isolierte, in sich verschlossene Denken, das Denken ohne Sinne, ohne den Menschen, getrennt vom Menschen ist absolutes Subjekt, das für Anderes nicht Objekt sein kann und sein soll, aber eben deswegen auch trotz aller Anstrengungen nun und nimmermehr einen Übergang zum Objekt, zum Sein findet so wenig als ein Kopf, der vom Rumpf abgetrennt ist, einen Übergang findet zur Besitzergreifung eines Gegenstandes, weil die Mittel, die Organe des Ergreifens fehlen. 52. Die neue Philosophie ist die vollständige, die absolute, die widerspruchsvolle Auflösung der Theologie in die Anthropologie; denn sie ist die Auflösung derselben nicht nur, wie die alte Philosophie, in der Vernunft, sondern auch im Herzen, kurz im ganzen, wirklichen Wesen des Menschen. Sie ist in dieser Beziehung nur das notwendige Resultat der alten Philosophie, - denn was einmal im Verstand aufgelöst ist, muß sich endlich auch im Leben, im Herzen, im Blut des Menschen auflösen - aber auch zugleich erst die Wahrheit derselben, und zwar sle eine neue, selbständige Wahrheit; denn erst die Fleisch und Blut gewordene Wahrheit ist Wahrheit. Die alte Philosophie fiel notwendig wieder in die Theologie zurück; was nur im Verstand, nur im Begriff aufgehoben ist, das hat noch einen Gegensatz am Herzen; die neue Philosophie dagegen kann nicht mehr rückfällig werden: was an Leib und Seele zugleich tot ist, das kann auch nicht einmal als Gespenst wiederkehren. 53. Der Mensch unterscheidet sich keineswegs nur durch das Denken vom Tier. Sein ganzes Wesen ist vielmehr sein Unterschied vom Tier. Allerdings ist der, welcher nicht denkt, kein Mensch; aber nicht, weil das Denken die Ursache, sondern nur weil es eine notwendige Folge und Eigenschaft des menschlichen Wesens ist. Wir brauchen daher auch hier nicht über das Gebiet der Sinnlichkeit hinauszugehen, um den Menschen als ein über den Tieren stehendes Wesen zu erkennen. Der Mensch ist kein partikuläres Wesen, wie das Tier, sondern ein universelles, darum kein beschränktes und unfreies, sondern uneingeschränktes, freies Wesen; denn Universalität, Unbeschränktheit, Freiheit sind unzertrennlich. Und diese Freiheit existiert nicht etwa in einem besonderen Vermögen, dem Willen, ebensowenig diese Universalität in einem besonderen Vermögen der Denkkraft, der Vernunft - diese Freiheit, diese Universalität erstreckt sich über sein ganzes Wesen. Die tierischen Sinne sind wohl schärfer als die menschlichen, aber nur in Bezug auf bestimmte, mit den Bedürfnissen des Tieres in einem notwendigen Zusammenhang stehende Dinge, und sie sind schärfer eben wegen dieser Determination, dieser ausschließlichen Beschränkung auf Bestimmtes. Der Mensch hat nicht den Geruch eines Jagdhundes, eines Raben; aber nur weil sein Gerun ein alle Arten von Gerüchen umfassender, darum freier, gegen besondere Gerüche indifferenter Sinn ist. Wo sich aber ein Sinn erhebt über die Schranke der Partikularität und seine Gebundenheit an das Bedürfnis, da erhebt er sich zu selbständiger, zu theoretischer Bedeutung und Würde: universeller Sinn ist Verstand, universelle Sinnlichkeit Geistigkeit. Selbst die untersten Sinne, Geruch und Geschmack, erheben sich im Menschen zu geistigen, zu wissenschaftlichen Akten. Geruch und Geschmack der Dinge sind Gegenstände der Naturwissenschaft. Ja selbst der Magen des Menschen, so verächtlich wir auf ihn herabblicken, ist kein tierisches, sondern menschliches, weil universales, nicht auf bestimmte Arten von Nahrungsmitteln eingeschränktes Wesen. Eben darum ist der Mensch frei von der Wut der Freßbegierde, mit welcher das Tier über seine Beute herfällt. Laß einem Menschen seinen Kopf, gib ihm aber den Magen eines Löwen oder Pferdes - er hört sicherlich auf, ein Mensch zu sein. Ein beschränkter Magen verträgt sich auch nur mit einem beschränkten, d. h. tierischen Sinn. Das sittliche und vernünftige Verhältnis des Menschen zum Magen besteht daher auch nur darin, denselben nicht als ein viehisches, sondern menschliches Wesen zu behandeln. Wer mit dem Magen die Menschheit abschließt, den Magen in die Klasse der Tiere versetzt, der autorisiert den Menschen im Essen zur Bestialität. 54. Die neue Philosophie macht den Menschen mit Einschluß der Natur, als der Basis des Menschen, zum alleinigen, universalen und höchsten Gegenstand der Philosophie - die Anthropologie also, mit Einschluß der Physiologie, zur Universalwissenschaft. 55. Kunst, Religion, Philosophie oder Wissenschaft sind nur die Erscheinungen oder Offenbarungen des wahren menschlichen Wesens. Mensch, vollkommener wahrer Mensch ist nur, wer einen ästhetischen oder künstlerischen, religiösen oder sittlichen und philosophischen oder wissenschaftlichen Sinn hat - Mensch überhaupt nur der, welcher nichts wesentlich Menschliches von sich ausschließt. Homo sum, humani nihil a me alienum puto [Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches, denk ich, ist mir fremd. - wp] - dieser Satz, in seiner universellsten und höchsten Bedeutung genommen, ist der Wahlspruch des neuen Philosophen. 56. Die absolute Identitätsphilosophie hat den Standpunkt der Wahrheit gänzlich verrückt. Der natürliche Standpunkt des Menschen, der Standpunkt der Unterscheidung in Ich und Du, Subjekt und Objekt, ist der wahre, der absolute Standpunkt, folglich auch der Standpunkt der Philosophie. 57. Die der Wahrheit gemäße Einheit von Kopf und Herz besteht nicht in der Auslöschung oder Vertuschung ihrer Differenz, sondern vielmehr nur darin, daß der wesentliche Gegenstand des Herzens auch der wesentliche Gegenstand des Kopfes ist - also nur in der Identität des Gegenstandes. Die neue Philosophie, welche den wesentlichen und höchsten Gegenstand des Herzens, den Menschen, auch zum wesentlichsten und höchsten Gegenstand des Verstandes macht, begründet daher eine vernünftige Einheit von Kopf und Herz, von Denken und Leben. 58. Die Wahrheit existiert nicht im Denken, nicht im Wissen für sich selbst. Die Wahrheit ist nur die Totalität des menschlichen Lebens und Wesens. 59. Der einzelne Mensch für sich hat das Wesen des Menschen weder in sich als moralischem, noch in sich als denkendem Wesen. Das Wesen des Menschen ist nur in der Gemeinschaft in der Einheit des Menschen mit dem Menschen enthalten - eine Einheit, die sich aber nur auf die Realität des Unterschiedes von Ich und Du stützt. 60. Einsamkeit ist Endlichkeit und Beschränktheit, Gemeinschaftlichkeit ist Freiheit und Unendlichkeit. Der Mensch für sich ist Mensch (im gewöhnlichen Sinn); Mensch mit Mensch - die Einheit von Ich und Du - ist Gott. 61. Der absolute Philosoph sagte oder dachte zumindest, analog dem L'etat c'est moi [Der Staat bin ich. - wp] des absoluten Monarchen und L'être c'est moi [Das Sein bin ich. - wp] des absoluten Gottes - von sich, als Denker natürlich, nicht als Menschen: la vérité c'est moi [Die Wahrheit bin ich. - wp] Der menschliche Philosoph sagt dagegen: ich bin auch im Denken, auch als Philosoph, Mensch mit Menschen. 62. Die wahre Dialektik ist kein Monolog des einsamen Denkers mit sich selbst, sie ist ein Dialog zwischen Ich und Du. 63. Die Trinität war das höchste Mysterium, der Zentralpunkt der absoluten Philosophie und Religion. Aber das Geheimnis derselben ist, wie im Wesen des Christentums historisch und philosophisch bewiesen wurde, das Geheimnis des gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Lebens - das Geheimnis der Notwendigkeit des Du für das Ich - die Wahrheit, daß kein Wesen, es sei und heiße nun Mensch oder Gott oder Geist oder Ich, für sich selbst allein ein wahres, ein vollkommenes, ein absolutes Wesen, daß die Wahrheit und Vollkommenheit nur die Verbindung, die Einheit von wesensgleichen Wesen ist. Das höchste und letzte Prinzip der Philosophie ist daher die Einheit des Menschen mit dem Menschen. Alle wesentlichen Verhältnisse - die Prinzipien verschiedener Wissenschaften - sind nur verschiedene Arten und Weisen dieser Einheit. 64. Die alte Philosophie hat eine doppelte Wahrheit - die Wahrheit für sich selbst, die sich nicht um den Menschen bekümmert - die Philosophie - und die Wahrheit für den Menschen - die Religion. Die neue Philosophie dagegen, als die Philosophie des Menschen, ist auch wesentlich die Philosophie für den Menschen - sie hat unbeschadet der Würde und Selbständigkeit der Theorie, ja im innigsten Einklang mit derselben, wesentlich eine praktische und zwar im höchsten Sinne praktische Tendenz; sie tritt an die Stelle der Religion, sie hat das Wesen der Religion in sich, sie ist in Wahrheit selbst Religion. 65. Die bisherigen Reformversuche in der Philosophie unterscheiden sich mehr oder weniger nur der Art, nicht der Gattung nach von der alten Philosophie. Die unerläßlichste Bedingung einer wirklich neuen, d. h. selbständigen, dem Bedürfnis der Menschheit und Zukunft entsprechenden Philosophie ist aber, daß sie sich dem Wesen nach von der alten Philosophie unterscheidet. ![]() ![]() |