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Über den Anfang der Philosophie
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"Etwas voraussetzen heißt ein Gegebenes für eine weitere Betrachtung zugrunde legen." Ungegenständliches gegenständlich, Unfaßliches faßlich machen, d. h. Etwas aus einem Objekt des Lebensgenusses zu einem Gedankending, einem Gegenstand des Wissens erheben - dies ist daher ein absoluter, ein philosophischer Akt - derselbe Akt, dem die Philosophie, das Wissen überhaupt sein Dasein verdankt. Die unmittelbare Folge hiervon aber ist, daß der Anfang der Philosophie der Anfang des Wissens überhaupt ist, nicht der Anfang ihrer als eines besondern, vom Wissen der realen Wissenschaften unterschiedenen Wissens. Dies bestätigt selbst die Geschichte. Die Philosophie ist die Mutter der Wissenschaften. Die ersten Naturforscher waren Philosophen, wie in der alten, so in der neueren Zeit. Darauf macht nun allerdings auf eine erfreuliche Weise auch der Verfasser der vorliegenden Schrift aufmerksam, aber nicht, wie er sollte, am Anfang, sondern am Ende der Philosophie. Denn wenn der Anfang des philosophischen und empirischen Wissens ursprünglich ein und derselbe Akt ist, so hat offenbar die Philosophie die Aufgabe, sich sogleich von vornherei an diesen gemeinschaftlichen Ursprung zu erinnern und folglich nicht mit dem Unterschied von der (wissenschaftlichen) Empirie, sondern vielmehr mit der Identität mit derselben zu beginnen. Im Verlauf mag sie sich von ihr scheiden; aber beginnt sie mit der Absonderung, so wird sie sich nimmermehr am Ende auf wahrhafte Weise mit ihr befreunden, wie man doch will, denn durch ihren aparten Anfang kommt sie nicht über die Stellung einer aparten Wissenschaft hinaus, behält sie gleichsam stets die verzwickte Haltung einer superdelikaten Persönlichkeit, die sich allein schon durch die Berührung ihres Handwerkszeugs der Empirie zu entwürdigen glaubt, gleich als wäre einzig und allein nur der Gänsekiel das Offenbarungsorgan und Instrument der Wahrheit, nicht auch das Teleskop der Astronomie, das Lötrohr der Mineralogie, der Hammer der Geologie, die Lupe des Botanikers. Allerdings ist das eine bornierte, eine miserable Empirie, die sich nicht bis zum philosophischen Denken erhebt oder wenigstens nicht erheben will, aber ebenso beschränkt ist eine Philosophie, die nicht zur Empirie herabsteigt. Aber wie kommt die Philosophie zur Empirie? Dadurch, daß sie sich nur die Resultate der Empirie aneignet? Nein! Nur dadurch, daß sie die empirische Tätigkeit auch als eine philosophische Tätigkeit anerkennt - anerkennt, daß auch das Sehen Denken ist, auch die Sinneswerkzeuge Organe der Philosophie sind. Die neuere Philosophie unterschied sich eben gerade dadurch von der scholastischen, daß sie die empirische Tätigkeit mit der Denktätigkeit wieder verband, daß sie dem von den wirklichen Dingen abgesonderten Denken gegenüber den Grundsatz aufstellt: duce sensu philosophandum esse [die Sinne leiten die Philosophie - wp]. Gehen wir daher auf den Anfang der neueren Philosophie zurück, so kommen wir auf den wahren Anfang der Philosophie. Die Philosophie kommt nicht am Ende erst auf die Realität, sie beginnt vielmehr mit der Realität. Dies allein ist der natürliche, d. h. sachgemäße und wahre Gang, nicht der, welchen der Verfasser im Einklang mit der spekulativen Philosophie seit FICHTE einschlägt. Der Geist folgt auf den Sinn, nicht der Sinn auf den Geist; der Geist ist das Ende, nicht der Anfang der Dinge. Der Übergang von der Empirie zur Philosophie ist Notwendigkeit, der Übergang von der Philosophie zur Empirie aber luxuriöse Willkür. Die Philosophie, die mit der Empirie beginnt, bleibt ewig jung, die Philosophie aber, die mit der Empirie schließt, wird zuletzt altersschwach, lebenssatt, ihrer selbst überdrüssig. Denn wenn wir mit der Realität beginnen und in ihr bleiben, so ist die Philosophie uns ein immerwährendes Bedürfnis, die Empirie läßt uns bei jedem Schritt im Stich, und treibt uns so auf das Denken zurück. Endlich ist daher die mit der Empirie schließende, unendlich die mir ihr beginnende Philosophie; diese hat immer Stoff zum Denken, jener geht am Schluß der Verstand aus. Die Philosophie, die mit dem Gedanken ohne Realität beginnt, schließt konsequent mit einer gedankenlose Realität. Schreiber dieses hat nichts dagegen, wenn man ihn ob dieses eben ausgesprochenen Gedankens des Empirismus zeiht. Er für seinen Teil hält es wenigstens für ehrenvoller und vernünftiger, mit der Nicht-Philosophie zu beginnen und mit der Philosophie zu enden, als umgekehrt, wie so mancher "große" Philosoph Deutschlands - exempla sunt odiosa [Beispiele sind hassenswert. - wp] das curriculum vitae [Lebenslauf - wp] mit der Philosophie zu eröffnen und mit der Nichtphilosophie zu beschließen. - Übrigens läßt sich der Weg von der Empirie zur Philosophie auch recht gut spekulativ begründen. Wenn nämlich, wie nicht zu bezweifeln, die Natur die Basis des Geistes ist, aber nicht deswegen, weil, wie in der Lehre des Mystizismus, die Natur Finsternis, der Geist Licht ist und das Licht sich nur aus der Finsternis entwickelt, sondern vielmehr deswegen, weil die Natur selbst schon Licht ist: so ist notwendig auch der objektiv begründete Anfang, die wahre Basis der Philosophie der Natur. Die Philosophie muß mit ihrer Antithese, mit ihrem Alter Ego beginnen; widrigenfalls bleibt sie stets subjektiv, stets im Ich befangen. Die Nichts voraussetzende Philosophie ist, die sich selbst voraussetzende, unmittelbar mit sich selbst beginnende Philosophie. Als den voraussetzungslosen Anfang der Philosophie bestimmt REIFF näher
Es ist richtig, daß Nichts an und in das Ich kommen kann, wofür sich nicht im Ich selbst ein Grund, wenigstens eine Empfänglichkeit auffinden läßt, daß, insofern jede Bestimmung von Außen zuletzt zugleich eine Selbstbestimmung, der Gegenstand selbst nichts Anderes ist, als das gegenständliche Ich. Aber ebenso wie das Ich im Gegenstand, ebenso setzt und bewährt sich der Gegenstand im Ich. Die Realität des Ich im Gegenstand ist zugleich die Realität des Gegenstandes im Ich. Käme es nur auf die Eindrücke des Objekts an, wie der geistlose Materialismus und Empirismus meinen, so könnten, ja müßten auch schon die Tiere Physiker sein; käme es nur auf das Ich an, so könnten nicht andere vom Ich unterschiedene Wesen außer uns die nämlichen oder doch analoge Eindrücke, wie wir, von den nämlichen Gegenständen empfangen. Wohl ist der Eindruck auf das Ich, "unterschieden vom Eindruck, den der Finger auf das Wachs macht;" allein auch der Eindruck auf das Wachs ist unterschieden vom Eindruck auf den Talk, auf den Kalk oder irgendeinen anderen Körper. Der Talk ist mild, weich, doch bei weitem nicht so nachgiebig, so charakterlos, wie das Wachs, aber an der impertinenten Derbheit des Calcareus densus scheitert jeder Versuch, mit dem Finger in sein Wesen einzudringen. Der Grund daher, daß ich auf das Wachs drücken kann, ohne von ihm einen anderen Eindruck zu empfangen, als höchstens den schmierigen des Semper aliquid haeret [es bleibt immer etwas haften - wp], liegt in der Qualität seiner eigenen Charakterlosigkeit; wie umgekehrt der Grund, daß ich auf den Kalk nicht drücken kann, ohne von ihm empfindlich gedrückt zu werden, inseiner eigenen felsenfesten Kraft. Schon THEOPHRAST bemerkt in seiner Abhandlung von den Steinarten, daß "die verschiedenen Steinarten auch verschieden behandelt werden müssen" - gerade so wie die Ichbegabten Menschen, die auch nicht alle über einen Leisten geschlagen werden wollen und können. Schiebe man also nicht auf die Virtuosität und Universalität des Ich allein, was auch der eigenen Lebenskraft und Individualität der Dinge angehört, darum auf die nämliche oder doch analoge Weise das Nicht-Ich wie das Ich affiziert. Die Wärme der Frühlingssonne, die das menschliche Ich aus den Fesseln der frostigen Bürokratie ins Freie hinauslockt, zieht auch die Eidechsen und Blindschleichen aus ihren Schlupfwinkeln ans Licht hervor. Die Stapelia hirsuta [behaarte Aasblume - wp] hat nicht nur für uns, sondern auch für die Aasfliege den Geruch des Aases, sonst würde sich nicht von diesem Geruch verführt derselben ihre Eier anvertrauen. Der Bergkristall, welcher den Strahlen des Lichts keine Grenzen setzt, läßt eben deswegen auch unsere Blicke frei durch sich hindurch passieren, zum größten Gaudium für unsere Augen und das für unser Gefühl unwichtige Wachs mact auch auf das Wasser nur einen oberflächlichen Eindruck, während der gravitätische Kalkstein, der im Wasser bis auf den Grund dringt, auch unser Ich zu Boden drückt. Wie glücklich wären wir dran, wenn die Natur ihre Reize nur unserem Ich enthüllte! O wie glücklich! Dann würde keine Honig- oder Wachsmotte unsere Bienenstöcke, kein Rüsselkäfer unsere Kornböden, keine Kohlweißlingsraupe unsere Gemüsegärten zugrunde richten. Allein was uns süß und lieblich schmeckt mundet auch anderen Wesen außer uns. Hine lacrymae illae [daher diese Tränen - wp]. Oder sollten der Geschmack und Geruch, weil wir hier selbst mit den Rüsselkäfern und Kohlweißlingen in Kollision und Rivalität geraten, unter der Würde des menschlichen Ich sein? Sollten sie, wie die Sinne überhaupt, nicht mehr zu unserem Ich, sollten sie schon gleichsam zu den Wesen außer und unter uns gehören? Aber wenn Dir das Auge blind, das Ohr taub, der Geschmack und Geruch stumpf werden, wirst Du Dich nicht höchst elend und unglücklich, wie leiblich, so auch geistig, fühlen, wirst Du nicht tausendmal des Tages schmerzlichst ausrufen: O hätte ich meine Sinne wieder! und dadurch offen eingestehen und erklären, daß allerdings auch die Sinne zu Deinem Ich gehören, daß Du - Du sage ich, Du selbst, nicht bloß Dein Leib - ohne Sinne oder mit unvollkommenen Sinnen ein erbarmungswürdiger Krüppel bist? Oder sollte das Ich, welches durch den Verlust der Sinne defekt, krüppelhaft wird, wie z. B. Dein oder wenigstens mein Ich, welches so ehrlich ist, einzugestehen, daß es einen Teil seiner selbst verloren, wenn es einen Teil seines Körpers verloren, sollte dieses Ich nicht das spekulative Ich sein? Aber was soll denn dann dieses Ich der Spekulation für ein Ich sein? Wie kann von der "Gemeinempfindung, vom Trieb, vom Sinn" und dergleichen Dingen die Rede sein, wenn es ein vom wirklichen Ich unterschiedenes Ich ist? Wie könnte es den Namen Ich beibehalten, wenn es seine Affinität mit dem empirischen Ich verleugnen wollte? Vielmehr wird das spekulative Ich vor unserem empirischen keine andere Distinktion voraushaben wollen, als daß es das Ich ist, worunter sich Jeder, der Ich sagt, ohne Unterschied befassen kann, - das von allen Partikularitäten, Unwesentlichkeiten und Zufälligkeiten der Empirie gereinigte Ich. Aber zu diesen Partikularitäten und Zufälligkeiten ist offenbar der Leib nicht zu rechnen. Also gehört auch zum spekulativen Ich der Leib, wenigstens der spekulative Leib; denn es ist nicht einzusehen, warum wir nur dem Ich, nicht auch dem Leib den Unterschied zwischen dem Notwendigen und Zufälligen vergönnen sollten, nicht einzusehen also, warum wir nicht ebensogut wie das Ich so auch den Leib von allen Ungehörigkeiten und Zufälligkeiten sollten säubern dürfen. Das Ich ist beleibt - heißt aber nichts anderes als: das Ich ist nicht nur ein Aktivum, sondern auch ein Passivum. Und es ist falsch, diese Passivität des Ich aus seiner Aktivität ableiten oder als Aktivität darstellen zu wollen. Im Gegenteil: das Passivum des Ich ist das Aktivum des Objekts. Weil auch das Objekt tätig ist, leidet das Ich - ein Leiden, dessen sich übrigens das nicht zu schämen hat, denn das Objekt gehört selbst zum innersten Wesen des Ich. Aber eben deswegen ist es im höchsten Grad einseitig und parteiisch, wenn man abgesondert von den Gegenständen alle Bestimmungen des Ich als bloße Selbstbestimmungen desselben betrachten und darstellen will, zudem auch völlig unausführbar. Das eigene Vermögen des Ich reicht nämlich keineswegs aus, um alle seine Bedürfnisse zu bestreiten; es muß daher nolens volens [ob man will oder nicht - wp] die fehlenen Mittel der objektiven Welt, respektive dem eigenen Leib abborgen. So ist z. B. offenbar "die Empfindung der animalischen Wärme", welche das Ich in der Psychologie bekommt, rein körperlichen Ursprungs. Aber wie stimmt das mit dem nur aus sich selbst alles schöpfenden Ich zusammen? Wie kommt das beunruhigende Feuer der animalischen Wärme in die "gnostische sige [Schöpfung - wp] der nur in sich konzentrierten Ich?" Etwa deswegen, weil dem Wechsel der äußeren Temperatur gegen die animalische Wärme eine eigene Selbständigkeit und Unabhängigkeit behauptet? Aber auch diese Unabhängigkeit hat ihre Grenze, die uns sogleich an die Unzertrennlichkeit des Subjekts und Objekts erinnert. Unter dem Äquator sind Menschen plötzlich gestorben, wenn sich die Temperatur 40° näherte. Oder ist der animalische Leib überhaupt so identisch mit dem Ich, daß es aus sich selbst schöpft, was es aus dem Leib schöpft? Allein das Ich ist keineswegs "durch sich selbst" als solches, sondern durch sich als leibliches Wesen, also durch den Leib der "Welt offen". Dem absolvierten Ich gegenüber ist der Leib die objektive Welt. Durch den Leib ist Ich nicht Ich, sondern Objekt. Im Leib sein, heißt in der Welt sein. So viele Sinne - so viele Poren, so viele Blößen. Der Leib ist nichts als das poröse Ich. Oder soll nur die Empfindung der animalischen Wärme als Empfindung dem Ich angehören? Aber was ist Empfindung ohne Wärme? Was bleibt denn überhaupt übrig, wenn ich vom Gegenstand oder Inhalt der Empfindungen oder Tätigkeiten des Ich abstrahiere? Wie kann ich z. B. die Empfindung oder Tätigkeit des Sehens dem Ich beilegen, wie sie in die Psychologie aufnehmen, wie definieren, wenn ich vom Gegenstand derselben, dem Licht, abstrahiere? Das Sehen ist eben zunächst gar nichts anderes, als die Empfindung oder Wahrnehmung des Lichts, die Empfindung des Hellseins überhaupt; das Auge der "Lichtsinn". Sehen ohne Licht ist ebensoviel als Atmen ohne Luft; Sehen ist Genuß des Lichtes. Allerdings kann man auch - jedoch immer im Widerspruch mit der Bedeutung, die wir mit dem Begriff oder doch Wort "Ich" seit FICHTE verknüpfen - das Ich zu einem universalen Deduktionsprinzip machen, aber nur unter dieser Bedingung, daß man im Ich selbst ein Nicht-Ich, überhaupt Unterschiede, Gegensätze aufdeckt und nachweist; denn mit der einfältigen monotonen Litanei des ewigen Ich = Ich ist schlechterdings nichts anzufangen. Das Ich, aus welchem der musikalische Ton hervorgeht, ist ein ganze anderes Ich, als das Ich, aus welchem eine logische Kategorie oder ein moralisches oder juridisches Gesetz entspringt. Die allen anderen Wissenschaften vorangehende, die erste, die allgemeine Wissenschaft ist dann aber einzig die Psychologie, als welche keine andere Aufgabe hat, als das Ich zu deklinieren, um aus den verschiedenen Verhältnissen des Ich in sich selber verschiedene Prinzipien zu deduzieren; - also ganz unangemessen und unstatthaft, die Psychologie, wie von REIFF geschieht, zu einer besondern Wissenschaft zu machen und nur die abstrakten Wissenschaften, Logik und Metaphysik, aus ihr abzuleiten. Aber der wesentlichste, der ursprüngliche, der notwendig mit dem Ich verknüpfte Gegensatz des Ich ist - der Leib, das Fleisch. Der Konflikt von Geist und Fleisch, nur der allein, meine Herren! ist das oberste Principium metaphysicum, nur der allein das Geheimnis der Schöpfung, der Grund der Welt. Ja, das Fleisch, oder, wenn ihr lieber wollt, der Leib hat nicht nur eine naturhistorische oder empirisch-psychologische, er hat wesentlich eine spekulative, eine metaphysische Bedeutung. Denn was ist der Leib anderes als die Passivität des Ich? Und wie wollt Ihr auch nur den Willen, auch nur die Empfindung aus dem Ich deduzieren ohne ein passives Prinzip? Der Wille ist nicht denkbar ohne Etwas, was wider den Willen strebt; und in jeder Empfindung, sie sei auch noch so spirituelle, ist nicht mehr Tätigkeit als Leiden, nicht mehr Geist als Fleisch, nicht Ich als Nicht-Ich. ![]() ![]() |