ra-1M. SchelerW. StarkP. SzendeK. MannheimMH    
 
MAX HORKHEIMER
Der neueste Angriff
auf die Metaphysik

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"In den jede innere Freiheit vernichtenden ökonomischen Mechanismus eingespannt, durch abgefeimte Methoden der Erziehung und Propaganda in der Entwicklung ihrer Intelligenz gehemmt, durch Angst und Schrecken um ihr Selbstbewußtsein gebracht, könnten die Menschen eines Landes verkehrte Eindrücke haben, ihnen selbst widersprechende Handlungen begehen, in jeder Empfindung, jedem Ausdruck und jedem Urteil bloß Täuschungen und Lügen produzieren. Sie könnten im strengen Sinn des Wortes in allen Äußerungen besessen sein. Jenes Land gliche einem Tollhaus und einem Gefängnis zugleich, und seine glatt funktionierende Wissenschaft würde es nicht merken."

"Mussolini hat sich schon immer gerühmt, den Relativismus gegenüber den Sozialisten und allen übrigen politischen Bekenntnissen angewandt zu haben. Daß die von ihm geführte Bewegung sich auf kein Programm festgelegt und sich je nach der Sachlage aristokratisch und demokratisch, revolutionär und reaktionär, proletarisch un anti-proletarisch, pazifistisch und anti-pazifistisch genannt hat, begründet nach ihm ihren Anspruch, sich unmittelbar von den aktuellsten Richtungen des europäischen Geistes herzuleiten, nämlich von den relativistischen Strömungen der Philosophie. Aus dem Umstand, daß alle Ideologien einander wert, nämlich alle miteinander bloße Fiktionen sind, schließt der moderne Relativist, daß jedermann das Recht hat, sich seine eigene zu machen und ihr mit aller Energie, zu der er nur fähig ist, Geltung zu verschaffen."

"Das Bekenntnis, daß man sich an die Tatsachen halten soll, der Vorsatz der Wissenschaft, keinen wesentlichen Unterschied zu machen zwischen der Verschwörung brutaler Machthaber gegen jede menschliche zielgerichtete Hoffnung auf Glück und Freiheit und andererseits dem Kampf dagegen - diese ganze Philosophie, die beides bloß auf den abstrakten Begriff des Gegebenen bringt und diese Haltung auch noch als Objektivität verherrlicht, ist auch den übelsten Gewalten noch willkommen."

"Zu den Wegen, die zur Entfaltung einer höheren Spontaneität führen, gehört, daß der Einzelne nicht im Registrieren und Prognostizieren von Fakten, im bloßen Kalkulieren verharrt, sondern daß er lernt, hinter die Fakten zu blicken, die Oberfläche vom Wesen zu unterscheiden, ohne sie freilich für nichts zu achten, Begriffe zu konzipieren, die nicht bloß Klassifikationen des Gegebenen sind, und seine gesamte Erfahrung fortwährend auf bestimmte Zielsetzungen hin zu strukturieren, ohne sie jedoch zu verfälschen, kurz daß er lernt, dialektisch zu denken."

Dem Empirismus, besonders der neuesten Observanz, der auch das Kriterium der individuellen Selbstwahrnehmung preisgegeben hat und sich in restloser Sauberkeit bloß auf die logische Intaktheit des Systems und auf Protokollsätze verlassen will, könnte ein Mißgeschick passieren. Nehmen wir an, zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Land arbeiteten die Wissenschaften vom Menschen, Nationalökonomie, Geschichte, Psychologie und Soziologie nach seinen eigensten Prinzipien. Sie machten genaue Feststellungen, besäßen einen äußerst feinen logischen Zeichenapparat und gelangten in einer Reihe von Fällen zu scharfen Prognosen. Die Tagesereignisse wirtschaftlicher und politischer Art werden genau registriert, einige Preisschwankungen am Markt genau berechnet, wenn auch nur in einem begrenzten Zeitraum, die Reflexe und Reaktionen des durchschnittlichen Menschen vom Säuglings- bis zum Greisenalter werden aufgenommen und die Affekte in Verbindung zu meßbaren physiologischen Vorgängen gebracht. Über das Verhalten der Mehrzahl aller Menschen in dem betreffenden Land werden zutreffende Voraussagen gemacht, z. B. über ihren Gehorsam gegen strenge Verordnungen, ihre Genügsamkeit bei allgemeinem Nahrungsmangel infolge kriegerischer Politik, ihre Passivität angesichts der Verfolgung und Ausrottung ihrer bewährtesten Freunde, ihren Jubel bei öffentlichen Festen und den positiven Ausfall von Wahlen für eine brutale und lügnerische Bürokratie. So weit und noch weiter könnten die Sozialwissenschaften aller Art in dem Bestreben gelangt sein, es der empiristisch ausgelegten Physik gleichzutun. Die "Tatsachen der reinen Sinneserfahrung", die beweisenden Protokollsätze, strömten den Gelehrten in ähnlicher Fülle zu, wie die spontanen Beifallskundgebungen der schlechten Regierung, welche diese genau registrierende, vergleichende, Zusammenhänge feststellende Wissenschaft ohne Zweifel in den Dienst ihres alles erfassenden Herrschaftsapparates zu stellen wüßte. - Und doch könnte das Bild von Welt und Menschen, das so zustandekäme, von der in diesem Zeitpunkt erreichbaren Wahrheit unendlich weit entfernt sein. In den jede innere Freiheit vernichtenden ökonomischen Mechanismus eingespannt, durch abgefeimte Methoden der Erziehung und Propaganda in der Entwicklung ihrer Intelligenz gehemmt, durch Angst und Schrecken um ihr Selbstbewußtsein gebracht, könnten die Menschen jenes Landes verkehrte Eindrücke haben, ihnen selbst widersprechende Handlungen begehen, in jeder Empfindung, jedem Ausdruck und jedem Urteil bloß Täuschungen und Lügen produzieren. Sie könnten im strengen Sinn des Wortes in allen Äußerungen besessen sein. Jenes Land gliche einem Tollhaus und einem Gefängnis zugleich, und seine glatt funktionierende Wissenschaft würde es nicht merken. Sie würde die physikalischen Theorien verfeinern, in der Nahrungsmittel- und Zerstörungsmittelchemie sowie in der Sternkunde eine führende Rolle spielen und nie Dagewesenes in der Bereitstellung von Mitteln der menschlichen Verwirrung und Selbstvernichtung leisten. Aber das Entscheidende würde sie nicht merken. Sie würde auch nicht merken, daß sie längst zu ihrem eigenen Gegenteil, aus einer Wissenschaft trotz einzelner virtuos eingerichteter Teilsysteme zu einem barbarischen Unwissen und Borniertheit geworden ist. Der Empirismus aber müßte sie fernerhin verklären, denn unerschütterlich stellt diese Wissenschaft Tatsachen fest, bezeichnet, ordnet, prognostiziert Tatsachen, und wo sollte man übrigens erfahren, was Wissenschaft ist, wenn nicht bei ihr selbst, bei den Gelehrten, die sie betreiben, und diese stimmen darin überein, daß alles in Ordnung ist.

Dieses Mißgeschick könnte dem Empirismus leicht passieren. Er kann sich nicht einmal vorstellen, wie es zu vermeiden ist. Sollte etwa der sich dem wissenschaftlichen Registrierungsmechanismus entziehende Kampf unbeirrbarer Gruppen, denen das Leben unter den herrschenden Verhältnissen unerträglich war, zum Ziel führen und sich das Bild mit einem Schlag ändern, so fiele dem Emprismus nach doch kein Schatten auf die überraschte Wissenschaft. Zwar zeigte sich das frühere Bewußtsein und Verhalten der Menschen als falsch, als erzwungene Anpassung und als Produkt einer versklavenden Situation. Nach wenigen Jahren freier Entwicklung gälte die alte Epoche als Verwirrung des Denkens und Verbiegung aller menschlichen Kräfte unter einem ungeheuren Druck. Zwar würden die Massen selbst ihre früheren Reden, Handlungen, ja ihre geheimen Gedanken nunmehr als schlecht und unwahr erkennen, aber wie hätte denn die Wissenschaft damals etwas davon merken sollen? Die Aufgabe des Gelehrten ist es doch festzustellen, und nicht Prophezeiungen zu machen. Wissenschaftliche Prognosen beziehen sich selten auf "bedeutsame Wandlungen", begreiflicherweise mangelt es an Beobachtungsmaterial. "Man muß die neue Erscheinung abwarten, um dann für wie wieder neue Gesetzmäßigkeiten zu finden." Die aktiven Gruppen und Individuen jedoch, die jenen Umschwung herbeiführten, standen anders zur Theorie, sie haben sich ncht in ununterbrochener Reihenfolge von Gelehrten in Praktiker und von Praktikern wieder in Gelehrte zurückverwandelt. Ihr Kampf gegen das Bestehende war die wirkliche Einheit des Gegensatzes von Theorie und Praxis. Weil sie eine bessere Wirklichkeit im Sinn hatten, haben sie die gegebene zu durchschauen vermocht. In der Art ihrer Wahrnehmung steckte ihr spezifisches Tun, wie in der geprellten Wissenschaft die Praxis der schlechten Gesellschaft. Sie blieben auch in der "Sinnlichkeit" bewußt und aktiv.

Vom protokollarisch registrierten Zauber haben sie nichts übersehen, sondern sie haben ihn vielmehr durchschaut. Empirisches Material, die ganze erreichbare Wissenschaft wird auch von der Dialektik in strenger Genauigkeit aufgenommen, und Einzeltatsachen, die Häufung von Einzeltatsachen können, wenn Denken mit im Spiel ist, durchaus entscheidend sein. Aber sie erscheinen jeweils in einem spezifischen Zusammenhang, der in jeden Begriff hineinspielt und als ganzer die Realität zu spiegeln versucht. In der empiristischen Methodenlehre werden die Begriffe und Urteile bloß in ihrer Isolierung, als selbständige feste Bausteine genommen, die man zusammensetzen, auswechseln, teilweise erneuern kann, was bloß in Sonderfällen nicht den Sinn zerstört, wenn es nämlich unproblematische Erfahrungen in fester Form zu bewahren und mit ihnen zu operieren gilt. Insofern das Denken jedoch ein Bild der lebendigen Sache zu entwerfen versucht, wobei sich erst am Ende des Gedankenzugs die Funktion der einzelnen Teile erhellt und das Ganze klar wird, versagt die empiristische Lehre; die empirischen Bestandteile werden im dialektischen Denken zu Strukturen der Erfahrung vereinigt, die nicht bloß für die beschränkten Zwecke, denen die Wissenschaft zu dienen hat, sondern auch für die historischen Interessen von Bedeutung sind, mit denen jenes verbunden ist. Im Gegensatz zur gewohnheitsmäßigen Betriebsamkeit folgt das seiner selbst bewußte Individuum nicht bloß der Richtung der Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit bestimmter Prognosen und Nutzeffekte, wie sie in der Naturwissenschaft durch allgemeine Bedürfnisse in gewissem Grad vorgezeichnet ist. Wenn der gesunde Menschenverstand die Welt so wahrnimmt, wie es der Situation seiner Träger entspricht, so bildet die Veränderung des Bestehenden den Aspekt, unter dem das aktive Individuum das Gegebene gruppiert und zur Theorie konstruiert. Die Theorie ist in ihren Verfahrensweisen und Kategorien sowie in ihren Wandlungen nur im Zusammenhang mit eben dieser Parteinahme begreiflich, die selbst noch jenen gesunden Menschenverstand und seine Welt enthüllt. Das richtige Denken hängt ebensosehr vom richtigen Wollen ab wie das Wollen vom Denken.

Für das wirkliche, bewußt handelnde Individuum bedeutet Theorie etwas anderes als für den empiristischen Gelehrten. Dieser übernimmt ihre Formen als Konvention aus dem herrschenden Wissenschaftsbetrieb. Reicht jedoch ein Denken über die Fortsetzung des gesellschaftlichen Lebens in seiner gegebenen Gestalt hinaus, so sind auch die Formen der Darstellung nicht vorgegeben, in der Theorie werden vielmehr die empirischen Elemente zu einem Gesamtbild konstruiert, das die Wirklichkeit bewußt  sub specie [im Hinblick auf - wp] der eigenen weitergreifenden Interessen spiegelt. Konstruktion und Darstellung sind im Zusammenhang mit der Forschung eigene Momente der Erkenntnis. In der Physik bedeutet nach den Empiristen der Körper "eine Ereignisreihe ..., die durch gewisse Kausalbeziehungen zusammenhängt und genügend Einheit besitzt, um einen Einzelnamen zu verdienen." (35) Der Gebrauch solcher Naamen gilt dann als "bequeme Abkürzung", und es entsteht wenig Streit darüber, was so zusammenhängt. Im Hinblick auf die Menschenwelt stimmen die Ansichten über Kausalbeziehungen, Einheit und Bequemlichkeit des Ausdrucks nicht so gut zusammen wie in der Physik. Der unabhängig Handelnde sieht Einheit und Abhängigkeit, wo für das ergebene Bewußtsein alles disparat erscheint, und umgekehrt, und doch gilt, wo jener in seinem Kampf  Einheit  antrifft, z. B. in dem erwähnten System von Unterdrückung und Aussaugung, diese "Ereignisreihe" nicht bloß als Abkürzung und Fiktion, sondern als bittere Realität. Das sich geschichtlich wandelnde Interesse an der Entfaltung des Allgemeinen, dieses subjektive und sich selbst verändernde Moment, wird in der dialektischen Theorie nicht als bloße Fehlerquelle, sondern als inhärierender Faktor der Erkenntnis verstanden. Alle Grundbegriffe der dialektischen Gesellschaftstheorie, wie  Gesellschaft, Klasse, Ökonomie, Wert, Erkenntnis, Kultur  usw. bilden einen Teil des theoretischen Zusammenhangs, den ein subjektives Interesse durchherrscht. Tendenzen und Gegentendenzen, aus denen sich die geschichtliche Welt konstituiert, bedeuten Entwicklungen, die ohne den Willen zu einem menschenwürdigen Dasein, den das Subjekt in sich selbst erfahren oder vielmehr produzieren muß, nicht zu erfassen sind. Nicht einmal als "Ballungen" ließe der Empirist sie zu, als welche er doch die Begriffe der "vulgären" Sprache zu seinen Formeln in Beziehung setzt (36). Die Anlage und Verfassung des Menschen, die sich  post factum,  also nach dem Umschwung in jenem eingebildeten Land als die wahren auch für den Empiristen enthüllten, der freilich diese Redeweise verschmähen muß, hatte die Erkenntnis der handelnden Gruppen im Ganzen und in den Teilen schon während ihres Kampfes bestimmt, ohne daß sie eine Tatsache hätten behaupten müssen, die nicht grundsätzlich auch damals schon empirisch erweisbar war - wenn das richtige Interesse den Blick lenken würde. Die vernünftige Erkenntnis widerspricht nicht den Feststellungen der Wissenschaft, nur bleibt sie nicht bei ihnen stehen wie die empiristische Philosophie.

Diese könnte daran erinnern, daß die verwirklichte Freiheit jenes erfundenen Landes bloß von uns erdichtet ist. Wenn im obigen vom "Entscheidenden" die Rede war, das die empirische Wissenschaft nicht merkt, wenn vom Interesse am Allgemeinen und von der Idee eines menschenwürdigen Daseins gesprochen wurde, so erklärt sich der Empirismus solche Ausdrücke als Vermengung von persönlichen Wünschen, einem moralischen Glauben und Gefühlen mit der Wissenschaft. Wertung und Wissenschaft auseinanderzuhalten, sei eine der wichtigsten Errungenschaften des modernen Denkens. Jenem auf die Freiheit gerichteten Willen stünden andere Zielsetzungen gegebüber, und es sei nicht der Beruf der Wissenschaft, zu entscheiden, welche von allen die richtige ist. Bevor jene Kämpfer ihr Ziel erreichen, habe sich das Interesse, das ihre Vorstellungen und ihre ganze Theorie strukturierte, in nichts von anderen Wünschen unterschieden, nichts ihnen vorausgehabt. Der Begriff einer vom Interesse durchherrschten Theorie sei unvereinbar mit objektiver Wissenschaft. Nun ist es freilich nicht zu leugnen, daß die Gelehrten der letzten Jahrzehnte im Gegensatz zu den politischen Ökonomen und anderen Sozialwissenschaftlern, die noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Theorien und Systeme erklärtermaßen im Hinblick auf eine günstige Entwicklung des Menschengeschlechts konzipierten, eben davon nichts wissen wollen und über dem Ausschalten aller bewußten sozialen Impulse bei ihrer Arbeit nur noch von den unbewußten sich leiten lassen. Sie empfangen ihre Problematik und die Richtung, in der Lösung und "Prognosen" erwartet werden, ohne viel darüber nachzudenken, aus der Lage ihrer Wissenschaft und aus der Situation des akademischen bzw. öffentlichen Geistes. Die subalterne Rolle des Denkens, das bloß noch die Stellung einer Dienstmag für die je geltenden Zwecke bekleidet, wird von diesen späten Apologeten der Wertfreiheit verklärt. Die zielsetzenden Mächte bedienen sich des Denkens, das auf jede bestimmende Rolle verzichtet hat. Und die Gelehrten, in deren allgemein gesunkener sozialer Geltung dieser Zustand einen genauen Ausdruck findet, bescheiden sich dabei und versprechen, sich an eine solche Ordnung der Dinge zu halten, indem sie den Verzicht, in den einzelnen Schritten der theoretischen Reflexion auch zu wissen, wohin sie laufen soll, gehorsam als Sauberkeit, wissenschaftliche Strenge oder sonstwie hinstellen, ähnlich wie die Bürger eines schlechten Staates ihre schweigende Duldung der Tyrannei als Treue und Loyalität (37).

Die intellektuelle Sauberkeit braucht dort, wo die Verhältnisse von einem bewußten Interesse aus begriffen werden, wahrhaftig nicht geringer zu sein als bei jenen, die es auszuschalten trachten, und es ist ferner kein Wort darüber zu verlieren, daß eine unbeirrbare Parteinahme existiert existiert, welche die historische Situation erhellt, wogegen eine innere Abhängigkeit vom jeweils Vorhandenen, die sich mit virtuosen Leistungen auf Spezialgebieten verbinden mag, zumindest in menschlichen Dingen die Einsicht verbaut. Wenn das dialektische Denken sich des weiteren zutraut, angesichts des drohenden Untergangs der Menschheit in Kriegen und einer endlosen Barbarei von einem allgemeinen Interesse zu sprechen, Entscheidendes von Unwichtigem zu sondern und von dieser Einstellung her seine Begriffe zu strukturieren, so läßt sich dafür freilich kein unzweifelhafter Beweis erbringen, umso weniger, als der Umstand mit zur Situation gehört, daß die Allgemeinheit heute noch blind ist und den desavouiert [in Verruf bringen - wp], der für sie denkt und handelt. Die Empiristen pflegen zu sagen, zwischen der Physik und einer Theorie der Gesellschaft bestehe kein grundsätzlicher Unterschied, letztere habe es nur noch nicht so weit gebracht. In der Tat herrscht aus guten Gründen hier noch nicht die gleiche Kollegialität wie dort. Doch daraus folgt nicht, daß die Begriffsbildung nun solange aussetzen muß und Kategorien wie Allgemeininteresse, Fesselung menschlicher Kräfte, Glück und Entfaltung nichts in der Wissenschaft zu suchen haben. Die Auswahl des Materials, die Übernahme begrifflicher Bestimmungen, die dort unproblematisch und unbelastet vor sich gehen, bedeuten hier vielmehr eine bewußte Entscheidung, ohne die man in einer Scheinobjektivität verharrt, welche für bestimmte zeitgenössische Soziologenschulen auch charakteristisch ist. Der empiristische Wahrheitsbegriff, der freilich die Beziehung auf das mit allen erreichbaren Kenntnissen ausgestattete subjektive Interessen an einer vernünftigen Gesellschaft und die damit gesetzte Unsicherheit nicht ansich hat, bringt die Erkenntnis auf die Idee eines bürgerlichen Berufs herunter, dessen Angehörige die Erlebnisse des gemeinen Bewußtseins aufnehmen, systematisieren und reproduzieren helfen. Geradezu gehört es zum Wesen dieses Begriffs der Erkenntnis, daß sie, wenn neun Zehntel aller Menschen Gespenster sehen, wenn sie unschuldige Gruppen der Gesellschaft als Teufel und Dämonen ausrufen und Räuberhauptleute zu Göttern erklären, also angesichts jener furchtbaren Verwirrung, die der Auflösung einer Gesellschaftsform voranzugehen pflegt, grundsätzliche unfähig ist, diesem Anschwellen prätendierter [vorgegaukelter - wp] Erfahrungen ein anderes Bild der Realität vorzuhalten und das gemeine Bewußtsein zu kritisieren. Wo die gedankenlose Menge verrückt ist, kann die gedankenlose Philosophie nicht bei Sinnen sein. Dem Geisterglauben sind die Empiristen ohnehin nicht unzugänglich gewesen (38). Und diese Schule ruft zum Kampf gegen die Metaphysik.

Nun ist oben bereits erwähnt worden, der moderne Empirismus unterscheidet sich selbst vom älteren. Wiederholt versichert die neueste empiristische Schule, über den älteren und gewöhnlichen Empirismus hinauszugehen.
    "Unser logisches Wissen", schreibt  Russell,  "ist ... nicht von der Erfahrung allein ableitbar, und der Empirismus kann daher nicht in seiner Gesamtheit anerkannt werden, trotz der vorzüglichen Dienste, die er auf verschiedenen außerlogischen Gebieten zu leisten vermag." (39)
Die Sätze der formalen Logik und Mathematik sind danach nicht von empirischen Gegebenheiten abzuleiten. Indem der logische Empirismus diese von ihm selbst vornehmlich gepflegten Teile der Wissenschaft als solche anerkennt, ohne auch sie noch wie JOHN STUART MILL auf empirische Befunde zurückführen zu wollen, sieht er sich als eigene Schule an. Aber die Gestalt, die sich hier das vom bloßen Feststellen unterschiedene Denken gegeben hat, ist dem Vorhandenen gegenüber bescheiden genug. Hatte die traditionelle Logik von ihrem Ursprung her das Bewußtsein bewahrt, in ihren Grundsätzen die allgemeinste Beschaffenheit des Seins zu erfassen, so erklärt diese moderne Logik, daß sie überhaupt nichts erfaßt, sondern völlig gehaltleer ist. Aus ihren Sätzen soll gar nicht über die Wirklichkeit erschlossen werden. Vielmehr ist die ganze Logik ebenso wie die Mathematik, die nach den Untersuchungen von RUSSELL und WHITEHEAD selbst als Teil der Logik erscheint, bloß ein äußerst differenziertes System von Sätzen über Begriffe, Urteile und Schlüsse, wie sie in der Wissenschaft und schließlich auch in der Sprache des gewöhnlichen Lebens Verwendung finden. Die Untersuchung dieser logischen Elemente und ferner die Aufstellung eines Begründungssystems für die verschiedenen Urteilsformen machen nach RUSSELL die Aufgabe der Logik aus. Weil die sprachlichen Elemente dabei ohne Rücksicht auf ihr Verhältnis zur Wirklichkeit betrachtet werden, das heißt auf die Wahrheit oder Unwahrheit des Gedankens, zu dem sie gehören, wird diese Logik als formale bezeichnet. Darüber, wie die Form ohne das Eingehen auf den Inhalt zu bestimmen ist, wird in den Schriften wenig Klares gesagt. Gewöhnlich werden einige Beispiele angeführt, in denen über die Verschiedenheit der bezeichneten Tatbestände keine Meinungsdifferenz aufzutreten pflegt, und dann gesagt, was trotz dieser Verschiedenheit in allen Beispielen dasselbe bleibt, das sei die Form, das Unterschiedliche dagegen der Inhalt, und zugleich werden Sätze angeführt, in denen das Auftreten von ein und demselben Gegenstand unbestritten ist, wobei dann das Verschiedene als Form bezeichnet wird. Nachdem RUSSELL zunächst Beispiele verschiedenartiger Sätze über SOKRATES angeführt hat, in denen eben der Gegenstand, SOKRATES, derselbe bleibt, fährt er fort:
    "Nehmen wir als Beispiel folgende Reihe von Sätzen: Sokrates trank den Giftbecher, Coleridge trank den Giftbecher, Coleridge trank Opium, Coleridge aß Opium. Hier bleibt die Form durch die ganze Reihe durch konstant, alle Bestandteile dagegen werden ausgewechselt. Die Form ist also kein Bestandteil, sondern die Art, wie die Bestandteile zusammengefügt werden." (40)
Die Logik bietet dann die Möglichkeit, durch eine Analyse der formalen Elemente der Wissenschaft begriffliche Unklarheiten, scheinbare Gegensätze, Widersprüche aufzudecken, übersehene Alternativen nachzuweisen, anstelle komplizierter theoretischer Strukturen einfachere und übersichtlichere zu setzen, verschiedene Ausdrucksweisen in verschiedenen oder auch denselben Disziplinen aufeinander abzustellen und eine größere Einheitlichkeit zu schaffen. Sie verwendet für alle Formelemente sowie für die einzelnen Operationen Zeichen wie die Mathematik. Insbesondere beim Schließen verfährt sie rechenmäßig mit den symbolisch fixierten Sätzen, was Mißverständnisse erschwert und die Übersichtlichkeit erleichtert. Mit Stolz sagt diese Logik von sich aus, daß sie nirgends die sachhaltige Erkenntnis vermehrt, wie sie von den Einzelwissenschaften in ihrer gegenwärtigen Struktur gefördert und verstanden wird. Sie will ihnen bei der Formulierung der Resultate und gegenseitigen Verständigung behilflich sein, kurz den Betrieb rationalisieren. "Es gibt keine Philosophie als Theorie, als System eigener Sätze neben denen der Wissenschaft." (41) Die Meinung, daß die besondere logische Zutat den oben dargelegten allgemeinen Charakter des Empirismus änderte, wäre daher verfehlt.

Die Selbstauffassung der Logik als eines Systems von Sprachformen, das gehaltsleer ist, erweist sich freilich im Fortgang als problematisch und wird im Kampf mit der Metaphysik rasch preisgegeben. Die Trennung von Form und Inhalt ist entweder undurchführbar oder unzutreffend. Es ist ein Schein, daß sie ohne sachliche Stellungnahme möglich ist. In der theoretischen Physik, in der sie in Wirklichkeit gründet, erscheint sie deswegen plausibel, da hier zur Zeit das "Gegebene" als isolierte Wahrnehmungen gegenüber den komplizierten Vorgängen der Formulierung und Neuformulierung eine untergeordnete Rolle spielt. Daß jene Trennung in der Menschenwelt mit läppischen Beispielen belegt zu werden pflegt, ist kein Zufall. Die Verknüpfung mit Sachentscheidungen zeigt sich bereits bei den ersten Schritten dieser Wissenschaft. Jeder Ausdruck in der Sprache soll eine feste Bedeutung haben. Das Urteil gilt als zusammengesetztes Zeichen, und jedes Teilzeichen ist darin entweder einer bestimmten oder einer unbestimmten Sache zugeordnet. Man kann also mit jedem Urteil verfahren wie mit irgendeinem festen Ding, Lücken machen und ausfüllen, SOKRATES durch COLERIDGE ersetzen usw. (42) Bei einer solchen Vertauschung von Zeichen müssen gewisse Regeln befolgt werden, wenn nicht der Charakter des Urteils vernichtet werden und an seiner Stelle ein sinnloses Gebilde entstehen soll. Der Ausbau dieses Regelsystems, zu dem vornehmlich logische Schwierigkeiten innerhalb der Mathematik den Anstoß gaben, bildet einen besonders gepflegten Teil dieser modernen Logik. Die Bestimmung, welche Zeichenverbindung als sinnvoll anzusprechen ist, das heißt die Unterscheidung zwischen Aussagen und bedeutungslosen Lautgebilden, ist aber von den konkreten Entscheidungen über sachliche Probleme nicht zu trennen. Die Idee, daß der Logiker bei den Kollegen von den anderen Fakultäten oder gar bei Journalisten und Kaufleuten bloß herumzugehen braucht, um anerkannte Urteile einzusammeln, damit er zuhause den Begriff der Form davon abstrahieren kann, reduziert ihn auf besondere Kenntnisse, die zu bestimmten Zwecken greifbar aufgestapelt sind, auf ein Denken, das sich streng innerhalb der jeweils anerkannten Klassifikationssysteme bewegt und bloß Relationen zwischen fixierten Begriffen erforscht.

Der Denkprozeß, in dem die festen Begriffe in Strukturen einbezogen werden, wo sie spezifische Bedeutungsfunktionen üben, entzieht sich dem formalistischen Logiker. Bei Urteilen über menschliche Dinge ist er auf triviale Elemente und Verknüpfungen beschränkt. Er findet sowohl in der Wissenschaft wie auch im alltäglichen Leben außer den mathematischen Formeln gewiß unzählige Sätze, über deren Sinn, auch wenn sie isoliert genommen werden, kein Zweifel herrscht. Die darin vorkommenden Begriffe lassen sich in unproblematischer Weise auf "Wurzelbegriffe" zurückführen und diese beziehen sich auf Erlebnisse, die in dieser Gesellschaft grundsätzlich jederzeit und von jedem wiederholbar sind. Es handelt sich da um Qualitäten und Strukturen, über die kein Streit besteht. Der Satz: "Arthropoden sind Tiere mit gegliedertem Körper, gegliederten Extremitäten und einer Körperdecke aus Chitin" wird in der Zoologie gewiß als sinnvoll gelten, auch daß HUMBOLDT in Amerika gewesen ist oder  Tommy einen Schnupfen hat,  gibt kein Problem wegen des Sinns auf. Aber schon die Behauptung, irgendein Richterspruch sei gerecht oder ungerecht, ein Mensch sei zurückgeblieben oder hochentwickelt, fernder die Aussage, aus einer Gestalt des Bewußtseins geht eine andere hervor, die Ware sei die Einheit von Gebrauchswert und Tauschwert, oder gar der Satz, das Wirkliche sei vernünftig oder unvernünftig - diese Urteile lassen sich weder durch statistische Erhebungen bei kleinen Leuten noch bei Universitätsgelehrten als erlaubt feststellen. Die Erfahrung, das "Gegebene", ist hier nicht etwas allgemein und unabhängig von der Theorie Vorhandenes, sondern durch das gesetzmäßige Ganze, in dem jene Sätze fungieren, vermittelt, wenngleich die Realität, auf die es zielt, recht substantiell, will sagen unabhängig vom Bewußtsein des Theoretikers existiert. Dieses theoretische Ganze, das auf seinen einzelnen Stufen bestimmt strukturierte Erfahrungen bedingt, kann in seinem Verhältnis zu den Menschen und zur gegebenen Wirklichkeit nicht ein für allemal bestimmt werden. Ebenso wie die Alltagssprache oder die Sprache der Klassifikationssysteme des ordnenden Verstandes geschichtliche Einheiten darstellen, haben bestimmte geistige Leistungen, so sehr sie auch in vielen allgemeinen Zügen mit jenen Systemen übereinstimmen mögen, ihre eigene Struktur und ihre eigene Geschichte. Die Weise, in der das Gegebene hier durch das Denken vermittelt, Zusammenhänge zwischen den Gegenständen sichtbar gemacht, differenziert und ungeformt werden, die sprachliche Struktur, welche die Wechselwirkung zwischen Gedanken und Erfahrung, diese innere Entwicklung bewirkt, ist die Darstellungsform oder der Stil; er ist für diese Logik ein unüberwindliches Hindernis. Auch die Entwicklung der Naturwissenschaft beeinflußt die Wahrnehmung. Die Relativitätstheorie ist ein wichtiger Faktor bei der Umstrukturierung der Erfahrung, wenn man die Vorstellungswelt des alltäglichen Lebens mit hinzurechnet. Innerhalb ihres eigenen Gebietes, der Physik, bleibt freilich die Empirie, sofern man sie vom Denken isoliert, derselben Art wie auf dem früheren Stand der Forschung, nämlich ein Inbegriff "atomischer" Wahrnehmungen. Dies liegt im Wesen der Physik als isolierter Disziplin und tut der Bedeutung ihrer Theorien nicht den leisesten Abbruch - nur der empiristischen Logik, die solche Leistungen in gehörigem Abstand von individueller Existenz und gesellschaftlicher Praxis betrachtet und dann bestimmte Momente an ihnen zum Prototyp der Erkenntnis macht.

Von diesen ganzen Verhältnissen sieht die neue Logik ab. Ihre Leistungen beziehen sich auf das verstandesmäßige Denken, das für die Reproduktion des Lebens in seinen gegebenen Formen, der die Wissenschaft dient, typisch ist. Im Hinblick darauf formuliert sie ihre Regeln und ist sie überhaupt strukturiert (43). Sie sollte sich jedoch hüten, Denkgebilden gegenüber, die nicht dazu passen, eine kritische Stellung einzunehmen. Solange sie erklärt, die von ihr aus Vergleichen häufiger Denkgebilde abstrahierten und in einem systematischen Zusammenhang gebrachten Prinzipien definiere sie als Form des Denkens, wäre nur gegen den fragwürdigen Gebrauch des Wortes etwas einzuwenden. Es besteht kein Grund, das Denken auf jene Fälle einzuschränken, aus denen diese Logik die Beispiele hernimmt. Doch hätte dann die Versicherung, daß ihre Sätze Tautologien sind, einige Berechtigung. Was wir als Denken bezeichnen, bezeichnen wir als Denken. Angesichts eines Gebildes von eigentümlicher Struktur und eigener Form der Darstellung wäre nach alter naturwissenschaftlicher Verfahrensweise dieser Begriff des Denkens neu zu formulieren, etwa als Spezies einer umgreifenderen Gattung zu fassen; die logischen Empiristen jedoch machen hier von der Möglichkeit Gebrauch, störende Protokollsätze auch abzulehnen. Indem ihre Logik denkerischen Leistungen gegenüber, die in der Entwicklung der Menschengeschichte ihre Rolle gespielt haben und spielen, einfach die von ihr berücksichtigten Fälle als die echten und wahren Gedanken hinstellt, fällt sie ganz aus der Rolle der Tautologie heraus und erweist sich als eine dem Empirismus widerstreitende, subjektive Stellungnahme.

Es kommt zum Vorschein, daß die beiden Elemente des logischen Empirismus bloß äußerlich miteinander vereinigt sind. Trotz mancher Neuerungen, die bei allem auf sie verwandten Scharfsinn noch fragwürdig sind, wie z. B. die Typenlehre, ist die neue Logik im wesentlichen mit der formalistischen überhaupt identisch, und was gegen diese zu sagen war, gilt ohne Einschränkung auch für jene. Die "Form" ist aus einem der Art und dem Umfang nach beschränkten Material von Begriffen, Urteilen und sonstigen theoretischen Gebilden abstrahiert. Erklärt eine logische Doktrin sich selbst nun als die Logik schlechthin, so ist sie damit aus dem Formalismus herausgetreten, und ihre Aussagen haben inhaltliche Bedeutung und weitgehende philosophische Konsequenzen. Von der bekämpften materialen Logik, die sich selbst als Moment der jeweils erreichten inhaltlichen Erkenntnis versteht, von ARISTOTELES und HEGEL unterscheidet sie wesentlich der Umstand, daß sie es nicht weiß. Oder sie beugt jedem Mißverständnis, einen universalen Anspruch zu erheben, der mit dem Namen der Logik freilich geschichtlich verbunden ist, unzweideutig vor und verbietet ausdrücklich jede normative Wendung ihrer Sätze oder gar eine kritische Folgerung daraus. Dann verliert sie die philosophische, im besonderen die anti-metaphysische Bedeutung, die sie im Empirismus angenommen hat. Diesem widerstreitet sie auf jeden Fall, und stets hat sie und die Mathematik auch in seinen Systemen eine ungelöste Schwierigkeit gebildet. Die Versuche JOHN STUART MILLs und MACHs, logische Sätze aus fragwürdigen psychologischen Tatsachen abzuleiten, sind offenkundig gescheitert, auch wenn man HUSSERLs logische Untersuchungen in dem Formalismus, den sie selbst an sich haben, nicht gelten läßt. HUME war überlegen genug, eine derartige Ableitung der mathematischen und mit ihnen verwandten Sätzen gar nicht erst zu versuchen. Dafür stehen dann die evidenten Ideenrelationen bei ihm neben den empirischen Tatsachen, ohne daß ihr Verhältnis klar geworden wäre. Für BERKELEY war die Mathematik eine ähnliche Pest wie der Materialismus. Der "Analyst" und andere Streitschriften bezeugen es. Offen und konzessionslos setzt er den Empirismus der modernen wissenschaftlichen Entwicklung entgegen und bekennt sich zur Bibel und zum gesunden Menschenverstand - ohne Ausstattung mit neuer Mathematik, deren Anfänge, wie MORITZ CANTOR sagt, durch ihn gefährdet waren. Innerhalb BERKELEYs eigenem Denken hat sich die starre Scheidung von sinnlicher und rationaler Erkenntnis, die jedem Empirismus innewohnt, in der bekannten Weise geltend gemacht: er wurde vom Empiristen zum Platoniker. Dem Leser von LOCKEs Essay, der in den drei ersten Büchern im Empirismus unterrichtet wurde, wurde im vierten eine Überraschung aufbewahrt. Moral und Mathematik sollen von der Erfahrung nicht abhängen und doch für sie gelten. Das Grundbuch der Lehre enthält denselben Widerspruch zwischen dem empirischen Begriff der Wissenschaft und den rationalen Elementen, die sich in ihr finden, wie die moderne Ansicht, welche die beiden Pole dieses Widerspruchs in der Überschrift zusammensetzt.

Trifft die moderne formalistische Logik auf theoretische Gebilde, die als Ganze oder in isolierten Teilen zu ihrem Begriff vom Denken nicht passen wollen, so stellt sie nicht etwa die Universalität ihrer eigenen Prinzipien in Frage, sondern den widerspenstigen Anlaß, mag er wie auch immer beschaffen sein. Während ihre Vertreter verkünden, es sei falsch, das Denken als ein Mittel anzusehen, "etwas zu wissen, was immer und überall in der Welt unbedingte Geltung haben muß" (44), während sie dem Denken beharrlich die "Exekutivgewalt" absprechen, geben sie gegenüber dem fremden Gedanken die Zurückhaltung auf. Diese ganze philosophische Haltung besäße aber, wie wir gesehen haben, ihrem Wesen nach kein legitimes Mittel, einem Wahn entgegenzutreten, wäre er nur verbreitet genug. Der Hexenglaube wurde mit den Mitteln streng rationalistischer Philosophie bekämpft. Die Empiristen hätten angesichts einer größeren Quantität von Protokollsätzen nicht einmal auf der Unwahrscheinlichkeit bestehen dürfen. Dafür gelten ihnen ARISTOTELES und KANT und HEGEL als die größten Wirrköpfe, ihre Philosophie als ein wissenschaftliches Nichts, bloß weil sie nicht zur Logistik paßt und die Beziehung zu den "Wurzelbegriffen" und "Elementarerlebnissen" des Empirismus problematisch ist. In der Oberflächlichkeit und Anmaßung, mit der hier über geistige Leistungen geurteilt wird, kündigt sich ein Verhältnis zum kulturellen Erbe an, das sich praktisch zuweilen bei nationalen Erhebungen und ihren Freudenfeuern zu betätigen pflegt, mögen diese jenen Autoren persönlich noch so zuwider sein. RUSSELL ist z. B. auf HEGELs materiale Logik gestoßen und hat gefunden, daß darin Logik und Metaphysik gleichgesetzt sind. Dies erklärt sich RUSSELL wie folgt:
    "Hegel  war der Ansicht, es wäre möglich, aufgrund apriorischen Denkens zu zeigen, die Welt  müßte  verschiedene wichtige und interessante Eigenschaften haben, weil jede Welt ohne diese Eigenschaften voller innerer Widersprüche und darum unmöglich wäre. So ist das, was er  Logik  nennt, eine Untersuchung über die Natur des Weltalls, insofern als diese Natur allein aus dem Prinzip gefolgert werden kann, das Weltall müsse seiner Struktur nach logisch mit sich selbst in Übereinstimmung sein. Ich für meine Person glaube nun zwar nicht, daß aus diesem Prinzip allein in Bezug auf die bestehende Welt irgendetwas von Bedeutung gefolgert werden kann. Aber wie dem auch sei,  Hegels  Beweisführung" gehört jedenfalls nicht in die Logik, die er übrigens aus der Tradition "in unkritischer Weise in seine eigenen Schriften" übernommen hat. (45)
Über die Geistesverfassung des typischen Philosophen vor ihm selbst hat RUSSELL eine klare Vorstellung:
    "Die Paradoxa, die seine (des Nichtempiristen - M. H.) Logik scheinbar  beweist,  entstammen in Wahrheit ... seiner mystischen Intuition. Sie sind gleichzeitig das Ziel, das, seinem dunklen Empfinden nach, seone logische Überlegungen erreichen müssen, denn das logische Bedürfnis will in Einklang kommen mit der unmittelbaren Erkenntnis. Das ist die Art, in welcher unter den großen Philosophen die Mystiker - vor allen anderen  Plato, Spinoza  und  Hegel - die Logik auffaßten und zur Anwendung brachten. Da die Richtigkeit ihrer vermeintlichen, während der mystischen Ekstase empfangenen Überzeugung gewöhnlich von vornherein für sie selbst feststand, so fiel der logische Unterbau oft etwas dürftig aus" usw. Er kann es ihnen nicht verzeihen, daß sie "um ein treffendes Wort von  Santayana  zu gebrauchen - maliziös  gegenüber der Welt der Wissenschaft und des gesunden Menschenverstandes" gewesen sind. (46)
Während RUSSELL in den Büchern der späteren Periode, denen diese Zitate entnommen sind, meist einen populären Ton anschlägt, treten in den Schriften des Wiener Kreises solche Urteile in streng sachlichen Zusammenhängen auf. Sie sind daher auch unerbittlich.
    "Alle Philosophie im alten Sinn", heißt es schlicht bei  Carnap,  "knüpfe sie nun an  Plato, Thomas, Kant, Schelling  oder  Hegel  an, oder baue sie eine neue  Metaphysik des Seins oder eine  geisteswissenschaftliche Philosophie  auf, erweist sich vor dem unerbittlichen Urteil der neuen Logik nicht etwa nur als inhaltlich falsch, sondern als logisch unhaltbar, d. h. sinnlos." (47)
Im Gegensatz zu den übrigen Philosophen, die, soweit sie nicht mit dem logischen Empirismus übereinstimmen, gerade noch eines absprechenden Urteils gewürdigt werden, hat KANT (durch REICHENBACH) eine differenzierte Widerlegung erfahren. Viel ist von ihm offenbar nicht übrig geblieben. Seine  Kritik der reinen Vernunft  war "im Effekt" großartig. Sie sollte die LEIBNIZsche Logik treffen. "Wir Logistiker wissen ... heute, daß diese Kritik nun längst schon durch unumstößliche Tatsachen widerlegt ist." (48)

Unter den vom Empirismus unverstandenen Ansichten wird besonders die Lehre bekämpft, daß Wahrheit kein isoliertes und in seiner Isolierung festgehaltenes Urteil ist, sondern jeweils ein Ganzes der Erkenntnis. Die Logistiker halten sich bei diesem mit ihren Ansichten in der Tat unverträglichen Prinzip gewöhnlich nicht an HEGEL, sondern an seinen englischen Schüler BRADLEY. Was sie diesem entgegenzusetzen wissen, möge das folgende Muster deutlich machen:
    "Die durch die Einzeldisziplinen entdeckten Wahrheiten verhalten sich zueinander nun nicht etwa so, daß sie, jede für sich, nur relativ wären, nur einseitige Ansichten bieten und erst durch alle übrigen Ansichten ergänzt werden müßten, um wirklich wahr zu werden. Eine solche von manchen Philosophen (wie etwa  Bradley)  vertretene Meinung enthält einen schweren Verstoß gegen die Logik. (Der Fehler, den sie begeht, ist etwa der, daß sie glaubt, anstelle des Satzes  es ist ziemlich kalt  sagen zu dürfen:  es ist nicht ganz wahr, daß es kalt ist, aber ziemlich wahr.)  Sondern jeder Satz, bei dessen Gewinnung keine Irrtümer oder Fehler unterlaufen sind, ist für sich selbst vollkommen wahr, er ist ein Teil der ganzen Wahrheit, nicht bloße eine Annäherung an sie oder ein Aspekt von ihr. (Enthält er aber einen Fehler, so ist er eben einfach falsch, und wiederum kein Aspekt der Wahrheit." (49)
Diese Sätze, die selbst ein Beispiel dafür bilden, daß etwas ziemlich falsch sein kann, ohne doch absolut falsch sein zu müssen, weil es unter Umständen eine gewisse Annäherung an einen richtigen Gedanken bilden könnte, ermangeln an der entscheidenden Stelle, nämlich dort, wo von einem Fehler die Rede ist, der Bestimmtheit. Das naive Mißverständnis liegt jedoch vor allem in der Vorstellung, daß es mit jedem Urteil in jedem Gedankengang dieselbe Bewandtnis hat wie mit der Konstatierung des relativ einfachen Sachverhalts der Kälte. Sie meinen, jedes intellektuelle Ganze sei aus Urteilen zusammengesetzt, über deren Wahrheit sich im einzelnen und unabhängig vom Ganzen ebenso entscheiden läßt wie über die Kälte, während es in der Realität, zumindest in vielen recht wichtigen Fällen, darauf ankommt, erst das Ganze zu wissen, bevor entschieden werden kann. Die erreichte Einsicht mag in einem einfachen Satz ausgedrückt sein, wie z. B. eben dieser HEGELschen Formulierung, daß das Wahre das Ganze ist. Aber um solche Einsichten zu begreifen, genügt es nicht, wie beim Urteil, "es ist ziemlich kalt" an den durchschnittlichen Grad der Bildung zu appellieren und einen normalen Stoffwechsel vorauszusetzen. Vielmehr ist der Gedanke, der in allgemeinen philosophischen Formulierungen ausgedrückt ist, das Zeichen für ein Bewußtsein, das durch eine Reihe von Überlegungen, die zu ihm geführt haben, wirklich hindurchgegangen ist. Das, was es dann weiß, ist, wenn man will, ebenso "empirisch" wie eine einfache Feststellung. Nur ist der Gedanke an seinem Zustandekommen in aktiverer Weise beteiligt als in dem Satz "es ist ziemlich kalt". Dies drückt HEGEL so aus, "daß das Absolute wesentlich als Resultat zu begreifen ist." Aber nicht bloß für das absolute Wissen, dessen Problematik freilich nicht so einfach zu erledigen ist, wie die Empiristen meinen, sondern für die meisten Theorien, die über die Gegenwart hinauszielen, gilt die HEGELsche Anschauung. Die dialektische Logik bezieht sich auf das Denken bei der Nachkonstruktion der lebendigen Realität, auf das Denken im Prozeß, nicht bloß auf einen fest gewordenen Ausdruck. Sie ist keine "Physik der Sprache", sondern die inhaltliche Erkenntnis selbst unter dem Aspekt ihrer Darstellung. Wenn SCHLICK den Satz "es ist ziemlich kalt" und RUSSELL die bereits erwähnte Konstatierung "Tommy hat einen Schnupfen" gegen BRADLEY ins Feld führt (50), so ist damit wenig getan. Die Forderung an den Philosophen, sein "instinktives Gegengefühl" (51) zu überwinden und erst einmal Logistik zu lernen, die von dieser Schule immer wieder verkündet worden ist, ist die Erinnerung entgegenzuhalten, daß man die Anfangsgründe der Dialektik kennen muß, bevor man sie widerlegt. Der Standpunkt, "von dem aus die alte Philosophie aus den Angeln zu heben ist" (52), kann gewiß nicht in der primitiven Verkennung gefunden werden, mit der die neuen Empiristen von ihr sprechen. Das gilt umso mehr, als nicht bloß die Logistik dieser Fähigkeit entbehrt, sondern auch jede andere Theorie, mag sie selbst mit der bekämpften Tradition hinlänglich vertraut sein. Die idealistische Philosophie, die Metaphysik ist überhaupt nicht durch eine bloße theoretische Ablehnung aus den Angeln zu heben, ihre Negation liegt auch nicht darin, daß man "der Philosophie den Rücken kehrt und abgewandten Hauptes - einige ärgerliche und banale Phrasen über sie hermurmelt" (53), sondern darin, daß man sie verwirklicht.

Die Harmonie und sinnvolle Existenz, welche die Metaphysik mit Unrecht als die eigentliche Realität gegenüber den Widersprüchen der erscheinenden behauptet, ist nicht bedeutungslos. Das Bekenntnis, daß man damit nichts anzufangen weiß und sich an die Tatsachen halten soll, der Vorsatz der Wissenschaft, keinen wesentlichen Unterschied zu machen zwischen der Verschwörung brutaler Machthaber gegen jede menschliche Aspiration [zielgerichtete Hoffnung - wp] auf Glück und Freiheit und andererseits dem Kampf dagegen, diese ganze Philosophie, die beides bloß auf den abstrakten Begriff des Gegebenen bringt und diese Haltung auch noch als Objektivität verherrlicht, ist auch den übelsten Gewalten noch willkommen. Man verlangt vom Gelehrten nichts weiter, als daß er die technischen Mittel zur Verewigung des Bestehenden, vor allem zur Kriegswirtschaft bereitstellt, die längst den Frieden in sein Gegenteil verkehrte. Den großen Gruppen der Mittelklassen, die im freien Spiel der wirtschaftlichen Kräfte ins Hintertreffen geraten sind, bleibt dort, wo sie sich den ökonomisch Mächtigsten nicht völlig anschließen, nur die Möglichkeit einer stillen Existenz, die Zurückhaltung in allen entscheidenden Fragen. Das Denken verzichtet auf seinen Anspruch, zugleich kritisch und zielsetzend zu sein. Seine rein registrierenden und kalkulatorischen Funktionen werden von seiner Spontaneität getrennt. Entscheidung und Praxis gelten nun als etwas dem Denken bloß Entgegengesetztes, als "Wertungen", private Willür, unkontrollierbare Gefühle; der Intellekt dagegen soll mit dem bewußten Interesse, einer bestimmbaren Richtung seines Gangs höchstens äußerlich verbunden sein, der Idee soll er entbehren. Man hat Denken und Wollen, die Teile des geistigen Prozesses gedanklich voneinander geschieden, wogegen logisch nichts einzwenden ist. Man stellt sie nun in ihrer Abstraktheit als Schemata auf, in deren Rahmen sich die Vernunft wirklich zu halten hat, so daß einerseits bloß berechnet und andererseits bloß entschieden werden darf, wogegen logisch sehr viel einzuwenden ist. Das gilt auch, wenn von den Vertretern so einer mißverstandenen Strenge zugestanden wird, daß die Entscheidungen sich der Rechnungsresultate "bedienen" dürften. Diese Ideologie, die Identifikation des Denkens mit den Fachwissenschaften, läuft angesichts der herrschenden ökonomischen Gewalten, die sich der Wissenschaft wie der gesamten Gesellschaft für ihre besonderen Zwecke bedienen, in der Tat auf die Verewigung des gegenwärtigen Zustands hinaus. Die erwähnten liberalistischen Gruppen, deren Bewußtsein durch diese Philosophie am besten umrissen wird, haben ihn mit ihrer zunehmenden Ohnmacht in Europa mindestens seit vielen Jahrzehnten als den natürlichen angesehen und finden angesichts seiner Akzentuierung in den totalitären Staaten eben diese vom logischen Empirismus propagierte Sauberkeit als gegebenes theoretisches Verhalten. (Die Einsicht in den tiefen Zusammenhang zwischen der Verklärung der isolierten Qualität der Sauberkeit und dem Bedürfnis nach Säuberung, dem in jenen Staaten die furchtbarsten Konzessionen gemacht werden, muß diesen Philosophen schon deshalb entgehen, weil sie in ihrem barbarischen Verhältnis zur Sprache den im Wort gelegenen Hinweis bloß als verwirrend betrachten. Sie machen den umgekehrten Fehler wie eine bestimmte moderne Art der Metaphysik, welche die Philosophie in Hermeneutik verwandelt und den Sachen bloß dadurch auf die Spur kommen will, daß sie die geschichtlich ursprüngliche Bedeutung der Worte verfolgt. Die modernen Empiristen dagegen glauben, man könne durch ein ausdenkbares Verfahren, bloß eine genaue Kenntnis der "Sprechgewohnheiten" vorausgesetzt, die lebendige Sprache "gehalttreu" in irgendeine erfundene übersetzen, z. B. in die physikalische, ohne dabei etwas zu verlieren. Sie meinen, man könnte statt  Mensch  ebensogut  Larifari  sagen und statt  Kapitalismus Ruarua,  ja, soweit diese Begriffe nicht überhaupt auf die Liste der verbotenen Wörter gehören, sei die Wahl "neutraler" Ausdrücke noch vorzuziehen, weil sie, einmal richtig definiert, Mißverständnisse unmöglich machen.)

Die Verwechslung des kalkulatorischen Denkens mit der Vernunft schlechthin hypostasiert [einem Wort reale Existenz unterstellen - wp] das in dieser Wirtschaftsform monadologisch gegen andere abgeschlossene Individuum. Das folgende Bild soll die Täuschung erhellen. Mehrere hundert Personen sind auf Lebenszeit in einem Gefängnis eingesperrt. Es besteht nur aus einem einzigen großen Raum. Für die Lebensnotwendigkeiten wird von außen, freilich ungenügend, gesorgt. Es gibt zu wenig Speise, auch ist die Anzahl der guten Ruhelager zu gering. Gewöhnlich herrscht ein Höllenlärm, denn manchen hat man ihre Instrumente zum Spielen gelassen, außerdem sind unzivilisierte Leute darunter. Es waltet eine Atmosphäre des Asyls für Geisteskranke dritter Klasse. Der denkende Einzelne hat für sich zu sorgen. Er muß seine Mitgefangenen beobachten, ihr Verhalten bis in alle Einzelheiten studieren, um bei der Ankunft der Speisen nicht ganz leer auszugehen. Er errechnet die Zeiten, in denen am wenigsten Lärm herrscht oder gewöhnlich eine Ruhestaat frei ist und wägt beides gegeneinander ab. Er treibt Psychologie und Soziologie, jede Art empirischer Wissenschaft, die ihm nützen kann. Es mögen sich einzelne Gruppen zusammentun, Kämpfe stattfinden, Ausgleiche getroffen werden. Je nach ihren Kräften und Interessen stoßen die Individuen zu den einzelnen Gruppen oder trennen sich von ihnen. Am Ende unterwerfen sie sich vielleicht den Stärksten und Brutalsten, denn sie selbst bilden in ihrer Zersplitterung kein organisiertes und selbsthandelndes Subjekt. Die Klugheit, der Verstand, die Berechnung bleiben die kennzeichnenden intellektuellen Verhaltensweisen der Gefangenen. Aber mögen sich diese Fähigkeiten in unerhörter Weise entfalten, - sie respräsentieren nur einen Spezialfall des Denkens. Das Kalkulieren ist im Hinblick auf menschliche Angelegenheiten ein armseliges Auskunftsmittel. Es sind Formen denkbar, in denen die geistigen Kräfte der Individuen nicht bloß dazu dienen, sich dem Wechselspiel anzupassen, das aus ihrem chaotischen Handeln entspringt, sondern selbst ihr Leben bestimmen und einrichten. Dem innerlich isolierten Gefangenen erscheinen das Gedränge um die Speise, die drohende Haltung der übrigen, der Lärm und die relative Stille als Naturmächte, von denen er unweigerlich abhängt. Es bleibt ihm nichts übrig, als sich diesen Fakten in möglichst rationaler Weise zu unterwerfen. Sie sind Realitäten, wie die Gefängnismauern und die jeweils gelieferte Quantität des Unterhalts. Insofern jedoch den Menschen Sachverhalte, die von ihnen selbst abhängen, noch als fremde, unabänderliche gegenüberstehen, ist ihr Denken schwächlich und abstrakt; denn dort, wo heute nur Abhängigkeit besteht, könnte in einem solchen Maß eine konstruktive Entscheidung stattfinden, daß sich der Charakter des intellektuellen Verhaltens ändern würde. Das kalkulatorische, das "Verstandes"-Denken ist einem Menschentypus zugeordnet, der noch relativ ohnmächtig ist. Er ist trotz aller Betriebsamkeit in entscheidenden Dingen passiv. Auch die Funktionen des Disponierens und Regulierens, die ohnehin immer ausschließlicher zum Privileg der Stärksten werden, haben in dieser gespaltenen Welt noch den Charakter der Anpassung und Schlauheit weit mehr als der Vernunft. Da die Entfaltung einer höheren Spontaneität von der Konstitution eines gemeinschaftlichen Subjekts abhängt, kann sie der einzelne nicht dekretieren [selbst bestimmen - wp]. Zu den Wegen, die dahin führen, gehört jedoch selbst im Bild vom Gefängnis, daß der einzelne nicht im Registrieren und Prognostizieren von Fakten, im bloßen Kalkulieren verharrt, sondern daß er lernt, hinter die Fakten zu blicken, die Oberfläche vom Wesen zu unterscheiden, ohne sie freilich für nichts zu achten, Begriffe zu konzipieren, die nicht bloß Klassifikationen des Gegebenen sind, und seine gesamte Erfahrung fortwährend auf bestimmte Zielsetzungen hin zu strukturieren, ohne sie jedoch zu verfälschen, kurz daß er lernt, dialektisch zu denken. Der moderne Empirismus mitsamt der Logistik ist eine Logik von Monaden; die Kritik, die sie wegen ihres "Solipsismus" erfahren hat, ist ganz berechtigt. (54)

Zu Beginn dieser Betrachtungen wurde der logische Empirismus als Versuch angezeigt, unter den Widersprüchen des modernen Bewußtseins Einheit und Harmonie herzustellen. Während neuromantische Philosophen diese Absicht durch eine Entwertung der Wissenschaft zu verwirklichen strebten, glaubt es die neueste Spielart des Positivismus durch eine Hypostasierung der Fachwissenschaft zu erreichen. Beide philosophische Richtungen haben es an sich, die Realität nicht in einem bewußten Zusammenhang mit einer bestimmten geschichtlichen Aktivität als einen Inbegriff von Tendenzen zu fassen, sondern sich an sie in ihrer gegenwärtigen Gestalt zu halten. Die prometaphysische Ansicht entschuldigt das Gegebene, indem sie es auf ein sinnvolles Sein bezieht, das unabhängig von geschichtlichen Veränderungen existiert. Der Wissenschaftsglaube verwirft die metaphysischen Kategorien überhaupt und fühlt
    "genug Lebenskraft in sich ..., die Gegenwart zu bejahen", d. h. er will hinter der Physik "eine Wissenschaft voll lebendiger Darstellungen erkennen, voll innerer Bewegtheit und voll der großen Spannung, Antwort zu finden auf die Fragen des Erkenntnis suchenden Geistes." (55)
Er romantisiert die Fachwissenschaft, indem er in den physikalischen Lehren den Beweis erblickt,
    "daß der Mensch mit der Erkenntnis wächst und in sich die Möglichkeit zu Denkformen trägt, die er auf früherer Stufe noch nicht zu ahnen vermochte." (56)
Aber wenn die Metaphysik auch im Unrecht ist, die Menschen durch ein Sein zu vertrösten, das mit den Mitteln der Wissenschaft grundsätzlich nicht festzustellen ist, so wird doch die Wissenschaft selbst naiv metaphysisch, wo sie sich mit Erkenntnis und Theorie überhaupt verwechselt und sogar den Namen der Philosophie, d. h. jeder ihr gegenüber kritischen Instanz, diskreditieren möchte. Soweit sich von einer Anschauung zeigen läßt, daß sie mit bestimmten wissenschaftlichen Einsichten unverträglich ist, hat sie in der Tat als falsch und antiquiert zu gelten. Auch ein konstruktives Denken findet die einzelnen Kenntnisse, deren es sich bedient, in fachlicher Prägung vor, als physikalische, geographische, psychologische usw. Indem es im Hinblick auf ein konkretes Problem Begriffe verschiedener Disziplinen einbezieht, ohne die Grenzen zu respektieren, setzt es sich nicht über den Inhalt hinweg oder beachtet ihn gar nicht, wie die ungebundene metaphysische Schau, es bringt ihn vielmehr in den aufgrund der Situation richtigen Zusammenhang. Dieses positive Verhältnis zur Wissenschaft heißt aber nicht, ihre Sprache sei nun selbst die eigentliche und wahre Form der Erkenntnis. Der von den Disziplinen erfaßte Teil der Realität ist sowohl der Ausdehnung als auch der Art nach, wie von ihm gesprochen wird, gegenüber der heute erreichbaren Erkenntnis beschränkt. Wenngleich es falsch ist, gegen die Resultate der Wissenschaft zu verstoßen, so ist es naiv und sektenhaft, bloß ihr gemäß zu denken und zu sprechen. In diesen gegenwärtigen Jahren will uns eine Sprache, die in der Angst das Nichts sich offenbaren sieht und nach der das "Nichts selbst nichtet", trotz ihrer Verwandtschaft mit den entfesselten Urmächten jedenfalls nicht sinnloser erscheinen als die zuversichtliche Exaktheit, die noch in dem Urteil, daß ein Mensch qualvoll gestorben ist, eine Prognose entdeckt, eine Exaktheit, die es mit jener Metaphysik gemein hat, vom qualitativen Sprung in der Geschichte abzusehen, und in ihrem geradlinigen Fortschrittsglauben das Bestehende ebensowenig in Frage stellt wie der auswegslose Pessimismus einer vor-autoritären Metaphysik. Der sektenhafte Geist dieser harmonischen Weltansicht ist auch da vorhanden, wo man zwar fortfährt, sich einer lebendigen Sprache zu bedienen, aber mit einem überlegenen Bewußtsein, daß man es "eigentlich" meint wie die Physik und nur der Bequemlichkeit halber "grob" verfährt. Die Wissenschaft und ihre Interpretation sind zwei verschiedene Dinge. Wenn ein anderer Wiener Schüler MACHs erklärt:
    "Subjekte und Objekte sind also Elementenbüschel bzw. Elementenbündel, die aus nacheinander auftretenden Gruppen von miteinander auftretenden Elementen bestehen" (57),
so hat dies nicht etwa die Physik bewiesen, sondern der Satz gehört zu einer vereinheitlichten Weltanschauung, an die man sich hält, wie die modernen europäische und amerikanischen Buddhisten oder die Christian Science an die für sie spezifischen Formeln und Redeweisen. Das Aufstellen eines "index verborum probibitorum" [Verzeichnis der verbotenen Bücher - wp], wo alle Worte hineinkommen, die irgendein berühmter Fachgelehrter als entbehrlich betrachtet, die Aufstellung einer Einheitssprache und Einheitswissenschaft gehören, ihre spezifische Nützlichkeit einmal zugestanden, jedenfalls nicht zu der Wissenschaft, die vom philosophischen Denken zu respektieren wäre.

All ides soll freilich der eigenen Meinung der Schule nach gar nicht zur Sache gehören. Die fruchtbare Diskussion beginnt nach ihr erst dort, wo Teilfragen der Logistik, der logischen Syntax der Sprache, der Wahrscheinlichkeitsrechnung erörtert werden. Aber auch diese Apologetik einer heute fragwürdigen Sachlichkeit gehört nicht in die Wissenschaft, sondern zum Verhalten einer philosophischen Sekte, die ihre Ruhe in einer bestimmten, in sich geschlossenen Weltanschauung gefunden hat, einer Weltansicht allerdings, die wie die meisten Religionen ihren Anhängern das verschiedenartigste Verhalten zu den geschichtlichen Problemen ermöglicht. Ebenso wie ERNST MACH ein fortschrittlicher Mensch gewesen ist, so haben sich viele Mitglieder des Kreises für freiheitliche Ziele eingesetzt. Nach ihrer Doktrin ist das zufällig, sie bietet so wenig ein Gegenmittel gegen den politischen wie gegen den spiritistischen Aberglauben. Die aufrechte Gesinnung einzelner Persönlichkeiten und der Scharfsinn mancher ihrer fachlichen Leistungen machen ihre Philosophie nicht besser. Die Logistiker mögen das kalkulatorische Denken auf einen dem heutigen Entwicklungsgrad der Industrie und Technik adäquaten Stand bringen und wirklich mit einigen altertümlichen Moden dort aufräumen, ihre Reflexion über den Sinn dessen, was sie tun, kann doch überaltert sein, ebenso wie die Funktion einer Fabrik im Ganzen der Wirtschaft bloß einen Beitrag zur allgemeinen Verwirrung und Verlängerung des gesellschaftlichen Chaos bilden kann, auch wenn sie im Inneren noch so modern eingerichtet und durchrationalisiert ist. Jener Ruf zur Sache, um die es doch allein zu tun ist, ist von HEGEL als eine Gestalt des gegenwärtigen Bewußtseins in der "Phänomenologie des Geistes" schon erschöpfend behandelt worden, worauf nach obigem hier nur zu verweisen ist. (58)

Durch irgendeine Lehre im eigenen Innern den Frieden herzustellen, so als ob der Gang der äußeren Geschichte nichts damit zu tun hätte, erzielt immer bloß eine vermeintliche Harmonie und Abgeschlossenheit gegen die Welt, gleichviel ob die Metaphysik oder die Wissenschaft ein größeres Gewicht in ihr hat. Ansich bilden sowohl die Probleme, die, wenn auch in verkehrter Form, in der Metaphysik bewahrt sind, wie auch die Resultate der Wissenschaft Elemente einer kulturellen Entwicklung. Wenn der Humanität durch den Empirismus gedient wird, indem dieser die Forderung vertritt, daß Behauptungen sich vor dem Verstand auszuweisen haben, so gibt es andererseits metaphysische Schriften, in denen mehr Einsicht in die Realität enthalten ist als in den Werken der den Bedürfnissen der Gegenwart angepaßten Fachwissenschaft. Gewiss lassen sich Metaphysik und Wissenschaft nicht etwa wie gleichwertige Zweige der Erkenntnis hinstellen. Dies hat BERGSON getan und ist damit im Unrecht. (59) Die Wissenschaft ist weitgehend selbst die Kritik der Metaphysik. Der logische Empirismus wirft jedoch das Denken, das allein diese Verhältnisse aufzuhellen vermag, ja jede Fachwissenschaft selbst kritisch einbeziehende Theorie mit der Metaphysik zusammen. Wenn die Metaphysiker an den herrschenden Zuständen mitschuldig sind, indem ihre Sinndeutung diese glorifizierte, wenn ihre Verkehrtheit im Reden besteht, so verstummt bei Szientisten der Mensch und die Fachwissenschaft führt allein das Wort. Einer mittleren gesellschaftlichen Position entsprechend, erscheint ihnen der Feind auf beiden Seiten. Sie sind gegen das Denken, ob es mit der Vernunft nach vorwärts oder mit der Metaphysik nach rückwärts will. Die Verteidigung der Wissenschaft gegen die Theologie mittels erkenntnistheoretischer und logischer Argumente war fortschrittlich im siebzehnten Jahrhundert, die Philosophen machten sich zum Anwalt eines Faktors der neuen gesellschaftlichen Lebensweise. In unseren Tagen, in denen diese geschichtliche Form ihre Bedeutung für die Menschen längst geändert hat, immer noch zu meinen, das ihr zugehörige Fachwissen und der Betrieb seiner Herstellung sei die einzig legitime intellektuelle Betätigung, und was über sie hinausgeht, sei prinzipiell Theologie oder sonst ein transzendenter Glaube, oder die krasse Reaktion und Sinnwidrigkeit zu meinen, der entscheidende Gegensatz habe sich nicht verschoben und sei nach wie vor und in derselben Schattierung Wissenschaft contra Metaphysik und Metaphysik contra Wissenschaft, setzt eine unendlich einfache Ansicht der historischen Situation voraus. Die Kenntnis, die von der Wissenschaft zutage gefördert ist, steht der Reproduktion des gesellschaftlichen Mechanismus zur Verfügung und wird andererseits zu seiner Überwindung mobilisiert. Die widerspruchsvollen Gestalten, in die sie auf solche Weise eingeht, kennzeichnen längst die geistige Situation, in der Fachwissen und Metaphysik, ohne es zu ahnen, zusammengekommen sind. Das Denken, das nicht dem Bestehenden und seinen vorgezeichneten Erlebnisformen, sondern einer glücklicheren Zukunft verhaftet ist, geht aus diesem Bestehenden selbst hervor. In einer Periode der Niederlage ist es naturgemäß wieder seltener geworden, sein Mangel ist identisch mit der allgemeinen Entmutigung. Für die Empiristen, auch die fortschrittlichsten, gibt es jedoch nur einen erkennbaren Feind. Sie verwirren heillos die Fronten und schimpfen jeden einen Metaphysiker oder Dichter, gleichviel ob er die Dinge in ihr Gegenteil verkehrt oder sie beim Namen nennt. Aber auch den Dichter muß eine Philosophie verkennen, welche die Logik mit Logistik und die Vernunft mit der Physik verwechselt, denn sein Ziel braucht nicht bloß die Dichtung zu sein, sondern die Wahrheit, und es könnte leicht eintreten, daß eine Dichtung, die sich ebenso sauber in ihren Grenzen hält, wie es nach dem Positivismus das Erkennen tun soll, angesichts des Grauens dieser Tage ebenso verstummt, wie die unmittelbar betroffene Wissenschaft.

Auf den neuen Angriff darf die Metaphysik stolz sein; sie wird mit dem Denken verwechselt.
LITERATUR: Max Horkheimer, Der neueste Angriff auf die Metaphysik, Zeitschrift für Sozialforschung, Bd. VI, Heft 1, Paris 1937
    Anmerkungen
    35) BERTRAND RUSSELL, Mensch und Welt, a. a. O., Seite 130.
    36) Die empiristische Sachlichkeit dringt sogar in die französische Sprache vor. Um den "Ballungen" gerecht zu werden, hat der Übersetzer seine Sprache um "grégats" bereichern müssen. (vgl. OTTO NEURATH, L'Encyclopédie, a. a. O., Seite 190)
    37) Der Relativismus im Sinn einer Indifferenz der Wissenschaft gegenüber Werten und Zielen wird heutzutage ohne Widerspruch als Kennzeichen einer liberalen Gesinnung hingestellt. Mit Unrecht. Die Toleranz der Aufklärung war nicht neutral. Sie hieß Parteinahme für das Bürgertum gegen den Feudalismus, für den Deismus gegen die Kirche, für profitable Zwangsarbeit der Kriminellen gegen ihre Verstümmelung usw. Der moderne Relativismus ist vielmehr die ideologische Kapitulation des Liberalismus vor der neuen Autokratie, das Eingeständnis seiner Ohnmacht, der Übergang zur autoritären Gesinnung, die wie auf anderen Gebieten so auch hier die natürliche Fortsetzung, den "Super-Relativismus" darstellt. "Wir erkennen grundsätzlich die Forderung des Relativismus an", sagen die Positivisten (OTTO NEURATH, L'Encyclopédie comme Modéle, a. a. O., Seite 189). Naiv genug bringen sie den Relativismus mit der Demokratie und einem friedliebenden Charakter zusammen und meinen, diese neigen "einer relativistischen Grundanschauung zu" (HANS KELSEN, Wissenschaft und Demokratie, Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung vom 23.2. 1937, Nr. 321). MUSSOLINI hat die Situation besser erkannt. Schon immer hat er sich gerühmt, den Relativismus gegenüber den Sozialisten und allen übrigen politischen Bekenntnissen angewandt zu haben. Daß die von ihm geführte Bewegung sich auf kein Programm festgelegt und sich je nach der Sachlage aristokratisch und demokratisch, revolutionär und reaktionär, proletarisch un anti-proletarisch, pazifistisch und anti-pazifistisch genannt hat, begründet nach MUSSOLINI ihren Anspruch, sich "unmittelbar von den aktuellsten Richtungen des europäischen Geistes herzuleiten", nämlich von den relativistischen Strömungen der Philosophie. "Aus dem Umstand, daß alle Ideologien einander wert, nämlich alle miteinander bloße Fiktionen sind, schließt der moderne Relativist, daß jedermann das Recht hat, sich seine eigene zu machen und ihr mit aller Energie, zu der er nur fähig ist, Geltung zu verschaffen." (vgl. BENITO MUSSOLINI, Relativismo e fascismo, in: Diuturna, Mailand 1924, Seite 374f) Der philosophisch unmögliche Relativismus bildet ein Moment in der gesellschaftlichen Dynamik, die auf autoritäre Formen hintreibt. Die Gleichgültigkeit gegenüber der Idee in der Theorie ist der Vorbote des Zynismus in der Praxis.
    38) Vgl. hierzu FRIEDRICH ENGELS, Dialektik und Natur, in: Marx-Engels-Archiv, Frankfurt a. Main 1927, Seite 207f. Ferner MAX HORKHEIMER, Materialismus und Metaphysik, Zeitschrift für Sozialforschung, Jahrgang II (1933), Seite 28f und HORKHEIMER, Zum Problem der Wahrheit, Jahrgang IV (1935) Seite 324f.
    39) BERTRAND RUSSELL, Unser Wissen von der Außenwelt, Leipzig 1926, Seite 47 (übersetzt von ROTHSTOCK)
    40) RUSSELL, Unser Wissen von der Außenwelt, a. a. O., Seite 55
    41) CARNAP, Die alte und die neue Logik, a. a. O., Seite 26
    42) CARNAP, Abriß der Logistik, Wien 1929, Seite 3f.
    43) Vgl. dazu besonders meine Ausführungen "Das Problem der Wahrheit", in Jahrgang IV (1935) dieser Zeitschrift, Seite 353f.
    44) HANS HAHN: Logik, Mathematik und Naturerkennen, a. a. O.
    45) RUSSELL, Unser Wissen von der Außenwelt, a. a. O., Seite 48.
    46) RUSSELL, a. a. O., Seite 59/60.
    47) RUDOLF CARNAP, Die alte und die neue Logik, a. a. O., Seite 13.
    48) HEINRICH SCHOLZ, Die klassische deutsche Philosophie und die neue Logik, in: Actes du Congrés International de Philosophie Scientifique, VIII, Parist 1936, Seite 2.
    49) MORITZ SCHLICK, Philosophie und Naturwissenschaft, in: "Erkenntnis", Bd. 4 (1934), Seite 381
    50) Vgl. BERTRAND RUSSELL, Mensch und Welt, a. a. O., Seite 279f
    51) CARNAP, Die alte und die neue Logik, a. a. O., Seite 13
    52) CARNAP, a. a. O.
    53) KARL MARX, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Aus dem literarischen Nachlaß, hg. von FRANZ MEHRING, Bd. 1, Stuttgart 1920, Seite 390.
    54) Vom solipsistischen Charakter des modernen Positivismus war im Text nicht noch einmal die Rede. Seit LENINs Buch gegen den Empiriokritizismus (1908) ist er wiederholt erörtert worden. Inzwischen hat sich nichts geändert, es sei denn, daß die positivistischen Formulierungen größere Vorsicht zeigen. Nicht daß es kein Bewußtsein und psychisches Leben gibt, sondern daß die psychologischen Begriffe auf physikalische zurückzuführen sind, lautet jetzt die These, die freilich auf dasselbe hinausläuft. Der logische Empirist kann sich offenbar gar nicht vorstellen, daß es zuweilen auf das Innere der Menschen ankommt und nicht bloß auf die äußeren Folgen. Es macht für die Erkenntnis keinen Unterschied, ob wir dem Menschen  Bewußtsein  zusprechen oder nicht. Die Ansicht des EMPEDOKLES, daß Anziehung und Abstoßung der Materie als Liebe und Hass zu verstehen sein, gibt CARNAP als metaphysische Schaumschlägerei zum Besten (CARNAP, "Logic", in Factors Determining Human Behaviour, Cambridge, Massachusetts, 1937, Seite 110). Er meint, diese Versicherung bedeutet überhaupt nichts. Was der Materie recht ist, ist, im Physikalismus, dem Menschen billig. Auch im Hinblick auf den Leib soll es keinen Sinn haben, ihn von Liebe und Haß, Lust und Schmerzen bewegt zu denken. Nach der eigenen Terminologie der Schule bedingt freilich dieses logische Verdikt keinen Solipsismus oder gar Nihilismus, wobei letzterer in der Versicherung bestünde, daß nicht bloß du nichts bist, sondern auch ich selbst nichts bin, was ziemlich genau dem Selbstgefühl totalitärer Gefolgschaften entspricht, sondern eine methodische Vorschrift: die Behauptung, daß einer ein Bewußtsein hat, ist nicht falsch, sondern bloß bedeutungslos.
    55) HANS REICHENBACH, Die philosophische Bedeutung der modernen Physik, in: "Erkenntnis", Bd. 1 (1930), Seite 70/71.
    56) REICHENBACH, ebd.
    57) FRIEDRICH ADLER, Ernst Machs Überwindung des menschlichen Materialismus, Wien 1918, Seite 88.
    58) Vgl. HEGEL, Phänomenologie des Geistes, Werke Bd. II, Seite 295f, besonders 309f (Jubiläumsausgabe Bd. II, Seite 303f, besonders Seite 317f).
    59) Vgl. diese Zeitschrift, HORKHEIMER, Das Problem der Wahrheit, Jahrgang IV (1935), Seite 321f.