tb-2Erkenntnis und IrrtumJanik/Toulmin - Ernst MachMach und Mauthner    
 
PETER KAMPITS
Ernst Mach
oder Das unrettbare Ich


Das Physische und Psychische sind identisch, nur ihrer Betrachtungsweise nach verschieden.

Er selbst sah sich nur als "Spaziergänger" oder "Sonntagsjäger" in philosophischen Gefilden und bestritt, daß er eine eigene Philosophie entworfen habe. Es gäbe "höchstens eine naturwissenschaftliche Methoden- und Erkenntnislehre", aber keine Philosophie. In der Physik ist sein Name nicht allein die gängige Maßeinheit bei Überschallgeschwindigkeiten in der Flugtechnik, sondern steht auch für wichtige Entdeckungen auf dem Gebiet der Gasdynamik sowie der Wärmetheorie. 1875 gelang ihm die Entdeckung der Funktion der Gleichgewichtsorgane im Ohr - übrigens gleichzeitig mit FREUDss Mentor JOSEF BREUER.

Um die Jahrhundertwende war ERNST MACH einer der meistgelesenen philosophierenden Naturwissenschaftler. Sein Einfluß ging bis in die literarische Szene. Das Jung-Wien von HOFMANNSTHAL bis HERMANN BAHR hörte seine Vorlesungen, ROBERT MUSIL erwarb in Berlin mit einer Dissertation über seine Lehre den Grad eines Doktors der Philosophie. LENIN, aufgeschreckt durch MACHs Einfluß auf viele russische Revolutionäre, verwarf in seiner Arbeit "Materialismus und Empiriokritizismus", die heute noch als ein ideologischer Grundpfeiler des Marxismus -Leninismus gilt, MACHs Werk als idealistischen Revisionismus. EDMUND HUSSERL polemisierte gegen ihn, und MAX PLANCK, LUDWIG BOLTZMANN (MACHs Nachfolger auf der Professur in Wien) und ALBERT EINSTEIN zogen gegen seine Ablehnung der Relativitätstheorie und Atomtheorie zu Felde.

Nachdem es zur Zeit des ersten Weltkrieges um sein Werk eher still geworden war, griffen die dem Wiener Kreis nahestehenden Philosophen seine Lehre wieder auf. Zusammen mit dem Freidenkerbund gründeten Mitglieder des "Wiener Kreises" den Verein "Ernst Mach", der aufklärerische und volksbildnerische Tendenzen mit dem Bekenntnis zu einer wissenschaftlichen Weltauffassung vereinigte.

Der "Positivismus" oder "Empiriokritizismus" ERNST MACHs fügt sich gut in jene Tradition empristisch -wissenschaftlich orientierten Philosophierens ein, die schon mehrfach als Besonderheit der österreichischen Philosophie geortet wurde. Zumindest die metaphysikfeindliche Grundeinstellung MACHs mußte für den "Wiener Kreis" Sympathien erwecken, genauso wie der aufklärerische, sozialkritische Zug seines Denkens.

In verschiedenster Weise beurteilt - als reduktionistische, antimetaphysische und antiidealistische Philosophie oder als Fortsetzung eines Idealismus a la BERKELEY -, brachte MACHs Denken die Grundstimmung der Jahrhundertwende insofern auf den Begriff, als er die theoretischen Grundlagen für eine eigenartige Synthese von Positivismus und Impressionismus lieferte. Der berühmte Satz "Das Ich ist unrettbar" wurde zum Titel eines Essays von HERMANN BAHR und darüber hinaus zum Schlagwort der Wiener literarischen Impressionisten, die darin ihre eigene Grundhaltung, die nicht mehr zwischen Schein und Wirklichkeit, Wahrheit und Fiktion unterscheiden wollte, ausgedrückt sahen.

1838 in Turas bei Brünn in Mähren geboren, wuchs MACH im Hause eines freidenkenden, mit der 1848er Revolution sympathisierenden Vaters auf, der Lehrer und Grundbesitzer war. Mit fünfzehn fielen ihm KANTs "Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik" in die Hände, und MACH berichtet in seiner Autobiographie darüber, daß ihm das "Ding an sich" als müßig erschienen sei, während er die Welt und das Ich als eine einzige Masse von Empfindungen erlebt habe. Damit beschreibt er die Grundhaltung seines Sensualismus und Positivismus, seiner Antimetaphysik und seiner monistischen Einstellung.

In Wien studierte MACH Physik und Mathematik. Durch sein Interesse an der Sinnesphysiologie gelangte er über die Psychologie zur Philosophie. FECHNERs Psychophysik zog ihn einige Zeit in ihren Bann, wobei gerade die Verbindung von Physiologie und Psychologie für ihn die entscheidenden Probleme aufwarf und ihm der Begriff einer objektiven, außer uns existierenden Materie immer fragwürdiger wurde. 1864 wurde MACH auf eine Professur für Mathematik nach Graz berufen, wo er mit dem Nationalökonomen EMANUEL HERRMANN, dem Erfinder der Postkarte, Freundschaft schloß.

Das Prinzip der Denkökonomie, das den Grundsatz vertritt, mit Hilfe geringsten theoretischen Arbeitsaufwandes ein gesetztes praktisches Ziel zu erreichen, so daß eine größtmögliche Erfahrungsfülle auf immer einfachere theoretische Formeln gebracht werden kann, geht auf die Diskussion mit HERRMANN zurück. In der Wissenschaft gilt es also einen möglichst geringen theoretischen Aufwand mit einem Maximum an Anwendbarkeit zu verbinden, wie dies etwa in der Komprimierung von Erfahrungen zum Gesetz geschieht.

Von 1867 bis 1895 lehrte MACH in Prag, wo er als Rektor sich heftig der Trennung in deutsche und tschechische Fakultät widersetzte und für die Tschechen eine zweite Universität forderte. Seinem kosmopolitischen Liberalismus lag aber jeder Nationialitätenstreit im Grunde fern. 1895 wurde MACH nach Wien auf einen neugeschaffenen Lehrstuhl für Theorie der induktiven Wissenschaften berufen. Ein Jahr später erschienen seine "Prinzipien der Wärmelehre".

Seine Lehrtätigkeit in Wien mußte MACH nach einem Schlaganfall, der eine halbseitige Lähmung zur Folge hatte, aufgeben. Die Erhebung in den Adelsstand lehnte er ab, eine Berufung ins Herrenhaus (die zweite Kammer des österreichischen Parlaments) nahm er an, wobei sich sein soziales Engagement darin gezeigt haben soll, daß er zur Abstimmung über den Neunstundentag sich im Krankenwagen ins Parlament bringen ließ. Sein schlechter Gesundheitszustand hinderte ihn ebensowenig am Weiterarbeiten wie der tragische Tod seines Sohnes Heinrich, der Selbstmord beging. 1916 ist MACH in Haar bei München gestorben.

Der von MACH in zeitlicher Parallele mit dem Züricher Philosophen RICHARD AVENARIUS begründete "Empiriokritizismus" beruht im wesentlichen auf der Annahme, daß alles, was wir erfahren, uns nur in Sinnesempfindungen zugänglich ist und daß weder eine Welt an sich noch ein Ich an sich diesen Erfahrungen zugrundeliegt:
    "Die Welt besteht ... für uns nicht aus rätselhaften Wesen, welche durch Wechselwirkung mit einem anderen ebenso rätselhaften Wesen, dem Ich, die allein zugänglichen Empfindungen erzeugen. Die Farben, Töne, Räume, Zeiten ... sind für uns vorläufig die letzten Elemente, deren gegebenen Zusammenhang wir zu erforschen haben. Darin besteht eben die Ergründung der Wirklichkeit."
Für den Physiker MACH sind Tatsachen, Erfahrung und Methode das entscheidende Dreigestirn, das sowohl für die Naturwissenschaften als auch für die Philosophie maßgeblich bleiben muß. Allen Tatsachen kommt dabei die gleiche Wertigkeit zu, ob wir einen Bleistift in der Luft gerade oder im Wasser geknickt sehen, Schein und Wirklichkeit haben den gleichen Sinn:
    "Die Sinne täuschen nie und zeigen nie richtig."
Darum sind Schein und Wirklichkeit, Eindruck und Realität im Grund ununterscheidbar, genauso wie das ptolemäische und kopernikanische Weltbild gleich berechtigt sind.

Durch Anpassung der Gedanken an die Tatsachen bilden wir die Tatsachen ab und gewinnen Erkenntnisse, wobei das "denkökonomische Prinzip" uns eine gewisse Auswahl sowie auch ein Zusammenfassen ermöglicht. Der evolutionistische Biologismus, der sich hier im Begriff der Anpassung breitmacht, bleibt auch für die weiteren Entwicklungen der MACHschen Gedanken maßgeblich bis hin zu seinem Alterswerk "Erkenntnis und Irrtum". Die Fundierung aller unserer Erkenntnis in den Empfindungen bleibt MACHs Grundüberzeugung.

Die Sinnesempfindungen liefern uns Elemente, die wie "Farben, Töne, Räume, Zeiten" unmittelbar und unzweifelhaft gegeben sind und zugleich auch als die einfachsten Bausteine der Welt, als dasjenige erscheinen, "woraus die Welt besteht". Darin glaubt MACH sowohl einer dualistischen Weltauffassung, die zwischen Körper und Geist unterscheidet, wie auch einem "Ding an sich" entgangen zu sein: Das Physische und Psychische sind identisch, nur ihrer Betrachtungsweise nach verschieden.

Durch die Auflösung dessen, was wir (als Wirklichkeit) empfinduen, in Elemente, die in zerlegbaren Komplexen auftreten, ergibt sich auch die Möglichkeit, Qualitäten quantitativ zu beschreiben. Ihre gegenseitige Abhängigkeit ist allerdings nicht kausal zu verstehen, sondern nur funktional. Sie kann mathematisch bestimmt werden, wobei eine derartige Darstellung allgemeine Gültigkeit erlangen kann.

MACHs Elementenlehre, die sowohl von Naturwissenschaftlern wie auch von Philosophen von HUSSERL bis HABERMAS scharf angegriffen wurde, läßt auch das Ich nur als "funktionalen Zusammenhang von Elementen" erscheinen. Der Mensch erscheint als Elementenkomplex unter Elementenkomplexen, das Bewußtsein als Komplex von Empfindungen, die auf besondere Weise zusammenhängen, und Denken als eine Umformung dieser Komplexe.

Weil das Ich keine von der Welt isolierte Monade darstellt, sonder ein Teil der Welt ist, wie MACH behauptet, kann er es auch als bloß "abstrakten Gedanken", als "empirische Konstruktion" oder als "Annahme" bezeichnen. Es besteht aus nichts anderem als aus spezifisch geordneten Elementengruppen, wie Empfindungen, Vorstellungen, Erinnerungen und Gedanken, wurzelt im Organismus, dem es sowohl in der Distanz des "Einen-Leib-Habens" wie auch in der Identität des Leib-Seins verbunden ist.

Freilich gerät das so verstandene Ich, das OTTO WEININGER aus seiner Position heraus spöttisch als "Wartesaal der Empfindungen" charakterisiert hat, in Gefahr, sich in sich selbst einzuschließen. Denn wie soll ich hier von den Tatsachen meiner Empfindungen, meiner Erfahrungen je zur Anerkennung der Empfindungen, Erfahrungen und Vorstellungen anderer gelangen?

MACH gibt selbst zu, daß ihm zeitweilig sein Solipsismus, für den das eigene Ich mit seinen Bewußtseinsinhalten allein als wirklich gilt, als die einzig mögliche und konsequente wissenschaftliche Folgerung aus seinen Voraussetzungen erschienen sei. Er versucht dieser Konsequenz aber dadurch zu entgehen, daß er Physisches, Psychisches und Geistiges auf eine Ebene stellt: dadurch wird etwa das Fremd-Ich in seiner Problematik zu einem Scheinproblem, da Ich und Fremd-Ich nur veränderliche Komplexe darstellen, die sich gegenseitig beeinflussen.
    "Da mir die Empfindungen der Nachbarn ebensowenig unmittelbar gegeben sind, als ihnen die meinigen, so bin ich berechtigt, dieselben Elemente, in welche ich das Physische aufgelöst habe, auch als Elemente des Psychischen anzusehen. Das Physische und das Psychische enthält also gemeinsame Elemente."
Daß diese Konzeption unbefriedigend bleiben muß, hat MACH selbst und nicht nur seine Kritiker beunruhigt. Solange aber das Ich reduktionistisch auf die gleiche Ebene gestellt wird wie das, was es erfährt, wie die Welt, die Dinge, die Wirklichkeit, kann der Positivismus MACHs auch nicht aus der Reduktion herausgelangen, die ihn in eine merkwürdige Zwitterstellung zwischen Materialismus und Idealismus rückt.

Sosehr MACHs antimetaphyische Einstellung auch zunächst als etwas erscheinen kann, das den immanenten metaphysischen Anspruch einer naturwissenschaftlichen Theorie, wie sie das 19. Jahrhundert in unzähligen Varianten ausbreitete, zurecht eine Grenze setzt, so sehr gerät er selbst unweigerlich in metaphysische Voraussetzungen. LENIN, der sich durch den breiten Einfluß MACHs in den Kreisen der revolutionären russischen Intelligenz herausgefordert sah, nannte MACHs Positivismus einen "subjektiven Idealismus", der sich nich scheue, Annahmen der materialistischen Erkenntnistheorie in seine Betrachtungen einzuschieben, sobald es von Nutzen schien.

Sicherlich haben zu LENINs erbitterter Stellungnahme gegen den MACHismus" eine Reihe von Fraktionskämpfen innerhalb der revolutionären Bewegung in Rußland erheblich beigetragen. Nach dem Scheitern der Revolution von 1905 schien es besonders wichtig, einer Spaltung der "Bolschewiki" vorzubeugen und sich auch gegen die marxistisch -sozialdemokratisch orientierte Zweite Internationale eines KARL KAUTSKY und FRIEDRICH ADLER abzugrenzen.

MACHs Lehre wird in der Sicht LENINs als idealistisch, bürgerlich und reaktionär gekennzeichnet. Sie würde unter dem Vorwand der modernen Naturwissenschaft dem Materialismus entgegenarbeiten, wie der Positivismus überhaupt als eine zwischen Materialismus und Idealismus schwankende Position erscheine. LENINs Kritik hat freilich nicht allein sachliche Wurzeln, die an implizite metaphysische Voraussetzungen der Lehre MACHs anknüpfen, sondern auch realpolitische: die Nähe des MACHschen Positivismus zum Materialismus machte ihn aller idealistischen Implikationen zum Trotz zu einem Gegner im eigenen Lager, was unter anderem durch die Rezeption MACHs im Austromarxismus und später durch sozialistisch orientierte Denker des "Wiener Kreises" dokumentiert wird.

Das evolutionistische, naturwissenschaftliche Materialismusverständnis etwa eines FRIEDRICH ADLER knüpft explizit an MACH an, und auch sein Namensvetter MAX ADLER sah trotz seiner Vorliebe für KANTs Transzendentalphilosophie in der MACHschen Theorie viele Übereinstimmungen mit dem Marxismus.

Man kann dieses merkwürdige Schicksal der Theorien MACHs sicher von der zwiespältigen Situation her verstehen, in die seine Auflösung des Gegebenen in Sinnesdaten bei gleichzeitiger Behandlung quantitativ ausmachbarer Gesetzmäßigkeiten führen mußte. Immerhin mutet es merkwürdig an, daß die folgenschwere Auflösung des Ich, die ja zugleich auch eine solche der Seele bedeutet, von LENIN kaum gewürdigt wird, ebensowenig wie der wissenschaftsbezogene Grundzug der MACHschen Theorien.

Der Physiker PHILIPP FRANK, der zu den Mitarbeitern des "Wiener Kreises" zu zählen ist, hat wiederum MACH gegen seine materialistischen Kritiker verteidigt und darauf hingewiesen, daß die Frage nach der Realität der Materie sich für MACH gar nicht stelle.

Am meisten hat aber auf die Zeitgenossen MACHs wohl die Auflösung des Ich gewirkt. Die im naiven Weltbild verankerte und von der Philosophie übernommene substantielle Ichauffassung sinkt zu einer "denkökonomischen Einheit" herab. Die Lehre von der Denkökonomie hat MACH erstmals 1872 als eine Theorie der Naturwissenschaft aufgestellt, wenn man auch ihre Prinzipien sowohl im Naturalismus des Spätmittelalters als auch bei DESCARTES und LEIBNIZ und dann in der Evolutionslehre DARWINs finden kann:
    "Alle physikalischen Sätze und Begriffe sind gekürzte Anweisungen, die oft selbst wieder andere Anweisungen eingeschlossen enthalten, auf ökonomisch geordnete, zum Gebrauch bereitliegende Erfahrungen."
Dieses zunächst als rein methodische Verfahrensregel anmutende Prinzip enthält aber eine Reihe von weiteren Folgerungen: so ist der antimetaphysische Zug wissenschaftlicher Vorgangsweise auch in diesem Ökonomieprinzip begründet, da es die Eliminierung aller überflüssigen Annahmen nach sich zieht:
    "Mit der Erkenntnis des ökonomischen Charakters verschwindet auch alle Mystik aus der Wissenschaft."
Da MACH dieses Prinzip seinem psychophysischem Parallelismus zufolge auch in der physiologischen Ausstattung des Menschen am Werk sieht, ist dieser auch evolutionär verstanden unter das Prinzip der Denkökonomie zu stellen. Die recht verstandene Anwendung führt dazu, daß das naive Ich und auch seine Eliminierung aus der Wissenschaft als denkökonomische Notwendigkeit zweier verschiedener Wege begriffen werden. Das metaphysische Ich hingegen wird zu einem Scheinproblem. Ebenso werden dies aber auch dann alle jene Fragen, die mit ihm zusammenhängen, diejenigen der Seele, der Unsterblichkeit, des Jenseits.

MACHs Konsequenzen dieser Vertreibung des Ich führen ihn in die Nähe des Buddhismus, der seiner eigenen Unsterblichkeitsauffassung nahekommt. Die persönliche Unsterblichkeit erweist sich für MACH ebenfalls als ein Scheinproblem, da es nur un- oder überpersönliches Weiterleben geben kann, eine Art von Regeneration des Ich.

Der Tod ist nichts anderes als das Zerfallen einer bestehenden denkökonomischen Einheit, die Furcht vor dem Tode ist darum unsinnig, denn die Vernichtung von Beständigkeit tritt ohnedies ständig in unserem Leben ein. Der Tod als Befreiung von der Individualität rückt MACHs Auffassung sogar in unmittelbare Nähe zum Denken SCHOPENHAUERs. Die wahre Unsterblichkeit, so MACH, kann nur im Forbestehen der wertvollen Bewußtseinselemente liegen, im überdauernden Strom menschlicher Kulturleistungen.

Nicht von ungefähr erinnert diese Argumentation an den antiken Materialismus und an EPIKUR, aber auch an FEUERBACH und SCHOPENHAUER, wiederum das eigenartige Oszillieren zwischen idealistischen wie materialistischen Konsequenzen widerspiegelnd.

Aus dieser Auffassung vom Tode bestimmt sich auch das Ideal einer freien und "verklärten" Lebensauffassung, die die Wurzel von MACHs aufklärerisch -optimistisch orientiertem Sozialismus darstellt. MACH setzt darauf, daß die Wissenschaft jene Verblendung, Unfreiheit und Unwissenheit beseitigen wird können, von der er die gesellschaftlichen Zustände seiner Zeit bestimmt sah.

Sosehr man heute dazu neigen mag, die MACHsche Auffassung des Ich als ein mißglücktes Denkmodell zu betrachten, das letztlich alles als Fiktion ausschließen muß, was der (quantifizierend auszulegenden) Gegebenheit widerspricht, so groß war die Wirkung dieser Konzeption auf die intellektuelle Szene seiner Zeit. Dem Narzißmus der Wiener Ästheten und der Pflege des eigenen Ich, seiner Tiefen und Untiefen im Bürgertum des ausgehenden 19. Jahrhunderts, stellt sich gleichsam komplementär die Vertreibung des Ich zur Seite.

Nicht zufällig bezeichnet SIGMUND FREUD das Unbewußte als das eigentlich real Psychische, seiner Natur nach ebenso unbekannt für uns wie das Reale der Außenwelt. Daß das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus - diese Behauptung FREUDs trifft sich mit MACHs Überzeugung, daß das Ich nur fiktive Realität haben kann.

Mit Recht kann man MACHs Philosophie mit einem impressionistischen Gemälde vergleichen, dessen einzelne Farbtupfer ineinander übergehen, sich hart aneinander stoßen, aber doch ein einheitliches Bild ergeben. Der Wiener Impressionismus und Ästhetizismus sah darum in der Aufhebung der Grenzen zwischen Sein und Schein und in der Lehre vom "unrettbaren Ich" sein Grundgefühl ausgedrückt. HERMANN BAHR, der sich in seiner späteren Zeit wiederum von der MACHschen Antimetaphysik abwandte, hat in seinem "Dialog vom Tragischen" diese Vermischung von Wahrheit und Illusion beschrieben:
    "Das Ich ist unrettbar. Die Vernunft hat die alten Götter umgestürzt und unsere Erde entthront. Nun droht sie, auch uns zu vernichten. Da werden wir erkennen, daß das Element unseres Lebens nicht die Wahrheit ist, sondern die Illusion. Für mich gilt nicht, was wahr ist, sondern was ich brauche, und so geht die Sonne dennoch auf, die Erde ist wirklich, und ich bin ich."
HOFMANNSTHALs Dichtung und auch seine Sprachkrise, wie sie sich im berühmten "Chandos-Brief" niederschlägt, wo kein Wort mehr ausreicht, um die Wirklichkeit darzustellen, wo alles in ein Ineinander von Illusion und Trug, Täuschung und Vorspiegelungen zerfällt, wo sich alles im Strom der Empfindungen auflöst, SCHNITZLERs Novellen, in denen sich so oft die Entpersonalisierung der Akteure zuträgt, oder MUSILs "Mann ohne Eigenschaften" setzene die MACHsche Auflösung des Ich im literarischen Bereich fort.

Dagegen wurde MACHs hartnäckige, aus seiner sensualistischen Grundposition entspringende Ablehnung der Atom- und Relativitätstheorie aber nicht allein von MAX PLANCK und ALBERT EINSTEIN entschieden zurückgewiesen, sondern auch von seinem Nachfolger an der Universität Wien: LUDWIG BOLTZMANN.

Der 1844 geborene LUDWIG BOLTZMANN, der vornehmlich auf dem Gebiet der Thermodynamik arbeitete, teilte zwar MACHs Zurückweisung der Metaphysik - die er in einem Vortrag über SCHOPENHAUER, betitelt "Beweis, daß SCHOPENHAUER ein geistloser, unwissender, Unsinn schmierender, die Köpfe durch hohlen Wortkram vom Grund aus und auf immer degenerierender Philosophaster sei", als "geistige Migräne" bezeichnet -, behauptete aber gegen MACH die Existenz einer objektiven, subjektunabhängigen Materie.

Wohl hat BOLTZMANN die antispekulative, wissenschaftsorientierte Auffassung von Philosophie und auch eine Übernahme darwinistischer Momente mit MACH gemeinsam. MACHs Positivismus wird hingegen von BOLTZMANN entschieden abgelehnt. Die Auffassung von der Willkür der naturwissenschaftlichen Hypothesen und der ständigen Verbesserbarkeit aller Theorie, die des permanenten Kampfes der Theorien, die auch dann, wenn sie sich widersprechen, gleichermaßen richtig sein können, schließt wiederum an MACH an.

BOLTZMANNs Auffassung von der Theorie als eines modellhaften, quantifizierbaren Abbildes der Wirklichkeit hat auf LUDWIG WITTGENSTEIN weitergewirkt. BOLTZMANN versuchte sich auch auf dem Gebiet der Ethik, wo er einem darwinistischen Evolutionsgedanken huldigte und der idealistischen Ethik eines FRIEDRICH JODL, mit dem er manchmal in seinen außerordentlich gut besuchten Vorlesungen diskutierte, scharf entgegentrat. Bei BOLTZMANN bahnt sich bereits deutlicher als bei MACH der Ausschluß von Fragen der Ethik und Ästhetik, von alledem, was LUDWIG WITTGENSTEIN später als die eigentlichen Lebensfragen bezeichnet, aus der auf Wissenschaftlichkeit reduzierten Philosophie an.

Denn diese Trennung bedeutet keineswegs den Verzicht auf die genannten Bereiche und Fragen. Im Gegenteil: BOLTZMANN war nicht allein ein tiefer Verehrer von Musik und Dichtung, sondern auch ein solcher der Schönheit, der auch beim Anblick einer bestimmten Färbung des Horizontes über dem Meer in Tränen ausbrechen konnte.

Aber dies wird auf die unverbindliche Seite persönlichen Erlebens gebucht, das in der Wissenschaft nichts zu suchen habe. Bei BOLTZMANN, der 1906 in Duino bei Triest freiwillig in den Tod ging, hat sich das wissenschaftliche Weltbild des 19. Jahrhunderts ebenso vollendet, wie andererseits die Atomphysik des 20. Jahrhunderts ihre Schatten vorauswarf.

Der Physiker-Philosoph ERNST MACH und Pysiker-Philosoph LUDWIG BOLTZMANN leiteten jedenfalls trotz aller zwischen ihnen bestehenden Differenzen jenes antimetaphysische und szientistisch orientierte Philosophieren in Österreich ein, das die Verbindung von rationalen und mathematisierten Gesetzesformulierungen mit der Beobachtung des Gegebenen als einzig verbindliches Verfahren der Weltauffassung ansieht. Damit leisteten sie einem logischen Empirismus Vorschub, den etwa LESZEK KOLAKOWSKI als
    "Produkt einer bestimmten Kultur" bezeichnet hat, "in der die technologischen Fertigkeiten als dominierende Werte angesehen werden ... Er ist die Ideologie der Technokratie, mystifiziert als antiideologischer Standpunkt einer von Wertungen freien Wissenschaft."
Immerhin hat aber ERNST MACH mit seiner Vermischung von Wirklichkeit und Illusion, Wahrheit und Schein, Subjekt und Objekt eine Position eingenommen, die einmal mehr zeigt, wie schwierig es ist, beides auseinanderzuhalten, und daß das radikale Setzen auf eines der beiden nicht Sache des Österreichischen sein kann.
    "Welche Wendungen immer die berührten Probleme daher noch nehmen mögen, eine eindeutige Lösung, einen voll befriedigenden Standpunkt für künftige Lösungen hat MACH nicht aufgezeigt",
schreibt ROBERT MUSIL in seiner Berliner Dissertation. Ohne damit MACHs Positivismus hochstilisieren zu wollen, könnte man hinzufügen, vielleicht weil es eine solche Eindeutigkeit nicht gibt, weil es keinen befriedigenden Standpunkt geben kann und weil alle endgültigen Lösungen nicht nur etwas Unphilosophisches, sondern vor allem auch etwas zutiefst Unösterreichisches an sich haben.
LITERATUR - Peter Kampits, Zwischen Schein und Wirklichkeit, Eine kleine Geschichte der österreichischen Philosophie, Wien 1984