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JOHANNES VOLKELT
Immanuel Kants Erkenntnistheorie
[nach ihren Grundprinzipien analysiert]
[ 2 / 3 ]

"Wie mein Verstand gänzlich a priori sich selbst Begriffe von Dingen bilden soll, mit denen notwendige die Sachen einstimmen sollen, ... diese Frage hinterläßt immer eine Dunkelheit in Anbetracht unseres Verstandesvermögens, woher ihm diese Einstimmung mit den Dingen selbst komme."

"Es ist fast überflüssig hervorzuheben, daß nur derjenige, dessen Nachdenken sich um den erkenntnistheoretischen Fundamentalunterschied zwischen dem Vorstellen und dem Transsubjektiven bewegt und in der Frage nach der Unüberwindbarkeit desselben ernste, fundamentale Schwierigkeiten findet, das Schicksal der Philosophie an das Problem, ob sich unsere Erkenntnis nach den Gegenständen oder die Gegenstände sich nach der Erkenntnis richten, knüpfen kann."


3. Das absolut skeptische
Erkenntnisprinzip als durchgreifender
Faktor des kantischen Denkens

Ich wende mich jetzt an KANT und frage, in welchem Verhältnis seine Philosophie zum Erkenntnisprinzip des absoluten Skeptizismus steht. Man braucht diese Philosophie nur ganz obenhin zu überblicken, und es tritt als ganz besonders charakteristisch die Lehre von der Unerkennbarkeit der Dinge-ansich und von der Einschränkung allen Erkennens auf die Vorstellungen hervor. Diese Wahrnehmung genügt, um zu der Frage zu nötigen, in welcher Weise das absolut skeptische Erkenntnisprinzip am Zustandekommen der kantischen Philosophie beteiligt ist.

Ebenso jedoch genügt ein flüchtiger Blick auf die zu Anfang der Vernunftkritik und der Prolegomena entwickelte Fragestellung, um zu erkennen, daß KANT sein Philosophieren jedenfalls nicht mit einer Erörterung jenes fundamentalsten erkenntnistheoretischen Gegensatzes beginnt. Wir treten bei ihm sofort in weit speziellere und höchst komplizierte Probleme ein; er kommt gar nicht auf den Gedanken, daß es in erster Linie darauf ankommt, das positivistische Erkenntnisprinzip in seiner vollen Schärfe zu erfassen, und daß das nächste Geschäft darin bestehen muß, die Überwindbarkeit der durch dieses Prinzip gesetzten Kluft zwischen Vorstellung und Ding-ansich zu prüfen, bzw. die Unmöglichkeit, über diese Kluft theoretisch hinüberzukommen, zu begründen; und daß erst auf Grundlage der in diesen prinzipiellsten Problemen getroffenen Entscheidungen die spezielleren erkenntnistheoretischen Fragen behandelt werden dürfen. Wir können also schon hier aussprechen, daß KANTs Kritizismus das Prädikat "eminent kritisch" in dem im vorigen Kapitel erörterten Sinn nicht verdient; und dieses Urteil wird unsere Untersuchung von Schritt zu Schritt immer mehr bestätigen.

Wenn nun auch der Anfang der kantischen Philosophie sich nicht direkt mit den genannten fundamentalsten Fragen beschäftigt und keine prinzipielle Begründung des absoluten Skeptizismus gibt, so muß doch, wie die Lehre von der gänzlichen Unerkennbarkeit des Dings-ansich und von der Einschränkung allen Wissens auf die Vorstellungen verbürgt, das absolut skeptische Erkenntnisprinzip in dieser Philosophie eine wesentlich bestimmende Stellung einnehmen. Da sind nun zwei Fälle möglich. Entweder wird KANT diesem Prinzip im weiteren Verlauf seiner Philosophie eine prinzipielle Erörterung widmen und es nachträglich mit voller Schärfe und Bewußtheit in den Mittelpunkt derselben stellen; oder es wird dieses Prinzip in der Form einer nur dunkel bewußten Triebfeder, einer unerörterten, selbstverständlichen Voraussetzung einen bestimmenden Faktor seines Denkens ausmachen. Sollte dieser zweite Fall bei KANT stattfinden - und so wird es sich in der Tat verhalten - so wird, wie wir zu erwarten berechtigt sind, noch die weitere Eigentümlichkeit dazutreten, daß dieses Prinzip, statt seine Alleingültigkeit in scharfer Konsequenz durchzusetzen, in unklarer, widerspruchsvoller Verbindung mit anderen Erkenntnisprinzipien auftreten wird. Denn wo ein Prinzip die Form einer mehr oder weniger unbewußten Triebfeder hat, da fehlen die Mittel zur Aussonderung und Fernhaltung der gegenteiligen Prinzipien.

Ich bemerkte zum Schluß des ersten Kapitels, daß hier die Frage, wie die Grenze zwischen dem Vorstellen als dem einzig unbezweifelbaren Gewissen und dem Transsubjektiven als dem Gebiet, das zu Beginn der Philosophie absolut ungewiß ist und auch im weiteren Verlauf derselben keinesfalls mit unbezweifelbarer Gewißheit erkannt werden kann, in absolut genauer Weise läuft, noch völlig unerhört bleibt. So will ich es dann vorderhand auch noch ununtersucht lassen, ob KANT diese Abgrenzung in richtiger Weise vornimmt. Wir wollen hier annehmen, daß alles, was er zum diesseitigen Gebiet, zum Vorstellen, rechnet, auch wirklich dazu gehört. Erst der vierte Abschnitt wird untersuchen, ob er diese prinzipiellste erkenntnistheoretische Grenze richtig zieht. Hier fragen wir überall nur danach, in welches Verhältnis er das, was er selbst zum Vorstellen rechnet, zu dem setzt, was er selbst in die Sphäre des Dings-ansich hinüberweist. - Nach dieser Vorbemerkung wenden wir uns zu dem Nachweis, daß das absolut skeptische Erkenntnisprinzip einen wenn auch nur dunklen und unklar bewußten, so doch wesentlich bestimmenden Faktor des kantischen Denkens bildet.

Die gänzliche Unerkennbarkeit des Dings-ansich wird von KANT an so vielen Stellen ausgesprochen, daß es kaum nötig ist, Belege dafür anzuführen. Nur auf einige Stellen sei hingewiesen. In den Prolegomena, Seite 112 erklärt er ohne Umschweife, daß wir von den Dingen ansich nichts wissen, und in der Kritik der reinen Vernunft, Seite 212 heißt es, daß man sich die Dinge ansich oder Noumena "nur unter dem Namen eines unbekannten Etwas zu denken habe". Ein noch schärferer Ausdruck für diese Unerkennbarkeit ist es, wenn KANT Seite 227 sagt, daß das "transzendentale Objekt" (welches gleichfalls mit dem "Ding ansich" einerlei ist) ein "bloßes Etwas ist wovon wir nicht einmal verstehen würden, was es sei, wenn es uns auch jemand sagen könnte". (1) Ähnlich heißt es Seite 288 A, daß das Ding ansich "durch gar keine anzugebenden Prädikate" erkannt werden kann, und Seite 344, daß in Anbetracht des Dings ansich (hier "mundus intelligibilis" genannt) gar kein unser Wissen bereichernder Satz, weder bejahend, noch verneinend, möglich ist. Und diese gänzliche Unerkennbarkeit gilt, wie es ausdrücklich Seite 298A heißt, nicht nur etwa vom äußeren der Anschauung, sondern auch vom inneren der Anschauung, dem wahrgenommenen eigenen Selbst, zugrundeliegenden Ding-ansich.

Ich weiß sehr wohl, daß KANT diese gänzliche Unerkennbarkeit des Dings-ansich nicht konsequent durchführt, daß er ihm eine Reihe negativer und positiver Bestimmungen mehr oder weniger ausdrücklich zuspricht, ja daß diese Bestimmungen des Dings-ansich einem grundwesentlichen Faktor seines Denkens entspringen. Diese Stufenleiter von mehr oder weniger bestimmten rationalistischen Aussagen über das Ding-ansich werde ich im dritten Abschnitt entwickeln. Für uns ist hier allein dies wichtig, daß KANT neben jenen rationalistischen Behauptungen doch zugleich an der gänzlichen Unerkennbarkeit des Dings ansich prinzipiell festhält. Sein Denken wurde zwar von anderer Seite her getrieben, dem Ding ansich gewisse Charakterzüge wie etwas schlechthin Evidentes beizulegen. Zugleich aber drängte sich ihm die erkenntnistheoretische Kluft zwischen dem Vorstellen des Subjektes und dem jenseitigen Gebiet so deutlich und mächtig auf, daß er die gänzliche Unerkennbarkeit des Dings-ansich auszusprechen sich genötigt fand. Und diese Unerkennbarkeit spricht er nicht nur, wie wir eben gesehen haben, ganz im Allgemeinen aus, durch Wendungen etwa wie die, daß das Ding-ansich ein unbekanntes Etwas ist und dgl., sondern auch durch eine ganz bestimmte Ablehnung desjenigen Minimums von Bestimmtheit des Dings ansich, das sich nur zu leicht wie etwas ganz Selbstverständliches aufdrängen kann. So könnte es z. B. sehr leicht geschehen, daß Jemand dem Ding ansich, trotzdem er seine Erkennebarkeit behauptet, dennoch stillschweigend Substantialität, ursächliches Verhalten und dgl. wie etwas Selbstverständliches zugesteht. Dem beugt KANT an vielen Stellen ausdrücklich vor. Er spricht dem Verstand die Befugnis ab, sich das Ding ansich als Größe, Realität, Substanz usw. zu denken; ebenso bleibt es "völlig unbekannt, ob es in uns oder auch außerhalb von uns anzutreffen ist (Seite 234f). Und an einer anderen Stelle (Seite 525) bezeichnet er Realität, Substanz, Kausalität, Notwendigkeit als solche Begriffe, die, wenn man sie auf das Ding-ansich selbst anwenden wollte, gar keine Bedeutung haben. Ebensowenig freilich darf ihm ein ursächliches Verhalten zugesprochen werden. Denn Niemand kann "von einem unbekannten Gegenstand ausmachen, was er tun oder nicht tun könne" (Seite 312A). Dies ist doch wohl völlig skeptisch gesprochen. Ganz besonders aber ist hervorzuheben, wiewohl dies schon aus einigen der angeführten Stellen hervorgeht, daß KANT es zuweilen - wenigstens als formelle Forderung dieses Standpunktes, wenn auch vielleicht nicht seinem innersten Glauben nach - dahingestellt sein läßt, ob das Ding ansich existiert. So nennt er das Ding ansich oder Noumenon einen problematischen Begriff, d. h. einen Begriff, "dessen objektive Realität auf keine Weise erkannt werden kann" (Seite 210). Und in demselben Zusammenhang bezeichnet er es als einen Grenzbegriff, womit er sagen will, daß unsere Art der Anschauung nicht auf alle Dinge, sondern nur auf Gegenstände unserer Sinne geht", folglich für Dinge ansich allerdings "Platz übrig bleibt". Ob jedoch dieser jenseits unserer Sinnlichkeit liegende Platz von Dingen ansich wirklich besetzt ist, sei eine Frage, die sich in bestimmter Weise nicht beantworten läßt (Seite 210, 233). Kurz: für uns ist das Ding-ansich Nichts (Seite 228, III 106). (2)

Wenn bei KANT das Ding-ansich das innere Wesen der Dinge, ihren metaphysischen Grund bedeutet, dann würde die Lehre von der Unerkennbarkeit des Dings-ansich allerdings kein Beweis dafür sein, daß in KANTs Denken der absolute Skeptizismus in dem oben erörterten Sinn eine entscheidende Rolle gespielt hat. Denn wer nur das in diesem eingeschränkten Sinn genommene Ding-ansich und nichts weiter für prinzipiell unerkennbar hält, gibt eben damnit selbstverständlicherweise zu, daß die objektive Außenseite dieses Dings-ansich, seine den Sinnen zugewandte Oberfläche, also das, was es als objektive Erscheinung ist, ganz wohl erkennbar ist. Auf diesem Standpunkt ist also ein Erkennen dessen, was außerhalb des Vorstellens vorhanden ist, prinzipiell bis zu einer gewissen Grenze als möglich zugestanden, und demnach hier kein absoluter Skeptizismus vorhanden. Bei KANT jedoch bedeutet das Ding-ansich alles unabhängig von unserem Vorstellen Vorhandene; es fällt daher in seinen Bereich nicht nur das innerste Wesen der Dinge, sondern die gesamte Wirklichkeit, insofern sie nicht uns Vorstellen ist. Wenn man daher Jemanden, der an der Unerkennbarkeit des Dings-ansich im kantischen Sinn festhält, frägt, ob er die äußere, oberflächliche Seite des transsubjektiven Seins, vorausgesetzt, daß es eine solche überhaupt gibt, für erkennbar hät, so müßte er mit einem unzweideutigen Nein antworten.

Die Einschränkung des Erkennens auf unsere Vorstellungen ist nichts Anderes als der positive Ausdruck für die Unerkennbarkeit des Dings-ansich. Sowohl aus diesem Grund, als auch darum, weil sich diese Einschränkung bei KANT auf Schritt und Tritt ausgesprochen findet, ist es überflüssig, dafür Belegstellen anzuführen. Durch seine ganze Philosophie geht der Gedanke, daß alles, was der Erkenntnis zugänglich werden soll, in Raum und Zeit erscheinen muß. Raum und Zeit aber kennen wir nur als unsere Vorstellungen; abgesehen von unserem Vorstellen verlieren sie alle Bedeutung. So ist dann selbstverständlich auch aller Inhalt, mit dem sich uns Raum und Zeit ausgefüllt zeigen, bloßer Vorstellungsinhalt, und alles Erkennen bloßes Erkennen von Vorstellungen.

Besonders deutlich tritt dies in der ersten Auflage der Vernunftkritik hervor. Alle unsere Begriffe, selbst die Kategorien, haben nur Geltung in Bezug auf die "Natur"; die "Natur" aber ist ein "Inbegriff von Erscheinungen, d. h. eine Menge von Vorstellungen des Gemüts (Seite 104A). Im Erkennen "haben wir es überall nur mit Erscheinungen zu tun"; die Erscheinungen aber
    "machen einen Gegenstand aus, der bloß in uns ist, weil eine bloße Modifikation unserer Sinnlichkeit außerhalb von uns gar nicht angetroffen wird ..."

    "Alle Gegenstände, womit wir uns beschäftigen können, sind insgesamt in mir, d. h. Bestimmungen meines Selbst." (Seite 115A)
Die zweite Auflage ist bestrebt, die Ausdrücke "Vorstellungen", "Bestimmungen des Selbst" und dgl., wenn sie den Gegenstand des Erkennens bezeichnen will, zu vermeiden, und spricht stattdessen fast überall von "Erscheinung", "Erfahrung" usw. Allein sachlich ist dadurch nichts geändert. Denn Erscheinungen sind, nach der ausdrücklichen Definition der zweiten Auflage, eben nichts Anderes als "Vorstellungen von Dingen, die nach dem, was sie ansich sein mögen, unerkannt da sind". (Seite 755B) - Ich setze ausdrücklich hinzu, daß ich keineswegs behaupte, KANT habe die Einschränkung des Erkennens auf unseren Vorstellungsbereich konsequent und rein durchgeführt. Das Eine jedoch steht fest, daß diese Lehre, mag er ihr auch noch so untreu werden, zu den durchgreifenden Seiten seiner Philosophie gehört.

Freilich wird man es bis jetzt noch nicht als vollständig erwiesen ansehen dürfen, daß das erkenntnistheoretische Prinzip des absoluten Skeptizismus in KANTs kritischem Denken einen entscheidenden Faktor gebildet hat. Die Unerkennbarkeit des Dings ansich und die Einschränkung des Erkennens auf das Vorstellen sind doch nicht das absolut skeptische Erkenntnisprinzip selbst, sondern nur eine unvermeidliche Konsequenz daraus. Dieses Prinzip selber spricht aus, daß das Vorstellen absolut unfähig ist, theoretisch über sich hinauszugehen, sich selbst zu überwinden. Ansich betrachtet, wäre es ja möglich, daß KANT sich aus irgendwelchen anderen Gründen genötigt fand, das Ding-ansich für unerkennbar zu erklären und das Erkennen auf die Vorstellungssphäre einzuschränken. Ein und dieselbe Lehre kann verschiedene prinzipielle Gründe haben. Wir wollen daher nun untersuchen, ob und in welcher näheren Art und Weise KANT das absolut skeptische Erkenntnisprinzip selber, die absolute Unüberwindbarkeit der Kluft zwischen Vorstellen und allem Transsubjektiven, ausgesprochen hat.

In der Tat findet sich nun dieser skeptische Fundamentalgedanke bei KANT vielfach ausgesprochen. So sagt er in seiner Erörterung des Kausalitätsbegriffs, daß, wenn man unter Objekt das Ding ansich versteht, kein Mensch aus der Sukzession des von ihm vorgestellten Mannigfaltigen ermessen könnte, wie dieses im Objekt verbunden ist. Und worauf gründet, wie dieses im Objekt verbunden ist. Und worauf gründet er nun diese Unübertragbarkeit der Beschaffenheit unserer Vorstellungen auf das Ding-ansich? Auf nichts Anderes als jene unüberwindbare erkenntnistheoretische Kluft; denn die Begründung lautet:
    "Wir haben es doch nur mit unseren Vorstellungen zu tun; wie Dinge-ansich (ohne Rücksicht auf Vorstellungen, dadurch sie uns affizieren) sein mögen, ist gänzlich außer unserer Erkenntnissphäre. (Seite 162)
Ganz ebenso scharf, wenn auch mit ausschließlicher Rücksicht auf die Verstandesbegriffe, spricht eine Stelle der Prolegomena jenen Fundamentalgedanken aus:
    "Mein Verstand und die Bedingungen, unter denen er allein die Bestimmungen der Dinge in ihrem Dasein verknüpfen kann, schreibt den Dingen selbst keine Regel vor; diese richten sich nicht nach meinem Verstand." (III 53)
Hier hatte KANT das Eingeschlossensein aller Verstandesbegriffe innerhalb ihrer selbst klar vor Augen. - Und ebenso begründet KANT in der transzendentalen Ästhetik unsere gänzliche Unkenntnis von den "Gegenständen ansich" damit, daß er sagt:
    "Wir kennen nichts als unsere Art, sie wahrzunehmen, die uns eigentümlich ist, die auch nicht notwendig jedem Wesen, wenn auch jedem Menschen zukommen muß." (Seite 49)
Also auch hier läuft sein Gedanken darauf hinaus, daß wir innerhalb unserer Vorstellungsweise vollständig eingesperrt sind und kein Mittel haben, um in das Ding-ansich einzudringen. Die sinnliche Anschauung ist das einzige Medium, mittels dessen wir theoretisch an die Gegenstände kommen können. Können wir doch "sogar unser eigenes Gemüt nur durch inneren Sinn, folglich als Erscheinung", kennen lernen! Eben dieses einzige Medium aber ist ein völlig "unschickliches Werkzeugt", um hinter die Erscheinungen oder Vorstellungen zu dringen. Die ganze Stelle (Seite 227) zeigt, daß KANT hier der Gedanke vorgeschwebt hat, daß, mögen wir unsere Vorstellungen wenden und zergliedern, wie wir wollen, wir doch immer im Bann unseres Vorstellens bleiben werden.

Ganz besonders aber gehört hierher die in der ersten Auflage enthaltene "Kritik des vierten Paralogismus". KANT sagt hier, daß wir unter "äußeren Gegenständen" Dinge ansich verstehen, wir niemals erkennen können, daß es Gegenstände außerhalb von uns gibt. Denn wir könnten uns dabei doch bloß auf die Vorstellungen stützen, die in uns sind. (Seite 302A) Allein, "selbst bei unserem besten Bewußtsein unserer Vorstellung von diesen Dingen", ist es, "noch lange nicht gewiß, daß, wenn die Vorstellung existiert, auch der ihr korrespondierende Gegenstand existiert. (Seite 297A). Was sagt er hier also Anderes, als daß wir lediglich von den Vorstellungen in uns ein Wissen besitzen, und daß diese Einschränkung des Wissens in der theoretisch absolut unüberwindbaren Kluft zwischen Vorstellen und allem Transsubjektiven ihren Grund hat. Es ist ihm klar geworden, daß es ein Ungedanke ist, mit seinem Vorstellen über das Vorstellen hinausgreifen zu wollen. Noch gewisser wird dies durch den begründenden Zusatz:
    "Man kann doch außer sich nicht empfinden, sondern nur in sich selbst, und das ganze Selbstbewußtsein liefert daher nichts, als lediglich unsere eigenen Bestimmungen." (Seite 302A)
Kann man es deutlicher aussprechen, daß man von dem, was unser Vorstellen enthält, infolge der absoluten Eingeschlossenheit des Vorstellens in sich selbst, niemals auf etwas außerhalb desselben Existierendes schließen darf?

Dagegen ist das Erkennen der Vorstellungen absolut sicher. Der transzendentale Idealist, erklärt KANT, behauptet die Existenz der Materie, jedoch
    "ohne aus dem bloßen Selbstbewußtsein hinauszugehen und etwas mehr als die Gewißheit der Vorstellungen in ihm selbst, folglich das cogito ergo sum, anzunehmen."
Wir haben ein Recht, das Dasein der Materie "auf das Zeugnis unseres bloßen Selbstbewußtseins" zu behaupten, gerade so, wie wir die Existenz unseres Selbst auf dieses Zeugnis hin annehmen. Sowohl die Materie, wie mein Selbst sind
    "nichts als Vorstellungen, deren unmittelbares Bewußtseins zugleich ein genugsamer Beweis ihrer Wirklichkeit ist."
Das Dasein äußerer Dinge wird stets absolut ungewiß bleiben,
    "dahingegen der Gegenstand des inneren Sinnes (Ich selbst mit allen meinen Vorstellungen) unmittelbar wahrgenommen wird und die Existenz desselben gar keinen Zweifel leidet." (Seite 295f A in den verschiedensten Wendungen)
So sind also im Sinne dieser Stellen unsere Vorstellungen das einzig Gewisse, an dessen Existenz uns Niemand rütteln kann. Und alles Wissen, das diesen Namen wirklich verdient, wird auf das unmittelbare Erleben unserer gegenwärtigen Vorstellungen, auf die Gewißheit des Selbstbewußtseins zurückgeführt, auf den Satz: "Ich bin mir meiner Vorstellungen bewußt; also existieren diese und ich selbst, der ich diese Vorstellung habe." (Seite 297A) Demgemäß gesteht KANT, daß er sich "nicht einmal einfallen läßt", über das Ding ansich "Erkundigung anzustellen" (Seite 303A) Sein Denken hat das absolut skeptische Erkenntnisprinzip in seinem innersten Grund ergriffen: er spricht die absolute Unbezweifelbarkeit lediglich dem Vorstellen zu, weil es in unmittelbarer Gegenwart lebt, erfahren wird; alles Andere erscheint ihm durchaus unsicher, weil das Vorstellen in keiner Weise über sich hinaus kann.

Die Kritik des vierten Paralogismus gibt mir die Veranlassung, schon hier von einer eigentümlichen Verwirrung seines Denkens, von der Vermischung des absoluten Skeptizismus mit einem gewissen naiven Realismus zu reden. KANT kehrt nämlich in diesem Abschnitt, trotz der angeführten unzweideutigen Sätze, dennoch das Problematische der Existenz und der Beschaffenheit des Dings-ansich nicht heraus. Der Charakter des Problematischen erstreckt sich auf die Existenz des Dings-ansich nur als eine aus jenem Prinzip sachlich sich ergebende, wohl auch dunkel mitgedachte, jedoch keinesfalls ins scharfe Bewußtsein hervorgetriebene Konsequenz. Der Grund davon liegt in Folgendem: Die äußere Wahrnehmung gewinnt für ihn unwillkürlich ein mehr als bloß subjektives, dem metaphysischen Wert noch vollständig fragliches Dasein, sie steigert sich ihm wie selbstverständlich zur wahren Wirklichkeit, zur Wirklichkeit überhaupt.
    "Alle äußere Wahrnehmung beweist unmittelbar etwas Wirkliches im Raum, oder ist vielmehr das Wirkliche selbst; ... es korrespondiert unseren äußeren Anschauungen etwas Wirkliches im Raum." (Seite 300A) -
mit welchem korrespondierenden Wirklichen er an dieser Stelle selbst wieder nur die äußere Anschauung meint. EDUARD von HARTMANN hat daher Recht, wenn er mit Rücksicht auf diese und ähnliche Stellen KANT vorwirft, daß er zeitweilig auf den naiven Standpunkt des unkritischen Bewußtseins zurückfällt, welches, in "uvermittelter Subreption" [Erschleichung - wp], das subjektive Vorstellen für eine mehr als subjektive Realität, für die wahre Wirklichkeit hält (3). Gerade da, wo er Raum und Materie zu bloßen Bestimmungen unseres Bewußtseins erklärt und sie nur darum, weil sie, wie unsere eigenen Gedanken, auf dem unmittelbaren Bewußtsein beruhen, für unbezweifelbar hält, akzentuieren sich ihm die Wahrnehmungen, die Raum und Materie zu ihrem Inhalt haben, mit solcher Intensität, daß er unvermerkt in ihnen jene Wirklichkeit findet, die nach sonstiger Annahme erst dem Ding-ansich zukommt. Vielleicht läßt sich diese gerade in einem derartigen Zusammenhang auffallende Subreption daraus erklären, daß KANT, der, infolge jener scharfen Hervorhebung der unüberbrückbaren erkenntnistheoretischen Kluft zwischen Vorstellen und Ding ansich, das letztere in den Abgrund des Problematischen unrettbar versinken sah, sich nun mit aller Macht an das Vorstellen als die einzig übrig bleibende gesicherte Wirklichkeit anklammert, und daß er, in diesem Zustand der heftigen Erfassung, sich dieses Vorstellungsdasein zu einer so starken und selbständigen Wirklichkeit sozusagen empordachte, daß das Ding-ansich fast überflüssig zu werden schien. So kann es dann kommen, daß er den "empirischen Idealismus", welcher "das Dasein aller Gegenstände äußerer Sinne" (natürlich in der Bedeutung von Dingen-ansich genommen) für zweifelhaft hält (Seite 294A), mit dem Hinweis darauf zu widerlegen meint, daß "äußere Wahrnehmung eine Wirklichkeit im Raum unmittelbar beweist" (Seite 301A), - gleich als ob diese letzte Wirklichkeit die selbständige, vom Vorstellen unabhängige Wirklichkeit des Dings-ansich wäre! Konsequenterweise müßte er sich vielmehr selbst zum angeführten Satz des "empirischen Idealismus" bekennen, und in der Tat stellt er sich, wie wir gesehen haben, mit mehreren Sätzen dieses widerspruchsvollen Abschnitts auf diesen das Dasein der Dinge-ansich für absolut zweifelhaft erklärenden Standpunkt. - Übrigens tauch auch an zwei anderen Stellen der Vernunftkritik, in der (erst in der zweiten Auflage dazu gekommenen) "Widerlegung des Idealismus" (Seite 772f B) und in einer Anmerkung zur Vorrede zur zweiten Auflage (Seite 684f B), die Vorstellung deutlich auf, daß die äußere Wahrnehmung unmittelbar schon die wahre Wirklichkeit in sich enthält. Ich werde auf diese Stellen in einem anderen Zusammenhang zu sprechen kommen (vgl. unten das zweite Kapitel des dritten Abschnitts). (4)

So zeigt sich uns also, daß KANT jenen erkenntnistheoretischen Fundamentalunterschied zwischen Vorstellen und Ding-ansich, indem er ihn aufstellt und als unüberwindbar behandelt, zugleich verwischt und verwirrt. Überhaupt kann man bei KANT, wenn man irgendeinen Gedanken als maßgebenden, zentralen Faktor seines Philosophierens nachgewiesen hat, nicht genug darauf sehen, all das hervorzuheben, was die Schärfe und eigentliche Bedeutung dieses Faktors vermindert, ihn ins Schiefe und Verkehrte wendet, ja aus dem Mittelpunkt des Denkens hinausdrängt. So muß ich auch hier hervorheben, daß jenes Prinzip des absoluten Skepitizismus nirgends bei KANT den Gegenstand einer prinzipiellen Erörterung bildet, nirgends in seinen Ableitungen eine zentrale Stelle einnimmt, nirgends in scharfener Formulierung an die Spitze gestellt und gemäß seiner einschneidend fundamentalen Bedeutung behandelt wird. Vielmehr wirkt es, auch ganz abgesehen von jener Verwirrung mit einem gewissen naiven Realismus, in KANTs Denken in Gestalt einer versteckten, mehr oder weniger unbewußten Triebfeder, der es nicht gelungen ist, sich in das Zentrum seiner bewußten Aufstellungen und Erörterungen hinaufzuarbeiten. Er spricht ein entscheidendes Prinzip seines Philosophierens, wie die angeführten Stellen darlegen, fast immer nur beiläufig aus, wie etwas, was sich von selbst versteht und nur dann und wann in Errinnerung gebracht zu werden braucht. Stets erscheint dieses Prinzip mitten unter verschiedenartigen, dem mehr Besonderen und Komplizierten gewidmeten Erörterungen, daher höchst selten im Licht scharfer Allgemeinheit, sondern fast immer unter dem Reflex irgendeiner Besonderheit, durch allerhand Hüllen verdeckt und verschnörkelt. Oft fordert der Zusammenhang klar und unzweideutig die Berufung auf dieses Prinzip als den mit einem Schlag entscheidenden Grund; KANT jedoch gibt die Begründung auf langen Umwegen, in einer weit spezielleren Form, der freilich das Prinzip des absoluten Skeptizismus versteckt zugrunde liegt. Im sechsten Kapitel des dritten Abschnitts werden wir mehrere solche Umwege kennenlernen.

Wiewohl jede Darstellung der kantischen Philosophie hervorhebt, daß die Unerkennbarkeit des Dings-ansich einen wesentlichen Punkt derselben bildet, so vernachlässigt man doch in der Regel, zu untersuchen, inwiefern sich bei KANT diese Unerkennbarkeit auf die Einsicht in das absolute Unvermögen des Vorstellens, über sich hinauszugehen, gründet; ganz besonders aber vergißt man zu prüfen, in welcher näheren Weise diese Einsicht bei ihm wirksam ist. Man pflegt sich den Sachverhalt als gar zu einfach und klar vorzustellen. So findet z. B. F. A. LANGE den entscheidenden Punkt der kritischen Philosophie in dem Gedaknen, daß sich die Gegenständen nach unseren Begriffen richten, daß also die ganze Objektivität nur eine Objektivität für den Menschen und etwaige ähnlich organisierte Wesen, die Gegenständen der Erfahrung nur unsere Gegenstände sind. (5) Allein man findet bei ihm keine genügende Antwort darauf, ob sich KANT der fundamentalen erkenntnistheoretischen Grundlage dieses Gedankens klar und scharf bewußt geworden ist, oder in welchen Trübungen und Vermischungen sie etwa bei ihm vorkommt. Und doch wäre eine derartige Untersuchung gerade für LANGE äußerst wichtig gewesen, da er die kantische Philosophie eben im Sinn des absoluten Skeptizismus, im Sinne der Unüberwindbarkeit jenes allerersten erkenntnistheoretischen Unterschieds weiterbildet.

Auch schon in der ersten Zeit nach dem Erscheinen der Vernunftkritik waren mehrere Philosophen zu der Einsicht gekommen, daß die Einschränkung unseres Erkennens auf die Vorstellungen im Mittelpunkt des kantischen Denkens steht: so JACOBI in seiner Schrift über David Hume und SCHULZE in seinem Aenesidemus. Allein auch sie stellten sich die Sache viel zu wenig kompliziert vor, behandelten sie allzusehr obenhin, mit Vernachlässigung der konkurrierenden ebenso wesentlichen Faktoren seines Denkens, die uns die folgenden Abschnitte enthüllen werden. Durch eine solche einseitige und abstrakte Behandlung wird KANT um seinen Reichtum gebracht.

JACOBI hat Recht, wenn er sagt, daß nach KANT die Gegenstände und ihre Verhältnisse bloße Bestimmungen unseres eigenen Selbst sind, daß seine Philosophie die "transzendentale Unwissenheit" lehrt usw. (6) Allein dies alles ist so gesagt, als ob der Geist seiner Philosophie vollständig nach der Seite der absoluten Unerkennbarkeit des Dings-ansich liegt, als ob es keine entgegengesetzten einschränkenden Faktoren gäbe, die zu ihrem Geist ebenso wesentlich gehören. Und derselbe Mangel haftet auch der scharfsinnigen Bekämpfung KANTs durch GOTTLOB ERNST SCHULZE an. Er sagt ganz richtig, daß man auf der Grundlage der kantischen Prinzipien nicht daran denken darf, von der Beschaffenheit der Vorstellungen und Gedanken in uns auf die Beschaffenheit der Sache außerhalb von und ansich zu schließen, und über irgendetwas, das außerhalb unserer Vorstellungen dasein oder nicht dasein soll, etwas zu sagen oder zu entscheiden (7). Allein es bleibt die Rolle völlig ununtersucht, welche diese Prinzipien dem äußerst vielseitigen, verwickelten kantischen Gedankengefüge spielen.

Ich deutete schon im ersten Kapitel an, daß mir das einzige Mittel, wodurch das vom positivistischen Erkenntnisprinzip absolut unbestimmt gelassene Gebiet dennoch der Erkenntnis - wen auch nicht mit einer unbezweifelbar gewissen - zugänglich gemacht werden kann, in der Tatsache des logischen oder denknotwendigen Charakters gewisser Vorstellungen zu liegen scheint. In der Denknotwendigkeit tut sich uns unmittelbar kund, daß sich in ihr mehr als ein bloß subjektiver Zwang ausspricht, daß in ihr zugleich etwas über die transsubjektive Wirklichkeit entschieden wird. Der denknotwendige Vorstellungsinhalt drängt sich uns mit unmittelbar einleuchtender Offenbar als das Abbild eines entsprechenden transsubjektiven Zusammenhangs auf. Wir werden in der Denknotwendigkeit unmittelbar inne, daß ihr Inhalt mit dem Inhalt des entsprechenden transsubjektiven Wirklichkeitsgebietes zusammenstimmt. Hierüber werde ich weiterhin ausführlich handeln. Hier kommt es mir weder darauf an, eine möglichst energische Überzeugung von der Unvermeidbarkeit dieses rationalistischen Prinzips zu erwecken, noch auch es als das einzige Mittel zur theoretischen Überwindung des absoluten Skeptizismus zu erweisen. Uns genügt hier die Einsicht, daß der absolute Skeptiker, wenn er nur das mindeste Bewußtsein über sein Fundamentalprinzip besitzt, das rationalistische Erkenntnisprinzi pals einen Grundschaden aller Philosophie verabscheuen und mit Nachdruck abweisen muß. Wer das Erkennen einzig auf die unmittelbare Gewißheit der dem Erfahren zugänglichen Vorstellungen gründet, muß in dem Glauben, daß die Denknotwendigkeit transsubjektive Zusammenhänge bezeugt, den Ursprung aller metaphysischen Zauberkünste erblicken. Wir dürfen daher an KANT mit der Erwartung herantreten, daß er das Hinüberweisen der Denknotwendigkeit auf eine entsprechende Seinsnotwendigkeit aufs Schärfste bekämpfen wird. Daß es sich nun wirklich so verhält, beweist vor Allem die transzendentale Dialektik.

Zunächst erinnern wir uns daran, daß KANT in uns eine "Naturanlage" zur Metaphysik annimmt (707 B, III 142). Ja,
    "Metaphysik ist vielleicht mehr, als irgendeine andere Wissenschaft, durch die Natur selbst ihren Grundzügen nach in uns gelegt." (III 127)
Und er hat hierbei nicht etwa Anlagen und Bedürfnisse des Herzens und Gemüts im Sinn, sondern es ist seiner Ansicht nach die theoretische Vernunft selbst, welche uns die Ideen der Metaphysik zu denken zwingt. Er nennt die Idee einen "notwendigen Vernunftbegriff"; sie sei "nicht willkürlich erdichtet, sondern durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben (263), sie wird "in der Vernunft nach ihren ursprünglichen Gesetzen" durch einen notwendigen Vernunftschluß erzeugt (273) und in der Kritik der Urteilskraft heißt es, daß nach der Natur jedes endlichen vernünftigen Wesens "nicht anders als so (nämlich gemäß den Vernunftideen) könne und müsse gedacht werden." (IV 291) Hiermit ist unzweideutig ausgesprochen, daß die Ideen, wie sie KANT als psychologische, kosmologische und theologische entwickelt, für uns denknotwendig sind.

Ist nun für KANT in dieser Denknotwendigkeit der Begriffe des Unbedingten, der Ideen, auch zugleich die Existenznotwendigkeit derselben gesetzt? - Allerdings ist es für uns "unvermeidlich", den Ideen objektive Realität zu geben (273); wir werden durch die Natur der Vernunft genötigt, das, was nur das eigene Subjekt angeht, den "subjektiven Grund", der uns zu den Ideen treibt, auf das Objekt ansich zu beziehen (III 96); es ist "gar nicht zu vermeiden", daß wir die subjektive Notwendigkeit der Ideen für eine "objektive Notwendigkeit der Bestimmung der Dinge ansich" ansehen (241). Allein diese "Unvermeidlichkeit" ist ein bloßer "Schein, eine bloße "Jllusion", eine "transzendentale Subreption (241 und 482). Die logische Notwendigkeit ist noch lange keine absolute Notwendigkeit der Sachen (463). KANT kann nicht oft genug davor warnen, uns von diesem "natürlichen und unvermeidlichen Schein" nicht verführen zu lassen. Denn hier handelt es sich nicht um künstliche Sophismen, sondern um "Sophistikationen der reinen Verunft selbst", deren zwackenden und äffenden Schein selbst der Weiseste, mag er auch infolge vieler Bemühungen vor der Verführung durch denselben sicher sein, niemals loswerden kann (274). So erkennt also KANT wohl an, daß die Vernunft uns zwingt, das Denknotwendige für existierend zu halten. Zugleich aber erklärt er diesen Zwang zum Schein und Blendwerk und fordert, daß wir durcch eine kritische Selbstbesinnung der Denknotwendigkeit den Charakter der Existenznotwendigkeit entziehen und diese ja nicht als schon durch jene gegeben ansehen. -

Dieses Auseinanderfallen von Denknotwendigem und Existenznotwendigem hätte ich auch an den Kategorien als solchen zeigen können. Allein hier tritt KANTs Opposition gegen die Ansicht, daß die Denknotwendigkeit eo ipso [schlechthin - wp] eine Notwendigkeit des objektiven Seins enthält, nicht so scharf zutage, weil nach seiner Meinung die Verlockung, die Denkfunktionen auf das Ding-ansich zu übertragen, den einfachen Kategorien bei Weitem nicht in jener dringenden, durch einen unvermeidlichen Schein verführenden Weise anhängt, wie den ins Unbedingte erweiterten Kategorien, d. h. den Ideen.

So führt also nach KANT keine Brücke vom Denken zum Sein hinüber, niemals darf irgendwie vom Denken, vom Begriff auf das Sein geschlossen werden. In dieser Form spricht sich sein absoluter Skeptizismus vor Allem in der Kritik des ontologischen Beweises aus (462f), dann auch in der "Erläuterung" zum zweiten "Postulat des empirischen Denkens (188f). Mit aller Schärfe hebt er hervor, daß Begriff und Sein zwei toto genere [völlig - wp] verschiedene Welten sind. Sein ist kein Prädikat eines Dings, kein Merkmal, das den Begriff eines Gegenstandes vermehrt, also kein begrifflicher Faktor. Sein ist die Position eines Dinges ansich (467), die Setzung des Dings und weiter nichts (I 544 in den "Fortschritten der Metaphysik"). Schon in seiner vorkritischen Schrift über den "einzig möglichen Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes" findet sich die Unmöglichkeit, von logischen Bestimmungen aus zum Sein zu gelangen, mit aller Präzision hervorgehoben. Auch hier heißt es schon, daß das Dasein kein Prädikat von irgendeinem Ding, sondern die absolute Position der Sache selbst ist (I 171f).

Aus dieser absoluten Trennung von Begriff und Sein ergibt sich als unmittelbare Folge, daß, solange ich mich im Begriff eines Gegenstandes bewege, mir das Dasein absolut fern liegt, unerreichbar ist. "Im bloßen Begriff eines Dings kann gar kein Charakter seines Daseins angetroffen werden"; das Dasein eines Dings hat mit seinen Begriffsbestimmungen "gar nichts zu tun" (188). Es ist daher unmöglich, aus eine Idee das Dasein des ihr entsprechenden Gegenstandes selbst auszuklauben (470); dies wäre die "Verwechslung eines logischen Prädikates mit einem realen" (360). Um einem Gegenstand die Existenz zu erteilen, müssen wir aus dem Begriff von demselben völlig herausgehen (468). Die Synthesen des Denkens sind nichts Objektives, sondern bloße Synthesen der Gedanken mit dem Subjekt (316 A).

So schwächt sich also für KANT der dem Denknotwendigen innewohnende Zwang, unmittelbar als Zeugnis der Existenznotwendigkeit zu gelten, zu einem bloßen Scheinzwang ab. Jenen Zwang selbst kann er nicht leugnen, er empfindet ihn auf das Dringendste, er bezeichnet es an hundert Stellen als unvermeidlich, als "der menschlichen Vernunft unhintertreiblich anhängend" (242), die Ideen für objektive Realitäten zu halten. Doch veranlaßt ihn dies nur, zu umso größerer Wachsamkeit gegen die verlockende Macht jenes Zwangs, zu umso genauerem Fernhalten seines Einflusses von unserem Denken aufzufordern.

Hier wird es, nebenbei bemerkt, auch begreiflich, daß eine Philosophie, die das Wesen und die Ehre des Denkens darain setzt, jenem Zwang zu gehorchen, also das Denken als Maßstab des Seins anzuerkennen, und die doch andererseits weder das positivistische Erkenntnisprinzip und den durch dasselbe gesetzten erkenntnistheoretischen Fundamentalgegensatz als den Ausgangspunkt und das erste Problem allen Philosophierens ansieht, noch auch sich das nicht absolut Unbezweifelbare, die Unbeweisbarkeit jenes Zwangs klar gemacht hat, in der Art, wie KANT die Denknotwendigkeit behandelt, eine emörende Degradation des philosophischen Denkens erblicken muß. In diesem Fall befindet sich HEGEL. Er hat Recht, wenn er gegen KANT sagt:
    "Denken, Begriff ist eben notwendig dies, daß er nicht subjektiv bleibt, sondern dieses Subjektive bass aufhebt und sich als objektiv zeigt."
Allein er weiß nicht, daß der skeptische, subjektivistische erkenntnistheoretische Standpunkt den Ausgangspunkt allen Philosophierens bilden muß, daß dieser Standpunkt nur unter großen Schwierigkeiten, und auch dann nicht in absolut unbezweifelbarer Weise, überwunden werden kann, und daß ein genaues Eingehen auf die subjektive, menschlich beschränkte Seite des Erkennens von unermeßlichem Nutzen für die Behandlung aller weiteren Hauptfragen der Philosophie ist. Ihm gilt jene Identität als absolut unverständlich. Darum ist es ihm nicht möglich, die kantische Abschwächung und Depotenzierung der Denknotwendigkeit, bei aller Ablehnung derselben, dennoch unter dem Gesichtspunkt der in diesem Verfahren enthaltenen berechtigten und förderlichen Gedanken der kritischen Betrachtung zu unterziehen. Es kann nicht anders kommen, als daß er gegen KANT in diesem Punkt ungerecht und hart wird. Er findet, bei der ungeheuren Energie seines eigenen Denkens, KANTs Unterscheidung von Gedanken und Ding-ansich "abscheulich". bei der bloßen Vorstellung jener bekannten hundert Taler stehen zu bleiben, sei das Zeichen eines "ungesunden Menschenverstandes, der nichts taugt." Es sei Hartnäckigkeit und falsche Demut, sich immer bloß in Vorstellungen herumzutreiben und nun die Unwirklichkeit und Nichtigkeit des Vorstellens zu verkünden; es gelte, sich aus der Eitelkeit der Einbildung zum Denken und Begreifen der Existenz zu erheben. (8)

Wenn KANT sagt, daß sich aus Begriffen niemals ein Dasein "ausklauben" läßt, so müßte er konsequent so fortfahren: es sei daher nur gestattet, die Begriffe und Ideen auf unsere Vorstellungen, und in diesem Sinne auf die Erfahrung anzuwenden; was jedoch die Erfahrung ist, ob sie nur ein nichtiger Schein, oder ob sie eine durch eine Ding-ansich wohlfundierte Wirklichkeit oder vielleicht gar selbst die höchste Wirklichkeit ist, dies auszumachen sei unmöglich, da wir zu diesem Zweck eben unser Denken und Schließen als Maßstab der Wirklichkeit gebrauchen müßten. So spricht nun KANT keineswegs. Allerdings schränkt er die Anwendung sämtlicher Begriffe auf die Erfahrung oder Erscheinung, d. h. auf die Vorstellungen eine. Allerdings erklärt er - in streng-absolut skeptischer Konsequenz - die Annahme, daß außerhalb des Feldes der Erfahrung irgendetwas existiert, für eine "Voraussetzung, die wir durch nichts rechtfertigen können." (469) Nun sollte er aber auch weiter vom Erfahrungsgebiet sagen, daß Grad und Charakter seiner Wirklichkeit völlig problematisch sind. Dies tut er aber nicht, sondern er spricht von der Erfahrung so, als ob sie eine über Schein und Traum weit erhabene, metaphysisch wohlbegründete Wirklichkeit wäre, bei der man sich wie bei etwas Sicherem und Festem beruhigen kann. Die Wahrnehmung ist, so sagt er, "der einzige Charakter der Wirklichkeit"; wohin also Wahrnehmung reicht, "dahin reicht auch unsere Erkenntnis vom Dasein der Dinge" (188f). Es fehlt jede Hervorhebung des problematischen, völlig ungewissen Charakters dieser Wirklichkeit. Es ist ja richtig, daß man die Gegenstände der Sinne, wenn man sie als existierend vorstellt, "als im Kontext der gesamten Erfahrung enthalten" betrachtet (468). Allein diese Existenz ist nach Grad und Grundlage völlig problematisch. Weil dies nun nirgends auch nur angedeutet ist, so hat man von vornherein vollen Grund zu der Annahme, daß KANT die Erfahrungswirklichkeit ganz selbstverständlich als eine auf der soliden Basis des Dings-ansich begründete Wirklichkeit betrachtet. -

Wir sind damit an einem Punkt angelangt, wo sich KANTs absoluter Skeptizismus verleugnet und dem entgegengesetzten Gesichtspunkt, daß wir doch über das Vorstellen hinaus gelangen und über gewisse Beziehungen desselben zum Ding ansich Sicherheit gewinnen können, Platz macht. Doch vorderhand lasse ich diesen dem absoluten Skeptizismus entgegengesetzten Charakter seiner Philosophie noch beiseite.


4. Die Frage nach der Unvermeidbarkeit des
absoluten Skeptizismus als wesentlicher Faktor
der kantischen Formulierung des kritischen
Hauptproblems

Das im letzten Kapitel Erörterte genügt vollständig, um zu beweisen, daß das Prinzip des absoluten Skeptizismus ein wesentlich maßgebender Faktor in KANTs Philosophieren ist. Wir faßten dabei eines der wesentlichen, charakteristischen Resultate dieser Philosophie: die Unerkennbarkeit der Dinge-ansich und die Einschränkung des Erkennens auf das Vorstellen, und ferner die Art, wie er dieses Resultat prinzipiell begründet, ins Auge. Doch wird dieser Beweis erheblich verstärkt werden, wenn ich nun noch nachweise, daß auch die Art, wie er sein kritisches Hauptproblem formuliert, wenn sie auch, wie ich schon oben hervorgehoben habe, nicht rein und direkt den absoluten Skeptizismus ins Auge faßt, doch nur unter wesentlicher Mitwirkung der Frage nach der Vermeidbarkeit oder Notwendigkeit des absoluten Skeptizismus, d. h. unter wesentlicher Mitwirkung der Frage nach der Überwindbarkeit des erkenntnistheoretischen Gegensatzes zwischen Vorstellen und transsubjektiver Wirklichkeit, zustande gekommen ist.

Halten wir uns zunächst an eines der wichtigsten Dokumente für die Entwicklung KANTs zum Standpunkt der Kritik der reinen Vernunft hin, an seinen Brief an Marcus Herz vom 21. Februar 1772 (XIb 24f). (9) Er formuliert hier mit großer Präzision die Fragen, um welche sich damals sein ganzes Denken bewegte, und in deren Beantwortung er den "Schlüssel zu dem ganzen Geheimnis der Metaphysik" erblickte. Die Hauptfrage lautet: auf welchem Grund beruth die Beziehung der Vorstellung auf den Gegenstand? KANT will sich deutlich machen, wie es denn kommt, daß wir durch Vorstellungen einen Gegenstand erkennen können. In zwei Fällen findet er dies begreiflich: erstens nämlich, wenn die Vorstellung nur die Art enthält, wie das Subjekt vom Gegenstand affiziert [angeregt - wp] wird. In diesem Fall erkennt das Vorstellen die Dinge, wie sie ihm erscheinen. KANT hat hier offenbar der Gedanke vorgeschwebt, daß in diesem Fall darum ein Erkennen möglich ist, weil das Vorstellen dabei innerhalb seiner selbst bleibt. Nur darum haben in diesem Fall die "aus der Natur unserer Seele entlehnten Grundsätze" eine begreifliche Gültigkeit für alle Gegenstände unserer Vorstellungen, weil von den Gegenständen hier nur die Rede ist, insofern sie sich als "Modifikationen" oder "Passionen" der Seele zu erkennen geben, weil also die Seele es in diesem ganzen Prozeß nur mit ihren eigenen Vorstellungen zu tun hat. -

Der zweite Fall, in welchem die Beziehung der Vorstellungen auf Gegenstände begreiflich ist, tritt da ein, wo die Vorstellung den Gegenstand selbst hervorbringt (wie dies KANT vom göttlichen Verstand annimmt). Der Grund also, warum es hier zu einem Erkennen kommen kann, ist ganz derselbe, wie im früheren Fall, mag ihn auch KANT nicht scharf hervorkehren. Auch hier nämlich geht das Vorstellen in dem ganzen Erkenntnisprozeß über sich selbst nicht hinaus. Das Vorstellen der Gegenstände ist hier unmittelbar das Erzeugen der Gegenstände selbst. Wenn also das Vorstellen die Gegenstände erkennen soll, hat es sich zu diesem Zweck nichts weiter als sich selbst, seine eigene "Aktion", vorzustellen. -

Beim Verstand nun findet nach KANTs damaligem Übergangsstandpunkt keiner dieser beiden Fälle statt. Eben deswegen sieht er eine ganz besondere Schwierigkeit in der Frage, wie es möglich ist, daß die reinen Verstandesbegriffe - an deren Erkenntnisfähigkeit er übrigens nicht zweifelt - mit ihren Gegenständen übereinstimmen.
    "Wie mein Verstand gänzlich a priori sich selbst Begriffe von Dingen bilden soll, mit denen notwendige die Sachen einstimmen sollen, ... diese Frage hinterläßt immer eine Dunkelheit in Anbetracht unseres Verstandesvermögens, woher ihm diese Einstimmung mit den Dingen selbst komme."
Zunächst ist klar, daß der Mittelpunkt, um den sich hier KANTs Denken dreht, in der Frage liegt, wie die erkenntnistheoretische Kluf zwischen dem Vorstellen und allem Transsubjektiven überwunden werden kann. Wenn er fragt, auf welchem Grund die Beziehung unserer Vorstellungen auf den "Gegenstand" beruth, so ist mit dem "Gegenstand" zwar das erkenntnistheoretisch noch ganz unbestimmte Objekt gemeint, doch soll eben die Beantwortung dieser Frage bestimmen, ob das Objekt diesseits oder jenseits der Vorstellungsgrenzen liegt. In den beiden Fällen nun, wo KANT eine solche Beziehung des Vorstellens auf den "Gegenstand" begreiflich erscheint, liegt dieser innerhalb des Vorstellens.

Zugleich aber zeigen die Formulierung und die Beantwortung der Frage, daß er jenen erkenntnistheoretischen Fundamentalunterschied nicht rein und scharf ins Auge gefaßt hat. Er würde sonst nicht an entscheidender Stelle den unbestimmten Ausdruck "Gegenstand" gebrauchen, und ihn vor allen Dingen nicht so gebrauchen, daß man zweifelhaft sein muß, ob die Annahme, das Subjekt erkennt in seinen Aktionen und Passionen mehr als sein Vorstellen, wirklich ausgeschlossen ist. So drängt wohl KANTs Hauptproblem nach jenem erkenntnistheoretischen Fundamentalunterschied hin, doch ist es ihm nicht gelungen, alle verdeckenden Hüllen abzustreifen. -

Dazu kommt noch Eins. KANT setzt ohne Weiteres voraus, daß der Verstand a priori zu erkennen imstande ist. Zwar sieht er keinen Weg, auf dem er sich das apriorische Erkennen des Verstandes erklären kann; und trotzdem fällt es ihm nicht ein, zu fragen, ob nicht vielleicht dieses Erkennen durch das erkenntnistheoretische Verhältnis der Vorstellung zum Transsubjektiven ausgeschlossen ist. Es wird sich weiterhin immer mehr zeigen, daß es hauptsächlich die Stellung zum a priorischen Erkennen ist, wodurch KANT verhindert wird, die Vermeidbarkeit oder Notwendigkeit des absoluten Skeptizismus in reiner und direkter Weise zum Gegenstand seines Hauptproblems zu machen.

Wir wenden uns nun in diejenige Zeit, wo KANTs kritisches Denken vollständig ausgereift ist, und betrachten die Art, wie die Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft das Hauptproblem formuliert. KANT spricht hier von der "gänzlichen Revolution", die er mit der Metaphysik vornimmt (674 B), einer Revolution, die der Umwälzung in der Astronomie durch KOPERNIKUS analog ist (670 B). Diese vollständige Umwandlung der Denkungsart bezieht sich, gerade so wie die Fragestellung jenes Briefes, auf die Auffassung des Verhältnisses unserer Vorstellung zu den Gegenständen. Bisher nämlich habe man angenommen, daß sich unsere Vorstellung von den Dingen nach diesen als Dingen ansich richtet; er dagegen faßt die Sache vielmehr so auf, daß sich die Gegenstände als Erscheinungen nach unserer Vorstellungsart richten (672f B). Er spricht in der Vorrede diesen Gedanken mehrere Male mit gleichem Gewicht aus (670f B). In jenem Brief war er noch nicht imstande, die Erkenntnis des Verstandes unter den veränderten Gesichtspunkt zu bringen. Hier dagegen erklärt er ausdrücklich, daß sich die Gegenstände nicht nur nach unserem Anschauungsvermögen, sondern auch nach unseren Verstandesbegriffen notwendig richten müssen.

Nach den Bemerkungen, die wir über jenen Brief an Herz gemacht haben, ist es fast überflüssig hervorzuheben, daß nur derjenige, dessen Nachdenken sich um den erkenntnistheoretischen Fundamentalunterschied zwischen dem Vorstellen und dem Transsubjektiven bewegt und in der Frage nach der Unüberwindbarkeit desselben ernste, fundamentale Schwierigkeiten findet, das Schicksal der Philosophie an das Problem, ob sich unsere Erkenntnis nach den Gegenständen oder die Gegenstände sich nach der Erkenntnis richten, knüpfen kann. Und ebenso ist klar. Wer sich dahin entscheidet, daß sich die Gegenstände nach unserer Vorstellungsart richten, und daß wir nur das a priori von den Dingen erkennen, was wir selbst in sie legen, also das, was wir aus uns selbst hernehmen (671 B, 674 B), dem hat sich die Unüberwindbarkeit jener Kluft, also die absolut skeptische Entscheidung jenes Problems aufgedrängt. Freilich faßt KANTs Hauptproblem auch in der hiesigen Formulierung die Frage, ob der absolute Skeptizismus notwendig ist oder nicht, ob es möglich ist, über jenen erkenntnistheoretischen Fundamentalgegensatz hinauszukommen, nicht rein und unvermischt ins Auge. Denn erstens sind die von ihm gebrauchten Ausdrücke nicht so gewählt, daß durch sie der Gegensatz zwischen dem Bleiben des Vorstellens innerhalb seiner Selbst und dem Hinausgreifen desselben in sein absolutes Jenseits in scharfer, unzweideutiger Weise hervorgekehrt würde. Dies gilt besonders von der Wendung: die Gegenstände "richten sich" nach unserer Erkenntnis, und umgekehrt. Zweitens wird, wie die ganze Stelle der Vorrede zeigt, die Tatsächlichkeit einer Erkenntnis a priori vorausgesetzt. Die Frage nach dem Verhältnis der Gegenstände zum Erkennen soll so beantwortet werden, "daß die Antwort mit der verlangten Möglichkeit einer Erkenntnis der Gegenstände a priori zusammenstimmt" (670 B). Das eigentliche Problem würde sonach lauten: wie ist mit Rücksicht auf jenen erkenntnistheoretischen Fundamentalunterschiede die (als tatsächlich vorausgesetzte) Erkenntnis a priori möglich? Die Frage, ob es ein apriorisches Erkennen gibt, kann erst dann entschieden werden, wenn man die Frage nach der Überwindbarkeit jener erkenntnistheoretischen Kluft prinzipiell beantwortet hat. KANT jedoch setzt eine bestimmte Beantwortung jener erst viel später aufzuwerfenden Frage schon da voraus, wo die viel fundamentalere Frage nach der Notwendigkeit oder Vermeidbarkeit des absoluten Skeptizismus eben erst entschieden werden soll.

So verbindet sich also bei KANT die Fraage nach der Überwindbarkeit des Fundamentalgesetzes zwischen Vorstellen und Ding-ansich in unzertrennlicher Weise mit der antizipierten Enscheidung einer anderen, erst viel später aufzuwerfenden Frage, der Frage nach der Möglichkeit des apriorischen Erkennens. Die Folge davon ist, daß sich jene erste Frage nur noch insofern hervortun kann, als KANT die Tatsächlichkeit des apriorischen Erkennens nicht unerörtert hinnimmt, sondern mit Rücksicht auf jenen, so große Schwierigkeiten in sich enthaltenden Erkenntnistheoretischen Fundamentalunterschied die (als tatsächlich vorausgesetzte) Erkenntnis a priori möglich? Die Frage, ob es ein apriorisches Erkennen gibt, kann erst dann entschieden werden, wenn man die Frage nach der Unüberwindbarkeit jener erkenntnistheoretischen Kluft prinzipiell beantwortet hat. KANT jedoch setzt eine bestimmte Beantwortung jener erst viel später aufzuwerfenden Frage schon da voraus, wo die viel fundamentalere Frage nach der Notwendigkeit oder Vermeidbarkeit des absoluten Skeptizismus eben erst entschieden werden soll.

So verbindet sich also bei KANT die Frage nach der Überwindbarkeit des Fundamentalgegensatzes zwischen Vorstellen und Ding-ansich in unzertrennlicher Weise mit der antizipierten Entscheidung einer anderen, erst viel später aufzuwerfenden Frage, der Frage nach der Möglichkeit des apriorischen Erkennens. Die Folge davon ist, daß sich jene erste Frage nur noch insofern hervortun kann, als KANT die Tatsächlichkeit des apriorischen Erkennens nicht unerörtert hinnimmt, sondern mit Rücksicht auf jenen, so große Schwierigkeiten in sich enthaltenden erkenntnistheoretischen Fundamentalunterscheid die Möglichkeit des tatsächlich feststehenden apriorischen Erkennens untersuchen will. So formuliert in der Tat die Einleitung in die Vernunftkritik das Hauptproblem in dem bekannten Satz: "wie sind synthetische Urteile a priori möglich? (705 B) Der direkte Gegenstand dieser Frage ist das tatsächlich vorausgesetzte apriorische Erkennen. Dennoch aber ist bei der Formulierung derselben die Einsicht in jenen erkenntnistheoretischen Fundamentalgegensatz und die Schwierigkeiten seiner Überwindung wesentlich mittätig gewesen. Denn sonst hätte sich KANT bei der Tatsächlichkeit des apriorischen Erkennens einfach beruhigt und wäre sofort dazu fortgeschritten, die Dinge selbst apriorisch zu erkennen. Doch dies tut er nicht, sondern er frägt an der Spitze der Philosophie, bevor er an das faktische Erkennen der Dinge geht, nach der Möglichkeit des apriorischen Erkennens. Hierin liegt, selbst wenn wir von der oben besprochenen Formulierung des Problems in der Vorrede und von der ganzen Beantwortung desselben in der Vernunftkritik absehen, ein Beweis, daß er durch die Rücksicht auf jene erkenntnistheoretische Kluft und ihre Schwierigkeiten zu dieser Fragestellung getrieben wurde. So wird mit der Entscheidung der Frage nach den Bedingungen, welche das apriorische Erkennen möglich machen, auch die Frage über den absoluten Skeptizismus mit entschieden werden. Also auch in der am Weitesten abzuliegen scheinenden Formel: "Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?" ist die Frage nach der Überwindbarkeit des Fundamentalgegensatzes zwischen dem Vorstellen und seinem Jenseits als wesentlich mitwirkender Faktor enthalten.

Ich will diesen Punkt nicht weiter behandeln, da wir hier noch nicht wissen, wie sich die Annahme des apriorischen Erkennens zu den erkenntnistheoretischen Fundamentalprinzipien verhält. Erst der vierte Abschnitt wird uns zeigen, welches das erkenntnistheoretische Prinzip ist, aus dessen Wirksamkeit die Annahme des apriorischen Erkennens entspringt. Dort werden wir daher auch erst aussprechen können, mit welchem erkenntnistheoretischen Prinzip die Frage nach der Notwendigkeit des absoluten Skeptizismus zusammenwirken mußte, um die Grundfrage der Vernunftkritik zustande kommen zu lassen. - Der vierte Abschnitt wird auch ausführlich darlegen, daß das allgemeingültige und notwendige, und insofern aprirorische Erkennen von KANT wirklich als tatsächlich feststehend vorausgesetzt wird.


4. Die Vorbereitung des absoluten
Skeptizismus in Kants
vorkritischem Denken

Bevor ich mich dazu wende, den weiteren erkenntnistheoretischen Triebfedern des kantischen Denkens nachzuprüfen, will ich einen Blick auf die vorkritischen Bestrebungen unseres Philosophen werfen. Es wird sich uns zeigen, daß er sich schon von etwas 1762 an mit dem erkenntnistheoretischen Unterschied zwischen dem Vorstellen und der außerhalb desselben liegenden Wirklichkeit beschäftigt hat, und daß sich diese Beschäftigung in einer Richtung bewegte, die ihn endlich der Lehre von der absoluten theoretischen Unüberwindbarkeit jener Kluft, d. h. dem absoluten Skeptizismus zuführen mußte. Ich werde mich auf die Hervorhebung der hierfür charakteristischsten Punkte seines vorkritischen Philosophierens beschränken.

In allen Schriften der sechziger Jahre begegnen wir der bald mehr, bald weniger scharf ausgesprochenen Grundüberzeugung, daß das Denken kein weiteres eigentümliches Gesetz als das Prinzip der Identität und des Widerspruchs besitzt, daß sein Geschäft daher ausschließlich im Zergliedern, Auflösen, Deutlichmachen der Begriffe besteht. Diese Begriffe nun, an denen das Denken seine analysierende Tätigkeit ausübt, kann es natürlichen nicht aus sich selbst erzeugen, denn aus dem Prinzip der Identität und des Widerspruchs kann nie ein Inhalt entstehen; sie müssen ihm vielmehr gegeben werden. Die Quelle nun, aus der ihm die zu analysierenden Begriffe zufließen, ist die Erfahrung. Das Denken in seiner rein formalen, analytischen Natur läßt sich von der Erfahrung den mannigfaltigen Inhalt geben und bringt durch Analyse die noch verworrenen Begriffe derselben zur Deutlichkeit. Diese Methode der philosophischen Erkenntnis ergibt sich, wenn man die verschiedenen hierüber handelnden Stellen der aus den sechziger Jahren stammenden Schriften zusammenhält. Am Schärfsten spricht sie KANT in der Preisschrift "Über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und Moral" und in den "Träumen eines Geistersehers" aus. Besonders die empiristische Seite an dieser Methode, daß sich nämlich das Denken allen zu analysierenden Inhalt von der Erfahrung geben lassen muß, gelangt nur ganz allmählich zu einer konsequenten Durchführung. Erst in den "Träumen eines Geistersehers hat er allen Beweisen aus bloßen Begriffen konsequent entsagt. (10)

Wie weit gelangt denn nun das Denken in der Analyse der von der Erfahrung gegebenen Begriffe? - Schon die Schrift über die "Falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren" spricht von solchen Sätzen, die sich nicht durch Zergliederung einsehen lassen; KANT nennt sie "unerweisliche Urteile und Grundwahrheiten" und sagt, daß die menschliche Erkenntnis voll davon ist (I 74). Es gibt also hiernach eine Sphäre, die dem philosophischen Denken unzugänglich ist. Wir haben hier den ersten Keim der Unterscheidung des Denkens von der Wirklichkeit vor uns. Die folgenden Schriften beschäftigen sich mit diesem Unterschied weit eingehender.

Die Schrift über die "negativen Größen" geht von der Unterscheidung der logischen und der realen Entgegensetzung aus und gelangt, indem sie die Realprugnanz [Realgegensatz - wp] unter den Gesichtspunkt des Grundes rückt, am Schluß zu der Unterscheidung des logischen und realen Grundes. Der logische Grund läßt sich sehr wohl verstehen, weil hier Grund und Folge "nach der Regel der Identität" zusammenhängen, ein solcher Zusammenhang aber dem zergliedernden Denken zugänglich ist (I 157f). Dagegen ist es schlechterdings nicht zu verstehen, wie "darum, weil Etwas ist, etwas Anderes sei" (I 158). Das ganze Gebiet der Realgründe ist, weil es in Beziehung zwischen Nicht-Identischem besteht, vom logischen Denken als bloß zergliederndem Verfahren ausgeschlossen.
    "Alle unsere Erkenntnis von der Beziehung der Realgründe auf ihre Folgen endigt sich in einfachen und unauflöslichen Begriffen der Realgründe, deren Verhältnis zur Folge gar nicht kann deutlich gemacht werden." (I 160)
Doch ist hervorzuheben, daß sich KANT, wiewohl er den Zusammenhang des real-kausalen Verhältnisses in das jenseits unseres Denkens gelegene Gebiet verweist, sich dennoch in der Frage nach der Existenz des Realgrundes keineswegs skeptisch verhält. Er nennt den Realgrund einen "wahren Begriff" (I 158) und zweifel keinen Augenblick an seiner Realität.

Auch in der Preisschrift beschäftigt sich KANT mit der Kluft zwischen dem logischen Denken und der Realität. Die Analysis der empirisch verworrenen Begriffe führt nicht zur Einsicht in das "Wesen der Sache", den "Grund der Dinge" (I 92), nicht zur Erklärung der Dinge (I 95), sondern zu einer Menge "unauflöslicher Elementarbegriffe" (z. B. Nebeneinander, Nacheinander, Vorstellung, Lust usw.; I 84f). Diese Schrift behandelt auch den empiristischen Faktor der Erkenntnis, d. h. das Gebundensein des analysierenden Denkens an die Erfahrung, mit starkem Nachdruck. Da nun, was ja ganz selbstverständlich ist, auch dem Erfahren als solchem das innere Wesen der Erfahrung verschlossen bleibt, so können wir den Standpunkt dieser Schrift, wenn wir uns genauer, als KANT es getan hat, ausdrücken, dahin formulieren, daß der innere Zusammenhang der Grundelemente der Erfahrung sowohl außerhalb des logischen Denkens, als auch, was sich ganz von selbst versteht, außerhalb des Wahrnehmens und Beobachtens, also außerhalb sämtlicher zum Erkennen gehörender Faktoren liegt. Doch zweifelt er hier ebensowenig, wie in der vorigen Schrift, an der Existenz der ihrem inneren Wesen nach unbegreiflichen Elemente der Erfahrung. Indem diese durch das die Erfahrung zergliedernde Denken gewonnen sind, ist für ihn zugleich der Beweis ihrer Existenz erbracht. Es fällt ihm gar nicht ein, die Frage aufzuwerfen, ob das Denken, das die Grundelemente der Erfahrung ihrem inneren Wesen nach nicht erkennen kann, doch etwas über die Existenz derselben auszumachen imstande ist.

Noch schärfer tritt dieses Auseinanderfallen von Erkennen und Wirklichkeit in den "Träumen eines Geistersehers" hervor. Das Geschäft der Philosophie hat ein Ende, sobald das analysierende Denken bei den "Grundverhältnissen" der Erfahrung angelangt ist (VIIa 102). Daß die Materie eine Kraft der Zurückstoßung hat, lehrt die Erfahrung; allein die innere Möglichkeit davon läßt sich nicht begreifen (VIIa 39). "Wie etwas könne eine Ursache sein oder eine Kraft haben, ist unmöglich, jemals durch Vernunft einzusehen" (VIIa 103). Doch auch hier zweifelt KANT nicht im Mindesten daran, daß alle diese Grundelemente der Erfahrung transsubjektive Bedeutung haben.

So verweilt sein Denken schon in den sechziger Jahren bei dem Problem, inwieweit Erkennen und Wirklichkeit auseinanderfallen. Und es ergibt sich ihm, daß ein großes Wirklichkeitsgebiet (der innere Zusammenhang der Grundelemente der Erfahrung) dem Erkennen unzugänglich ist. Doch ist er hier noch weit davon entfernt, das Prinzip des absoluten Skeptizismus auszusprechen. Denn nicht die prinzipielle Unmöglichkeit, daß das Vorstellen über sich hinausgeht, sondern die besondere Beschaffenheit des Denkens (d. h. seine analytische Natur und die daraus folgende Gebundenheit an die Erfahrung) ist es, was ihn dazu nötigt, jenes Wirklichkeitsgebiet vom Erkennen auszuschließen. Ebendarum kommt es ihm auch noch nich in den Sinn, an die Erfahrung und die durch das zergliedernde Denken aus ihr gezogenen Begriffe die Frage zu richten, ob sie objektive, reale Bedeutung haben. Raum, Materie, Kausalität, Kraft usw. existieren einfach darum, weiol sie durch die Erfahrung gegeben sind. Hierin ist er noch völlig dogmatisch: die Erfahrung als solche verbürgt ihm die transsubjektive Wirklichkeit ihres Inhaltes. (11) Die Einsicht ist ihm noch nicht aufgegangen, daß da, wo unser Vorstellen aufhört, eine erkenntnistheoretisch völlig andere Welt beginnt, eine Welt, die zunächst absolut ungewiß ist, und wenn kein neues Erkenntnisprinzip gefunden wird, auch absolut ungewiß bleibt. Doch hat sich immerhin sein Denken in die Annahme, daß Erkennen und Wirklichkeit keineswegs zusammenfallen, hineingelebt und so in einen dem Aussprechen des absoluten Skeptizismus besonders günstigen Zustand versetzt.

Von einer anderen Seite nun wurde die Annäherung an den absoluten Skeptizismus noch bedeutend verstärkt. Bisher sahen wir wohl, daß KANT ein großes Wirklichkeitsgebiet vom Erkennen ausschließt, fanden jedoch zugleich, daß er ohne Weiteres an die transsubjektive Gültigkeit des sich an die Erfahrung haltenden analytischen Denkens glaubt. Es gibt jedoch eine gewisse Art von Begriffen, der er den erkenntnistheoretischen Zusammenhang mit der transsubjektiven Wirklichkeit völlig abspricht, in Bezug auf die er sich also gemäß dem Prinzip des absoluten Skeptizismus verhält. Es sind dies die reinen, unabhängig von der Erfahrung gebildeten Begriffe.

Vor allem finden sich in der Schrift "Einzig möglicher Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes" - einer Schrift übrigens, die, abgesehen von dem einen hervorzuhebenden Punkt, einen weit dogmatischeren Charakter hat als die übrigen Schriften aus diesen Jahren, ja in dieser Hinsicht mit den Schriften der fünfziger Jahre sehr eng zusammenhängt (12) - höchst entscheidende Äußerungen hierüber. Das Dasein, die Existenz wird hier schon ebenso scharf vom bloßen Begriff (KANT gebraucht in der Regel den Ausdruck: "bloß möglicher Begriff", "bloß mögliches Wesen" und dgl.) abgetrennt wie in der Behandlung des ontologischen Beweises in der Vernunftkritik. Das Dasein ist die "absolute Position eines Dings" und gehört also nicht zu den Begriffsmerkmalen, zu den Prädikaten irgendeines Subjektbegriffs. Sämtliche Begriffsmerkmale können bei der bloßen Möglichkeit ebenso gut angetroffen werden wie in den wirklichen Dingen; in einem Existierenden sind nicht mehr Prädikate gesetzt als in einem bloß Möglichen. Es ist daher verkehrt, das Dasein aus bloß möglichen Begriffen herleiten zu wollen. "Die Beziehungen aller Prädikate zu ihren Subjekten bezeichnen niemals etwas Existierendes, das Subjekt müßte schon als existierend vorausgesetzt werden." (I 171f, 278f)

Wiewohl nun hiermit KANT die absolute erkenntnistheoretische Kluft zwischen dem Begriff als solchem und der transsubjektiven Wirklichkeit unzweideutig ausgesprochen hat, so unternimmt er es in eben dieser Schrift doch selbst, das Dasein Gottes aus bloßen Begriffen ausführlich zu beweisen. Es ist, als ob ihm nur angesichts des alten ontologischen Beweises jener erleuchtende Gedanke gekommen wäre, dagegen, sobald er sich zu selbständigen Versuchen wendet, völlig entschwindet.

Doch auf diese Schwankungen habe ich nicht einzugehen. Für uns ist weiter vor allem wichtig, daß die "Träume eines Geistesehers" die konsequente Durchführung jener absoluten Trennung von Begriff und Dasein enthalten. Diese Schrift schließt nicht nur, wie wir sahen, den inneren Zusammenhang der Erfahrungselemente vom Erkennen aus, sondern sie spricht auch - ganz im Sinne jener Sätze in der Schrift über das Dasein Gottes - den reinen, von der Erfahrung unabhängigen, übersinnlichen Begriffen alle transsubjektive Gültigkeit ab. So sei es z. B. unmöglich, die geistige Natur positiv zu denken, da keine Data hierzu in unseren gesamten Empfindungen anzutreffen sind (VIIa 78). Über die Natur der Seele lasse sich nichts beweisen, noch widerlegen; und dies wird immer so bleiben (VIIa 41, 44, 77). KANT wird in dieser Schrift nicht müde, sich über die "Luftbaumeister der mancherlei Gedankenwelten" (VIIa 65), über die Erschleichungen des apriorischen Konstruierens (87f), über die "schwindlichen Begriffe einer halb dichtenden, halb schließenden Vernunft" (72) lustig zu machen.

Es ist klar, daß dieser Standpunkt mit Macht zum Prinzip des absoluten Skeptizismus hindrängt. Wir wissen: KANTs Aufmerksamkeit ist seit langem der Kluft zwischen Erkennen und Wirklichkeit intensiv zugewandt. Den inneren Zusammenhang der Erfahrungselemente und das Gebiet des Übersinnlichen überhaupt weist er aus der Sphäre des Erkennens hinaus. Aber er kennt nicht nur Wirklichkeitsgebiete, die nicht erkannt werden können, sondern er kennt auch Funktionen des Denkens, die nicht erkennen können. Es sind dies die reinen Begriffe. Den reinen Begriffen spricht er alle transsubjektive Gültigkeit. Trotz alledem aber ist er vollständig erfahrungsgläubig. Die empirischen Vorstellungen sind ohne Weiteres eine Bürgschaft dafür, daß ihr Inhalt transsubjektive Bedeutung hat. Auf die Erfahrung und ihre Begriffe hat er den Gesichtspunkt der kritischen Scheidung von subjektiv und transsubjektiv noch nicht angewandt.

Dabei kann es nicht bleiben. Wer die Kluft zwischen Begriff und Existenz so scharf formuliert hat, wer seine Aufmerksamkeit auf die Grenzen des Erkennens so intensiv hingelenkt und der Philosophie geradezu die Aufgabe gestellt hat, "die Grenzen der menschlichen Vernunft", "das Verhältnis der Gegenstände zum Verstand des Menschen" zu bestimmen (VIIa 99, 102), der wird sich endlich die Frage aufwerfen müssen, ob denn die Erfahrung als solche imstande ist, ihre Übereinstimmung mit der Existenz, mit den Gegenständen draußen, zu erweisen, für ihre objektive Gültigkeit zu bürgen. Und die Antwort wird lauten: gerade so, wie die reinen Begriffe nur ihr subjektives Vermögen verbürgen, so läßt sich auch aus der Erfahrung nichts weiter als dies entnehmen, daß sie ein Vorstellungsdasein ist. Eben damit wird ihm aber die Einsicht aufgegangen sein, daß jetzt die Kluft zwischen Erkennen und Wirklichkeit prinzipiell begründet ist, daß das Vorstellen über sich selbst absolut nicht hinaus kann.

Dieser Übergang läßt sich auch so fassen: Wer es für unmöglich hält, vom Begriff aus zur Wirklichkeit zu gelangen, und intensiv bemüht ist, die dem Erkennen unzugänglichen Wirklichkeitsgebiete abzugrenzen, dem muß endlich der diesem Gegensatz zugrunde liegende reine, allgemeine Gegensatz in die Augen springen: d. h. der erkenntnistheoretisch Gegensatz zwischen Vorstellung um dem Transsubjektiven; mit anderen Worten: es muß ihm die Einsicht aufgehen, daß die Frage nach den Grenzen des Erkennens ihren fundamentalen Grund und ihre letzte Notwendigkeit darin hat, daß für das Erkennen, sobald es aus dem Vorstellen hinaus will, eine absolut andere Welt beginnt, eine Welt, für deren Erkennen die Grundlage, auf der das Erkennen des Vorstellens möglich war und seine eigentümliche Bedeutung erhielt, absolut hinfällig wird. Und da er jenen ersteren, noch nicht bis zum reinen Prinzip vertieften Gegensatz im Sinne eines Einschränkens der Erkenntnis, einer Erweiterung der Kluft behandelt hat, so wird er auch den nun erfaßten reinen erkenntnistheoretischen Gegensatz demgemäß behandeln; d. h. er wird ihn als für das Erkennen unüberwindbar betrachten, also auf den Boden des absoluten Skeptizismus treten. Damit wird eo ipso [schlechthin - wp] auch die Erfahrung ihres transsubjektiven Charakters entkleidet sein, und die Einschränkung des Erkennens auf die Erfahrung wird nun mit der Einschränkung desselben auf die Vorstellungen zusammenfallen.

So muß im Prinzip der Gedankenprozeß beschaffen gewesen sein, durch den KANT aus der Erfahrungsgläubigkeit des vorkritischen Denkens zum absoluten Skeptizismus der kritischen Philosophie fortgetrieben wurde. Ich sage ausdrücklich: nur im Prinzip muß dieser Gedankenprozeß jene Beschaffenheit gehabt haben. Keinesfalls ist er in der Begriffsfolge und mit der Zuschärfung verlaufen, wie ich ihn dargestellt habe. Dies beweist schon die unbestimmte und schwankende Gestalt, in welcher der absolute Skeptizismus in der Vernunftkritik auftritt. Auch ist zu bedenken, daß sich manche anderen Gedankenprozesse, die zu den anderen Seiten des Kritizismus hinüberleiten, mit dem zum absoluten Skeptizismus hinführenden Gedankenverlauf, zum Nachteil der Reinheit und Bestimmtheit des letzteren, verbanden. Übrigens entwickelte sich dieser Gedankenprozeß auch nicht mit einem Mal, sondern, wie die Dissertation aus dem Jahr 1770 beweist, vollzog sich, als KANT sich in der Auffassung der Raum- Zeitanschauung dem absoluten Skeptizismus in entscheidender Weise näherte, zugleich in Bezug auf die Geltung der reinen Vernunftbegriffe ein auffallender Rückfall in den dogmatischen Rationalismus der WOLFFschen Philosophie. Doch darauf einzugehen ist nicht meine Aufgabe. Jedenfalls trat die universelle und definitive Wendung zum absoluten Skeptizismus nicht vor 1772 ein. Denn der aus diesem Jahr stammende Brief an Herz, den ich im vorigen Kapitel gewürdigt habe, zeigt uns KANT gewissermaßen erst auf dem Sprung zu dem neuen Standpunkt hin. (13)
LITERATUR: Johannes Volkelt, Immanuel Kants Erkenntnistheorie, Leipzig 1879
    Anmerkungen
    1) Andererseits freilich liegt dieser auf die Spitze getriebenen Unerkennbarkeit des Dings-ansich eine gewisse Erkennbarkeit desselben als stillschweigende Voraussetzung zugrunde. Denn nur wenn das Ding-ansich eine im Vergleich mit anderen Vorstellungen absolut heterogene Beschaffenheit hat, würden wir die Beschreibung, die uns Jemand vom Ding-ansich gäbe, nicht verstehen. Für Kant fällt, wie der zweite Abschnitt zeigen wird, die Unerkennbarkeit des Dings ansich mit dem Erkennen seiner im Vergleich zu unserem Vorstellen absolut heterogenen Beschaffenheit zusammen. Auch die Gründe für diese Verwirrung werden sich leicht aufzeigen lassen.
    2) Das Ding ansich als problematischer Begriff wird uns noch im ersten Kapitel des dritten Abschnittes beschäftigen.
    3) Eduard von Hartmann, Kritische Grundlegung des transzendentalen Realismus, zweite Auflage 1875, Seite IX und 2-5.
    4) Man vergleiche dagegen die Deutung, welche Benno Erdmann der "Kritik des vierten Paralogismus" gibt. Er findet in diesem Abschnitt keine Spur von einer Vermischung der äußeren Wahrnehmung mit dem Ding-ansich, noch auch jenes (oben hervorgehobene) scharfe Aussprechen des skeptischen Erkenntnisprinzips. (Immanuel Kants Prolegomena, Leipzig 1878, Seite LVIIf)
    5) Geschichte des Materialismus, Bd. II, Seite 3. - Der obige Vorwurf trifft auch Stadlers übrigens sehr präzise Auseinandersetzungen (Die Grundsätze der reinen Erkenntnistheorie in der kantischen Philosophie, Leipzig 1876, vgl. besonders Seite 39).
    6) Friedrich Heinrich Jacobi, David Hume über den Glauben, Breslau 1787 (vgl. besonders Seite 223 und 229).
    7) Aenesidemus, Seite 99, 140, 180.
    8) Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, zweite Auflage, Berlin 1840-1844, Bd. III, Seite 522 und 527f. - In ähnlicher Weise wird z. B. auch Karl Christian Planck gegen Kant ungerecht. Dieser energisch spekulative Denker wird nicht müde, hervorzuheben, daß Kant die "empfänglich hinausbezogene Naturseite des Denkens", seine "widernatürlich einseitigen Subjektivismus" gelangt ist (Logisches Kausalgesetz und natürliche Zwecktätigkeit, Nördlingen 1877, Seite 75f). Dagegen fehlt als Gegengewicht die Anerkennung, daß die kantische Depotenzierung [Abwertung - wp] des Denkens in wirklichen sachlichen Schwierigkeiten ihren Grund hat und nur aus einer einseitigen Weiterführung des ganz richtigen Ausgangspunktes der Philosophie entspringt. - Natürlich werden auch von den realistischen Metaphysikern diejenigen, die sich die prinzipiellen Aufgaben der Erkenntnistheorie und die mit der Behauptung der objektiven Gültigkeit des Denkens verknüpften Schwierigkeiten nicht klar gemacht haben, wie z. B. Herbart, diese Seite der kantischen Philosophie verständnislos behandeln. Der Versuch der VernunftkritikHerbart, diese Seite der kantischen Philosophie verständnislos behandeln. Der Versuch der Vernunftkritik, die Philosophie erkenntnistheoretisch zu begründen, erscheint ihm als ein reiner Mißgriff (z. B. Sämtliche Werke, Bd. VI, Seite 313f). Hierher gehört auch die Art, wie Dühring sich über die "traumhafte Haltung der Weltvorstellung" bei Kant äußert (Kritische Geschichte der Philosophie, zweite Auflage, Leipzig 1873, Seite 389f).
    9) Benno Erdmann behauptet mit Recht, daß dieser Brief unmittelbar or der entscheidenden Wendung vom Standpunkt der Dissertation von 1770 zu dem der Vernunftkritik geschrieben worden ist (Kants Prolegomena, Seite XCf.
    10) Man darf die Schriften der sechziger Jahre sachlich weder so weit auseinander reißen, wie Kuno Fischer es tut, noch auch sie so sehr für einerlei erklären, wie dies bei Riehl und Paulsen der Fall ist. Riehl sagt ganz richtig, daß sie ein und derselben Denkrichtung angehören (Der philosophische Kritizismus, Bd. 1, Leipzig 1876, Seite 220). Allein innerhalb dieser gleichen Denkrichtung wird man doch wesentliche Fortschritte zu unterscheiden haben.
    11) Kuno Fischer meint, Kant habe auf diesem Standpunkt, gleich Hume, die Kausalität für einen Gewohnheitsbegriff angesehen und die Möglichkeit einer notwendigen allgemeinen Erkenntnis vom Kausalzusammenhang der Dinge geleugnet (Geschichte der neueren Philosophie, Bd. III, zweite Auflage, Heidelberg 1869, Seite 253f). Dies ist nicht richtig, da er sich mit diesen Fragen überhaupt gar nicht beschäftigt. Ihm gilt zwar die Kausalität für einen aus der Erfahrung gewonnen Begriff, allein es fällt ihm gar nicht ein, zu fragen, ob dieser Begriff dadurch seiner Objektivität, Notwendigkeit und Allgemeinheit entkleidet wird, er nimmt ihn, soweit es sich um das Erkennen der Tatsächlichkeit der Kausalverhältnisse handelt, einfach für einen in Bezug auf das Erkennen vollwertigen Begriff.
    12) Ich gebe daber Paulsen gegen Kuno Fischer in der Annahme Recht, daß diese Schrift vor der Schrift über die "negativen Größen" verfaßt wurde (Versuch einer Entwicklungsgeschichte der kantischen Erkenntnistheorie, Leipzig 1875, Seite 71f).
    13) Durch die oben dargelegte Ansicht ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß beim Übergang zum absoluten Skeptizismus manche spezielle Erwägungen mitgewirkt haben mögen. Geht auch Benno Erdmann zu weit, wenn er den Umschwung von 1769 gänzlich der Antinomienlehre zuschreibt (Einleitung zu "Prolegomena", a. a. O., Seite LXXXVf), so geht doch aus der von ihm gegebenen Begründung soviel hervor, daß die Erwägungen über den antinomischen Charakter gewisser Begriffe beim Hinübertreten auf den Standpunkt der Dissertation von 1770 eine sehr bedeutende Rolle gespielt haben müssen.