p-4tb-2cr2-2E. ZellerR. EislerF. PaulsenV. KraftW. Dilthey    
 
ALEXIUS MEINONG
Über die Erfahrungsgrundlagen
unseres Wissens

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"Jedermann, das ist der für eine solche Behauptung maßgebende Grund, den man von Idealisten, Positivisten, Empiriokritizisten usw. in den verschiedensten Weisen variiert findet, denkt sich die Außenwelt als etwas, das existiert, mag er oder sonst jemand daran denken oder nicht. Aber ein Ding, das unabhängig von meinem Denken existiert, mit anderen Worten: ein Existierendes, an das ich nicht denke, ist eine Unmöglichkeit; denn dächte ich nicht daran, wie wollte ich seine Existenz erkennen? Jedes Nichtgedachte oder vom Denken Unabhängige, für das einer eintritt, müßte am Ende doch zugleich ein Gedachtes, als jedenfalls ein in sich Widersprechendes sein."

"Wir mußten ablehnen, die Dinge streng blau oder grün zu nennen, weil wir wissen, wie diese Qualitäten als Pseudo-Existenzen von der Beschaffenheit unseres Sehorgans abhängen. Sind nun irgendwelche Relationen nicht ebenso abhängig von der Beschaffenheit unseres intellektuellen Organismus, und ließe sich nicht vermuten, daß bei anderer Beschaffenheit dieses Organismus die Vorstellungsproduktion, falls sie dann überhaupt stattfände, ganz andere inhaltliche und daher auch gegenständliche Ergebnisse zutage fördern müßte?"


Vierter Abschnitt
Die äußere Wahrnehmung

§ 17. In Sachen der Existenz der Außenwelt

Die eben zu Ende geführte Untersuchung der inneren Wahrnehmung hat ergeben, daß die dieser von alters her in der Erkenntnistheorie zugesprochene grundlegende Bedeutung ihr trotz der verschiedenartigsten Einschränkungen, die sich als unerläßlich erwiesen haben, wirklich zukommt. Ein gewisses Verständnis hierfür aber konnte daraus geschöpft werden, daß die oft betonte Identität von Erkennen und Erkanntem, genauer von Erkenntnis-Quasi-Inhalt und Wirklichkeit, sich als Berührung im Gegenwärtigkeitspunkt in der Tat verwirklicht zeigt. Daß eine solche Berührung, so bescheiden sie sich in gewissem Sinne präsentiert, doch einen Vorzug ausmacht, der dem Erkennen nur solange zugute kommen kann, als es sich auf das Innenleben des Erkennenden beschränkt, versteht sich, so daß sich auch einigermaßen einsehen läßt, warum die sogenannte äußere Wahrnehmung in gewisser Hinsicht von Haus aus unfähig ist, es der inneren Wahrnehmung gleich zu tun. Aber andererseits hat sich auch herausgestellt, wie verschiedene Grade von Vollkommenheit des Erkennens die innere Wahrnehmung in sich schließt. Die Alternative: "entweder alles oder nichts" ist bei ihr ganz und gar nicht am Platz. Das legt uns die Frage nahe, ob wir weiter oben (1) bei der Verwerfung der äußeren Wahrnehmung nicht dann doch etwas allzu summarisch vorgegangen sind. Diese leistet ja in gewisser Hinsicht sicher nicht das, was die innere Wahrnehmung unter ausreichend günstigen Umständen leisten mag: leistet sie aber darum gar nichts? Und sollten wir nicht auch hier, wie bei der inneren Wahrnehmung, Grund haben, das Unvollkommene, wo es etwa vorliegt, zu würdigen?

Ein Gesichtspunkt, unter dem das Bedürfnis nach einer solchen Würdigung besonders deutlich wird, darf hier nicht übergangen werden, obwohl er, oder vielleicht auch gerade weil er uns zwingt, mit einigen Gedanken in Fühlung zu treten, die in ganz besonderem Maße durch das erkenntnistheoretische Interesse unserer Zeit getragen werden. Gesetzt, jemand macht Ernst mit der Verwerfung aller äußeren Wahrnehmung: wie soll er dann zur Kenntnis der ihn umgebenden Wirklichkeit, zunächst der physischen, und indirekt natürlich auch der psychischen an anderen Individuen gelangen? Wie vermag er überhaupt darum zu wissen, daß es Dinge und Leben außerhalb von ihm gibt, wenn ihm die Augen streng genommen nicht zum Sehen, die Ohren nicht zum Hören dienen können usw.? So hängt die Frage nach dem Wert oder eigentlich nach dem Vorhandensein einer äußeren Wahrnehmung mit der Frage nach der Existenz einer Außenwelt zusammen, und so wenig es an dieser Stelle statthaft wäre, das vielverhandelte Problem in seine Einzelheiten hinein zu verfolgen, so wenig wird man sich durch die einer Verwerfung der äußeren Wahrnehmung eben entgegengehaltene Schwierigkeit im weiteren Vorgehen bestimmen lassen können, ehe man zu den Hauptversuchen Stellung genommen hat, diese Schwierigkeit als nicht vorhanden oder doch belanglos abzutun. Es sind vier Auffassungen, auf die zu diesem Zweck hier kurz eingegangen werden soll (2).

1. Am weitesten geht ohne Zweifel, wer meint, daß auf die Erkenntnis einer Außenwelt deshalb nicht Bedacht zu nehmen ist, weil es eine solche Außenwelt nicht nur nicht gibt, sondern nicht einmal geben kann, da ihre Konzeption einen Widerspruch in sich schließt. Jedermann, das ist der für eine solche Behauptung maßgebende Grund, den man von "Idealisten", "Positivisten", "Empiriokritizisten" usw. in den verschiedensten Weisen variiert findet, denkt sich die Außenwelt als etwas, das existiert, mag er oder sonst jemand daran denken oder nicht. Aber ein Ding, das unabhängig von meinem Denken existiert, mit anderen Worten: ein Existierendes, an das ich nicht denke, ist eine Unmöglichkeit; denn dächte ich nicht daran, wie wollte ich seine Existenz erkennen? Jedes Nichtgedachte oder vom Denken Unabhängige, für das einer eintritt, müßte am Ende doch zugleich ein Gedachtes, als jedenfalls ein in sich Widersprechendes sein.

Vielleicht findet sich jemand, der diese reductio ad absurdum [Ableitung auf eine Sinnlosigkeit - wp] noch vorsichtiger formulieren zu können meint, oder es wohl auch tatsächlich kann. Ein wirklich gesunder Gedanke hängt nicht an einer Mikrometer-Einstellung, und hier werden alle Einstellungen nicht imstande sein, das ganze Argument dem erkenntnistheoretisch Unbefangenen anders denn als ein Sophisma [Haarspalterei - wp] erscheinen zu lassen, wenn er sich auch nicht sogleich imstande fühlen mag, es aufzudecken. Mir scheinen derlei erste Eindrücke, die Weise also, wie der gesunde Menschenverstand namentlich desjenigen reagiert, der durch Übung in einem streng wissenschaftlichen Denken auf einem anderen Gebiet sich eine gewisse Routine im Unterscheiden des Wertvollen und Wertlosen erworben hat, nicht gering zu veranschlagen. Eine theoretische Vormeinung, zu der ich auch den horror metaphysicus [metaphysisches Grauen - wp] mancher moderner Autoren zähle, kann solche Reaktionen zum Schweigen bringen, aber selten zum Vorteil der Sache. Darum scheint es mir nicht überflüssig, auf die Tatsache jenes Widerstrebens, das wohl auch der eifrigste Vertreter dieses Arguments an sich erlebt haben wird, hier vor allem ganz nachdrücklich hinzuweisen. Da es inzwischen doch erstaunlich oft gelungen sein muß, dieses Widerstreben zu besiegen, so ist die sachliche Erwägung des Gedankens unerläßlich. Vielleicht dient es aber der Klärung, wenn ich diese Erwägung trotz der apriorischen Strenge, die das Argument anstrebt, mit ein paar fast praktisch intentionierten Bemerkungen beginnt.

Vorerst sei der Übersichtlichkeit wegen dem Argument eine formelhafte Gestalt gegeben. Bezeichnet O, wie bereits öfter im Bisherigen, ein Objekt, D das Denken an dasselbe und nD das Gegenteil davon, das Nichtdenken daran, so besagt der zu prüfende Gedanke: jedes O der Außenwelt wird gedacht als eines, dem das Moment nD, natürlich in der gehörigen Relation, zukommt. Weil es aber gedacht wird, kommt ihm jedenfalls D zu, so daß im Ganzen der Tatbestand vorliegt:

O nD D,

wo der Widerspruch sofort an den Symbolen ersichtlich ist. Angenommen nun, der Widerspruch besteht wirklich, so wird vor allem doch einzuräumen sein, daß sich dessen Geltungsgebiet in ganz erstaunlichem Maß einengen läßt. Die Zusammenstellung von nD und D bedeutet ja doch nicht unter allen Umständen einen Widerspruch. Ich kann jetzt an etwas Vergangenes denken, an das ich zur Zeit, da es sich zutrug, durchaus nicht gedacht haben muß. Allgemein: alles Denken hat seine Zeit. Bezeichnen wir diese etwa durch einen Index t am Symbol D, verschiedene Zeiten aber etwa durch t und t1, so kommt der urgierte Widerspruch natürlich nicht zur Geltung, wenn die beiden D unserer Formel verschiedene Zeitindizes haben, also:

O nDt Dt1

Ebensowenig kann gegen die Möglichkeit eingewendet werden, daß ich an etwas denke, an das ein anderer oder auch alle anderen nicht denken. Das D verdient eben nicht nur einen Temporal-, sondern auch einen Personalindex; und ist dieser bei D und nD verschieden, so entfällt wiederum der Widerspruch. Symbolisch, wenn p und p1 als Personalindizes angefügt werden:

O nDp Dp1

was sich wieder bereits in der Formel als widerspruchslos verrät. Zusammenfassend also: auch unter der Voraussetzung unseres Arguments konnte die Außenwelt bisher ganz unabhängig von mir existieren, sofern ich nur unterlasse, an sie zu denken; abhängig ist sie dann bloß von meinem Denken, sofern sich dieses eben jetzt ereignet. Und wieder: die Außenwelt kann auch existieren ganz unabhängig von beliebig vielen Millionen Menschen wenn diese auch nicht an sie denken. Unerläßlich bin wieder nur ich, der eben an sie denkt. Ich unterlasse es, diese Positionen in ihre Konsequenzen zu verfolgen. Aber auf sie reagiert wohl auch noch der Erkenntnisinstinkt der Nicht-Naiven; und ich besorge nicht, daß diese Reaktion für die These, die all dem zugrunde liegt, besonders günstig sein wird.

Auch zu dem, was übrig bleibt, wenn man sich einmal auf einen gleichen Personal- und Temporalindex geeinigt hat, sei hier noch eine Bemerkung beigebracht, die ebenfalls nicht den Anspruch erhebt, schlechthin beweisend zu sein. Unser Argument besagt, daß ich nichts Ungedachtes denken kann, weil, was ich denke, ipso facto [spricht für sich selbst - wp] ein Gedachtes ist. Das ist in seiner Weise sehr einleuchtend; wenn sich aber trotzdem jemand nicht daran stören ließe, zu meinen, es gebe vieles und habe noch mehr gegeben, woran er jetzt nicht denkt, das er nicht erkennt etc., wird der Fehler, den er dabei begeht, wohl erheblicher sein als der des guten Wirtes, der eine Summe "für unvorhergesehene Auslagen" zurückbehält und sich schwerlich dadurch sonderlich belehrt fühlen würde, wenn ihm jemand darlegt, daß die Auslagen, für die er sich vorsieht, doch auch zu den vorhergesehenen gehören müssen?

Fragen wir nun aber ganz direkt nach der Beweiskraft unseres Argumentes. Ich durfte es eben als sehr einleuchtend bezeichnen, daß, woran ich denke, kein zugleich Ungedachtes sein kann. Denke ich also einmal an das Weltganze, so erhält auch dieses sozusagen durch mich die Eigenschaft, von mir gedacht zu sein. Folgt aber daraus irgendwie, daß, wenn ich an dieses Ganze oder an ein einzelnes Objekt nicht denke oder auch eben jetzt nicht dächte, jenes Ganze oder dieses Objekt nicht existieren könnte? Ebensowenig, als einer behaupten darf, daß nur das existiert, wovon er spricht, oder was er aufschreibt, aufzeichnet oder dgl. Denn auch in jedem dieser Fäller ließe sich mutandis mutandis [unter vergleichbaren Umständen - wp] der obige Beweisgang anwenden: ich kann ja nichts Unaufgezeichnetes aufzeichnen, nichts Unbesprochenes besprechen usw. Das ist eigentlich so einfach, daß man das Gefühl hat, dem Fall nur halb gerecht geworden zu sein, solane man sich nicht einigermaßen zu erklären vermag, wie das so Einfache verkannt werden kann. In diesem Sinn sei hier eine Vermutung darüber gewagt, deren allfällige Irrigkeit das Argument selbst natürlich nicht besser machen würde. Irre ich also nicht, so ist es wohl in erster Linie das Gespenst der uns übrigens bereits so wohlbekannten (siehe oben) Pseudo-Existenz, das hier spukt. Wer sich den natürlichen Existenzgedanken ausreichend hat entfremden lassen, daß er an der Wendung: "dies existiert für mich" das Metaphorische oder Ungenaue nicht mehr spürt, der mag im etymologischen Korrelativismus von "Objekt" und "Subjekt" und dgl. eine Bekräftigung dafür finden, daß diese Existenz "für" jemanden, die streng genommen nicht besser ist als etwa ein Quadrat, das "für jemanden" viereckig wäre, den eigentlichen Existenzfall darstellt. Vielleicht kommt noch hinzu, daß man, solange man auf das Objektiv (siehe oben) nicht ausdrücklich aufmerksam war, dasselbe ganz allgemein, und daher speziell auch die Existenz als "Satz" oder auch "Urteil" bezeichnen und so leicht dazu gelangen mochte, die Existenz an ein Urteilendes zu binden. Wie dem am Ende aber auch sein mag: dem in Rede stehenden Argument ist einfach entgegenzuhalten: daß ich an nichts denken kann, das dann in jedem Sinn für ungedacht gelten darf, ist richtig. Aber es besagt weder, daß die Existenz dessen, woran ich denke, irgendwie von diesem Denken abhängig wäre, noch, daß nichts existieren könnte, ohne daß bisher irgendjemand daran gedacht hätte, oder dem sich auch meine Gedanken anders als in diesem so allgemeinen Urteil zuwenden müßten.

II. Man braucht aber nicht so weit zu gehen, die Möglichkeit einer vom Denken unabhängigen Außenwelt zu bestreiten. Man hat einen Gesichtspunkt namhaft gemacht, unter dem die Außenwelt, falls es auch eine geben sollte, jedenfalls uns unerkennbar bleibt, womit dann doch dargetan wäre, daß die Erkenntnistheorie in Sachen der äußeren Wahrnehmung keinen Anlaß hat, der Außenwelt nachzufragen. Um eine Außenwelt, bzw. ein Außending zu erfassen, müßte unser Erkennen über sich selbst und über das ganze Subjekt hinaus "transzendieren", eine ganz mystische Leistung, die, wie man meint, kein Freund wirklicher Wissenschaftlichkeit unserem Intellekt beimessen darf. Alle Transzendenzversuche zu vermeiden und ganz und gar "immanent" zu bleiben, galt und gilt dann in der Tat manchen als erstes Erfordernis wissenschaftlicher Philosophie, ja aller Wissenschaft schlechthin.

Dieser Gedanke steht dem Interessenkreis der gegenwärtigen Untersuchungen insofern besonders nahe, als er ganz direkt darauf aus ist, jede äußere Wahrnehmung bereits a limine [von vornherein - wp] abzulehnen. Und sofern er auf das Rätselhafte hinweist, das darin liegt, daß eine Betätigung psychischen Lebens sich als fähig erweist, eine physische Wirklichkeit zu erfassen, wird dagegen kaum etwas einzuwenden sein. Denn darf dasjenige für rätselhaft und dunkel gelten, bei dem man gar keinen Versuch macht, zu erklären, weil er von vornherein aussichtslos ist, und auch das, von dem sich ein anschauliches Bild zu machen, besonders schwer gelingen will, dann kann nicht wohl etwas mehr Anspruch darauf erheben, für rätselhaft und dunkel zu gelten, als dieses Erfassen einer Wirklichkeit. Irrig aber wäre, daß das nur oder auch bloß vorzugsweise von der äußeren Wirklichkeit gilt, daß in Bezug auf eine innere Wirklichkeit die Rätsel um das Geringste leichter zu lösen, die Dunkelheiten um das Geringste leichter aufzuhellen wären. Das wird besonders deutlich, wenn man die vielberufene Transzendenz selbst ins Auge faßt. Ist es denn auch richtig, daß diese bloß dem äußeren Geschehen gegenüber in Frage kommt? Erinnere ich mich eines vergangenen Erlebnisses, so ist meine Erinnerung sicher nicht identisch mit jenem Erlebnis: die Erinnerung muß also sich und den ganzen gegenwärtigen psychischen Zustand des Erinnernden transzendieren, um jenes Erlebnis gleichsam zu erreichen. Was es aber zu bedeuten hätte, wenn jemand daraufhin auch in Sachen der Vergangenheit auf der "Immanenz" bestehen wollte, brauch nach dem Früheren nicht mehr ausgeführt zu werden. Es müßte neben der Erinnerung auch die innere Wahrnehmung selbst zum Opfer fallen, diese vielgerühmte Heimat aller Immanenz. Denn diese Immanenz schrumpft hier, wie wir gesehen haben, bis zur Gegenwärtigkeitsgrenze zusammen, und eine Grenze für sich allein ist überhaupt nichts, was verwirklicht werden kann. Auch die innere Wahrnehmung ist also "transzendent". Wer demnach prinzipiell alle Transzendenz ablehnt, wird sich folgerichtig dazu verstehen müssen, alles Existenzwissen abzulehnen, was schwer ins Werk zu setzen sein wird.

Man wird sich kaum der Vermutung erwehren können, die neuere Erkenntnistheorie habe sich überhaupt im Begriff der Transzendenz ein Rüstzeug von zweifelhaftem Wert geschaffen. Der Ausgangspunkt für diese Konzeption ist uns ja oben schon näher getreten. Es fand sich kein Grund, der sich offenbar ganz instinktiv einstellenden Meinung entgegenzutreten, daß das intellektuelle Erfassen einer Wirklichkeit sich verständlicher anläßt, wenn Erfassendes und Erfaßtes einander nahe, als wenn sie einander fern stehen. Ich möchte nebenbei nicht verhehlen, daß ich zurzeit ganz außerstande bin, mir davon Rechenschaft zu geben, warum uns diese Nähe eigentlich als eine Art Vorzug erscheint. Jedenfalls aber ist es ein wesentlicher und wahrscheinlich ganz willkürlicher Schritt, wenn man von der realen Nähe, als deren Grenze man sich ja immerhin die Identität denken mag, zu dieser Grenze selbst übergeht, die Identität zum Erkenntnisideal macht, alle Fälle aber, in denen dieses Ideal nicht erreicht ist, unter einem besonderen Begriff, eben dem der Transzendenz, zusammenfaßt, die dann zu einem immer schwerer genommenen Problem wird und am Ende gar den Stempel der Unmöglichkeit schon direkt an sich tragen soll. Es könnte dabei ähnlich zugegangen sein, als wenn einer auf dem Weg von den Graden einer ferneren zu denen einer näheren Blutsverwandtschaft auf den Gedanken käme, daß eigentlich jeder nur mit sich selbst verwandt ist und wenn er daraufhin es unverständlich paradox oder auch wohl absurd finden würde, auch nur den Bruder mit dem Bruder verwandt zu finden. In der Tat meint man mit "Transzendenz" das Hinausgehen über das Erkennen selbst, so gilt, was FREYTAG in dem Satz formuliert hat: "Jeder Gedake ist sich selbst transzendent" (3): eine Art partieller "Immanenz", das Zusammenfallen von Erkenntnisgegenstand und Erkenntnis-Quasi-Inhalt, wäre (falls unsere obigen Analysen sich nicht als allzu unvollkomen herausstellen) wohl das Äußerste, was, und auch das nur für die Gegenwärtigkeitsgrenze, an Identität erreicht werden könnte. Ist aber als das, worüber im Transzendenzfall hinausgegangen wird, das ganze Erkenntnissubjekt gemeint, dann gibt es freilich auch "immanentes" Erkennen: es ist jedoch gar nicht einzusehen, warum das eigene innere Geschehen durch eine Erkenntnisschranke eingeschlossen gedacht werden müßte. Kann das Erkennen ein Gefühl oder eine Begehrung als eine Wirklichkeit erfassen, warum sollte es nicht auch etwas erfassen können, was etwas anderes als eine psychische Wirklichkeit ist?

Wie wenig man daran denken darf, unserer Erkenntnisfähigkeit derlei Schranken zu setzen, erhellt sich nebenbei auch daraus, daß die ganze große Gruppe der apriorischen Erkenntnisse es überhaupt nicht mit Wirklichem zu tun hat, sondern mit Gegenständen, die in der Regel nicht ihrem Dasein, sondern ihrem Sosein nach beurteilt und erkannt werden. Hier hätten Forderungen in Bezug auf Identität oder auch nur der realen Nähe zwischen diesen Gegenständen und den zugeordneten Erkenntnisinhalten natürlich von Haus aus keinen Sinn. Wenn es die Geometrie gar nichts angeht, ob das Dreieck, von dem sie handelt, existiert oder nicht, dann hat die Forderung der Immanenz natürlich alle Anwendbarkeit verloren. Sie ist auf diesem Gebiet auch gar nicht erhoben worden: warum sollte sie dann aber auf empirischem Gebiet selbstverständlich sein?

Es geht also nicht an, der Außenwelt Erkennbarkeit und einer äußeren Wahrnehmung deshalb die Existenzberechtigung abzusprechen, weil das Erkennen dabei transzendent sein müßte. Insofern alles Erkennen einen Gegenstand hat, der nicht es selbst ist, insofern liegt es sin der Ntur allen Erkennens, zu transzendieren. Läßt man, wie unvermeidlich, das Erkennen als eine letzte Tatsache gelten, so fehlt jeder Grund, diese Anerkennung nicht auch auf die als Transzendenz bezeichnete Seite der Erkenntnisleistung auszudehnen.

III. Äußerlich vielleicht nicht ganz zwanglos reiht sich hier eine dritte Auffassung an, die aber innerlich sicher ganz und gar hierher gehört. Es gibt, so hat man gesagt, eine Außenwelt und sie ist auch erkennbar; denn ihre Existenz bedeutet gar nichts anderes, als daß sie erkannt wird, d. h. den Gegenstand eines Wahrnehmungsurteils oder eines sonst geeigneten Gedankens ausmacht, - das alte "esse = percipi" [Sein = Wahrnehmen | wp] oder auch "esse = cogitari" [Sein = Denken | wp] oder dgl. Dieser Gedanke scheint auf den ersten Blick den bisher besprochenen Auffassungen seiner Tendenz nach gerade entgegengesetzt, sowohl was die Außenwelt als auch was die sie erfassende äußere Wahrnehmung anlangt. Aber sieht man näher zu, so bemerkt man, daß es eigentlich eine ganz seltsame Existez ist, die hier zugestanden wird, eine, die sonst alle Welt Nichtexistenz nennt, - und daß somit der äußeren Wahrnehmung gerade die dem Wahrnehmen sonst zukommende Hauptleistung in Wahrheit abgesprochen erscheint.

Eigentlich liegt aber in dieser Interpretation zugleich das Wichtigste, was zur Kritik dieses Gedankens beizubringen ist. Daß jenes "cogitari" und seinesgleichen das, was man sich sonst allenthalben unter Existenz gedacht hat und denkt, irgendwie wiedergibt, das ist einfach falsch: irgendetwas ganz anderes aber ex definitione als Existenz benennen, ist genau genommen eine durch das oft mißbrauchte Prinzip der Definitionsfreiheit so wenig wie sonstwie zu rechtfertigende irreführung. Wer sagt: "es gibt keine Außenwelt", dessen Standpunkt mag vielleicht einer genaueren Prüfung gegenüber nicht zu halten sein; aber dieser Standpunt ist klar und keine Mißdeutungen ausgesetzt. Wer aber sagt: "eine Außenwelt existiert; denn wenn ich behaupte, etwas existiert, so meine ich nur, es wird gedacht", nimmt gleichfalls jenen Standpunkt ein, verhält sich dabei aber so, als meinter er nichts anderes, als was auch das natürliche Denken des Naiven in dieser Sache meint. Wie sehr dadurch die Verständigung erschwert wird, ist leicht zu ermessen. Möglich, ja wahrscheinlich immerhin, daß auch hier wieder jene Pseudo-Existenz hereinspielt, jenes "in meiner Vorstellung" oder "für mich existieren", das, solange man Inhalt und Gegenstand des Denkens nicht auseinanderhält, die Klarheit des Existenzgedankens so leicht zu trüben vermag.

Übrigens bedeutet aber diese Position nicht nur etwas wie eine stille Vergewaltigung: sie verrät sich überdies als innerlich unhaltbar, wenn man den hier zunächst für die Außenwelt verwendeten Existenzgedanken nun auch auf die innere Wirklichkeit überträgt. Jenes "cogitari" oder eigentlich das darin liegende "cogitare" macht doch die äußere Existenz nur dann aus, wenn es selbst existiert. Besteht dieses Existieren nun neuerlich in einem "cogitari", so muß natürlich auch dieses wieder existieren und daher gedacht werden usw. ins Unendliche, und zwar ins fehlerhaft, daher unstatthaft Unendliche, weil hier jedes frühere Glied der Reihe durch das folgende erst konstituiert wird. Will man dies vermeiden, so muß man einräumen, daß die innere Existenz doch eine andere Existenz ist als die äußere, womit sich dann neuerlich herausstellt, daß hier eben etwas Existenz genannt wird, was keine Existenz ist.

Versucht man das Theorem auf einen konkreten Fall anzuwenden, so bemerkt man natürlich sogleicht, daß jedes Ding dann zu existieren aufhören müßte, wenn man aufhört, daran zu denken. Diese Konsequenz hat man dann doch nicht auf sich nehmen zu können gemeint, und sich daher entschlossen, unter Existenz nicht nur das Wahrgenommenwerden, sondern auch das Wahrgenommenwerdenkönnen zu verstehen, so daß dasjenige als existierend gelten dürfte, das zumindest einem dieser beiden Erfordernisse genügt. Einheitlicher ist der Gedanke dadurch nicht geworden; man merkt auf diese Modifikation hin womöglich noch deutlicher, wie im natürlichen Existenzgedanken doch etwas ganz anderes steckt. Insofern hätte man in der neuen Existenzdefinition auf das Gedachtwerden zugunsten des Gedachtwerdenkönnens ohne Schaden verzichten dürfen. Dem obigen Einwand von der unendlichen Reihe wäre in dieser Weise die Spitze abzubrechen, nur ginge damit zugleich offenbar die Fühlung mit der Pseudo-Existenz verloren. Und für die Hauptsache wäre auch dann wenig genug gewonnen.

Was ist denn eigentlich mit der hier hervorgehobenen Möglichkeit gemeint? Eine sogenannte "logische" Möglichkeit, die mit Widerspruchslosigkeit zusammenfällt? Seltsam genug mußte ein solcher Versuch anmuten, alle Empirie oder auch nur alle äußere Empirie letztlich in ein Apriori aufzulösen. Aber daran ist ja gar nicht zu denken; es müßte ja dann alles "Vorstellbare", z. B. auch ein goldener Berg, nicht nur möglich, sondern eben darum auch wirklich sein. Es kann vielmehr nur jene oft als "physisch" bezeichnete Möglichkeit in Frage kommen, die besagen soll, daß in den gerade vorliegenden Tatsachen und den sie erfahrungsgemäß beherrschenden Gesetzen kein Hindernis für ihr Vorhandensein liegt, bzw. die dafür erforderlichen Bedingungen erfüllt sind. Wirklich kann, wer von Wahrnehmungsmöglichkeit redet, nicht wohl etwas anderes meinen, als daß ein wahrnehmungsfähiges Subjekt existiert, und auch das Wahrzunehmende selbst da ist, so daß etwa nur ein Zusammentreffen beider erforderlich wäre, um es zu einer Wahrnehmung kommen zu lassen. Jedenfalls aber setzt eine solche Möglichkeit Wirklichkeiten, also Existenzen voraus, die ihrerseits keinesfalls wieder in Möglichkeiten aufgelöst werden können, so daß es hier entweder wieder zu einem unter die Definition nicht passenden Existenzgedanken, diesmal noch dazu in Sachen äußerer Existenz, kommen muß, - oder zu einer Zirkel, der besonders deutlich wird, sofern man zu jenen die Wahrnehmungsmöglichkeit angeblich konstituierenden Bedingungen die Existenz des Wahrzunehmenden selbst rechnen muß, also gerade jene Existenz, die durch die Wahrnehmungsmöglichkeit ausgemacht werden soll. Versuchte man aber deshalb, die Existenz des Wahrnehmbaren irgendwie als Möglichkeitsfaktor auszuschließen, dann wird die ganz Existenzdefinition auch noch in auffallender Weise zu weit. Denn wenn man, um eine Wahrnehmungsmöglichkeit einzuräumen, nicht ausdrücklich verlang, daß das betreffende Ding existiert, dann ist natürlich unser goldener Berg ebenso wahrnehmbar und existiert dann immer noch genau so gut wie das Straßenbahngeleis, das eben vor meinem Fenster verlegt worden ist.

IV. Unter I-III hoffe ich das Wichtigste dessen erledigt zu haben, was geeignet scheinen könnte, uns aufgrund einer bestimmten Stellungnahme zum Problem der Außenwelt eines neuerlichen Eingehens auf die Frage der äußeren Wahrnehmung zu überheben. An letzter Stelle sei kurz ein Gesichtspunkt berührt, der auch denjenigen zum gleichen Ergebnis führen könnte, der weder an der Existenz der Außenwelt noch an ihrer Erkennbarkeit zweifelt. Man kann nämlich meinen, zur Erkenntnis der Außenwelt die sogenannte äußere Wahrnehmung gar nicht nötig zu haben, vielmehr durch innere Wahrnehmung und deren Verarbeitung alles Erforderliche leisten zu können. Im Vordergrund steht dabei der Kausalschluß. Es ist ein geradezu populär gewordener Gedanke, daß wir zur Kenntnis der äußeren Dinge unserer Umgebung dadurch gelangen, daß sie Empfindungen in uns wachrufen, wir aber von den Wirkungen auf deren Ursachen zurückschließen (4); das Vorhandensein dieser Empfindungen müssen wir natürlich der inneren Wahrnehmung entnehmen. Außerdem kommt dann auch noch der Gewinn in Frage, den das Zurückgehen auf diese Ursachen für das Erfassen eines einheitlichen geordneten Weltbildes mit sich bringt. Kurz, man findet sich so der Außenwelt gegenüber durchaus nicht auf eine äußere Wahrnehmung angewiesen, die vielmehr als ihren eigenartigen Beitrag zur Welterkenntnis nur eben das zu bieten scheint, dessen Unbrauchbarkeit die Untersuchung der primären und sekundären Qualitäten so deutlich dargetan hat.

Man braucht den Wert solcher mehr oder weniger indirekten Erkenntweisen nicht gering anzuschlagen, wenn man gleichwohl einer direkten Erkenntnis, wie sie die Wahrnehmungsurteile darbieten, nicht entraten zu können meint. Hierfür wird aber zunächst bereits die direkte Erfahrung, nämlich die unanfechtbare innere, entscheidend sein können. Es bedarf nur einer ganz flüchtigen Selbstprüfung, um sich davon zu überzeugen, daß man, um ein Außending zu erkennen, den Umweg über die innere Wahrnehmung und den Kausalschluß in den allerseltensten Fällen wirklich einschlägt (5). Die Weise, in der ich den Tisch vor mir, die Häuser jenseits der Straße etc. erfasse, zeigt ganz zweifellos alle Charaktere des wahrnehmungsmäßigen Erfassens. Es hieße uns gleichsam den allergrößten Teil unseres natürlichen intellektuellen Verhaltens zur Umgebung nehmen, müßte ihm aller Wert für das Erfassen derselben abgesprochen werden.

Man versuche sich nun aber auch neben dem psychologischen den sozusagen logischen Erfolg der Elimination aller direkten Erkenntnis der Außenwelt vorstellig zu machen. Die Außenwelt im allgemeinen und jedes einzelne Ding im Besonderen würde von uns nur erfaßt durch eine Hypothese, der streng genommen die Gelegenheit zur Verifikation ein für allemal fehlen müßte. Ich glaube durchaus nicht, daß auf die "vera causa" so viel Gewicht gelegt zu werden braucht, als oft geschehen ist: aber diese sozusagen prinzipielle Unverifizierbarkeit widerspricht doch allzuseh der Weise, in der wir uns unserer Umgebung gegenüberstehen fühlen.

Zu all dem kommt nun noch ein Umstand, den ich erst weiter unten genauer darlegen kann, so daß ich mich hier auf die bloße Behauptung beschränken muß. Schaue ich in die blaue Luft eines heiteren Sommertags, so ist der Gedanke "Ursache meiner Blauempfindung", ganz abgesehen davon, daß er mir normalerweise ganz fern liegen wird, meines Erachtens auch gar nicht fähig, das, dessen Existenz ich als die des blauen Himmels wahrzunehmen meine, mit ausreichender Bestimmtheit zu treffen. Es genügt jedoch bereits das oben Ausgeführte, uns davon zu überzeugen, daß auch unsere indirekten Erkenntnismittel nichts Wesentliches daran ändern können, daß die sozusagen eigentliche und direkte Erkenntnis unserer Umgebung Sache der äußeren Wahrnehmung sein muß. Man wird also keinen erheblichen Fehler begehen, wenn man behauptet: so gut unsere äußere Wahrnehmung ist, so gut ist im Allgemeinen auch unser Wissen um eine Welt außerhalb von uns; und in dem Maße, in dem wir uns innerlich im Recht fühlen, wenn wir an eine Außenwelt glauben, in dem Maße haben wir auch Grund zu glauben, daß der äußeren Wahrnehmung ein höherer Erkenntniswert zukommen muß, als unsere der philosophiegeschichtlichen Tradition folgenden Erwägungen im Abschnitt I zulassen zu können schienen.


§ 18. Äußere Wahrnehmungen als
evidente Vermutungen

Wir finden uns also dem Dargelegten gemäß vor die nachfolgende Alternative gestellt: entweder wir geben mit dem Vertrauen auf unsere Sinne auch die uns so natürliche Überzeugung von der Existenz einer äußeren Wirklichkeit auf, oder wir versuchen, zusammen mit dieser auch jenes aufrecht zu erhalten. Wie sich dieses Dilemma praktisch entscheidet, darüber besteht nicht der geringste Zweife: Auch weitestgehende Idealisten haben immer wieder anerkannt, daß sie durch ihre Theoreme ihren Glauben an die Außenwelt in concreto nicht zu überwinden imstande gewesen sind. Aber auch theoretisch hätte diese Tatsache größere und prinzipiellere Beachtung verdient, als sie bisher gefunden hat. Es wäre eigentlich der einzige bekannte Fall innerhalb unserer Erkenntniserfahrungen, wo das bessere Wissen dem anerkannt schlechteren nicht standzuhalten vermag. Oft schon hat der Irrtum über die Wahrheit gesiegt; aber der Sieg war dann doch stets nur ein vorübergehender, an besondere Umstände geknüpfter, und was vor allem ins Gewicht fällt: es war nie der bereits erkannte Irrtum. Darin liegt ein zwar indirekter aber, soviel ich sehe, ganz unabweislicher Grund, zu vermuten, das, was sich in unserem Fall so deutlich und immer wieder als das stärkere erwiesen hat, kann eben doch nicht das schlechtere Wissen sein.

Aber wie will man dieses Ergebnis mit jenem überreichen Tatsachematerial in Einklang bringen, das auch uns oben (vgl. § 8) die Unbrauchbarkeit der Sinneswahrnehmungen so deutlich darzutun schien? Wollte man es mit einer Revision dieses Materials versuchen, man würde dasselbe höchstens um neue gravierende Tatsachen bereichern können. Inzwischen haben wir aus Anlaß der Untersuchung der inneren Wahrnehmung Momente teils an dieser selbst, teils außerhalb von ihr kennengelernt, deren Berücksichtigung uns auch dem Problem der äußeren Wahrnehmung gegenüber eine ungleich günstigere Position sichert, als insbesondere derjenige einnehmen kann, dem die Berechtigung und daher auch die Evidenz eines Urteils mit dessen Gewißheit untrennbar verbunden scheint. Daß den äußeren Aspekten keine Evidenz der Gewißheit zukommt, das kann aus der großen Anzahl erweislicher Fehlschläge mit aller nur irgendwie wünschenswerten Sicherheit erschlossen werden, und ergibt sich, wie man wohl hinzufügen darf, bei sorgfältiger Prüfung unsere Verhaltens im Einzelnen auch ganz direkt. Aber wir haben gefunden, daß diese Gewißheitsevidenz auch nicht einmal der inneren Wahrnehmung anders denn als Grenzfall eigen ist. Immerhin stehen aber die evidenten Vermutungen, die in gewissem Sinne bereits hier das normale Verhalten ausmachen, der Gewißheit noch unbegrenzt nahe, so daß die Erinnerungen, wie wir sahen, sich besser dazu eignen, über die Natur der Vermutungsevidenz Licht zu verbreiten. Und hier ist dann in der Tat auch die äußere Sachlage unter Umständen für unsere gegenwärtige Frage besonders lehrreich.

Auch an seinem Gedächtnis macht man ja bekanntlich zeitweise schlimme Erfahrungen, und man kann sich dadurch zu einem weitgehenden Mißtrauen gegen seine Erinnerungsfähigkeiten geführt fühlen. Dennoch vermag dieser allgemeine Zweifel das Vertrauen auf die besondere Gedächtnisleistung kaum merklich zu beeinträchtigen. Man weiß, aß man sich täuschen kann, aber man glaubt dem Gedächtnis doch; nur ist dieses Glauben streng genommen, sofern es auf seinem Rechtsboden bleibt, meist kein mit Gewißheit Urteilen, sondern ein bloßes Vermuten. Das ist dem eben erwähnten Verhalten des Idealisten oder Positivisten eigentlich ganz erstaunlich ähnlich, trägt aber gar nicht den Charakter des Widerspruchsvollen oder Paradoxen an sich. AUch in Sachen der äußeren Wahrnehmung verschwindet die Paradoxie, wenn man für die betreffenden Wahrnehmungsurteil keine Gewißheits- sondern nur eine Vermutungsevidenz in Anspruch nimmt, daher aber auch den Täuschungserfahrungen nicht die Bedeutung von Instanzen einräumt, die jedes Vertrauen auf diese Wahrnehmungen zu einem unberechtigten machen müßten. Das entspricht dann in der Tat auch bestens dem, was uns die direkte innere Empirie über das Verhalten dessen lehrt, der sinnliche Aspekte erlebt: sowenig er sich in Bezug auf sein Zutrauen im Allgemeinen irre machen läßt, so wenig ihm hierfür jenes Berechtigungsbewußtsein zu fehlen pflegt, das wir als Evidenz kennen, so wenig ist er in Bezug auf das, was er den Sinnen entnimmt, für Berichtigungen unzugänglich und so wenig können diese doch dann wieder seinem Berechtigungsbewußtsein Abbruch tun.

Aufgrund dieser Erwägungen meine ich dann in der Tat behaupten zu dürfen: es gibt äußere Aspekte, deren Vermutungsevidenz eignet, bzw. zukommt, und jene Aspekte haben darauf hin Anspruch für Wahrnehmungsfälle zu gelten. Es gibt also äußere Wahrnehmung neben der inneren. Fanden wir es überdies sonst den Vermutungsevidenzen eigen, daß sie sich unter verschiedenen Umständen auf Vermutungen verschiedener Stärke, d. h. verschiedenen Gewißheitsgrades, beziehen, so dürfen wir ähnliches auch auf dem Gebiet dieser äußeren Wahrnehmung erwarten und dabei als Anzeiger für das durch die Evidenz gewissermaßen verbürgte Gewißheitsmaximum den Widerstand betrachten, den die betreffende Vermutung ihr widerstreitenden, eventuell sie berichtigenden Urteilen entgegensetzt. Nach der Analogie dessen, was sich uns bei der inneren Wahrnehmung ergeben hat, kann man erwarten, unter diesem Gesichtspunkt auch hier gegenständliche Gruppen zusammenstellen zu können, die sich nach dem Gewißheitsgrad, für den bei ihnen Evidenz aufzubringen ist, in eine Art Reihe ordnen lassen. Wirklich werden solche Gruppen wohl auch nahmhaft zu machen sein; aber einem ersten Versuch, dieses bisher so gut wie unbeachtete Evidenzgebiet zu bearbeiten, stellen sich zunächst ganz andere eigentümliche Aufgaben, die sogar, indem sie apriorische Erkenntnisfaktoren in die Untersuchung mit einzubeziehen zwingen, eine Überschreitung der der gegenwärtigen Schrift gezogenen Grenzen mit sich zu führen drohen. Weil es jedoch auf alle Fälle besser wäre, selbstgesetzte Schranken zu vernachlässigen, als natürliche Zusammenhänge zu zerreißen, so sei auf die Gefahr jener Überschreitung hin vorerst einfach versucht, an den äußeren Wahrnehmungen das herauszufinden, was die besten Evidenzen für sich hat. Inwiefern wir dabei doch bei unserem eigentlichen Thema geblieben sind, wird sich von selbst herausstellen.


§ 19. Ding und Erscheinung

Es wird dabei nochmals von uns bereits ganz geläufigen Erlebnissen ausgegangen. Sieht jemand, der die Dinge nur von ihrer praktischen Seite, das Erkennen derselben aber gar nicht zu betrachten gewohnt ist, auf dem Tisch vor sich etwa ein Stück Kreide liegen, so hat er fürs Erste sicher das beste Zutrauen auf das, was er "mit eigenen Augen" sieht. Es ist in Anbetracht dessen, wie schon zu berühren Gelegenheit war, im Grunde sehr auffallend, wie zugänglich er trotz dieser Zuversicht für die Subjektivität und daher Geltungslosigkeit der sensiblen Qualitäten bleibt. Er nimmt gar keinen erheblichen Anstoß daran, daß nicht nur Farbe, Temperatur, Gewicht, Härte, sondern auch Gestalt und Größe sozusagen durch Subjekt und Umstände in die Bestimmung des gesehenen Gegenstandes hineingetragen sein mögen. Nur wenn ihm jemand einreden wollte, daß überhaupt gar keine Kreide auf dem Tisch liegt, dann wird er, falls durch den Eindruck der eben empfangenen und eingesehenen Belehrungen nicht suggestiv beeinflußt oder ermüdet ist, einen nachdrücklichen Widerstand leisten und sich auf die Dauer gewiß nicht überzeugt geben.

Aus diesem Verhalten scheint sich mir zunächst zweierlei zu ergeben. Einmal, daß die Evidenz für das Vorhandensein der mancherlei sinnlich erfaßbaren Eigenschaften der Außendinge eine sehr schlechte ist, falls sie nicht völlig fehlt. Beim Wahrnehmung nimmt man aus einem Grund, der bald deutlich werden wird, die qualitativen Daten sozusagen kritiklos mit; aber die Meinung, daß sie existieren, geben wir eigentlich ohne Widerstand auf, und noch dazu sofort in einem viel weiteren Umfang, als die Tatsachen streng genommen uns abzuzwingen vermöchten, wenn wir es eben auf einen Zwang ankommen lassen würden. Der Anteil der Subjektivität etwa an der Rotvorstellung ist sicher ein Verdachtsgrund gegenüber dem auf diese Vorstellung gestellten Urteil: "Rot existiert". Aber ein strikter Gegenbeweis liegt nicht darin; vollends fehlt ein Beweis dafür, daß das mit Hilfe des Rotinhalts Erfaßte nicht vielleicht unter diesen oder jenen Umständen im Bereich des Existierenden anzutreffen sein könnte. Wir haben jedoch kein Bedürfnis, hier besonders vorsichtig zu sein; es sieht eben ganz so aus, als hätten wir zwar viele Evidenzen gegen diese Qualitäten, aber keine für sie, so daß man höchstens eine gewisse Ungewohnheit zu überwinden braucht, ehe man mit dem Gedanken an die Nichtexistenz dieser Qualitäten vertraut wird.

Das zweite ist nun aber dies, daß gleichwohl eine gute Evidenz im normalen Urteil äußerer Wahrnehmung stecken muß, ja eine der besten Vermutungsevidenzen, die wir überhaupt besitzen. Ihr Objekt kann natürlich nur das sein, was sozusagen nach Abstrich der so fragwürdigen sinnlichen Qualitäten noch übrig bleibt. Das kann aber nichts anderes sein als jenes substantielle oder Ding-Moment, von dem oben gezeigt worden ist, daß es in keiner Wahrnehmung fehlt. Der Naive, von dessen Erkenntniszustand beim Wahrnehmen wir eben ausgegangen sind, gibt die Eigenschaften der Kreide preis; er läßt sich aber nicht oder nur ausnahmsweise nehmen, daß etwas da ist. Und man wird ihm zugestehen müssen, daß triftige Gründe, auch dieses Minimum aufzugeben, nur in ganz seltenen Fällen, zunächst denen der Halluzination, werden beigebracht werden können. In dieser Hinsicht behält also auch das äußere Wahrnehmen in eine Weise recht, der nur noch die allerbesten Gedächtnisleistungen an die Seite zu stellen sind.

Nur ist nun unser Naiver nicht bloß davon überzeugt, daß etwas da ist, sondern genauer auch davon, daß dieses "etwas" weder ein Buch, noch ein Tintenfaß, noch ein Lineal, noch sonst etwas anderes ist als eben eine Kreide; und darin scheint, wenn einmal von allem Qualitativen abgesehen werden soll, keine ganz unerhebliche Schwierigkeit zu liegen. Sie ist allgemein so zu formulieren: Das O im dem seinerzeit (siehe oben) entworfenen Schema I verlangt, wie wie eben gesehen haben, eine Art Auseinanderlegung in zwei Bestandsstücke von sehr verschiedenem Erkenntniswert, das Dingmoment, das etwa mit o bezeichnet wird und die im äußeren Aspekt gegebenen Eigenschaften, deren Gesamtheit das Symbol o1 bedeuten soll. Für o haben wir vorzügliche Evidenz, für o1 wahrscheinlich gar keine. Aber was können wir mit der Evidenz für o allein anfangen? Die Kreide unterscheidet sich vom Tintenfaß schwerlich in Bezug auf o; dafür bietet uns die Wahrnehmungsvorstellung der ersteren freilich ein o1x, die des letzteren ein o1y: aber das sind ja eben jene sensiblen Qualitäten, für deren Dasein wir keine Evidenz haben. Woher nehmen wir also eigentlich das Recht, die Kreide für etwas anderes als ein Tintenfaß zu halten?

Unser Naiver ist um die Legitimation keinen Augenblick verlegen: er findet sie einfach darin, daß die Kreide doch ganz anders aussieht, sich ganz anders anfühlt etc. als das Tintenfaß; von Bestätigungen aus komplizierten Erfahrungen heraus sei hier mit Vorbedacht abgesehen. In dieser Berufung auf das Aussehen oder, wie man allgemeiner und theoretischer sagt, auf die "Erscheinung" verraten sich die wesentlichsten Erkenntnisleistungen unserer äußeren Aspekte. Es bedarf aber einiger analytischer Arbeit, um dieselben in ausreichender Deutlichkeit an den Tag zu bringen.

Zunächst verdient betont zu werden, daß der Begriff der Erscheinung oder des Phänomens ganz wesentlich von einer Erkenntnisleistung genommen ist. Das kann nur dem nicht sofort verständlich sein, der geneigt ist, bei der Auffassung des Verhältnisses zwischen Wahrnehmung und Wahrgenommenen dem Kausalgedanken jenen unverhältnismäßig großen Anteil einzuräumen, von dem oben bereits die Rede war. Aus Gründen, die dort aufgeführt wurden und später noch um den greifbarsten vermehrt werden sollen, bedeutet die Aussage, daß mir etwas grün erscheint, durchaus nicht, daß das Betreffende in mir eine Wahrnehmungsvorstellung oder ein Urteil oder was auch immer sonst hervorruft, sondern daß mir im Erscheinungsgegenstand, dem Phänomen, etwas vorliegt, das am Erkennen eines anderen Gegenstandes, eben des erscheinenden (6), des Noumens, wie man gegensätzlich sagen mag, beteiligt ist. Es hätte keinen Sinn, etwas "Erscheinung" zu nennen, dem man zugleich jede Erkenntnisdignität absprechen wollte.

Was für eine Erkenntnisleistung hier nun tatsächlich vorliegt, das ergibt der an den obigen Beispielen beleuchtete, sozusagen praktische Gebrauch, den alle Welt von den Phänomenen macht. Jedermann fühlt sich berechtigt zu glauben, anders ausgedrückt: jedermann hat eine Evidenz dafür, daß, was verschieden, ähnlich, gleich aussieht, auch verschieden, ähnlich, gleich ist. Daraus erhellt sich zunächst, daß, soweit man darin recht hat, das, was uns als o1x, o1y usw. erscheint, nicht etwa bloß das substantielle Bestandsstück o unserer obigen symbolischen Aufschreibungen ist; denn darin, Ding zu sein, werden die verschiedenst erscheinenden Dinge übereinstimmen. Den phänomenalen Bestimmungen o1x, o1y etc. stehen vielmehr noumenale Bestimmungen õ1x, õ1y etc. gegenüber, von denen eben evident ist, daß zwischen ihnen dieselben Vergleichsrelationen gelten wir zwischen den o1, worin zugleich die allerdings sehr selbstverständliche Behauptung beschlossen liegt, daß das substantielle Moment o, das uns durch die bereits geltend gemachte gute Evidenz gesichert ist, nicht etwa in einer unnatürlichen oder eigentlich unmöglichen Isoliertheit existiert, sondern daß das Existierende doch jedenfalls Dinge (7) mit Eigenschaften sind. Vor allem wichtig ist nun aber, Natur und Grundlagen der hier in Sachen der Relationen vorliegenden Evidenz etwas genauer festzustellen.


§ 20. Halbwahrnehmungen. Die
Übertragung der Vergleichsrelationen.

Des weiteren gilt es, zwei Fragen zu beantworten: haben wir es bei den Vergleichsurteilen der obigen Art mit einer Evidenz für Gewißheit oder bloß mit einer Evidenz für Vermutungen zu tun? (8) Dann aber: ist die Evidenz eine unmittelbare oder mittelbare und welche sind im letzteren Fall die Voraussetzungen, auf die sie sich gründet? Was zunächst die erste dieser Fragen anlangt, so beantwortet sie sich mühelos zugunsten der Vermutungsevidenz. Am Beispiel von Kreide und Tintenfaß freilich mag die Überzeugung von der Verschiedenheit des verschieden Erscheinenden nicht so leicht als trüglich darzutun sein. Umso deutlicher spricht LOCKEs Temperaturexperiment: das Wasser, das man als verschieden warm wahrzunehmen meint, ist ja in Wahrheit von derselben Temperatur. Das Verschiedenheitsurteil ist also hier tatsächlich im Unrecht und kann daher nicht mit Gewißheitsevidenz ausgestattet auftreten.

Weniger einfach erledigt sich die zweite Frage. Es gibt ja natürlich unmittelbar evidente Vergleichsurteile in Menge: aber was sich an Erlebnissen dieser Art zunächst der Aufmerksamkeit aufdrängt, sind jene apriorischen Erkenntnisse, bei denen, wie bei allem eigentlichen Apriori, die Existenz des Verglichenen gar nicht in Frage kommt. Sobald Existenzen verglichen werden, ist die Entscheidung, ob man da noch unmittelbare Evidenzen vor sich hat, schwieriger. Das gilt schon, wo die Existenzen dem Gebiet innerer Wahrnehmung angehören, obwohl da sonst noch alles relativ durchsichtig ist. Wenn der Patient dem Arzt berichtet, seine Schmerzen hätten nachgelassen, so behauptet er eine Verschiedenheit zwischen Wirklichkeiten, von deren Existenz er zunächst durch innere Wahrnehmung, dann immerhin auch mit Hilfe des Gedächtnisses Kenntnis hat. Ist das hier auf die Wirklichkeit angewandte Verschiedenheitsurteil bloß als Zusammentreffen eines apriorischen und eines empirischen Urteils auf den nämlichen Gegenständen zu beschreiben oder als ein Schluß aus diesen beiden Urteilen als Prämissen? Doch ist gerade hierüber eine Entscheidung zu treffen an dieser Stelle entbehrlich: jedenfalls geht auch bei inneren Aspekten das, was ich eben das angewandte Vergleichsurteil genannt habe, auf mehrere Urteile als wie immer näher zu bezeichnende Voraussetzung zurück; und derlei auch bei den äußeren Aspekten aufzusuchen, ist jetzt unsere eigentliche Aufgabe.

Auch hier liegt es nahe, den Kausalgedanken zu Hilfe zu rufen; aus der Verschiedenheit der Wirkungen darf man ja in der Regel auf eine Verschiedenheit der Ursachen, aus einer Gleichheit der Wirkungen auf eine Gleichheit der Ursachen schließen. Aber abgesehen davon, daß, wie eben wieder berührt, die Erkenntnis der Existenz der Außendinge von Kausalerwägungen zunächst unabhängig ist, wäre auf solche gerade hier sich am wenigsten zu berufen, da es auch bei der Kausalität auf eine Anwendung des Apriori auf Wirklichkeiten hinauslaufen muß, die noch dazu vermöge der Natur der Kausalerkenntnis viel weniger durchsichtig ist. Man wird also doch wohl darauf angewiesen sein, zur Bestimmung der gesuchten Prämissen oder Quasi-Prämissen die Analogie der angewandten Vergleichungen aus dem Gebiet der inneren Wahrnehmung zum leitenden Gesichtspunkt zu machen.

Auf den ersten Blick scheint nun freilich diese Analogie allenthalben zu versagen. Wer zwei Gefühle vergleicht, kennt diese aus der inneren Wahrnehmung und hat außerdem die Evidenz des auf diese Gefühle ganz ohne Rücksicht auf ihre Existenz bezogenen apriorischen Vergleichsurteils für sich. Auch wer Kreide und Tintenfaß für verschieden hält, hat ein apriorisches Urteil zur Verfügung; dieses betrifft o1x und o1y, jedoch das angewandte Vergleichsurteil hier nur õ1 und õ2 angeht, an das unser Wahrnehmen, wie es scheint, doch gar nicht heranreicht. Aber ich meine vor allem, daß uns die Berechtigung des angewandten Vergleichsurteils eben davon überzeugen muß, daß dieser Schein ein trüglicher ist. Wir können über die Verschiedenheit der noumenalen õ nichts wissen, wenn uns diese in gar keiner Weise gegeben sind. Wiederum ist es daher zweierlei, worauf wir eine Antwort zu geben versuchen müssen: einmal, wie uns trotz alledem, was wir über die sensiblen Qualitäten und ihre Phänomenalität wissen, jene õ gegeben sind, - dann, wie ihnen apriorische Urteile, die sich doch erfahrungsgemäß an die õx halten, nutzbar werden können.

Der erste Punkt bietet kaum unüberwindliche Schwierigkeiten, wenn man sich auf das Verhältnis zwischen Vorstellungsinhalt und Vorstellungsgegenstand besinnt. Die Zuordnung zwischen beiden geht ja jedenfalls auf die Erkenntnisleistung zurück, die mit Hilfe der betreffenden Vorstellung, zunächst ihres Inhaltes, zu erzielen ist. Vermöge der Beschaffenheit dieses Inhaltes erfaßt, das ist ja die letzte Tatsache allen Erkennens, eine gewisse psychische Operation einen Gegenstand von bestimmter Beschaffenheit. Das schließt aber durchaus nicht aus, daß derselbe Inhalt auch verschiedene Gegenstände zu erfassen fähig sein kann, wenn sich jene Operation verändert. Die Vorstellung eines ganz bestimmten Blau vermag, wie man passend sagen kann, typische Bedeutung zu gewinnen, d. h. dem Erfassen verschiedenster Blaunuancen zu dienen, wenn man dabei absichtlich tut, was unabsichtlich so oft geschieht, nämlich es mit dieser Vorstellung ausreichend wenig genau nimmt. Sehe ich recht, so hat man auch in dieser Genauigkeit eine Abstufbarkeit intellektueller Betätigungen vor sich, die der Alltagspsychologie wohl bekannt, ähnlich den Vermutungen aber von der wissenschaftlicher Betrachtung bisher vernachlässigt geblieben ist (9), weil dieser das Allerbeste an Erkenntnisleistungen zu theoretischer Untersuchung eben gut genug, das übrige aber keiner Beachtung wert schien, hne den eigentümlichen Vorzug zu würdigen, der dem Unvollkommenen dadurch zukommt, daß gerade dieses das in der Regel Verwirklichte ist. Ich kann nicht daran denken, der Ungenauigkeit an dieser Stelle auch nur so viel an ausdrücklicher Untersuchung zuzuwenden, wie der im Ganzen doch schon viel besser gekannten Ungewißheit. So viel aber scheint mir ohne Weiteres überzeugend, daß, wenn ich mit Hilfe eines Inhaltes, je nach der darauf gewendeten Genauigkeit, sehr verschiedene Gegenstände erfassen kann, auch der am ungenauesten erfaßte unter ihnen immer noch durch diesen Inhalt erfaßt, immer noch ein Gegenstand der betreffenden Vorstellung bleibt. Haben wir nun eben gesehen, daß durch die ox-Vorstellungen jedenfalls auch die õ in irgendeiner Weise erfaßt werden, um derentwillen die ox für Erscheinungen der õ gelten, dann ist es, wenn ich recht sehe, kein unstatthaft großer Schritt, der zu der Vermutung führt, daß es auch hier der verschiedene Grad der Genauigkeit sein möchte, der die Zuordnung desselben Inhaltes zu verschiedenen Gegenständen mit sich führt. Daß es auch hier der verschiedene Grad der Genauigkeit sein möchte, der die Zuordnung desselben Inhaltes zu verschiedenen Gegenständen mit sich führt. Daß ox die Erscheinung des õ ist, das besagt dann, daß ox ein recht genau, õ ein sehr ungenau erfaßter Gegenstand derselben Vorstellung ist, mit dem Nebengedanken, daß õ existiert, ox aber nicht.

Habe ich bisher recht, dann ist nun auch der zweite Fragepunkt, was denn das an den ox vollzogene apriorische Urteil für die õ zu bedeuten hätte, nicht allzuschwer zu erledigen. Wenn man sagt, daß man zwei Gegenstände miteinander vergleicht, so kann das doch streng genommen nicht so verstanden werden, als ob die erforderliche psychische Operation an diesen Gegenständen selbst angreift; die Gegenständen brauchen ja, wie das Beispiel der ox beleuchtet, gar nicht zu existieren. Auch der Name "Vorstellungsproduktion" läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß das, mit dem operiert wird, eigentlich die Vorstellungen genauer deren Inhalte sind. Damit stimmt bestens, daß der sonst so durchgreifende Gegensatz von Auswärts. und Einwärtswendung an den Vergleichsergebnissen gar nicht sehr hervortritt: man wird oft nicht so leicht sagen können, ob man Inhalte oder ob man Gegenstände miteinander vergleicht. Das ändert natürlich gar nichts daran, daß man die Vergleichsergebnisse stets auf das bezieht, was durch die betreffenden Vorstellungen erfaßt wird, und zwar kommt die Evidenz des apriorischen Urteils natürlich den genauest erfaßbaren Gegenständen am meisten zustatten. Für die Einwärtswendung, wo es Genauigkeitsgrade nicht zu geben scheint, vielleicht gar nicht geben kann, hat dies eben darum nichts zu bedeuten. Umso mehr für die Auswärtswendung, bei der es nun kaum mehr befremden kann, daß mit unvollkommenerer Genauigkeit auch die unvollkommenere Evidenz, d. h. eine Vermutungs- statt eine Gewißheitsevidenz, eventuell solche für immer schwächere Vermutungsgrade, Hand in Hand gehen wird. Die Anwendung auf unseren Fall ist nun ohne Weiteres zu vollziehen. Sind die ox und die õ bzw. denselben Inhalten zugeordnet vermöge verschiedener Genauigkeit im Erfassen, stehen überdies die ox am vorderen Ende der Genauigkeitslinie im Erfassen, so eignet die Verschiedenheit, deren Vorstellung mit Hilfe der betreffenden Inhalte zu produzieren ist, den ox mit evidenter Gewißheit, den entfernteren Gliedern der Genauigkeitsreihe mit Evidenz bloß für Vermutungen, deren Stärke von der Genauigkeit abhängg, mit der der betreffende Gegenstand noch erfaßbar ist. Kommt jedem õ eine Stellung in einer solchen Reihe zu, so ist nun auch verständlich, wie die õ an den für ox geltenden Vergleichserkenntnissen mit entsprechend herabgesetzter Evidenz partizipieren können.

Das Wichtigste, was wir also der Diskussioin der angewandten Vergleichsurteile aus dem Bereich äußerer Aspekte zu entnehmen haben, ist dies, daß diesen äußeren Aspekten nicht in in Bezug auf das substantielle Moment o, sondern auch in Bezug auf die Inhärenzen von ox eine wahrnehmungsartige Funktion zukommt. Wahrnehmungen im eigentlichen Sinn freilich wird man darum diese Aspekte doch nicht nennen können: beträchtlichere Ungenauigkeit widerspricht dem, was wir uns unter einer Wahrnehmung denken, noch viel deutlicher als beträchtlichere Ungewißheit. Vielleicht aber könnte man sich im Bedarfsfall des Ausdruckes "Halbwahrnehmung" bedienen, der ähnlich wie "Halbmetalle", "Halbedelsteine" und dgl. zu verstehen wäre, dem dann das, was man allein für Wahrnehmungen gelten läßt, etwa als Ganz- oder Vollwahrnehmungen an die Stelle gestellt werden kann.

Sofern äußere Aspekte Halbwahrnehmungen sind, haben sie, bzw. ihre Inhalte also die bedeutsame Eigenschaft, zugleich zwei Objekte zu besitzen, ein phänomenales und ein noumenales. Der Fehler dessen, was man oft den "naiven Realismus" genannt hat, wäre im Hinblick hierauf dahin zu präzisieren, daß das phänomenale Objekt äußerer Aspekte als noumenales behandelt, anders ausgedrückt: daß für eine Vollwahrnehmung genommen wird, was nur Halbwahrnehmung ist. Si parva licet componere magnis [Wenn man Kleines mit Großem vergleichen darf. - wp], könnte man sagen: der naive Realist verfährt nicht unähnlich einem Patienten, der, um der Ordination gemäß sein Medikament auch gewiß eine halbe Stunde vor der Mahlzeit zu nehmen, Anfang und Ende dieser Zeitstrecke durch die feinsten Zeitmeßinstrumente zu bestimmen für nötig hielte. Wie dieser den Sinn der Ordination verkennt, so jener die Bedeutung der äußeren Aspekte.

Nun wollen aber auch die voranstehenden Ausführungen nicht zu einer Überschätzung dieser äußeren Aspekte führen. Mit diesen ist für sich allein so wenig anzufangen, daß nicht einmal ein Ausdruck für sie, ein expliziter natürlich, der Sprache zur Verfügung zu stehen scheint. Ihre Erkenntnisbedeutung tritt vielmehr erst in jenen angewandten Vergleichsurteilen hervor, die man, immerhin vielleicht etwas äußerlich, auch als Übertragung der betreffenden Relation von den Phänomenen auf die Noumena bezeichnen kann. Wir wollen diesen Übertragungsfällen noch in dreierlei Hinsicht etwas näher treten. Vergleichsrelationen sind, wie bereits bei verschiedenen Gelegenheiten hervorzuheben war, ideal, genauer: es sind ideale Gegenstände höherer Ordnung oder, wie man kürzer sagen kann, ideale Superiora. Im gegenwärtigen Zusammenhang verlangt nun zunächst die Tatsache einige Klärung, daß ideale Superiora zur Erkenntnis noumenaler Wirklichkeit herangezogen werden. Dann ist über die Natur geeigneter Superiora, endlich über den Wert der Phänomene als Erkenntnismittel das Nötigste darzulegen.


§ 21. Die Wirklichkeitserkenntnis
durch ideale Superiora

Zunächst dürfte billig befremden, daß im Obigen den Noumenen o oder, wie man bei Einbeziehung des substantiellen Momentes o auch sagen kann, den Dingen ansich, den Õ, Verschiedenheiten und Ähnlichkeiten nachgesagt wurden, obwohl an diesen Relationen die Subjektivität des Erkennenden mindestens ebenso zur Geltung kommen muß als bei den Phänomenen ox oder O, ja noch weit mehr, da jene Relationen idealer Natur, insofern also ganz existenzfremd und durch Inhalte erfaßt sind, deren Zustandekommen durch Vorstellungsproduktion) den Anteil des subjektiv Erarbeiteten an ihnen besonders hoch anzuschlagen zwingt. Wir mußten ablehnen, die Dinge streng blau oder grün zu nennen, weil wir wissen, wie diese Qualitäten als Pseudo-Existenzen von der Beschaffenheit unseres Sehorgans abhängen. Sind nun jene Relationen nicht ebenso abhängig von der Beschaffenheit unseres intellektuellen Organismus, und ließe sich nicht vermuten, daß bei anderer Beschaffenheit dieses Organismus die Vorstellungsproduktion, falls sie dann überhaupt stattfände, ganz andere inhaltliche und daher auch gegenständliche Ergebnisse zutage fördern müßte?

Man kann hier vor allem leicht erkennen, daß diese Schwierigkeit, falls sie ja besteht, dem Gebiet der Halbwahrnehmung durchaus nicht charakteristisch ist. Auch wenn einer ein Gefühl von einer Begehrung verschieden findet, oder ein Pseudo-Objekt von einem zweiten, hat er Idealrelationen auf "Wirklichkeiten" angewendet. Daß bei den Halbwahrnehmungen Gegenstände höherer Ordnung" die ausschließliche Charakteristik der betreffenden Wirklichkeiten ausmachen, kann in dieser Hinsicht unmöglich etwas verschlagen.

Die Schwierigkeit selbst aber löst sich, wenn man wieder nur das Gegenständliche und Inhaltliche deutlich auseinanderhält. Die Verschiedenheit von Õ1 und Õ2 (ganz ebenso wie die zwischen Õ1 und Õ2, da ja das Apriori, wie wir wissen, der Existenz überhaupt nicht nachfragt) besteht, das sehen wir ein, ganz ohne Rücksicht darauf, ob wir vergleichen oder nicht. Auch zwischen Õ1 und Õ2 wird die Verschiedenheit durch das Vergleichen nicht erst gemacht, sondern bloß mit dessen Hilfe erfaßt. Wären wir unfähig, zu vergleichen, so würden wir die Verschiedenheit natürlich nicht erkennen; sie bestünde aber doch. Und wären wir so organisiert, daß die Vorstellungen des Õ1 und Õ2 andere als Verschiedenheitsvorstellungen produzierten, so käme dabei, falls die erforderliche Evidenz nicht fehlen würde, zum Vorscheint, daß zwischen Õ1 und Õ2 etwa eine Relation besteht, die bei unserer tatsächlichen intellektuellen Organisation unbekannt geblieben ist. Zwischen zwei Gegenständen können ja die verschiedensten Superiora bestehen; von zwei Tönen z. B. gilt, daß sie verschieden sind, daß sie ihrer zwei sind, ein Motiv ausmachen usw. Nie aber dürfte (von gewissen Einschränkungen abgesehen, auf die wir sogleich unten zurückkommen) ein Wechsel in der Natur des Erkennenden dahin ausschlagen, daß, was einmal als verschieden eingsehen wurde, ein andermal als gleich angesehen wird. Evident Gewisses widerspricht sich nicht, und wo ein Widerspruch vorliegt, fehlt sicher mindestens einem der widersprechenden Objektive die Evidenz für Gewißheit. So wird man in Bezug auf ideale Gegenstände den Einfluß der Subjektivität durchaus nicht in Abrede zu stellen brauchen: diese führt aber, soweit die Evidenz nicht ausbleibt, nur zu einer Art Auswahl unter den gleichsam verfügbaren Superioren, deren Gesamtheit der durch seine Natur begrenzte Intellekt zu ermessen gar nicht versuchen kann. Aber die Gültigkeit dessen was wir, so wie wir einmal beschaffen sind, a priori zu erkennen vermögen, wird durch diese Subjektivität in keiner Weise in Frage gestellt. Die Dinge ansich sind also gleich, ungleich etc. Gelten uns aber bei Wahrnehmbarem die Superiora, die ihm zusammen mit anderem Wahrnehmbaren zukommen, als eine Art Instrument, ihr Sosein noch anders als durch ein direktes Erfassen zu erkennen, dann wird diesen Superioren die Dignität des Erkenntnisinstrumentes nicht weniger, sonder nur noch weit mehr dort zuerkannt werden müssen, wo, wie im Falle der Halbwahrnehmung, der Weg des ausreichend genauen direkten Erfassens gar nicht offen steht.


§ 22. Die Prärogative der Verschiedenheit
und das Wahrnehmungsforum

Wir wenden uns der Beschaffenheit dieser Superioren selbst zu. Indem eben von Gleichheit und Verschiedenheit als Erkenntnismitteln die Rede war, konnte sich besonders leicht die Frage einstellen, ob verschiedene Superiora als Erkenntnismittel auch gleich gut sind. Es ist nämlich sofort ersichtlich, daß die Übertragung der an den ox sich darbietenden Relationen auf die õ sich weit überzeugender vollzieht, wenn es sich um Verschiedenheit, als wenn es sich um Gleichheit handelt. Daß zwei Dinge, die verschieden aussehen, auch verschieden sind, das leuchtet dem einigermaßen Nachdenklichen um vieles besser ein, als daß, was gleich aussieht, darum auch gleich sein müßte. Aber diese zweifellose Prärogative [Vorrecht - wp] der Verschiedenheit vor der Gleichheit kommt nicht erst beim Übergang von Phänomenen zum Noumenon zum Vorschein. Sie macht sich bereits auf rein apriorischem Gebiet geltend, also dort, wo für diesen Gegensatz, da es sich überhaupt nicht um Existenzen handelt, gar kein Raum ist. Auch ohne der Existenz nachzufragen, steht uns für Gleichheit sehr oft eine weit weniger gute Evidenz zu Gebote als für Verschiedenheit. Verschiedenheiten unter der "Schwelle" stellen sich, wir hatten oben bereits davon zu reden, wie Gleichheiten dar, und bei Gegenständen, die ausreichend fein variabel sind, kann man der scheinbaren Gleichheit nicht ansehen, ob sie keine unterschwellige Verschiedenheit ist. Natürlich steht es bei der Übertragung auf Noumena nicht anders; man kann nur nicht etwa sagen, daß die Gleichheit sich weniger leicht übertragen läßt als die Verschiedenheit. Phänomenale Gleichheit gewährleistet noumenale nicht weniger, als phänomenale Verschiedenheit noumenale verbürgt; was diese vor jener voraus hat, ist nur dies, daß sie schon phänomenal leichter festzustellen ist.

Inzwischen gibt es Umstände, unter denen diese Prärogative der Verschiedenheit doch nicht durchzuschlagen vermag. LOCKEs wiederholt erwähnter Temperaturversuch beleuchtet dies: wir empfinden zwei verschiedene Temperaturen, das Wasser hat aber bloß eine. Es ist dabei auffallend, wie am empfindenden Subjekt die Vermutungsevidenz zutage tritt. Vulgär sagt man: auch nach der Belehrung über den wirklichen Stand der Dinge besteht der "Schein" fort; die Halbwahrnehmung verlangt nach wie vor ihr Recht, kann sich nur nicht gegenüber dem Gewicht der Belehrung bzw. der durch sonstiges Nachdenken gewonnenen Überzeugung behaupten.

Was an diesem Beispiel aber vor allem zu lernen ist, das ist die Bedingung, unter der jene Prärogative besteht, und in der man zugleich das maßgebenste Korrektiv für sämtliche Vergleichsübertragungen erkennt. Ich glaube sie einfachst charakterisieren zu können als Gleichheit des Wahrnehmungsforums. Die Verschiedenheit der Temperaturempfindungen trotz Gleichheit der Reize hat ja ihren Grund darin, daß verschiedene, genauer verschieden adaptierte Temperaturempfindungsorgane in Verwendung sind. Wenn vollends derselbe Reiz im Sinne des Gesetzes von den spezifischen Energien einmal eine Licht-, einmal eine Schall- oder Druckempfindung auslöst usw., dann ist der Anteil der verschiedenen Sinne womöglich noch auffälliger. Ebenso sieht Gestalt und Größe verschieden aus bei verschiedenen "Standpunkten" des Beschauers, und beim Wechsel dieses Standpunktes kann Bewegtes ruhend, Ruhendes bewegt scheinen. Überall bleibt der Schein bestehen im Sinne der Übertragung der von den Phänomenen geltenden Vergleichsrelationen; aber er verlangt eine Korrektur in der Weise, daß diesem Schein nur unter Voraussetzung eines identischen oder gleichen Formus stattgegeben werden kann.

Wie die beigebrachten Beispiele wohl schon ausreichend deutlich gemacht haben, versuche ich hier unter dem Namen des Wahrnehmungsforums die inneren und insbesondere äußeren Momente zusammenzufassen, von denen als Bedingungen die Beschaffenheit eines (auf Äußeres gerichteten) Wahrnehmungsinhaltes abhängt, aber natürlich unter Ausschluß dessen, was durch die betreffende Wahrnehmung erfaßt werden soll. Den inneren, bzw. äußerlich unangreifbaren dieser Momente wird natürlichst durch die Einbeziehung des Wahrnehmungssubjekts in das Forum Rechnung getragen, wenn man auch mit Superioren, die sich Aspekte verschiedener Personen aufbauen, nicht leicht zu tun haben wird. Praktischen Bedürfnissen viel näher liegt die Berücksichtigung der äußeren Momente. Als solche kommen das Wahrnehmungs- genauer Sinnesorgan, das wahrzunehmende Ding und allfällige Medien, das Wort im weitesten Sinne verstanden, in Betracht. Der erwähnte Ausschluß betrifft das zweite dieser drei Momente, und man könnte leicht glauben, es werde dabei von diesem überhaupt nichts übrig bleiben. Aber Distanz vom und Lage zum Sinnesorgan gehören, wie eben berührt, beim Erfassen von Größe, Gestalt und auch Bewegungszustand ganz unvermeidlich zum Forum, sind aber Bestimmungen, an denen das wahrzunehmende Ding nicht weniger teil hat als das Sinnesorgan. Um Mißverständnisse fern zu halten, sei hier ganz ausdrücklich betont, daß das Forum eines Wahrnehmungsaktes diesem selbst, wie er sich uns innerlich präsentiert, in keinem Fall sozusagen anzusehen ist. Der Begriff des Wahrnehmungsforums ist erst jener kausalen (oder zumindest einer ihr verwandten) Betrachtungsweise des Wahrnehmungsaktes zu entnehmen, gegen deren Verwechslung oder Verquickung mit diesem Akt bereit eine Einsprache zu erheben war. Solches Wissen über den Zusammenhang unserer Wahrnehmungsakte mit ihrer Umgebung entspringt bereits jener Verarbeitung unserer unmittelbaren Erfahrung, die außerhalb der Grenzen liegt, die ich mir in der gegenwärtigen Schrift gesteckt habe. Derlei hier heranzuziehen, ist nur insofern gerechtfertigt, als der Erfahrungswert unserer äußeren Aspekte hierdurch eine Beleuchtung erfährt. Wie vergeblich man danach in den Aspekten selbst suchen würde, erhellt sich am besten aus der erwähnten Tatsache, daß alle auf eine Berücksichtigung der Fora gegründeten Korrekturen dem Schein nichts anhaben können: das Wasser im Temperaturversuch scheint nach wie vor sowohl warm als auch kalt, auch wenn man noch so gut weiß, daß es damit unmöglich seine Richtigkeit haben kann.

Es ist einleuchtend, daß dergleichen Fora im Hinblick auf den Wert der vor ihnen zu gewinnenden Urteile bald besser, bald schlechter sein werden. Der Unterschied wird darin begründet sein, daß es in der Natur mancher Fora liegt, Verschiedenheitsurteile mehr, in der anderer Fora dagegen, sie weniger zu begünstigen. Der Farbentüchtige sieht normalerweise Verschiedenheiten, wo der Farbenblinde noch Gleichheiten sieht; bei geringerer räumlicher Distanz unterscheidet man in der Regel, was bei größerer ineinander fließt usw. Im Sinne der Prärogative des Verschiedenen aber gilt im allgemeinen das Prinzip: wenn von zwei Beschauern der eine Verschiedenheit findet, der andere Gleichheit, so hat der erstere recht. Das Prinzip hat ja wieder seine Ausnahme, sogar vor demselben Forum als das schlechtere zu kennzeichnen, vor dem weniger differenzierte Daten zu gewinnen sind.


§ 23. Übertragbare Superiora.
Phänomene höherer Ordnung.

Wir sind bisher den Tatsachen der Halbwarnehmung ausschließlich in Bezug auf die Vergleichsrelationen nachgegangen; wir müssen uns aber fragen, ob das die einzigen Gegenstände höherer Ordnung sind, bei denen die Evidenz für den Übergang vom Phänomenalen zum Noumenalen anzutreffen ist. Soviel ich sehe, ist diese Übertragung zum allerwenigsten noch für ein wichtiges Superius statthaft: die Zahl. Sehe ich zwei Menschen, höre ich fünf Töne, so mag an den Phänomenen, soweit es Sinnesqualitäten sind, nichts im strengen Sinne für die Wirklichkeit zu retten sein: aber ihrer 2 sind im einen, ihrer 5 im anderen Fall doch ohne Zweifel, und auch hier dürfte wieder nicht auf den Anteil der Subjektivität hingewiesen werden, der dem durch eine produzierte Vorstellung erfaßten Gegenstand anhaften muß. Der Zahlgedanke fungiert als Erkenntnismittel wie der Gleichheits- oder Verschiedenheitsgedanke: es stört nicht, daß hier an die Stelle der Relation eine Komplexion tritt. Die Bedeutung des Wahrnehmungsforums ist hier durch den Zusammenhang zwischen Zählung und Unterscheidung gewährleistet: Zirkelspitzen in einer Distanz, in der der tastende Finger sie mit Leichtigkeit als zwei erkennt, können, auf die Haut des Rückens aufgesetzt, sich als bloß eine Spitze darstellen.

Ist nun aber mit Vergleichsrelationen einerseits, der Zahl andererseits die Liste der übertragbaren Superiora vollständig gegeben? Ich möchte es zur Zeit nicht zu behaupten wagen; nur den Grund glaube ich angeben zu können, weswegen sich gerade Verschiedenheit (das Wort der Kürze halber für alle Vergleichsfälle gebraucht) und Zahl besonders leicht als allgemein übertragbar erkennen lassen und durch den dann jedenfalls manche Superiora aus dem Bereich des Übertragbaren ausgeschlossen werden. Es ist die große, ja schrankenlose Anwendungssphäre jener beiden Arten von idealen Gegenständen. Man kann sich kein Paar von Objekt denken, die nicht verschieden wären im eben angewendeten erweiterten Sinne; ebensowenig Objekte, die nicht einen Komplex von bestimmter Bestandsstückzahl ausmachen. Unter solchen Umständen ist natürlich eine Anwendung auf die nicht phänomenal gegebenen, also die noumenalen Objekte durchaus unbedenklich. Ganz anders steht es mit Komplexen wie Melogie, die nur auf Töne, oder solchen wie Gestalt im vulgären Sinne, die nur auf Räumliches, also schon auf große Phänomenengebiete nicht mehr anwendbar sind, so daß ihre Übertragbarkeit über den Bereich der Phänomene hinaus vollends unstatthaft erscheinen müßte. Immerhin hat sich der Gestaltgedanke, seit er einer gegenstandstheoretischen Betrachtung unterzogen wird, als sehr erweiterungsfähig erwiesen, so daß man mit Fug und Recht neben Raumgestalten etwa auch von Zeit-, Tongestalten sprechen kann usw.; und an dem mehrfach verwandten Gedanken der Bewegung ist längst aufgefallen, wie leicht sich von ihm der verallgemeinernde Übergang zum Gedanken der Veränderung vollzieht. Aber das alles reicht natürlich noch lange nicht aus, daraufhin die Übertragbarkeit ins Noumenale auch nur für durchführbar zu halten.

Genaueres hierüber muß einer künftigen Untersuchung vorbehalten bleiben. Soviel aber darf schon heute hinzugefügt werden, daß Komplexe wie Gestalt oder Bewegung, wenn auch keine direkte, so doch eine Art indirekter Übertragung ins Noumenale gar wohl gestatten, die ihnen durch das oben über Verschiedenheit und Zahl Gesagte bereits gesichert wird. Das liegt daran, daß z. B. eine Gestalt, sowenig sie sich aus Verschiedenheiten zusammensetzt, doch eine endliche oder auch unendliche Anzahl solcher Relationen in sich schließt, und insofern auch als Repräsentant dieser sämtlichen Verschiedenheiten betrachtet werden kann. Sind also diese Verschiedenheiten ins Noumenale übertragbar, so in gewissem Sinn auch deren Repräsentant; oder richtiger: im Gestaltgedanken ist dann in eigentümlicher, uns besonders leicht zugänglicher Weise ein Komplex übertragbarer Superiora zusammengefaßt und kann so für das Erfassen des Noumenalen trotz direkter Übertragbarkeit von größter Bedeutung werden. Dergleichen Gegenstände zeigen sich den phänomenalen Inferioren, auf die sie aufgebaut sind, darin ähnlich, daß nicht nur auch sie wieder vergleichbar und zählbar sind, sonder daß auch den so erkannten Verschiedenheiten und Anzahlen eine gewisse Übertragung ins Noumenale gesichert ist. Man könnte solche Objekte nicht nur, wie selbstverständlich, als Gegenstände höherer Ordnung, sondern auch insbesondere als Phänomene höherer Ordnung bezeichnen. Man weiß, welch umfassenden Gebrauch die ältere und neuere Naturwissenschaft zum Zweck der Erkenntnis der physischen Wirklichkeit gemacht hat. Ihr Vorzug war es, der in der Geschichte der Erkenntnistheorie als der der primären Qualitäten zur Geltung gelangt ist.

Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß in den obigen Übertragungen der Gedanke der Notwendigkeit ganz unvermeidlich mit übertragen worden ist. Wer von zwei Dingen der Wirklichkeit glaubt, daß sie verschieden sind, der glaubt ja natürlich implizit, daß die Verschiedenheit den betreffenden Dingen ebenso notwendig zukommt wie den Phänomenen. Eine Konsequenz hieraus ist wichtig genug, sie hier ausdrücklich zu ziehen, obwohl sie bereits ganz und gar außerhalb dieser Darlegung gesteckten Grenzen liegt. Bedeutet, wie schon so oft dargelegt worden ist, Kausalität im Wesentlichen soviel wie "notwendige Sukzession", ist aber eine zeitliche Folge als ein spezieller Fall von Verschiedenheit zu betrachten, so ist gegen eine Anwendung des Kausalgedankens auf Noumena, falls sie sich sonst rechtfertigen läßt, unter dem Gesichtspunkt ihrer vorgängigen Möglichkeit durchaus nichts einzuwenden, da demjenigen daran, was ich hier mehr oder weniger als genau das Zeitphänomen nennen möchte, dabei ansich keine andere Bedeutung für die Wirklichkeit beizumessen wäre als sonst einem Phänomen. Die in der Erkenntnistheorie der letzten hundert jahre so häufig begegnende Meinung, die Kausalität verbiete durch ihre Natur ihre Anwendung auf eine Wirklichkeit von "Dingen ansich", ist daher unbegründet.


§ 24. Bessere und schlechtere Phänomene.
Surrogative Gegenstände.

Schließlich ist nun noch der phänomenalen Objekte (O in der oben angewandten Symbolik) und ihrer Funktion beim Erkennen zu gedenken, zunächst dem eigentlich phänomenalen Bestandsstück ox nach. Dieses dient, wie wir sahen, als eigentlicher Gegenstand der Halbwahrnehmung dazu, die nicht voll wahrnehmbaren Eigenschaften õ mit Hilfe der übertragbaren Superiora zu erfassen. Gälte das Übertragungsprinzip ohne Vorbehalt, so wäre eine nächste Konsequenz desselben, daß zum gleichen Phänomen stets das gleiche Noumen, daher auch zu demselben Noumen stets nur dasselbe Phänomen gehören dürfte oder sollte. Gilt das Prinzipg aber im allgemeinen nur für das nämliche Forum, so ist damit auch schon gesagt, daß es für dasselbe Noumenon verschiedene Phänomene geben kann, und man darf sogleich erwarten, daß diese verschiedenen Phänomene nicht die gleiche Erkenntnisleistung aufzuweisen haben werden. Wissen wir vollends, daß Wahrnehmungsfora bald besser, bald schlechter sind, so ist nun ganz selbstverständlich, daß auch keineswegs alle verfügbaren Phänomene gleich gut sein werden. Das Moment, das den Vorzug gewisser Phänomene begründen muß, ergibt sich auch hier aus der Prärogative der Verschiedenheit gegenüber der Gleichheit: Phänomene werden im Allgemeinen umso besser sein, je differenzierter sie sind. Durch die Wahl geeigneter Fora wird man zu ihnen zu gelangen suchen. In diesem Sinne erfährt man vielfach durch ein Besehen Besseres als durch Betasten, sieht in der Nähe besser als von fern, durch eine Lupe oder Mikroskop besser als mit freiem Auge. Der erkenntnistheoretisch Naive, der ganz instinktiv die in dieser Richtung günstiger Wahrnehmungsbedingungen herbeizuführen sucht, hat dabei im Ganzen das Gefühl, daß es sich nur um graduelle Abänderungen handelt; aber was das Mikroskop vom Wassertropen zeigt, ist vom Anblick bei unbewaffnetem Auge nicht mehr bloß graduell verschieden. Es ist demgegenüber dann auch nichts Auffallendes mehr, wenn man ein Phänomen ganz willkürlich selbst in einer sehr auffallenden Qualität verändert, sofern es dadurch nur differenzierter wird: die Färbemethoden in der Physiologie sind ein charakteristisches Beispiel hierfür.

Im Allgemeinen kann man sagen: es ist die wesentlichste Aufgabe jeder empirischen Wissenschaft, sich mit den besten Phänomenen zu versehen. Und weiter ist es auch ganz verständlich, wie sich eine empirische Wissenschaft dazu gedrängt sehen kann, Phänomene zu erfinden, die, cum grano salis [nicht so genau betrachtet - wp] natürlich, niemals als pseudo-existente Objekte aufgetreten sind, aber geeignet scheinen, das, was die Forschung, gleichviel auf welchen Wegen, in Bezug auf die einschlägigen Noumena festgestellt hat, so zu repräsentieren, wie dies eben in der Natur der Phänomene liegt, so also, daß unter günstigen Umständen, die immerhin erweislich nie eintreten mögen, die wertvollsten Halbwahrnehmungen diese Erscheinungen zu phänomenalen Objekten haben könnten. Das ist der eigentliche, d. h. der einwurfsfreie Sinn der Versuche neuerer Naturwissenschaft, physische Vorgänge, die nicht als Bewegungen erscheinen, auf Bewegungen "zurückzuführen", wobei nur noch die Natur der Bewegung als Phänomen höherer Ordnung in dem eben erwähnten Sinn mit in Rechnung zu ziehen ist. Nur ein erkenntnistheoretisches Mißverständnis konnte zu der Meinung führen, daß es sich dabei um einen Übergang von Phänomenen zu Noumenen handeln muß oder auch nur kann.

Es wäre, wie ich nebenbei nicht unerwähnt lassen möchte, ein Irrtum mit sozusagen entgegengesetztem Vorzeichen, wenn man das eben Dargelegte so auffassen wollte, als hätte es die Naturwissenschaft hier oder sonstwo ausschließlich mit Phänomenen, also mit Phänomenen um ihrer selbst willen zu tun. (10) Man hört zwar oft genug, daß es die "Phänomene" der Wärme, des Lichtes etc. sind, die die Physik zu erforschen hat; und noch in seiner jüngsten Publikation (11) legt ERNST MACH in Bezug auf "das Land des Transzendenten" das "offene Bekenntnis" ab, "daß dessen Bewohner" seine "Wißbegierde gar nicht reizen". Die Zuverlässigkeit innerer Wahrnehmung und die bewährte Beobachtungsgabe des hochverdienten Physikers in gebührenden Ehren: aber ich kann unmöglich glauben, daß er seine Erlebnisse im gegenwärtigen Fall wirklich richtig beschrieben hat. Und so zweifle ich nicht daran, daß gerade dieses "Land des Transzendenten" es ist, dem auch seine so erfolgreichen Bemühungen galten und gelten. Phänomene als solche sind unentbehrliche Erkenntnismittel, sie sind aber niemals Ziele unseres Strebens nach einer Erkenntnis des Wirklichen.

Betrachtet man den Gegenstand O eines äußeren Aspektes im Ganzen, so erkennt man ihn als gleichsam einer doppelten Funktion zugewandt, indem er einem Teil nach Gegenstand einer eigentlichen, vollen Wahrnehmung, einem Teil nach dagegen nur Gegenstand einer Halbwahrnehmung ist, die eigentlich erst in den betreffenden Urteilen über die zu übertragenden Superiora zur Geltung kommt. Das Bedachtnehmen auf diese Superiora gehärt aber gar nicht zum Wesen des äußeren Aspekts. Zu diesem scheint vielmehr zu gehören, daß das für den Bestandteil o berechtige Existenzurteil sich gleichsam über das ganze O verbreitet, und so den Bestandteil ox ohne Evidenz und ohne Recht mitbefaßt. Das ist das Verhalten des völlig Naiven, das, wie wir sahen, einer weitreichenden Korrektur so leicht zugänglich ist. Es hat nur zugleich so sehr den Vorzug der Einfachheit und praktischen Bequemlichkeit, daß man auch nach der Korrektur, ja nach ausreichender Einsicht in das Wesen der erkenntnistheoretischen Sachlage ganz von selbst immer wieder darauf zurückkommt als auf eine Art abgekürzten Verfahrens, das man erst, wenn sich ein Bedürfnis nach größerer Genauigkeit einstellt, dann aber ohne Schwierigkeit, gegen das eigentlich gerechtfertigte auswechselt. So sind und bleiben die phänomenalen Gegenstände zugleich Gegenstandssurrogate für die meisten Erkenntnisoperationen.


§ 25. Der Kausalschluß als Ersatz
für die Halbwahrnehmungen.

Daß außerdem einem äußeren Aspekt auch noch andere Erkenntnisfunktionen zufallen können als die oben dargestellten, versteht sich; und eventuell sind auch solche darunter, die ihrem Ergebnis nach das durch Wahrnehmung bzw. Halbwahrnehmung Gewonnene noch zu unterstützen imstande sind. Dahin gehören ohne Zweifel auch Kausalerwägungen, deren oben schon vorübergehend gedacht worden ist. Ich kann mein auf innere Wahrnehmung gestütztes Wissen vom Vorhandensein eines äußeren Aspektes dazu verwenden, auf eine außersubjektive Ursache dieses Aspektes dazu verwenden, auf eine außersubjektive Ursache dieses Aspektes zu schließen. Darf man überdies bei gleichen Wirkungen im Ganzen gleiche, bei ungleichen Wirkungen ungleiche Ursachen vermuten, so führt der Kausalschluß hier auf ganz ähnliche Ergebnisse wie die Relationsübertragung aufgrund von Halbwahrnehmungen. Dies hat sehr dazu beigetragen, im Kausalschluß das Wesen unserer Erkenntnis von der Außenwelt zu suchen und die Bedeutung der Halbwahrnehmungen zu übersehen. Schon weiter oben sind Gründe gegen eine derartige Überschätzung des Kausalschlusses namhaft gemacht. Im gegenwärtigen Zusammenhang soll nochh ein Grund nachgetragen werden, der mir in besonderem Maße entscheidend scheint, dessen Anführung ich aber bis hierher aufgeschoben habe, weil er nach den voranstehenden Darlegungen über die positive Natur der Halbwahrnehmungen sich in besonders hellem Licht zeigen dürfte.

Sehe ich nämlich recht, so ist der Gedanke: "Ursache des Aspektes von O" weitaus nicht bestimmt genug, um das noumenale Õ in der Weise zu treffen, daß sich unser ganzes Verhältnis zur äußeren Wirklichkeit darauf bauen läßt. Gesetzt etwa, ich habe den Aspekt einer Kirchturmspitze oder des Stundenschlags einer Uhr; wie komme ich da eigentlich dazu, gerade die Kirchtumspitze oder den Uhrenschlag als "die Ursache" zu bezeichnen? Meine Wahrnehmungsvorstellung hat doch jedesmal noch viel nähere Ursachen. Man braucht, um das zu erkennen, durchaus keine psychophysischen Probleme aufzurollen und zu diesen etwa durch die Behauptung Stellung zu nehmen, die fragliche Vorstellung sei durch den betreffenden Vorgang im Zentralorgan kausiert. Betrachten wir vielmehr das psychische und das, gleichviel wie, ihm nächst zugeordnete physische Geschehen zusammen als eine komplexe Tatsache, so ist diese ihrer physischen Seite nach durch eine Reihe immer peripherischerer Vorgänge bis zum Sinnesorgan, jeder Vorgang im Organ aber durch physikalische Vorgänge in den leitenden Medien hervorgerufen, und erst recht spät führt dieser Regressus auf denjenigen Tatbestand, den wir als den gesehenen oder gehörten bezeichnen.

Daraufhin meint man nun wohl, es werde sich bei einem Kausalschluß eben nicht um die nächste, sondern etwa um die irgendwie entfernteste Ursache handeln. Aber abgesehen von der begrifflichen Schwierigkeit, die in dieser Auffassung sofort zutage tritt, braucht man es ja wieder nur am konkreten Beispiel zu versuchen: Ein nicht selbstleuchtender Körper, den ich gleichwohl leuchten sehe, hat sein Licht ja von auswärts, etwa von der Sonne: wer aber glaubt, wenn die in der Sonne glänzende Turmspitze Licht in seine Augen sendet, die Sonne zu sehen? Ein Spezialfall ist hier vielleicht noch deutlicher. Welchem noch so sehr an physikalische Gedanken Gewöhnten fiele es ein, das Spiegelbild einer Flamme nach dem Ort zu verlegen, wo sich die Flamme wirklich befindet?

Darf man von einem Kausalschluß verlangen, daß er wenigstens einigermaßen schrittweise zurückgeht, so wird nun erst recht anschaulich, wie wenig das, was wir beim Wahrnehmen denken, eine solche Kausalreihe ist. Vor allem aber muß die Frage aufgeworfen werden, wie es aus der Natur des Kausalschlusses allein heraus verstanden werden kann, daß derselbe zwischen dem sehr Nahen und dem sehr Fernen gerade irgendwo in der Mitte stillhält. Meines Erachtens muß diese Frage unbeantwortet bleiben, und so ist der neue Beweis dafür erbracht, daß die intellektuelle Leistung, die wir oben der Halbwahrnehmung beimessen mußten, dem Kausalschluß nicht zuzuschieben ist.

Immerhin mag man sich daraufhin versucht fühlen, zu fragen, ob denn die obigen Aufstellungen über Halbwahrnehmungen und deren Anteil am Erkennen der Außenwelt das eben aufgeworfene Problem eher einer Lösung entgegenzuführen geeignet sind. Auch den Halbwahrnehmungen gegenüber scheint ja die Frage am Platz: wie ist es zu verstehen, daß dabei etwa gerade der Kirchturm und nicht vor oder hinter ihm das Erfaßte ist? Die Frage ist in diesem Fall wohl auch so zu formulieren: wie kommt es, daß wir unsere Vorstellung vom Kirchtum gerade an diese, und weder an eine nähere noch eine fernere Stelle im Raum "projezieren"? Aber in dieser letzten Form verrät sich nun schon ganz deutlich, wie jetzt eigentlich nach etwas ganz anderem gefragt und wie die Frage schief gestellt ist. Das oft gebrauchte Gleichnis von der Projektion, das in dem einzigen Fall, wo es versprechen mochte, genau genommen werden zu können, beim Tiefensehen, sich als irreführend herausgestellt hat (12), ist auch sonst gar nicht glücklich: ich habe nichts zu "projezieren", sondern an meinem Aspekt findet sich eventuelle (die Analyse hat gerade in Sachen der dritten Dimension Schwierigkeiten, auf die hier nicht einzugehen ist) eben dieses Raumdatum als ein Stück gegenständlicher Bestimmung an sich und kein anderes.

Man meint nun vielleicht, fragen zu müssen, wie es zu verstehen ist, daß gerade diese Vorstellung, genauer dieser Inhalt, gerade auf diesen Gegenstand gerichtet ist. Aber so zu fragen möchte kaum mehr für sich haben, als wenn man wissen wollte, warum eigentlich zwei Größen, die einer dritten gleich sind, auch untereinander gleich sein müssen, oder warum ein stumpfer Winkel größer sein muß als ein spitzer. Ein großer Unterschied bleibt diesen letzten Beispielen gegenüber freilich noch übrig. Der spitze und der stumpfe Winkel sind uns unabhängig voneinander direkt gegeben, und wir erfassen daraufhin die zwischen ihnen mit Notwendigkeit bestehende Relation. Inhalt und zugeordneter Gegenstand sind uns dagegen nicht unabhängig voneinander gegeben, sondern der Gegenstand eben durch den Inhalt. Aber daß jener uns durch diesen gegeben ist, das ist eben das, was wir als letzte, als Fundamentaltatsache des Erkennens hinnehmen müssen, falls wir nicht versuchen wollen, alles Erkennen in Abrede zu stellen.

Dagegen bleibt auch unter der Voraussetzung der hier vertretenen Auffassung der äußeren Wahrnehmung allerdings ein sozusagen ganz loyales Problem ungelöst: wie kommt es, so darf man fragen, daß ein bestimmtes Ding der äußeren Wirklichkeit in mir gerade eine Empfindung solchen Inhaltes auslöst, daß dieser geeignet ist, jenes Ding als Gegenstand zu erfassen? Manches an diesem Problem wird sicher dadurch vereinfacht, daß es, wie wir sahen, für die Halbwahrnehmung eigentlich auf die "absolute" Beschaffenheit der ox, wie man oft sagt, so wenig ankommt, daß sehr verschiedene ox von gleichem Funktionswert gedacht werden können. Aber daß die ox sich doch innerhalb jener Grenzen von Subjektivität halten, die das Prinzip der Übertragung der oben genauer bezeichneten idealen Superiora mit sich führt, das ist eine ebenso wichtige wie dunkle erkenntnispsychologische Tatsache. Und es wäre immerhin möglich, daß nur der Entwicklungsgedanke sich als geeignet erweisen mag, einiges Licht in dieses Dunkel zu bringen.


ANHANG

§ 26. Ergebnisse.
Noch einmal die Außenwelt.

Es dürfte der Übersicht über die voranstehenden Darlegungen förderlich sein, wenn ich deren Hauptresultate im Folgenden unter Angabe der betreffenden Abschnitt- und Paragraphenzahlen kurz zusammenfasse:

1. Dem empirischen Wissen steht ein von der Erfahrung unabhängiges, in diesem Sinne apriorisch zu nennendes Wissen zur Seite. Die Unabhängigkeit, die es charakterisiert, betrifft nicht die Vorstellung, sondern das Urteil. Apriorische Erkenntnisse sind in der Natur ihrer Gegenstände begründet, haben Evidenz für Gewißheit und gelten mit Notwendigkeit ohne Rücksicht darauf, ob ihre Objekte existieren oder nicht. Apriorität hat mit Angeborenheit nichts zu tun und verträgt sich bestens mit Entwicklung und Fortschreiten der menschlichen Intelligenz.

I.2. Erfahrung im eigentlichen Sinne oder unmittelbare Erfahrung fällt mit Wahrnehmung zusammen. em class=tit10>3.
Diese ist nicht bloß Vorstellung, sondern vor allem Urteil. em class=tit10>4.
Alle Wahrnehmungen sind, obwohl der sprachliche Ausdruck dies oft in unvermeidlicher Weise verdunkelt, Existenzurteile, und zwar solche mit positivem Objektiv. em class=tit10>5.
Ihre Objekte sind real; sie sind zunächst Dinge, nicht bloß Eigenschaften; alles Wahrgenommene ist gegenwärtig. em class=tit10>6.
Konstitutiv für alles Wahrnehmen ist außerdem, nicht so sehr, daß es vom Wahrgenommenen verursacht, als daß es ein Erkennen ist, d. h. Evidenz hat. Diese ist unmittelbar, doch fehlt ihr die Notwendigkeit.

II.7. Die Frage, wann Aspekte, d. h. Scheinwahrnehmungen, für wirkliche Wahrnehmungen gelten dürfen, verlangt eine Untersuchung namentlich hinsichtlich der beteiligten Objekte. 8. Dieselbe führt im ganzen Bereich äußerer Wirklichkeit zunächst zu negativen Ergebnissen: die sogenannten primären Qualitäten sind nicht weniger subjektiv als die sogenannten sekundären.

III.9. Dagegen wird den inneren Aspekten durch das Prinzip von der Evidenz der inneren Wahrnehmung eine Ausnahmestellung zugeschrieben. Apriorische und viele empirische Einwendungen gegen dieses Prinzip sind zu widerlegen; aber mit Unrecht würde allen Urteilen über inneres Geschehen eine Evidenz beigemessen. Gleichwohl gibt es eine innere Wahrnehmung. 10. Die günstigsten Bedingungen, innerlich wahrgenommen zu werden, bieten "bloß in der Vorstellung existierende", besser: pseudo-existierende, reale, zunächst physische Objekte. 11. Was hier wirklich existiert, sind einwärts gewendete Inhalte. 12. Innere Totalerlebnisse, innere Akte und ideale Pseudo-Objekte machen die drei übrigen Hauptgruppen des innerlich Wahrnehmbaren aus. 13. Die Forderung strenger Gleichzeitigkeit des Wahrnehmens mit dem Wahrgenommenen ist selbst für die innere Wahrnehmung unerfüllbar; das Zusammentreffen in einem Gegenwärtigkeitspunkt, bzw. einer Gegenwärtigkeitslinie muß genügen. 14. Das Normalverhältnis zwischen einer Wirklichkeit und ihrer (inneren) Wahrnehmung ist also die unmittelbare Aufeinanderfolge. Die Evidenz der inneren Wahrnehmung ist, gleich der des Gedächtnisses, eine bloße Vermutungsevidenz, die nur an der Gegenwärtigkeitsgrenze die Gewißheitsgrenze erreicht. 15. Die Einwärtswendung, auf die alle innere Wahrnehmung zurückgeht betrifft nur bei Pseudo-Existenzen die Inhalte, sonder die wahrgenommenen Objekte selbst als Quasi-Inhalte. 16. Bei einer Entfernung von der Gegenwärtigkeitsgrenze tritt, wie in der Erinnerung, ein auswärts gewendetes Phantasieerlebnis an die Stelle des einwärts gewendeten Ernsterlebnisses; Vorstellungen innerer Erlebnisse scheinen sonach nirgends vorzukommen.

IV.17. Zeigt sich das Wahrnehmungsideal bei inneren Aspekten doch nur mehr oder weniger unvollkommen verwirklicht, so eröffnet dies die Aussicht, auch den äußeren Aspekten trotz ihrer Mängel nicht jeden Wahrnehmungscharakter absprechen zu müssen. Praktisch sind wir hieran besonders durch unser Verhältnis zur Außenwelt interessiert, die sich vorgängig weder als unmöglich noch als unerkennbar ablehnen, auch nicht in bloße Wahrnehmungen oder Wahrnehmungsmöglichkeiten auflösen läßt. Im Kausalschluß wäre, was die Erkenntnis des Außenwelt anlagt, ein Ersatz für äußere Wahrnehmung nicht zu suchen. 18. Mit dem Vertrauen auf unsere Sinne steht und fällt also im Wesentlichen unsere Überzeugung von der Existenz einer äußeren Wirklichkeit. Die praktische Unerschütterlichkeit dieser Überzeugung verbürgt die Berechtigung jenes Vertrauens. Damit sind die vielen Irrtümer aufgrund äußerer Aspekte verträglich, wenn es sich auch hier nicht um Evidenz für Gewißheit, sondern, wie beim Gedächtnis und dessen Täuschungen, um ein Vermutungswissen handelt. Insofern gibt es auch eine äußere Wahrnehmung. 19. Sie bietet eine sehr gute Vermutungsevidenz für die Existenz von Dingen, eine sehr schlechte für die Existenz der erscheinenden Eigenschaften. Diese heißen aber phänomenal, weil auch gute Evidenz dafür besteht, daß die Dinge noumenale Eigenschaften haben, von denen dieselben Vergleichsrelationen gelten wie von den phänomenalen. 20. In der Übertragbarkeit dieser Relationen verrät sich, daß die äußeren Aspekte phänomenaler Eigenschaften ungenaue oder Halbwahrnehmungen sind. 21. Die Subjektivität der Vorstellungsproduktion tut der Anwendbarkeit idealer Superiora auf die "Dinge ansich" keinen Eintrag. 22. Die natürliche Prärogative der Verschiedenheit vor der Gleichheit bewährt sich auch bei der Übertragung, doch nur unter der Voraussetzung der eigentlich für alle Übertragung erforderlichen Gleichheit des Wahrnehmungsforums. 23. Übertragbar ist auch die Zahl. Andere Komplexe, wie Gestalt und Bewegung, sind gleichsam Phänomene höherer Ordnung. Auch der Notwendigkeits- und der Kausalgedanke ist auf Noumena anwendbar. 24. Die Phänomene selbst können besser und schlechter sein. Empirische Wissenschaft hat die besten Phänomene aufzusuchen oder selbst zu erfinden. Die Phänomene sind die gegenständlichen Surrogate für die meisten intellektuellen Operationen in Bezug auf die äußere Wirklichkeit. 25. Die Leistung der äußeren (Halb-)Wahrnehmung ist auch deshalb durch keinen Kausalschluß zu ersetzen, weil dieser ebenso auf zu nahe wie auf zu ferne Ursachen führen könnte.

Es überschreitet mehr in der Form als in der Sache die Grenzen dieser Zusammenfassung, wenn ich am Schluß derselben nun auch noch ganz ausdrücklich den Standpunkt kennzeichne, der sich uns in der Frage nach der Existenz und Erkennbarkeit der Außenwelt ergeben hat. Ich entsinne mich der Äußerung eines jüngeren physikalischen Freundes, es entspräche durchaus seinen Gefühlen, an eine äußere Wirklichkeit zu glauben, - nur müsse er zuvor den Rechtsgrund hierfür ebenso aufgewiesen bekommen wie für den Glauben an die innere Wirklichkeit. Die Forderung ist nicht ganz billig, wenn damit gemeint ist, der eine Glaube müsse, um annehmbar zu sein, auf eine ebenso gute Grundlage gestellt sein wie der andere, zumal wenn dieser andere zum Besten gehört, was wir an Erkenntnis besitzen. Bescheidet man sich dagegen, wie man es ja doch auch der inneren Wirklichkeit gegenüber in der Regel muß, dann ist die Forderung erfüllbar. Wir wissen um unsere inneren Erlebnisse zunächst durch evidente Urteile innerer Wahrnehmung; wir wissen um die Dinge der Außenwelt zunächst ebenfalls durch evidente Urteile, die Urteile äußerer Wahrnehmung. Vermutungswissen ist im Einzelfall dieses wie jenes, nur daß jenes die Gewißheitsgrenze erreichen kann, dieses nicht. Jenes gestattet ein genaues Erfassen der Wirklichkeit auch ihrem Sosein nach, dieses nur die so weitgehende Ungenauigkeit der Halbwahrnehmung, die in den Erscheinungen ein gegenständliches Surrogat besitzt, das das noumenal Zugeordnete bloß auf dem Umweg über gewisse ideale Superiora zu erkennen gestattet. Das ist freilich, namentlich soweit dabei eben nur die unmittelbare Erfahrung in Frage kommt, ein sehr unvollkommenes Erkennen; aber die Verarbeitung dieser Erfahrung vermag vieles daran zu bessern, so daß zumindest über die Existenz einer Außenwelt ganz im Allgemeinen mit einer Zuversicht geurteilt werden darf, der die Gewißheit in Bezug auf die Existenz der Innenwelt nur theoretisch überlegen ist. Weniger günstig bleibt es freilich mit unserem Wissen um das (absolute) Sosein der Außendinge bewandt, bei dem keine wie immer gerartete Verarbeitung uns von den Phänomenen zu emanzipieren vermag. Nur an einen Fortgang in der Entwicklung intellektueller Kräfte könnte man denken, der die Tendenz hätte, die Phänomena an die Noumena gleichsam anzunähern, d. h. die Inhalte äußerer Aspekte derart abzuändern, daß sie bereits bei immer geringerer Ungenauigkeit die Noumena sozusagen zu erreichen vermöchten. Dann stellt sich aber auch die gegenwärtige Beschaffenheit der uns verfügbaren Inhalte, die wenigstens die Übertragung gewisser idealer Superiora auf die Noumena gestattet, als das Produkt einer Entwicklung dar, die, sowenig wir auch zur Zeit über ihren Verlauf zu vermuten imstande sind, in ihrer Unabsehbarkeit gar wohl geeignet sein mag, uns von jener Unterschätzung unserer intellektuellen Leistungen abzuhalten, die diesen den Namen des Erkennens verweigern möchte, solange sie kein vollkommenes Erkennen sind.
LITERATUR - Poske/Höfler/Grimsehl (Hrsg), Abhandlungen zur Didaktik und Philosophie der Naturwissenschaft, Heft 6, Berlin 1906
    Anmerkungen
    1) vgl. § 8, besonders am Ende.
    2) Vgl. zum Folgenden insbesondere die scharfsinnigen Untersuchungen WILHELM FREYTAGs in seinen beiden Schriften "Der Realismus und das Transzendenzproblem", Halle/Saale 1902 und "Die Erkenntnis der Außenwelt", ebd. 1904. Dazu meine Anzeige in der "Deutschen Literaturzeitung", 1905, Spalte 2246f.
    3) WILHELM FREYTAG, Der Realismus und das Transzendenzproblem, Seite III und 108f.
    4) Mit dem oben mehr als überflüssig, denn als eigentlich unrichtig abgelehnten Gedanken, die Verursachung durch das Wahrgenommene in den Begriff der Wahrnehmung ganz im Allgemeinen aufzunehmen, hat dies natürlich nichts zu tun.
    5) Übereinstimmend mit HERMANN SCHWARZ ("Das Wahrnehmungsproblem", Seite 404), der sich in dieser Sache auch auf UPHUES und RIEHL beruft. Daß er im Anschluß an UPHUES trotz auch noch mancher anderen Übereinstimmung in den Ausgangspunkt (vgl. a. a. O. § 32) doch zu einer ganz anderen Auffassung der äußeren Wahrnehmung gelangt, als ich im Folgenden zu vertreten vermag, daran könnte leicht noch einmal die Pseudo-Existenz beteiligt sein. Zumundest glaube ich nicht, ,daß jenen "Sinneseindrücken", denen UPHUES (Wahrnehmung und Empfindung", Leipzig 1888, besonders Seite 247f) als Objekten äußerer Wahrnehmung Existenz zuschreibe, mehr als Pseudo-Existenzen beigemessen werden kann.
    6) Ob die hier vorübergehend angewendeten Ausdrücke "Erscheinungsgegenstand" und "erscheinender Gegenstand" für den technischen Gebrauch deutlich genug entgegengesetzt sind, ist mir zweifelhaft. Daher ist weiter unten im selben Sinn von einem phänomenalen und noumenalen Objekt die Rede.
    7) Der Plural kann an der gegenwärtigen Stelle dieser Untersuchung angreifbar scheinen: die ausdrückliche Rechtfertigung hoffe ich bald (vgl. unten § 23, Anfang) beibringen zu können.
    8) vgl. auch oben § 14.
    9) Einige erste Beiträge findet man in meiner Abhandlung über "Abstrahieren und Vergleichen" in Bd. 24 der Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Seite 74f.
    10) Vgl. auch meine Ausführungen "Über Gegenstandstheorie" in den "Untersuchungen zur Gegenstandstheorie und Psychologie", Seite 35f. - Besonders ALOIS HÖFLER, "Zur gegenwärtigen Naturphilosophie", Heft 2 dieser "Abhandlungen zur Didaktik und Philosophie der Naturwissenschaft", Seite 68f und 100f.
    11) In die ich erst nach fast vollendeter Niederschrift der gegenwärtigen Abhandlung Einsicht nehmen konnte ("Erkenntnis und Irrtum", Skizzen zu einer Psychologie der Forschung", Leipzig 1905, Seite VII.
    12) vgl. etwa HÖFLERs "Psychologie", Seite 289f.