tb-2cr-2 W. DiltheyR. EislerF. PaulsenE. ZellerA.RiehlW. Freytag    
 
VIKTOR KRAFT
Das Problem der Außenwelt
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    1. Methodologische Vorbemerkungen
2. Die Außenwelt als das Nicht-Ich.
3. Restriktion auf die immanente Außenwelt
4. Konstruktion des Begriffes der immanenten Außenwelt
5. Objektive und relative Realität
6. Präzisierung des Problems der Außenwelt
7. Das Problem der Außenwelt und die Immanenzphilosophie
8. Zusammenfassung

"Bevor man herkömmlicherweise nach der  Realität der Außenwelt fragen kann, muß man nach dem  Begriff der Außenwelt fragen. Man muß sich vorerst darüber klar sein, was eigentlich in Frage steht, was als Begriff der Außenwelt überhaupt  möglich ist, - um die Untersuchung nicht schon von Anfang an in die Schlingpflanzen der Metaphysik zu verwickeln."

"Was ist diese anschauliche Welt noch außerdem, daß sie meine Vorstellung ist? Es ist der jugendlich-gläubige Traum einer  absoluten Erkenntnis - einer der  Blütenträume, die nicht  reifen können - die Welt zu erkennen, wie sie  an sich ist,  abgesehen von aller Erfahrung, abgesehen von der Bestimmtheit, in der sie bewußt wird."

"In erkenntnistheoretischer Hinsicht sind die Empfindungen  ursachlos, sie sind einfach gegeben, sind letzte Daten im Regress der Erfahrung, für welche auch die Ableitung aus einer metaphysischen Ursache keine Erklärung gibt."

"Der Vermengung von Ding und  metaphysischer Substanz muß ich begegnen, infolge deren das Wesen des Dinges darin gesehen wird,  Träger seiner wechselnden Eigenschaften zu sein. Der Begriff des empirischen Dinges enthält nichts anderes, als synthetische Einheit seiner Bestimmungen; ein  Substrat derselben noch außerdem ist unauffindbar, mag man den Begriff irgendeines Dinges auch noch so sehr analysieren. Eine solche  Annahme bedeutet bereits ein  Hinausgehen über den empirischen Dingbegriff zum alten metaphysischen Substanzbegriff, zum  Ding an sich."

"Diese Gesetzmäßigkeit der Dige und ihre gemeinsame Ordnung in den absoluten Raum und in die absolute Zeit begründen nun die  Objektivität der Außenwelt, welche für sie ebenso wichtig, ebenso essentiell ist wie für das Ding. Denn durch sie wird die Außenwelt zur  einen und  gleichen für alle erkennenden Subjekte - zur  Natur; als welche sie  über dem Einzelnen steht, welche unabhängig von ihm und in sich geschlossen, als eigene, selbständige Bestimmtheit dem Subjekt gegenüber tritt, allen  gemeinsam und für jeden  dieselbe. Gerade durch diese ihre Objektivität gewinnt die Außenwelt überhaupt erst ihre fundamentale Bedeutung für die Vielheit der Subjekte; denn nur durch sie, durch ihre  Identität gegenüber den einzelnen Subjekten bildet die Außenwelt allein die Möglichkeit eines Kontakts, einer Verbindung, einer gegenseitigen Beziehung der Subjekte zueinander, hebt die Isoliertheit der Ich-Monaden auf, indem sie ihnen ein gemeinsames  Beziehungsgebiet, den interindividuellen Boden für ihr  commercium bietet."

1. Methodologische Vorbemerkungen

Wäre die tatsächliche allgemeine Anerkennung das Maß der Wahrheit, dann könnte es keine sicherere Erkenntnis geben, als unseren Glauben an die Außenwelt. Er ist so ausnahmslos vorhanden, daß überhaupt kein Mensch ohne ihn angetroffen werden könnte. Er ist psychologisch die notwendige Voraussetzung für alles Handeln. Und doch ist die Außenwelt zum  Problem  geworden, als man die Frage erhob: Was ist diese Welt, an die jeder glaubt, glauben  muß?  Welches  Recht  hat dieser Glaube? Diese Frage nach der  Begründung  der Außenwelt zu stellen, ist notwendig. Denn die Unmöglichkeit, sich praktisch diesem Glauben zu entziehen, sagt nur, daß er ein  psychologisch  notwendiges Produkt ist; sie sagt aber gar nichts über seine  objektive  Gültigkeit und seine  erkenntnistheoretische Bedeutung,  über die Voraussetzungen, die er etwa verlangt und ihre erkenntniskritische Möglichkeit. Darum bleibt es immer unabweisbare Pflicht der Erkenntniskritik, zu untersuchen, was wir von der Außenwelt  wissen  und nicht einfach an sie zu  glauben. 

Die  Methode  dieser erkenntniskritischen Untersuchung kann nun unmöglich die  psychologisch-genetische,  sondern nur die  logisch-kritische  sein; jene "transzendentale" Methode, wie sie die "Kritik der reinen Vernunft" geschaffen hat, die Methode der begrifflichen Analyse und rein logischen Untersuchung auf die Voraussetzungen und Konsequenzen hin, durch welche KANT die Probleme aus ihrer  metaphysischen  Form in die allein  wissenschaftliche  Form von Fragen über die  Erfahrungskenntnis überzuführen vermochte. Denn sobald man den Außenweltglauben, wie so häufig, bloß nach der psychologischen Seite hin untersucht, nach den Ursachen und dem Vorgang seiner  Entstehung,  kommt man über eine bloße  Beschreibung,  über eine Klarstellung doch nur des psychologischen Tatbestandes nicht hinaus. Der Zweck jeder erkenntniskritischen Prüfung ist aber eine  Wertung,  die Wertung nach wahr und falsch. Und diese kann die genetische Methode niemals ergeben. Denn alles was ist und ensteht, ist in gleicher Weise naturnotwendig, weil kausal bedingt und darum gleichberechtigt. Der Wertgesichtspunkt führt sich erst ein, sobald es sich um  Anerkennung  und  Verwerfung,  nicht aber um  Beschreibung  eines psychischen Gebildes handelt. (1) Diese kritische Methode nie mit der genetisch beschreibenden zu vertauschen, wird ein besonderes Bestreben dieser Untersuchung sein.

Die streng erkenntniskritische Behandlung des Außenweltproblems schließt aber natürlich die Erörterung psychologischer Grundbegriffe (wie Empfindung, Wahrnehmung) nicht aus; denn mit der Anwendung auf einen bestimmten, speziellen  Inhalt  ändert sich ja die  Methoden  nicht. Eine solche "phänomenologische" Untersuchung ist vor allem dort geboten, wo Gefahr droht, daß schon in jenen grundlegenden Begriffen von vornherein metaphysische Voraussetzungen eingeschlossen liegen.


2. Die Außenwelt in ihrer allgemeinsten Bestimmung als das Nicht-Ich.

Die erste Aufgabe für die Untersuchung des Problems der Außenwelt wird es sein, vorläufig wenigstens die allgemeinste Formulierung desselben festzustellen. Und diese kann nur in der Frage liegen:  Was ist  die Außenwelt? nicht aber:  Gibt  es eine Außenwelt? Denn diese letztere Fassung würde schon einen  bestimmten Begriff  der Außenwelt voraussetzen, ihr Begriff müßte schon von vornherein bekannt sein und unbezweifelbar feststehen. Bevor man herkömmlicherweise nach der  Realität  der Außenwelt fragen kann, muß man nach dem  Begriff  der Außenwelt fragen. Man muß sich vorerst darüber klar sein, was eigentlich in Frage steht, was als Begriff der Außenwelt überhaupt  möglich  ist, - um die Untersuchung nicht schon von Anfang an in die Schlingpflanzen der Metaphysik zu verwickeln. Diese grundlegende Aufgabeist aber, wie ich glaube, in den bisherigen Arbeiten über dieses Problem vernachlässigt worden.

Die erste und allgemeinste Fragestellung ist demnach:  Was ist  die Außenwelt? wenn sie auch ihrer Form nach eingeschränkter erscheint, als jene andere, indem sie das zweifellosse  Vorhandensein  einer Außenwelt überhaupt schon  voraussetzt.  Das Darf sie aber mit vollem Recht. Denn eine Außenwelt im ganz allgemeinen und undifferenzierten Sinn eines  Nicht-Ich  ist etwas Unbezweifelbares, Evidentes, Unausschaltbares. Die Scheidung von Ich und Nicht-Ich ist unmittelbar gegeben und gewiß, ist unaufhebbar. (2) Hätten wir nicht das Bewußtsein dieses fundamentalen Gegensatzes, so könnten wir überhaupt nicht nach einer Außenwelt  fragen. Die Außenwelt in dieser allgemeinsten Bestimmung als Nicht-Ich zu negieren, ist daher unmöglich;  und jene Frage: Gibt es überhaupt eine Außenwelt? läßt sich in dieser Bedeutung gar nicht aufwerfen.

Die Außenwelt ergibt sich also als das unablösbare Korrelat des Ich. Ich und Nicht-Ich ergänzen sich zur Welt. Die Außenwelt als das Nicht-Ich ist darum aber bestimmt durch die engere oder weitere Fassung des Ich. Es lassen sich nun zwei wesentlich verschiedene Begriffe des Ich unterscheiden. Das nächstliegende ist das  empirische  Ich als der Bereich der "inneren" Erfahrung der Inbegriff der Erinnerungs- und Phantasievorstellungen, der Gefühle und Strebungen. Es ist jenes Reich, das jeder nur sich allein zugänglich weiß, von niemandem zugleich gekannt, seine "Innenwelt". Diesem Ich tritt als korrelatives Nicht-Ich die wahrgenommene Welt im Raum, farbig, tönend, undurchdringlich, schwer, usw., die Welt der Maler, der Forscher, die Außenwelt des Lebens.

Sie ist aber eben  wahrgenommen;  ihre Eigenschaften, die Sinnesqualitäten, sind mit dem wahrnehmenden Subjekt verschieden, sind subjektiv bedingt. Es wurde deshalb auch die Wahrnehmung in den Kreis des Ich eingeschlossen und diesem zugerechnet. Was mir durch Wahrnehmung gegeben ist, wurde damit ebenso Teil meines Ich, "Zustand" meiner "Seele", wie ein Gefühl. So fiel, was als Außenwelt wahrgenommen wurde, in die Seele; das frühere Nicht-Ich geht jetzt auf in diesem universalen Ich. Was steht aber  diesem  Ich, das schon alles Gegebene umfaßt, als Nicht-Ich, als Außenwelt gegenüber? Offenbar nur etwas, das  niemals gegeben  wird, das immer "hinter" den Erscheinungen bleibt, ihm "zugrunde liegt", ihre Ursache ist.  Diese  Außenwelt liegt ganz  jenseits  der Wahrnehmung,  jenseits  des Erfahrungsgebietes; sie ist nur dem  Denken  erreichbar.

Es sind also  zwei Begriffe des Ich  festgestellt worden: Das  empirische  Ich, das Gebiet der inneren Erfahrung und das  monadische  Ich, die Totalität des Gegebenen. Damit ergeben sich aber zugleich  zwei Begriffe  des Nicht-Ich, der  Außenwelt:  einerseits das Gebiet der äußeren Erfahrung, die  empirische  Außenwelt, andererseits das, was jenseits aller Erfahrung, die  metaphysische  Außenwelt.

Den Grund für diese Einteilung der Außenwelt als des Nicht-Ich gibt die Verschiedenheit ihres Inhaltes, der im ersten Fall ganz in der Erfahrung ruth und sie im zweiten Fall überschreitet. Der empirische und der metaphysische Gegensatz von Ich und Nicht-Ich haben aber nicht  den  Sinn, daß es in beiden Fällen  ein und dieselbe  Welt ist, welche durch diese beiden Gegensätze nur verschieden eingeteilt wäre; nicht  den  Sinn, daß das monadische Ich einfach die Summe des empirischen Ich und Nicht-Ich darstellt; sondern es ist wieder ein neuer selbständiger Begriff, wohl eine Erweiterung des empirischen Ich, aber keineswegs um die Gesamtheit des empirischen Nicht-Ich. Die beiden Gegensätze sind vielmehr inkommensurabel [unvergleichbar - wp], jeder von beiden gehört einer an Inhalt und Umfang verschiedenen Welt an. Die Scheidung von  empirischem  Ich und Nicht-Ich liegt ganz innerhalb der  Erfahrungswelt.  In der Scheidung von  metaphysischem  Ich und Nicht-Ich tritt jedoch die Erfahrungswelt selbst in Gegensatz zu einer anderen,  erfahrungsjenseitigen  Welt.

Da somit das Nicht-Ich in zweifacher Gestalt gedacht worden ist, so erhält damit auch der Realismus, d. h. die Bejahung der Außenwelt den zweifachen Sinn eines  empirischen  und eines  metaphysischen Realismus.  Der erstere anerkennt nur die Außenwelt, wie sie in der Wahrnehmung, in der äußeren Erfahrung gegeben ist. Für den letzteren hingegen stellt die Außenwelt etwas von allem Erfahrungsgegebenen Verschiedenes dar, eine Realität an sich, welche der Wahrnehmungswelt "zugrunde" liegt.


3. Restriktion des Problems auf die immanente Außenwelt

Die Kritik ergibt nun, daß der so viel vertretene metaphysische Begriff der Außenwelt durchaus unmöglich ist. Er beruth nicht nur auf falschen Voraussetzungen, sondern bietet auch gar keine Antwort auf die Frage des Problems. Es wird gut sein, die Gründe dafür kurz und übersichtlich zu resümieren.

Die metaphysische Außenwelt ist die Welt der "Dinge außer uns". Sie ist darum nie  unmittelbar  gegeben, sondern immer nur mittelbar durch die Empfindungen (welche sie verursacht); aus diesen wird sie  erschlossen.  - Das ist die Grundform des metaphysischen Außenweltbegriffs, wie er seit DESCARTES und LOCKE bis ZELLER und HARTMANN festgehalten wurde. Der fundamentale Fehler dabei ist aber der, daß man eine solche Welt überhaupt der  Erkenntnis  und sei es auch nur der ihres  Daseins,  zugänglich glaubt. Zunächst muß diese Außenwelt immer unbestimmbar bleiben. Denn ihr Sinn ist es ja, das Erfahrungsgegebene selbst auf eine  tiefere, jenseitige  Ursache zurückzuführen, auch das  Letzte,  worauf wir empirisch zurückgehen können, auch was unmittelbar gegeben ist, wieder  abzuleiten,  aus einem metaphysischen Urgrund zu  erklären.  Der Frage nach einer  solchen  Außenwelt hat SCHOPENHAUER ihren offensten Ausdruck gegeben: "Was ist diese anschauliche Welt noch außerdem, daß sie meine Vorstellung ist?" (3) Es ist der jugendlich-gläubige Traum einer  absoluten  Erkenntnis - einer der "Blütenträume", die nicht "reifen" können - die Welt zu erkennen, wie sie  an sich  ist,  abgesehen  von aller Erfahrung, abgesehen von der Bestimmtheit, in der sie bewußt wird. Aber diesem metaphysischem Grund der Erscheinungen  können  die Bestimmungen der  Erfahrungs welt (wie Räumlichkeit, Zeitlichkeit, Ursächlichkeit) nicht zukommen, weil sie aus ihm doch ihren Ursprung nehmen sollen. Und  andere  kennen wir ja nicht. Die Übertragung der Erkenntnisprinzipien des Erfahrungsgebietes auf eine erfahrungsjenseitige Welt ist wie ein Streit um Farben in der Nacht. Da sich das  Recht  für diese Übertragung prinzipiell nicht erweisen läßt, darf man die Gültigkeit einer solchen "Erkenntnis" weder bejahen, noch verneinen; sie ist durchaus problematisch. Damit wird aber der Charakter der  Transzendenz , der  Unerkennbarkeit  für die metaphysische Außenwelt unleugbar. Denn in seiner klassischen Bedeutung findet ja das Transzendente darin sein Kriterium, daß es den Bereich  möglicher Erfahrung  als Grenze des Erkennbaren  überschreitet.  (4) Was nie als Erfahrung gedacht werden kann, was aus dem Begriff der Erfahrung hinausfällt, geht zugleich über die Möglichkeit der Erkenntnis hinaus, ist transzendent; jedoch nur, was den  Begriff  der Erfahrung überhaupt transzendiert, nicht etwa schon, was bloß über die  individuelle  Erfahrung, die Erlebnisse des Einzelsubjektes hinausgeht, nicht schon das bloß  Transsubjektive.  (5) Über jene metaphysische Außenwelt kann also ein  begründetes,  ein  wissenschaftliches  Urteil überhaupt nicht gefällt werden.

Ebensowenig läßt sich aber überhaupt auch nur ihre  Existenz  erweisen. Denn der Kausalschluß von der Empfindung auf eine metaphysische Ursache derselben - durch den das gewöhnlich versucht wird - ist völlig willkürlich und dogmatisch. Wem der Empfindungsinhalt als solcher schon Wirkung einer erfahrungsjenseitigen Realität ist, der hat sein Ergebnis schon in seinem Ausgangspunkt liegen, der begeht offenbar eine "petitio principii" [Unbewiesenes dient als Beweisgrund - wp] Der Wahrnehmungsinhalt wird nie als verursacht  empfunden;  die kausale Beziehung ist erst  hineingelegt.  Und selbst  wenn  dieser Schluß auf eine Ursache der Empfindung statthaft wäre, vermöchte er doch nicht eine metaphysische Außenwelt unzweifelhaft zu gewährleisten. Denn dann erhöbe sich erst der unfruchtbare Streit zwischen dem metaphysischen Realismus und dem subjektiven Idealismus FICHTEs, dem "Traum-Idealismus", ob eine unabhängige Realität oder etwa ein intelligibles Ich selbst die "Affektionen" erzeugt - ein Streit wie in der alten Sage der Kampf auf dem Wülpensand [Schlachtort der Gudrunsage - wp], der nie endet, weil er jede Nacht von neuem gekämpft wird und stets entscheidungslos. (6)

Das Problem der Außenwelt, die Frage: Was ist das Nicht-Ich? führt somit bei seiner näheren Bestimmung keinesfalls zum Dilemma: Ist die Außenwelt ein Traum des Ich oder eine Wirkung des Dinges an sich? Denn diese Art der Problemstellung ist von allem Anfang an sinnlos. In dieser Gestalt ist sie rein metaphysisch und notwendig unlösbar. Diese ganze Frage kann darum überhaupt nicht aufgeworfen werden. Damit erweist sich nun die Richtung, in der ZELLER, HARTMANN und ihre Nachfolger das Problem der Außenwelt finden, als von vornherein verfehlt. Der Gegensatz zu diesen Untersuchungen ist scharf zu betonen: Das Problem der Außenwelt ist kein Spezialfall des Kausalproblems; es besteht durchaus nicht in der Frage nach der transzendenten Geltung des Kausalgesetzes. Denn die Entstehung der Sinnesempfindungen kann überhaupt nicht gefragt werden, weder in metaphysischer noch in empirischer Hinsicht, weil es keine Antwort gibt.

Es ist nicht die empirische Bedingtheit der Empfindung durch die Funktion des Sinnesorgans und dieser wieder durch den Reiz, welche hier in Frage steht.  Die  ist eine naturwissenschaftliche Tatsache, weder  problematisch  noch  erkenntnistheoretisch.  Keinesfalls geht aber diese Bedingtheit der Empfindungen über die Erfahrung  hinaus;  denn sie  ist  ja Erfahrung. Was dagegen der metaphysische Realismus will, ist der Nachweis einer  transzendenten Realität  als Empfindungsursache. Stellt  diese  dann das wahre Sein dar, so wird ihm dadurch die  Erfahrungs welt nur mehr zu einem Spielt der "Vorstellungen" und der Grad und Charakter ihrer Wirklichkeit erscheint völlig problematisch. (7) "Der transzendentale Realist ist es eigentlich, welcher hernach den empirischen Idealisten spielt" (8) und die Erfahrungswelt zur  Erscheinung  entfärbt, zum bloßen Symbol des Dinges an sich. Die  Berechtigung  einer solchen Auffassung bleibt aber stets unerweislich, diese daher immer eine dogmatische Gewalttat. Es ist nur die  allgemeine  Formulierung jener petitio principii, die in der kausalen Auffassung der Empfindung liegt, welche sich in der Behauptung darstellt: Die empirische Welt ist die Erscheinung einer metaphysischen Realität. In erkenntnistheoretischer Hinsicht sind die Empfindungen  ursachlos,  sie sind einfach gegeben, sind letzte Daten im Regress der Erfahrung, für welche auch die Ableitung aus einer metaphysischen Ursache keine Erklärung gibt.

Der tiefere Grund des metaphysischen Realismus liegt aber in jener Anschauung, welche schon den Grundgedanken des kartesianischen Idealismus bildete, der Anschauung nämlich, daß das unmittelbar Gegebene sich in den "Affektionen" der res cogitans, in den "Vorstellungen" erschöpfe und die res extensa, die Raumwelt, uns daher nur durch einen  Schluß  zugänglich sei. Und diese Anschauung fußt wieder auf einer falschen Voraussetzung über das Wesen der Empfindung, welche in letzter Linie aus dem alten substanziellen Seelenbegriff fließt. Die Empfindung wird nämlich als  unräumliches, ausdehnungsloses Konkretum  angesehen, woraus dann die Notwendigkeit erwächst, ihr erst durch einen besonderen Prozeß (Projektionstheorie!) Räumlichkeit zu verleihen und weshalb eben die immateriellen "Vorstellungen" erst hinterher auf eine materielle Welt  bezogen  werden können. In dieser Voraussetzung liegen aber zwei wesentlich verschiedene Momente ungeschieden vermengt nebeneinander.  Konkret  ist an der Empfindung nur ihr  Inhalt.  Dieser trägt aber nicht nur  räumliche  Bestimmtheit vermöge der Lokalisation, sondern ist für bestimmte Klassen derselben auch  ausgedehnt.  Er ist ja das, was den wahrgenommenen Raum erfüllt. Aber der Sprachgebrauch bezeichnet mit Empfindung nicht den Inhalt, sondern die  Perzeption  dieses Inhaltes. (9) "Perzeption" sagt aber nichts anderes, als daß der Inhalt einem Subjekt gegeben ist. Empfindung ist also nur der Ausdruck für die abstrakte  Subjektivitätsbeziehung  der vorgefundenen Inhalte, für ihr Sein als aktuelle  Bewußtseins inhalte im Gegensatz zu dem als  Eigenschaft  eines Dinges; es ist auch der Ausdruck für ihre Abhängigkeit von den Veränderungen der Sinnesorgane. Empfindung ist also in diesem Sinne nur eine abstrakte Beziehung, kein Konkretum. Eben darin liegt auch der ungeheure und klaffende Unterschied, welcher den Begriff der  Seele  von dem des  Bewußtseins  trennt: Die Seele bezeichnet ein konkretes  ens,  das Bewußtsein aber nichts anderes, als ein  Verhältnis,  nur die Korrelation von Objekt und Subjekt, nur die Beziehung, daß etwas als Objekt einem Subjekt gegenübersteht. Bezeichnet also Empfindung eine Klasse von Bewußtseinsinhalten in ihrer Subjektivitätsbeziehung, denen Räumlichkeit und Ausdehnung ebenso gut zukommen können, als sie anderen Klassen fehlen - dann gibt uns die äußere Erfahrung eine räumliche und ausgedehnte Welt mit derselben Unmittelbarkeit, wie die innere Erfahrung uns ein Gefühl aufzwingt oder eine Erinnerung.

Damit versuchte ich, die Gründe zusammenzufassen, weshalb eine  Außenwelt, auf welche die äußere Erfahrung bezogen und zurückgeführt werden soll,  notwendig eine von der "Vorstellungswelt" toto genere [alles in allem - wp] verschiedene Welt darstellt und daß sie infolge dessen  tranzendent, d. h. unerkennbar  sein muß. Der früher entwickelten Scheidung von metaphysischer und empirischer Außenwelt erwächst daraus ihre entscheidende Ergänzung. Die metaphysische Außenwelt wird zur  transzendenten,  die empirische zur  immanente;  "immanent" im allgemeinen Sinn dessen, was innerhalb der möglichen Erfahrung bleibt, in dem Sinn, wie er bei KANT (10) der herrschende ist. Der Einteilungsgrund wird dabei durch das Verhältnis dieser Außenweltbegriffe zur Erfahrungserkenntnis gegeben. Was diese umgrenzt, ist immanent; was sie ausschließt, transzendent. Das  logische Kriterium  der  transzendenten  Stellung des Außenweltproblems liegt also darin, daß sie nach etwas fragt, das nie  Gegenstand der Erfahrung  werden kann (z. B. nach der Ursache der Empfindung oder danach, ob die Erfahrungswelt Erscheinung ist). Für die  immanente  Fragestellung besteht das Kriterium demgemäß in der Beschränkung auf das Gebiet möglicher Erfahrung. Diese Determination des Gegensatzes von metaphysisch und empirisch durch den Gegensatz von transzendent und immanent führt von selbst die Ausschließung der transzendenten Problemstellung herbei. Der metaphysische Begriff der Außenwelt kann nicht Gegenstand des Problems sein; denn nach ihm ist jede Frage vergeblich. Kein anderer, als der empirische Realismus (11) kann daher überhaupt in Erwägung kommen.  Die empirische Außenwelt,  "die uns allen bekannte, räumlich-zeitliche Sinnenwelt ist die einzige Wirklichkeit, von der zu reden wir ein Recht haben." (12)  Nur ums sie kann es sich daher beim Problem der Außenwelt handeln. 

Aber nicht nur die transzendente Problemstellung enthält einen prinzipiellen Fehler, sondern auch jene, welche für das Problem der Außenwelt von der  Wahrnehmung  ausgeht. Denn die Kritik der Wahrnehmung kann nur zum  Wahrnehmungs problem führen, nicht zum Außenweltproblem. In der Wahrnehmung selbst liegt nur die Frage ihrer  Richtigkeit,  nicht mehr. Die Widersprüche einzelner Wahrnehmung untereinander und allgemein die Subjektivität der Wahrnehmung als solcher können nur die Frage ergeben, ob die Welt so ist, so gedacht werden muß, wie wir sie wahrnehmen. Dieses Problem bewegt sich aber in einer ganz anderen Richtung und auf einem ganz anderen Gebiet als das der Außenwelt. Das Wahrnehmungsproblem macht die  qualitative  Bestimmung der Außenwelt zu ihrer Aufgabe, das Außenweltproblem die allgemein  logische  Bestimmung derselben. Dieses ist also viel weiter, allgemeiner, prinzipieller als jenes.

Und das Wahrnehmungsproblem setzt für seine Möglichkeit bereits eine bestimmte  Beantwortung  des Problems der Außenwelt voraus. Denn nach dem  Wirklichkeits wert der Wahrnehmung zu fragen, hat erst einen Sinn, sobald das Reich der Wahrnehmungen nicht die  einzige  Wirklichkeit ist, die wir erkennen. Das aber ergibt das Außenweltproblem. Darüber von der Wahrnehmung selbst und allein aus eine Entscheidung zu gewinnen, ist ganz unmöglich; es wird sich später zeigen, daß gerade in der Wahrnehmung das  spezifische Moment  des Begriffes der Außenwelt gar nicht zutage tritt.

Das Außenweltproble mit dem Wahrnehmungsproblem verwechseln, hieße also ganz dessen Bedeutung verkennen. Das Problem der Wahrnehmung ist ein  Spezial problem, ist erst eine  zweite  Frage. Die Untersuchungen des Außenweltproblems dagegen sind allgemein erkenntniskritisch; sie müssen viel weiter und tiefer greifen, als bloß auf das spezielle Faktum der Wahrnehmung; so sollen ja den  Gegenstand  der Wahrnehmung selbst erst  konstituieren. 

Die ursprüngliche Frage des Problems: Was ist die Außenwelt? meint also nicht:  Wie beschaffen  ist die Außenwelt? Sie sucht nicht die  spezielle, qualitative  Bestimmtheit derselben, sondern die  allgemein logische;  sie betrifft nicht eine  Klasse  von Merkmalen, sondern die Totalität der Merkmale, den ganzen  Begriff.  Sie will also sagen:  Was ist der Begriff der Außenwelt? 


4. Logisch-genetische Konstruktion des Begriffes der immanenten Außenwelt

Als die allgemeinste Determination der Außenwelt hat sich gleich anfangs die als  Nicht-Ich,  als etwas von mir Unterschiedenes, Fremdes ergeben. Wollte man aber jetzt diese Bestimmung auf  psychologischem  Gebiet verfolgen, wollte man die psychologischen Kriterien herauszuschälen suchen, weshalb die Außenwelt als  Nicht-Ich  empfunden wird, so könnte das Ergebnis immer nur ein  konstatierendes, kein erkenntnis kritisches sein; und die Konstatierung könnte ja nie zu  dem Punkt  führen, der das Problem ergibt. Wenn man "Koeffizienten der äußeren Realität" ("jenes gewissen Perzeptionen anhaftende Etwas, aufgrund dessen wir ihnen Realität zuschreiben" (13) in der Unabhängigkeit der Wahrnehmung vom Willen sucht, wie STOUT (14), oder im Gegenteil wie BAIN und PICKLER in der Abhängigkeit davon oder endlich mit BALDWIN in der Verknüpfung beider, "im Gefühl vom notwendigen Charakter von Widerstandsempfindungen und von der Fähigkeit, solche Wahrnehmungen wieder zu beliebiger Zeit zu erhalten" - so gibt man immer nur die  Motive  unseres Glaubens an die Realität der Außenwelt, aber nicht die  Gründe  dafür. Und eine solche Untersuchung könnte dann nur immer zum Wahrnehmungsproblem hinüberführen, zur Frage, ob dieses Gefühl begründet ist oder eine Täuschung. Es kommt vielmehr auf jenes spezifische Merkmal an, welches der Außenwelt als solcher  allein  zukommt und sie dadurch von allem anderen unterscheidet; es kommt auf das  logische  Kriterium an.

Nun ist die Außenwelt der Inbegriff und die Einheit der  Dinge.  Der Charakter der  Dinglichkeit, Ding  zu sein, ist keinem anderen Gebiet eigen, als der Außenwelt, ist nirgends möglich und nirgends bestimmd als hier, wo er zugleich Wesen und spezifische Eigenart ausdrückt.  In der Dinglichkeit, Gegenständlichkeit liegt also das logische Kriterium der Außenwelt.  Infolgedessen muß sich aber im Begriff des  Dinges  derjenige der Außenwelt erschließen. Aus der logischen Bestimmung des Dinges als allgemeiner Form, in KANTs Diktion: Des  möglichen  Dinges müssen sich die konstitutiven Merkmale des Begriffes der Außenwelt ergeben.

Was ist nun der Begriff des empirischen Dinges, des Dinges, wie es Objekt der Natuwissenschaft ist? - und zwar meine ich keineswegs spezielle atomistische oder energetische Theorien der Physik, sondern das Objekt, wie es die Naturwissenschaften (z. B. Petrographie [Gesteinskunde - wp] oder historische Geologie oder Physiologie) im allgemeinen voraussetzen.

Das Ding ist  Einheit;  das ist sein wesentlichstes Merkmal, seine essentielle und grundlegende Bestimmung. Und zwar  synthetische  Einheit, zusammengeschmiedet aus einer Vielheit von Elementen; nicht eine  analytische  Einheit, wie sie sich im Fortschritt der zergliedernden Analysis als letztes, unzerlegbare Element ergibt. Das Ding ist  Einheit  und keine bloße Koexistenz oder Agglomeration [Zusammenballung - wp], kein bloßer Komplex, (15) kurz, keine  Summe  von Eigenschaftsbestimmungen. Der Unterschied liegt in der Art der Verbindung. Die Elemente sind nicht einfach und beliebig aneinander gereiht, sondern durch eine Notwendigkeit der Zusammengehörigkeit verknüpft. Das Ding ist etwas ganz anderes, ist weit mehr als einfach eine Anzahl ursprünglicher, selbständiger Qualitäten, von denen die eine die andere ins Bewußtsein ruft. Es ist ein  neugewordenes, höheres Gebilde  von durchaus selbständiger Eigenart, das in seinen Merkmalen den Kreis jener Qualitäten  prinzipiell überschreitet  und gerade in senen  spezifischen  Merkmalen sich  anders  und  eigen  charakterisiert - wie sich ja zeigen wird. Es ist eine Bildung wie eine chemische Verbindung, nicht wie ein mechanisches Gemenge. Ein solches  Produkt  kann aus den Elementen der Sinneseindrücke nicht durch Assoziation, sondern nur durch Synthese erwachsen (16) HUMEs vergeblicher Versuch, das Ding aus den Sinneseindrücken auf assoziativem Weg restlos abzuleiten und das radikal-skeptische Ergebnis, zu dem er führte, gibt den negativen Beweis dafür. Für die begriffliche Analyses gilt es aber dabei gleich, wie sich diese Synthese erklären läßt und wie sie sich vollzieht. Mag man den Grund derselben mit KANT auf eine ursprüngliche Funktion des Verstandes zurückführen oder auf die Eigenart dessen, was sich dem Bewußtsein bietet, "auf die Selbständigkeit unseres Ich und den stetigen Zusammenhang", welche "ihren Reflex auf die Dinge außer uns werfen" (17) - es ist zwar ein Problem von hervorragendem Interesse, von höchster Bedeutung für die  Genesis  unserer Erkenntnis; aber für die gegenwärtige Untersuchung tritt das "Wie" der dinglichen Einheit ganz hinter ihrem "Daß" zurück.

Zunächst erweist sich das Ding als  räumliche  Einheit. Die (konstante) "Abgegrenztheit im Raum", (18) die  Raumerfüllung  gibt ihm seine Gestalt. In der Raumerfüllung liegt jenes Moment der Körperlichkeit, welches in der rein  psychologischen  Betrachtung des Dinges seit MAINE de BIRAN gewöhnlich auf die  Widerstandsempfindung  zurückgeführt, in diese aufgelöst wird. (19) Nicht die  subjektive Empfindung  des Widerstandes bei der Berührung, sondern die  objektive  räumliche  Tatsache  des Widerstandes, d. h. der räumlichen Ausschließung  der Körper, ist für den logischen Begriff des Dinges konstitutiv. Sie ist im Grundsatz der räumlichen Ausschließung", wie ihn SIGWART nennt, (20) nämlich in dem Satz: am selben Ort können nicht gleichzeitig  zwei  Dinge sein, Prinzip und notwendige Voraussetzung für die Bildung des Dingbegriffes und damit für die äußere Erfahrung überhaupt.

Ausdehnung ist aber nur topographische Fixierung der Raumpunkte, sie "bedeutet bloß, daß  etwas  einen Raum erfüllt oder einnimmt; (21) sie fordert also immer eine  bestimmte Qualität  als ihren  Inhalt,  dem die räumliche Bestimmung zuteil wird. Daraus ergibt sich das Ding zweitens als Einheit einer  Vielheit von Eigenschaften,  welche teils in den Gattungsbegriffen der Empfindungselemente, teils in gesetzmäßigen Beziehungen bestehen. (Darüber später.)

Endlich stellt das Ding auch eine  zeitliche  Einheit dar, indem es in der Zeit beharrt, eine zeitliche Kontinuitätsreihe bildet.  Veränderung  als Prädikat eines Dinges setzt abermals jene Synthese voraus, durch welche die in der Zeit stetig aufeinander folgenden Bestimmtheiten zusammengefaßt werden und damit als Veränderungen eines Beharrlichen und Identischen gelten, durch welche eine Zeitreihe von bestimmtem Inhalt zu einer  Einheit  wird.

Die bedeutsamste Bestimmung des Dinges ist aber die seiner  Objektivität.  Das Ding, wie es die Naturwissenschaft voraussetzt, ist für alle erkennenden Subjekte das  nämliche  und das  gleiche.  Seine Einheit bedeutet nicht die einer subjektiven Vorstellungsverknüpfung, eines Assoziationsproduktes, das in seiner Zusammensetzung sich mit dem jeweiligen Subjekt differenziert; sondern sie gründet sich auf  Notwendigkeit,  sie ist von jedem Einzelsubjekt unabhängig und abgelöst, indem sie etwas  Gemeinsames  darstellt. Die dingliche Einheit ist also nicht eine  zufällige,  sondern eine  notwendige,  nicht eine  individuell,  sondern eine  allgemein  gültige.

Dasjenige Moment nun, welches dieses allgemeine Schema der Dinglichkeit zum  einzelnen  Ding bestimmt, welches diesem seine individuelle Besonderheit verleiht, als das  principium individuationis  ist die  Bestimmtheit in Raum und Zeit.  Denn in Hinsicht auf die  materiale  Bestimmtheit, die Eigenschaften, ist vollständige Gleichheit zweier Dinge zumindest  denkbar  und  möglich.  Es individualisiert sie dann nur die Verschiedenheit der Raumteile, die sie zur selben Zeit erfüllen oder die Verschiedenheit der Zeitpunkte, in denen sie denselben Ort einnehmen.

Auf die wichtige Frage enzugehen, welche aus der Relativität des Einzeldinges fließt und sein Verhältnis zur empirischen Substanz betrifft, will ich mir um des ungestörten Zusammenhanges und des geraden Ganges der Untersuchung willen versagen. Aber der Vermengung von Ding und  metaphysischer  Substanz muß ich begegnen, infolge deren das Wesen des Dinges darin gesehen wird,  Träger  seiner wechselnden Eigenschaften zu sein. Der Begriff des empirischen Dinges enthält aber nichts anderes, als synthetische Einheit seiner Bestimmungen; ein  Substrat  derselben noch außerdem ist unauffindbar, mag man den Begriff irgendeines Dinges auch noch so sehr analysieren. Eine solche  Annahme  bedeutet bereits ein  Hinausgehen über den empirischen Dingbegriff zum alten metaphysischen Substanzbegriff, zum "Ding an sich". Das  Ding  im Gegensatz zu seinen  Eigenschaften  ist nichts anderes, als die  Einheit  im Gegensatz zu ihren beliebigen  Elementen.  In diesem Sinne allein bleibt der Dingbegriff frei von allem metaphysischen Einschlag, ist er rein  logisch  gefaßt.

Um nun zu resümieren:  Das Schema der Dinglichkeit ist objektive Einheit,  und  die konstitutiven Merkmale eines möglichen Dinges  erschöpfen sich
    1. in der  räumlichen  Einheit,

    2. in der  Einheit  einer Mehrzahl von Eigenschaften,

    3. in der  zeitlichen Dauer. 
Ihnen schließen sich die Bestimmtheit im Raum und in der Zeit an als die Faktoren der individuellen Besonderung.

Damit ist also der Allgemeinbegriff von einem Ding überhaupt fixiert und es sind die Momente entwickelt, die bestimmend hervortreten, wenn sich etwas als Ding charakterisiert. Daß das Ding die synthetische Einheit seiner Eigenschaften, daß es etwas Beharrliches in der Zeit darstellt usf., das liegt als unbestreitbarer Inhalt im Begriff eines jeden Dinges. Und daß der Bereich der reinen Analyse dabei nicht überschritten wurde, daß nicht wesensfremde Bestimmungen in den Dingbegriff hineingetragen wurden, statt seine eigenen herauszulösen - ein Weg, wie ihn HERBART großenteils bei seiner Entdeckung der Widersprüche im Dingbegriff ging -, dieser rein  analytische  Charakter erweist sich darin, daß jede  kritische Veränderung  des Dingbegriffs, etwa aufgrund einer Erwägung, in wiefern er sich selbst in den der Substanz überführt, unterlassen wurde.

Was das Kriterium der Dinglichkeit besagt, ist somit klargelegt. Dadurch wird es nun möglich, aus den so gewonnenen Elementen logisch-genetisch den Begriff der Außenwelt aufzubauen. Die Außenwelt häuft sich abermals nicht einfach durch  Summation  der Dinge auf, sie bildet nicht einfach die Gesamtheit, sondern vielmehr das  Gewebe  derselben; sie ist selbst wieder die synthetische Einheit derselben; sie ist selbst wieder die synthetische Einheit derselben. Denn diese sind durch die Gemeinsamkeit des  objektiven Raumes  und der  objektiven Zeit  und durch die  gesetzmäßige Wechselwirkung  wesenhaft miteinander verknüpft und zu einer  höheren  Einheit vereinigt.

In Bezug auf den räumlichen Einheitscharakter der Dinge ist es der Begriff des objektiven mathematischen Raumes, der die Dinge zur Einheit der  Außenwelt  zusammenfaßt, in Bezug auf ihre selbständige Dauer in der  Zeit,  der Begriff der absoluten Zeit. Der objektive Raum und die objektive Zeit bilden daher wesentliche Bestandteile im Begriff der Außenwelt. Das Ding ist aber auch Einheit seiner  Merkmale;  diese scheiden sich in zwei Arten: Sie gehören entweder dem Einzelding an und für sich schon an, setzten es als einzelnes, isoliertes eben aus den Empfindungselementen zusammen. Weil sie den  Dingen  zukommt, muß diese qualitative Bestimmtheit auch der  Außenwelt zukommen.  Oder sie stellen gesetzmäßige  Beziehungen  zwischen den Dingen dar,  konstante  Abhängigkeitsfunktionen. Die Eigenschaftsbeziehungen eines Dinges kennen heißt nichts anderes, als die Bedingungen kennen, unter denen es  sich  oder  andere  Dinge  verändert.  Die unveränderliche  Gesetzmäßigkeit  dieser Wandlungen gemäß dem fundamentalen Prinzip, daß unter gleichen Bedingungen jederzeit und überall gleiches geschieht, verkettet die Dinge (als Einheiten ihrer Eigenschaften) im Geschehen ihrer Veränderungen abermals zur einheitlichen Außenwelt; und die Gesetzmäßigkeit wird dadurch für diese ebenfalls zum konstitutiven Merkmal.

Diese Gesetzmäßigkeit der Dige und ihre gemeinsame Ordnung in den absoluten Raum und in die absolute Zeit begründen nun die  Objektivität  der Außenwelt, welche für sie ebenso wichtig, ebenso essentiell ist wie für das Ding. Denn durch sie wird die Außenwelt zur  einen  und  gleichen  für alle erkennenden Subjekte - zur  Natur als welche sie  über  dem Einzelnen steht, welche unabhängig von ihm und in sich geschlossen, als eigene, selbständige Bestimmtheit dem Subjekt gegenüber tritt, allen  gemeinsam  und für jeden  dieselbe.  Gerade durch diese ihre Objektivität gewinnt die Außenwelt überhaupt erst ihre fundamentale Bedeutung für die Vielheit der Subjekte; denn nur durch sie, durch ihre  Identität  gegenüber den einzelnen Subjekten bildet die Außenwelt allein die Möglichkeit eines Kontakts, einer Verbindung, einer gegenseitigen Beziehung der Subjekte zueinander, hebt die Isoliertheit der Ich-Monaden auf, indem sie ihnen ein gemeinsames  Beziehungsgebiet,  den interindividuellen Boden für ihr  commercium  bietet. Im objektiven Nicht-Ich also finden diese die gemeinsame Basis ihrer Verständigung.

Die bisherige Untersuchung ermöglich es nun wohl, eine Definition und zwar die  genetische  Definition (22) des Begriffs der empirischen Außenwelt zu versuchen:  Die empirische Außenwelt ist die Einheit der objektiven Dinge  (so wie sie ihrem Begriff nach früher bestimmt wurden),  gebildet durch den objektiven Raum, die objektive Zeit und die Naturgesetzlichkeit. 
LITERATUR: Victor Kraft, Das Problem der Außenwelt, Archiv für systematische Philosophie, Neue Folge, Band X., Heft 3, 1897
    Anmerkungen
    1) Vgl. WINDELBAND, Präludien, Kritische und genetische Methode
    2) Sie fällt aber nicht mit der Scheidung von Subjekt und Objekt zusammen. Dazu später.
    3) ARTHUR SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung I, Seite 22
    4) KANT, Kr. d. r. V., Transzendentale Dialektik, 1. Vom transzendentalen Schein (Ausgabe KIRCHMANN, Seite 292
    5) Wenn VOLKELT in "Kants Theorie der Erfahrung", I. Abschnitt, das Transsubjektive mit dem Transzendenten gleichsetzt, so involviert das einen logischen Fehler; denn beide Begriffe  sind  eben nicht identisch. Das Transsubjektive ist der  weitere  Begriff; aus ihm scheidet sich aber jenes Gebiet aus, in welchem empirische Bestimmungen  prinzipiell  nicht mehr gelten, das dadurch dem Erfahrungsgebiet als etwas durchaus  Ungleich artiges gegenübersteht. Es ist das eine notwendige und wichtige begriffliche Scheidung, welche VOLKELT wohl auch gefühlt hat, indem er so oft die erkenntnistheoretische Gleichwertigkeit des "naheliegenden" und des "ganz entfernten" Transzendenten hervorzuheben bemüht ist.
    6) Vgl. KANT, Kr. d. r. V., Kritik des 4. Paralog. (Ausgabe KIRCHMANN, Seite 696): "Demnach bleibt es in der Beziehung der Wahrnehmung auf ihre Ursache jederzeit zweifelhaft, ob diese innerlich oder äußerlich sei, ob also alle sogenannte äußere Wahrnehmung nicht ein bloßes Spiel unseres inneren Sinnes ist oder ob sie sich auf äußere wirkliche Gegenstände als ihre Ursache bezieht. Wenigstens ist das Dasein der letzteren nur  geschlossen  und läuft die Gefahr aller Schlüsse ..."
    7) Wie für VOLKELT, Kants Theorie der Erfahrung, Seite 29
    8) KANT, Kr. d. r. V., Kritik des 4. Paralog. (Ausgabe KIRCHMANN, Seite 697
    9) Aus dem paradoxen und lächerlichen Klang der Sätze, welche mit der Empfindung bloß ihren  Inhalt  meinen, schöpft ja HANSEN den Schein der Berechtigung für seine Argumentation in seiner Abhandlung "Das Problem der Außenwelt" in der Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Theorie, Bd. XV (1891). Mit der Unterscheidung von Inhalt und Perzeption desselben soll aber nicht etwa - wie aus dem folgenden klar wird - ein eigener "physischer Akt" dem Inhalt entgegengestellt werden, wie bei BRENTANO, Psychologie, Buch 2, 2. Kap., §8 und demgemäß bei UPHUES, Wahrnehmung und Empfindung, Seite 224
    10) KANT, Prolegomena §40 (KIRCHMANN, Seite 86): "... jener reinen Verstandesbegriffe, deren Gebrauch nur immanent ist, d. i. auf Erfahrung geht, soweit sie gegeben werden kann"; ferner Kr. d. r. V., c) Vom reinen Gebrauch der Vernunft (KIRCHMANN Seite 300)
    11) Im Sinne KANTs, Kr. d. r. V., Kritik des 4. Paralogismus (KIRCHMANN Seite 698): "Also ist der transzendentale Idealist ein empirischer Realist und gesteht der Materie als Erscheinung eine Wirklichkeit zu, die nicht geschlossen werden darf, sondern unmittelbar wahrgenommen wird."
    12) HEINRICH RICKERT, Gegenstand der Erkenntnis, Seite 40
    13) J. M. BALDWIN, The Coefficient of External Reality, Mind XVI, Seite 389
    14) Vgl. die Diskussion von BAIN, PICKLER und STOUT im Mind XV.
    15) Wie für HUME, Treatise on Human Nature, Teil 1, Abschnitt 6 (Übersetzung TH. LIPPS, Seite 28); JOHN STUART MILL, Logik (Übersetzung von TH. GOMPERZ Seite 46); MACH, Empfindungsanalyse, 2. Auflage, Seite 5; LAAS, Idealismus und Positivismus I, Seite 212; CORNELIUS, Psychologie, Seite 98; TAINE, De l'intelligence II, Chapter I, II
    16) Vgl. SIGWART, Logik II, Seite 123, 124; auch WUNDT, Logik I, Seite 467f, erklärt den Dingbegriff aus einer "apperzeptiven Synthese", welches sogleich "in die simultanen und sukzessiven Assoziationen eingreift".
    17) Ibid.
    18) SIGWART, Logik II, Seite 117
    19) SPENCER, Psychology II, Teil 6, Kapitel XVII, § 347/8; Teil 7, Kapitel XVIII, § 466; DILTHEY, Vom Ursprung unseres Glaubens an die Außenwelt (Sonderbericht der königlich-preußischen Akademie der Wissenschaften 39, 1890, Seite 991; selbst RIEHL, Beiträge zur Logik (Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 16, 1892, Seite 134 und "Kritizismus II, Teil 1, Seite 203
    20) SIGWART, Logik II, Seite 120
    21) A. SPIR, Wirklichkeit und Denken II, Seite 81
    22) Über die "genetische, den Begriff aus seinen Elementen entwickelnde Definition vgl. RIEHL, Beiträge zur Logik" in der Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosopie, Bd. XVI, Seite 10