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Kants Analogien der Erfahrung [3/4]
ERSTER TEIL Bedeutung und Umfang, Quelle und Wert der Analogien der Erfahrung. Allgemeine Bedenken. [Fortsetzung 2] 8. Die letzte Quelle aller synthetischen Grundsätze a priori liegt bekanntlich in den "formalen Verstandeshandlungen", welche sich in den "Urteilen" ausgeprägt finden. Es soll die logische "Relation" der Urteile sein, welcher analog die Analogien der Erfahrung ein empirisch reales objektiv gültiges Verhältnis bezeichnen; danach heißen sie. (36) Da ist zunächst Eines höchst auffällig, daß die erste Analogie, der Grundsatz: Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt die Substanz, und das Quantum derselben wird in der Natur weder vermehrt noch vermindert (so nach der zweiten Auflage der "Kr. d. r. V."), wie KANT selbst sagt, eine reale "Relation" gar nicht enthält, daß KANT es selber tadeln muß, wenn man, um eine Relation herauszubringen, die besondere Art und Weise, wie die Substanz in den Akzidenzien existiert, als ein besonderes Dasein faßt, das man als Inhärenz dem Dasein der Substanz als Subsistenz [das Bestehen durch sich selbst - wp] gegenüberstellt. Eigentlich liegt gar keine Sonderung und Kontraposition, sondern nur eine logische Abstraktion vor; es entspringen sogar aus der Überspielung des logischen in ein reales Verhältnis "viele Mißdeutungen";
Auch dies ist nicht unbedenklich und gleichfalls dazu angetan, die Isolierung der Grundsätze anzuempfehlen, daß im kategorischen Urteil: der Stein ist hart - wie KANT selbst sieht, - es "dem Verstand unbenommen bleibt", die logische Funktion der im Subjekt und Prädikat verwerteten Begriffe "umzutauschen und zu sagen: einiges Harte ist ein Stein", dagegen wenn durch den "Verstandesbegriff" ein "Objekt" in Anbetracht der Urteilsfunktion "als bestimmt gedacht wird", es nicht zulässig ist, anstatt des Steins das Harte zur Substanz zu machen. Wo bleibt da die "Analogie" zwischen dem logischen Urteil und der empirischen Realität? (37) Sie bleibt nicht und sie kann auch nicht bleiben angesichts des äquivoken Charakters der Kopula (des ist oder der Verbalendung); ebenso häufig als sie wirkliche oder "gleichnisweise, sagen wir symbolisch" (38) gedachte Inhärenz [Innewohnen - wp] bedeutet, wie in den Urteilen: Gold ist schwer, der Löwe brüllt, die Nacht ist stürmisch, die Tugend ist lehrbar und macht glücklich, drückt sie Subsumtion, Einordnung in eine Klasse aus: Die atmosphärische Luft ist ein permanentes Gas, Sokrates war ein Athener, blau ist eine Farbe. (39) Und wenn wir wirklich "inhärierende" Eigenschaften, Zustände und Aktionen von "subsistierenden" Personen und Dingen präzidieren, indem wir aus der komplexen Gesamtwahrnehmung oder Vorstellung, kantisch zu reden, "das eigentlich Beharrliche und Radikale gleichsam absondern" (Kr. d. r. V., II, 160) und dem Wechselnden in Gedanken gegenüberstellen und urteilend wieder mit ihm vereinigen: liegt in dieser logischen Operation, die das relativ Beharrliche unzählbar häufiger trifft als die absolute Substanz, als das letztlich "Radikale" - selbst das unbestimmte "Es" in Urteilen wie: es blitzt, wird kein Verständiger als Andeutung einer kosmischen "Substanz" fassen wollen! - liegt in jener logischen Abstraktion eigentlich dasjenige, was das Urteil a priori, das "Naturgesetz": "In allem Wechsel der Erscheinungen beharrt Etwas absolut", irgendwie zu begründen, zu "deduzieren" fähig ist? Greift nicht dieser synthetische Satz weit über jedes Analogon der Tatsache hinaus, daß wir durch eine Klasse von kategorischen Urteilen das Wahrgenommene und Vorgestellte dadurch denkend zu Bewußtsein bringen, daß wir zwischen dem Wechselnden und Konstanten eine Scheidung machen? Auch SCHOPENHAUER sieht eine Gewaltsamkeit darin, "jenen großen metaphysischen Grundsatz" an die "einfache", man möchte beinahe sagen harmlose Form der Verbindung von Subjekt und Prädikat zu hängen. Es wird geraten sein ihn aus dieser Abhängigkeit zu lösen und für sich zu prüfen. Und noch Eins: Das Denkmaterial, welches in den synthetischen Grundsätzen verwertet wird, sollen "reine Verstandesbegriffe" sein. Kann man wohl die Substanz als einen solchen bezeichnen? Oder folgt aus dem, was als solcher von KANT in Anspruch genommen wird, auf natürliche und gesunde Weise dasjenige, was der Grundsatz der Beharrlichkeit behauptet? KANT sagt (Kr. d. r. V., II, 315):
Man muß nicht glauben, daß der "Schematismus der reinen Verstandesbegriffe" dem nackten Substanzbegriff einen Zusatz zu liefern imstande wäre, welcher die transzendentale Wahrheit des Beharrlichkeitsaxioms, und wie es seine Wurzeln letztlich doch in der "Spontaneität" des Verstandes hat, durchsichtig zu machen vermöchte. In dem Zeitschema liegt kein Zusatz zu etwas, was ansich schon eine Bedeutung hätte; sondern in ihm liegt hier schlechterdings alles. Hören wir KANT, so sind freilich alle Kategorien so geartet, daß sie, der sinnlichen Bedingungen und Restriktionen entkleidet, weder zu definieren noch auch nur durch ein Beispiel faßbar zu machen sind. Näher betrachtet ist dem aber nicht ganz so. Was z. B. das Verhältnis von Ursache und Wirkung angeht, so bleibt, wenn ich die Zeit weglasse, nach der etwas auf etwas anderes unabänderlich folgt, und micht bloß nach KANTs Anweisung an das im hypothetischen Urteil zutage tretende logische Moment halte, zwar nicht mehr etwas übrig, was ich Ursache und Wirkung nennen könnte, wohl aber etwas was verständlich und faßbar ist und zugleich mit dem realen Kausalitätsverhältnis eine wirkliche Analogie hat, nämlich die logische Dependenz [Abhängigkeit - wp], das Abhängigkeitsverhältnis der Folge zum Grund. Auch ist es außerhalb des Logischen, z. B. im Bereich der mathematischen Raumverhältnisse, möglich den Begriff der Abhängigkeit und Notwendigkeit zu exhibieren; man erinnere sich an SCHOPENHAUERs principium rationis sufficientis essendi [Prinzip des hinreichenden Grundes - wp] Auch das Verhältnis von Mittel und Zweck, auch der mathematische Begriff der Funktion zeigt diese Abhängigkeit. Ja, in der Lehre von der gegenseitigen Abhängigkeit der Wirkungsweise der Substanzen voneinander hat KANT selbst den Begriff der Dependenz mit dem Anspruch auf Faßbarkeit vorgeführt, ohne daß er ihn von der Zeitfolge tangiert sein ließ. Aber Substanz ohne Beharrlichkeit in der Zeit, "ein Subjekt ansich", ist allerdings ein völlig leerer Begriff. Schwerlich wird auch ein der Zeitwelt, allem Wechsel und Wandel entrückter Intellekt, sagen wir z. B. die Menschenseele, wenn sie nach PLATON am topos hyperouranios [ideales Reich der Formen - wp], der Schau des ewig Seienden genießt, kategorische Urteile mit Inhärenzcharakter zu bilden imstande sein; denn allerdings "die klassifikatorische Unterordnung der Begriffe wird gelten von zeitlos Vorgestelltem wie von Wahrgenommenem" (LOTZE, Logik, Seite 564). KANT selbst sagt:
9. Über die Gewaltsamkeit, Unmöglichkeit und Perversität, die "Kategorie" der Gemeinschaft und den Grundsatz der Wechselwirkung aus den disjunktiven Urteilen herzuleiten, haben schon SCHOPENHAUER und die von ihm zitierten Vorgänger so überzeugend sich ausgelassen - SCHOPENHAUER z. B. sagt treffend: Disjunktionen [Unterscheidungen - wp] und Wechselwirkung "sind sich sogar ganz entgegengesetzt" - daß man auch in Bezug auf die dritte Analogie auf KANTs metaphysische Deduktion verzichten darf. Selbst ein so eifriger KANT-Apogolet wie COHEN sieht sich hier (a. a. O., Seite 229f) zu der Position genötigt, daß er nicht sowohl die in der Analogie auftretende Kategorie auf das disjunktive Urteil stützt, sondern umgekehrt zunächst
Wenn die zweite Analogie den Satz ausspricht, daß die zeitliche Sukzession im empirisch Realen durch das Band der Ursache und Wirkung verknüpft ist, und die dritte Analogie behauptet, daß die gleichzeitigen Substanzen (unmittelbar oder mittelbar) in dynamischer Gemeinschaft stehen, indem jede "die Kausalität gewisser Bestimmungen in der andern und zugleich die Wirkungen von der Kausalität der andern in sich enthält" (Seite 179), so haben wir so sichtlich beidemal dieselbe Relation vor uns, einmal einseitig über das Sukzessive, das andere mal wechselseitig über die Koexistenzen ausgespannt, daß es am geratensten scheint, auch den Satz von der Wechselwirkung mit unter die Kategorie der Kausalität zu stellen und als eine besondere Manifestierung des Satzes vom Grunde zu betrachten. 10. Nachdem es sich als untunlich herausgestellt hat, das im disjunktiven Urteil ausgeprägte logische Verhältnis zu einer realen Analogie zu benutzen, nachdem auch das kategorische Urteil gegen die Zumutung, den Satz von der absoluten Beharrlichkeit der Substanz zu begründen, sich spröde erwiesen hat, wird man geneigt sein, auch die hypothetische Urteilsform, die aus der "Tafel" allein noch unbeanstandet zurückgeblieben ist, in Zweifel zu ziehen, ob sie wohl das natürliche logische Analogon zum Kausalitätsaxiom ist. Sollten Verstandesfunktionen, bloße Begriffe auch wohl reale Verhältnisse und objektive Wahrheiten begründen oder vorbilden können? Ich sehe davon ab, daß KANT wirklich dieser Meinung ist: aber da man diese von ihm selbst als fremdartig und "widersinnisch" bezeichnete Ansicht von vornherein schwerlich erwarten kann, so, meine ich, kann man nach dem Mißerfolg, in welchem der Versuch mit den beiden anderen Urteilsformen ausschlug, auf den Einfall geraten, soll es denn nun einmal um "Analogien" sich drehen, einen logischen Satz, ein logisches Axiom, eher als einen Begriff, eine Kategorie, eine "Funktion" für das logische Muster des Kausalitätsgrundsatzes heranzuziehen. Beim Satz von der Beharrlichkeit scheint man ja nach KANTs Äußerung, daß die Kategorie der Substanz "unter dem Titel der Verhältnisse steht mehr als die Bedingung derselben, als daß sie selbst ein Verhältnis enthielte", von der Ausbildung einer Proportion zwischen einem logischen und einem realen Verhältnis überhaupt Abstand nehmen zu dürfen. Für das Kausalitätsaxiom bietet sich aber als passendes logisches Analogon das Prinzip an (40), daß jeder Satz seinen Grund haben muß. Stellen wir zwischen diesem logischen und unserem empirisch gültigen Grundsatz die Analogie auf, so haben wir, wie wir wünschen, eine "Wahrheit" hier wie dort, eine "metalogische" Wahrheit, schopenhauerisch zu reden, hier, eine ontologische dort. Wollte man dabei möglichst im Sinne der kantischen Erkenntnistheorie verharren, so würde man etwa ansetzen, daß der vom principium rationis sufficientis in seinen Arbeiten geleitete Verstand, wie er deutend, forschend überall jener metalogischen Wahrheit folgt, so auch aufgrund subjektiver Wahrnehmungen ("Apprehensionen") eine objektiv reale, eine in Raum und Zeit wohl geordnete Erfahrungswelt "aus Spontaneität" der Art auferbaut, daß objektiv nur dasjenige sukzediert [nachfolgt - wp], was die Relation von Ursache und Wirkung, und nur dasjenige simultan ist, was eine Wechselwirkung verknüpft; es ist dann nachher kein Wunder, daß die bezüglichen Grundsätze von aller Erfahrung gelten, da Erfahrung allein durch sie möglich geworden ist. KANT selbst bringt die metalogische und die metaphysische Seite des leibnizischen principium rationis sufficientis (41) - diese sind es eben, die wir in eine Analogie stellen - in ähnlicher Weise zusammen in der Kritik dieses Prinzips in EBERHARDs Demonstration. Der Wolffianer wird getadelt, daß er erstens diese beiden Seiten nicht voneinander getrennt, den Unterschied zwischen dem logischen (formalen) und dem transzendentalen (materialen) Gehalt des Satzes übersehen oder verwischt hat (42), daß er zweitens des dogmatischen Aberglaubens ist, man könne transzendentale Prinzipien "aus bloßen Begriffen ohne Beziehung auf sinnliche Anschauung" beweisen, und daß er drittens den Satz in seiner metaphysischen (materialen) Fassung auch auf Dinge ansich ausgedehnt hat. KANT hält seine Gültigkeit für Erscheinungen fest: er ist ein "transzendentales Prinzip"; die "Kritik" (d. r. V.) hat "unzählige Mal" gesagt, daß ein solches "über die Objekte und ihre Möglichkeit etwas a priori bestimmen muß"; es ist das transzendentale Prinzip, welches in der Kritik als zweite "Analogie" antrifft. Man sieht wie sie hier mit dem logischen Teil des princ. rat. suff. in Analogie gestellt wird; hier das Axiom: "Jeder Satz muß seinen Grund haben" dort das Axiom: "Jedes Ding muß seinen Grund haben." 11. Ist man erst einmal so weit, hat man KANT selbst die metalogische und metaphysische Relation des berühmten leibnizischen Prinzips parallelisieren und die transzendentale "Analogie" abtrennen sehen, so wird man begierig zu erfahren, wie es denn mit der realen Kehrseite des andern großen logischen Prinzips, das bei den Leibnizianern eine so hervorragende Rolle spielt, wie es mit der metaphysischen Analogie des principium identitatis et contradictionis [Satz der Identität und des Widerspruchs - wp] gehalten werden soll, zumal beide sozusagen die Pole der Achse sind, um welche die kantischen durch LEIBNIZ, CRUSIUS und HUME aufgestachelten erkenntnistheoretischen Meditationen fortwährend rotieren. Es ist bekannt (43), daß der große Schulphilosoph ARISTOTELES in seiner doppelseitigen Polemik gegen heraklitische Metaphysik und sophistisch-skeptische Dialektik dem principium identitatis et contradictionis eine doppelte Fassung gab, teils eine logische, teils eine ontologische. [...] Für einen Philosophen, der wie KANT zwischen unserer empirischen, mit Raum und Zeit behafteten Welt und dem Sein ansich, dem Sein überhaupt eine so tiefe und weite Kluft befestigte, daß für das letztere die widerstrebendsten Möglichkeiten offenb blieben (44), was es in hohem Grad angezeigt genau zu sagen, wie es mit folgenden Fragen gehalten werden sollte: Ist die Formel: Es ist unmöglich, daß dasselbe zugleich ist und nicht ist, ein allgemeines Naturgesetz, wie der Satz vom Grunde? Ist auch sie der "Beziehung auf sinnliche Anschauung" bedürftig? Ist auch bei ihr die Ausdehnung auf "Dinge ansich" unerlaubt? Gilt sie nur vom phänomenalen Sein? Ist sie aber hier auch eine unumgängliche Bedingung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer möglichen Erfahrung? Wie ist sie zu "beweisen"? "Aus bloßen Begriffen" doch wohl nicht? Wer wollte es auch auf sich nehmen, erst auch andere Formen des Seins neben der uns bekannten zu statuieren, und dann doch aus dem bloßen, kahlen Begriff des Seins zu schließen, daß es widerspruchslos sein muß? Es kann doch wohl überhaupt ebensowenig irgendeine Qualität des Seins aus dem Seinsbegriff als solchem, wie das Sein aus einer allerrealsten und vollkommendsten Vorstellung gefolgert werden! (45) der ist ein "transzendentaler" Beweis erbringbar? Oder bedarf die Formel eines Beweises? Wir dürfen erwarten, daß sich KANT diese Fragen vorgelegt hat und sehen uns nach der Antwort um. 12. In der Kritik EBERHARDs läßt sich KANT über unser Problem so vernehmen:
Wir sind er Ansicht, daß wir uns einer Lehre gegenüber befinden, die für die ganze kantische Philosophie von vitaler Bedeutung ist. Es verlohnt sich, die Worte des Philosophen einer kritischen Prüfung zu unterwerfen. Eins ist zunächst völlig deutlich, daß der Satz vom Widerspruch nicht auf das empirische Sein eingeschränkt, sondern daß ihm eine schlechterdings universale Bedeutung für alles Sein überhaupt vindiziert wird, mag demselben eine Anschauung zukommen oder nicht. Daß es außer dem empirisch vorzeigbaren Sein noch ein anderes gibt oder geben kann, wird stillschweigend vorausgesetzt. Aber auch von diesem gilt der Satz vom Widerspruch. Was mit ihm nicht bestehen kann, kann auch nicht "sein". Zweifellos ist der Satz hiernach ein Existenzialsatz; urteilt er doch sogar über die fundamentalste conditio sine qua non [Grundvoraussetzung - wp] alles Seienden, aller Existenzfähigkeit. Nun aber ist nach KANT "ein jeder Existenzialsatz synthetisch"; so wäre also auch nach ihm die ontologische Wendung des principium identitatis ein synthetischer Satz, und wir haben ein Recht zu fragen: worauf er denn eigentlich beruth? Warum muß jedes Sein so beschaffen sein, daß es den Widerspruch ausschließt? Warum muß, was wom "Denken überhaupt" gilt, von Allem überhaupt gelten? Warum muß das "Ding", das möglich sein soll, an erster Stelle die Anforderung erfüllen, daß sein Gedanke möglich ist? Warum ist, was "nicht einmal ein Gedanke" ist, "offenbar gar nichts?" Warum kann unser Denken so anspruchsvoll in alles Sein hinausgelangen, daß es ihm Vorschriften machen darf? Wie kommt das Sein, das doch wohl durch Denken nicht gesetzt ist, dazu dem Denken so geringfügig zu sein? Was man außerhalb des kantischen Gedankenkreises auf solche Fragen antworten würde, wissen wir wohl. Aber wir wissen zugleich auch, daß es Antworten wären, die, in ihre Konsequenzen geführt, mit der Transzendentalphilosophie schlechterdings nicht zusammen bestehen können. Wir halten es für angemessen, zur Verdeutlichung des individuellen Charakters dieser solche Antworten vorweg anzudeuten. So gewaltsam der Gedanke ist, unausführbar ist er nicht: es ist ansetzbar und ausdenkbar, daß es ein "Denken" gibt, daß all unser Denken ein solches wäre, welches gar keinen Anspruch darauf zu machen hätte, irgendwo an irgendeinem Seienden sich bewährt zu finden. Wir können den Fall setzen, daß es unserer Intelligenz zwar möglich wäre, sich im Kreis imaginativer Gebilde, sagen wir beispielsweise mathematischer, frei und ungehemmt zu ergehen, daß es aber innerhalb gegebener Realitäten und der etwa aus ihnen komponierten "Welt" fortwährend und unablässig nicht bloß auf Unbegreiflichkeiten, sondern auch auf Unausdenkbarkeiten und unlösbare Widersprüche stoßen würde. Es ist sicher, daß, wenn dann diese unsere Intelligenz von jenen absolut absurden Realen nicht etwa durch psychischen Zwang, wohl gar durch schmerzliche Aggressionen zum Aufmerken gereitz würde, sie bald gegen eine Sphäre, in der sie schlechterdings nichts ihrer Natur gemäß zu tun fände, sich völlig indifferenz verhalten und absperren würde, umd die Gesetze der Logik ausschließlich noch in jenen spontanen Imaginationen walten zu lassen, die ihr eine Befriedigung verschaffen, welche ihr innerhalb des Realen selbst versagt ist. So gewaltsam, wie gesagt, eine solche Fiktion ist, sie ist angesichts der kantischen Grundvorstellungen, nach welchen es absolut unbekannte Seinsformen geben soll, eigentlich sogar nahe gelegt und für die erschöpfende Charakteristik unseres wirklichen Denkens und wirklichen Seins jedenfalls eine gute Vorbereitung. Gegenüber dem empirisch Realen nämlich befinden wir uns nicht in jener traurigen, öden Lage. Sondern
Sollte es daher aus irgendeinem Grund, beispielsweise um das empirisch Reale völlig zu "erklären", unserem Denken nötig scheinen, neben dem unmittelbar Gegebenen hypothetisch noch ein anderes, sagen wir metaphysisches Sein vorauszusetzen und vorzustellen: wir werden annehmen dürfen, daß innerhalb dieser relativ freien Sphäre nun gar nur die äußerste Verzweiflung, etwa der gänzliche Mißerfolg des Versuchs mit widerspruchslosen Ansätzen das gegebene Reale nun auch wirklich zu erklären, zu dem Schritt treiben könnte, an ein dem ontologischen principium contradictionis zuwiderlaufendes Sein zu denken, was dann aber auch ebenso viel wäre, wie eine definitive Absage an jegliche Erklärungsunternehmung, welche vom empirischen Sein zu jenem hypothetischen den Überschritt wagen möchte (vgl. § 40). Noch eine Bemerkung würde man gewiß in außerkantischer Sphäre über unsere obigen Fragen zu machen haben. Dieselben stellen sich so, als gäbe es eine undefinierbare Menge verschiedener Seinsformen; sie eröffnen allen Ernstes jene gewaltsame Möglichkeit, die ein Nichtkantianer nur als eine für die Charakterisierung des wirklichen Denkens und Seins um des Kontrastes willen nützliche Fiktion zulassen könnte. In Wahrheit würde er nicht zuerst viele, vielleicht unendlich viele Seinsmöglichkeiten ansetzen und danach unser bekanntes Sein als einen glücklichen Spezialfall behandeln, der u. a. den dankenswerten Zug an sich trägt, der Logik (und unter gewissen Voraussetzungen auch der Mathematik) eine Anwendung zu gestatten, sondern er würde jene prinzipielle und reale Unterscheidung zwischen Denken und Sein überhaupt gar nicht beginnen; er würde auch nicht wissen wie die beiden Gebiete, einmal erst radikal voneinander getrennt, jemals anders als durch einen - glücklichen Wurf und Zufall, ich meine durch eine nicht weiter zu durchleuchtende rohe Tatsächlichkeit zusammenkommen könnten. Er würde meinen, kein anderes Denken zu kennen als ein solches, das zunächst nicht an freien Phantasiegebilden, sondern an denkgemäßen Gegebenheiten auf und niedersteigt, und das, wenn es sich in imaginativen Formen ergeht, an denselben doch immer noch die Wurzeln und Anwendungsmöglichkeiten erblickt, welche ins Gegebene hinabführen. Er würde meinen, kein anderes Sein zu kennen als ein solches, das sich vor denkenden Subjekten ausbreitet und so allseitig und intensiv logisch tingiert zeigt, daß man in den meisten Fällen schwer sagen kann, ob die Methoden und Formen, welche wir zu seiner Intellektuierung anwenden, zuerst von uns frei ersonnen und am Wirklichen versucht und bewährt worden sind, oder ob uns das Wirkliche selbst sie unmittelbar dargereicht und wir sie aus ihm abstrahiert haben; jedenfalls sind sie immer in einem steten Austausch mit demselben emporgeblüht; hier genau die Leistungen repartieren [zuteilen - wp] zu wollen, wäre gerade so als wenn man darüber stritte, ob der Rosenstock seine Blüte mehr sich selbst oder dem Mai verdankt. Von diesem Standpunkt aus ist der Gedanke an andere Seinsmöglichkeiten jenseits unseres empirischen Seins immer erst ein später; und es wird ihm nur gerade so viel Herrschaft verstattet, als die Denkarbeit am Gegebenen dazu auffordert und das principium identitats - nebst andern und für die Denkarbeit notwendigen, nicht wegdenkbaren Prinzipien - unweigerlich Anwendung findet. Und sollte das Denken ursprünglich nur für das gegebene Sein interessiert, im Fortgang seiner Reflexionen über dasselbe merken, daß seine an demselben in Gang gesetzten Erklärungsversuch auf die Voraussetzung von Schwindel erregenden Weltungeheuern führen, in denen das ontologische principium identitatis nicht mehr gilt, in denen 2 x 2 nicht mehr 4 ist, wo genau dieselben Bedingungen einmal diese, einmal jene Folge haben, wo gar kein Gesetz die Sukzessionen beherrscht, so wird es entweder meinen, irre gegangen zu sein, oder wenn es, ich weiß nicht wie, dem Zwang jener Folgerungen und Voraussetzungen glaubt erliegen zu müssen, wahrscheinlich nun mehr die Denkarbeit einstellen. Jedenfalls dürfte es nicht ebenso leicht sein, in realen Gebieten des absoluten Widerspruchs und Nonsens sich noch denkend zu betätigen, wie an gradlinigen "Dreiecken", deren Winkelsumme beliebig kleiner als zwei Rechte ist, noch Mathematik zu treiben. (46) KANTs Philosophie nun ruht ganz und gar auf Ansichten vom Verhältnis unseres Denkens zum Sein, die dem eben gekennzeichneten Standpunkt zuwiderlaufen. Er statuiert erstens an den verschiedensten Stellen neben unserem bekannten, dem empirischen Sein aus freier hand eine nicht weiter bestimmte Anzahl von anderen Seinsmöglichkeiten; vor allem wird das Sein ansich der empirischen Realität so gegenüber gestellt, daß wirklich zwischen dem, was von uns vorstellbar und denkbar ist, und dem Sein der Dinge "an sich selbst" eine unüberbrückbare Kluft aufgerissen wird. So heißt es in den Prolegomena (§ 38), am Schluß, daß "die Natur der Dinge ansich sowohl von Bedingungen unserer Sinnlichkeit als auch des Verstandes unabhängig" ist. Und da erübrigt sich dann eben die Frage: Warum gleichwohl der Satz des Widerspruchs auch von jenen nichtsinnlichen Gegenständen gilt, denen keine mögliche Anschauung zukommt? warum trotz der Unabhängigkeit der Dinge-ansich von Bedingungen des Verstandes, gleichwohl das "Ding", wovon selbst der bloße Gedanke unmöglich ist, selbst unmöglich sein soll? Können wir so etwas a priori, aus bloßen Begriffen wissen? A priori, aus bloßen Begriffen, hätten wir am Ende es auch für "unmöglich" gehalten, daß dasselbe Ding zugleich eine rauhe Oberfläche haben, achteckig, weiß und süß sein kann. Aus Erfahrung freilich wissen wir, wieso das z. B. an einem Stück Zucker zugleich möglich ist, obwohl achteckig und süß ansich viel weiter voneinander entfernt scheinen, als achteckig und neuneckig, welche gleichwohl inkompatibel [nicht zueinander passend - wp] Jene Diversitäten [Verschiedenheiten - wp] verträglich zusammengehen zu sehen, dies ermöglicht uns die Tatsache, daß wir mit verschiedenen Sinnen "zugleich" Wirklichkeiten erhalten können. Aber der gewöhnliche, von kritischen, z. B. herbartischen Skrupeln noch nicht behelligte Mensch nimmt ohne sich Sorgen zu machen und Verlegenheiten zu empfinden an, daß das Ding diese verschiedenen Eigenschaften auch ansich besitzt, besitz ganz abgesehen von jeder sinnlichen Wahrnehmung. Warum sollte es für ihn keine Welt geben können, die ansich so wäre, wie eine ansich einheitliche Objektenwelt in Relation zu Subjekten erscheinen würde, welche zwei absolut konträre Sinne hätten? Wenn wir ohne von Aufforderungen, die im Gegebenen liegen, gereizt zu sein, aus absolut spontaner Anregung Seinsmöglichkeiten ansetzen dürfen, warum sollte die Idee von einer solchen Wahrnehmungsweise "unmöglich" sein? waru sollte sie im Bereich einer Philosophie vor allem für unmöglich gelten, welche von der Notwendigkeit unserer Sinnlichkeit die geringschätzigste Meinung hat? Die perzipierenden Subjekte jener fiktiven Korrelation würden dann so geartet sein, daß sie, ganz wie wir jetzt ohne Beschwerde rauh und weiß zusammenbestehen lasen, durch ihre Organisation genötigt wären, demselben Gegenstand immer zugleich weiß und schwarz oder achteckig und neuneckig zuzusprechen: etwa so wie wir schon jetzt gelegentlich dasselbe Wasser, nach dem Eindruck, den die höher temperierte Hand erhält, kalt, nach dem, welchen die niedriger temperierte erhält, warm nennen; oder wie uns jedes unserer beiden Augen von demselben "Ding" zwei verschiedene perspektivische Aufnahmen liefert. Die seienden Dinge müßten nun "ansich" so sein; der gewöhnliche, naive Realist würde sie auch sicher so ansetzen. Gewiß ist schon die Zumutung abgeschmackt, in eine so absolut sich selbst konterkarierende [torpedierende - wp] Doppelwelt hinein zu denken (47). Eine ausschließliche Gewöhnung an unsere Welt, die eben nicht so ist, und die, wo sie so scheint, durch die Berücksichtigung aller mitspielenden Relationen leicht von diesem Schein befreit und logisch gerecht gemacht werden kann, so daß wir selbst durch so befremdliche Tatsachen, wie die des Dimorphismus [Nebeneinanderbestehen zweier verschiedener Formen - wp], nicht an dem Vertrauen irre werden, daß das, was "objektiv" ist, eben das ist, was es ist, und nicht zugleich sein Gegenteil, d. h. die jahrtausendelange Gewöhnung an unsere absolut logisch fundierte Welt, macht uns den Ansatz einer anderen so schwer, wie er ansich müssig ist. Aber ebenso schwer wird uns das Denken und Vorstellen einer Welt, in der Veränderungen, Handlungen arrivieren [zu Ansehen bringen - wp] könnten, ohne gesetzmäßig an feste Zeitbedingungen geknüpft zu sein (48); und doch gibt KANT HUME recht, der selbst in der empirischen Welt einen solchen Ablauf der Weltveränderungen nicht selbstverständlich und gegen alle Befürchtungen des Gegenteils geschützt finden konnte; und doch findet er für die empirische Allgemeingültigkeit des Kausalitätsaxioms einen transzendentalen Beweis nötig. Wir fragen: wie lautet der transzendentale Beweis für den parallelen Fall? Und warum soll "überhaupt" nicht sein, was uns schwer wird zu denken? was uns zu denken unmöglich ist? (49) Warum soll es vor allem auf dem Boden der kantischen Philosophie nicht möglich sein, die uns selbst mit zahlreichen Konzeptionen beschenkt, die unvorstellbar, unausdenkbar sind und von denen gleichwohl eine Seinsmöglichkeit behauptet wird? als da sind intuitiver Verstand (50), eine intellektuelle Anschauung, ein affizierendes, auf unser Subjekt einwirkendes Ding-ansich, das außerhalb der Zeit ist, ein "Objekt einer nicht sinnlichen Anschauung", dessen "Dauer keine Zeit" ist (II, 744), eine "Kausalität", die "nicht entsteht oder zu einer gewissen Zeit anhebt (II, 432, dieselbe Ursache, welche zugleich intelligibel und phänomenal ist - was auch angesichts jener aus Prol. § 38, zitierten Grundüberzeugung niemand wunderbar erscheinen kann. Warum gilt nun gleichwohl das Princ. id. et contrad. [Prinzip von Identität und Widerspruch - wp] "von Allem überhaupt"? Scheint es nicht, wenn dem so ist, auch nach KANT die "Ritze" zu sein, "durch welche ein Lichtstrahl seinen Weg zu uns findet von jenseits des Vorhangs, der uns die geheimnisvolle Welt der Dinge ansich verdeckt"? - wie JOHN STUART MILL über einen ähnlich aprioristischen Ansatz Sir WILLIAM HAMILTONs spottet? (Logik, II, 6, 3). So ist es indessen offenbar bei KANT nicht gemeint. Es bringt unser Prinzip nach der Kritik der reinen Vernunft (II, 133; 465, Anm.) keinen Erkenntnisinhalt bei; ja es läßt Begriffsverbindungen im Urteil zu, für die kein Grund weder a apriori noch a posteriori gegeben ist, sogar solche, die objektiv geradezu falsch sind; es bedarf eben für die Feststellung dessen, was innerhalb der Widerspruchslosigkeit von Verbindungen wirklich sein soll, noch anderer Erkenntnisstützen. Kurz, der Satz: "Keinem Ding kommt ein Prädikat zu welches ihm widerspricht" (diese Fassung gibt KANT dem Prinzip, a. a. O., Seite 133), ist ein zwar allgemeines, aber nur negatives Kriterium aller Wahrheit. Wenn wir von dem zuletzt gewählten frappierenden Ausdruck: "negativ" zunächst absehen und uns nur an die sachliche Charakteristik halten, so müssen wir, in Erinnerung an unsere früheren Mitteilungen aus KANT (§ 5) sofort bemerken, daß auch das Kausalitätsaxiom keine wesentlich höhere Dignität besitzt. Auch in ihm liegt, wie wir gesehen haben, nach KANT nicht mehr als die Behauptung, daß in der objektiven Sukzession eine kausale Korrelation stattfindet; über den qualitativen Inhalt, die positive Natur der korrelativen Glieder, sagt es ebensowenig wie der Satz des Widerspruchs über das, was von den widerspruchslos ansetzbaren Verbindungen in der Welt wirklich existiert, oder umgekehrt, welche Diversitäten als kompatibel gelten können. Jenes prädiziert von allem Existenten die Identität mit sich, dieses vom Sukzessiven die Gesetzmäßigkeit; da weder die Identität im kahlen Begriff der Existenz, noch die Gesetzmäßigkeit im Begriff der Sukzession enthalten ist, so sind beide Urteile gleich synthetisch; und insofern als beide alle nähere Bestimmung der Inhalte, die einander widersprechen und einander gesetzmäßig sukzedieren können, anders woher erwarten, so sind beide gleich formal. Unter dieser Restriktion enthalten beide gleichsehr eine unerläßliche Analogie des empirischen Seins mit dem logischen Denken. Unter dieser Restriktion: denn wollte der ontologische Satz vom Grunde eine reale Abfolge darum als nicht kausal bezeichnen, weil die Folge aus dem Grund nicht logisch, nicht begrifflich ableitbar ist, wollte das Prinzip der Identität alle Verbindungen des Diversen an einem Ding für unmöglich erklären, so würden sie ihre Befugnis überschreiten; sie erwarten beide die Erfüllung mit den Inhalten, hier der kausalen Korrelation, dort der Kompatibilität aus anderen Erkenntnisquellen. Wenn KANT diesen Charakter des Prinzips der Identität und des Widerspruchs im Auge hatte, so hätte er, scheint es, besser getan, anstatt es ein "negatives" Kriterium aller Wahrheit zu nennen, die "Formalität" von ihm auszusagen (51); wie dann auch wirklich Seite 134 unser Prinzip als "ein von allem Inhalt entblößter und bloß formaler Grundsatz" bezeichnet wird. So verlockend es nun erst recht sein möchte, die beiden großen Kardinalprinzipien der Erkenntnislehre bei LEIBNIZ und auch bei KANT auf einen Fuß gebracht zu sehen; wir müssen durchaus davon absehen. Die Verwandtschaft der beiden Axiome in ihrer ontologischen Gestalt, die man, durch einige Wendungen verführt, in KANT vielleicht hineinzulesen versucht sein könnte, ist weit davon entfernt über gewisse schillernde und elastische Ausdrücke hinauszutreten. Im Gegenteil: seine Absicht ist darauf gerichtet, das von den Leibnizianern so fest geschürzte Band völlig zu zerreissen. Schwerlich kann aber irgend Jemand aus dem bisher Zitierten die Art voraus ahnen, wie er diese Trennung wirklich ausgeführt hat. Obwohl noch die zuletzt angezogene Formel: Keinem Ding kommt ein Prädikat zu, welches ihm widerspricht, das Plus deutlich hervortreten läß, das sie gegenüber der logischen Fassung enthält: Keinem Subjekt, keinem Begriff kommt ein Prädikat zu, welches ihm widerspricht; obwohl jene erste Fassung höchst auffällig an die Formulierung des Satzes vom Grunde erinnert: Jedes Ding muß seine Ursache haben, welche KANT selbst von der logischen: Jedes Urteil muß seinen Grund haben, sondert und der eberhardschen Konfusion mit Nachdruck, ja fast mit Erregung gegenüber hält; obwohl ganz augenscheinlich das Prinzip des Widerspruchs in der ersten Fassung nicht "wie die logischen Prinzipien tun, bloß die formalen Bedingungen der Urteile betrifft", sondern "über die Objekte und ihre Möglichkeit etwas a priori bestimmt", was nach der Auseinandersetzung mit EBERHARD Merkmal eines "transzendentalen Prinzips" ist (I, 410); kurz: obwohl der synthetische Charakter jener Formel fortwährend zweifellos zutage tritt: stellt KANT - wir können wohl sagen zu unserer großen Verwunderung - in der Kritik (a. a. O., Seite 134) die Lehre auf, daß jener Satz: Keinem Ding kommt ein Prädikat zu, welches ihm widerspricht, vielmehr das allgemeine Prinzip aller analytischen Erkenntnis ist (Seite 133), daß er "bloß in die Logik" (52) gehört, weil er von Erkenntnissen, bloß als Erkenntnissen überhaupt, unangesehen ihres Inhalts gilt", als ob nicht auch der Kausalsatz nichts über den Inhalt der kausalen Korrelation bestimmt, als ob nach KANTs eigenen Prinzipien so "bloß in die Logik" gehören könnte, was so axiomatisch von "Dingen" Aussage tut und von "allem" gelten soll, es mag ein sinnlicher Gegenstand sein oder nicht. Oder sollte sich KANT auf den Ausdruck "Prädikat" versteifen wollen, der allerdings den ontologischen Anfang des Satzes wieder ins Logische umzulenken scheint? Aber wie konnte er EBERHARD gegenüber es doch so deutlich und überzeugend machen, daß sobald ich in dem logischen Grundsatz: Jedes Urteil muß seinen Grund haben, für Urteil Ding einsetze, natürlich der Grund nur Realgrund, Ursache sein kann. (53) Dem entsprechend muß hier, sowie der "Begriff" im Subjekt in das "Ding" übergeht, das Prädikat als reales Attribut verstanden werden; nicht aber kann die Homonymie [gleiches Wort, verschiedene Bedeutung - wp] des Ausdrucks "zukommen", welcher übrigens darin völlig dem aristotelischen hyparchein gleicht, als Brücke dienen, um, was als Existentialsatz begann, mit dem logischen Ausdruck Prädikat (54) zunächst in Verbindung und dann in Einklang zu setzen. Eindeutig und kata to auto [dementsprechend - wp] gefaßt, heißt der Satz: Keinem Ding kommt eine Eigenschaft, Aktion oder Relation zu, die sich mit seinen wesentlichen Eigenschaften (vgl. § 14) nicht verträgt. Wollte Jemand (55) KANTs Sache damit verteidigen, daß er aufgrund einer Bemerkung, die gegen die theologischen Ontologisten fällt (II, 465), es für unzulässig erklärte, in seiner von uns zuletzt behandelten Formel - Keinem Ding kommt ein Prädikat zu, welches ihm widerspricht - "in den Begriff eines Dings schon den Begriff seiner Existenz hineinzutragen, so wäre dem erstens zu bedeuten, daß es hier niemand dem "Ding" ansehen kann, daß es der Autor "lediglich seiner Möglichkeit nach denken wollte", sondern daß die Formel für den Unbefangenen völlig denselben Gedanken ausspricht, wie die andere, welche geradezu zwischen dem Begriff des Dings und dem Ding selbst einen Unterschied macht: "Das Ding, wovon der Begriff sich widerspricht, ist selbst unmöglich"; daß zweitens der ganze Wirrwarr, den wir tadeln, eben gerade durch schillernde Ausdrücke, wie "Ding", das einmal schon den Begriff der Existenz in sich enthält, einmal nicht, vorzüglich freilich durch eine andere Homonymie, nämlich die des Ausdrucks Möglichkeit, angerichtet ist; daß eben für einen Standpunkt, wie den kantischen, von dem aus unser bekanntes Sein nur als eine Spezies des Gattungsbegriffs Sein gefaßt wird, es begrifflich ein total Verschiedenes für uns ist, denkmöglich und seinsmöglich ansich zu sein; und daß drittens gegen EBERHARD rund und nett erklärt wird, daß der Satz von Allem gilt, es mag ein sinnlicher Gegenstand sein oder nicht. Woher wissen wir nun, daß Widersprechendes in keiner Weise wirklich sein kann? woher, daß das Sein ansich nicht z. B. absolutes Werden, ruhelose Identität von Sein und Nichtsein ist? fortwährende coincidentia oppositorum [Zusammenfall der Gegensätze - wp]? Und wenn wir unsererseits auch gern von übermenschlichen Anforderungen absehen, wenn wir auch darauf verzichten, einen absoluten Gültigkeitsbeweis für einen Satz geliefert zu sehen, der schon in seiner logischen Gestalt die Unterlage aller Beweise (56) ist, und der in ontologischer Fassung zunächst nur das Sein charakterisiert, das Gegenstand unserer Denkarbeit sein will, so müssen wir doch, da nachweisbar, tatsächlich unser empirisches Sein diesem Anspruch unseres Verstandes durchgängig wirklich Genüge tut, von einem KANT, der die ebenso durchgängige empirische Geltung des ontologisch gewandten Princ. rat. sufficientis [Prinzip vom zureichenden Grund - wp] "transzendental" deduziert, seiner allgemeinen philosophischen Position gemäß erwarten, daß er erstens ihn als ein Prinzip möglicher Erfahrung betrachtet, daß er zweitens diejenigen Restriktionen anbringt, durch welche das Prinzip des "reinen" Verstandes auf ein Sein anwendbar wird, das von der Zeitbedingung affiziert ist, und daß er drittens ihn in dieser Form auf seine Weise "apodiktisch" zu "beweisen" versucht. ![]()
36) vgl. "Kritik der reinen Verunft", zweite Auflage, § 19. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft", Werke V, Seite 315. 37) vgl. Otto Liebmann, Zur Analysis der Wirklichkeit, Seite 154f. 38) Ausdruck von Lotze, Logik, 1874, Seite 75. 39) vgl. übrigens Herbart, Einleitung in die Philosophie, § 53; ferner Franz Brentanos Bericht über John Stuart Mills Lehre vom Urteil in seiner Psychologie, Seite 273f. Aber, sagt Sigwart in der Logik I, Seite 94, wo er Mills vermeintlich originelle Lehre von der Zweideutigkeit der Kopula auch erwähnt, treffend: "Mill hat Herbart so wenig als andere deutsche Philosophen beachtet" (vgl. oben § 2 und Kant, I, Seite 172f; und der Berichterstatter droht, beiläufig bemerkt, in eine ähnliche Einseitigkeit zu verfallen. Als er (1874) über Mill berichtet hat, lag von Wilhelm Jordan (1870) ein Schriftchen vor: Über die Zweideutigkeit der Kopula bei Stuart Mill; er ließ unberücksichtigt; es lag zweitens vor Sigwarts Logik (1873), in welcher der Abschnitt (Seite 87-100) sowohl für die Vieldeutigkeit der Kopula ergiebige Mitteilungen bietet, was uns angeht, als auch Dinge lehrt, an welchen der Fundamentalgedanke der von Brentano (a. a. O., Seite 302) in Aussicht gestellten neuen (vgl. übrigens Aristoteles "Metaphysik", Γ 7, 1011 b, 25f., Θ 10, 1051 b. 1, Anal. post. A 25, 86 b, 33) Logik zunichte wird. Ohne dem mit Ernst an seiner Selbstbildung arbeitenden Philosophen irgendwie zu nahe treten zu wollen, kann man sich doch bei der Lektüre seines neuesten Werkes nicht verhehlen, daß es für ihn und für seine Psychologie sehr gut gewesen wäre, wenn er seit der Zeit, daß er aus dem trüben Dämmer scholastischer Metaphysik in die Regionen des modernen Denkens emportauchte, noch so viel philosophische Arbeit auf Kant gerichtet hätte als früher auf Aristoteles, ehe er sich John Stuart Mill in die Arme geworfen hat. Bis jetzt scheint er mehr über Kant als ihn selbst gelesen zu haben. 40) vgl. Schopenhauer, II, Seite 580: Subjekt und Prädikat verhält sich zu Substanz und Akzidenz wie der Satz des zurechenden Grundes in der Logik zum Gesetz der Kausalität in der Natur. - Vierfache Wurzel I, Seite 41: Das Gesetz der Kausalität berechtigt zu hypothetischen Urteilen und bewährt sich hierdurch als eine Gestaltung des Satzes vom zureichenden Grunde, auf welchen sich alle hypothetischen Urteil stützen müssen. 41) Über Leibnizens eigene Ansicht handelt gut Sigwart in der Logik, Seite 204f. Ebendort ist auch die von Kant nicht berücksichtigte Unterscheidung zwischen logischem und psychologischem "Grund" einer Assertion beachtenswert. 42) Er formulierte ihn so: "Alles muß seinen Grund haben", wo "Alles" nun sowohl ein jedes Urteil wie ein jedes Ding bedeuten kann. 43) vgl. Überweg, Logik, erste Auflage, § 77 und 78. Es ist übrigens angesichts von Aristoteles, Metaphysik, 1005b, 24f und 1010a, 11 fraglich, ob Heraklit selbst als Zerstörer des ontologischen Identitätspostulats in Anspruch genommen werden sollte. 44) So wird es z. B. "Kritik der Urteilskraft (Werke IV, 4) als ein Nutzen der sonst überschwänglichen Vernunftideen betrachtet, daß sie "als regulative Prinzipien" dienen, "die besorglichen Anmaßungen des Verstandes, als ob er (indem er a priori die Bedingungen der Möglichkeit aller Dinge, die er erkennen kann, anzugeben vermag), dadurch auch die Möglichkeit aller Dinge überhaupt in diesen Grenzen beschlossen hat, zurückzuhalten." 45) Kant selbst bemerkt (Fortschritt der Metaphysik I, Seite 570, Anm.): "Das Dasein ist keine Bestimmung irgendeines Dings und welche innere Prädikate einem Ding ... zukommen, läßt sich schlechterdings nicht aus einem bloßen Dasein ... erkennen". 46) Nahe an die obige Position kommt auch Lotze (Logik, Seite 567) heran, insofern als er zunächst den Naiven, die alles selbstverständlich finden, die Möglichkeit vorführt, daß die Gesetze unseres Denkens "ein leerer Anspruch wären, dem sich die Wirklichkeit nicht fügt, gerade so wie wir noch jetzt sie vergeblich auf manche Ereignisse anzuwenden suchen, die ... des Satzes der Identität zu spotten scheinen." Und da er dem gegenüber die Tatsache notieren muß, daß diese Annahme von Niemand festgehalten wird; daß überall, wo die Erscheinungen sie uns aufdrängen möchten, wir den wahrnehmbaren Tatbestand nur für rätselhaft halten, so findet auch er die Frage angezeigt: worauf beruth diese Zuversicht? - Indessen er kommt auch wirklich unserer Position nur nahe; sein Standpunkt ist mit ihr nicht identisch. Der Gegensatz zum Obigen tritt auf Seite 562 am deutlichsten hervor. Der Leser mag aber selbst erwägen, ob der daselbst statuierte Unterschied zwischen dem, was wir - nämlich als denkende Wesen - "wünschen können", und dem, was wir "verlangen müssen", vom Standpunkt Lotzes selbst aus gegründet ist. "Daß jeder einzelne Inhalt der Welt sich selbst gleich sein muß, würde das Einzige sein, was das Denken, seinem Identitätsgesetz gemäß, verlangen müßte, damit jeder von ihnen überhaupt vorstellbar wird: und diese Forderung könnte ja die Welt erfüllen." Ich möchte einwenden: sie könnte es; sie könnte es vielleicht aber auch nicht; es ist eben bei der auch von Lotze prinzipiell beliebten Sonderung von Denken und Welt ansich von vornherein nicht abzusehen, warum eine jede Welt überhaupt "vorstellbar" sein muß. Lotze fährt fort: "Darüber hinaus aber kann das Denken zwar für die Möglichkeit seiner ferneren Handlungen wünschen, aber nicht als denknotwendig gebieten, daß zwischen den verschiedenen Inhalten jene abgestuften Verwandtschaften (vgl. oben § 7) stattfinden, die allein ihm die Ausführung seiner Bestrebungen ermöglichen: es ist nicht denknotwendig, daß das Denken muß stattfinden können;" - wie, meinen wir, es auch ansich recht gut vorstellbar oder denkbar ist, daß es eine Welt gibt, die nicht "vorstellbar" ist. Aber eine solche fiktive, weder denk- noch vorstellbare Welt ficht uns gar nichts an. Sollten wir Grund haben aus dem unmittelbar wahrgenommenen Sein zum dem hypothetischen Ansatz eines dahinterliegende Seins vorzuschreiten, so werden es wahrscheinlicherweise doch unsere Denkbedürfnisse sein, die uns dazu antreiben. Daß wir ein solches Sein, sobald wir über seine Naturbeschaffenheit nachzudenken beginnen, unserem Denken gemäß denken werden, muß dabei als die einzige der Beachtung werte Voraussetzung gelten. Will aber Jemand den Grund, welcher "die Inhalte möglicher Vorstellungen in unsere Wahrnehmungen treten läßt", obwohl die solcher Art zustande kommende Welt von logischer Konstitution ist, durchaus als "vom Denken unabhängig" denken, wie Lotze (Seite 563), so muß er auch nicht mehr glauben "fordern" zu dürfen, daß dieser übersinnliche Grund "seinem Identitätsgesetz gemäß" ist (vgl. § 40). 47) Gleichwohl gibt es Leute, welche die Zumutung zu erfüllen sich anheischig machen [sich anschicken - wp]. Vgl. Mill in der "Examination of Sir Hamiltons philosophy"?, dritte Ausgabe, 1867, Seite 84f. 48) Vielen scheint daher der Satz, daß jede Veränderung ihre Ursachen haben muß, ebenso selbstverständlich wie der Satz von der Identität und des Widerspruchs. Vgl. die von Afrikan Spir, Denken und Wirklichkeit I, Seite 279, angeführten Stellen aus Herbert Spencer, "Taine und Lewes". Auch Schopenhauer erklärt (Vierfache Wurzel, Werke I, Seite 90), "daß es uns sogar zu denken unmöglich ist, daß dieses Gesetz irgendwo in der Erfahrungswelt eine Ausnahme leidet." Bekanntlich ist Mill anderer Meinung (Logik III, 21, 4); aber er schrickt auch vor dem "Denken" des Widersprechenden nicht zurück! (vgl. Anmerkung 47) 49) Ich sehe, daß auch Eduard von Hartmann den "naiven Realismus" des Herrn von Kirchmann mit der Frage ängstigt, ob denn so selbstverständlicherweise der logische Satz vom Widerspruch als formell bestimmendes metaphysisches Prinzip für das Was und Wie der Welt angesetzt werden kann? (von Kirchmanns erkenntnistheoretischer Realismus, 1875, Seite 9). Man wird nach dem Obigen wissen, was man von einer solchen Beängstigung zu halten hat. 50) Herbart, Metaphysik (Werke III, Seite 144): "Zum anschauenden Verstand paßt als Gesellschafterin eine denkende Sinnlichkeit, gerade so wie das eiserne Holz zum hölzernen Eisen. Dies hätte Kant sogleich bemerken müssen, da er nur eben zuvor das Erkenntnsvermögen aus zwei seiner eigenen Angabe nach ganz heterogenen Stücken zusammengesetzt hatt. Daß er dennoch das Unterscheidungsmerkmal des einen Stücks zum Prädikat des anderen macht, kann ihm die Logik unmöglich verzeihen." 51) Übrigens entspricht dieser Wortgebrauch völlig dem Sinn, in welchem Schelling nach Hegels Tod alle rationale Wissenschaft, die aprioristische Entwicklung bloßer Denknotwendigkeiten als die negative Philosophie seiner eigenen noch zu erwartenden, der "positiven Wissenschaft" gegenüberstellte; vgl. Werke I, Seite 213f.: "Alle jene Formen, die man als apriorische bezeichnet, schließen eigentlich nur das Negative in aller Erkenntnis ein; das, ohne welches keine möglich ist - also die logische conditio sine qua non [Grundvoraussetzung - wp] - nicht aber das Positive", usw. 52) Vgl. Kant, Kr. d. r. V. II, Seite 676 53) Vgl. Kant, Kr. d. r. V. I, Seite 158. 54) Kant treibt den Mißbrauch, Dinge als solche, Subjekt, reale Eigenschaften als solche, Prädikate zu nennen, weit. So ist es bei ihm ganz gewöhnlich, Substanz als dasjenige zu bezeichnen, was nur als Subjekt und nicht als Prädikat eines anderen Dings existiert und er nennt dies geradezu einen "logischen Vorzug", der einem Ding "zukommt"! (Vgl. Schopenhauer, II, Seite 580) 55) vgl. Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, Seite 199. 56) Wie der Kausalitätssatz die Unterlage aller Induktion. |