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ALFRED KÜHTMANN
Zur Geschichte des Terminismus

"Die Natur der Begriffe als solcher und deren Fähigkeit allgemeingültige und wissenschaftliche Erkenntnis zu liefern, das ist der Kern der Universalienfrage: vermag das Denken in Begriffen von der wechselnden Mannigfaltigkeit der Erscheinungen,  dem Werden,  zu einem einheitlichen und beharrenden Sein zu gelangen? hat die Griechen von den Eleaten und Heraklit an bis zur Zersetzung aller philosophischen Probleme durch die Skepsis beschäftigt."

"Empfindung ist vom Ding ein Zeichen; von Empfindung
Ein Zeichen war das Wort in erster Spracherfindung.
Nun ist ein Zeichen vom Begriff das Wort allein;
Und die Empfindung fügt sich nur notdürftig drein.
Des Dinges Leben hat sich aus dem Wort verloren,
Wie die Empfindung zum Begriff sich umgeboren.
Wenn er zu höherer Empfindung sich erhebt,
Dann ist mit  dem Begriff  wieder das Wort belebt."

- Friedrich Rückert, Weisheit des Brahmanen, 2. Stufe, Nr. 146



I. Einleitung

1. Das Universalienproblem und die Scholastik.
Bedeutung des Problems für die Geschichte der
Philosophie überhaupt. Seine allgemeinste Formulierung.

VICTOR COUSINs und BARTHÉLEMY HAURÉAUs Auffassung, die Geschichte der scholastischen Philosophie falle im wesentlichen mit der Geschichte des Universalienproblems zusammen, wird als eine zu allgemeine Formulierung von den meisten Kennern der mittelalterlichen Philosophie nicht mehr geteilt. Aber insofern, meine ich, besteht sie noch heute zu Recht, als aus dem Streit über die logische und metaphysische Bedeutung der Gattungs- und Artbegriffe alle Eigentümlichkeiten der scholastischen Philosophie erschlossen werden können. Die Dürftigkeit der Erfahrungserkenntnisse, die spitzfindigen Unterscheidungen und Spaltungen der Begriffe und Wortbedeutungen, die Einförmigkeit der Pro- und Kontra-Methode, die Verschwendung des Scharfsinns an selbstgeschaffene Schwierigkeiten sind bekannte Charakterzüge, denen gegenüber aber zu betonen ist, daß die Scholastik vieles vorbereitet hat, was später in der modernen Philosophie genauer durchgebildet und durchdacht worden ist.

"Die Scholastik hat eine gewaltige Zucht ausgeübt, die eine unerläßliche Vorbedingung des Aufschwungs war. Für eine solche Ansicht mag als Zeugnis gelten, daß die neue Philosophie eben in dem Maße, wie sie sich selbständig ausbildete und zu einem großen System entwickelte, vom Mittelalterlichen aufgenommen und sich angeeignet hat." (1)

Die Begriffe "Realismus" und "Nominalismus" haben sich dauernd und lebendig erhalten: dieser besonders in seiner jüngeren Form, dem Terminismus, wo  terminus  ein Begriff heißt, der zugleich Zeichen für die von ihm umfaßten Dinge ist und sich vom Wort nur dadurch unterscheidet, daß dieser ein willkürliches, jener ein natürliches Zeichen der Dinge ist. Auf das Fortwirken der nominalistischen Denkweise hat vor allem WINDELBAND in seiner Geschichte der Philosophie hingewiesen (siehe Seite 248, 270, 297, 319, 353, 356, 357, 369, 376, 422; 1. Auflage). Einige dieser Stellen werde ich später noch heranziehen.

Die allgemeine Bedeutung des Problems für das auf die Scholastik folgende philosophische denken wird auf Seite 236 betont:
    "Selbst wenn man das Universalienproblem auf die Realität der Gattungsbegriffe in der Weise der Scholastik beschränkt, hat dasselbe in der weiteren Entwicklung noch wesentlich neue Phasen durchlaufen und kann gerade auf dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht als endgültig gelöst betrachtet werden. Dahinter aber erhebt sich die allgemeinere und schwierigere Frage, welch' eine metaphysische Bedeutung jenen allgemeinen Bestimmungen zukommt, auf deren Erkenntnis alle erklärende Wissenschaft hinausläuft."
WUNDT redet vom mathematischen Realismus und Nominalismus (Logik, Bd. II, Seite 100) und leitet im Kapitel "Ursprung des Erkennens" (Logik, Bd. I, Seite 400) die Richtungen des neueren Rationalismus und Empirismus aus dem Realismus und Nominalismus ab. Ja, seine eigene Philosophie, soweit sie die äußere mittelbare Erkenntnis umspant, darf man wohl als Nominalismus bezeichnen: die Vorstellungsobjekte gelten nur als subjektive Symbole, die auf einen realen nach Stoff und Form nur begrifflich zu bestimmenden Gegenstand hinweisen (System der Philosophie, 2. Auflage, Seite 146).

OTTO LIEBMANN "Zur Analysis der Wirklichkeit", Seite 472, 2. Auflage, bemerkt:
    "Wenn man nun die rein dogmatische Triebfeder dieser Angelegenheit bedenkt, so sollte man meinen, die verschimmelte Pergamentkontroverse ruhe bei ihrer Mutter, der Scholastik, längst im Grabe. Dem ist aber keineswegs so. Vielmehr taucht sie in der modernen Philosophie neuverjüngt wieder auf. HEGEL z. B. mit seinem Monismus der "absoluten Idee" zählt zur extrem realistischen, HERBART mit dem Pluralismus der vielen "Realen" zur extrem nominalistischen Partei."
Aber nicht nur in verjüngter Gestalt hat die Universalienfrage bis heute ihr Leben bewahrt. In der katholischen Philosophie ist sie im Anschluß und in der Weiterführung desjenigen, was THOMAS von AQUIN darüber gelehrt hat, ein Bestandteil der Logik und Metaphysik geblieben. In der "Logik und Erkenntnistheorie" von CONSTANTIN GUTBERLET (Münster 1898, 3. Aufl.) wird die Richtung des extremen Realismus sowie des Nominalismus kritisiert, die für den Terminismus so wichtige Lehre von der Supposition der Termini weitläufig erörter und im gemäßigten Realismus der kirchlichen Lehre die Einseitigkeit beider Richtungen ausgeglichen.

Das Allgemeine ist nicht allein  in den Dingen  und nicht allein  im Verstand,  sondern in den existierenden Dingen hat es sein Fundament; seine  Allgemeinheit  erhält es erst durch den Verstand. Unter Realität ist nicht die dingliche Existenz, sondern die objektive Gültigkeit der Universalien zu verstehen und dabei zwischen dem  universale directum  und einem  universale reflexum  zu unterscheiden. Das universale directum, d. h. die ideale Wesenheit der Dinge, die  essentia  z. B. die Menschheit, die Gerechtigkeit, hat ein wahres, wenn auch kein wirkliches existierendes Sein, ganz unabhängig vom Verstand, der sie denkt (universale reflexum) und unabhängig vom Einzelwesen, in welchem sie realisiert wird. (Seite 240-242).

Die meines Erachtens beste und kürzeste Formulierung der auch für die Gegenwart fortbestehenden Bedeutung des Problems habe ich bei SCHOPENHAUER gefunden (Satz vom zureichenden Grund, 3. Aufl., Seite 160):
    "Die Begriffe sind eben jene Universalia, um deren Daseinsweise sich im Mittelalter der lange Streit der Realisten und Nominalisten drehte."
Die Natur der Begriffe als solcher, einerlei ob Gattungs-, Art- oder Einzelbegriffe, und deren Fähigkeit allgemeingültige und wissenschaftliche Erkenntnis zu liefern, das ist der Kern der Universalienfrage,  deren logisch-erkenntnistheoretischer Inhalt in der griechischen Philosophie durch SOKRATES in den Vordergrund gestellt, sich in der platonischen Ideenlehre und aristotelischen Logik verdichtet hat. Ihr älterer, metaphysischer Inhalt: vermag das Denken in Begriffen von der wechselnden Mannigfaltigkeit der Erscheinungen,  dem Werden,  zu einem einheitlichen und beharrenden Sein zu gelangen? hat die Griechen von den Eleaten und HERAKLIT an bis zur Zersetzung aller philosophischen Probleme durch die Skepsis beschäftigt.


2. Zerlegung des Universalienproblems
in fünf Einzelprobleme

Um das logische Problem des Universalienstreits gruppieren sich erkenntnistheoretische, psychologische und metaphysische Probleme, die von den Scholastikern wie von neueren Philosophen bald nur angedeutet, nald weitläufiger behandelt werden. Sie können in fünf Fragen zerlegt werden. Es sind die folgenden:
    a) Die Frage nach der Entstehung der Begriffe und nach ihrem Verhältnis zu den äußeren Wahrnehmungsvorstellungen.

    b) Die Frage nach dem Verhältnis der Sprache zum Denken, der Worte zu den Begriffen.

    c) Die Frage: vermag das begriffliche Denken allgemeingültige und wissenschaftliche Erkenntnis zu liefern?

    d) Die Frage nach dem Verhältnis der Vorstellungen und Begriffe zu den als unabhängig vom Vorstellen und Denken angenommenen Vorgängen und Dingen.

    e) Die Frage: inwieweit vermag das begriffliche Denken zu metaphysischen Erkenntnissen zu führen, zu einem unveränderlichen, zeitlosen Sein gegenüber dem Werden, einem absoluten Sein (Ding-ansich) gegenüber dem durch das Bewußtsein bedingten relativen Sein, zu einer aktualen Unendlichkeit gegenüber der potentialen oder in theologischer Fassung zu Gott als erster Ursache gegenüber der Unendlichkeit der Kette der endlichen Ursachen und Wirkungen, zu einer "prima causa essendi non habens ab alio esse" [erste Ursache des Seins von keiner anderen abhängig - wp] (THOMAS von AQUIN).


3. Begrenzung der Aufgabe und Leitmotive der
ausgewählten vier Vertreter des Terminismus

In der Tat, wollte man eine Geschichte des Nominalismus oder auch ockh1d.htmlnur seines Artbegriffs, des Terminismus, schreiben, es würde aus der Darstellung, welche die verschiedenen Gedankengänge pragmatisch und genetisch zu verfolgen hätte, eine umfangreiche Geschichte der Philosophie werden, von einem einzigen, aber eine sehr weite Aussicht gewährenden Orientierungspunkt aus betrachtet, eine schwierige und eingehender Vorstudien bedürfende Arbeit. Die meinige ist nur ein bescheidener Versuch, die Triebkraft des Terminismus in der Eigenart von vier Vertretern zu erkennen, und zu schildern, von welchen Denkmittelpunkten aus das Problem von ihnen ausgestaltet worden ist, wobei der geschichtliche Zusammenhang nur in ganz flüchtigen Andeutungen skizziert wird. (2)

Ich habe WILHELM von OCKHAM als Vertreter des mittelalterlichen Terminismus gewählt; CONDILLAC, in dessen Werken der neuere Terminismus am vollkommensten zum Ausdruck kommt; von HELMHOLTZ, der die terministischen Elemente, die in der kantischen Philosophie liegen, schärfer herausgebildet und für die Naturwissenschaft verwendet hat; und schließlich FRITZ MAUTHNER, der in seinen "Beiträgen zu einer Kritik der Sprache" vom Standpunkt des Terminismus im modernsten Gewand eine weite kritische Umschau in den Gefilden der Sprachwissenschaft, Logik, Psychologie und Erkenntnistheorie hält. Vier Zitate mögen die Verwandtschaft der vier Philosophen veranschaulichen.

von OCKHAM: "Illud, quod primo et immediate denominatur universale, est tantum ens in anima, et sic non est in re" [Der erste unmittelbare Allgemeinname hat seinen Ursprung in der Seele und nicht in der Sache. - wp] (STÖCKL, Geschichte der Philosophie des Mittelalters, Bd. II, Seite 1000, Anm. 4) "Signum accipitur pro illo, quod aliquid facit in cognitionem venire, et natum est, pro illo supponere" [Das Zeichen wird gebraucht um zur Erkenntnis zu kommen, indem es für etwas steht. - wp] (Summe der Logik I, Seite 12)

CONDILLAC: "Les noms généraux ne sont proprement les noms d'aucune chose existente; lls n'expriment que les vues de l'esprit, lorsque nous considérons les choses sous des rapports de ressemblance ou de différence." [Allgemeine Namen sind streng genommen keine Namen von existierenden Dingen. Sie drücken die Ansichten des Geistes aus, über Ähnlichkeit und Verschiedenheit berichten will." - wp] (Logique, Seite 34) "On sait qu'il n'y a hors de nous ni genre ni espéce: on sait qu'il n'y a que des individus ... Les genres et les espéces ne sont donc que des dénominations que nous avons faites." [Wir wissen, daß es jenseits von uns weder Art noch Spezies gibt ... Gattungen und Arten sind deshalb nur Namen, die wir gemacht haben. - wp] (Langue des calculs, Seite 53)

von HELMHOLTZ: "Durch das Zusammenfassen des Ähnlichen in den Tatsachen der Erfahrung entsteht ihr Begriff ... Der Begriff "Kraft" ist nur ein Substantivum, das den Zweck hat, einen langen Vorgang in einem Wort kurz zusammenzufassen ... Mannigfache Irrungen sind in der Wissenschaft dadurch entstanden, daß man den eigentlichen Sinn, der mit dem Wort "Kraft" zu verbinden ist, vergißt und das, was mit einem substantivischen Wort ausgedrückt wurde, nun auch als ein reelles Ding auffaßte, das unabhängig existieren könnte." (Einleitung zu den Vorlesungen über theoretische Physik, zitiert bei JULIUS REINER, Hermann von Helmholtz) (3)

MAUTHNER: "Was ich lehre, das wird vielleicht ein Nominalismus redivivus genannt werden, ein reiner erkenntnistheoretischer Nominalisus." (Beiträge zu einer Kritiker der Sprache, Bd. III, Seite 621) "Art ist Wort. Artunterschied ist Wortunterschied." (Beiträge II, Seite 379)
    "Wie auch dem Gebiet der Sprache nur die momentane Bewegung des Sprachorgans und eigentlich nur der letzte mikroskopgische Bestandteil dieser Bewegung wirklich ist - so ist auch wiederum das menschliche Denken nur ein Unwirkliches ... wirklich ist nur die momentane Erinnerung." (Beiträge I, Seite 187)


II. Vorbemerkungen über die Wurzeln
der mittelalterlichen Kontroversen über
Realismus und Nominalismus sowie
über den Nominalismus von Wilhelm von Ockham

Die Scholastik hat das Universalienproblem nicht geschaffen, sondern nur weiter entwickelt. LOEWE kommt in seiner Abhandlung "Der Kampf zwischen dem Realismus und Nominalismus im Mittelalter" (1876) zu dem Erlebnis, daß am Schluß der antiken Philosophie neben dem Nominalismus alle Hauptrichtungen des Realismus schon vertreten gewesen seien. Das Mittelalter habe den Kampf wieder aufgenommen, fortgesetzt, durch eingeschobene Mittelglieder modifiziert, aber keine Lösung zustande gebracht, die nicht schon vorher im wesentlichen gegeben worden ist. (4) Für PLATO - so nimmt LOEWE an - sind die Universalien ante rem [den Einzeldingen vorgeordnet - wp] und post rem [als Begriff im Verstand nach den Dingen - wp]; für ARISTOTELES in re [in der Sache - wp] und post rem, für die Neuplatoniker und die Kirchenväter ante rem, in re und post rem. So liegen in der platonischen und aristotelischen Philosophie die Keime der mittelalterlichen Kontroversen, deren Entwicklung mit der zunehmenden Bekanntschaft der Schriften der beiden griechischen Philosophen in Zusammenhang steht.

Die gemäßigten Realisten sowie die Nominalisten glaubten sich auf ARISTOTELES berufen und stützen zu dürfen.

Für diesen war das Allgemeine nicht eine Einheit außerhalb des Vielen (en para ta polla), sondern eine Einheit in Vielen (en kata pollon), ein diesem Gemeinsames und von ihm Aussagbares. Nur die Einzeldinge sind die eigentlichen Substanzen, dasjenige von dem wohl anders, das aber nie von einem anderen ausgesagt werden kann. Die von BOETHIUS übersetzte Stelle aus "De interpretatione" enthält die Hauptfrage, um die sich der Universalienstreit bewegt: kann die Substanz (res) Prädikat im Urteil sein?
    "Quoniam autem sunt hae quidem rerum universalia, illa vero singularia, dico autem universale, quod de pluribus natum est praedicari; singulare autem quod non." (PRANTL, Geschichte der Logik im Abendlande II, Seite 174; Anm. 286) (5)
Auch die metaphysische Richtung, in der sich das Universalienproblem bewegt, im Neuplatonismus so scharf hervortretend, deutet auf ARISTOTELES zurück: das Allgemeine ist einmal der Erkenntnisgrund, aus dem das Besondere bewiesen wird, andererseits die Realursache des Geschehens, des Werdens, woraus das wahrgenommene Einzelne zu begreifen oder zu erklären ist. (WINDELBAND, Geschichte der Philosophie, 1. Aufl., Seite 104) Dem Allgemeinen steht eine höhere Wirklichkeit zu als dem Besonderen. "Item aliter genus magis quam species et universale quam singularia." (Metaphysik, 1042, a 14).

Im Kampf der Realisten und Nominalisten, der sich nach JOHANNES von SALISBURY in dreizehn verschiedenen Parteiansichten nachweisen läßt, schien ein Waffenstillstand eingetreten zu sein, nachdem ALBERT der Große, seiner größerer Schüler THOMAS von AQUINO und dessen bedeutendsten Gegner, DUNS SCOTUS, im Anschluß an AVICENNA sich für den gemäßigten Realismus in der Formel erklärt hatten: "Es gibt universalia ante rem - im Verstand Gottes, universalia in re - die individuellen Wahrheiten der Dinge, sofern sie gleichartig sind in einer Vielheit von Individuen, und universalia post rem, im menschlichen Verstand." (6)

Aber das bunte Disputiertreiben wurde nur für kurze Zeit etwas weniger lebendig. Der Franziskaner PETRUS AUREOLUS, Erzbischof von Aix und der Dominikaner DURAND de SAINT POURCAIN, Bischof von Meaux begannen mit neuen Anzweiflungen der Genera und Spezies. "Universale est - aliquid formatum per operationem intelligendi ... in qua operatione intellectus abstrahens habet pro termino a quo singularia, a quibus abstrahit, et pro termino ad quem ipsum universale abstractum." [Ein Universalname wird durch die Tätigkeit des Verstehens gebildet ... Das Universale ist nicht der erste vorgestellte Gegenstand des Denkens, noch geht es ihm vorher, sondern in dem die denkende Betrachtung von den individuellen Momenten abstrahieren muß, ist der Ausgangspunkt das Singuläre und erst der Zielpunkt des Weges das Universale. - wp] (DURAND de SAINT POURCAIN) (7)
    "Intellectus abstrahit quidem non objective, ... sed abstrahit modaliter quantum ad modum cognoscendi." [Geistige Abstraktionen sind nicht allgemeingültig ... Abstraktion ist nur eine Modalität des Erkennens mittels Universalisierung. - wp] (PETRUS AUREOLUS) (8)
)Wenn auch DUNS SCOTUS, der  doctor subtilis,  dieselbe Formel des gemäßigten Realismus wie sein Gegner, der  doctor angelicus  gebrauchte, so konstruierte er doch das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen in ganz anderer Weise als dieser.

Das Allgemeine ist nicht, wie THOMAS meint, mit der Form zu identifizieren und in der Materie das individualisierende Prinzip zu suchen, vielmehr ist das Allgemeine nur wirklich, indem es durch die Reihe der vom Allgemeinen zum Besonderen absteigenden Formen schließlich durch die besonderen Einzelformen realisiert wird. Haecceitas est singularitas! [Diesheit ist Einzelheit - wp] So mag WINDELBAND schon recht haben, daß OCKHAM von der Theorie seines Lehrers aus, wonach das Individuum die letzte Form aller Wirklichkeit sei und es sich nur frage, wie bei dieser alleinigen Realität der formbestimmten Einzelwesen von einer Realität der allgemeinen Natur geredet werden könne, zur Erneuerung des Nominalismus gelangt sei, wonach das Wirkliche nur das Einzelwesen und das Allgemeine nur ein Produkt des vergleichenden Denkens sei. (9)

Sicher ist jedenfalls, daß durch die eindrucksvolle Persönlichkeit OCKHAMs, durch seine zahlreichen scharfsinnigen logischen und theologischen Werke die dialektischen Streitigkeiten über die Universalienfrage bei den kontrovertierenden gelehrten Geistlichen wieder an die erste Stelle traten und ferner, daß er ihnen eine neue Wendung gab, indem er das Wesen der Begriff (termini) in deren Suppositionsfähigkeit setzte und die Universalienfrage den  proprietates terminorum  [Eigenschaften von Begriffen - wp] unterordnete. Hier mag es dahingestellt bleiben, ob OCKHAM, wie PRANTL annimmt, die "Summulae logicales" des PETRUS HISPANUS, an die sich OCKHAM anschloß, eine Übersetzung des logischen Handbuchs des Byzantiners MICHAEL PSELLUS sind, oder ob, wie die neueste Forschung festgestellt zu haben meint, PETRUS HISPANUS, der selbständige Verfasser der "Summulae logicales" ist, die erst im 15. Jahrhundert durch GEORGIUS SCHOLARIUS aus Konstantinopel ins Griechische übersetzt, dem PSELLUS vielleicht seines berühten Namens wegen fälschlich zugeschrieben sind.

In den "Summulae logicales" werden nun die  quinque voces  [fünf Stimmen - wp] erörtert, die in der Übersetzung Einführung in die aristotelischen Kategorien des PORPHYRIUS durch BOETHIUS sowie in seinen Kommentaren zu der eigenen Übersetzung und der des VICTORINUS im älteren Nominalismus eines so große Rolle gespielt haben (10). In der Einführung wurzeln die Hauptrichtungen der dialektischen Streitigkeiten über die Universalien. ARISTOTELES - heißt es darin - habe in zehn Kategorien die unendlich vielen Verschiedenheiten der Dinge in allgemeinste Gattungen zusammengefaßt, um deren wissenschaftliche Erkenntnis zu ermöglichen. Für ihr Verständnis und für die Aufstellung von Definitionen, von Einteilungen für die Lehre von der Beweisführung müsse die Erläuterung der  quinque voces  vorangehen. Noch bei OCKHAM in seiner "Aurea expositio" wird auf sie als logisch-metaphysisch bedeutsame Ausgangspunkte der Untersuchung Bezug genommen. Quid sit genus, quid differentia (der artmachende Unterschied) quid species, quid proprium (das eigentliche Merkmal), quid accidens (das nicht wesentliche Merkmal)? fragt PORPHYRIUS (11).

Und weiter fragt BOETHIUS in seinem Kommentar "Ad Porphyrium a Victorino translatum": prima est quaestio, utrum genera ipsa et species verae sint an in solis intellectibus nuda inaniaque fingantur?" [Die erste Frage ist, ob sie wahr sind oder mit Art und Gattung ungeniert geistig nackte und nichtindivduelle Konzepte vertreten werden? - wp] worauf er dann in seinem und im Sinne des PORPHYRIUS die Antwort gibt: "Non est dubium, quia verae sint et certa animi consideratione teneantur." [Es besteht kein Zweifel, weil sie wahr sind und mit voller Prüfung des Geistes abgehalten werden. - wp]

Differentia, proprium, accidens sind nur nähere Bestimmungen des genus und der species, so daß diese in den Erörterungen der Scholastiker in den Vordergrund treten; von den Neueren werden sie allein als Allgemeinbegriffe bezeichnet.

Von denvorhin erwähnten proprietas terminorum, die im siebenten Abschnitt der "Summulae logicales" unter dem Titel "De terminorum proprietatibus" behandelt werden, ist vor allen die  suppositio  von großem Einfluß auf die Ausbildung der nominalistischen Theorie geworden.

PETRUS HISPANUS stellt sechs proprietas terminorum auf:
    1.  suppositio  "die Annahme eines substantivischen Begriffs anstatt eines anderen, namentlich eines beschränkteren, in den Umfang des ersteren fallenden Begriffs," "suppositio est acceptio terminie substantivi pro aliquo." [Voraussetzung ist die Annahme einer materiellen Bedingungen des Satzes für alle - wp]

    2.  ampliatio  (Erweiterung der Bedeutung)

    3.  restrictio  (Verengung der Bedeutung)

    4.  appellatio  (Annahme eines Begriffs für ein wirklich existierendes Objekt)

    5.  distributio  ("die durch ein Zeichen der Allgemeinheit entstehende Vervielfältigung eines Gemeinbegriffs")

    6.  exponibilia  (erklärungsbedürftige, nur in Verbindung mit anderen Wörtern bedeutungsvolle Ausdrücke) (PRANTL, Bd. II, Seite 287)
Die bekannten Handschriften der Synopsis des PSELLUS enthalten nur einen Teil der bei PETRUS HISPANUS vorgetragenen Lehre "De terminorum proprietatibus." Wahrscheinlich ist aber die ganze Lehre auch von PSELLUS behandelt worden. (PRANTL, Bd. II, Seite 287).

"Wie freilich der ganze neue Abschnitt "De terminorum proprietatibus", der im allgemeinen wohl aus der in der Stoa üblichen Verschmelzung der Logik mit der Rhetorik und Grammatik hervorging, entstanden ist, darüher fehlt noch die volle Aufklärung." (ÜBERWEG, Geschichte der Philosophie, Bd. II, Seite 232)
LITERATUR: Alfred Küthmann, Zur Geschichte des Terminismus [Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte, hg. von Richard Falckenberg, Heft 20], Leipzig 1911
    Anmerkungen
    1) RUDOLF EUCKEN, Geschichte der philosophischen Terminologie, Seite 75 und 77.
    2) Drei kleinere Abhandlungen aus neuerer Zeit, in der Richtung dieser Arbeit liegend, haben sich mit dem älteren und jüngeren Nominalismus beschäftigt. CARL GRUBE "Über den Nominalismus in der neueren und französischen Philosophie" (Inauguraldissertation, Halle 1889), eine sehr lesenswerte, gründliche, kleine Arbeit, welche die Nachwirkung und Ausgestaltung des Nominalismus in den Lehren einer Reihe neuerer Philosophen HOBBES, BERKELEY, HUME, CONDILLAC, TAINE, SHUTE) im einzelnen verfolgt. - - - Sodann, die 1901 erschienene Inauguraldissertation von RICHARD GAETSCHENBERGER "Grundzüge einer Psychologie des Zeichens", welche scharfsinnig und bis zur äußersten Skepsi fortschreitend diesen wichtigsten Bestandteil der terministischen Philosophie behandelt. Anknüpfend an das Beispiel des SEXTUS EMPIRICUS, daß Rauch ein Zeichen für Feuer ist, nimmt GAETSCHENBERGER den Standpunkt des naiven Realisten ein, der die Einsicht in seine Naivität besitzt. Unser wissenschaftliches Beweisen und Erkennen hat nur Zeichen zum Gegenstand. "Die Resultate der vorliegenden Arbeit gründen sich auf Zeichen, die für micht bei meiner jetzigen Erfahrung und meinem jetzigen Bewußtseinszustand sichere sind, wird nicht behauptet. Auch wird für diese Resultate kein höherer Grad der Geltung beansprucht als für die Behauptung des Laien von der Existenz eines Wahrgenommenen und für ihre Beweise keine höhere Beweiskraft als für den genannten Laienbeweis." (Seite 132) "Es gibt auch für die wissenschaftliche Behauptung keinen treffenderen Beweis für die reale Existenz meines Bleistifts als den, den ich erbringe, indem ich nach dem Bleistift greife. Der Laie beweist die Existenz eines Wahrgenommenen als eines Körpers eben dadurch, daß er sich die Bestätigung durch einen anderen Sinn oder durch denselben Sinn von einem anderen Standpunkt aus verschafft hat. "Die Beweise, welche ebenso klar sind, wie dieser Laienbeweis ... sind die sichersten Beweise, die wir liefern können." (Seite 131). - - - HUGO SPITZER "Nominalismus und Realismus in der neuesten deutschen Philosophie" (Leipzig 1876) sucht in allerdings sehr allgemeinen Ausführungen aus FICHTE, SCHELLING, HEGEL, HERBART, BENEKE, DÜHRING zu begründen, "daß die Geschichte der neuesten deutschen Philosophie einen sprechenden Beweis dafür liefert, welche wichtige Rolle Realismus und Nominalismus spielen, wie tief sie in die Bildung der philosophischen Systeme eingreift, wenn sie auch ... nicht mit ihren eigentlichen Namen auftreten und nur sozusagen hinter den Kulissen stehen." (Seite 8)
    3) "Unsere Vorstellungen von den Dingen  können  gar nichts anderes sein, als Symbole, natürlich gegebene Zeichen für die Dinge". (Die Tatsachen in der Wahrnehmung, 1878, Seite 12)
    4) Vgl. ÜBERWEG, Grundriß der Geschichte der Philosophie, 9. Aufl., Bd. II, Seite 513
    5) Die Stellen aus De interpret. und De categ. bei ARISTOTELES abgedruckt bei PRANTL, a. a. O. I, Seite 145, Anm. 197 und I, Seite 218, Anm. 387.
    6) STÖCKL, a. a. O. Bd. II, Seite 462
    7) PRANTL, a. a. O. Bd. III, Seite 293, Anm. 559
    8) PRANTL, a. a. O. Bd. III, Seite 323, Anm. 711
    9) WINDELBAND, Geschichte der Philosophie, Seite 270
    10) Die  quinque voces,  die sich schon im Keim bei ARISTOTELES finden, haben eine interessante Vorgeschichte, die von PRANTL bei THEOPHRAST, bei den römischen Rhetoren, bei GALENUS, APULEJUS, PORPHYRIUS, MARCIANUS CAPELLA genauer verfolgt wird (Bd. I, Seite 342, 395, 518, 565, 584, 627, 674)
    11) PRANTL, Bd. I, Seite 685, Anm. 86