RickertWeißeMFKvon KirchmannWindelbandNatorp | |||||
Vom Anfang der Philosophie (1) [1/2]
I. Die drei Begriffe des Anfangs Mit diesen Worten beginnt HEGEL das erste Buch seiner "Wissenschaft der Logik" und erörtert dann das Problem des Anfangs der Philosophie genauer. Wir haben keine Veranlassung, auf seine Gedanken weiter einzugehen, sondern heben nur die Behauptung heraus, daß der Anfang entweder ein Vermitteltes oder ein Unmittelbares sein müsse, und daß er weder das Eine noch das Andere sein könne. Läßt das sich sachlich begründen, oder entsteht die Schwierigkeit, von der HEGEL spricht, nicht vielmehr dadurch, daß das Wort "Anfang" mehrdeutig ist, und daher ein vermittelter "Anfang" in der einen Bedeutung eventuell sehr wohl mit einem unmittelbaren "Anfang" in der anderen Bedeutung verbunden werden kann? Jedenfalls wird man gut tun, genau anzugeben, was man unter Anfang versteht, bevor man das Problem des Anfangs der Philosophie behandelt, und da zeigt sich dann zuerst eine doppelte Bedeutung, welche mehr noch als in der deutschen Sprache im Griechischen und Lateinischen zum Ausdruck kommt. Unter "Arche" und "Prinzip" versteht man in der Philosophie nicht so sehr das zeitlich Erste, als vielmehr das, was begrifflich allem anderen "vorangeht". Wir wollen das Fremdwort Prinzip ohne weiteren Zusatz, wie es üblich geworden ist, nur für ein begrifflich Erstes verwenden und davon den bloß zeitlichen Anfang trennen. Dann ergibt sich die Möglichkeit, zu sagen: der zeitliche Anfang der Philosophie müsse zwar etwas Vermitteltes sein, ihr begrifflicher Anfang oder ihr Prinzip könne dagegen trotzdem etwas Unmittelbares bleiben. Doch ist mit dieser Unterscheidung die Zahl der Bedeutungen, welche das Wort "Anfang" haben kann, noch nicht erschöpft. Man muß, auch wenn man von einem bloß zeitlichen Anfang absieht, sich fragen, ob man an den Anfang der Welt oder an den Anfang des Systems denken will. Beide Anfänge können eine begriffliche Priorität haben und etwas Unmittelbares sein, aber die Art ihrer Ursprünglichkeit und Unmittelbarkeit ist eventuell sehr verschieden. Das läßt sich vielleicht am einfachsten durch eine geschichtliche Erinnerung klarmachen. Das Suchen nach dem Prinzip der Welt ist so alt wie die Philosophie. Das Bewußtseins dagegen, daß es eine Schwierigkeit sei, für den Aufbau des Systems einen Gedanken zu finden, der begrifflich allen andern Gedanken vorangeht, ist, wie HEGEL mit Recht bemerkt, erst in neueren Zeiten von maßgebender Bedeutung geworden. Wenn z. B. die griechischen Philosophen nach der Arche fragten, wollten sie wissen, "was die Welt im Innersten zusammenhält". Sie suchten also nach dem Prinzip allen Seins oder, wie HEGEL sagt, nach dem "objektiven Anfang aller Dinge". Der wurde als Wasser oder als Luft, als Apeiron [Unendliches - wp] oder als Nous [Geist, Intellekt - wp] bestimmt. Diese "Arche" steht insofern am "Anfang" der Welt, als alles andere Sein aus ihr erst folgt, und sie muß zugleich als das Unmittelbare gelten, im Vergleich zu dem das übrige Sein zu etwas nur Vermitteltem herabsinkt. In solcher Weise hat dann jede umfassende Philosophie nach dem Weltanfang aus einem anderen Sein nicht mehr Abzuleitenden gesucht. Man kann das Weltprinzip dabei auch an die Spitze der Darstellung bringen und damit zum zeitlich Ersten machen, wie z. B. das Johannesevangelium es mit dem Satz: "Im Anfang war der Logos", tut. Doch bleibt eine Koinzidenz von zeitlichem Anfang und Prinzip des Seins etwas Zufälliges. Es ist für den Weltgrund selbst unwesentlich, ob die Darstellung faktisch mit ihm beginnt. Gibt es nun außer diesen zwei Anfängen noch einen dritten? Was meinten die Philosophen der neueren Zeit, wie z. B. DESCARTES, wenn sie nach dem begrifflich notwendigen Anfang ihres Denkens suchten? Damit war nicht das zeitlose Prinzip allen Seins gemeint, aber auch nicht nur der erste Satz der Darstellung, sondern man fragte nach dem Gebilde, an das man zuerst zu denken hatte, wenn man das System der Philosophie aufbauen wollte. Der Gedanke an das logisch Unableitbare und insofern Unmittelbare sollte das erste Glied des Systems sein, der Grundstein, auf dem alle folgenden Gedanken ruhten. Er war daher zuerst festzulegen, konnt aber dem Grundprinzip des Seins noch sehr fernstehen. Daher muß die Frage, womit die Welt selbst "anfängt", von der Frage, was bei ihrer Darstellung im System an den Anfang gehört, sorgfältig geschieden werden, obwohl beide Fragen sich nicht auf einen bloß zeitlichen Anfang, sondern auf eine begriffliche Priorität beziehen, ja beide etwas Unmittelbares meinen, da auch das erste Glied des Systems nicht aus anderen Gliedern abzuleiten ist. Wir haben im ganzen als drei Bedeutungen des Wortes Anfang auseinanderzuhalten: erstens den zeitlichen und zufälligen Anfang oder den Ausgangspunkt, mit der Philosoph faktisch beginnt, und der kein Unmittelbares zu sein braucht; zweitens den begrifflichen und notwendigen Anfang, der als das logisch Unmittelbare zum Anfang des Systems gemacht wird, weil alle folgenden Gedanken auf ihm ruhen sollen; endlich drittens den Anfang, der als Prinzip allen Seins oder als Grund der Welt das sachlich oder ontologisch Unmittelbare zu nennen ist, weil aus ihm alle übrigen Weltteile herstammen. Scheidet man diese drei Begriffe des Anfangs und die damit zusammenhängenden zwei Begriffe des Unmittelbaren nicht voneinander, dann wird man nie zur Klarheit darüber kommen, womit das System der Philosophie als mit seinem ersten Glied zu beginnen hat, um das zu leisten, was man mit Recht von einem System verlangt. Wir wollen uns im folgenden, wenn wir nach dem Anfang der Philosophie fragen, auf den an zweiter Stelle genannten Anfang des Systems beschränken und geben vorher nur noch etwas genauer an, wie sich dieser Anfang zum ontologischen Weltprinzip einerseits, zum zeitlichen oder faktischen Anfang als dem Ausgangspunkt der Darstellung andererseits verhält. Man kann, um von allem bloß Zeitlichem zunächst abzusehen, meinen, daß Weltgrund und * Systemanfang in unaufhebbarer Beziehung zueinander stehen. Die Gliederung des Systems muß doch irgendwie der Glieerung des * "Gegenstandes", der darin dargestellt werden soll, also der Gliederung der Welt, entsprechen. Insofern darf auch der notwendige Anfang des Systems oder das logisch Unmittelbare vom Prinzip der Welt oder dem sachlich Unmittelbaren nicht ganz unabhängig gedacht werden. Noch mehr: es gibt tatsächlich Systeme der Philosophie, die das Weltprinzip schon in das erste Glied ihrer Darstellung bringen. Ist diese Reihenfolge nur zufällig? Gewiß nicht. Wir werden später selbst zu zeigen haben, worauf die notwendige Beziehung zwischen Systemanfang und Weltanfang beruth. Doch lassen wir diese Frage zunächst beiseite. Es gilt festzustellen, weshal von einem notwendigen Zusammenfallen des logischen und sachlichen Anfangs keine Rede sein kann, und das zeigt schon die andere Tatsache, daß in manchen Systemen der Philosophie Systemanfang und Weltprinzip faktisch weit auseinander liegen. Ja man kann noch mehr behaupten: es gibt eine Art des philosophischen Denkens, für die jedes Voranstellen des Weltprinzips als Systemanfang geradezu eine Unvollkommenheit des Systemaufbaus bedeutet. Damit stoßen wir auf den Gegensatz des Kritizismus zum Dogmatismus, wobei unter Kritizismus nicht nur die Philosophie KANTs, sondern jedes philosophische Denken zu verstehen ist, das mit Hilfe logischer Begründung zum Weltprinzip allmählich vorzudringen sucht. Nur der "Dogmatiker" glaubt, es lasse sich das sachlich Unmittelbare oder der Weltgrund logisch unmittelbar beim Beginn des Weltdenkens erfassen. Der kritisch geschulte Philosoph wird im "Anfang" des Seins vielmehr das Letzte sehen, über das er sich am Beginn des Systems noch jedes Urteils zu enthalten hat. Insbesondere, ob das A zugleich das O ist, oder ob, wie manche lehren, Arche und Telos zyklisch verbunden werden können, muß zunächst völlig in der Schwebe bleiben. Erst dann bekommt der Schritt für Schritt sich vollziehende Aufbau eines Systems seinen vollen Sinn. Vom logischen Anfang aus soll der Weg allmählich zum sachlichen Anfang oder zum nicht weiter ableitbaren Weltgrund hinführen. Hielte man die beiden Anfänge oder Unmittelbarkeiten nicht auseinander, so verlöre die Entwicklung eines gegliederten Gedankengefühges ihr eigentliches Ziel, und ein System der Philosophie als eine mit Hilfe von Gründen fortschreitende Darstellung des Weltganzen könnte man entbehren. Mit dem Anfang hätte man zugleich das Ende erreicht. Deshalb ist der Anfang des Systems, jedenfalls begrifflich, streng vom Anfang der Welt zu trennen, wie berechtigt im übrigen auch die Meinung sein mag, es müsse schon bei der Bestimmung des Systemanfangs darauf Rücksicht genommen werden, daß durch die Entwicklung des Systems hindurch vom Anfang bis zum Ende der Weltgrund oder das letzte Prinzip allen Seins gesucht und schließlich gefunden werden soll. Vollzieht man aber die Trennung der beiden Anfänge vollständig, so kann man fragen, ob das Problem des Systemanfangs dann nicht doch mit der Frage nach dem zeitlichen Anfang zusammenfällt. Ist es nicht möglich, die Darstellung der Welt in sehr verschiedener Weise aufzubauen und trotzdem schließlich in jedem Fall zu einem Gedankengefüge zu kommen, das der Gliederung der Welt selbst irgendwie entspricht, also den Zweck der Philosophie erfüllt? Bekommt dann der Systemanfang nicht etwas Zufälliges und sinkt zum bloß zeitlichen Ausgangspunkt herab, falls in ihm jeder Hinweis auf den letzten Weltgrund fehlt? Müssen wir daher nicht die zuerst angegebene dreifache Bestimmung des Anfangs wieder fallen lassen und uns damit begnügen, den zeitlichen Anfang der Darstellung, der zufällig sein kann, vom notwendigen und zeitlosen Prinzip der Welt zu trennen? Um hierüber zur Klarheit zu kommen, halten wir uns vor allem wieder an die Philosophie der neueren Zeit, soweit sie dem Weltproblem mit vollem Bewußtsein das Erkenntnisproblem voranstellt. Sie braucht darum nicht zu meinen, daß die Frage nach dem Prinzip des Seins sich in die Frage nach dem Prinzip des Erkennens auflöse, oder die Ontologie nur noch als Logik zu treiben sei. Sie glaubt nur, daß der Weg zur Erfassung des Weltgrundes allein durch die Klarheit über das Wesen des Welterkennens hindurchführt. Das System der Darstellung ist dann notwendig mit dem Subjekt verknüpft, das die Welt durch ein Gedankengefüge erkennen will, und die erste Frage, welche sich dieses Subjekt stellt, muß daher lauten: was ist im System voranzustellen als das, was sich für das erkennende Subjekt als das Unmittelbare erweist? Damit aber wird der Begriff des logisch Unmittelbaren zu einem selbständigen Problem für den Aufbau des Systems, und die Frage danach fällt nicht mehr mit der Frage nach dem bloß zeitlichen Ausgangspunkt zusammen. Das läßt sich besonders so deutlich machen: das erkennende Subjekt sucht Wahrheit über die Welt und verlangt für sein Denken nach einem Wahrheitskriterium. Dieses findet es in der Gewißheit, und es wird vor allem für den Anfang nach Gewißheit suchen. Dem ersten Glied des Systems aber muß die vermittelte Gewißheit fehlen. So nimmt das Unmittelbare des Systemanfangs die Form des unmittelbar Gewissen an. Falls der Anfang, der nicht durch vorangehende Teile des Systems begründet sein kann, ungewiß bleibt, schwebt alles Folgende, also das ganze System, sozusagen in der Luft. Die Darstellung muß daher mit etwas unmittelbar Gewissem beginnen, d. h. mit einem Gedanken, der in sich ruht, ohne einer Vermittlung zu bedürfen. Ein solcher Anfang des Systems kann aber nicht mehr bloß zeitlich und zufällig heißen, sondern ist ausdrücklich als logisch notwendig zu erweisen. Worin das besteht, was ohne Vermittlung als logisch Erstes in sich ruht, ergibt sich in keiner Weise von selbst, so daß es auch ohne Vermittllung gesagt werden könnte. Es muß vielmehr erst gesucht werden, und um es zu finden, sind Vermittlungen nötig. Jetzt sehen wir unser Problem klar. Man braucht vor allem einen zeitlichen Ausgangspunkt, um von ihm zum eigentlichen Systemanfang zu kommen, und es ist zu beachten, daß man diesem Ziel in der Tat eventuell auf mehreren Wegen zustreben kann. Wenn nur das erreicht wird, was für das erkennende Subjekt sich als das logisch Unmittelbare erweist, so ist jeder Ausgangspunkt gerechtfertigt. Insofern kann der zeitliche Anfang der Philosophie zufällig genannt werden. Es hängt von der geschichtlichen Situation, eventuell auch von der individuellen Begabung oder Neigung des Philosophen ab, womit er faktisch sein Weltdenken beginnt. Gemeinsam aber bleibt allen kritischen Philosophen trotzdem die Aufgabe, ihre bloß zeitlichen Anfänge daraufhin zu prüfen, was in ihnen an unmittelbarer Gewißheit steckt, und was als vermittelt ausgeschaltet werden muß, falls man zum logisch Unmittelbaren als dem begrifflich notwendigen Anfang des Systems kommen will, der als erstes Glied des System-Ganzen in sich ruht und daher fähig ist, die folgenden vermittelten Glieder zu tragen. Damit hat sich die Unterscheidung der drei Anfänge von neuem als in jeder Hinsicht notwendig erwiesen. Will man ein Beispiel, so kann man an DESCARTES denken. Sein * Zweifel ist der zeitliche Anfang oder Ausgangspunkt, sein Sum cogitans der Anfang des Systems, und erst in der unendlichen Substanz findet er den Anfang der Welt. Das läßt sich dann so verallgemeinern: Von einem, wie wir auch sagen können, psychologischen Anfang, der sehr verschieden gestaltet sein kann, sucht der kritische Denker zunächst zum absolut Gewissen vorzudringen, um es als das logisch Unmittelbare an den Anfang des Systems zu stellen, und muß dabei das, was Anfang der Welt oder letztes ontologisches Prinzip ist, noch unbestimmt lassen. Das universale Minimum Von hier aus wird auch ein viel behandelter Begriff verständlich, durch den man oft versucht hat, den Anfang des Systems zu bestimmen, und dessen Erörterung in der Tat dazu dienen kann, unser Problem weiter zu klären. Von hier aus wird auch ein viel behandelter Begriff verständlich, durch den man oft versucht hat, den Anfang des Systems zu bestimmen und dessen Erörterung in der Tat dazu dienen kann, unser Problem weiter zu klären. Man sagt, die kritische Philosophie habe voraussetzungslos zu beginnen, und gewiß steckt darin etwas Richtiges. Aber das Wort ist zugleich mißverständlich. Wie will man zu denken auch nur anfangen, ohne irgendetwas vorauszusetzen? Ist der Anfang nicht vielmehr selbst schon Voraussetzung im eigentlichen Sinne, d. h. besteht das Anfangen des Systems nicht darin, daß man einen Gedanken allen anderen voraussetzt? Wollte man alle Voraussetzungen ausschalten, so käme man entweder in eine endlose Reihe oder zum reinen Nichts und könnte einen positiven Anfang des Systems nie erreichen. Jeder Anfang macht also notwendig irgendeine Voraussetzung, genauer: er ist selber Voraussetzung, d. h. der Philosoph nimmt bereits am Anfang etwas als feststehend an, und das allein kann man von ihm verlangen, daß seine Anfangs-Voraussetzung nicht auf einer weiteren Voraussetzung ruht oder durch sie erst vermittelt wird. Will man trotzdem dem Begriff der Voraussetzungslosigkeit einen Sinn abgewinnen, so ist zu sagen: am Anfang der Philosophie dürfe nichts anderes als das Minimum dessen vorausgesetzt werden, was auch bei größter kritischer Vorsicht für das Denken der Welt unentbehrlich bleibt. So verstanden hat die Forderung der möglichst großen oder relativen Voraussetzungslosigkeit besonders dann Bedeutung, wenn man durch sie die Philosophie von den Spezialwissenschaften, d. h. von den Disziplinen, die sich auf Teile der Welt beschränken, unterscheiden will. Sie müssen spezielle Voraussetzungen machen, z. B. annehmen, daß es die Teilgegenstände, mit denen sie sich beschäftigen, als gesonderte Gebilde gibt. Sie brauchen nicht danach zu fragen, auf welchen Voraussetzungen solche Annahmen beruhen, ja sie können es nicht, falls sie nicht aufhören wollen, Spezialwissenschaften zu sein. So setzt die Physik die Körperwelt als einen für sich bestehenden Komplex ausgedehnter und aufeinander wirkender Dinge im Raum voraus, da sie sonst als Physik nicht anfangen könnte. Und mit anderen Spezialdisziplinen steht es im Prinzip ebenso. Sie nehmen eine Reihe von Sätzen an, die nicht als unmittelbar gewiß in sich ruhen, ohne nach ihrer Begründung zu fragen. Bis zum logisch Unvermittelten, nicht mehr durch andere Voraussetzungen Getragenen vorzudringen, haben sie als Teilwissenschaften keine Veranlassung. Sie schieben die Probleme, die in ihren Voraussetzungen stecken, zurück. Die Philosophie dagegen, welche Wissenschaft vom Weltganzen ist, darf so nicht verfahren. Gerade die vermittelten Annahmen der Spezialwissenschaften macht sie zum Problem, denn so allein vermag sie zu dem vorzudringen, was keiner Vermittlung mehr bedarf, weil es in sich ruht. Insofern ist die Philosophiein der Tat die voraussetzungsloseste aller Wissenschaften. Das hat man oft erörtert, und es braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden. Wohl aber ist der Begriff des Minimums an Voraussetzungen vor noch einem Mißverständnis zu schützen. Es muß nämlich nicht nur ein Minimum überhaupt, sondern ein philosophisches Minimum sein, und sobald man daran denkt, kann man zweifeln, ob die Philosophie unter den Wissenschaften in jeder Hinsicht der wenigsten Voraussetzungen bedarf. Die speziellen Voraussetzungen der Teildisziplinen freilich kann sie gewiß entbehren. Braucht sie aber als Wissenschaft vom Universum dafür nicht andere Voraussetzungen, die für die Teildisziplinen nicht notwendig sind? Sie will doch das Ganze der Welt erkennen, also mehr leisten als jede Spezialforschung. Diese Aufgabe muß sie sich von vornherein stellen, und schon damit sind gewisse Voraussetzungen verknüpft, welche die Sonderdisziplinen nicht machen. Ja, kann man nicht sagen, daß mit Rücksicht auf das Maximum an Erkenntnis, das die Philosophie sich zum Ziel setzt und für prinzipiell erreichbar halten muß, sie zugleich die voraussetzungsvollste aller Wissenschaften ist? Hier sind wir an den Punkt gekommen, wo sich der Zusammenhang zwischen dem Anfang des Systems und dem Anfang oder Prinzip der Welt zeigt, d. h. wo das letzte Ziel der Philosophie, die Erkenntnis des Weltgrundes, schon das erste Glied des Gedankengefüges bestimmt, mit dem wir den Aufbau des Systems beginnen. Es setzen nämlich die Spezialwissenschaften nur die besonderen Teile der Welt voraus, mit denen sie sich beschäftigen, die Philosophie dagegen muß voraussetzen, daß es ein Weltganzes gibt, zu dem die Teile als Glieder gehören, daß also der Welt ein letztes Prinzip zugrunde liegt, welches alle Teile zu einem gegliederten Ganzen zusammenschließt. Was das Weltganze ist, und wie es sich gliedert, bleibt am Anfang des Systems nach wie vor dahingestellt. Aber daß es ein gegliedertes Weltganzes gibt, steht für die Philosophie von vornherein fest, und insofern ist sie in der Tat die voraussetzungsvollst aller Wissenschaften zu nennen. Wollen wir über die Bedeutung dieses Umstandes für den Systemanfang zur vollen Klarheit kommen, so ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die kritische Forderung nach einem Minimum an Voraussetzungen in gewisser Hinsicht unangetastet bleiben kann. Das System braucht am Anfang keine Voraussetzungen über den Inhalt der Welt zu machen, sondern hat sich auf Voraussetzungen über die Form ihrer Erkenntnis zu beschränken. Nur daran, daß sie Erkenntnis des Weltganzen überhaupt zu geben hat, muß sie denken. Das aber hat sie dann freilich bei jedem ihrer Schritte, auch bei ihrem ersten, ja besonders bei ihm zu tun, und dieser Umstand ist für die Gestaltung ihres Anfangs nicht bedeutungslos. Sie muß so beginnen, daß ihr Anfang bereits auf das Ende, d. h. auf die Erkenntnis des Weltganzen hinweist, und daraus folgt: schon das erste Glied des Systems muß einen universalen Charakter zeigen, d. h. zwar noch nicht das Ganze, aber ein Ganzes sein. Mit Rücksicht auf das, was wir bisher festgestellt haben, bedeutet das: soll der Systemanfang das im angegebenen logischen Sinn Unmittelbare umfassen, dann ist das Unmittelbare von vornherein als ein Ganzes oder als eine "Welt" zu behandeln, denn nur so gehört es als notwendiges Glied in das System der Weltwissenschaft. Das bestimmt dann den Begriff des kritischen Minimus näher. Die möglichst große Voraussetzungslosigkeit genügt für sich allein noch nicht. Das Minimum darf nicht ein, wenn auch noch so großer Teil des Unmittelbaren sein, sondern erst mit einem universalen Minimum, d. h. mit dem All des Unmittelbaren ist der volle Anfang des Systems erreicht. Jede Partikularität ist auszuschließen, oder genauer: solange man beim Partikularen bleibt, hat man noch keinen vollen Anfang der Philosophie, d. h. noch nichts, was als erstes selbständiges Glied des Systems gelten kann, sondern im günstigsten Fall einen bloß zeitlichen Anfang, den man dazu benutzt, um von ihm aus zum universalen Minimum vorzudringen. So verstehen wir, weshalb eine universale Forderung in formaler Hinsicht ergänzend zur kritischen Forderung hinzutreten muß. Erst die Verbindung von Unmittelbarkeit und Allheit gibt dem Anfang die Tragfähigkeit, welche die Weltwissenschaft für ihr Fundament braucht. Schon bei der Festlegung des logischen Grundsteins muß man daran denken, welches Gebäude auf ihm errichtet werden soll. Deshalb ist das universale Moment nicht weniger als das kritische zu berücksichtigen, falls man wissen will, was es mit der "Voraussetzungslosigkeit" der Philosophie auf sich hat. Ich und Nicht-Ich Nachdem die Aufgabe bestimmt ist, gehen wir dazu über, die Richtung zu erörtern, in der wir ihre Lösung zu suchen haben. Worin besteht das Minimum an Voraussetzungen, das tragfähig genug ist, um erstes Glied im Erkenntnismaximum zu sein? Bei der Beantwortung dieser Doppelfrage stellen wir die kritische Forderung nach möglichst großer Voraussetzungslosigkeit voran. Wir wollen also zunächst nur wissen: was ist unmittelbar in dem Sinne, daß es für das erkennende Subjekt unmittelbare Gewißheit besitzt? Schon die Antwort darauf kann, wie wir sahen, nicht "aus der Pistole geschossen" werden, d. h. nicht mit dem zeitlich ersten Satz des Systems fertig vor uns stehen. Es gilt in der Philosophie nicht, auf irgendein beliebiges Unmittelbares hinzuweisen. Damit wäre im Prinzip nichts geleistet. Wir suchen vielmehr den Begriff des Unmittelbaren, und zu seiner Bestimmung sind Vermittlungen nötig. Nur durch sie hindurch dringen wir zu dem Unmittelbaren vor, das sich zum ersten Glied des Systems eignet. Es schadet daher auch nichts, wenn unser zeitlicher Anfang oder Ausgangspunkt sich später als sehr vermittelt erweisen sollte. Wir haben den Begriff des Unmittelbaren noch nicht und sind daher auch noch nicht in der Lage, die zufälligen Bedingungen auszuschalten, die uns als Individuen und als Kindern eines besonderen Zeitalters anhaften. In ihnen mag als dem nur zeitlichen Ausgangspunkt eine Fülle von Vermittlungen und unkritischen Voraussetzungen stecken. Um nach Möglichkeit wenigstens von unserer individuellen Person loszukommen, streben wir ausdrücklich Fühlung mit dem früheren Denken an, das sich um den Begriff des Unmittelbaren bemüht hat, und fragen, was bisher den Philosophen geeignet schien, zum Anfang des Systems gemacht zu werden. Die darin vorliegende Arbeit können wir für unseren Zweck benutzen. Der Begriff des Unmittelbaren ist für sich betrachtet negativ. Er weist alles Vermittelte ab und enthält insofern lediglich ein Problem: was bleibt als unmittelbar übrig, wenn alles Vermittelte ausgeschaltet ist? Trotzden denkt man dort, wo man die Beschränkung auf das Unmittelbare als kritische Forderung stellt, noch an etwas anderes als an die bloße Weglassung aller Vermittlungen, und zwar liegt ein Hinweis auf eine nähere Bestimmung bereits dann vor, wenn man das Unmittelbare, wie es allgemein üblich ist, das unmittelbar Gegebene nennt. Das Wort "gegeben" verliert nämlich seinen sinn ohne Voraussetzung eines Ich oder eines "Subjekts", dem etwas gegeben ist. Unmittelbar gegeben kann nur das sein, was ich unmittelbar habe, und mit dem mir Gegebenen soll daher das Denken über die Welt beginnen, um alles, was ich erst durch Vermittlungen erfasse, auszuschalten. Diese Bestimmungen des logischen Anfangs wird den Meisten wohl als selbstverständlich erscheinen, und durch sie erhält die kritische Forderung in der Tat erst ihre Begründung. Aus dem Problem des Anfangs als eines Erkenntnisproblems ist das erkennende Ich nicht fortzudenken. Zugleich darf man die Tragweite dieser "Selbstverständlichkeit" nicht unterschätzen. Im Begriff des "mir unmittelbar Gegebenen" steckt von vornherein ein Doppeltes: ein Ich als "Subjekt", dem etwas unmittelbar gegeben ist, und ein dem Ich gegebenes "Objekt", welches den Charakter der Unmittelbarkeit trägt. Beide Glieder dieser Alternative sind zu berücksichtigen, wo man zu einem Anfang des Systems kommen will, der alle unentbehrlichen Voraussetzungen einschließt. Das Unmittelbare als Ganzes kann nicht etwa nur als unmittelbar gegebenes Objekt gefaßt werden, wie man es oft gedankenlos tut, wo man vom unmittelbar Gegebenen spricht, sondern erst durch die Beziehung auf ein Ich als Subjekt wird dieser Begriff vollständig und wahrhaft denkbar. Wollen wir also das unmittelbar Gegebene in seiner Totalität zum Anfang der Philosophie machen, so dürfen wir den Begriff eines Ich schon im ersten Glied des Systems nicht ignorieren. Ein Blick auf die Vergangenheit der Philosophie kann das bestätigen. Das Ich wird für das im angegebenen Sinn kritische Denken nicht selten von geradezu entscheidender Bedeutung. Man braucht nur daran zu erinnern, welche Rolle es dort gespielt hat, wo man in der neueren Zeit systematisch nach dem logischen Anfang des Systems suchte. Ausführungen von DESCARTES dürfen in dieser Hinsicht als klassisch gelten und haben eine übergeschichtliche Bedeutung. Der große Denker beginnt zwar faktisch, wie wir sahen, mit dem Zweifel. Aber der ist für ihn nur Vorarbeit. Er braucht den, wie seine Schriften zeigen, in jeder Hinsicht zeitlich bedingten Ausgangspunkt als Mittel, um mit seiner Hilfe zu dem zu kommen, was unmittelbar gegeben ist, und er findet dann den eigentlichen Anfang des Systems in sich selbst. Deshalb setzt er das "ich bin" an die Spitze, ohne die Absicht, damit schon etwas über den Anfang der Welt auszusagen. Der Zweifel hat diese erste positive Wahrheit aus allem Vermittelten als das unmittelbar Gewisse herausgelöst. An ihr zu zweifeln, ist schon deshalb unmöglich, weil ich, auch um zu zweifeln, als Ich existieren muß und daher nicht einmal zweifeln könnte, wenn der Satz "Ich bin" falsch wäre. Von der näheren Bestimmung, die das "Ich bin" zu einem "Sum cogitans" ausgestaltet, sehen wir dabei ab. DESCARTES ist uns nur ein Beispiel für jenen Typus der kritischen Philosophie, der in der neueren Zeit maßgebend wird. Wir können uns daher auf das Ich als den logischen Anfang des Systems beschränken. Werden nun auch wir im Einklang mit weit verbreiteten Ansichten von "uns selbst" ausgehen, um den Begriff des Unmittelbaren näher zu bestimmen, und dann das Ich an den Anfang des Systems setzen? Als zeitlicher Anfang scheint es auf jeden Fall geeignet. Es gibt nichts Gewisseres als das eigene ich und insofern keinen besseren Ausgangspunkt für eine Philosophie, die kritisch mit etwas absolut Gewissem beginnen will. Die Frage, ob wir damit schon das Ganze des Anfangs haben, lassen wir beiseite und nehmen nur an: das Ich ist ein Unmittelbares. Dementsprechend muß das Vermittelte als Nicht-Ich bezeichnet werden. Damit sind wir vor die Aufgabe gestellt, die Grenze zwischen Ich und Nicht-Ich zu ziehen, falls wir wissen wollen, was in den Anfang des Systems aufgenommen, und was von ihm ausgeschlossen werden soll. Doch sofort ist darauf hinzuweisen, daß die Gegenüberstellung von Ich und Nicht-Ich nicht in jeder Beziehung als eindeutig gelten darf. Wie im unmittelbar Gegebenen finden wir auch im Ich als Totalität etwas Doppeltes, und das wird insofern wesentlich, als das eine Glied, welches als Objekt dem Ich-Subjekt gegenübertritt, ebenfalls Nicht-Ich genannt werden kann. Dieses Nicht-Ich aber gehört so gut zum Unmittelbaren wie das Ich, ja es ist das unmittelbar Gegebene selbst. Wir müssen daher zwei Arten des Nicht-Ich unterscheiden und dementsprechend von einem Ich im engeren und im weiteren Sinn reden. Das eine Nicht-Ich bleibt mit dem Begriff des Ich notwendig verknüpft, und das ist aus dem Wesen des Ich leicht zu verstehen. Ein Ich ohne jedes Nicht-Ich läßt sich für sich allein als ein Ganzes nicht denken. Zum Subjekt gehört ein Objekt, ja diese Begriffe werden nur in ihrer gegenseitigen Beziehung aufeinander verständlich. Daher muß auch das Ich am Anfang der Philosophie, falls damit der ganze Anfang gemeint sein soll, so verstanden werden, daß er sich in ein Ich im engeren Sinne und ein Nicht-Ich spaltet. Das dem Ich unmittelbar Gegebene und notwendig mit ihm verknüpfte Nich-Ich wollen wir das immanente Nicht-Ich nennen. Das Ich im weiteren Sinne als ganzer Anfang umfaßt dann also das Ich im engeren Sinn und das ihm immanente Nicht-Ich als Doppeltheit von Ich-Subjekt und Ich-Objekt. Dieser Totalität der Ich-Welt, die wir dem Unmittelbaren gleichzusetzen und zum Anfang der Philosophie zu machen versuchen, tritt ein anderes Nicht-Ich gegenüber, das jenseits jeder Beziehung auf ein Ich, also außerhalb der Ich-Welt liegt, und das wir daher als das transzendente Nicht-Ich bezeichnen. Erst mit ihm ist das Gebiet bestimmt, das, weil es nicht mehr in die Ich-Welt fällt, am Anfang problematisch bleiben muß. Zuerst haben wir es nur mit dem Ich und dem ihm immanenten Nicht-Ich zu tun und zu fragen, wie dieser Doppelbegriff zu bestimmen ist, falls er die Forderungen erfüllen soll, die wir an den Anfang des Systems stellen. Die kritische Forderung nach einem Minimum an Voraussetzungen scheint durch ihn restlos erfüllt. Dem eigenen Ich kann niemand die unmittelbare Gegebenheit absprechen und ebensowenig dem, was diesem Ich als immanentes oder von ihm "vorgestelltes" Objekt, wie man zu sagen pflegt, gegenübertritt. Beide Seiten einer solchen Ich-Welt scheinen mit Rücksicht auf ihre unmittelbare Gewißheit in sich zu ruhen. Die Existenz des Ganzen kann nicht weiter begründet werden, und sie bedarf der Begründung durch andere Voraussetzungen auch nicht. Die Wahrheit der beiden Sätze "Ich bin" und "Das mir unmittelbar Gegebene ist" leuchtet ohne weitere Vermittlungen ein. Das sagt aber nicht, daß dieser Doppelsatz eine in jeder Hinsicht bestimmte und nur eine Bedeutung hat. Wir müssen daher noch näher auf ihn eingehen, weil sich sonst die weitere Frage nicht beantworten läßt, ob er auch in dem Sinne universal ist, wie wir es vom Anfang verlangen. Dabei kommt es vor allem auf den Begriff des Ich-Subjekts an, denn von seiner Bestimmung hängen die anderen Begriffe ab. Was unter dem immanenten Objekt verstanden werden muß, wird unzweideutig, sobald wir wissen, was wir unter dem Ich zu verstehen haben. Kennen wir seinen Begriff genau, dann können wir über den Begriff des ganzen Anfangs nicht mehr ihm Zweifel sein. Wir stellen daher zuerst die Frage, was ist in unserem versuchsweise angenomenen Anfang mit dem Wort Ich gemeint? In gewisser Hinsicht wird man auch das für selbstverständlich halten. Jeder weiß, was er meint, wenn er Ich sagt, denn niemand verwechselt sich selbst mit einem anderen. Von hier aus läßt sich ohne Schwierigkeit das Nicht-Ich bestimmen, und zwar sowohl das immanente wie das transzendente. Einen Zweifel darüber, was Ich und was dementsprechend Nicht-Ich sei, gibt es höchstens bei gewissen Formen der seelischen Erkrankung, und diese haben bei der Behandlung unseres Problems keine Bedeutung. Genügt es also nicht, wenn wir feststellen: unter einem Ich ist die eigene Person oder das "Selbst" zu verstehen und unter dem immanenten Nicht-Ich alles, was ihm unmittelbar gegeben ist? Dann brauchen wir uns über den Begriff des transzendenten Nicht-Ich nicht weiter den Kopf zu zerbrechen. Es kommt hier lediglich auf dessen negative Bestimmung an. Alles, was nicht zur Welt des Ich gehört, ist am Anfang als ungewiß auszuschalten. Es läßt sich in der Tat nicht leugnen, daß wir auf diese Weise einen bestimmten Begriff der Ich-Welt erhalten. Die Frage ist nur die: haben wir darin auch einen brauchbaren Anfang des Systems? Zu einer Antwort suchen wir dadurch zu kommen, daß wir nicht nur angeben, was in diesen Anfang gehört, sondern auch was wir ausschalten, d. h. als transzendentes Nicht-Ich problematisch machen müssen, um dann zu sehen, ob wir damit zu einem in sich klaren und logisch konsequent vollziehbaren Gedanken eines Ganzen kommen. Soll das Ich ein Individuum sein, so wird auch das immanente Nicht-Ich in seiner Totalität als ein individuelles Gebilde bestimmt. Dementsprechend hat SCHOPENHAUER den Satz "Die Welt ist meine Vorstellung" an den Anfang der Philosophie gesetzt. Beschränkt man aber den Anfang des Systems konsequent darauf, dann wird man notwendig zu jener Annahme geführt, die man früher Egoismus nannte und die heute Solipsismus heißt: es gibt allein mich selbst und das, was ich vorstelle. Da müssen wir fragen: kann man das, wenn auch nur versuchsweise oder vorläufig, für richtig halten? Noch mehr: ist das überhaupt denkbar? Wir sehen also davon ab, was der Solipsismus als endgültiges "System der Philosophie" bedeuten würde. In dieser Form wird er ja nur selten vertreten. Auch diejenigen, die mit ihm das Denken anfangen, geben in der Regel zu, ja versichern eifrig, daß man dabei nicht stehen bleiben könne. Als Ende der Philosophie sie das eine Absurdität. Doch darauf kommt es hier nicht an. Wir haben lediglich festzustellen, ob im Solipsismus überhaupt ein in sich klarer Begriff steckt, oder ob dieser "Standpunkt" nicht vielmehr schon als bloßer Anfang untauglich ist, weil er sich durch seine eigenen Konsequenzen aufhebt. Will man hierüber Klarheit, so ist vor allem auf die Ausnahmestellung zu achten, die dabei das eigene Ich erhält. Alles soll in mein Bewußtsein fallen. Daraus folgt unausweichlich, daß jedem fremden Individuum eine Existenz von der Art, wie ich selbst sie besitzes, als unmittelbar gewiß abgesprochen werden muß. Das Du verwandelt sich mit anderen Worten restlos in meine Vorstellung und hört damit auf, das zu sein, was man sonst unter einem Du versteht. Ein Du gibt es für diesen Standpunkt überhaupt nicht mehr. Da müssen wir von neuem fragen: kann man das Selbstbewußtsein als etwas denken, das mit seinen ihm immanenten Objekten für sich allein als Welt des unmittelbar Gewissen besteht? Vielleicht wird man sagen, daß daraus begriflich keine Schwierigkeit erwachse. Kann ich doch sogar faktisch "allein" sein. Warum soll ich mich also am Anfang der Philosohie mit meinen Vorstellungen nicht allein denken? Gewiß vermag ich das, aber es kommt alles darauf an, was man unter "allein" versteht. Allein kann ich nur in einem Sinne sein, der zugleich den Gedanken des Solipsismus ad absurdum führt. Allein bedeutet dann nämlich soviel wie einsam, und dieser Begriff verliert seinen Sinn, wenn man dabei nicht an eine Gemeinschaft denkt, von der man sich getrennt hat. Ja, gerade das Ich, das sich "allein", d. h. einsam weiß, muß eine Gemeinschaft von anderen, ihm in ihrem Sein koordinierten Individuen voraussetzen. Ein einsames Ich als "Welt" gibt es nicht und kann es nicht geben. Ein eigenes individuelles Ich läßt sich nicht einmal denken, ohne daß der Gedanken an eine fremde Person ergänzend hinzutritt. Setzt man das eigene Ich als existierend voraus, so hat man damit implizit ein Du vorausgesetzt. Es kommt nur darauf an, das ausdrücklich zur Klarheit zu bringen: zum Wesen des "ipse" [er - wp] im Sinne des Solipsismus gehört es, nie "solus" [nur - wp] sein zu können. Wir stoßen damit auf dasselbe Prinzip, das schon einmal seinen Ausdruck fand, als wir von der unaufhebbaren Beziehung des Ich-Subjekts auf ein ihm gegebenes Objekt sprachen. Das Wesen des "heterothetischen" [nicht übereinstimmenden - wp] Denkens braucht in seiner Allgemeinheit nicht genauer erörtert zu werden. Es genügt, wenn wir kurz darauf hinweisen: manche Begriffe verlieren jeden Sinn, falls man sie nicht zusammen mit anderen Begriffen denkt. Der eine fordert den anderen als notwendige Ergänzung, und erst das aus beiden bestehende Ganze ist wahrhaft denkbar. Gewiß können wir das eine Glied einer solchen Korrelation begrifflich vom andern trennen, aber wir müssen es dabei zugleich auf das andere beziehen, weil sonst nicht einmal die begriffliche Trennung möglich wäre. In der Regel sind solche Begriffe Glieder einer Alternative und bilden zusammen eine Totalität, in der weder das eine noch das andere Glied fehlen kann. Zu ihnen gehört auc hder Begriff des "Selbst" als der des eigenen, individuellen Ich. Er hat lediglich als Glied des umfassenderen Begriffs eine Ich-Du-Korrelation Bestand. Gleichgültig ist, welche Seite man zuerst nennt. Die Entscheidung darüber betrifft die Frage nach dem zeitlichen und zufälligen Ausgangspunkt. Logisch ist das eine Glied so notwendig wie das andere, und keines von beiden besitzt Priorität. Damit leuchtet die logische Absurdität des solipsistischen Anfangs ein. Er versucht, in einem Ganzen, das aus zwei notwendig zusammengehörigen Gliedern besteht, dem einen eine Vorzugsstellung vor dem anderen einzuräumen, durch die es seinen Bestand verlieren würde. Das Du kann man sowenig ausschalten wie das Ich, und das Du als bloße Vorstellung des eigenen Ich ist nicht mehr das Du der Ich-Du-Korrelation, deren beide Glieder logisch zu koordinieren sind. Wollen wir trotzdem das Ich an den Anfang setzen und nur das ihm immanente Nicht-Ich anerkennen, so ist die Grenze zwischen Ich und Nicht-Ich in neuer Weise zu ziehen. Das immanente Nicht-Ich darf nicht nur aus den dem eigenen Ich unmittelbar gegebenen Objekten oder aus "meinen" Vorstellungen bestehen, d. h. das Ich darf nicht nur das eigene Ich oder Selbst bleiben. Der versuchsweise angenommene Anfang hat sich also als unbrauchbar erwiesen. Sein Begriff läßt sich nicht konsequent zu Ende denken, ohne über sich hinaus zu führen.
1) Die Abhandlung steht im engen Zusammenhang mit Gedanken, die ich unter dem Titel "Die Methode der Philosophie und das Unmittelbare" in dieser Zeitschrift (Bd. XII, Seite 235f) veröffentlicht habe. Doch bildet sich nicht die Fortsetzung des dort Gesagten, sondern gibt, wie schon ihr Titel vermuten läßt, das, was dem früher Gedruckten begrifflich noch vorangeht, dort aber nur ganz kurz angedeutet werden konnte. |