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(1854-1926) Die psychischen Quellen des Rechtsgehorsams und der Rechtsgeltung [3/3]
6. Der sittliche Typus des rechtmäßen Handelns Es sind noch zwei Dinge ins Reine zu bringen. Erstens: ob wirklich so viel praktisches sittliches Empfinden im Volk wohnt, wie notwendig wäre, um die regelmäßige Erscheinung des rechtgemäßen Handelns ohne genauere Rechtskenntnis daraus zu erklären, und dann ob der bisher hypothetisch unterstellte inhaltliche Parallelismus von Rechtsordnung und Sittlichkeit tatsächlich besteht, die eben erwähnte Erklärung also auch objektiv möglich ist. Was das erstere anlangt, macht man sich von der weitreichenden Geltung des Sittlichen im Leben meist keine richtige Vorstellung. Ein Schriftsteller, der das Wohnungselend der ärmeren Klassen erforscht und geschildert hat, bemerkt, wenn man die Verhältnisse kennenlernt, unter welchen die Menschen hier leben und sich trotzdem in der Mehrheit ehrlich und anständig erhalten, so müsse man ihre sittliche Widerstandsfähigkeit grenzenlos bewundern. Selbst wo Verelendung demoralisiert hat, pflegen bei Eintritt halbwegs günstigerer Verhältnisse bald Ansätze zu sittlichem Gewöhnen hervorzutreten. Rechtsgedanken, politische oder wirtschaftliche Ideen und Stimmungen sind nicht entfernt so konstant und im Innern des Menschen so fest verankert als sittliches Gefühl und sittlich Stimmung. Fast zwei Jahrtausende Christentum, von der Verknüpfung mit vorchristlichen Moralsystemen zu schweigen, haben sich dem Geist und Wesen der abendländischen Menschheit unauslöschlich eingeprägt und in der ewigen Flucht der Rechtserscheinungen war die christliche Ethik seither der ruhende Pol. Der Einfluß geschichtlicher Entwicklungen auf das Denken und Empfinden der Menschen wird so allgemein anerkannt, daß es nicht überraschen kann, wenn wir bei dem normalen, einigermaßen für die Gesellschaft erzogenen Menschen heute sittliches Denken antreffen, das durch wechselnde Zeitströmungen, Modephilosophien, politischen Radikalismus etc. nicht oder nur für kurze Zeit erschüttert wird, denn in der Erziehung für die Gesellschaft steht die Aufgabe, Sitte und sittliche Maximen einzuflößen, in erster Linie. Der gesellschaftliche Mensch ist in allem, was er anfängt, den Eingebungen der Sitte ausgesetzt, seine Lebensatmosphäre ist davon geschwängert. Ihre ethischen Urteile und Forderungen wirken in der Sprache, in den Idealen, in der Religion und in der allgegenwärtigen Kritik und Zensur der Gesellschaft. Sie walten in der allgemeinen Empörung über rücksichtslose Gewinnsucht, Ausbeutung der Notlage Anderer, Ausschreitungen des Gründungswesens und der Spekulation usw. und diese Empörung läßt sich nicht ersticken, wenngleich einzelne Schichten der Gesellschaft Wirtschaftsprinzipien verteidigen, die solche Exzesse zu rechtfertigen scheinen. Auch das reguläre Wirtschaftsleben kommt ohne ethischen Zusatz nicht aus. Ein ökonomischer Schriftsteller bemerkt, wenn bei aufgelöster Konkurrenz in aller Regel ein richtiger, gerechter Preis entsteht, sei dies nur dadurch zu erklären, daß die Menschen auf dem Markt durch einen gesellschaftlichen Geist geführt werden, der sie anhält, nach Treu und Glauben zu handeln und in jedem einzelnen Fall, eventuell selbst gegen ihren Egoismus den Preis so festzuhalten, wie er der allgemeinen Marktlage entspricht. Und sind Kreditverhältnisse ohne Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit und Treue denkbar? Sitte und Sittengesetz der Mehrheit werden so in unendlich vielen Formen, die vom Erhabenen bis zum Kleinlichen reichen, ein Berater, der nie von unserer Seite weicht und unser Denken und Handeln ganz seiner Herrschaft unterwirft. Es gibt natürlich immer Ausnahmen, der sittliche Status der Gesellschaft ist nach Zeit und Umständen verschieden, das wird sich aber auch in den Kurven der Statistik ausdrücken. Lebensmittelpreise, Arbeitsmarkt, wirtschaftliche Konjunktur, Alkoholismus, Unterrichtswesen, Familienverhältnisse, Gesundheitszustand, kurz alles was als Ursache der Schwankungen der Prozeß- und Kriminalstatistik betrachtet zu werden pflegt, wirkt nur mittelbar, durch den guten oder schlechten Einfluß auf Sittlichkeit und Pflichtauffassung. Die Antwort auf die zweite Frage kann ebenfalls nicht zweifelhaft sein. Sittlichkeit und Recht sind eines Stammes, ob nun das eine oder das andere als Prius angesehen wird. Von ihrer Geburtsstunde an stehen sie in Wechselbeziehung und streben einander zu. Römische Juristen bezeichnen unumwunden das Sittliche als die Materie des Rechts. CELSUS erklärt das Recht als ars boni et aequi [Kunst des Guten und des Gleichen - wp], das heißt das Recht ist die Ordnung, die Form und wenn man will, kann man auch sagen die Schönheit des sittlich Guten und des Wohlwollens, der Nächstenliebe. Man muß die Stellung des Sittlichen im Recht vollständig verkennen, wenn man dies wie DERNBURG mit "praktischer Verwirklichung des den Lebensverhältnissen Angemessenen" übersetzt. Noch lapidarer stellt ULPIAN die Ethik als Kern des Rechts hin in seinem berühmten Ausspruch: iuris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere [Die Gebote des Rechts sind diese: Ehrenhaft leben, niemanden verletzen, jedem das Seine gewähren. -wp]. Dieses Programm des Rechts enthält alle individualistischen und sozialen sittlichen Pflichten. In klassischer Kürze hat es bei den Vorarbeiten für das österreichische bürgerliche Gesetzbuch von MARTINI mit den Worten wiederholt: Recht ist alles, was an sich selbst gut ist, die er als einleitenden Satz an die Spitze des Gesetzbuchs zu stellen vorschlug. Eine Entfremdung zwischen den beiden Lebensordnungen war nie von langer Dauer. Richtig bemerkt daher THON, daß der Inhalt der Rechtsnormen in tausenden und abertausenden Fällen sich mit dem deckt, was auch andere ethische Mächte bestimmen. Noch darüber hinaus geht RUDOLF STAMMLERs Theorie vom richtigen Recht. Sie stellt zwar den "verbindenden Grundgedanken des gemeinsamen Kampfes ums Dasein", also ein scheinbar rein soziales Moment an die Spitze. Dieser Gedanke löst sich jedoch in die Grundsätze des Achtens und des Teilnehmens auf, deren einzelne Postulate und Konsequenzen sind: Ausschluß einseitiger Willkür, relative Wahrung der Interessen des Verpflichtetn, Maßhalten im Durchsetzen bloß subjektiver Zwecke und persönlich begrenzter Ziele. Niemand dürfe so behandelt werden, daß er ausschließlich rechtliche Pflichten hat usw. Das klingt wie eine ausschmückende Paraphrase der praecepta juris des ULPIAN. Es ist überflüssig nachzuweinse, daß diese Grundsätze sämtlich in der heutigen Ethik enthalten und aus ihr abzuleiten sind. STAMMLER ordnet sie allerdings einem sozialen Prinzip unter, da seiner Meinung nach vom Gemeinschaftsgedanken aus richtiges Wollen für andere durchführbar ist, ohne die Moral zu Hilfe zu nehmen. Seine Konzeption des Gemeinschaftsgedankens ist aber unbestreitbar selbst wieder Ausfluß der Moral einer bestimmten historischen Phase der Kultur und zumindest vorläufig der Wissenschaft der Ethik näher verwandt als einer naturwissenschaftlichen Gesellschaftslehre. Wenn man sich die Mühe nehmen will, können diese Zeugnisse aus der rechtswissenschaftlichen Literatur der letzten Jahrzehnte leicht vermehrt werden. Es kann demnach auch objektiv dieselbe Handlungsweise beiden Ordnungen genügen und sittliches Handeln rechtgemäßes Handeln sein. Da für die Verbreitung von Sitte und Sittlichkeit viel mehr geschieht als für die des Rechts, erstere deshalb auch mehr in das Volksempfinden übergegangen und, den Ausdruck bildlich gebraucht, instinktiv geworden ist, so ist von beiden Parallelsystemen das System der Sittennormen dem Volkssinn durchschnittlich vertrauter und geläufiger als das der Rechtsnormen. Wenn Recht und Sittlichkeit ungefähr gleiches Verhalten fordern, so wird deshalb in den über das Recht weniger unterrichteten Schichten viel häufiger inspiriert von der Sitte und den sittlichen Dogmen und Lehren der Zeit als wegen der Rechtssanktionen gehandelt werden. Die Regeln des Rechts würden ohne diesen Bundesgenossen ein geordnetes Gemeinleben kaum herstellen können. Da sich aber das positive Recht - wie erwähnt wurde - selten in allem und jedem mit der Sittenlehre decken wird, so wird des bei dem, sagen wir: uneigentlichen, indirekten Rechtsgehorsam an Inkonsequenzen nicht fehlen. Daraus wird jedoch kein Einwand gegen die Funktion erhoben werden können, die hier dem sittlichen Denken in der Rechtsbefolgung beigemessen wird. Wer nämlich das Rechtsleben einigermaßen kennt, weiß, daß ein die Rechtsnormen bis auf das Wort und den Buchstaben genau nachbildendes Vorgehen im praktischen Rechtsverkehr eine große Seltenheit ist, wenn es überhaupt jemals vorkommt. Zwischen Exerzieren und Rechtsübung ist ein natürlicher Unterschied, Weder läßt sich der zu gestaltende Stoff immer völlig in die gesetzlichen Formen zwängen, noch die geistig bewegliche Persönlichkeit unterdrücken. Anders als mit dem Vorbehalt kleinerer oder größerer subjektiver Freiheiten gegenüber dem objektiven Recht kann man von dessen Befolgung überhaupt nicht reden. Die Parteien pflegen auch über minder wesentliche Diskrepanzen in der Regel hinweg zu gehen, und nebensächliche Abweichungen urgieren und ausnützen, wird als Schikane gebrandmarkt. Im Rechtsverkehr agieren die Menschen nicht, wie bei der Abfassung komplizierter Verträge und dgl., das Gesetzbuch in der Hand und die gesamte Kasuistik des Gesetzes und der Judikatur im Kopf. In der Regel sind es verglichen mit den Paragraphen ziemlich summarische Skizzen, grobe Umrisse, die sie in ihrem Bewußtsein tragen und an die sie sich halten; nur das Hervorstechendste, die Hauptzüge bleiben im Gedächtnis und danach urteilen und handeln die Einzelnen, sofern sie nicht Fachleute sind, wie in anderen Dingen, so auch in Sachen des Rechts. Die Anschauungsweise des Juristen darf nicht auf den Rechtsgehorsam der Laien übertragen werden. Die ein Gesetz beherrschenden Rechtsideen und nicht die kunstvoll redigierten Paragraphen leiten das Rechtsleben des Volkes. Von der Ziselierarbeit an den Gesetzen hat deshalb das Publikum beim gegenwärtigen Stand der Rechtskenntnis im Großen und Ganzen wenig. Wenn Gesetz und Judikatur solche Feinheiten zu sehr kultivieren und auf sie hauptsächlich Gewicht legen, werden sie den Parteien oft Distinktionen aufnötigen, die diesen unverständlich sind und bei ihrem Handeln völlig fremd waren und die während sie als höchste Blüte des Rechts gemeint sind, unwillig fast wie Unrecht ertragen werden. Ungenauigkeiten werden demnach so oder so im Rechthandeln schwer zu verhüten sein, die Inkongruenzen von Sitte und Recht dürften sogar, wenn das Recht nicht allzu veraltet und unvolkstümlich ist, oft geringfügiger sein als die zwischen den eigentlichen Rechtsvorstellungen der Menge und den Rechtsquellen oder die Inkongruenzen, zu denen Rechtsnormen von zweifelhafter oder streitiger Auslegung oder Anwendbarkeit Anlaß geben. Wo die Inkongruenz von Sitte und Recht an derlei Ungenaigkeiten schuld ist, ergeben sich bisweilen jene hybriden Rechtsfälle, wo Recht und Unrecht seltsam durcheinander gemischt sind und die Nichtübereinstimmung mit dem Recht weil moralisch begreiflich keine aufrichtige Mißbilligung aufkommen läßt. Es werden z. B. Ansprüche aus Rechtsgeschäften befriedigt, die wegen des Mangels positiver Formerfordernisse ungültig sind, und auch was man das Notunrecht nennen könnte, ist meistens ein der Abgrenzungen des Rechts unkundiges sittliches Handeln im Rechtsgebiet. Die Struktur dieser zweiten Art Rechtsübung ist folgende: Gewisse, wenn auch undeutliche Vorstellungen über die bezüglichen Rechtsinstitute sind im Individuum vorauszusetzen, das bringt das Leben inmitten der Gemeinschaft und die damit gegebene Summe von Erfahren und Kenntnissen mit sich. Auf dieser Grundlage handelt nun der Einzelne nicht so sehr, weil er weiß, daß es vom positiven Recht unter diesen und jenen Folgen so vorgeschrieben ist, sondern weil er es nach seiner Gesinnung persönlich für notwendig hält, so zu handeln, weil er sich dazu innerlich verpflichtet fühlt. Er geht von einem bestimmten Erfolg aus, den er erreichen will, und tut, was ihm in dieser besonderen Lage die Sitte gebietet, was er als richtig, recht und anständig "empfindet". Etwaige widerstreitende Interessen wägt er nach den Maßstäben ab, die seinem sittlichen Takt entsprechen, nach ähnlichen Maßstäben versucht er ihre Ausgleichung und urteilt über die Erlaubtheit oder Unerlaubtheit der Rückwirkungen seines Handelns auf Andere. Von der Übertreten des Strafgesetzes wird weit öfer das sittliche Empfinden als streng juridische Erwägungen oder das Rechnen mit rechtlichen Valeurs abhalten. Vermöge des von ihm gefühlten Sollens handelt der Einzelne redlich, er hält und erfüllt sein Versprechen, leistet, was er seinen Nebenmenschen oder dem Staat schuldig ist, verrichtet die Arbeit, die er übernommen hat, kommt, so gut er kann, seinen Verpflichtungen in Ehe und Familie nach, achtet das Recht anderer, enthält sich der Übergriffe in fremde Rechtssphären, ersetzt den Schaden, den er angerichtet hat, liefert rechtzeitig die verkaufte Sache, gibt ihm Anvertrautes oder irrtümlich zuviel Gezahltes zurück, vermeidet alle Handlungen, welche die Gemeinschaft, den Frieden und die Ordnung des Staates oder dessen Beziehungen nach außen stören könnten, verhütet geplante Verbrechen, die ihm bekannt werden, gehorcht den im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt erlassenen Anordnungen der Organe der Gesellschaft usw. usw. Das sind die Dinge, um die sich das Rechtsleben der Massen hauptsächlich dreht. Derselbe Wegweiser wird aber auch in anderen mehr verworrenen Angelegenheiten auf das ungefähr Richtige hinführen. Die zur Sitte gewordene Sittlichkeit erhält das Rechtsleben im Gleis, die Neuerungen, welche die Juristen und Gesetzgeber in allen diesen Angelegenheiten von Zeit zu Zeit vornehmen, kommen für die Menge, solange die Urmaterie eines Rechtsverhältnisses im wesentlichen ungeändert bleibt, wenig in Betracht. Die Beteiligung der Laien an der Rechtsprechung ist auch aus dieser Perspektive zu beurteilen. Man sagt nicht mit Unrecht, daß das von Sitte und Sittlichkeit nahegelegte Verhalten in der Regel das zweckmäßigste sein wird, weil nur was den gesellschaftlichen Lebensbedingungen angemessen und günstig ist, Sitte werden kann. Außerdem werden bei einem solchen Handelns, das immanent auch auf Billigkeit abzielt, Erwägungen aus dem Zweck des Handelns mitwirken, Anschauungen des Verkehrs, die sich das Individuum angeeignet hat, Erfahrungen, die es in früheren Fällen erworben hat, Vorstellungen von dem, was sozial vernünftig ist, und sonstige Eindrücke des Kulturlebens der Zeit. Doch alle diese Assoziationen sind zugleich durch die moralische Art der Person bestimmt und schließen moralische Unterscheidungen in sich, die hauptsächlich gefühlsmäßig vorgenommen werden. Das Wesen dieses zweiten Typus rechtgemäßen Handelns ist daher das Dominieren der in Fleisch und Blut übergegangenen Gebote und Direktiven der Sitte und Ethik und ihrer Sanktionen, und deshalb kann es a potiori [der Hauptsache nach - wp] sittliches Handeln genannt werden. Die Jurisprudenz des kleinen niederen Tagesverkehrs ist größtenteils ein solches sittliches Handeln. Selbstverständlich entfaltet auch in dieser Gruppe Wiederholung, Nachahmung und Gewohnheit ihre segensreiche Funktion, infolgedessen schwächere sittliche Anlagen kein Hindernis für den sozial erwünschten allgemeinen Rechtsgehorsam sind. Nebenbei bemerkt wird Wiederholung und Gewöhnung in sozialen Verhältnissen gleichfalls durch ein sittliches Räsonnement gehärtet, nämlich durch den Gedanken, es wäre eine Schädigung der Interessen der Umgebung, wenn von einer Handlungsweise abgegangen würde, der die anderen, weil sie stationär ist, Methode und Politik ihres eigenen Lebens angepaßt haben. Nachahmung und Gewohnheit können den Unterschied der beiden Typen rechtgemäßen Handelns im Leben einigermaßen verwischen, sie auseinanderzuhalten ist aber, von ihrer stofflichen Differenz abgesehen, nach doppelter Richtung von Belang. Der Rechtsgehorsam muß, das ist das erste, nicht notwendig rein konfirmierend, ausführend sein, wie es bis nun angenommen wurde, er kann auch das Recht ergänzen oder abändern. Es wird jetzt oft über Lücken im Recht geschrieben und dabei das Problem so behandelt, als ob es hauptsächlich den Richter und die Rechtsprechung angeht. Das ist ein Irrtum. Bevor es ein Problem der Rechtsprechung wird, ist ein solches der Individuen, die das Recht befolgen sollen. Lücken im Recht, Spielraum, der dem Parteihandeln gewährt ist und dgl. sind durchwegs Fälle modifizierenden Rechtsgehorsams, und das derogierende [für ungültig erklärte - wp] Gewohnheitsrecht muß mit Akten abändernden Rechtsgehorsams beginnen. Ergänzender oder modifzierender Rechtsgehorsam, ob er nun individuell bleibt oder später einmal Gebrauch oder Gewohnheitsrecht wird, kann nicht rechtgemäßes Handeln des rechtlichen Typus sein, weil dieses seinen Inhalt einzig dem objektiven Recht entlehnt, außer diesem nur mit motivierenden, nicht mit inhaltlich bestimmenden Kräften arbeitet und unkritisch ist. Auch wer beim rechtgemäßen Handeln bewußt vom Gesetz ausgeht, muß, sobald dieses versagt, den Ersatz anderswo suchen. Er wird dann wohl nicht umhin können, so zu handeln, wie es ihm sein Gewissen, sein Rechtsgefühl, die von ihm nach seinem sittlichen Standpunkt verarbeiteten Kategorien des Zwecks, des Interesses, des Bedürfnisses des Verkehrs, der Natur der Sache auferlegen, und es wird im wesentlichen das Schema der zweiten Gruppe des rechtgemäßen Handelns sein, nach dem er sein Verhalten der unvollständigen Norm anzupassen suchen wird. Dahin spitzt sich auch überwiegen die neuere Lehre der Auslegung zu, wie sie z. B. ERICH JUNG in seiner Abhandlung "Positives Recht" entwickelt hat und in dieser Art rechtlichen Handelns hat daher auch jede höhere Zivilisation ihr latentes Naturrecht. Die beständige Bewegung, die im Recht außerhalb der Gesetzgebung wahrzunehmen ist, die vom Gesetz abweichende Praxis, die Entstehung von Gewohnheitsrecht neben dem Gesetz, die namentlich aus dem römischen Recht bekannte Humanisierung mancher Rechtsinstitute durch Übung und Sitte wären ohne modifizierenden Rechtsgehorsam nicht möglich. Es ist ein Haupttrumpf gegen die Normentheorie, daß sie für dise Erscheinungen keine Erklärung bietet. Die Klippe wird jedoch nicht vermieden, wenn man das Recht in den tatsächlichen Regelmäßigkeiten des sozialen Verhaltens erblickt. Gleichgültig, wie man die neue Übung auffaßt, sie ist ein Abgehen von der bisherigen Gleichmäßigkeit. Dieses Abgehen, das Losreißen vom geltenden Recht, das nach der Ansicht Aller die Gesellschaftsglieder unbedingt an sich fesseln soll, ist für die eine Theorie so schwer erklärlich wie für die andere. In Wahrheit findet nun in den früher aufgezählten Fällen ein eigentliches Losreißen von der Regel oder Norm überhaupt nicht statt. Das Rechtsinstitut in seinem Grundwesen, die Norm, die Lebensregel oder wie man es nennt, bleiben dasselbe, der Mensch nimmt nur eine veränderte Haltung zu ihnen ein. Er sieht in ihnen neues, das ihm bis dahin verborgen warm, nicht weil es nicht in der Regel, sondern weil es früher noch nicht in ihm, in seinem Bewußtsein war. Die Normen, Institute usw. erhalten teilweise neuen Inhalt, weil die Menschen von neuen Gedanken ergriffen wurden und danach die Dinge anders verstehen. Derartigen Wandlungen ist, wer das Recht übt, so gut untertan wie, wer über das Recht richtet. Sie sind keine Eigentümlichkeit des Rechts, alles Geistige ist ihnen unterworfen. Die Auslegung eines Vertrages, in den später infolge geänderter Auffassungen hineingelegt wird, woran die Parteien ursprünglich nicht dachten, gehört derselben Reihe an wie das Auffinden neuer Gedanken in einem Buch, die uns bei früherem Lesen trotz gleicher Aufmerksamkeit entgangen sind, oder das Entdecken neuer Schönheiten, wenn Kunstwerke nach längerer Zeit wieder betrachtet werden. Selbst die äußere Natur unterliegt dem gleichen Wechsel der Auslegung. Sie ist durch die Jahrhunderte dieselbe geblieben und was war und ist sie dem pantheistischen Griechen, dem scholastischen Mittelalter und dem Menschen der modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnis! Mit diesen Erscheinungen hängt es zusammen, daß sich aufgrund derselben Gesetzestexte und derselben Lebensregeln mannigfaltige Verhaltensweisen ausbilden können, von denen es ansich zweifelhaft ist, ob sie Recht für alle werden. Solange sie dies nicht erreicht haben, ist es eine dem geistigen Wesen der Menschen entsprechende freie Bewegung innerhalb des alten Rechts. Diese Art Schwankens und Änderns im Recht ist also nicht in Eigenschaften oder in Auffassungen des Rechts zu suchen, sondern im Menschen. Es ist etwas Naturgegebenes, jede Theorie hat es vorauszusetzen. Eine vernünftige Gesetzgebung wird sich dem Variations und Kombinationsbedürfnis des menschlichen Geistes gegenüber nicht kleinlich zeigen, sobald sie Sicherheit dafür hat, daß der Gedankenzug der Gesellschaft oder der hauptsächlich interessierten Kreise auf absehbare Zeit im ganzen ihr und ihren Zwecken günstig ist. Dem modifizierenden Rechtsgehorsam ist das rechtgemäße Handelns sehr ähnlich, wenn nach dem Gesetz die guten Sitten eingehalten werden müssen, Treu und Glauben oder die Verkehrssitte zu wahren sind, den Normen über unlauteren Wettbewerb Genüge geschehen soll und dgl. Das ist der zweite Punkt, wo - im früher erwähnten Sinne gesprochen - sittliches Handeln rechtskundiger Personen im Rahmen des Rechtsgehorsams vorkommt. Keine andere Kategorie paßt dafür so vollständig und es wäre vergeblich, sich oder anderen einreden zu wollen, daß unter solchen Umständen einfach eine Rechtsnorm in die Tat umgesetzt wird und sich das Sozial-Sittliche auf die Motive beschränkt. Wenig Rechtsordnungen ist diese Spielart der Rechtsbefolgung unbekannt und sie entbehren zu können, gereicht keiner zum Ruhm. Den Ausführungen über das sittliche Handeln im Rechtsleben ist für diese Spezies nur wenig hinzuzufügen. Hier ist die schwierigste Aufgabe zu verrichten, es sind sich gegenüberstehende schutzwürdige Interessen von einem direkt Beteiligten gerecht individualisierend abzugrenzen und das Sittliche, die bona fides [guten Glauben - wp] mit dem Zweck des Geschäfts zusammenzustimmen. Ein Vergreifen ist dabei leicht möglich. Für die moralische Überschwänglichkeit desjenigen zu bangen, der das Recht zu befolgen hat, ist keine Ursache. Je höhere Anforderungen er an sich stellt, desto besser. Gefahr einer Überspannung der sittlichen Forderungen besteht nur für den, dessen Verhalten als den guten Sitten zuwider, als Verstoß gegen Treu und Glauben usw. angefochten wird. Die Gefahr darf aber nicht übertrieben werden. Nicht nur, daß sie zu meistern ist, es ist auch eine wohltätige Gefahr. Vernünftiges Überlegen wird bald zu dem Schluß führen, daß es nach der sozialen Sendung des Rechts für den Streitfall kaum ein anderes Maß gibt als den Durchschnitt der analogen Fälle, die Verkehrssitte im fraglichen Tätigkeitszweig. Es kann kein Verhalten verlangt werden, das durch die zarte Zurückhaltung in Wahrung des eigenen Interesses auffällig von der Masse des sonst üblichen Verhaltens abstechen würde. Wenn sich dieser Durchschnitt hebt, so isti das ein Glück; um seine Aufwärtsbewegung nicht zu hindern, gibt das Gesetz eben nur Richtlinien. Die Bezeichnung des Rechts als ethisches Minimum will nicht besagen, daß die Sittlichkeit im Recht immer auf einem möglichst niedrigen Fuß bleiben muß und nie über die rohesten, kümmerlichsten Pflichten hinausgehen darf. Darum ist es keineswegs von Übel, wenn die Rechtsprechung die jeweils vollkommensten, bestkultivierten Vorgangsweisen der Verkehrssitte zum Muster und zur Richtschnur nimmt, sich tunlichst an ihre obere Schickt hält, statt sie durch eine zu karge Auslegung auf ein tieferes Niveau herabzuziehen. Mit der Erkenntnis, daß der Rechtsgehorsam der Laien und der Rechtskundigen in einem erheblichen Umfang sittlich orientiertes Handeln sei, ist eine Brücke geschlagen zur Gruppe des Rechtsgehorsams, von der zuerste die Rede war. Die Liste der Motive, die dabei vorkommen können, zeigte einen starken sittlichen Einschlag. Nun hat sich ergeben, daß sittliches Handeln im Dienste des Rechts eine allgemeine, man könnte sagen, konstitutive Erscheinung ist. Die Sittlichkeit ist durch die ganze Gesellschaft hindurch mit dem Phänomen des Rechtsgehorsams verflochten, letzteres ist eine gemeinsame Schöpfung sittlichen und sanktionsmäßigen rechtlichen Sollens. Es will damit nicht eine selbständige Rechtspflicht geleugnet werden, es wird aber auch ohne Rechtspflicht rechtgemäß gehandelt, die Rechtspflicht allein reicht für sich zu Erklärung des gesamten Rechtslebens nicht aus. Durch das Mittelglieder von Sitte und Sittlichkeit steht der Rechtsgehorsam in allen seinen Arten und Formen mit den übrigen Gesellschaftskräften in Rapport, welche die Moral in ihrer angeborenen Tendenz "zur Erhaltung und Erhöhung des Gemeinschaftslebens" stützen und damit auch dem Rechtsgehorsam zustatten kommen. Außerhalb der beiden besprochenen Gruppen stehen diejenigen, die das Recht nicht wollen können oder nicht wollen. Nicht wollen können, aus Verstandesschwäche, wegen Nichtbestimmbarkeit des Willens, Unempfänglichkeit für Sitte und sittliche Antriebe usw. oder nicht wollen, weil sie die Pflicht, dem Gesetz zu gehorchen, leugnen, weil sie darüber, was jeweils rechtens ist, anderer Meinung sind oder weil ihre sittlichen Anschauungen eine bestimmte Norm verwerfen und dgl. Ihnen wird der vom Recht geforderte Zustand in verschiedenen Formen aufgedrängt: er stellt sich entweder ipso iure [von Rechts wegen - wp] oder wird manu militari hergestellt oder sie müssen, was nicht mehr Rechtsherstellung ist, die auf Rechtsungehorsam gesetzten Nachteil erdulden. Das Individuum verhält sich hier passiv. In den früheren Gruppen verwirklicht sich das Recht durch den Willen der Einzelnen und nähert sich dadurch dem theoretischen Ziel eines freigewollten Rechts. Wenn der Appall an das Individuum vergeblich gewesen war, gilt das Recht durch sich selbst, das Individuum wird beiseite geschoben. Es wäre zu verstehen, wenn die Empfindung des Unterdrücktseins, des Duldenmüssens, je nach dem Temperament in Verzweiflung oder Empörung umschlagen würde, und es mag daher noch ein Funken von Wollen darin gefunden werden, daß die Äußerung der Rechtsmacht in Wirklichkeit zumeist resigniert hingenommen wird und das Gemüt, wo nicht sonstige Verhältnisse es erschüttern, nur sehr mäßig bewegt. In einzelnen Fällen ist ein solcher im Ungehorsam enthaltender eventueller Gehorsamswille immerhin denkbar, z. B. bei dem, der sich konkret nicht als verpflichtet erachtet, im übrigen aber an die Rechtsinstitutionen und ihr unparteiisches Wirken glaubt und daher nach formell verläßlicher Feststellung des Rechts dieses über sich ergehen läßt. In dieser schließlichen Unterordnung des persönlichen Urteils manifestiert sich noch einmal die Ethik im Rechtsleben. Nicht die Angst vor sich steigernden Nachteilen, sittlich-soziale Ideen sind es vielmehr in der Regel, die verhindern, daß der Rechtszwang Widerstände aufrüttelt, die zur Zersetzung der Gesellschaft führen müßten. Die Moral muß die Gefahren bannen helfen, die das Recht durch seine Selbstbehauptung herbeiführen kann. Ein solches halb williges Erdulden der Macht hebt aber diese ebensowenig auf wie der Widerstand gegen sie. Macht ist ein vieldeutiger Begriff. Das Recht ist eine Macht, die äußeren Mittel seines Wirkens bezeichnet man als Macht, es gewährt Macht, Macht kann seinen Inhalt bestimmen. Das beliebte Wortpaar: Macht und Recht ist das nichtsagendste der Welt. In einem für das Problem des Rechtsgehorsams verwertbaren Sinn begegnet uns der Machtbegriff in der politischen Geschichte, wo die Antithese Recht und Macht einen Widerspruch ausdrückt zwischen der hergebrachten formell oder durch Gewohnheit sanktionierten Ordnung eines Gemeinwesens und einer neuen Ordnung, die ein Eroberer oder eine zur Herrschaft gelangte Gesellschaftsgruppe lediglich vermöge der Gewalt, über die sie verfügen, aufdrängen will, gleichgültig in welcher Gestalt. Alte und neue Ordnung sind Macht, alte und neue Ordnung können nach Form, Inhalt und Zwangsmittel Recht sein, den Gegensatz schafft der Unterschied der anerkannten, gebilligten Ordnung und der Ordnung, der diese Anerkennung fehlt. Ebensogut wie in diesem Beispiel gegenüber politisch differenzierten Normenmassen wird eine gleiche Unterscheidung in einem einheitlichen Rechtssystem möglich sein. Es wird immer unter den Normunterworfenen solche geben, die das Recht in irgendeiner Art wollen, und solche, die es nicht wollen. Ist Macht eine Gewalt, die von dem, gegen welchen sie sich wendet, nicht anerkannt wird, der er sich grundsätzlich oder im einzelnen Fall nicht beugen will, und Recht die von ihm als berechtigt, als recht anerkannte Beeinflussung des Willens, so kehrt der politisch-historische Gegensatz von Macht und Recht innerhalb jeder Rechtsordnung wieder. Es ist eine Verschiedenheit der Beurteilung, des Fühlens, nichts im Recht selbst sowie in der Politik die Unterscheidung nur von den Gegnern des neuen oder neuernden Herrschers gemacht wird, während für dessen Anhänger auch die gegen den Willen der Übrigen aufgedrängte Ordnung selbstverständlich volles Recht ist. Man pflegt zu sagen, daß Revolutionen oder Usurpatoren Willkür oder Macht in Recht zu verwandeln trachten. Das ist als innere, stoffliche Veränderung kaum denkbar. Ihre in Gesetzesform gekleidete Macht wird nur für diejenigen Recht, die zu ihnen halten, für die Opposition bleibt es Macht, bis sich mit der Zeit auch sie und noch mehr ihre Nachkommen mit den neuen Verhältnissen abfinden und sie anerkennen.
Für diejenigen, welche aus den früher angeführten Ursachen nicht dem Recht gemäß handeln können, ist das Recht die nackte Tyrannis, deren Weihe und Legitimation einzig und allein der Zweck ist, Gesellschaft und Gemeinleben zu erhalten. Das Recht ist hier "sichernde Maßnahme" mit der dumpfen grollenden Psychologie einer solchen. Was die Übrigen anlangt, und das ist die große Mehrzahl, so tritt für sie neben den eben erwähnten subjektiven, innerlichen Gegensatz von Macht und Recht als zweiter äußerlicher, dynamischer Gegensatz, welcher sich mit dem ersten in verschiedener Weise verbinden oder durchkreuzen kann, der von Rechtsmacht und Rechtszwang. Das Eigenste des Rechts, was nur in ihm zu finden ist, verschwimmt, wenn man dies übersieht. Von den Sanktionen des Rechts können manche mit dem Willen des Individuums eintreten. Dieses kann - wie dargelegt wurde - wählen und wählt unter Umständen die angedrohte Folge als das ihm Vorteilhaftere oder als ein, wie es glaubt, angemessenes Äquivalent für den erstrebten Erfolg. Das ist möglich in Anbetracht von Straf- und Entschädigungssanktionen. Der Vollzug der Strafe, das Leisten von Schadenersatz ist daher nichts weniger als eine Verkörperung der triumphierenden Macht des Rechts. Dieses hat im Gegenteil den gesellschaftlichen Frieden nicht zu bewahren vermocht, seine Drohung ist fehlgeschlagen, es mußte sich seinen Willens sozusagen abkaufen lassen. In Fällen irreparablen Rechtsungehorsams ist schwer etwas anderes möglich, wenn aber auch hier Rechtszwang stattfindet, ist dennoch jeder solche Fall ein Beweis, daß das Recht nichts Unüberwindliches ist. Es ist infolgedessen auch nicht richtig, wie es vor kurzem wieder EBBINGHAUS getan hat, das Wesen des Rechts darin zu suchen, daß es eine Erhaltung menschlicher Gemeinschaften durch erzwungene Handlungen ihrer Glieder ist. Alle geistigen Mächte zwingen oder wollen zwingen, d. h. sie wirken auf den Willen, indem sie ihm durch die Aussicht, Unerfreuliches damit zu vermeiden, eine bestimmte Richtung nahelegen und die vulgäre Ethik kann, das wurde schon erwähnt, der sozialen Sanktionen ebenfalls nicht entbehren. Ein wirklich ausschließliches Privilegt besitzt das Recht nur darin, daß es sich auch ohne und gegen den Willen der Individuen verwirklichen kann. Das geschieht in der von Rechts wegen stattfindenden Wiederherstellung gestörter Zustände, in der Ungültigkeit und Nichtigkeit, in seinen unabdingbaren Normen, im Ersatz von Parteierklärungen durch gerichtlichen Spruch, in der Unklagbarkeit, in der Zwangsvollstreckung und Herstellung des Rechtszustandes auf dem Weg freiwilliger Gerichtsbarkeit. Mittels dieser Institute geht das Recht über das Individuum hinweg, macht den Rechtsungehorsam illusorisch. Hier ist es wahre Macht, die ihr ähnliches nur in der Natur und in der äußeren Macht der Staatsgewalt hat und sich eben dadurch als Teil der Staatsmacht dokumentiert. In der Kraft, geäußerten, widerstrebenden Willen zu vereiteln, Geschehens ungeschehen zu machen, ist das Spezifische des Rechts zu erblicken. Diese Kraft muß daher als ein besonderes, als Rechtsmacht neben dem Zwang mit Lösegeld, wenn der Ausdruck erlaubt ist, hervorgehoben werden. Hauptsächlich, in welchem Umfang der Rechtsungehorsam auf eine solche Weise ungeschehen gemacht wird, ist für die Strenge einer Rechtsordnund maßgebend, den Straf- und Ersatzdrohungen sind zu jeder Zeit natürliche Grenzen gezogen, die der Gesetzgeber nicht überschreiten kann. Werden die Normen, die auf dieser eigentlichen Rechtsmacht fußen, als größere Beeinträchtigung der Freiheit gewertet als die Normen mit Straf- und Ersatzzwang? Letzterer rechnet mit dem freien Willen der Individuen, die Rechtsmacht schließt ihn nicht völlig aus. Sie wirkt weniger durch die Erregung von Furcht, Angst und Sorge, als durch das Argument, daß gegenteiliges Wollen zwecklos wäre. So viel Freiheit läßt auch die Naturmacht dem Menschen. Wie er ihren physischen Zwang als eine "naturgesetzliche Notwendigkeit" hinnimmt und sich trotzdem frei fühlt, so assimiliert sich der Mensch auch den Hemmungen, die ihn überall in der Gesellschaft umgeben, und fühlt sich allmählich, je mehr er sie in sich aufnimmt, immer weniger beengt. Das gilt in gleicher Weise von der Rechtsmacht. Auch von ihr ist frei, wer "im Geistes des Gesetzes lebt". Die Mechanik der gesellschaftlichen Nachfolge kommt dabei sehr zu Hilfe. Was an religiösen, sittlichen, wirtschaftlichen, sozialen und sonstigen Ideen in den Köpfen der Gesellschaftsglieder ist, verdichtet sich schließlich zu mehr oder weniger klaren Formeln über die Stellung des Einzelnen zum Ganzen und über sein Verhältnis zu den anderen und zu einer Gefühlsskala dieser Beziehungen. Jede Periode gibt den neuen Generationen eine solche von der Gesellschaft approbierte [genehmigte - wp] Lebensformeln in der Gestalt von Sitte und Recht mit auf den Weg. Die Freiheitsbeschränkungen, die darin schon aufgenommen sind, werden von den nachrückenden Geschlechtern in ihrer Mehrheit nicht mehr als solche, sondern als natürlich notwendige betrachtet. Der Freiheitsbegriff schließt sie schon in sich. Es kommt sonach für das, was dem Einzelnen als Freiheit gilt, ebensowenig wie für das, was ihm als Recht gilt, auf bestimmte Schablonen, Einrichtungen, Inhalte und Maße an. Es ist richtig hervorgehoben worden, daß die Machtverhältnisse und Unfreiheiten des Mittelalters während Jahrhunderten auch von den Unfreien selbst als rechtliche Institutionen anerkannt wurden, und nicht minder beredt ist die Tatsache, daß man dem gemeinen Recht feindlich gesinnt war, obwohl es zum großen Glück für Mitteleuropa die Prinzipien eines freien Verkehrsrechts in Geltung erhielt, während das strenge autochthone [einheimische - wp] Strafrecht leichter ertragen wurde. Die Gesetze, womit der Rechtsstaat Zinsfreiheit und Freiheit des Lohn- oder Mietvertrags usw. gewährte, wurden nicht als Befreiung, sondern von einem großen Teil der Bevölkerung als Unrecht angesehen und umgekehrt wird der Zwang der Arbeiterschutzgesetze z. B. von sehr vielen als Recht empfunden. Eine starke Assimiliationsfähigkeit und meist geringes Freiheitsbedürfnis, das ist der sozialpsychische Grundzug der Menschen nach der Geschichte des Rechtsgehorsams. Das 19. Jahrhundert verdient den Namen eines Jahrhunderts der Freiheit mehr als irgendeines seiner Vorgänger, es mutete aber dem Geschmack der Mehrheit schon zuviel zu. Im letzten Viertel schlägt die historische Tradition wieder durch, man wendet sich vom dispositiven zum zwingenden Recht, den kaum beseitigten Bindungen zugunsten der Obrigkeit folgen Bindungen zugunsten der Gesellschaft und ihrer Teile. Das ist nichts Vereinzeltes, nicht konkret bedingte Läuterung eines "überreizt gefaßten" Freiheitsbegriffs oder der Übergang zur Realpolitik. Die Massen scheinen überall das Verhältnis zwischen Freiheit und Gemeinwohl dort, wo sie unmittelbar in ihrer Person und Wirtschaft dadurch berührt werden, sehr praktisch und nüchtern zu bewerten und einen guten Normenschutz, hinter dem sich der Schwache geborgen weiß, den nicht immer leichten persönlichen Anforderungen und Gefahren der Freiheit vorzuziehen. Die Freiheit interessiert sie hauptsächlich in den Sphären, deren Zusammenhang mit ihrem persönlichen Wohl oder Wehe loser oder ihnen doch nicht so klar ist, in Sachen der Staatsherrschaft, der Politik und des Gegensatzes zwischen Regierenden und Regierten, wo zugleich die Leitung durch die traditionelle Moral großenteils fehlt. Diese Momente dürfen bei der Erklärung des Rechtsgehorsams und vornehmlich seines rechtlichen Typus nicht übersehen werden. Daß Recht und Freiheit Begriffe einer subjektiven Anpassung sind, gibt nach zwei Richtungen einen gewissen Trost: Erstens dürfte es danach selten Gemeinwesen gegeben haben, deren Angehörige Recht und Freiheit ihrem Gefühl nach völlig vermißten, wenn auch die Einrichtungen nach heutiger Auffassung den Namen Recht oder Freiheit kaum verdienen mochten. Der entwicklungsgeschichtliche und der zeitgenössische Wert dürfen eben nicht verwechselt werden. Zweitens aber ist anzunehmen, daß das Recht, insbesondere auf allen Gebieten des bürgerlichen Verkehrs, nur ausnahmsweise und nie für zu lange Zeit vom Individuum als drückende Last emfunden wird. Der Mensch ist, wie gesagt, ein Virtuose der Assimilation und weiß schließlich die ihm durch seine Natur gesetzten Zwecke in Stil und Art seiner konkreten Umgebung mit jeder Rechtsordnung halbwegs zu erreichen. Man wird insoweit über die Zukunft des Rechtsgehorsams beruhigt sein können, wenn man ihm nur seine ergänzenden und ändernden Einfälle und Launen nachsieht oder erlaubt. Die Geschichte unterstützt diese Prognose. Die Verantwortung der rechtsbildenden Potenzen steigert sich dadurch außerordentlich. Der Menschheit Würde ist wahrhaftig in ihre Hand gegeben. Was sie fordert, hängt allerdings davon ab, wozu man glaubt, daß die Menschen auf der Welt sind. Der Erforschung sozialer Zustände ergeht es ähnlich wie der Naturforschung. So viele neue Tatsachen, Beziehungen und Vorgänge letztere auf ihrem Siegeszug ans Licht bringt, die letzten Ursachen bleiben ihr entrückt und gerade die ursprünglichsten Prozesse in der Natur muß sie schließlich als etwas Unergründliches hinnehmen. Ebenso werden sich vom Sozialen die Schleier nie vollständig wegziehen lassen. Die Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens können bis in eine gewisse Tiefe verfolgt, zerlegt, wissenschaftlich erklärt werden, doch die Erklärung ist nie eine restlose, jede Untersuchung stößt früher oder später auf Funktionen, die Verstand und Wissen nicht weiter auflösen können, geheimnisvolle Rätsel der Gesellschaft, wie es solche Rätsel der Natur gibt. Darauf geht es wohl zurück, wenn die Soziologie, wie wir gesehen haben, zum Apriorismus neigt und auch, was mit Fug getadelt wird, daß sie sich so gern in Spekulationen über Entwicklungstendenzen und in eine soziale Metaphysik einläßt, dürfte darauf beruhen, daß die exakte Ergründung des Sozialen immer bald an Punkte gelangt, über die hinaus ein weiteres wissenschaftliches Vordringen zumindest mit den heutigen Kenntnissen und Methoden nicht möglich ist. Es gibt nur ein zweifaches: entweder sich mit dem Maß soziologischer Erkenntnis bescheiden, das die Psychologie gewährt, und das ist trotz allen neueren Einsichten, die sie durch ihre Verbindung mit anderen Wissenschaften eröffnet hat, nicht gar zu viel oder über Soziales philosophieren. Dem Sozialen direkt mittels der Naturwissenschaften beikommen zu wollen hat sich als ein wenig ergiebiges Unternehmen erwiesen. Mit den Vorbehalten, die aus diesem Stand der Dinge resultieren, sind die Ausführungen der vorausgegangenen Abschnitte zu beurteilen. Es wurde versucht, eine wichtige soziale Erscheinung, so weit es geht, rational zu erklären und darzulegen, daß sie nicht ganz und gar und nur Wunder und Mysterium ist, sondern daß eine Menge erkennbarer, aus anderen Bereichen des Gemeinschaftslebens bekannter Elemente darin walten. Vielleicht war es möglich, das, man möchte sagen: Intelligible des Phänomens um einige Linien zumindest zurückzuschieben. Warum die Anlagen, Eigenschaften und Kräfte, die sich in diesem Phänomen nachweisen lassen, so zusammenwirken und was ihm in allerletzter Linie, vergleichbar der Lebenskraft des Organischen, so viel Natürlichkeit und Festigkeit gibt, das entzieht sich der Ermittlung ebenso wie in den meisten anderen sozialen Problemen. Weder sittliches noch rechtliches Sollen sind letzte Gründe, es sind Begriffe, hinter denen ein Nicht wissen können steht. Wie soviel anderes scheinbar Einheitliches bei genauer Prüfung zu einem Bündel von Komponenten wird, so auch die psychische Unterlage des Rechtsgehorsams. Dieser kann, weit entfernt davon, aus einer einzigen Quelle zu fließen, in verschiedenen Gedanken, Gefühls- und Willensregungen wurzeln und es bestehen darin erhebliche Unterschiede zwischen den Menschen. Nicht nur, daß das Kaleidoskop der Motive die mannigfachsten Gruppierungen zeigt, kann Rechtskenntnis durch Sittlichkeit ersetzt werden und es können auch beide ganz fehlen. Der Rechtsgehorsam ist mit allen Faktoren der Gesellschaftsstruktur und des Staatslebens in einem engen geistigen Zusammenhang und das gibt ihm seine unerschöpflichen Nuancen. Sein psychisches Gefüge ist daher von der Umwelt abhängig und wohl auch historisch veränderlich. Ganz besonders günstige Umstände trafen in den mittelalterlichen Staaten deutschen Rechts zusammen. Das Einfache, Natürliche und Gemütsvolle des deutschen Rechts, der Reichtum an eindrucksvollen Formen, die Teilnahme der Volksgenossen an der Rechtsprechung und alles was sonst darauf abzielte, das Recht zu einer gemeinsamen Sache des Volkes zu machen und seine Kenntnis lebendig zu erhalten, dazu genommen das von GIERKE geschilderte Zusammenfließen von objektivem und subjektivem Recht und die damalige Welt- und Staatsauffassung, das waren durchaus Momente, die den Rechtsgehorsam verinnerlichen mußten. Es gibt keinen bündigeren Beweis seiner historischen Bedingtheit und zugleich seiner Untrennbarkeit vom übrigen Geistesleben als den schon einmal erwähnten Widerstand des Volkes in den deutschen Ländern gegen die Rezeption des römischen Rechts. Diese forderte eine Umgestaltung der psychischen Unterlagen der Rechtsbefolgung, gegen die sich der auf Gewohnheit und Überlieferung gestellte Sinn sträubte. Es fehlte die Kenntnis des neuen Rechts und da es auch mit seinem ausgeprägt individualistischen Zug der Lebensauffassung und Ethik des Volkes fremd war, konnte die Ersatzgruppe des sittlichen Handelns nicht nachhelfen. Es blieb also nur die Macht, schlecht verhüllt durch die Lehre, das römische Recht sei in Deutschland geltendes Recht, und verschärft durch Mißtrauen gegen das unbekannte Gesetz und die gelehrten Richter, die das Volk aus den Gerichten verdrängt hatten. Doch wo nicht so besonders günstige Umstände sich vereinigen wie in der Periode des deutschen Gewohnheitsrechts, wird man zugeben müssen: tadellos, mustergültig, unübertrefflich ist die Fundierung des Rechtsgehorsams gewis nicht. Am wenigsten für Zeiten mit den Eigenschaften der Gegenwart. Wie es sein sollte, was zu wünschen wäre, liegt auf der Hand, doch in der Hauptsache wird es vorläufig wohl bleiben, wie es ist, denn die vorwärts drängende Kultur, das einzige, was Besserung bringen könnte, wirkt mindestens in dem Stadium, in dem wir uns befinden, eher in einem entgegengesetzten Sinn. Das Geistesleben wird reicher, die Einsicht in die sozialen Kausalitäten wird tiefer, der Wille, das soziale Leben zu modeln, kühner, aber zugleich wird der in seiner Urteilsfähigkeit unendlich gewachsene Geist dem Recht gegenüber kritischer und die Unterschiede in der Gesellschaft erzeugen im sittlichen und sozialen Empfinden Spaltungen, die für die psychische Basis der Rechtsbefolgung nicht belanglos sind. Es wechseln Zeiten stärkeren oder schwächeren Rechtssinnes. Ereigenise des internationalen Verkehrs und Vorkommnisse des inneren öffentlichen Lebens erwecken die Besorgnis, daß trotz manchen Fortschritten in der ethischen Entwicklung doch eine Periode abnehmender Rechtsachtung angebrochen ist. Das mag Übergang sein, doch das Ende des Übergangs ist offenbar noch fern. Sobald Rechtsgehorsam ein Werk der normalen Kräfte der Gemeinschaft und ihrer Glieder ist, fällt er in den Wirkungskreis der Politik und Staatskunst. Deren Aufgabe ist es, das für die Gesamtheit nach ihren geschichtlich bestimmten Zwecken Notwendige zu sichern und zu fördern, und diesen Zwecken ungünstigen Bestrebungen und Entwicklungen vorzubeugen oder wenn das nicht möglich sein sollte, sie zumindest mit den Staats- und Gesellschaftszwecken nach Möglichkeit zu versöhnen. Ein pessimistisches Vorgefühl, wie es vielleicht der Augenblick rechtfertigen würde, ist keine Entschuldigung für Untätigkeit. Die Politik muß es im Gegenteil umso mehr sich angelegen sein lassen, das Gesellschaftsschiff durch die gefährlichen Wässer nach seinem richtigen Ziel zu steuern. Darauf bedacht zu sein, daß die für den Rechtsgehorsam nötige Dosis von ethischen, sozialen und staatserhaltenden Gesinnungen im Volk vorhanden sei, sind die führenden Organe von Staat und Gesellschaft auch aus hundert anderen Gründen verpflichtet. Darin liegt die Zukunft der Gesellschaft. Nirgends hat man das besser erkannt und arbeitet systematischer daran als in Japan, wo in den Schulen der Unterricht in Staatsgefühl, Vaterlandsliebe und Moral, man könnte sagen, die Hauptsache bildet. Wir gehen vielleicht, von auswärtigen Verwicklungen ganz abgesehen, in Volkswirtschaft und Politik heftigen Kämpfen entgegen und es wäre ein Glück, wenn in der Bevölkerung zentripetale Gefühle, ein Bewußtsein der Zusammengehörigkeit, Bereitschaft zur Hingebung an höhere Gemeinschaftszwecke so vorherrschen würden, daß diese Stürme der inneren Konsistenz der Gesellschaft nichts anhaben. Ob überall in dieser Hinsciht genug geschieht und was noch geschehen könnte und sollte, das gehört als eine Angelegenheit der allgemeinen Gesellschaftspolitik auf ein anderes Blatt. Die Wichtigkeit des Geistes der Gesellschaft für den Rechtsgehorsam gibt nur Anlaß, daran zu erinnern, daß die Politik dieser Seite des Gesellschaftslebens vollste Aufmerksamkeit zuwenden muß. Besondere Pflichten kommen noch betreffs der Rechtskenntnis und der Rechtsordnung hinzu. Die Pflege der Rechtskenntnis ist arg vernachlässigt. In jüngster Zeit erst rückt das Problem der staatsbürgerlichen Erziehung, wozu natürlich neben politischer Bildung und sozialethischer Erziehung auch Rechtskenntnis gehört, mehr in den Vordergurnd. Es gibt verschiedene Mittel, um Rechtskenntnis zu verbreiten: Aufnahme der Bürgerkunde in den Lehrplan der Schulen, Verbreitung von Rechtskunde durch die Anstalten und Veranstaltungen, die der Volksbildung dienen usw. Wie immer man das einzurichten für gut findet, was bisher dem Zufall anheimgegeben war, muß geordnet und jedermann Gelegenheit gegeben werden, das Recht kennenzulernen, das er für das Privatleben, für Familie, Erwerb und für seine hauptsächlichsten Beziehungen zum Staat zu wissen nötig hat. Nicht paragraphengetreu, sondern da man gesehen hat, wie die Normen in der Regel befolgt werden, nur die Prinzipien und Hauptlinien, die leicht angeeignet sind und die man sich leicht merkt. Wegen des Zusammenhangs zwischen beiden, den die gegenwärtige Untersuchung gleichfalls gezeigt hat, sollte ferner das Recht gelehrt werden im unmittelbaren Anschluß an die Moral. Manche Partien des Zivilrechts, fast das gesamte Strafrecht usw. würden sich dann gewissermaßen von selbst lernen und als bloße Zuspitzung, Abschleifung oder Abschattung des Sittlichen wie elementare Wahrheiten im Gedächtnis haften. Hat man erkannt, daß sich die Geltung des Gesetzes auf Annahmen gründet, die für den größten Teil der Bevölkerung nicht zutreffen, und sich die angeblich souveränen Rechtsgebote in einem weiten Umfang mit Surrogaten [Ersatzstücken - wp] aus anderen Zweigen des Geisteslebens begnügen müssen, so dürfte die dringende Notwendigkeit einer nach rictigen Grundsätzen verfahrenden Verbreitung angemessener Rechtskenntnis kaum zu bezweifeln sein. Art und Inhalt der Rechtsquellen sind natürlich für den Rechtsgehorsam nicht ganz gleichgültig. Das Gewohnheitsrecht ist ihm durchschnittlich günstiger als das Gesetzesrecht, Volksrecht günstiger als Juristenrecht. Wo die Rechtsbildung vorzugsweise in die Hände der Gesetzgebung gelegt ist, da ist das Rezept, um eine freiwillige Rechtsbefolgung auszubreiten, ziemlich klar: Einfachheit, Volkstümlichkeit und Beständigkeit des Rechts, mehr gemeines als Spezialrecht und Einklang von Recht und Moral. Davon war schon die Rede. Zum Teil steht es bei der Rechtstechnik, dem entgegenzukommen. Gerade in der Gegenwart zeigen sich Spuren einer Entwicklung, die ähnliche Tendenzen verfolgt und daher auch aus dem Gesichtspunkt des Rechtsgehorsams zu begrüßen ist. Ansätze zu größerer Schonung und Empfänglichkeit für geschichtliche Gebilde des Personen- und Vermögensrechts sind zu beobachten. Es wird verlangt, daß die Zahl der Spezialdelikte in den neuen Strafgesetzentwürfen tunlichst gering sind. Die Beschränkung des Gesetzes auf allgemeine Sätze, die freiere Formulierung der Tatbestände, die Abkehr von Kasuistik, möglichstes Zusammenfassen gleicher Rechtsinhalte usw. finden Beifall. Die Rechtstechnik kann ferner mittels dispositiver Normen der Rechtsbefolgung dienen, doch ist zwingendes Recht auf der anderen Seite wieder notwendig, um noch nicht wetterfeste Rechtsideen oder ethische Auffassungen zu schützen; umso mehr sollte in kampffreien Gebieten vom nachgiebigen Recht Gebrauch gemacht werden. Auch das Sonderrecht in engen Grenzen zu halten und zu rasche Rechtsänderungen zu verhindern, ist die Rechtstechnik berufen, und sie kann schließlich insofern Gutes stiften, als sie sich gegen die Einreihung von Verhältnissen in die Rechtsordnung stemmt, für die nicht so sehr ihrer Natur wegen, als wegen des strengeren rigor iuris [buchstäbliche Interpretation des Gesetzes - wp] die Qualifizierung als Recht begehrt wird. Namentlich bei geringerer Rechtskunde wird Rechtsgehorsam desto schwerer, je mehr sich das Recht ins Unübersehbar und in den Bereich vorherrschender Zweckmäßigkeit verliert, wo selbst das reizbarste sittliche Gefühl Recht und Unrecht nicht mehr sicher unterscheidet oder es sich überhaupt nur um nützlich oder schädlich oder höchstens um gehörig oder ungehörig handelt. Was das Meritum [erworbenes Verdienst - wp] anlangt, wird es gut sein, das Dogma der historischen Schule über das organische Entstehen des Rechts aus dem Volksbewußtsein, selbst wenn man es biogenetisch verwirft, für die Gesetzgebung zur ungefähren Richtschnur zu nehmen. Das heißt erstens, das neue Recht soll sich tunlichst in der Kiellinie des öffentlichen Bewußtseins halten, mit der Vernunft der Epoche in Fühlung bleiben und tunlichst viel von deren sozialethischen Gedanken übernehmen. Deshalb kann das heute unleugbare Streben, den sittlichen Forderungen Eingang in das positive Recht zu verschaffen und wo es geht, der volkstümlichen Verkehrssitte die Funktion einer Rechtsnorm zu übertragen, nicht genug gebilligt werden. Beides ist Gewinn auch für die Rechtsbefolgung und daher beharrlich durchzuführen. Zweitens soll, das ist gleichfalls in jenem Dogma enthalten, die erzieherische Aufgabe des Rechts nicht übertrieben werden. Außerhalb der uralten Stammpartien des Rechts, namentlich aber in den allerneuesten Problemen zirkulieren zur Zeit fast immer verschiedene Ansichten über das, was gerecht ist. Die Aufgabe der Rechtsbildung und die der Politik oder der Verwaltung sind dann sorgfältig zu sondern. Letztere können eine Position, wenn sie sich zu weit vorgewagt haben, eher aufgeben als das Recht. Dieses soll immer nur die jeweils sichersten, gemeinsamsten Gedanken über die Einrichtung des Gesellschaftslebens aussprechen; für wirtschafts- oder sozialpolitische Experimente ist das Recht kein taugliches Mittel, so gern und häufig es in der Gegenwart in das Getriebe der Politik hineingezogen werden will. Die Gesetzgebung wird deshalb aus den im Streit stehenden Ansichten in der Regel diejenige zu wählen haben, die schon in einigermaßen festeren Geistesrichtungen der Gesellschaft Rückhalt hat und mit der deswegen auch von den anderen Parteien mehr oder weniger gerechnet wird. Ihr Befolgung wird den Beteiligten dann weniger schwer fallen. Die parlamentarischen Formen der Rechtsbildung kommen dabei insofern zustatten, als die Opposition gegen einen Gesetzesvorschlag darauf aufmerksam macht, wenn das öffentliche Bewußtsein für eine neue Rechtsregel noch nicht ganz bereit ist. Starke Minoritäten, die ihre Meinung mit triftigen Gründen des Gesellschaftswohl vertreten, mögen es auch nur vom Standpunkt einer bestimmten Gesellschaftsklasse triftige Gründe sein, sollten deshalb nicht vergewaltigt werden. Soweit sie Volkesstimme sind, verdienen sie, daß man ihnen Gehör schenkt, weil Recht, das zu vielen widerstrebt, sich nicht immer durchsetzen wird. Bisweilen wird allerdings eine Änderung unausweichlich, ohne daß ein auch nur teilweises Einverständnis in Aussicht stände. Dann wird die Politik das Losungswort zu geben haben. SONNENFELS war der Meinung, Beweggrund und Bestimmung seien beim größten Teil der Gesetzgebung durch die Forderung der gesellschaftliche Zweckmäßigkeit gegeben und es sei also, was Recht werden soll, nach den politischen Verhältnissen zu entscheiden. Das ist zumindest als letzte Zuflucht richtig, denn die Staatspolitik muß nach ihren Zielen wissen, was aus den in der Gesellschaft miteinander streitenden Ansprüchen werden soll und wieweit sie demnach bei der rechtlichen Ordnung der sozialen Verhältnisse zu berücksichtigen sind. Sie kann gleichfalls die Bedingungen des Rechtsgehorsams verbessern, wenn sie sich in ihrer Auffassung des gesellschaftlich Zweckmäßigen treu bleibt, weil dann alle, die am politischen Leben teilnehmen - und wer täte das heute nicht! - stets ziemlich genau wissen, was sie erwarten dürfen und worauf sie zunächst verzichten müssen, und auch das liefert dem Rechtsgehorsam nicht zu unterschätzende Motive. Wenn zum Schluß vom Rechtsgehorsam auf die Frage nach dem Grund der verbindenden Kraft des Rechts zurückgegriffen wird, von der ausgegangen wurde, so dürfte es nun möglich sein, in einigen Sätzen zumindest die prinzipiellen Gesichtspunkte anzudeuten, die sich beim Rückblick auf die Tatsachen ergeben, die bei dieser Untersuchung zum Vorschein gekommen sind. Sie machen es vor allem sehr wahrscheinlich, daß, im Gegensatz zu den bisherigen Theorien, der Geltungsgrund des Rechts nicht ein einziger und für alle Menschen gleicher ist und es vergebliche Mühe sein wird, die Verbindlichkeit des Rechts aus ein und demselben allgemeinen und gemeinsamen, historisch unwandelbaren Gedanken erklären zu wollen. Jede der vielen Theorien enthält wahres und keine die ganze Wahrheit; deswegen kann gegen sie leicht polemisiert werden, ohne daß dabei die erfolgreichste Polemik mit ihren eigenen Aufstellungen das Feld behaupten könnte. Gelten, vom Recht gesagt, heißt: sich dadurch gebunden, verpflicht halten, es als Norm seines Handelns innerlich anerkennen und befolgen. Rechtsgeltung kann in nichts plastischer Ausdruck finden als im Rechtsgehorsam. Jedes Rechtgemäße Handeln bezeugt, daß die Norm gilt und offenbar zugleich einen Grund ihres Geltens. Danach kann die Rechtsgeltung, wie sie sich gezeigt hat, die verschiedensten Gründe haben und es wird in dieser Hinsicht genügen, auf das zu verweisen, was über Motive und Gründe des bewußten Rechthandelns gesagt wurde. Aus allen Zweigen des Gemeinlebens und aus der Totalität der gesellschaftlichen Existenz der Menschen strömen der Rechtsgeltung Gründe zu. Kein Gebiet des Geisteslebens läßt sich in dieser Beziehung ausschließen. Es gibt in ihm keine Separationen, weder für die Einrichtungen noch für die Menschen. Einheitlich ist der Grund der Rechtsgeltung nur, wenn das gesamte individuelle und gesellschaftliche Geistesleben einer Gemeinschaft als Kultureinheit erfaßt wird. Nach dem Überblick über die Erscheinungen des Rechtsgehorsams wird daher behauptet werden dürfen, daß in der Gesellschaft gleichzeitig verschiedene Gründe der Rechtsgeltung nebeneinander wirken und sich nach Maß der gesellschaftlichen Differenzierungen vervielfältigen. Das muß bei einigem Wirklichkeitssinn von Anfang an vermutet werden. Wenn man sieht, wie verschieden sich in der Regel die einzelnen Gruppen der Gesellschaft je nach Bildung, Wissen und Denkrichtung verwickelte Tagesereignisse, Vorgänge in der Natur usw. erklären, d. h. sie begründen, so werden sie sich umso mehr eine seelisch-geistige Erscheinung, über welche die Juristen und Philosophen trotz bestem Willen nicht ins Reine kommen können, auf sehr verschiedene Art erklären. Der eine wird die Sache praktischer, der andere philosophischer auffassen; bei diesem überwiegt die politische Orientierung, bei anderen die juristische usw. Jeder macht sich seinen Reim, so gut er es vermag, und dabei entsteht ein vielstimmiger Chor, in dem es an Dissonanzen natürlich nicht mangelt. Selbst derjenige, der sich gar keine Gedanken darüber zu machen scheint, folgt nachahmend und der Gewohnheit nachgebend einem der Geltungsgründe. All das wiederholt sich genau bei der Sitte. Wie es für die Antriebe zum Rechtsgehorsam gesagt wurde, werden sich auch die Ansichten über den Grund der Rechtsgeltung nach gewissen Tendenzen über die Gesellschaft hin verteilen und sie hängen auch zweifellos von den jeweiligen Wertungsgewohnheiten wesentlich ab. Sowie man weiß, daß die Bestimmungskraft des Rechts mit der ganzen geistigen Tätigkeit der Gesellschaft zusammenhängt und daß für verschiedene Personen verschiedene Gedanken- und Gefühlsreihen den Grund der verbindenden Kraft des Rechts bilden können, wird auch die Unabhängigkeit der Rechtsgeltung von Zeit und Raum faßlicher. Die menschlichen Gesellschaften haben alle, soweit man in der Geschichte zurückblickt, gewise gleiche Grundzüge und gleiche gesellschaftliche Einrichtungen, die sich allerdings bisweilen unter absonderlichen Hüllen verstecken. Es finden sich, wenn auch noch so verschieden benannt, verstanden und gestaltet, überall dieselben sozialen Elemente: Recht, Sitte, Religion, politische Macht, kriegerische Gewalt usw. tätig. Überall Verhaltensmaßregeln, überall wird ihnen gefolgt, überall fügt man sich den gemeinsamen Zwecken, so verschieden der Inhalt der Gebote ist. Die letzten Ursachen dieser Gleichheit sind unbekannt. Sichtbar ist nur, daß sich diese Erscheinungen überall aus dem gesamten Geistesleben der Gesellschaft und aus der Kooperation verschieden geistig gestimmter Individuen ergeben. Das ist der Mutterboden für alle Schöpfungen der Gesellschaft, daraus bildet sich alles, es gibt nichts anderes. Als etwas für sich könnte die allgemeine Rechtsgeltung irrational erscheinen, als Teil des sozialen Lebens ist sie nicht weniger rational als die Geltung der Sitte oder Geltung politischer oder wirtschaftlicher Ordnungen. Rechtsgeltung ist wie Rechtsbefolgung keine Rechts- und keine juristische Frage, sondern ein allgemeines soziales und soziologisches Problem, was - nebenbei bemerkt - nicht ausschließt, daß auch die Rechtswissenschaft sich darum ebenso wie um andere für Gesetzgebung und Rechtsleben wichtige soziale oder soziologische Fragen zu kümmern hat. Das Problem universaler Rechtsgeltung geht so in dem größeren Problem der universellen Organisation der Gesellschaft nach gleichen Grundelementen auf. Derselbe Geist, dieselbe Psychologie, die das Gemeinleben überhaupt zusammenhalten, sind es, die auch Rechtsgeltung jeweils in Art und Form der Zeit ermöglichen und sichern. Es erklärt sich auf diese Weise, wie die Rechtsgeltung unter Umständen mit den schwierigsten Aufgaben fertig werden konnte. Diese Schwierigkeiten, wie z. B. die schon einmal erwähnte Zwiespältigkeit der geistlichen und weltlichen Ordnung oder ein Dualismus in der Organisation der Behorden, mußten, sofern sie auf die Einzelnen zurückwirken, zur selben Zeit von ihnen auch politisch und in ihrem sonstigen Leben bewältigt werden. Unbegreiflich wird all dies nur, wenn man sich darauf versteift, nach den verschiedenen Einheitstheorien einen der hochzivilisierten Gedanken, die sie verkünden, auf Stämme ohne Kultur zu übertragen. Es heißt in der Tat einem Phantom nachjagen, wenn man einen Geltungsgrund ausfindig machen will, der für alle Rassen und Zeitalter gilt. Schon der geläufige Konnex zwischen Recht und Kultur und die ungeheuren Kulturunterschiede zwischen den geschichtlichen Gemeinwesen machen dies aussichtslos. Rechtsgeltung und Rechtsbefolgung gibt es überall. Ebensowenig wie die überall existierenden Gesellschaften sind aber auch sie überall dasselbe. Der englische Gelehrte J. G. FRAZER (Cambridge) (13) hat einmal unter Beibringung sehr eindringlicher Belege den Satz ausgeführt, daß die großen gesellschaftlichen Einrichtungen bisweilen auf sehr üblen, unedlen Grundlagen aufgebaut sind; Einrichtungen, von denen jedermann glaubt, der Gemeinsinn oder die Natur der Dinge habe sie geboren, wie das Privateigentum und die Ehe, der Schutz des menschlichen Lebens, die Autorität der Staatsgewalt und die Unterordnung unter sie haben in grob abergläubischen Vorstellungen ihren Ursprung. Der Vernunft müßte Gewalt angetan werden, wenn die Rechtsgeltung in Gemeinwesen, in denen Totenfurcht, Animismus, Aberglaube und Magie herrschen, ihrer Innenart nach gleichgestellt würde mit Rechtsgeltung in den demokratischen Staaten des alten Griechenlands oder im republikanischen Rom. Wieder anders stellen sich die Dinge in einem freiheitsmüden Volk, wie z. B. in der römischen Kaiserzeit, im byzantinischen Reich oder in den mittelalterlichen Staaten mit persönlicher Ergebenheit und Abhängigkeit vom Lehens- oder Grundherrn, in dem sich Rechtsquelle und Herrenmacht personifizieren. Und abermals anders in Epochen geistiger Freiheit und unbegrenzten Kritizismus. Der Geist des Altertums, der Geist des Mittelalters, der Geist der Gesellschaft in dieser oder jener Periode eines Staates usw. werden heute genau unterschieden. Die Rechtsgeltung wird aus diesem Born gespeist und wird daher trotz Manchem, das sich mehr oder weniger oft wiederholt, nach Zeit und Ort auch besondere Gesichtszüge haben. Das sind im Zeitalter des Entwicklungsgedankens Selbstverständlichkeiten. Diese inneren Verschiedenheiten stellen sich retrospektiv in Übereinstimmung mit dem Gang der Kultur als Auf und Ab, nicht als eine ungebrochene, aufwärtsführende Linie dar. Damit wechselt zugleich der ethische und politische Wert der Rechtsgeltung. Er erhöht sich in dem Verhältnis wie die sittlichen, staatlichen und sozialen Gründe der Rechtsgeltung vorherrschen, der Rechtsgehorsam sich durchgeistigt und vernünftige Selbstbeschränkung im Interesse des Nächsten und der Gesamtheit, bewußte gesellschaftliche Pflicht wird. Für Zeiten wo Mythen, Götter, die Allmacht eines autokratischen Herrschers oder ein wohlwollendes patriarchalisches Regiment die Rechtsgebote umgaben oder aus ihnen sprachen, ist es zum Teil wahr, daß eine Norm gilt, wenn sie die Fähigkeit hat, motivierend zu wirken. Auf den Höhepunkten der Rechtsgeltung dagegen ist entscheidend, daß und wie sich die Individuen durch die Norm bestimmen, motivieren lassen. Sie sind natürlich gleichfalls durch Erziehung und Tradition mit dauernden Suggestionen aller Art belastet, mit ihrer Befähigung zur Kritik überwiegt aber doch der Wille, das Persönliche und der Rechtsgehorsam wird zurechenbar, soweit überhaupt Handeln in der Gesellschaft zugerechnet werden kann. Von solchen Perioden - und die Gegenwart gehört in erster Linie dazu - kann man dann sagen: obschon sich im Recht die Macht der Gesellschaft verkörpert, kommen in seiner Geltung und Befolgung neben allem, was sonst dabei mitläuft, auch die guten und edlen Eigenschaften und Regungen der Menschen zum Ausdruck. Ähnlich wie im Krieg, der Aktion noch gewaltigerer Mächte, ungeachtet aller Schrecken und Grausamkeiten die Tugenden des Gesellschaftslebens, die gemeinsame Sorge für das Ganze und die Selbstentäußerung um seiner willen am hellsten aufleuchten. Kulturmacht ist das Recht gleicherweise durch seinen Friedensbann wie durch die Erziehung der Menschen zur Gemeinsamkeit, zum Wollen ihrer Bedingungen, zur gesellschaftlichen Disziplin und zur Arbeit an den Aufgaben der Gesamtheit. Wenn der Mnsch vermöge dessen vollkommener oder unvollkommener das Recht befolgt, so handelt er als sich selbst bestimmendes Wesen, das aus eigenem Entschluß der Gesellschaft gibt, was der Gesellschaft ist, nicht als Werkzeug einer überlegenen Gewalt. Er darf daher auch die Früchte jener Erziehung zum guten Teil als sein eigenes Verdienst in Anspruch nehmen. Die Seelenkonflikte, vor welche Rechtsgeltung und Rechtsgehorsam so oft stellen, und das Irrationale, das gerade dieser sozialen Pflicht häufig anhaftet, wird keine Konstruktion oder Theorie aus der Welt schaffen. Die psychologische Betrachtung dieser Erscheinungen ist vielleicht geeignet, indem sie das wahre Kräfteverhältnis bloß legt, die Glorie des Gesetzes und den Stolz der Juristen zu mindern, umsomehr hebt sie den Menschen empor. Nicht am wenigsten dadurch, daß sie auf den stillen Heroismus, die sittliche Entsagung und die Anhänglichkeit an die Gesellschaft ein Licht wirft, die trotz allem und allem das bürgerliche Dasein in seinen ärmlichsten und unscheinbarsten Formen schmücken und ehren. Was ironisch "moderne Ethik" genannt wird, ist hier bis jetzt anscheinend noch wenig eingedrungen. Es kann für Staat und Gesellschaft kaum eine ernstere Pflicht geben, als sich diesen kostbaren Schatz zu erhalten. Was dazu vor allem notwendig wäre, ist - wie Soziologie und naive Volksweisheit lehren - keine schlechten Beispiele geben. Wie es sich zur Zeit damit verhält, das mag jeder Leser sich selbst beantworten. |