LammaschF. AdickesP. EltzbacherJ. Bahnsen | ||||
Irrtum und Rechtsgeschäft
Einleitung I. Die Aufgabe Eine vollständige Darstellung der Lehre vom Irrtum zu geben, hat diese Arbeit nicht im Sinn. Vielmehr beschränkt sie sich nach zwei Seiten. Einmal will sie nur die Grundlagen der Lehre feststellen: sie will die Gesichtspunkte finden, von denen aus die ganze Masse des Stoffs zu betrachten, nach denen sie zu gliedern ist. Sie bezieht sich sodann nur auf das Zivilrecht, und hier nur auf die Lehre vom Rechtsgeschäft. Freilich war es weder möglich noch wünschenswert, die ganze Arbeit so zu beschränken. Vielmehr ist ein großer Teil der Arbeit Grundlage für die ganze Lehre vom Irrtum, und sie beschränkt sich nur insofern auf das Rechtsgeschäft, als sie die gewonnenen allgemeinen Resultate auf dieses Gebiet speziell anwendet. Das Schwergewicht der Arbeit liegt daher auch in den ganz allgemeinen, für alle Rechte und Rechtsteile gleichmäßig gültigen Erörterungen. Diese Untersuchungen mögen auf den ersten Blick unpraktisch erscheinen, aber "das ist auch eine von den guten Lehren, die uns die römische Jurisprudenz gegeben hat, daß die Wissenschaft, um praktisch zu sein, sich nicht auf das Praktische beschränken darf." (1) Die Lehre vom Irrtum ist in doppelter Hinsicht bisher systematisch unrichtig gestellt worden. Einmal gehört sie nicht ins Zivilrecht, sondern in eine (freilich erst zu schaffende) allgemeine Rechtslehre, und man darf wohl wagen zu behaupten, daß der Stand der heutigen zivilistischen Doktrin bezüglich der Lehre vom Irrtum nicht ein so verworrener wäre, hätte sich sich enger an die Strafrechtswissenschaft angeschlossen. In der Tat ist eine Reihe von Fragen in der meines Erachtens richtigen Weise bereits durch die letztere gelöst worden, während unsere Zivilrechtsdisziplin noch immer nach einer Antwort sucht. Sodann hat die Lehre vom Irrtum auch innerhalb des Zivilrechts keine richtige Stellung erhalten. Gewöhnlich werden unter den juristisch relevanten Tatsachen die "Handlungen" und der "Zeitablauf" besonders hervorgehoben, und man pflegt den Irrtum dann in der Lehre von den juristischen Handlungen, ja sogar nur in der von den Rechtsgeschäften zu behandeln; da man sich jedoch nicht der Erkenntnis verschließen kann, daß der Irrtum weit über das Gebiet der Handlungen hinaus Bedeutung hat, so schaltet man dann häufig mitten in die Lehre von den juristischen Handlungen einen ganz außeretatmäßigen Flick- und Notparagraphen ein, in dem jene weitere Bedeutung des Irrtums besprochen wird. Es liegt auf der Hand, wie wenig man durch eine solche Anordnung des Stoffs diesem selbst Genüge tut. Der einzige Zweck, den ein Jurist überhaupt vernünftigerweise verfolgen wird, wenn er unter den unzählig vielen juristischen Tatsachen einzelne Gruppen im System zusammenfaßt, ist ein praktischer: der nämlich der Erleichterung; er stellt das zusammen, was in irgendeiner Weise unter juristisch gleichen Grundsätzen steht. Wenn dem aber so ist, dann sollten unter den juristischen Tatsachen weitere Gruppen als bisher gebildet und zu gesonderter Betrachtung herausgehoben werden. Insbesondere sollten alle psychischen Tatsachen, ob sie auf dem Gebiet des Willens oder der Vorstellung oder der Affekte liegen, sofern sie nur irgendwo Momente eines juristischen Tatbestandes sind, zusammengestellt werden, schon allein aus dem einen Grund, weil bei ihnen allen die gleiche Schwierigkeit des Beweises und die gleiche rechtliche Lösung dieser Schwierigkeit vorliegt. Innerhalb dieses allgemeineren Kreises würde man dann eine Lehre nicht vom Irrum, sondern von der Vorstellung zu geben haben. Es würde sich zeigen, daß die Vorstellung teils in Beziehung auf eine Handlung relevant ist, teils ohne eine solche Beziehung; beide Fälle würden zu trennen sein; andererseits würde sich herausstellen, daß bald die richtige, bald die falsche oder mangelnde Vorstellung als Tatbestandsmoment vorkommt. Nach diesen Gesichtspunkten wäre dann einzuteilen. Diese großen Gruppen zu finden, die richtigen Gesichtspunkte für die Beurteilung aufzustellen, daß bald die richtige, bald die falsche oder mangelnde Vorstellung als Tatbestandsmoment vorkommt. Nach diesen Gesichtspunkten wäre dann einzuteilen. Diese großen Gruppen zu finden, die richtigen Gesichtspunkte für die Beurteilung aufzustellen, strebt diese Arbeit an; in dieser Begrenzung will das Thema verstanden sein. Sie will Antwort geben auf die Frage: welches sind die Beziehungen, in denen der Irrtum zum Rechtsgeschäft stehen kann, und welchen Einfluß hat er auf das Rechtsgeschäft? Sie wird dabei auch, über die Lehre vom Irrtum hinübergreifend, den Begriff des Rechtsgeschäfts selbst einer genauen Erörterung unterziehen. Stand der Frage (2) Die heute noch herrschende Lehre vom Irrtum führt im Wesentlichen auf SAVIGNY (3) zurück. Das Hauptverdienst der SAVIGNYschen Ausführungen - soweit dieselben für die hier aufgeworfene Frage in Betracht kommen, - besteht darin, daß er die bisher unterschiedslos in Eins gesetzten Fälle des Irrtums in zwei große Gruppen zerschnitten hat. Er unterscheidet die Fälle des echten und des unechten Irrtums (4).
2) auf die in einem Rechtsverhältnis uns gegenüberstehende Person; 3) auf die Sache, die den Gegenstand des Rechtsverhältnisses bildet." Die SAVIGNYsche Lehre leidet meines Erachtens an zwei Hauptmängeln: einmal deckt die Unterscheidung zwischen Irrtum im Beweggrund und Irrtum als Differenz zwischen Wille und Tun nicht sämtliche vorkommende Fälle, sodann ist die Abgrenzung zwischen den zu der einen und zu den anderen Gruppe gehörenden einzelnen Fällen mißlungen. Seit SAVIGNY hat die Lehre nicht unerhebliche Fortschritte gemacht. Es ist gleichsam, als habe SAVIGNY die erste Bresche in die zusammengeschlossene Einheit der Irrtumsfälle gelegt, und die Späteren setzten nun, durch die Öffnung nachdringend, von innen heraus das Zerstörungswerk weiter fort. Unter denjenigen, welche für die Lehre vom Irrtum überhaupt erhebliches geleistet haben, sind vier Namen zu nennen, deren Träger die besondere hier zur Untersuchung stehende Frage über die Arten des Irrtums in einem bewußten Gegensatz gegen die SAVIGNYsche Lehre und deren Fortbildung literarisch vornehmlich gefördert haben: BEKKER, BRINZ, HÖLDER und HESSE. Das Hauptverdienst BEKKERs (7) sehe ich, um es kurz zu sagen, in der Betonung der Unterscheidung zwischen körperlicher Bewegung und Erfolg für die Lehre vom Irrtum: diese Unterscheidung ermöglichte die Aufstellung der Kategorie Irrtum über die Folgen der Handlung. Freilich subsumierte er unter diesen Begriff Fälle, die nicht unter ihn gehören (Irrtum, der sich auf die Beschaffenheit des Gegenstandes des Rechtsgeschäfts bezieht) (8), und kam auch sonst nicht zu der meines Erachtens richtigen Gruppierung: jene Kategorie des Irrtums über die Folgen aber für das Rechtsgeschäft zuerst betont zu haben, ist ein Verdienst, das nicht gering angeschlagen werden darf. BRINZ in seinem Lehrbuch der Pandekten (9) baute auf SAVIGNY weiter und umgrenzte das Gebiet des unechten error zutreffender als bisher: er schied eine Reihe von Fällen von dieser Irrtumsgruppe aus, die in der Tat nicht hineingehören. Er stellt die so begrenzten Fälle des SAVIGNYschen unechten Irrtums als error in corpore, error der Bewußtlosigkeit dem Irrtum in der Vorstellung gegenüber. Zu diesem rechnet er:
2) Irrtum im Beweggrund. 3) Irrtum in den Umständen unter denen man handelt. 4) Irrtum über die eigene Person. BRINZ' Verdienst scheint mir in zwei Aufstellungen zu liegen:
2) in der Aussonderung der Frage, wie weit eine juristische Absicht, welche nach objektiven Sprachregeln fehlerhaft erklärt ist, Wichtigkeit zu beanspruchen hat. Den Fortschritt der HÖLDER'schen Arbeit finde ich in der klareren Unterscheidung der beiden Fälle:
2) daß es "sein außer ihm selbst liegendes Ziel, die Mitteilung des Willens, verfehlt hat" (11). Auch in der Abhandlung von HESSE, "Eine Revision der Lehre vom Irrtum" (1877) (12) ist ein Fortschritt nicht zu verkennen. HESSE erkennt, daß in der Lehre vom Irrtum eigentlich zwei Lehren zusammenliegen: die Lehre von der scientia als Tatbestandsmoment und die Lehre vom error als Tatbestandsmoment. Den Fortschritt sehe ich nun darin, daß HESSE für das, was SAVIGNY den unechten Irrtum nannte, die richtige und erschöpfende Formulierung gefunden hat: dieser Irrtum kommt nur in Betracht als Negation des Tatbestandsmoments der scientia. Hingegen ist es HESSE nicht gelungen, die richtige Antithese zu diesem unechten Irrtum zu finden. (13) Schließlich muß noch der Abhandlung von VOIGT "Die Theorie von der juristischen Relevanz von error und ignorantia" (14) Erwähnung getan werden. So viel Material auch in der Abhandlung zusammengetragen ist, so mannigfache Belehrung aus derselben im Einzelnen geschöpft werden kann, so sind doch die Aufstellungen VOIGTs bezüglich der hier interessierenden Hauptsache nicht als richtig anzuerkennen. Er macht folgende Einteilung:
II) Irrtum in den Willen kausal bestimmenden psychologischen Momenten einer juristischen Handlung (Irrtum in den Motiven und im Zweck) III) Irrtum in den den Willen kausal bestimmenden juristischen Momenten eines Rechtsgeschäfts (Irrtum in der causa) IV) Irrtum in der Willensbestimmung, welche den subjektiven Tatbestand einer juristischen Handlung bildet. Auch die herrschende Theorie ist unterdessen nicht untätig geblieben und hat die SAVIGNYsche Lehre im Einzelnen gefördert und gebessert. Sie rückt der richtigen Unterscheidung immer näher, ohne doch das rechte Wort finden zu können. Aus der großen Literatur darf zuerst UNGER (16) hervorgehoben werden. Dieser beginnt innerhalb des Irrtums, welcher "Nichtübereinstimmung zwischen Wille und Erklärung" ist, zu sondern, ohne jedoch den gewiß vorhandenen Unterschied richtig zu erkennen. Schon die Bezeichnungen, die er braucht: "Nichtübereinstimmung (zwischen Wille und Erklärung) wegen eines Mangels des Willens, oder wegen des Mangels der Erklärung", beweisen, daß er mit seiner Einteilung in die Irre geht. Wenn die zwei Seiten einer Gleichung als nicht übereinstimmend behauptet werden, müssen beide vorhanden sein; nicht aber darf eine fehlen. Zudem ist die Unterscheidung für wahre Irrtumsfälle gar nicht durchführbar. Denn in diesen liegt immer zugleich ein Wille vor, welchem die gehörige Erklärung, und eine Erklärung, welcher der gehörige Wille mangelt. Unter die Rubrik "Nichtübereinstimmung wegen Mangels der Erklärung" fallen heterogene Fälle, sowohl die Fälle des Sichversprechens als auch die, in welchen der Erklärende dem von ihm gebrauchten Zeichen eine andere Bedeutung beimißt, als dasselbe nach der Regel des Lebens hat. In gleicher Richtung unterscheidet ferner WINDSCHEID, allerdings nur beiläufig (17), zwischen Nichtwollen des erklärten Willensinhalts und Nichtwollen der Erklärungshandlung (18). Er verwertet diese Unterscheidung jedoch nicht und scheint auch die Fälle der ersten Art viel zu eng zu fassen. In der Trennung der einzelnen Fälle schließlich, welche zum unechten und echten Irrtum gehören, sind UNGER und WINDSCHEID nicht glücklicher gewesen, als SAVIGNY. Schließlich sei noch die klare und eindringende Darstellung der Lehre vom Irrtum in RITTNERs "Österreichisches Eherecht" (19) erwähnt, welche trotz des Titels, unter dem sie auftritt, doch ganz allgemein gehalten ist und daher auch von jedem Juristen, der Nicht-Kanonist ist, Beachtung fordert. RITTNER stellt nebeneinander anormale Erklärung und anomalen Willen. Diesen letzteren findet er in den Fällen des Irrtums im Motiv, die erstere liegt nach ihm überall da vor, wo das Bewußtsein fehlt; auf den Willen, meint er, kommt nichts an (das letztere ist unrichtig; es kann z. B. das Bewußtsein bei einer Reflexbewegung vorhanden sein, und diese ist doch nicht zuzurechnen). Innerhalb der (von ihm weiter gefaßten) Bewußtlosigkeit unterscheidet er das Nichtwissen des Daseins der Erklärung und Nichtwissen des Inhalts der Erklärung.
1) RUDOLF von JHERINGs Worte, Jahrbücher für die Dogmatik, Bd. 1, Seite 18 2) Zum Folgenden: HÖLDER, in der kritische Vierteljahrsschrift, Bd. XIV, Seite 561 - 583. 3) SAVIGNY, System des römischen Rechts, Bd. III, § 114, 115, 135 - 139, Beilage VIII 4) SAVIGNY, a. a. O., Seite 440f, 263f 5) SAVIGNY, a. a. O., Seite 114 6) WINDSCHEIDs Worte, Pandekten, Bd. 1, § 76 7) BEKKER, Kritische Vierteljahrsschrift, Bd. 3, 1861, Seite 180f, besonders 192f. Siehe dazu Kritische Vierteljahrsschrift, Bd. 5, 1863, Seite 395f 8) BEKKER, Kritische Vierteljahrsschrift, Bd. 3, 1861, Seite 197 unter C. 9) ALOIS BRINZ, Pandekten, Bd. 2, 1869, Seite 313 - 319, § 357. Man vgl. hierzu die fördernden Bemerkungen von MANDRY, Kritische Vierteljahrsschrift, Bd. 14, Seite 378 - 382 in seiner Rezension über BRINZ (1872). 10) EDUARD HÖLDER, Kritische Vierteljahrsschrift, Bd. 14, 1872, Seite 561f; Institutionen des römischen Rechts, 1877, § 18. 11) HÖLDER; Kritische Vierteljahrsschrift, Bd. 5, 1863, Seite 574 12) HESSE, in JHERINGs Jahrbüchern, Bd. 15, Seite 62 -135 und Seite 206 - 250. Diese Abhandlung betrifft übrigens zum großen Teil Fragen, die erst in einer Fortsetzung dieser Arbeit zur Sprache kommen können. Die Abhandlung desselben Verfassers im "Archiv für die zivilistische Praxis", Zur Lehre vom Irrtum, Bd. 57, Seite 182 - 253 (1874, (vgl. auch seine Aufsätze über condictio indebiti, ebd. Bd. 56, Seite 367 - 398 (1873) und über bona fides ebd. Bd. 58, Seite 305 - 359 (1875) kommt noch nicht zu einem klaren und fördernden Resultat, man lese nur die Resultatsangaben Seite 220f, 249f 13) Das Nähere weiter unten in Kap. IV, Abschnitt I. 14) MORITZ VOIGT, Archiv für die zivilistische Praxis, Bd. 53, Seite 404 - 432, Bd. 54, Seite 23 - 80, Seite 194 - 241. 15) Vgl. über VOIGT auch HÖLDER, Kritische Vierteljahrsschrift, Bd. 14, Seite 582f. 16) UNGER, System des österr. allgem. Privatrechts, Bd. 2, § 77, 81 und 89. 17) WINDSCHEID, Pandekten, § 76, Note 1 (4. Auflage, 1876) 18) Ebenso unterscheidet HÖLDER neuestens zwischen dem erklärten Willen und dem Erklärungswillen, wobei er letzteren freilich meines Erachtens unrichtig definiert als "den Willen, einem andern gegenüber ein Urteil abzugeben, damit dieser es sich aneigne als ein von mir zu verantwortendes." Kritische Viertelsjahrsschrift, Bd. 18, Seite 176 - 177 19) RITTNER, Kritische Vierteljahrsschrift, 1876, Seite 162 - 191 |