PyrrhonE. Dubois-ReymondJ. PetzoldtE. LuckaL. Nelson | |||
Ist metaphysikfreie Naturwissenschaft möglich? [ 2 / 2 ]
VI. Die Abstraktion Das Einzige, was auf den Versuch einer solchen Antwort hinzudeuten scheinen könnte, ist die an mehreren Stellen vorkommende Betonung des Wertes der "Abstraktion" für die Erkenntnis. Die Hauptaufgabe des Forschers sollte es sein, "die in Betracht kommenden Merkmale und deren Zusammenhänge aufzufinden". (Seite 312). Wie nun die Auffindung dieser Zusammenhänge zustande kommt, das wird dadurch erklärt, "daß die Vergleichung uns auf einen bisher unbeachteten Zusammenhang aufmerksam machen kann".
Wir wollen hier ein Beispiel ins Auge fassen, an dem sich sich die Rolle der Abstraktion bei der Forschung beurteilen läßt, und das MACH selbst zu diesem Zweck erörtert. Er sagt:
Wir können den hier zugrunde liegenden Fehler, der in der Verwechslung der historischen Bedingungen der Entwicklung eines Gedankens mit sachlichen Gründen seines Geltungsanspruchs besteht, durch ein instruktives Beispiel aus MACHs Darstellung der Prinzipien der Mechanik erläutern. MACH sagt dort an einer Stelle:
Ganz ähnlicher Art ist der Irrtum , der MACH zu seiner Ansicht vom empirischen Ursprung des Trägheitsgesetzes geführt hat. Der Unterschied ist nur dieser: das Gesetz der Schwere ist wirklich ein Erfahrungssatz, denn es ist ein durch Induktion aus Beobachtungstatsachen erschlossener Lehrsatz; das Gesetz der Trägheit aber ist kein Erfahrungssatz, denn es ist nicht durch eine Induktion aus Beobachtungstatsachen erschlossen worden, sondern durch eine Abstraktion von der Erfahrung als ein nur vorausgesetzter, nicht beweisbarer, Grundsatz regressiv [rückläufig - wp] aufgewiesen worden. (14) MACH sagt, der Inhalt des Trägheitsgesetzes ist "durchaus nicht selbstverständlich". (15) Und in der Tat, versteht er unter "selbstverständlich" solche Sätze, die logisch notwendig sind, d. h. Sätze, die ohne Widerspruch nicht verneint werden können, so ist das Gestz der Trägheit ganz gewiß nicht selbstverständlich. Aber in keiner Weise folgt hieraus, daß über seine Geltung "die Erfahrung allein endgültig belehren kann." (16) Denn aus dem nicht-logischen Usprung eines Satzes kann nicht auf seinen empirischen Ursprung geschlossen werden (17). Ein solcher Schluß wäre nur aufgrund der gänzlich unerwiesenen Annahme zulässig, daß alle nicht-empirischen Sätze logisch notwendig sind. (18) Und wie sollte man sich wohl eine empirische Prüfung des Trägheitsgesetzes denken? Eine solche Prüfung wäre nur möglich durch die Beobachtung eines Körpers in einem Zustand, in dem keine Kraft auf ihn wirkt. Woran erkennen wir aber, ob diese Bedingung erfüllt ist oder nicht? Nur daran, ob eine Beschleunigung des Körpers stattfindet oder nicht; d. h. also nur unter Voraussetzung des Trägheitsgesetzes. Übrigens ist es unrichtig, wenn MACH sagt, das Trägheitsgesetz folge unmittelbar aus der Erkenntnis der Kräfte als beschleunigungsbestimmender Umstände. Ich erwähne dies, weil sich derselbe Irrtum auch in seiner "Mechanik" findet. Es heißt dort:
Man entgegne nicht, die Geltung des allgemeinen Kausalitätsgesetzes sei als selbstverständliche Voraussetzung angenommen. Das Kausalitätsgesetz ist ein Satz, dessen Verneinung keinen Widerspruch enthält, und der folglich selbst ebensowenig "selbstverständlich" ist wie das Trägheitsgesetzt. Was aber den Ursprung des Satzes von der beschleunigungsbestimmenden Natur der Kräfte betrifft, so liegt die Sache für eine richtig verständigte Metaphysik folgendermaßen: Das allgemeine Gesetz der Kausalität weist uns an, zu jeder Veränderung eine Ursache zu suchen. Veränderung ist ein Wechsel der Zustände eines Dings. Es ist also noch die Frage, was uns anweist, den phoronomischen [bewegungstechnischen - wp] Zustand eines Dinges gerade als Geschwindigkeit und nicht als Lage zu definieren. Das Kriterium hierfür liegt in dem Grundsatz, der für jede sinnlich wahrnehmbare Beschaffenheit eine intensive Größe fordert, die stetig zu- oder abnehmen kann. Eine solche intensive Größe kommt nun nicht der Lage, sondern nur der Geschwindigkeit zu. Mithin haben wir nur für Geschwindigkeitsänderungen, d. h. für Beschleunigungen, und nicht für Änderungen der Lage, Kräfte als Ursachen anzunehmen. Es sei nur nebenbei erwähnt, daß auch das Gesetz der Relativität er Bewegung nach MACH empirischen Ursprungs ist, daß aber MACH selbst nichtsdestoweniger kein Bedenken trägt, die Annahme einer absoluten Bewegung für sinnlos zu erklären, daß er sie einen "sinnlosen, inhaltsleeren, wissenschaftlich nicht verwendbaren Begriff" nennt (20). Nach diesen Erörterungen wird sich leicht die von MACH vertretene Behauptung beurteilen lassen, nach der zwischen "Beschreibung" und "Erklärung" kein spezifischer Unterschied bestehen soll. Betrachten wir als Beispiel die Untersuchung der Beziehung zwischen Fallraum und Fallzeit. MACH sagt hierüber:
Wir haben bisher einen Gedanken unerwähnt gelassen, mit dessen Hilfe man vielleicht noch hoffen könnte, den Empirismus der MACH'schen Erkenntnispsychologie gegen unsere Kritik in Schutz zu nehmen. Es ist dies das Prinzip der "Denkökonomie". Wir wollen die hohe Bedeutung dieses Prinzips für die Entwicklung der wissenschaftlichen und auch der vorwissenschaftlichen Erkenntnis nicht in Frage stellen. Das Bestreben, mit einem möglichst geringen Aufwand an Arbit möglichst viel zu leisten, hat von jeher die Betätigung der Menschen in praktischer wie in intellektueller Hinsicht - teils bewuß, teils unbewußt - zu neuen Forschritten geführt. Insbesondere ist dieses Bestreben seit langem, unter dem Namen des Prinzips der Sparsamkeit, von den Naturforschern mit Bewußtsein geltend gemacht worden. MACH spricht den Inhalt dieses Prinzips gelegentlich mit den Worten aus:
Es handelt sich um jene "allgemeine Prinzipien", deren Gegenteil mit unserem "Instinkt" kontrastieren sollte, um jene "begrifflichen Fixierungen", vermöge deren aus dem bloßen "Befund" ein "Urteil" werden sollte, um jene Annahme von der "Beständigkeit der Verbindung" oder von der "Abhängigkeit der Elemente voneinander". Hier scheint sich endlich ein Weg zu eröffnen, auf dem wir zu einer befriedigenden Einsicht in die Herkunft dieser Dinge gelangen können. Es ist die Kraftersparnis, die leichtere Befriedigung der praktischen Bedürfnisse, das Interesse der Lebenserhaltung, kurz: es ist der biologische Vorteil, was zur Ausbildung jener Eigentümlichkeiten unseres Denkens geführt hat. Es ist eine Art Anpassungsprozeß an unsere physische Umgebung, eine Art natürlicher, später auch künstlicher, Zuchtwahl, was ihre Entstehung gleichsam notwendig gemacht hat. In der Tat, je genauer der Vorstellungsverlauf eines Wesens sich dem Naturlauf angepaßt hat, ein je getreueres Abbild desselben er darstellt, um so vorteilhafter wird dieses Wesen für den Kampf ums Dasein ausgerüstet sein, umso besser wird es, in Voraussicht der nützlichen oder schädlichen Eigenschaftn der ihn umgebenden Dinge, das ihm Nützliche aufzusuchen, das ihm Schädlich zu meiden in der Lage sein. Was sich unter dem Zwang des biologischen Bedürfnisses auf solche Weise an allgemeinen Vorstellungen, Erwartungen und instinktiven Annahmen herausgebildet hat, das legt dann die Wissenschaft mit Bewußtsein der methodischen Forschung als Leitmotiv zugrunde. So bestechend diese Argumentation auf den ersten Blick erscheinen mag, so unhaltbar ist sie doch. Sie leidet an dem Fehler, der allen Versuchen anhaftet, die darauf ausgehen, ein Entwicklungsprinzip zur Aufklärung von Fragen zu benutzen, deren Gegenstand außerhalb des Gebietes der Entwicklung liegt. Jedes Zuchtwahlprinzip kann nur dazu dienen, die Erhaltung und graduelle Ausbildung, d. h. Verstärkung, irgendwelcher Eigenschaften zu erklären, aber es findet seine notwendige Schranke an der Frage nach der ursprünglichen Herkunft dieser Eigenschaften. So auch das Prinzip des biologischen Vorteils in der Psychologie des Erkennens. Es mag biologisch vorteilhaft und denkökonomisch wertvoll sein, wenn wir uns zu den wahrnehmbaren Handlungen der Menschen unwahrnehmbare Empfindungen und Gedanken hinzudenken, und man kann verstehen, daß dieses Hinzudenken, dadurch, daß es sich als vorteilhaft erweist, zu einer sich erhaltenden Denkgewohnheit wird. Man versteht dies: sofern man das aus anderen Gründen schon vorhandene Hinzudenken voraussetzt; das Auftreten dieses Hinzudenkens kann nicht selbst dadurch erklärt werden, daß man zeigt, wie es sich infolge der Vorteile, die es mit sich bringt, erhält. Und so auch bei allen anderen Eigentümlichkeiten unseres Erkennens. Indessen, hier bleibt noch eine Zweideutigkeit. Meint MACH nur, es sei eine allgemeine Eigenschaft aller Erkenntnis, in irgendeiner Weise biologisch förderlich zu sein, oder will er sagen, das, was man sonst richtig oder wahr nennt, sei im Grunde gar nichts anderes als das biologisch Förderliche? Das erste ist unzweifelhaft richtig, falls man nur den Begriff des biologisch Förderlichen hinreichend weit faßt, so daß auch eine solche Erkenntnis, deren Inhalt uns in höchstem Maß schmerzt und quält, doch noch als biologisch förderlich gelten könnte, insofern sie uns nämlich durch eine Bereicherung des Wissens in intellektueller Hinsicht fördert. So weit gefaßt, wäre der Satz von der biologisch förderlichen Natur der Erkenntnis zwar völlig trivial, aber doch zumindest richtig. Vielleicht meint MACH jedoch nicht, eine Erkenntnis sei darum biologisch förderlich, weil sie richtig ist, sondern eine Erkenntnis sei darum richtig, weil sie biologisch förderlich ist. Er sagt:
Übrigens wird natürlich der Denkökonom, entsprechend den Graden der erzielten Denkersparnis, verschiedene Grade der Richtigkeit anzunehmen haben, wo denn als idealer Grenzfall des richtigsten Denkens derjenige anzunehmen wäre, in dem alle Denkarbeit gespart, d. h. wo gar nicht mehr gedacht wird. Von diesem Standpunkt aus, der als der einzige uneingeschränkt richtige zu gelten hätte, ist natürlich auch das Prinzip der Denkökonomie selbst ein noch zu viel Denkarbeit erfordernder und daher falscher Gedanke. - Man sieht, das Prinzip der Denkökonomie hebt in seiner Konsequenz nicht nur alle Naturwissenschaft, sondern auch sich selbst auf. Man wende nicht ein, das Prinzip der Denkökonomie setze natürlich das Bestehen des Denken und das Bestreben zu Denken voraus und wolle nur eine Regel aufstellen, dieses Denken auf die ökonomischste Weise zu verrichten. Dies ginge wohl an, wenn irgendwelche Gesetze als gegeben angenommen würden, denen das Denken die Tatsachen auf eine mehr oder weniger ökonomische Weise unterzuordnen vermöchte. Aber diese Gesetze dürfen hier nicht als gegeben gelten: sie sollen ja erst durch die Denkökonomie ihren Ursprung erhalten. Wir besitzen ja noch gar keine Kriterien, denen gemäß unser Denkern die Tatsachen auf mehr oder weniger ökonomische Weise zu beurteilen und zu deuten in der Lage wäre: diese Kriterien sollen ja eben durch das Prinzip der Denkökonomie erst geliefert werden. Man sieht also: die Verflüchtigung des Wahrheitsbegriffs, die in der Reduktion des richtigen Denkens auf das biologisch förderliche liegt, führt zu unaufhebbaren Widersprüchen (24). empiristischen Grundvoraussetzung Es verdient bemerkt zu werden, daß der hier aufgedeckte Widerspruch nicht etwa, wie man vielleicht meinen könnte, die Folge eines nebensächlichen, den Kern der MACH'schen Lehre nicht berührenden Fehlers ist, sondern vielmehr deren Grundgedanken selbst trifft. Die bloße Beobachtung, so hatten wir bereits mehrmals bemerkt, läßt stets nur eine endliche Anzahl von Fällen erkennen. Die Zahl der beobachteten Fälle einer Art mag noch so groß sein; daß ihr Ergebnis auf alle Fälle dieser Art Anwendung findet, vermag die Beobachtung nicht zu lehren. Jedes wirklich allgemeine Urteil geht folglich über die Kompetenz der Beobachtung hinaus, es setzt eine andere Erkenntnisquelle voraus aus die Beobachtung. Es ist unrichtig, wenn MACH sagt: "Das Urteil alle A sind B kann ich psychologisch als eine Summe vieler Urteilsakte auffassen." (Seite 113) Aus einer bloßen Summation noch so vieler Einzelurteile kann niemals ein allgemeines Urteil entstehen. Sagt doch auch MACH, daß der Obersatz eines Schlusses "nicht allgemein ausgesprochen werden darf, wenn man nicht auch des Spezialfalles sicher ist". "Die Sterblichkeit kann ja nicht von allen Menschen behauptet werden, bevor sie nicht auch von Cajus gilt. Zur Aufstellung des Obersatzes muß der bloße Logiker den Tod aller künftigen Cajuse abwarten, und kein auf den Syllogismus angewiesener Cajus kann die Gewißheit seiner eigenen Sterblichkeit erleben." (Seite 305) - Wie steht es nun da mit der Grundbehauptung der MACH'schen Lehre, daß die Erkenntnisse "immer aus der Beobachtung stammen"; daß die "Grundlage aller Erkenntnis die Intuition ist"; daß aus dem sinnlichen Befund "alle Erkenntnis hervorwächst" (Seite 314f); daß die Empfindungen die "Grundelemente alles psychischen Lebens sind" (Seite 23)? Diese Behauptung ist ein allgemeiner Satz und beansprucht als ein solcher zu gelten. Sie will nicht eine bloße "Summe" vieler Einzelurteile sine, nach denen nur dieses oder jenes eine Empfindung oder eine aus der Beobachtung stammende Erkenntnis ist; denn daß es viele Erkenntnisse gibt, die der Beobachtung entstammen, und daß viele Grundelemente des psychischen Lebens Empfindungen sind, das steht außer Frage. Was MACH behaupten wollte, war vielmehr dies: Es gibt keine Erkenntnis, die nicht der Beobachtung enstammt, es gibt gibt kein Grundelement des psychischen Lebens, das nicht Empfindung wäre. Dieser MACH'sche Satz kann folglich, insofern er allgemeine Gültigkeit beansprucht, nicht der Beobachtung entnommen sein. Entweder also alle Erkenntnis entstammt der Beobachtung: dann kann der MACH'sche Satz keine Erkenntnis, sondern nur einen Irrtum enthalten. Ist aber der MACH'sche Satz eine Erkenntnis, so ist er aus einer anderen Quelle geschöpft als der Beobachtung. Ist er aber aus einer anderen Quelle geschöpft, so ist die Beobachtung nicht die einzige Erkenntnisquelle, was doch der Satz behauptet. - Hier zeigt sich der Widerspruch im ersten Ausgangspunkt der MACH'schen Psychologie. Dieser Widerspruch ist sonst bekannt genug. Jeder Schüler der Logik lernt ihn in dem Schulbeispiel vom lügenden Kreter kennen. Wenn EPIMENIDES, der Kreter, sagt: "Alle Kreter sind Lügner", so hat er notwendig gelogen. Denn angenommen, es ist wahr, daß alle Kreter lügen, so muß dies auch EPIMENIDES tun. Um nichts besser als diese Lüge des EPIMENIDES ist das Dogma des Empiristen. Wenn der Empirist sagt: "Alle Erkenntnisse stammen aus der Beobachtung", so spricht er eine Behauptung aus, die sich selbst aufhebt. Denn angenommen, seine Behauptung wäre richtig, so gäbe es eine allgemeine, d. h. nicht aus der Beobachtung stammende Erkenntnis. (25) Wir können aus den vorstehenden Erörterungen den folgenden Schluß ziehen: Die MACH'sche Erkenntnistheorie ist kein Resultat von Beobachtungen, sondern sie ist ein metaphysisches Dogma. Sie ist logisch unhaltbar, denn sie widerspricht sich selbst. Sie ist psychologisch unhaltbar, denn sie widerspricht den Tatsachen der Selbstbeobachtung. Sie ist naturwissenschaftlich unhaltbar, denn sie hebt die Möglichkeit aller Naturwissenschaft auf. Die harten Urteile, mit denen MACH über die kantischen Untersuchungen den Stab brechen wollte, waren also höchst unberechtigt. Nicht die kantische, sondern MACHs eigene Lehre ruht auf "philosophischen Dekreten" (Seite 281), durch die die Rechte der Beobachtung gekränkt werden. KANT, der die Einsicht in die Unentbehrlichkeit der Metaphysik für die Naturwissenschaft mit der Einsicht in die Unzulässigkeit aller dogmatischen Metaphysik verband und dadurch auf die Erfindung der Kritik der Vernunft geführt wurde, hat den von MACH vertretenen Empirismus auf das bündigste widerlegt. So sagt er im Hinblick auf seine eigenen kritischen Untersuchungen:
"Doch", so fährt Kant fort, "da es in diesem philosophischen und kritischen Zeitalter schwerlich mit jenem Empirismus Ernst sein kann, und er vermutlich nur zur Übung der Urteilskraft, und um durch den Kontrast die Notwendigkeit rationaler Prinzipien a priori in ein helleres Licht zu setzen, aufgestellt wird; so kann man es denen doch Dank wissen, die sich mit dieser sonst eben nicht belehrenden Arbeit bemühen wollen." (26) MACH protestiert lebhaft gegen die Zumutung, eine neue Philosophie in die Naturwissenschaft einführen zu wollen: er habe lediglich eine alte abgestandene aus derselben entfernen wollen (Seite VIII). Es kommt aber wohl wenig darauf an, ob man die Methodologie und Psychologie des naturwissenschaftlichen Erkennens als eine der Philosophie oder als eine der Naturwissenschaft angehörige Aufgabe bezeichnet; was in der einen Wissenschaft richtig ist, kann in der anderen nicht falsch sein. Daß es ein vergebliches Beginnen ist, die Naturwissenschaft von aller Metaphysik zu befreien, ohne damit zugleich die Möglichkeit der Naturwissenschaft selbst aufzuheben, haben wir gezeigt. Man kann die allem naturwissenschaftlichen Erkennen zugrunde liegende Metaphysik wohl verschleiern, aber nicht aus der Welt schaffen. Die "alte abgestandene" Metaphysik der Naturforscher hatte doch wenigstens noch den Vorzug, vom Tatbestand ihrer Annahmen Rechenschaft ablegen zu können, die neue aber geht gerade darauf aus, diesen Tatbestand zu verhüllen und unkenntlich zu machen. Wird dadurch der Zweck, den MACH mit seinen Bestrebungen verfolgt, irgendwie gefördert? Dieser Zweck ist der, die Naturforschung von "vorgefaßten Meinungen" unabhängig zu machen, "konventionelle Schranken des Denkens" aus ihr zu beseitigen und die "Nebel" der Mystik aus ihr zu verbannen. Es liegt uns fern, die hohe Bedeutung dieses Zwecks und die edle Absicht, aus der er entsprungen ist, zu verkennen. Aber je höher wir das Streben nach methodischer Aufklärung schätzen, desto wichtiger muß es uns sein, gegen ein Verfahren Einspruch zu erheben, das, in der wohlmeinenden Absicht wissenschaftliche Klarheit zu verbreiten, in der Tat nur dazu führen kann, die Grundlagen aller vernünftigen und aufgeklärten Forschungsarbeit zu entwerten und zu zerstören. Gewiß besteht die dauernde Gefahr, daß, wo der Metaphysik der Zutritt gestattet ist, auch der zu allen Zeiten mit ihr geübte Mißbrauch nicht ausbleiben wird. Aber es ist das schlechteste Schutzmittel gegen diesen Mißbrauch, die Metaphysik überhaupt eliminieren zu wollen. Denn nur der kann die Metaphysik zu entbehren wähnen, der von ihr ohne Bewußtsein und daher auch ohne Kritik Gebrauch macht (27). Wer alle Metaphysik aufheben will, der hebt auch alle Kriterien auf, nach denen sich vernünftige und unvernünftige, wissenschaftliche und unwissenschaftliche Denk- und Forschungsweisen unterscheiden lassen; Erkenntnis und Phantastik sind nicht mehr zu trennen, und der Schwärmerei ist Tür und Tor geöffnet. Und so sehen wie denn in der Tat heute unter dem Deckmantel der metaphysikfreien Forschung die alten Schwärmgeister der vitalistischen Naturphilosophie wiederum in dem Betrieb der Naturwissenschaft einziehen. Dieses Zusammentreffen ist kein Zufall: "Metaphysikfreie Naturwissenschaft" bedeutet "gesetzlose Naturwissenschaft", gesetzlose Naturwissenschaft aber bedeutet Mythologie. Nur kurzsichtigste Inkonsequenz kann dies verkennen lassen. (28) Die Ansätze zu einer solchen Ausbeutung der Metaphysikfreiheit d. h. Disziplinlosigkeit der Forschung finden sich auch bei MACH selbst. So schließt er ganz richtig, daß, wenn nur die Erfahrung über die Eigenschaften des Raumes entscheiden könnte, auch die Annahme über die Zahl seiner Dimensionen sich nach dem jeweiligen Stand unserer Erfahrung zu richten hätte.
Aber vielleicht entschließt sich der Anti-Metaphysiker, diese Konsequenz zu ziehen und die Gleichwertigkeit dieser verschiedenen Annahmen zu behaupten. Es wird sich gegen den Vorwurf des Mystizismus etwa dadurch zu schützen suchen, daß er argumentiert: die Behauptung einer vierten Dimensio steht allerdings auf derselben Stufe der Gewißheit wie die Behauptung der Existenz des Seelenlebens unserer Mitmenschen; die eine Annahme ist indessen nicht etwa ebenso wahr wie die andere, sondern sie ist nur ebenso bequem; Wahrheit im eigentlichen Sinne kann lediglich empirisch kontrollierbaren Sätzen zukommen, und solange man nur die Tatsachen der empirischen Beobachtung von den willkürlichen Zutaten des Denkens unterscheidet, ist man vor allem Mystizismus sicher, denn dieser besteht doch erst in der Verwechslung bloßer Gedankendinge mit Tatsachen. Das klingt wieder recht plausibel. Aber haben sich die so Argumentierenden auch überlegt, was das Wort "Tatsache" eigentlich bedeutet? Was unterscheidet denn die Tatsache der Beobachtung vom Inhalt einer Halluzination? Was unterscheidet das "Gedankenexperiment" eines Physikers vom Phantasieren eines Irrsinnigen? Nicht der empirisch konstatierbare Inhalt der Vorstellungen, - dieser kann in beiden Fällen derselbe sein, - sondern lediglich der Umstand, daß dieser Vorstellungsinhalt sich das eine Mal in einen durch gewisse Regeln bestimmten Zusammenhang einordnet, das andere Mal aber eine solche Einordnung nicht zuläßt. Die Regeln, die diesen Zusammenhang bestimmen, können offenbar nicht selbst der Beobachtung entlehnt sein, da sie die Kriterien bilden, aufgrund deren erst entschieden werden kann, ob eine bestimmte Vorstellung eine Beobachtung ist oder nicht. Diese Regeln, die diesen Zusammenhang bestimmen, können offenbar nicht selbst der Beobachtung entlehnt sein, da sie die Kriterien bilden, aufgrund deren erst entschieden werden kann, ob eine bestimmte Vorstellung eine Beobachtung ist oder nicht. Diese Regeln sind folglich metaphysischen Ursprungs. Wer also die Metaphysik aufhebt, der hebt die Möglichkeit auf, die Tatsachen wissenschaftlicher Beobachtung vom Fiebertraum eines Irrsinnigen zu unterscheiden, der nimmt dem Wort "Tatsache" jeden vernünftigen Sinn. Wer sich nicht durch Worte täuschen lassen will, kann nicht von Tatsachen reden, ohne eben damit die Notwendigkeit metaphysischer Kriterien anzuerkennen (30). Solcher Kriterie bedarf, wie wir gesehen haben, auch MACH. Nur sucht er sie nicht in bestimmten metaphysischen Erkenntnissen (synthetischen Urteilen a priori), sondern er setzt an deren Stelle den biologischen Vorteil. Daß hiermit das Problem, um das es sich handelt, nur verschoben und nicht gelöst wird, ist daraus klar, daß der biologische Vorteil, um als Kriterium dienen zu können, selbst erst Gegenstand der Erkenntnis werden muß und daß diese Erkenntnis, da sie nach MACH nur durch Beobachtung möglich ist, die fraglichen Kriterien wiederum schon voraussetzt. Weit wichtiger aber ist es noch, zu bemerken, daß mit dieser Einsetzung des biologischen Vorteils als obersten Kriteriums die Autonomie der wissenschaftlichen Erkenntnis untergraben wird. Die letzte Entscheidung über "Wahr" und "Falsch" liegt hiernach außerhalb des theoretischen Gebiets; nicht auf ihrem eigenen Grund und Boden findet Erkenntnis und Wissenschaft die Richtschnur ihres Verfahrens, sondern sie muß sie sich von einer fremden Autorität diktieren lassen. Es kommt wenig darauf an, ob man diese Autorität in einem für heilig erklärten Buch oder in den Machtsprüchen einer für unfehlbar erachteten Person oder ob man sie in einem biologischen Vorteil sucht. Ist einmal auf die Autonomie der wissenschaftlichen Erkenntnis Verzicht geleistet, so ist auch das ursprünglich erstrebte Ziel, die Befreiung von "vorgefaßten Meinungen" und den "Nebeln" der Mystik, bereits illusorisch gemacht, und es ist am Ende eine Machtfrage, es ist die Frage nach dem Recht des Stärkeren, der wir unsere Vernunft, unser Urteil, unsere Wissenschaft unterwerfen. Ist einmal das unumschränkte Recht der Vernunft auf die oberste Gesetzgeberschaft preisgegeben, so wied es nicht an solchen fehlen, die von dieser Gesetzlosigkeit zu ihrem eigenen biologischen Vorteil ausgiebigen Gebraucht machen; und es kann nicht ausbleiben, daß die proklamierte Anarchie alsbald in einen Despotismus umschlägt. Als GALILEI durch das Fernrohr die Jupitertrabanten entdeckt hatte, erblickte er in diesem Fund eine Bestätigung der kopernikanischen Lehre. Seine theologischen Zeitgenossen aber, die er vergeblich von seiner Entdeckung zu überzeugen suchte, erklärten sie für eine Eingebung des Teufels. Hatten sie nicht Recht vom Standpunkt des biologischen Vorteils? Wird nich ebenso heute, wenn der biologische Vorteil das oberste Kriterium der Wahrheit vertreten soll, ein religiöser Schwärmer ganz im Recht sein, wenn er, dieses Vorteils sich bedienend, das Experiment im Laboratorium eines Physikers für eine Halluzination, eine Vision der Mutter Gottes aber für eine wirkliche Beobachtung erklärt? Wer behält hier Recht: der Forscher oder der Schwärmer? Die metaphysikfreie Wissenschaft ist bei einem solchen Streit ohne Urteil. Gibt es zur Entscheidung dieser Frage keine andere Instand als den biologischen Vorteil, so sind wir rettungslos dem Despotismus der Macht des Stärkeren ausgeliefert. Die römische Kirche war dann im Recht, wenn sie GALILEI abschwören ließ, denn die galileische Lehre gefährdete ihren biologischen Vorteil. Und so wird auch heute dem auf allen Seiten lauernden Erbfeind der Vernunft und der Wissenschaft das biologische Wahrheitskriterium ein sehr willkommener Helfershelfer sein, die Wissenschaft wiederum in die dogmatische Fessel zu zwängen; und die Metaphysikfreiheit, die den Zweck hatte, die Wissenschaft vor dem Mystizismus zu bewahren, wird nur dazu dienen, sie ihm umso widerstandsloser zu überantworten. MACH spricht selbst davon, daß es
Was entscheidet also über die Zulässigkeit der Prämissen? Die Beobachtung ist hier kein hinreichendes Kriterium. Denn jedes Urteil setzt, wie wir gezeigt haben, zu seiner Möglichkeit irgendwelche allgemeine, der Beobachtung nicht entnommene Kriterien voraus. Und bietet etwa die Beobachtung ein Mittel, den Aberglauben zu beseitigen? Schon die Erfahrung lehrt das Gegenteil. Daß selbst die ausgebreitetste Kenntnis und die gründlichste Beherrschung der experimentellen Forschungsmethoden nich vor dem krassesten Aberglauben zu schützen vermag, dafür liefert die Geschichte und leider auch die Gegenwart die traurigsten Beispiele. Ein beredter Anhänger der MACH'schen Aufklärungsbestrebungen rühmt es zwar als ein Verdient des sorgfältigsten Beobachtens und Experimentierens, den mittelalterlichen Hexen- und Teufelsglauben aus der Welt geschafft zu haben (33). Allein dies beruth auf einem historischen Irrtum. Nicht der Arbeit der Naturforscher, sondern gesünderen philosophischen Ansichten fiel dieser Aberglaube zum Opfer (34). Ein Jurist und ein Geistlicher, CHRISTIAN THOMASIUS und BALTHASAR BECKER, waren es, die den Kampf gegen ihn eröffneten und glücklich zuende führten. Gewiß haben auch gerade die Naturwissenschaften mit Erfolg daran gearbeitet, die Herrschaft des Aberglaubens zu zerstören, und sie haben sich dadurch ein nicht hoch genug zu veranschlagendes Verdienst um die Förderung der menschlichen Kultur erworben. Aber soweit ihnen dies gelungen ist, verdanken sie den Erfolg nicht sowohl ihren Beobachtungen und Experimenten, als vielmehr der ihnen zugrunde liegenden Metaphysik. Was bürgt uns dafür, daß der Planetenlauf nicht, wie man im Mittelalter annahm, von unsichtbaren Geistern, die unser Schicksal bestimmen, gelenkt wird, sondern, wie unsere Astronomie lehrt, nur eine andere Form der Erscheinung darstellt, die uns durch das Fallen der irdischen Körper bekannt ist? Gewiß nicht die Beobachtung, - die allgemeine Gravitation ist ja nicht weniger unsichtbar als jene angenommenen Geister, - sondern allein die "leges" NEWTONs, d. h. die der Mechanik zugrunde liegende Metaphysik. Wer also die Metaphysik aus der Naturwissenschaft entfernen will, der arbeitet nur daran, der Naturwissenschaft dasjenige wieder zu entziehen, dem sie ihre mächtigsten Erfolge und ihr in mühevoller Arbeit errungene Stellung im kulturellen Leben der Menschheit verdankt. Und das Prinzip der Denkökonomie? Weit entfernt, vor dem Aberglauben zu schützen, bietet es vielmehr ein unfehlbares Mittel dar, die Ergebnisse der Naturforschung mit jedem beliebigen noch so rohen und phantastischen Aberglauben in Einklang zu bringen. Denn nach diesem Prinzip lehrt uns ja die Naturforschung gar nichts über die Natur, sondern nur darüber, welche Annahmen über die Natur uns Denkarbeit ersparen; womit offenbar der Glaube an das wirkliche Stattfinden des diesen Annahmen genau Widersprechenden auf das Beste verträglich ist. Man gewinn so ein treffliches Mittel, die praktischen Vorteile, die die Unterhaltung irgendeines gerade herrschenden Aberglaubens gewährt, mit den intellektuellen, d. h. denkökonomischen Vorteilen der Naturforschung zu verbinden. Ein Mittel übrigens, das schon lange vor dem Auftreten der biologischen Erkenntnistheorie Anwendung gefunden hat. Ein Zeitgenosse KEPPLERs, der Jesuit RICCIOLI, kam, nachdem er die Gründe dafür und gegen die neue astronomische Lehre sorgfältig abgewogen hatte, zu dem Ergebnis, daß die Anschauungen dieser Lehre zwar als falsch zu betrachten sind, da sie mit der überliefernten Wahrheit in Widerspruch stehen, daß sie aber nichtsdestoweniger zur bequemeren Ausführung der Rechnungen höchst nützlich und brauchbar sind (35). Hätten KEPPLER, GALILEI und ihre Nachfolger ebenso aufgefklärt gedacht wie dieser Jesuit, sie hätten sich unsägliche Opfer und Leiden erspart, sie hätten nicht den Widerstand der Kirche herausgefordert, und die Arbeit der Naturforscher ginge noch heute mit der Orthodoxie des Mittelalters friedlich Hand in Hand. - Aber so dachten die Begründer der modernen Naturwissenschaft nicht. Nicht dem Götzen des biologischen Vorteils brachten diese Männer ihre Opfer dar, nicht um der Denkersparnis willen reformierten sie die Wissenschaft, sondern sie kämpften für das Recht der Vernunft, in dem Vertrauen, daß die Geheimnisse der Natur dem menschlichen Geist begreifbar sind. Dieses Vertrauen gab ihnen die Kraft zu der beispiellosen Hingabe und Aufopferung, mit der sie den Kampf für die freie Forschung aufnahmen. Der Versuch, dieses Vertrauen zu untergraben, kann nur denen in die Hände arbeiten, die so emsig bemüht sind, uns die von jenen erkämpfte Freiheit wieder zu entreißen. - Wohin also der blinde Eifer für die vielgepriesene "Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft" führen muß, darüber sollte man sich nicht länger täuschen. Wer die Metaphysik aus der Wissenschaft eliminieren will, der liefert, da ohne Metaphysik überhaupt nicht geurteilt werden kann, die Wissenschaft an irgendeine Metaphysik außerhalb der Wissenschaft aus, d. h. der spielt, ohne es zu wissen und zu wollen, die Wissenschaft dem Mystizismus in die Hände. Das sollten diejenigen beizeiten bedenken, denen die Sache der Wissenschaft und der Aufklärung am Herzen liegt.
11) Prinzipien der Wärmelehre, Seite 435. 12) Prinzipien der Mechanik, fünfte Auflage 1904, Seite 141f 13) MACH erklärt in der Tat "die historisch-genetische Darstellung der Theorien für die einzig richtige". (Erkenntnis und Irrtum, Seite X) 14) Wir haben hier also dreierlei Verfahren zu unterscheiden: Theorie, Induktion und Abstraktion. Die Theorie ist ein progressives, Induktion und Abstraktion sind regressive Verfahren. Während aber die Induktion aus der Erfahrung schließt und dabei schon gewisse Grundsätze a priori voraussetzen muß, zergliedert die Abstraktion die Erfahrung, um die Grundsätze a priori erst zu suchen. Die Induktion schließt also ebenso wie die Theorien von den Gründen nur auf die Folgen; nur mit dem Unterschied, daß bei dieser die Gründe Realgründe, bei jener aber nur Erkenntnisgründe sind. Die Abstraktion hingegen schließt überhaupt nicht, sondern sucht allererst die Erkenntnisgründe zu gegebenen Folgen. Die Entdeckung der Schwerkraft aus der Beobachtung der Fallbewegung ist in induktorisches Verfahren; die Ableitung der Fallgesetze aus dem Gesetz der Schwere ist ein theoretisches Verfahren; die Entdeckung des Gesetzes der Trägheit ist das Beispiel ein Abstraktion. 15) Mechanik, Seite 142 16) Mechanik, Seite 142 17) Dieser Fehlschluß kommt bei MACH auch bei anderen Gelegenheiten vor. So schließt er (Mechanik, Seite 533f) aus der Denkbarkeit von mehr als dreifach ausgedehnten raumartigen Mannigfaltigkeiten, daß nur die Erfahrung die Eigenschaften des gegebenen Raumes zu lehren vermag. 18) Daß diese Annahme nicht nur unerwiesen, sondern auch falsch ist, habe ich an anderer Stelle auseinandergesetzt. Vgl. meine "Bemerkungen über die nicht-euklidische Geometrie und den Ursprung der mathematischen Gewißheit", Abhandlungen der Friesschen Schule, Neue Folge, Bd. I, Heft 2 und 3). 19) Mechanik, Seite 143. Vgl. auch Seite 298. 20) Mechanik, Seite 263, 257 21) Mechanik, Seite 549 22) Mechanik, Seite 532 23) Wenden wir dies auf das Prinzip der Denkökonomie an, so finden wir, daß dieses Prinzip im Grunde nichts anderes besagt als dies: "Es erspart Denkarbeit, anzunehmen, daß das Denkarbeit ersparende Denken das richtige ist." So formuliert ist das Prinzip in der Tat unangreifbar, und es empfiehlt sich daher, es künftighin immer in dieser Form auszusprechen. 24) Nach allem Gesagten versteht es sich übrigen von selbst, daß wenn die Naturgesetze subjektive Erzeugnisse des Denkens sein sollen, an die die Wirklichkeit nicht gebunden ist, es in der "Wirklichkeit" auch keine "Abhängigkeit der Elemente voneinander" geben kann, daß diese Abhängigkeit vielmehr, da sie mit gesetzmäßiger Verbindung identisch ist, ebenfalls nur ein subjektives Erzeugnis des Denkens sein kann. Wie man sch aber das nach Abzug der Gesetze und der Abhängigkeit der Elemente voneinander von der Wirklichkeit noch Zurückbleibende zu denken hat oder auch nur denken kann, weiß ich nicht. 25) In fast noch greifbarerer Form spricht OSTWALD denselben Widerspruch aus: "Für den heutigen Naturforscher gibt es keine Erkenntnis a priori und daher auch kein apodiktisches Wissen ... Auf KANTs Hauptfrage: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? antworten wir: Urteile a priori sind überhaupt nicht möglich, und alles Wissen stammt aus der Erfahrung ... Man darf daher nur eine Wahrscheinlichkeit von 1 / ∞ = 0 dafür annehmen, daß irgendeine ins Unbegrenzte erstreckte oder absolute Behauptung die Wahrheit trifft." (Annalen der Naturphilosophie, Bd. I, Seite 51f, 61) - - - Angenommen, diese Behauptung ist richtig, apodiktische Behauptungen seien also unmöglich, so muß dies auch von dieser Behauptung OSTWALDs gelten; sie ist also sicher falsch. - - - Der Empirist könnte nun vielleicht angesichts dieses Widerspruchs auf den Gedanken kommen, seine Grundbehauptung folgendermaßen einzuschränken: "Alle apodiktischen Behauptungen mit Ausnahme dieser einen sind unmöglich." Allein, es ist nicht schwer einzusehen, daß diese Einschränkung des Empirismus unmöglich ist, ohne seinen Sinn vollends zu vernichten. Welche Behauptung soll denn hier ausgenommen sein? Etwa der Satz: Apodiktische Behauptungen sind unmöglich? Dann wäre dieser Satz, als ausgenommener, richtig; wir hätten also nicht nur denselben Widerspruch vor uns wie vorhin, sondern noch den neuen dazu, daß der Satz apodiktisch, d. h. ausnahmslos gelten soll, zugleich aber eine Ausnahme haben, d. h. nicht apodiktisch gelten soll. - Oder soll vielleicht der auszunehmende Satz die schon mit der Einschränkung versehene Behauptung sein? In diesem Fall hätten wir den Empirismus in die folgende Form gebracht: "Alle apodiktischen Behauptungen mit Ausnahme der Behauptung alle apodiktischen Behauptungen mit Ausnahme dieser einen sind unmöglich sind unmöglich." Hier wiederholt sich aber die Frage: Welches ist denn "diese eine" in der Ausnahme ausgenommene Behauptung? Und da ist dann leicht einzusehen, daß wir bei fortgesetzter Einsetzung der auszunehmenden Behauptungen auf eine unendliche Reihe kommen. Die Unvollendbarkeit dieser Reihe hat zur Folge, daß die auszunehmende Behauptung gar nicht endlich definierbar ist. Sie läßt sich also zwar in Worten aussprechen und hinschreiben, aber es ist schlechterdings unmöglich, einen Sinn mit ihr zu verbinden. - - - Logischen Erwartungen solcher Art pflegt man mit dem Einwand zu begegnen, sie seien "dialektisch" oder auch "sophistisch". Allein ich kann nicht finden, daß eine Argumentation dadurch an Triftigkeit verliert, daß man sie mit einem verächtlichen Namen belegt. Gibt man uns die Unwiderlegbarkeit der Argumentation zu, so wollen wir dafür den ihr zugedachten Namen gern in Kauf nehmen. 26) KANT, Kritik der praktischen Vernunft, 1788, Vorrede 27) Auf die Frage, wie eine solche Kritik wissenschaftlich möglich ist, d. h. wie sich der berechtigte Gebrauch der Metaphysik vom unberechtigten unterscheiden und methodisch abgrenzen läßt, kann hier nicht näher eingegangen werden. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe (eine Schwierigkeit, die auf den ersten Blick eine Unmöglichkeit zu sein scheint) liegt hauptsächlich darin, daß das zu ihrer Lösung erforderliche Kriterium selbst metaphysischer Natur sein muß, da, wie wir gesehen haben, weder die Beobachtung noch die Logik dazu hinreichend ist. Daß und wie diese Schwierigkeit sich heben läßt, habe ich gezeigt in meiner Abhandlung über "die kritische Methode". (Abhandlungen der Fries'schen Schule, Neue Folge, Bd. 2, Heft 1) 28) Ob die Lebenserscheinungen kausal oder teleologisch zu erklären sind, darüber kann in der Tat niemals die Beobachtung, sondern nur die Metaphysik entscheiden. Vor dem Forum einer metaphysikfreien Biologie sind daher allerdings beide Auffassungen gleichwertig. Metaphysikfrei im strengen Sinn wäre weder die kausal noch die teleologische, sondern nur eine solche Biologie, die auf eine Erklärung der Lebenserscheinungen überhaupt verzichtet. Das heißt aber: eine metaphysikfreie Biologie gibt es nicht. - - - Der Vorschlag, der Gefahr metaphysischer Irrtümer dadurch zu entgehen, daß man auf alle Metaphysik überhaupt verzichtet, gleicht, nach einer treffenden Bemerkung KANTs, dem Verhalten desjenigen, der, um nicht immer unreine Luft zu schöpfen, es vorzieht, das Atemholen überhaupt einzustellen. 29) Mechanik, Seite 534 30) HELMHOLZT sagt einmal irgendwo ganz im Sinne des MACHschen Empirismus: Jede metaphysische Behauptung beruth auf einem Trugschluß oder sie enthält einen versteckten Erfahrungssatz. Unsere Nachweisungen erlauben uns, diesen Ausspruch getrost umzukehren und zu sagen: Jeder Erfahrungssatz enthält eine versteckte metaphysische Behauptung oder er beruth auf einem Trugschluß. 31) Prinzipien der Wärmelehre, Seite 370, 375. 32) ebd. Seite 376 33) JOSEPH PETZOLDT, Metaphysikfreie Naturwissenschaft, Naturwissenschaftliche Wochenschrift, Bd. 17, Nr. 31, Seite 361f. 34) Man lese z. B. nur die von KEPPLER abgefaßte Schrift zur Verteidigung seiner Mutter gegen die Anklage der Hexerei, um sich zu überzeugen, daß selbst dieser seine Zeitgenossen geistig so hoch überragende Forscher den Glauben derselben an die Existenz der Hexen und der Zauberei unbedenklich teilte. 35) Mit Argumenten ähnlicher Art suchte auch schon OSIANDER in seiner Vorrede zum Werk des KOPERNIKUS die Lehren des letzteren gleichsam zu entschuldigen. - - - Um einem naheliegenden Mißverständnis vorzubeugen, bemerke ich noch Folgendes. Man kann der Auffassung, wonach der kopernikanischen Theorie aus bloßen Gründen der Bequemlichkeit der Vorzug vor der älteren Epizyklentheorie zu geben ist, sehr wohl eine gewisse Berechtigung für die damalige Zeit zuerkennen. Aufgrund der damals allein ausgebildeten phoronomischen [bewegungstechnischen - wp] Betrachtungsweise ist nämlich allerdings keine objektive Entscheidung zwischen den beiden Theorien möglich. Denn die Phoronomie steht unter dem Grundsatz der Relativität der Bewegung, enthält also für sich keine hinreichenden Kriterien der Beurteilung wirklicher Bewegungen, und ihre Konstruktionen bleiben daher mit einer gewissen Willkürlichkeit behaftet. (Wenn dennoch diese Willkürlichkeit früher verkannt wurde, so erklärt sich dieser Umstand einfach aus der damals herrschenden Unklarheit über das Gesetz der Relativität; auch hatten die erwähnten Urteile von OSIANDER und RICCIOLI gewiß andere Gründe als etwa den einer klaren Einsicht in dieses Gesetz.) Anders steht es aber, sobald man von der phoronomischen Betrachtungsweise zur mechanischen übergehe. Denn die Grundgesetze der letzteren sind gerade die objektiven Kriterien der Konstruktion der Bewegungen. Erst die Einführung der mechanischen Betrachtungsweise in die Astronomie durch GALILEI und NEWTON konnte daher die objektive Entscheidung zugunsten der kopernikanischen Konstruktion bringen: denn nur aufgrund dieser Konstruktion war die Mechanik des Himmels möglich. - - - Historisch betrachtet steht freilich das Postulat einer mechanischen Erklärung der astronomischen Erscheinungen schon - wenn auch nur unklar gedacht - im Hintergrund der phoronomischen Konstruktionen bei KOPERNIKUS und KEPPLER; das überzeugte Eintreten dieser Männer für die neue Konstruktionsweise wäre ohne eine solche, wenn auch unbestimmte Beziehung auf eine zumindest mögliche mechanische Erklärung schwerlich zu verstehen. Selbst die mystisch-teleologischen Vorstellungen KEPPLERs von der Erschaffung des Planetensystems nach dem Muster der geometrischen Verhältnisse der regulären Polyeder [Körper, der aus ebenen Flächen besteht - wp] - Vorstelungen, die ihn bei seinen Forschungen ursprünglich leiteten - gehen über die phoronomische Betrachtungsweise nicht nur durch eine ästhetische Beurteilung hinaus, sondern enthalten bereits etwas einer mechanischen Deutung Analoges. - - - Da die mechanischen Prinzipien nicht empirischen Ursprungs sind, ist es nur konsequent, wenn heute diejenigen, die rein empirisch verfahren wollen, die Grundgesetze der Mechanik selbst wieder in willkürliche Annahmen verwandeln, über deren Brauchbarkeit nur die größere oder geringere Bequemlichkeit zu entscheiden hat, mit diesen aber alle objektiven Kriterien wissenschaftlicher Wahrheit preisgeben und somit auf die vorgalileische Stufe der Wissenschaft zurückkehren. |