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Ist metaphysikfreie Naturwissenschaft möglich? [ 1 / 2 ]
Hundert Jahre sind seit dem Erscheinen von FRIES' "Kritik der Vernunft" verstrichen. Die damalige wissenschaftliche Lage, charakterisiert durch die Herrschaft von SCHELLINGS Naturphilosophie, war der Aufnahme des Werkes nicht günstig, das den Phantasiespielen einer Kunst und Wissenschaft vermengenden Schule nüchterne, nur das Muster der Mathematik und Physik anerkennende Gedankenarbeit entgegenstellte. Als dann, fünfzig Jahre später, APELT den reifen Ertrag der psychologisch durchgebildeten Vernunftkritik in Gestalt seines "Lehrbuchs der Metaphysik" der Öffentlichkeit vorlegte, hatten sich zwar die Anhänger jener +romantischen Schule ziemlich verloren, allein die Vertreter der mächtig emporblühenden exakten Wissenschaften waren, überdrüssig jener mystischen Spielwerke und mit der FRIES'schen Lehre unbekannt, allen philosophischen Interessen soweit abhold geworden, daß auch die kritische Metaphysik den Bann nicht mehr zu brechen und die Aufmerksamkeit der Naturforscher auf sich zu lenken vermochte. APELTs Bemühungen scheiterten an derselben philosophischen Stumpfheit der Zeit wie in England die ähnlich gerichteten Bestrebungen WHEWELLs. Heute, nach abermals fünfzig Jahren, erscheint der Zeitpunkt weniger ungünstig, um die seit langem abgebrochenen Verhandlungen über die gegenseitigen Beziehung beider Wissenschaften mit Erfolg wieder anzuknüpfen. Die Naturforscher selbst sind es, die diesmal die alte Frage wieder aufgeworfen haben. Auch scheint die Entwicklung, die die mathematischen und induktiven Wissenschaften genommen haben, die Aussichten für eine Verständigung gerade mit der kritischen Philosophie wesentlich zu begünstigen. Die Ausdehnung der mathematischen Forschungen auf die Grundlagen der Geometrie und Arithmetik, die damit verbundene Schöpfung ganz neuer Disziplinen wie der nicht-euklidischen Geometrie und der Mengenlehre, der Sturz der atomistischen Physik und Chemie, die Fortschritte der physiologischen Chemie und manches andere drängt hier unwillkürlich auf die Problemstellungen der kritischen Naturphilosophie zurück. Soviel aber auch schon von der einen oder anderen Seite zur Lösung dieser Probleme geleistet sein mag, die eine Frage, von deren Entscheidung das Schicksal der kritischen Naturphilosophie im letzten Grund abhängt, hat eine anerkannte Lösung noch nicht gefunden. Es ist dies die Frage, ob über die allgemeinsten die Forschung leitenden Grundsätze die Erfahrung, d. h. Beobachtung und Experiment, zu entscheiden hat oder nicht. Von der Mehrzahl der Naturforscher wird diese Frage noch heute bejahend beantwortet. Es liegt aber auf der Hand, daß diese Antwort in ihrer Konsequenz mit keiner Naturphilosophie überhaupt vereinbar ist, d. h. daß alle Bemühungen, der empirischen Forschung, ihr eine zu ihr gehörige philosophische Disziplin an die Seite zu stellen, im Widerspruch mit dem durch jene Antwort ausgesprochenen Empirismus stehen. So nachteilig es aber auch wäre, sich über die Schroffheit dieses Gegensatzes zu täuschen, so sollte man doch nicht aus dem Auge verlieren, daß es sich nicht mehr wie einst um einen Gegensatz zwischen Philosophie und Naturforschung als solcher handelt, sondern nur einen solchen zwischen zwei verschiedenen Auffassungen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Wenn daher der gegenwärtige Führer der empiristischen Schule die Möglichkeit einer Verständigung mit der kritischen Philosophie von vornherein von der Hand weist und gleichsam die Naturforschung als solche für seine eigene Schule in Anspruch nimmt (1), so müssen wir sein Vorgehen als unbillig zurückweisen. Wo immer das Recht der Beobachtung anerkannt wird, da ist der "gemeinsame Boden für die Diskussion" vorhanden, und da sollte eine Verständigung möglich erscheinen: denn da unterwerfen sich beide Parteien ein und demselben Richterspruch, und jede wird bereit sein, dem an diesem gemessenen besseren Recht der anderen nachzugeben. So schlimmt liegt aber die Sache der kritischen Schule noch nicht, daß sie genötigt wäre, auf Machtsprüche zu pochen (2) und der Entscheidung durch eine vorurteilsfreie Beobachtung aus dem Weg zu gehen. Sie fürchtet das Licht der Beobachtung nicht; vielmehr weist sie selbst auf die dieser offen liegenden Tatsachen des naturwissenschaftlichen Erkennens hin, als auf den unterschütterlichen Prüfstein der Wahrheit der von ihr vorgetragenen Lehren. Solange sie aber hierzu in der Lage ist, muß sie auf das gleiche Recht mit ihren empiristischen Gegnern Anspruch erheben: auf das Recht, nicht ungeprüft beiseite geschoben zu werden. Dieses Recht werden wir uns nicht nehmen lassen. Indem wir für unsere großen Lehrer in diesem Streit Partei ergreifen, befinden wir uns nicht in der Lage eines mutwilligen Angreifes, sondern wir sind uns bewußt, lediglich ein rechtmäßig erworbenes Besitztum zu verteidigen. Aber nicht nur eine Pflicht der historischen Gerechtigkeit gilt es zu erfüllen; das Interesse der Wissenschaft weist uns denselben Weg. Zwar scheint es bei oberflächlicher Betrachtung, als sei es für den produktiven Forscher von geringem Belang, welcher Ansicht über den Ursprung der ihn leitenden Grundsätze er anhängt, und der diesen Ursprung betreffende Streit scheint daher rein akademischer Natur zu sein. Diese Auffassung ist jedoch, wie sich bestimmt zeigen läßt, ein verhängnisvoller Irrtum (3). Ja, der Streit, in den wir verwickelt sind, hat noch eine ganz andere als theoretische Bedeutung, eine Bedeutung sehr viel allgemeinerer, ich möchte sagen kulturpolitischer Art. Denn er geht die Existenz und den Wert der Wissenschaft überhaupt an. Dies ist über den Erörterungen der vielerlei untergeordneten Einzelfragen bisher von beiden Seiten gänzlich übersehen und verkannt worden. Meine Behauptung mag daher zunächst verwunderlich erscheinen, allein ich hoffe sie im Verlauf der vorliegenden Abhandlung vollständig zu rechtfertigen und dadurch den tieferen Sinn unserer Streitfrage in ein neues und helleres Licht zu setzen. Um aber diesem Streit eine möglichst bestimmte Form zu geben, wird es zweckmäßig sein, ihn an die Prüfung einer historisch vorliegenden Ausführung der gegnerischen Lehren anzuknüpfen. Ich wähle die zusammenfassende Darstellung, die jüngst ERNST MACH in seiner Schrift "Erkenntnis und Irrtum" seinen erkenntnistheoretischen Lehren gegeben hat. - MACH lehnt es ab, ein System aufzustellen, er weist die Zumutung zurück, als Philosoph aufzutreten; nur als Naturforscher will er sprechen, nur von der tatsächlich geübten Forschungsmethode der Naturwissenschaft will er Rechenschaft ablegen. Er protestiert gegen das Verfahren derer, die unter Berufung auf fertige Resultate einer historisch vorliegenden Philosophie gegen seine Untersuchungen zu Felde ziehen, statt sich mit ihm auf den Boden der psychologischen Erfahrung zu begeben und auf diesem die Probleme der naturwissenschaftlichen Methodik zu diskutieren. In der Tat, wer die Ergebnisse psychologischer, also auf Erfahrungstatsachen gegründeter Forschungen verurteilt, weil sie nicht in den Rahmen seines philosophischen Systems passen, kann nur Mißtrauen gegen seine eigene Wissenschaftlichkeit erwecken. Scheut sich ein solcher, sich auf eine Prüfung der erfahrungsmäßigen Begründung der biologischen Erkenntnistheorie einzulassen, indem er sich begnügt aus spekulativen Gründen abzusprechen, so gleicht ein derartiges Verhalten in bedenklicher Weise der wohlfeilen Antwort, die jener Hegelianer auf die Behauptung, die spekulativen Deduktionen seines Meisters ständen mit den Tatsachen in Widerspruch, mit den Worten erteilte: "Umso schlimmer für die Tatsachen". Ist die biologische Erkenntnistheorie im Irrtum, so muß es möglich sein, den Punkt bestimmt aufzuzeigen, an dem sie eine fehlerhafte Beobachtung oder einen fehlerhaften Schluß aus einer richtigen Beobachtung ihren weiteren Ausführungen zugrunde legt. Wir werden die Ansichten MACHs dadurch prüfen, daß wir sie, nicht mit irgendeinem vorhandenen philosophischen System, sondern allein mit den Tatsachen der Beobachtung vergleichen. Die Frage, die wir erörtern wollen, ist also diese: Befindet sich die MACH'sche Psychologie in Übereinstimmung mit den Tatsachen der Selbstbeobachtung? Bietet seine Methodologie eine Aufklärung der wirklichen Grundlagen der Naturforschung? der Elemente voneinander Nach MACH bildet das wissenschaftliche Denken nur das Endglied einer "kontinuierlichen biologischen Entwicklungsreihe, welche mit den ersten einfachen Lebensäußerungen beginnt" (Seite 2) Diese ersten einfachen Lebensäußerungen findet er in den "Empfindungen". Die Empfindungen sollen als die "Grundelemente allen psychischen Lebens" zu betrachten sein (Seite 23). Was aber haben wir unter einer "Empfindung" zu verstehen? MACH sagt:
In der Tat scheint die zweite Auffassung die von MACH beabsichtigte zu sein. Ist es doch sein Ziel, alle "durch die Erfahrung nicht kontrollierbaren Annahmen", alles Metaphysische im kantischen Sinn, aus der Wissenschaft "zu eliminieren" (4). Und Seite 315 sagt er geradezu: "Die Grundlage aller Erkenntnis ist die Intuition." - Es entsteht also für MACH die Aufgabe, aus der Empfindung (im Sinne von "Intuition" oder, wie er noch häufiger sagt, "Beobachtung") die tatsächlichen Phänomene des menschlichen Erkennens zu erklären. Natürlich nimmt er hierfür die Assoziation zuhilfe. Zwar kann die Psychologie seiner Meinung nach "mit den temporär erworbenen Assoziationen allein nicht für alle Fälle auskommen" (Seite 157). Aber nehmen wir die vererbten Assoziationen mit hinzu, so können wir die Aufgabe der MACH'schen Psychologie des Erkennens dahin bestimmen, daß sie die gesamte menschliche Erkenntnis als etwas auf bloße Empfindungen (im genannten Sinn) mittels der Assoziation Zurückführbares zu erklären hat. In der Tat fühlte sich MACH verpflichtet, diese Aufgabe zu lösen.
Es gilt zunächst festzustellen, daß diese Erkenntnis weder selbst eine Empfindung ist, noch aus einer bloßen Ansammlung von Empfindungen bestehen kann. Wenn ich sage: "eine Magnetnadel gerät in Bewegung, sobald ein anderer Magnet angenähert wird", so spreche ich damit ein Urteil aus, dessen Inhalt über den Bereich der bloßen Empfindung, Intuition, Beobachtung oder wie MACH es sonst nennen will, weit hinausgeht. Denn dieser Inhalt beschränkt sich nicht, wie dies jede Empfindung tut, auf etwas zu einer bestimmten Zeit an einer bestimmten Stelle Wahrgenommenes, sondern enthält überhaupt keine Beziehung auf eine zeitliche oder örtliche Bestimmtheit. Der Satz bedeutet, daß unter den gleichen Umständen, wie die waren, unter denen ich die Bewegung der Nadel auf die Annäherung des Magneten folgen gesehen habe, - daß unter den gleichen Umständen überall und zu jeder Zeit auf die Annäherung eines Magneten auch die Bewegung der Nadel eintreten wird. Und derselbe - der Empfindung ganz und gar fremde - Gedanke der Notwendigkeit einer Verknüpfung ist in dem Satz enthalten, daß auch mein eigener Leibt auf meinen Befund "einen Einfluß ausübt". "Beim Schließen meiner Augen verschwindet überhaupt mein optischer Befund." (Seite 7) Woher weiß ich das aber? Was mir die Empfindung zeigt, ist nicht mehr, als daß in den bestimmten Fällen, in denen ich früher die Augen geschlossen habe, auch mein optischer Befund verschwunden ist. Dies ist bei weitem nicht das, was das Wort "Einfluß" meint. Dieses Wort bezeichnet den Gedanken, daß das Verschwinden des optischen Befundes nicht nur in einzelnen beobachteten Fällen auf das Schließen der Augen gefolgt ist, sondern daß das eine Phänomen durch das andere bedingt ist, und hierin liegt der Gedanke der Notwendigkeit, durch den die Verbundenheit beider Phänomene als eine von den zufälligen Umständen, unter denen sie beobachtet wurde, unabhängige vorgestellt wird. Solche Gedanken treten allerdings schon im primitivsten Stadium des geistigen Lebens auf. MACH bezeichnet es als das "Ergebnis eines unwiderstehlichen Analogieschlusses" (Seite 6), daß wir Bewußtseinserlebnisse, "ähnlich den mit unserem eigenen Leib zusammenhängenden, auch an die anderen Menschen- und Tierleiber gebunden denken". (Seite 6) Dies ist gewiß eine treffende Bezeichnung des tatsächlichen Sachverhalts; aber sie erklärt nicht im Mindesten seine psychologische Möglichkeit. Wenn irgendetwas, so ist doch wohl das Ergebnis dieses "Schlusses" eine "durch die Erfahrung nicht kontrollierbare" und somit, nach MACHs eigener Bezeichnung, "metaphysische" Annahme, die - sie mag nun zur Recht bestehen oder nicht - sich, wenn die MACH'sche Psychologie zu Recht bestehen soll, hinsichtlich ihres tatsächlichen Vorhandenseins aus Empfindungen ableiten lasen muß. Eine Erklärung, wie die Erkenntnis einer solchen "Abhängigkeit" nach den empiristischen Prinzipien der MACH'schen Lehre psychologisch möglich ist, erscheint umso weniger erläßlich, als gerade MACH selbst dieser Erkenntnis der "Abhängigkeit der Elemente voneinander" die höchste Bedeutung für unser gesamtes Erkenntnisleben, insbesondere für die wissenschaftliche Erkenntnis, einräumt:
"So wie es biologisch wichtig ist, durch Beobachtung den Zusammenhang von Reaktionen - Aussehen einer Frucht und deren Nährwert - zu konstatieren, so geht auch jede Naturwissenschaft darauf aus, Beständigkeiten des Zusammenhangs oder der Verbindung der Reaktionen, der Abhängigkeit der Reaktionen voneinander aufzufinden." (Seite 135) MACH ist es natürlich nicht unbekannt geblieben, daß andere Forscher in dem von ihm als selbstverständlich hingenommenen Sachverhalt ein Problem gesehen haben. Die Schwierigkeiten, die diesen Männern die Aufgabe bereitet hat, den Begriff der notwendigen Verknüpfung auf die bloße Beobachtung zurückzuführen, würdigt er dann auch der Erwähnung; aber die Erklärungen, die wir da erhalten, sind höchst dürftig. Er wendet sich hauptsächlich gegen den Versuch, aus der Annahme eines "angeborenen Verstandesbegriffs" unsere sogenannten Kausalitätsurteile zu erklären (5). Hierin wird ihm nun gewiß kein Psychologe mehr widersprechen; im Übrigen verdient es hervorgehoben zu werden, daß gerade KANT, dem MACH diese Annahme zuschreibt, sich mit größter Entschiedenheit gegen eine solche Annahme erklärt hat (6). MACH verfährt so, daß er dem Terminus der Apriorität, der nach KANTs ausdrücklicher Definition nur den nicht-empirischen Ursprung gewisser Urteile und Begriffe bezeichnen soll, den Begriff des Angeborenseins unterschiebt und dann aus der von niemandem bestrittenen Tatsache, daß es dergleichen angeborenen Urteile oder Begriffe gar nicht gibt, auf den empirischen Ursprung der fraglichen Erkenntnisse schließt. Eine Schlußweise, deren Unstatthaftigkeit in die Augen fällt, solange man noch der Frage, ob eine Erkenntnis, hinsichtlich ihrer Quelle, aus der Beobachtung geschöpft ist, von der anderen zu unterscheiden weiß, ob sie, der Zeit nach, aller Beobachtung vorhergeht. Eine Unterscheidung dieser beiden Fragen ist bei MACH nirgends anzutreffen. MACH bespricht beifällig die Weise, in der HUME das Problem gelöst hat. Aber worin besteht denn diese "Lösung"? HUME selbst hat nicht beansprucht, eine solche gefunden zu haben, vielmehr kommt er zu der ganz entgegengesetzten Einsicht, daß das Problem mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln schlechterdings unauflöslich ist. Allerdings führt er, wie MACH berichtet, unsere Kausalurteile auf die gewohnheitsmäßige Erwartung zurück, aber von dieser Erwartung gesteht er, nach einer sorgfältigen Analyse ihres Inhalts, daß sie ein jeder empiristischen Erklärung spottendes Problem bildet. Schon darin tut MACH HUME Unrecht, daß er ihm eine verkehrte Fragestellung unterschiebt. Das Problem, das HUME sich vorlegte, war nämlich nicht, wie MACH meint: "Wie kann ein Ding A auf ein anderes B wirken?" (7), sondern: Wie können wir erkennen, daß ein Ding A auf ein anderes B wirkt? Auf dieses Problem kam HUME, weil er von der Voraussetzung ausging, die auch MACH annimmt, daß nämlich die Beobachtung ie einzige Quelle der Erkenntnis ist, und weil er andererseits einsah, was MACH nicht einsieht, daß in der Zurückführung des Begriffs der notwendigen Verknüpfung auf bloße Beobachtung eine Schwierigkeit liegt. Erst KANT hat das Problem gelöst, durch den Nachweis der Irrigkeit der HUME'schen Voraussetzung. Wer diese Lösung nicht anerkennen will, der muß leisten, was HUME nicht zu leisten vermochte, nämlich den Begriff der notwendigen Verknüpfung auf eine Empfindung zurückführen; widrigenfalls ihm nur übrig bleibt, das zu erklärende Faktum, also nicht sowohl das Vorhandensein einer notwendigen Verknüpfung, sondern das psychologische Vorhandensein des Begriffs einer notwendigen Verknüpfung, zu bestreiten. Wenn sich also MACH gelegentlich (8) dadurch zu helfen sucht, daß er das objektive Bestehen einer notwendigen Verknüpfung, daß er alle "physikalische Notwendigkeit" bestreitet, so ist dies nichts als ein Ausweichen, durch das die eigentliche Schwierigkeit gar nicht berührt wird. Denn da das subjektive Vorhandensein des Begriffs der notwendigen Verknüpfung dadurch nicht aus der Welt geschafft wird, bleibt das Problem nach wie vor: Wie ist der - sei es objektiv ungültigte - Begriff der notwendigen Verknüpfung psychologisch möglich? Der Versuch aber, den MACH anstellt, diesen Begriff der notwendigen Verknüpfung, der HUMEschen Voraussetzung gemäß, auf die Empfindung zurückzuführen, kann nicht als gelungen betrachtet werden. Hiermit verhält es sich folgendermaßen: HUME hatte bei seinen gründlichen Untersuchungen auch auf die Möglichkeit Bedacht genommen, die auf unsere Umgebung angewandten Begriffe von Ursache, Kraft und ähnliche als eine Übertragung aus der unserem Innenleben entnommenen Beziehung zwischen dem Willen und der Bewegung unserer Glieder zu erklären. Aber es war seinem Scharfsinn nicht entgangen, daß eine solche Zurückführung den in jenen Begriffen enthaltenen Gedanken von notwendiger Verknüpfung um nichts begreiflicher zu machen vermag, da sich das den Willen mit der Bewegung Verknüpfende ebenso der Beobachtung entzieht wie die Verknüpfung äußerer Phänomene. - MACH seinerseits meint nun, HUME habe Unrecht gehabt, diese Erklärung des Ursprungs unseres Kausalbegriffs abzuweisen.
MACH sagt:
Aber wir sind ja nicht auf die Empfindung allein angewiesen; außer ihr gibt es ja noch die Assoziation, vielleicht kann uns diese aus der Verlegenheit helfen. Wirklich scheint MACH selbst die bloße Beobachtung nicht genügend gefunden zu haben, um das Phänomen der Erwartung ähnlicher Fälle restlos zu erklären. Was jedoch die Beobachtung hier noch unerklärt läßt, scheint der Zurückführung auf die Assoziation ohne weiteres zugänglich: Das Kind
Der hier entscheidende psychologische Unterschied besteht, in MACHs Terminologie ausgedrückt, darin, daß die Assoziation eine Verbindung von Vorstellungselementen ist, die Erwartung ähnlicher Fälle aber die Vorstellung von einer Verbindung der Elemente enthält, und da ist dann klar, daß das zweite sich in keiner Weise auf das erste reduzieren läßt. Diese Schwierigkeit (die in der Tat eine Unmöglichkeit ist) scheint MACH selbst gefühlt zu haben. Denn er sagt:
Der zweite Fehler der MACHschen Erklärung liegt darin, daß das biologische Interesse, das hier zur Erklärung der Erwartung dienen soll, eine solche Erwartung bereits zu seiner eigenen Möglichkeit voraussetzt. Daß die Merkmale d, e wegen ihrer nützlichen oder schädlichen Eigenschaft ein Interesse oder einen Wert für uns haben, ist nur dadurch möglich, daß wir mit der Vorstellung der Merkmale d, e diejenige ihres Nutzens oder Schadens derart verbinden, daß wir erwarten, mit dem Eintreten von d, e wird auch der früher wahrgenommene Nutzen oder Schaden wieder eintreten. Wir haben also hier mit der Einführung des biologischen Interesses nichts weiter getan, als daß wir die Kombination der Merkmale a, b, c, d, e um die weiteren Merkmale f, g (Nutzen oder Schaden) bereichert haben, wo es dann offenbar um nichts begreiflicher ist, wie die Verbindung von d, e mit f, g, als wie die von a, b, c mit d, e erwartet werden kann. Denn es liegt auf der Hand, daß, wo es sich um die Erklärung der Möglichkeit der Erwartung überhaupt handelt, uns nicht mit der Berufung auf das Stattfinden einer speziellen Art von Erwartung gedient sein kann (10). Nach MACH ist, wie wir bereits hervorgehoben haben, die gewohnheitsmäßige Erwartung ähnlicher Fälle logisch nicht berechtigt. Da er nun in einem naturwissenschaftlichen Induktionsschluß nichts spezifisch anderes findet als eine solche Erwartung, so ist es nur konsequent, wenn er auch von diesem Verfahren urteilt, es habe "gar keine logische Berechtigung" (Seite 308). Da er aber natürlich nicht daran denkt, dieses Verfahren als wertlos zu verwerfen, sieht genötigt, eine andere als die logische Berechtigung dafür zu suchen. Diese liefert ihm der Erfolg. MACH bemerkt an einigen Stellen selbst, daß jede naturwissenschaftliche Induktion die Annahme einer Gesetzmäßigkeit des durch die Induktion zu erforschenden Gebietes schon voraussetzt und daß sogar jedem Wahrscheinlichkeitsschluß diese Voraussetzung bereits zugrunde liegt (Seite 282f). Diese aller Forschung zugrunde liegende deterministische Voraussetzung soll jedoch ihr Recht erst vom Erfolg ihrer tatsächlichen Anwendung erhalten.
Es ist höchst merkwürdig zu beobachten, wie bei MACH selbst, an den verschiedensten Stellen, die Unzulänglichkeit dieses allgemeinen Empirismus mehr oder weniger deutlich zum Bewußtsein kommt, ohne daß er sich jedoch irgendwo entschließen würde, diesen kritischen Bedenken ernsthaft nachzugehen. Daß die Logik die Erkenntnis nicht zu erweitern vermag, wird von ihm wiederholt betont. Aber er erkennt zugleich an, daß auch die Induktion, die von den meisten Naturforschern als das Hauptmittel der Erkenntnis gepriesen worden ist, "keine neue Erkenntnis schafft, sondern nur die Herstellung der Widerspruchslosigkeit zwischen unseren Erkenntnissen sichert". "Es ist also klar", sagt er treffend, "daß die eigentliche Erkenntnisquelle des Forschers anderswo liegen muß." (Seite 312) Welches sind also die eigentlichen Quellen der Erkenntnis? Stammt diese wirklich "immer aus der Beobachtung"? (Seite 314). Das darf wohl kaum angenommen werden, wenn bei der in Gedanken vorgenommenen "Ergänzung" und "Erweiterung" des "Individualbefundes" nur für einen Teil dieser Erweiterung die beobachteten Fälle Anhaltspunkte bieten", während "ein anderer Teil aus dem eigenen Gedankenvorrat selbsttätig hinzugefügt werden muß". (Seite 316)
Macht man sich dies klar, so erscheint MACHs Protes gegen den kantischen Apriorismus in einem merkwürdigen Licht. Man vergleiche nur die Schilderung jener "allgemeineren Prinzipien" die vor den Einzelnen aus ihnen ableitbaren Sätzen den eigentümlichen Vorzug haben sollen, "daß ihr Gegenteil sehr stark mit unseren gesamten instinktiven Erfahrungen kontrastiert." (Seite 272f, vgl. auch Seite 171.) Sollen wir es mit diesen "instinktiven Erfahrungen, also Beobachtungsergebnisse, instinktive, also unabhängig von Beobachtungen, gewonnen werden? Jene allgemeinen Prinzipien, derer Gegenteil unserm Instinkt widerstreitet, die, wie man sich sonst wohl ausdrück, unmittelbar gewiß sine, - wären in der Tat nicht das, als was MACH sie beschreibt, wenn sich in ihnen nicht die totgesagten synthetischen Urteile a priori KANTS wiedererkennen ließen. Ja MACH verwickelt sich noch in ganz andere Widersprüche gegen sein empiristisches Dogma. Er geht hierin so weit, der Beobachtng geradezu den Charakter der Erkenntnis abzusprechen:
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1) "Daß meine Ansichten mit den kantischen Ergebnissen nicht stimmen können, mußte, bei der Verschiedenheit der Ansätze, die sogar einen gemeinsamen Boden für die Diskussion ausschließen, für jeden Kantianer und auch für mich von vornherein feststehen. Ist denn aber die kantische Philosophie die alleinige unfehlbare Philosophie, daß es ihr zusteht, die Spezialwissenschaften zu warnen, daß sie ja nicht auf eigenem Gebiet, auf eigenen Wegen zu leisten versuchen, was sie selbst vor mehr als hundert Jahren denselben zwar versprochen, aber nicht geleistet hat?" (ERNST MACH, Erkenntnis und Irrtum", Vorwort zur ersten Auflage, 1905, Seite VII) 2) "Die Frage: Wie ist reine Mathematik (a priori) möglich? enthielt also zweifellos einen der wichtigsten Forschungskeime. Wichtiger aber wäre es noch gewesen, wenn sie nicht die Voraussetzung enthalten hätte, daß die Erkenntnisse der Mathematik a priori gewonnen werden. Denn nicht philosophische Dekrete, sondern nur die positiven psycho-physiologischen Forschungen können feststellen, was angeboren ist." (MACH, a. a. O., zweite Auflage, 1906, Seite 281) 3) Auf ein treffendes Beispiel hierfür hat schon APELT aufmerksam gemacht ("De ratione recte philosophandi commentatio", Seite 4f. Vgl. auch "Die Theorie der Induktion", Seite 101f.) 4) MACH, Analyse der Empfindungen, vierte Auflage, Seite VI, VIIIf, 22. - Man unterscheide im Folgenden genau den Begriff der metaphysischen Annahme von dem der naturwissenschaftlichen Hypothese. Eine Hypothese im naturwissenschaftlichen Sinn muß jederzeit zumindest die Möglichkeit einer empirischen Kontrolle zulassen. 5) Seite 32 und 281. Ebenso: "Prinzipien der Wärmelehre", zweite Auflage 1900, Seite 435 und "Mechanik", fünfte Auflage 1904, Seite 525 6) "Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfängt, daran ist gar kein Zweifel", so lautet der erste Satz der Kritik der reinen Vernunft. "Der Zeit nach geht also keine Erkenntnis in uns der Erfahrung vorher. Wenn aber gleich alle Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung ... Es ist also zumindest eine der näheren Untersuchung noch benötigte und nicht auf den ersten Anschein sogleich abzufertigende Frage: ob es ein dergleichen von Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne unabhängige Erkenntnis gibt. Man nennt solche Erkenntnisse a priori, und unterscheidet sie von den empirischen, die ihre Quellen in der Erfahrung haben." - - - "Die Kritik", sagt KANT an anderer Stelle, "erlaubt schlechterdings keine angeborenen Vorstellungen; alle insgesamt, so mögen zur Anschauung oder zu Verstandesbegriffen gehören nimmt sie als erworben an." (Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll; Seite 68.) 7) Mechanik, Seite 524. 8) Prinzipien der Wärmelehre, Seite 437. 9) Prinzipien der Wärmelehre, Seite 432 10) Ich kann mich nicht davon überzeugen, daß sich, wie MACH (Seite 31) mit der Mehrzahl der gegenwärtigen Psychologen behauptet, "alle" Fälle von Assoziation auf das "einzige" Gesetz der zeitlichen Berührung zurückführen lassen. Vielmehr scheint mir, man müsse dabei stehen bleiben, eine besondere Ähnlichkeits-Assoziation als psychologisch nicht weiter reduzierbare Tatsache hinzunehmen. Ähnlichkeit ist durchaus nicht unter allen Umständen, wie MACH meint, "teilweise Identität" (Analyse der Empfindungen, Seite 57). Zwei verschieden Blau-Nuancen etwa, deren eine die andere in Erinnerung ruft, sind jede für sich etwas durchaus Einheitliches; sie lassen sich nicht weiter zerlegen, so daß etwa ein identischer beiden gemeinsamer Bestandteil mich veranlassen könnte, beim Anblick einer blauen Skabiose [krautartige Pflanze - wp] an ein ähnlich gefärbtes Kleidungsstück zu denken. Die der Wahrnehmung korrespondierenden photochemischen Prozesse in der Netzhaut oder im Sehnerv oder auch die zugehörigen Erregungen der Hirnrinde mögen immerhin sehr zusammengesetzter Natu sein und einen gemeinschaftlichen Teilprozeß enhalten; das ändert nichts an der psychologischen Einheitlichkeit der Farbwahrnehmung. - Man hat sich hier mit der Annahme zu helfen gesucht, eine derartige Assoziation komme durch eine Vermittlung der mit der Vorstellung der blauen Farbe assoziierten Wortvorstellung "Blau" zustande. Aber man hat nicht bemerkt, daß durch eine solche - ohnehin nur theoretisch erkünstelte - Annahme das Problem der Ähnlichkeitsassozisation nicht gelöst, sondern nur verschoben wird. Wie kommt es denn, daß gerade die Wahrnehmung der blauen Skabiose und nicht etwa die eines vorüberfliegenden Zitronenfalsters, die Wortvorstellung "Blau" reprodziert? Wie kommt es, daß gerade die verschiedenen blauen Farbtöne und nur diese, mit ein und demselben Wort "Blau" assoziiert sind? - Die beliebte Berufung auf den Umstand, daß wir schon in frühester Jugend durch die Umgangssprache an die Wortbezeichnung gewöhnt werden, versagt in zweifacher Hinsicht. Erstens läßt sie es unbegreiflich, wie denn die Anderen, die sich dieser Bezeichnungsweise bedienen, dazu gekommen sein mögen, gerade die verschiedenen "ähnlichen" Vorstellungen durch ein Wort in Beziehung zu setzen. Zweitens aber wäre es nach dieser Erklärung ausgeschlossen, daß überhaupt jemals eine von den früher aufgetretenen abweichende Vorstellung eine der früheren reproduzieren könnte. - Man erkennt durch eine solche Überlegung zugleich, daß ohne die Annahme einer besonderen Ähnlichkeitsassziation die psychologische Möglichkeit allgemeiner Begriffe (zumindest aller von sinnlichen Qualitäten abstrahierter Begriffe) unbegreiflich bleiben müßte. |