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GIDEON SPICKER
Kant, Hume und
Berkeley

[eine Kritik der Erkenntnistheorie]
[2/2]

"Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit sind also sichere Kennzeichen einer Erkenntnis a priori und gehören auch unzertrennlich zueinander. Ohne diese beiden Merkmale gibt es keine Wahrheit, folglich auch keine Wissenschaft. Folglich muß es eine besondere Erkenntnisquelle geben, welche eben in der Apriorität unserer Natur liegt. Wo wollte selbst Erfahrung ihre Gewißheit hernehmen, wenn alle Regeln, nach denen sie fortgeht, immer wieder empirisch, folglich zufällig wären?"

"Die ganze Kritik gipfelt in der Beantwortung der Frage: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? Nur wenn sie möglich sind, können Raum und Zeit und die Kategorien abgesondert von aller Empfindung betrachtet werden. Diese Möglichkeit aber ist durch den Satz: «Da das, worin sich die Empfindungen allein ordnen und in gewisse Form gestellt werden können, nicht selbst wieder Empfindung sein kann, so muß zu ihnen insgesamt die Form a priori im Gemüt bereit liegen», durchaus nicht bewiesen. Was ist denn das, worin sich alle Empfindungen allein ordnen - und welches sind die gewissen Formen, in die sie (die Empfindungen) gestellt werden können?"

§ 1. A priori und a posteriori

Die vier Grundpfeiler, auf welche KANT den ganzen Bau seiner Kritik der reinen Vernunft aufführt, sind die Begriffe a priori und a posteriori, analytisch und synthetisch.
    "Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfängt, daran ist gar kein Zweifel; denn wodurch sollte das Erkenntnisvermögen sonst zur Ausübung erweckt werden, geschähe es nicht durch Gegenstände, die unsere Sinne rühren und teils von selbst Vorstellungen bewirken, teils unsere Verstandesfähigkeit in Bewegung bringen, diese zu vergleichen, sie zu verknüpfen oder zu trennen und ihr den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu eriner Erkenntnis der Gegenstände zu verarbeiten, die Erfahrung heißt. Der Zeit nach geht also keine Erkenntnis in uns vor der Erfahrung vorher und mit dieser fängt alle an." (K 46) (1)
Da nun außer der Zeit keine Erfahrung möglich ist, und sich auch all unser Denken in der Zeit vollzieht, so fällt schon hier der Unterschied von a priori und a posteriori vollständig weg. Denn eine andere Art und Weise des Denkens, als "der Zeit nach", gibt es nicht. KANT aber scheint wirklich noch eine außerzeitliche Erkenntnisart anzunehmen.
    "Denn fährt er fort, wenngleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie doch nicht eben alle aus der Erfahrung."
Nun ist alle Erfahrung möglich in der Zeit. Wenn also nicht alle Erkenntnis aus der Erfahrung entspringt, so entspringt sie auch nicht in der Zeit. Also gibt es noch eine Erkenntnis entweder vor oder außerhalb der Zeit. Und das ist nun in der Tat die Frage, um die sich die ganze Kr. d. r. V. dreht:
    "Ob es ein dergleichen vor der Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne unabhängige Erkenntnis gibt? Man nennt solche Erkenntnisse a priori und unterscheidet sie von den empirischen, die ihre Quellen a posteriori, nämlich in der Erfahrung haben." (K 47)
KANT bejaht obige Frage mit aller Entschiedenheit. Denn wenn es keine apriorischen Erkenntnisse gibt, so ist eine Kritik der reinen Vernunft unmöglich. Unter dieser Bedingung allein kann ein solches Unternehmen stattfinden und ist Philosophie und Wissenschaft überhaupt möglich. Wenn er nun noch zur Bestätigung obiger Frage hinzufügt:
    "Wir werden also im Folgenden unter Erkenntnissen a priori nicht solche verstehen, die von dieser oder jener, sondern die schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig stattfinden",
so weiß man nicht, ob man sich mehr über die Kühnheit oder über die Größe des Widerspruchs wundern soll. Denn wenn er gleich anfangs, als über jeden Zweifel erhaben, die Behauptung aufstellt,
    "daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfängt, weil nur durch Gegenstände, die unsere Sinne rühren, das Erkenntnisvermögen zur Ausübung erweckt und unsere Verstandesfähigkeit erst Bewegung gebracht wird",
und gleich darauf hinzufügt, daß es doch eine
    "von der Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne schlechterdings unabhängige Erkenntnis gibt", welcher "die empirischen Erkenntnise, oder solche, die nur a posteriori, d. h. durch Erfahrung möglich sind, entgegengesetzt sind":
so ist dies offenbar eine durchaus sich widersprechenden und sich selbst gänzlich aufhebende Behauptung.

Was ist nun eine Erfahrungserkenntnis?
    "Ein Zusammengesetztes, aus dem, was wir durch Eindrücke empfangen, und dem, was unser eigenes Erkenntnisvermögen aus sich selbst hergibt." (K 47, 161; P 53, 57, 59)
Gegen diese Auffassung der Erfahrung ist vorderhand nichts einzuwenden; wohl aber dagegen, daß er diese beiden Faktoren trennt und als eigentliche Aufgabe seiner Untersuchung bloß das Erkenntnisvermögen ansich macht, ohne alle Empirie.

Was ihn zu dieser Einseitigkeit verleitet, ist das Kriterium der Wahrheit. Dieses besteht
    1. in der Allgemeinheit und
    2. in der Notwendigkeit.
Allgemein ist: was keine Ausnahme gestattet; notwendig: was gar nicht anders sein kann. Nun findet sich aber in der Erfahrung keines von beiden.
    "Erfahrung lehrt uns zwar, daß etwas so oder so beschaffen ist, aber nicht, daß es nicht anders sein kann."

    "Erfahrung gibt niemals ihren Urteilen wahre oder strenge, sondern nur angenommene oder komparative [vergleichende - wp] Allgemeinheit, so daß es eigentlich heißen muß: soviel wir bisher angenommen haben, findet sich von dieser oder jener Regel keine Ausnahme. Wird also ein Urteil in strenger Allgemeinheit gedacht, d. h. so, daß gar keine Ausnahme als möglich verstattet wird, so ist es nicht von der Erfahrung abgeleitet, sondern schlechterdings a priori gültig."

    "Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit sind also sichere Kennzeichen einer Erkenntnis a priori und gehören auch unzertrennlich zueinander." (K 48)
Ohne diese beiden Merkmale gibt es keine Wahrheit, folglich auch keine Wissenschaft. Folglich muß es eine "besondere Erkenntnisquelle geben, welche eben in der Apriorität unserer Natur liegt."
    "Wo wollte selbst Erfahrung ihre Gewißheit hernehmen, wenn alle Regeln, nach denen sie fortgeht, immer wieder empirisch, folglich zufällig wären?"
Als Beispiele apriorischer Erkenntnisse nennt er "alle Sätze der Mathematik"; und
    "will man ein solches aus dem gemeinsten Verstandesgebrauch, so kann der Satz, daß alle Veränderung eine Ursache haben muß, dazu dienen." (K 49)
Da die Physik auf diesem Grundatz beruth, so muß sie entweder als Wissenschaft geleugnet werden, oder aber man wird zugeben müssen, daß ihre Prinzipien nur a priori erkennbar sind. Dasselbe gilt auch von der Mathematik. Ist die Voraussetzung richtig, so sind alle dieser Folgerungen unvermeidlich. Allein es handelt sich hier um zwei Fragen:
    1. Was ist allgemein? Was ist notwendig?

    2. Sind alle Erkenntnisse aus der Erfahrung nur zufällig und bloß die aus reinen Vernunft notwendig?
KANT nimmt hier Beispiele aus der Physik und Mathematik, um seine Behauptung zu bestätigen, während doch erst bewiesen werden muß, warum diesen Wissenschaften der Charakter der Allgemeinheit und Notwendigkeit zukommt. Ehe wir jedoch zur näheren Untersuchung dieser Frage übergehen, ist noch eine weitere Unterscheidung in der Vernunftkritik zu erörtern, auf die KANT ein besonderes Gewicht legt, ja sie sogar "klassisch" nennt (P 21). Es ist dies die Unterscheidung der Urteile in analytische und synthetische, welche im Folgenden besteht:

Alle Urteile, welchen Ursprung oder welche Beschaffenheit sie auch haben mögen, sind entweder bloß erläuternd, indem sie zum Inhalt ihrer Erkenntnis nichts hinzutun, oder erweiternd, indem sie die gegebene Erkenntnis vergrößern. Die ersteren werden analytische, die zweiten synthetische Urteile genannt.
    "Analytische Urteile sagen im Prädikat nichts als das, was im Begriff des Subjekts schon wirklich, obgleich nicht so klar und mit gleichem Bewußtsein gedacht war. Wenn ich sage: Alle Körper sind ausgedehnt, so habe ich meinen Begriff vom Körper nicht im Mindesten erweitert, sondern ihn nur aufgelöst, indem die Ausdehnung von jenem Begriff schon vor dem Urteil, obgleich nicht ausdrücklich gesagt, dennoch wirlich gedacht war; das Urteil ist also analytisch. Dagegen enthält der Satz: Einige (alle) Körper sind schwer, Etwas im Prädikat, das im allgemeinen Begriff vom Körper nicht wirklich gedacht wird; er vergrößert also meine Erkenntnis, indem er zu meinem Begriff Etwas hinzutut und muß daher ein synthetisches Urteil heißen." (K 53, P 17)
Daß diese Unterscheidung von so großer Wichtigkeit nicht ist, ja sogar als eine willkürliche und falsche bezeichnet werden muß, leuchtet auf den ersten Blick ein. Denn warum soll gerade die Schwere "im allgemeinen Begriff vom Körper" nicht ebenso gut mitgedacht sein, als die Ausdehnung? Habe ich einen allgemeinen Begriff vom Körper, wenn ich von dessen Schwere nichts weiß? Und wenn ich von ihr weiß, bin ich dann auf einem anderen Weg zur Erkenntnis dieser Eigenschaft gekommen, als zur Erkenntnis der bloßen Ausdehnung? Warum soll ich in der bloßen Zergliederung des Begriffs Körper nicht ebenso gut das Merkmal Schwere wie das der Ausdehnung finden? `
    "Alle analytischen Urteile sind ihrer Natur nach Erkenntnisse a priori, die Begriffe, die ihnen zur Materie dienen, mögen empirisch sein oder nicht." (P 17)
Ich gestehe, daß ich diesen Satz entweder nicht verstehe, oder daß er einen Widerspruch in sich enthalten muß. Jedes Urteil ist die Verbindung eines Prädikats mit einem Subjekt. Sind Subjekt und Prädikat ansich empirisch, d. h. zufällig, wie können sie nun durch die bloße Zusammenstellung auf einmal apriorisch, d. h. notwendig und folglich unempirisch werden? Trotzdem behauptet KANT:
    "Alle analytischen Sätze sind Urteile a priori, wenngleich ihre Begriffe empirisch sind, wie z. B. Gold ist ein gelbes Metall; denn um dieses zu wissen, brauch ich keine weitere Erfahrung außer meinem Begriff von Gold, der enthält, daß dieser Körper gelb und Metall ist. Denn dieses machte eben meinen Begriff aus und ich durfte nichts tun, als diesen zergliedern, ohne mich außer demselben wonach anders umzusehen." (ebd.)
Wenn ich freilich einmal den Begriff vom Gold habe, dann muß ich wissen, daß es gelb und ein Metall ist. Aber wie bin ich denn zu diesem Begriff gekommen? Gelb als Farbe und Metall als Element sind rein sinnlicher Natur. Wie kann ich nun a priori, also "schlechterdings unabhängig von aller Erfahrung und allen sinnlichen Eindrücken" (K 17) etwas von beiden wissen, zumal wenn
    "unser Verstandesvermögen ohne Erfahrung nicht zur Ausübung erweckt wird, geschähe es nicht durch Gegenstände, die unsere Sinne rühren?" (K 46)
Was aber hier vom Gold als gelbem Metall gilt, das gilt natürlich von allen Körpern und ihren Eigenschaften, folglich auch von der Schwere und der Ausdehnung. Ich bin ohne allen sinnlichen Eindruck ebensowenig imstande mir eine Vorstellung von der Ausdehnung zu machen als von der Schwere. Habe ich aber durch Erfahrung allmählich die Summe der einzelnen Merkmale eines Körpers kennen gelernt, habe ich alle die vorhandenen Prädikate mit dem Subjekt verbunden und bin ich folglich so lange snythetisch verfahren, bis ich den Gegenstand vollständig erkannt habe, dann kann ich freilich den so gebildeten Begriff wieder in seine Bestandteile auflösen, also analytische Urteile bilden. Aber dies ist keine neue Art von Urteilen, sondern bloß eine Wiederholung der synthetischen.

Wir können hiernach mit aller Entschiedenheit behaupten, daß es nur synthetische Urteile gibt, womit freilich weiter nichts gesagt ist, als daß in jedem Urteil ein Prädikat mit einem Subjekt verbunden wird. Daß das Urteil, insofern ein Prädikat mit einem Subjekt verbunden wird, eine Erweiterung unserer Erkenntnis ist, versteht sich von selbst. Denn die Verbindung zweier Vorstellungen ist offenbar ein Fortschritt in unserer Einsicht gegenüber der bloßen Auffassung der Vorstellungen ansich, wobei es noch dahin gestellt bleibt, ob sie zusammengehören oder nicht. Daß es aber nur synthetische Urteile gibt, ist nicht weniger selbstverständlich. Denn alle Urteile mußten einmal gebildet werden und sind deshalb sämtlich Produkte des menschlichen Geistes. Was nun wir selbst oder andere vor uns empirisch oder bloß logisch zusammengefaßt haben, kann natürlich auch wieder aufgelöst werden. Das Primäre ist also immer die Synthese, nicht die Analyse. Aber selbst die Bezeichnung "synthetisches Urteil" ist lediglich eine Tautologie [Doppelmoppel - wp]. Denn ein Urteil, in dem keine Synthese, d. h. keine Verbindung von Subjekt und Prädikat stattfindet, ist eben schlechterdings kein Urteil, sondern es sind bloße Vorstellungen, von denen weder behauptet wird, daß sie zusammengehören, noch daß sie nicht zusammen gehören. Urteil und Synthese sind also hier vollkommen identisch. Dergleichen Tautologien sind jedoch bei KANT nicht selten. So heißt z. B. der Satz: "Es gibt synthetische Urteile a posteriori, deren Ursprung empirisch ist." (P 18), nichts anderes als: Es gibt synthetische Urteils a posteriori, deren Ursprung a posteriori ist. Denn a posteriori oder empirisch oder Erfahrung sind ihm stets gleichbedeutend. Nehmen wir noch den Ausdruck "synthetisches Urteil" nach obiger Erklärung dazu, so haben wir zwei Tautologien in einem Satz.


§ 2. Sinnlichkeit und Verstand

KANT hat nicht das ganze Erkenntnisvermögen untersucht, sondern nur einen Teil desselben. Er ist überzeugt,
    "daß es nur zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis gibt, die vielleicht aus einer gemeinschaftlichen Wurzel entspringen, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns Gegenstände gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden." (K 68)
Da nun KANT selbst sagt, "daß all unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfängt" und nur
    "Gegenstände die unsere Sinne rühren das Erkenntnisvermögen zur Ausübung wecken und unsere Verstandesfähigkeit in Bewegung bringen" (K 46),
so hätte er doch wohl beide Stämme der menschlichen Erkenntnis untersuchen sollen, zumal er von vornherein überzeugt ist, daß unser Verstand ohne sinnlichen Anreiz gar nicht zur Tätigkeit, d. h. gar nicht zu Bewußtsein kommt. Trotzdem läßt er den einen Faktor gänzlich fallen und betrachtet es sogar als
    "das vornehmste Augenmerk, daß gar keine Begriffe hineinkommen, die irgendetwas Empirisches in sich enthalten"
oder daß mit anderen Worten "die Erkenntnisse a priori völlig rein sind." (67) Was er unter dieser völligen Reiheit der apriorischen Erkenntnis versteht, geht deutlich genug aus folgenden Worten hervor.
    "Von den Erkenntnissen a priori heißen aber diejenigen rein, denen gar nichts Empirisches beigemischt ist. So ist z. B. der Satz: eine jede Veränderung hat ihre Ursache, ein Satz a priori, allein nicht rein, weil Veränderung ein Begriff ist, der nur aus der Erfahrung gezogen werden kann." (K 47)
KANT unterscheidet also eine doppelte Apriorität: eine reine oder schlechthinnige und eine mit Erfahrung gemischte, also eine aposteriorische Apriorität. Gerade in diesen Widersprüchen zeigt sich das unnatürliche Auseinanderreißen dessen, was in uns einheitlich verbunden ist, aber auch zugleich die gesunde, stets sich selbst korrigierende Denkernatur KANTs, in welcher das Richtige, trotz allem entgegengesetzten Streben, doch immer wieder zum Durchbruch kommt.

Weil er nun alles Empirische ausgeschieden haben will, deshalb darf auch die Moral, deren Grundbegriffe gleichwohl Erkenntnisse a priori sind, nicht in der Transzendentalphilosophie behandelt werden, weil sie
    "die Begriffe der Lust und Unlust, der Begierden und Neigungen, die insgesamt empirischen Ursprungs sind ... in die Abfassung des Systems hineinziehen müßte."
Es handelt sich also in der Transzendentalphilosophie bloß um reine Spekulation.
    "Denn alles Praktische, sofern es Triebfedern enthält, bezieht sich auf Gefühle, welche zu empirischen Erkenntnisquellen gehören." (K 68)
Die beiden Erkenntnisquellen sind also Sinnlichkeit und Verstand. Was ist nun Sinnlichkeit, was ist Verstand?

a) Sinnlichkeit.
Alle Erkenntnis welche sich auf Gegenstände bezieht, ist nur möglich durch Anschauung.
    "Diese aber findet nur statt, sofern uns der Gegenstand gegeben wird. Dieses aber ist wiederum nur dadurch möglich, daß er das Gemüt auf gewisse Weise affiziert [reizt - wp] Die Fähigkeit (Rezeptivität) Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden zu bekommen, heißt Sinnlichkeit."

    "Die Sinnlichkeit allein liefert Anschauungen." "Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, sofern wir von demselben affiziert werden, ist Empfindung. Und was dieser Empfindung korrespondiert, ist die Materie derselben." (K 71)
b) Verstand.
    "Alle Handlungen des Verstandes können auf Urteile zurückgeführt werden, so daß der Verstand überhaupt als ein Vermögen zu urteilen vorgestellt werden kann. Denn er ist ein Vermögen, zu denken. Denken ist Erkenntnis durch Begriffe. Begriffe aber beziehen sich als Prädikate möglicher Urteile auf irgendeine Vorstellung von einem noch unbestimmten Gegenstand." (K 113, 112; P 58)

    "Alles Denken aber muß sich, es sei geradezu (direkt), oder im Umschweif (indirekt) mittels gewisser Merkmale, zuletzt auf Anschauungen, folglich bei uns wenigstens, auf Sinnlichkeit beziehen, weil uns auf andere Weise kein Gegenstand gegeben werden kann." (K 72)

    "Anschauungen und Begriffe machen also die Elemente aller unserer Erkenntnis aus, so daß weder Begriffe ohne ihnen auf einige Art korrespondierende Anschauung, noch Anschauung ohne Begriffe eine Erkenntnis abgeben können." (K 100)

    "Unsere Natur bringt es so mit sich, daß die Anschauung niemals anders als sinnlich sein kann, d. h. nur die Art enthält, wie wir von Gegenständen affiziert werden. Dagegen ist das Vermögen, den Gegenstand sinnlicher Anschauung zu denken, der Verstand. Keine dieser Eigenschaften ist der andern vorzuziehen. Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer; Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Daher ist es ebenso notwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen (d. h. ihnen den Gegenstand in der Anschauung beizufügen), als seine Anschauungen sich verständlich zu machen (d. h. sie unter Begriffe zu bringen). Beide Vermögen oder Fähigkeiten können auch ihre Funktionen nicht vertauschen. Der Verstand vermag nichts anzuschauen und die Sinne nichts zu denken. Nur daraus, daß sie sich vereinigen, kann Erkenntnis entspringen." (K 100, 106)
Wenn nun Gedanken ohne Inhalt leer sind, also gar keine Erkenntnis ohne Gegenstand möglich ist, Gegenstände aber nur durch die Sinnlichkeit gegeben werden, so sollte man denken, daß eine gänzliche Isolierung der Sinnlichkeit vom Verstand und des Verstandes von der Sinnlichkeit gar nicht stattfinden kann. Ist dies richtig, daß nur durch die Vereinigung beider Erkenntnisse möglich sind, so kann weder die Sinnlichkeit noch der Verstand für sich allein, gänzlich abgesehen vom anderen Faktor, betrachtet werden. Dennoch schreitet KANT, trotz all dieser Einsicht, allen Ernstes dazu, jedes vom anderen vollständig zu trennen, also wirklich die Gedanken für sich, d. h. ohne Inhalt, folglich "leere Gedanken" und ebenso die Anschauungen für sich, d. h. ohne Begriffe, folglich "blinde Anschauungen" zu betrachten. Letzteres wird in der transzendentalen Ästhetik, Ersteres in der transzendentalen Logik unternommen.
    "In der transzendentalen Ästhetik werden wir zuerst die Sinnlichkeit isolieren dadurch, daß wir Alles absondern, was der Verstand durch seine Begriffe dabei denkt, damit nichts als empirische Anschauung übrigbleibt. Zweitens werden wir von dieser noch Alles, was zur Empfindung gehört, abtrennen, damit nichts als reine Anschauung und die bloße Form der Erscheinung übrig bleibt, welches das Einzige ist, das Sinnlichkeit a priori liefern kann." (K 73)
Nach dieser Aussonderung meint KANT, wird es sich finden,
    "daß es zwei reine Formen sinnlicher Anschauung als Prinzipien der Erkenntnisse a priori gibt, nämlich Raum und Zeit." (K 73)
Dieselbe Absonderung glaubt nun KANT auch in Beziehung auf den Verstand durchführen zu können:
    "der reine Verstand sondert sich nicht allein von allem Empirischen, sondern sogar von aller Sinnlichkeit völlig aus. Er ist also eine für sich selbst beständige, sich selbst genügsame und durch keine äußerlich hinzukommenden Zusätze zu vermehrende Einheit." (K 110)
In jeder Erscheinung wird ferner zweierlei unterschieden:
    1. Materie und
    2. Form.
Materie ist das, "was der Empfindung korrespondiert", d. h. also der Gegenstand, welcher die Sinnlichkeit oder das Vermögen, Eindrücke zu empfangen, affiziert. Form dagegen ist
    "dasjenige, welches macht, daß das Mannigfaltige der Erscheinung (sollte heißen der Eindrücke) in gewissen Verhältnissen geordnet werden."
Was ist dieses "Mannigfaltige der Erscheinung?" Worin bestehen die "gewissen Verhältnisse?" Sowohl der Gedanke wie auch der Ausdruck ist sehr unklar. Aber er fährt in noch unverständlicherer Weise fort, indem er hinzufügt:
    "Da das, worin sich die Empfindungen allein ordnen und in gewisse Formen gestellt werden können, nicht selbst wieder Empfindung sein kann, so ist uns zwar die Materie aller Erscheinung nur a posteriori gegeben, die Form derselben aber muß zu ihnen insgesamt im Gemüt apriori bereit liegen und daher abgesondert von aller Empfindung betrachtet werden können."
Hier wird offenbar vorausgesetzt, was erst bewiesen werden soll. Ob solche Formen (nämlich Raum und Zeit, Kategorien und Ideen) a priori im Gemüt bereit liegen, soll ja erst erforscht werden. Denn die ganze Kritik gipfelt in der Beantwortung der Frage: "Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?" Nur wenn sie möglich sind, können Raum und Zeit und die Kategorien "abgesondert von aller Empfindung betrachtet werden." Diese Möglichkeit aber ist durch den Satz:
    "Da das, worin sich die Empfindungen allein ordnen und in gewisse Form gestellt werden können, nicht selbst wieder Empfindung sein kann, so muß zu ihnen insgesamt die Form a priori im Gemüt bereit liegen",
durchaus nicht bewiesen. Was ist denn "das, worin sich alle Empfindungen allein ordnen -" und welches sind die "gewissen Formen", in die sie (die Empfindungen) "gestellt" werden können? Empfindung ist der durch ein Objekt erregte Zustand des Gemüts. Ist nun dieser erregte Zustand ohne Form? Muß er wirklich erst in "gewisse Formen gestellt werden?" In welchem Winkel des Gemüts schlafen denn die apriorischen, abgesonderten Formen und an welchem Zipfel beginnt die Erregung desselben durch die Gegenstände? Können wir zugeben, daß die Gegenstände, wenn wir auch nur annehmen, wie KANT selbst, daß sie überhaupt existieren, ohne alle Form existieren? Und endlich ist der bloße Übergang des Affizierens, des anfänglichen oder bloß beginnenden Eindrucks auf das Gemüt, ehe derselbe noch zu den apriorischen Formen gelangt, ohne alle Form denkbar? Wie könnten wir auch nur vor ihnen in dieser Unterscheidung reden, wenn wir uns dieselben nicht schon vor aller Verbindung mit dem Apriorischen in ganz bestimmten Vorstellungen vergegenwärtigen würden?

Diese ganze Stelle ist unklar und die ganze Unterscheidung der Erscheinung in Form und Materie führt zu den größten Absurditäten (2). Aber lassen wir KANT weiter sprechen, um zu hören, was reine Anschauung ist.
    "Wenn ich von der Vorstellung eines Körpers das, was der Verstand davon denkt, als Substanz, Kraft, Teilbarkeit etc., imgleichen was davon zur Empfindung gehört, als Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe etc. absondere, so bleibt mir aus dieser empirischen Anschauung noch etwas übrig, nämlich Ausdehnung und Gestalt. Diese gehören zur reinen Anschauung, die a priori auch ohne einen wirklichen Gegenstand der Sinne, oder Empfindung, als eine bloße Form der Sinnlichkeit im Gemüt stattfindet." (K 72)
Nun möchte ich fragen, was nach Abzug der Substanz, Kraft, Teilbarkeit, Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe etc. an einem Körper noch übrig bleibt? Welche "Gestalt" kann ein solcher Körper noch haben? Und wie ist noch "Ausdehnung" möglich, wenn Teilbarkeit, Undurchdringlichkeit, Substanz weggedacht oder aufgehoben sind? Gibt es eine Ausdehnung ohne Teilbarkeit? Ist Teilbarkeit nicht ebenso gut eine allgemeine Eigenschaft der Körper als Ausdehnung? Was ist Kraft? Was ist Substanz? Alles dies hier aufgezählten Begriffe müssen vorerst näher bestimmt werden, ehe wir uns eine klare Vorstellung von einer reinen Anschauung bilden können.
    "Der Begriff einer Substanz (3) bedeutet das letzte Subjekt der Existenz, d. h. dasjenige, was selbst nicht wiederum bloß als Prädikat zur Existenz eines anderen gehört. Nun ist Materie das Subjekt all dessen, was im Raum zur Existenz der Dinge gezählt werden mag. - Also ist Materie, als das Bewegliche im Raum, die Substanz in demselben."
Aber ebenso werden auch alle Teile derselben,
    "sofern man von ihnen nur sagen kann, daß sie selbst Subjekt und nicht bloß Prädikate von anderen Materien sind Substanzen, folglich selbst wiederum Materie heißen müssen." (4)
Substanz ist also dasselbe wie Materie und Körper - nichts anderes als Teile dieser Materie. Nun ist aber alle Materie ausgedehnt. Denke ich nun die Substanz weg, so denke ich auch die Materie weg. Folglich bleibt mir nach Aufhebung der Substanz nicht, wie KANT behauptet, die "Ausdehnung" noch übrig und ebenso wenig die "Gestalt".

Was uns an diesem Paragraphen vor allem auffallen muß, ist
    1. die Trennung des Verstandes von der Sinnlichkeit und

    2. eine nochmalige Trennung in der Sinnlichkeit selbst, indem von der empirischen Anschauung alles ausgeschieden wird, was zur Empfindung gehört, damit nichts als reine Anschauung (Raum und Zeit) übrig bleibt.
Diese doppelte Trennung ist für KANT von der größen Bedeutung. Denn auf ihr allein beruth sowohl die Apriorität der Kategorie, als auch der reinen Anschauung. Wäre ihm diese Isolierung nicht gelungen, so gäbe es keine Apriorität, folglich keine Allgemeinheit und Notwendigkeit, die nach KANT nur in den apriorischen Formen zu finden sind; folglich auch keine objektive Erkenntnis, keine Wahrheit, keine Wissenschaft.

Ich fasse die Einwürfe, die ich gegen die Aprioritätslehre vorzubringen habe, unter gewisse Hauptpunkte zusammen und frage also:

1. Wo hat KANT diese Trennung wirklich vollzogen? Nachdem er gesagt hat: "In der transzendentalen Ästhetik werden wir zuerst die Sinnlichkeit isolieren" etc., geht er sofort an die Lehre von Raum und Zeit und behandelt sie nun in der Art, als ob wirklich diese Isolierung stattgefunden hätte. Ebenso verfährt er in der transzendentalen Logik.
    "Der reine Verstand sondert sich nicht allein von allem Empirischen, sondern sogar von aller Sinnlichkeit völlig aus."
Die Art und Weise aber, wie dies möglich ist, hat er nirgends gezeigt, sondern er fährt, gleich sich eine solche Absonderung ganz von selbst verstehen würde, mit einem höchst zuversichtlichen "also" weiter: "Er ist also eine für selbst beständige, sich selbst genugsame . . . Einheit" (K 110). So werden dann die reinen Anschauungen und die reinen Begriffe als "reine" behandelt und aufgezählt, ehe wir überhaupt nur wissen, ob sie wirklich rein sind, ob eine "gänzliche" oder "völlige" Isolierung dieser beiden Hauptvermögen, Verstand und Sinnlichkeit, auch nur denkbar, geschweige den realisierbar ist.

2. Warum hat KANT diese Trennung, von der Möglichkeit der Apriorität und mit dieser Apriorität die Wahrheit der ganzen Vernunftkritik abhängt, nicht vollzogen? Einfach deshalb nicht, weil diese beiden Vermögen sich nicht trennen lassen. Denn in Wirklichkeit ist eine solche Trennung nicht möglich; und als bloßer Gedankenprozeß betrachtet ist sie lediglich eine Abstraktion, der sachlich nichts entspricht. Darüber wollen wir nicht eine Silbe verlieren, daß ein Denken ohne Sinnlichkeit, ein "reines Denken" oder eine "reine Vernunft" für uns Menschen absolut unmöglich ist. Wenn aber Sinnlichkeit und Verstand sich nicht getrennt fassen lassen, so gibt es keine Aprioriotät und auch keine Aposteriorität. Denn erst durch diese Trennung kommt KANT zu seinen Kategorien und zu den reinen Anschauungen (5).

3. Aber selbst angenommen, diese Trennung wäre ihm gelungen, so hat doch nach KANTs eigener Behauptung weder der Verstand noch die Sinnlichkeit für sich, d. h. getrennt vom anderen, irgendeinen Wert für die Erkenntnis, sondern diese kommt erst durch das vereinigte Zusammenwirken beider zustande. Weder Anschauungen ohne Begriffe, noch Begriffe ohne Anschauungen können eine Erkenntnis abgeben. "Nur daraus, daß sie sich vereinigen, kann Erkenntnis entspringen." (K 100) Nun wird die Lehre von Raum, Zeit und den Kategoiren hoffentlich Erkenntnis sein sollen. Denn die ganze Vernunftkritik ist ja eine "neue Wissenschaft". Verstand und Sinnlichkeit können also bloß unter der Bedingung sich trennen, daß, während sie den Trennungsprozeß vornehmen, zugleich auf das Innigste miteinander verbunden bleiben. Ohne daß sie stets vereinigt bleiben, wäre sonach ein "völlige" Trennung "des reinen Verstandes nicht allein von allem Empirischen, sondern sogar von aller Sinnlichkeit" gar nicht denkbar.

4. Ohne eine Vereinigung beider ist also keine Erkenntnis möglich. Abgesehen davon, daß eine solche Trennung unmöglich ist, kann doch leicht gezeigt werden, daß, selbst wenn sie ihm gelungen wäre, er doch nicht mehr imstande war, die beiden Vermögen auch wieder zu vereinigen. "Reine Verstandesbegriffe und empirische Anschauungen sind ganz ungleichartig", sagt KANT. Es muß deshalb "ein Drittes geben", welches die Anwendung der Kategorie auf die Sinnlichkeit möglich macht. Dieses Dritte "muß rein und ohne alles Empirische und doch einerseits intellektuell und andererseits sinnlich sein." (K 169) Dieses Dritte als "vermittelnde Vorstellung" ist das berühmte "Schema". Nun stelle sich Jemand ein Sinnliches vor, das zugleich nicht sinnlich ist! "Rein" soll diese Vorstellung sein, wie die Kategorie und doch zugleich die beiden Eigenschaften Intellektualität und Sinnlichkeit in sich vereinigen. Zugleich soll dieser Schematismus etwas völlig Unbegreifliches,
    "eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir nie unverdeckt vor Augen legen werden." (K 171)
Wir begreifen also diesen Schematismus nicht. Ohne diesen aber ist eine Anwendung der Kategorie auf die Sinnlichkeit gar nicht denkbar. Somit ist der ganze Prozeß ein unaufgelöstes Rätsel.

5. Wenn nun der Akt der Vereinigung von Verstand und Sinnlichkeit so rätselhaft und unerklärlich ist, woher weiß dann KANT, daß die Kategorien bloß intellektuell, rein, geisti und die Sinnlichkeit ganz das Gegenteil ist? Wenn ein Drittes beides zugleich sein kann, warum dann nicht auch die Sinnlichkeit oder der Verstand, zumal beide "nicht aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel entspringen?" (K 68) Wenn uns diese Wurzel nicht bekannt ist, so kann ja der Verstand ebensogut sinnlich wie die Sinnlichkeit intellektuell sein. Wie kann ich diesen beiden Faktoren, die mir im letzten Grund unbekannt sind, etwas absprechen, was ich einem andern (dem transzendenten Schema), das mir ebenso unbekannt ist, zuspreche?

Diese Punkte mögen genügen, um sich zu überzeugen, daß KANT die Apriorität der Kategorien nicht bewiesen hat. Denn es ist ihm weder gelungen, den Verstand von der Sinnlichkeit zu trennen, noch auch die Art und Weise zu zeigen, wie die getrennten Kategorien wieder auf die Sinnlichkeit angewendet werden können. Es bleibt also gänzlich dahingestellt, ob die Kategorie rein oder sinnlich und die Sinnlichkeit bloß empirisch oder auch zugleich intellektuell ist. Noch mehr gilt ganz dasselbe von der Apriorität des Raumes und der Zeit. Nachdem er von der Sinnlichkeit alles absondert, "was der Verstand durch seine Begriffe dabei denkt, damit nichts als empirische Anschauung übrig bleibt", will er zweitens "von dieser noch alles, was zur Empfindung gehört, abtrennen, damit nichts als die reine Anschauung übrig bleibt". Dies ist das Einzige, "was die Sinnlichkeit a priori liefern kann." (K 73) Die Empfindung von der empirischen Anschauung abtrennen wollen, ist geradezu eine reine Spielerei. Denn die Empfindung ist nach KANT die empirische Anschauung selbst.
    "Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, sofern wir von demselben affiziert werden, ist Empfindung. Diejenige Anschauung, welche sich auf den Gegenstand durch die Empfindung bezieht, heißt empirisch." (K 71)
Zur Empfindung gehört also dreierlei:
    1) die Vorstellungsfähigkeit;
    2) der äußere Gegenstand;
    3) das aktuelle Zusammenwirken beider.
Denn ohne diesen Kontakt ist die Empfindung bloß Potenz, der Möglichkeit nach vorhanden. Das ist der Sinn des Zwischensatzes: "sofern wir von demselben affiziert werden."
    "Denn wodurch sollte das Erkenntnisvermögen sonst zur Ausübung erweckt werden, geschähe es nicht durch Gegenstände, die unsere Sinne rühren?" (K 46)
Diejenige Erkenntnis nun, welche sich "unmittelbar auf Gegenstände bezieht", ist eben die Anschauung. Und diese "Anschauung, welche sich auf den Gegenstan durch Empfindung bezieht", heißt eben die empirische. (K 71) Die empirische Anschauung ist also durch die Empfindung vermittelt oder ist vielmehr die Empfindung selbst (6).

Ich muß hier zum volleren Verständnis einem späteren Paragraphen vorgreifen, indem ich noch zugleich erkläre, was Erscheinung uns was Sinnlichkeit ist. Letztere habe ich bereits oben angeführt. Sie ist die "Fähigkeit (Rezeptivität) Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen." (K 71) "Fähigkeit Vorstellungen zu bekommen", ist offenbar ganz dasselbe was "Vorstellungsfähigkeit" und "die Art wie wir von Gegenständen affiziert werden", ist wiederum dasselbe, wie "die Wirkung eines Gegenstandes (auf die Vorstellungsfähigkeit), sofern wir von demselben affiziert werden". Empirische Anschauung, Empfindung, Sinnlichkeit, Vorstellungsfähigkeit, durch den Zusammenstoß mit ansich unbekannten Gegenständen in Aktivität gesetzt, sind also ganz gleich bezeichnende Ausdrücke. Dasselbe gilt nun auch von der Erscheinung. "Der unbekannte Gegenstand einer empirischen Anschauung heißt Erscheinung (K 71) Also der Gegenstand einerseits und der Zustand der Erregtheit unseres Gefühls andererseits, machen zusammengenommen die Erscheinung. Sie ist folglich, wie oben die Empfindung, das Produkt dreier Faktoren. Was heißt nun: "von der empirischen Anschauung alles, was zur Empfindung gehört abtrennen"? Es heißt nicht weniger als: die Empfindung von der Empfindung abtrennen.

Die Empfindung ist die durch die Wirkung eines Gegenstandes in Tätigkeit versetzte "Rezeptivität". Ohne diese Tätigkeit, d. h. "ohne Gegenstände, die unsere Sinne rühren, wird das Erkenntnisvermögen zur Ausübung geweckt", noch "unsere Verstandestätigkeit in Bewegung gebracht", unsere "Vorstellungen zu vergleichen, sie zu verknüpfen oder zu trennen". Wenn also ohne Sinnesaffektion Vorstellungen gar nicht entstehen, noch auch verglichen, verbunden oder getrennt werden können, so ist eine Isolierung der Sinnlichkeit vom Verstand oder gar eine Abtrennung der Empfindung von der Sinnlichkeit nicht einmal in Gedanken möglich. Denn Vorstellungen verbinden oder trennen, bejahen oder verneinen heißt Urteilen; Urteilen heißt Denken und Denken ist eine Funktion der Kategorien. Es ist also unwiderleglich gewiß, daß eine solche zweifache Trennung nicht einmal in abstracto möglich ist. Es müßte denn nur unsere Denkfähigkeit, durch einen sinnlichen Anstoß einmal in Bewegung gesetzt, ganz durch sich selbst seine Tätigkeit fortsetzen können. Aber dieses müßte vorerst noch bewiesen werden; sodann würde, selbst wenn es bewiesen wäre, eine solche von der Sinnlichkeit ganz unabhängige Denktätigkeit dessenungeachtet für unsere wirkliche Erkenntnis dennoch völlig nutzlos sein. Denn
    "alles Denken muß sich, es sei direkt oder indirekt, zuletzt uns auf Anschauung, folglich bei uns auf Sinnlichkeit beziehen, weil uns auf andere Weise kein Gegenstand gegeben werden kann" (K 71),
und weil alles Denken, das sich nicht auf Gegenstände bezieht, "nichts als bloße Spiel mit Vorstellungen" oder "ein reines Hirngespinst ist".
    "Wenngleich aber alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung". (K 46)
Hier ist unter Erfahrung die Sinnlichkeit, das Gefühl oder die Empfindung verstanden. "Anheben" oder "Entspringen" kann ebensogut dasselbe als auch etwas ganz Verschiedenes bedeuten. Im kantischen Sinn ist aber der Unterschied so groß, wie der zwischen a priori und a posteriori. Unter Anheben wird die durch Eindrücke von Außen hervorgerufene Empfindung verstanden; unter Entspringen dagegen die mittels der Empfindung in Bewegung gesetzte "Verstandesfähigkeit", d. h. also die Funktion der Begriffe.
    "Denn", fährt Kant weiter, "es könnte wohl sein, daß selbst unsere Erfahrungserkenntnis ein Zusammengesetztes aus dem ist, was wir durch Eindrücke empfangen und dem was unser eigenes Erkenntnisvermögen, durch sinnliche Eindrücke bloß veranlaßt, aus sich selbst hergibt." (K 46)
Aus uns selbst geben wir, außer den Ideen, nur die Kategorien und die beiden Formen der reinen Anschauung her. "Erfahrungserkenntnis" ist also hier nicht dasselbe, was oben die "Erfahrung", mit welcher alle unsere Erkenntnis anhebt; diese ist bloß Empfindung, jene aber ein Zusammengesetztes aus Kategorie und Empfindung. Dieses Zusammengesetzte nun meint KANT, wenn er sagt: "Nur in der Erfahrung ist Wahrheit." (P 141) Das Wort Erfahrung kommt also in dreierlei Bedeutung vor:
    1) im rein empirischen Sinn, ohne alle Verbindung mit Begriffen und heißt soviel als Empfindung, Anschauung, Sinnlichkeit, a posteriori. In dieser Bedeutung sagt Kant: "Anschauungen ohne Begriffe sind blind." (K 100);

    2) im ganz populären Sinn; z. B. die Erfahrung lehrt, daß wenn jemand das Fundament eines Hauses untergräbt, dieses einstürzen muß (K 47);

    3) im streng wissenschaftlichen Sinn. Dahin gehört außer dem bereits angeführten Beispiel, daß nur in der Erfahrung Wahrheit ist, die oft wiederholte Definition: "Erfahrung ist das Produkt der Sinnlichkeit und des Verstandes." (P 53, 57, 59)
Die Erfahrung spielt also offenbar in jedem Fall für unsere Erkenntnis eine ebenso wichtige Rolle, wie die Kategorie. Und doch wird sie als etwas ganz Heterogenes in der Kr. d. r. V. ausgeschieden, da es sich in derselhben nur um apriorische Erkenntnisse handelt. Es ist aber leicht einzusehen, daß nicht bloß die Empfindung (Erfahrung) so gut a priori ist, wie die Kategorie, sondern daß sogar auch der äußere Gegenstand, ohne welchen eine Empfindung gar nicht möglich wäre, a priori sein muß. A priori ist nichts anderes als die Bedingung und Voraussetzung (reiner Anschauungen und Begriffe), unter welcher "Erfahrungserkenntnis" erst möglich wird. Ohne ein solches reines Erkenntnisvermögen ist Allgemeinheit und Notwendigkeit, ist Wissenschaft und Wahrheit nicht denkbar. Allein wenn nun dieses apriorische Erkenntnisvermögen ohne Erfahrung nicht geweckt wird, Erfahrung (Empfindung) selbst aber ohne Eindrücke von Gegenständen außer uns selbst nicht zustande kommt, so sind der objektive Gegenstand und das subjektive Gefühl ebensogut auch Bedingung und Voraussetzung, unter denen die Funktion der Kategorie, folglich "Erahrungserkenntnis" erst möglich wird. Natur und Empfindung, Kategorie und Anschauung: alle sind zumal apriori oder zumal aposteriori; sie sind beides zugleich oder sie sind keines von beiden.

Ich kann mit gleichem Recht sagen: a priori ist die Natur und a posteriorie bin Ich; oder umgekehrt: a priori bin Ich und a posterirori ist die Natur. Im ersten Fall behaupte ich: erst mußte etrwas sein, bevor ich war; erst mußte ich werden, bevor ich dachte; im andern: erst muß ich denken, bevor ich sowohl von mir als von einem andern etwas prädizieren, ihm ein Sein zu- oder absprechen kann. Ich habe die Welt nur in meinen Empfindungen und Vorstellungen. Und der Träger oder Erzeuger dieser Vorstellungen bin ich. Mit mir steht und fällt dieser ganze Vorstellungskreis. Also: cogito, ergo sum, ergo est; nicht: est, ergo sum, ergo cogito.

Ob wir aber von der Natur oder vom Ich ausgehen; für sich genommen führt jedes zu Einseitigkeiten. Denn ich kann weder allein von mir, noch allein von der Natur den Ausgang nehmen. Das Ich oder das Selbstbewußtsein entsteht ja nich durch mich allein, sondern zugleich auch durch ein Anderes. Ich werde meiner selbst nur bewußt dadurch, daß ich mich von allem Übrigen unterscheide. Um mich aber von einem Andern unterscheiden zu können, muß es existieren. Das Bewußtsein ist also das Resultat von beiden, Subjekt und Objekt zugleich. Ich bin deshalb nicht imstande zu sagen, welches a priori und welches a posterirori zu betrachten ist. Ohne Ich gäbe es kein Du und ohne Du kein Ich. Eines ist die Bedingung des Andern. Folglich kann der Ausgangspunkt weder im Ich noch im Du, weder im Subjekt noch im Objekt allein genommen werden. Mit dieser Koinzidenz von Beiden muß deshalb die ebenso undenkbare wie unfruchtbare Unterscheidung von a priori und a posteriori fallen.


§ 3. Noumena und Phaenomena (7)

Unter Phänomenen (Sinnenwesen) versteht KANT Gegenstände als Erscheinungen, wobei wir die Art, wie wir sie anschauen von ihrer Beschaffenheit ansich unterscheiden. Unter Noumenen dagegen bloße Verstandeswesen, also Dinge, die nicht in unsere sinnliche Anschauung fallen, sondern bloß als ein unbekanntes Etwas, das den Erscheinungen zugrunde liegt, gedacht werden.
    "Erscheinungen, sofern sie als Gegenstände nach der Einheit der Kategorien gedacht werden, heißen Phänomene. Wenn ich aber Dinge annehme, die bloß Gegenstände des Verstandes sind und gleichwohl als solche einer Anschauung, obgleich nicht einer sinnlichen (als coram intuitu intellectuali [vor der intellektuellen Ansicht - wp]) gegeben werden können, so würden dergleichen Dinge Noumena heißen können." (K 258)
Hiernach scheint es, daß wir eine zweifache Welt anzunehmen berechtigt sind:
    1) eine solche, die wir nur mit dem Verstand, mittels der Sinne erkennen, und

    2) eine solche, die wir nur mit dem Verstand ohne Sinne uns denken können, also eine Sinnen- und eine Verstandeswelt.

    "Denn wenn uns die Sinne Etwas bloß vorstellen, wie es erscheint, so muß dieses Etwas doch auch ansich ein Ding und ein Gegenstand einer nicht sinnlichen Anschauung, d. h. des Verstandes sein, d. h. es muß eine Erkenntnis möglich sein, darin keine Erscheinung angetroffen wird und welche allein schlechthihn objektive Realität hat, dadurch uns nämlich Gegenstände vorgestellt werden, wie sie sind, da hingegen im empirischen Gebrauch unseres Verstandes Dinge nur erkannt werden, wie sie erscheinen." (K 259)
Diese Anschauung war auch in der Tat der Grund und die Quelle jener berühmten und berüchtigten Unterscheidung in physische und metaphysische Erkenntnis. Von PARMENIDES, PLATO und ARISTOTELES bis auf FICHTE, SCHELLING und HEGEL ist trotz der Empiriker und Skeptiker mit mehr oder weniger Modifikation dieser Unterschied festgehalten worden.
    "Eine Welt im Geist gedacht (vielleicht auch gar angeschaut), die nicht minder, ja noch weit edler unseren reinen Verstand beschäftigen könnte." (K 16)
Um diesem Mißverständnis vorzubeugen oder vielmehr ihm ein Ende zu machen, unterscheidet KANT in der zweiten Auflage dieses Noumenon in negativer und positiver Bedeutung.
    "Wenn wir unter Noumenon ein Ding verstehen, so fern es nicht Objekt unserer sinnlichen Anschauung ist, indem wir von unserer Anschauungsart desselben abstrahieren, so ist dieses ein Noumenon im negativen Verstand. Verstehen wir aber darunter ein Objekt einer nichtsinnlichen Anschauung, so nehmen wir eine besonderes Anschauungsart an, nämlich die intellektuelle, die aber nicht die unsrige ist, von welcher wir auch die Möglichkeit nicht einsehen können und das wäre ein Noumenon in positiver Bedeutung." (K 262)
Eine intellektuelle Anschauung, wie sie SCHELLING später aufgefaßt hat, existiert für KANT noch nicht; für ihn gibt es bloß eine empirische. Wo diese aufhört, da können wir uns zwar mittels der Kategorien noch Gegenstände denken, aber nicht erkennen. Denken und Erkennen ist nämlich nach KANT nicht einerlei.
    "Einen Gegenstand erkennen, dazu wird erfordert, daß ich seine Möglichkeit (es sei nach dem Zeugnis der Erfahrung oder a priori) durch Vernunft beweisen kann. Aber Denken kann ich was ich will, wenn ich nur mir selbst nicht widerspreche." (K 34)
Dies ist aber bloß die logische, nicht die reale Möglichkeit, wobei letztere allein objektive Gültigkeit hat.
    "Die Möglichkeit eines Dinges kann niemals bloß aus dem Nichtwidersprechen eines Begriffs desselben, sondern nur dadurch, daß man diesen durch eine ihm korrespondierende Anschauung belegt, bewiesen werden. Wenn wir also die Kategorien auf Gegenstände, die nicht als Erscheinung betrachtet werden, anwenden wollten, so müßten wir eine andere Anschauung als die sinnliche zum Grunde legen. Da nun eine solche, nämlich die intellektuelle Anschauung, schlechterdings außerhalb unseres Erkenntnisvermögens liegt, so kann auch der Gebrauch der Kategorien keineswegs über die Grenze der Gegenstände der Erfahrung hinausreichen." (K 263)
Fassen wir also Sinnlichkeit und Verstand, Kategorien und Empfindungen, jedes für sich, so ist keine Erkenntnis möglich. Denn
    "Verstand und Sinnlichkeit können bei uns nur in Verbindung Gegenstände bestimmen. Wenn wir sie trennen, so haben wir Anschauungen ohne Begriffe oder Begriffe ohne Anschauungen; in beiden Fällen aber Vorstellungen, die wir auf keine bestimmten Gegenstände beziehen können." (K 266)
Trotzdem sollen aber die Kategorien einen größeren Spielraum haben und sich weiter erstrecken als die sinnliche Anschauung, weil jene Objekte überhaupt denken.
    "Wenn ich alles Denken durch Kategorien aus einer empirischen Erkenntnis wegnehme, so bleibt gar keine Erkenntnis irgendeines Gegenstandes übrig; denn durch bloße Anschauung wird gar nichts gedacht und daß diese Affektion der Sinnlichkeit in mir ist, macht gar keine Beziehung von dergleichen Vorstellungen auf irgendein Objekt aus. Lasse ich aber hingegen alle Anschauung weg, so bleibt doch noch die Form des Denkens, d. h. die Art, dem Mannigfaltigen einer möglichen Anschauung einen Gegenstand zu bestimmen. Daher erstrecken sidh die Kategorien sofern weiter als die sinnlichen Anschauungen, weil sie Objekte überhaupt denken, ohne noch auf die besondere Art der Sinnlichkeit zu sehen, in der sie gegeben wird."
Letzteres ist im Vergleich zum vorhergehenden Zitat offenbar ein Widerspruch. Durch die Kategorien wird bloß gedacht, durch die Sinnlichkeit bloß geschaut. Daher ist eine reale, wirkliche Erkenntnis erst möglich durch die "Verbindung beider. Denn "Begriffe ohne Anschauungen sind leer, Anschauungen ohne Begriffe blind".

Was nicht unter sinnliche Anschauung fällt, kann nur gedacht werden, ist also nur ein Gedankending, ein Noumenon. Die ganze Kr. d. r. V. handelt nicht vom Empirischen, sondern von dem, was nur aus reiner Sinnlichkeit, reinem Verstand und reiner Vernunft erzeugt, d. h. gedacht wird. Also ist sie die Lehre von einem Ding-ansich und folglich sein ganzer Lehrbegriff problematisch. Denn er wird nur gedacht, aber nicht erkannt; es entspricht ihm keine objektive Realität oder reale Möglichkeit, sondern nur eine logische.
    "Ich nenne einen Begriff problematisch, der keinen Widerspruch in sich enthält, der auch als Begrenzung gegebener Begriff mit anderen Erkenntnissen zusammenhängt, dessen objektive Realität aber auf keine Weise erkannt werden kann." (K 264)
Diese Behauptung gilt vollständig von seinen Kategorien, die schon deshalb nicht objektiv sein können, weil alle Objektivität erst durch ihre Anwendung auf Sinnlichkeit entsteht und weil er selbst sagt, daß
    "alle Erkenntnis aus reinem Verstand und reiner Vernunft nichts als lauter Schein ist und nur in der Erfahrung Wahrheit liegt." (P 140)

    "Der Begriff eines Noumenon, d. h. eines Dings, welches gar nicht als Gegenstand der Sinne, sondern als ein Ding ansich, lediglich durch den reinen Verstand gedacht werden soll, ist gar nicht widersprechend; denn man kann von der Sinnlichkeit doch nicht behaupten, daß sie die einzige Art der Anschauung ist."
Es handelt sich aber hier nicht darum, daß sich das Ding-ansich denken läßt oder sich bloß nicht widerspricht, sondern es handelt sich um eine empirische Anschauung, ohne welche es für ihn gar keine Erkenntnis gibt; denn ob es noch andere Anschauungen gibt, z. B. intellektuelle, ist schon als etwas Unmögliches, für uns wenigstens, von ihm behauptet worden. Das bloße sich denken lassen eines Dings involviert nicht objektive Gültigkeit (K 34), welche doch allein als Maßstabe für die Wahrheit von ihm hingestellt wird. (P 140)

"Der Begriff eines Noumenon ist gar nicht widersprechend." Gleichwohl behauptet er:
    "Am ende aber ist doch die Möglichkeit solcher Noumena gar nicht einzusehen, und der Umfang außerhalb der Sphäre der Erscheinungen ist für uns leer, d. h. wir haben einen Verstand, der sich problematisch weiter erstreckt, als jene, aber keine Anschauung, ja auch nicht einmal den Begriff von einer möglichen Anschauung, wodurch uns außerhalb des Feldes der Sinnlichkeit Gegenstände gegeben und der Verstand über dieselbe hinaus assertorisch [sicher gewiß - wp] gebraucht werden kann." (K 264)
Wenn der Begriff eines Noumenon gar nicht widersprechend ist, warum soll dann die Möglichkeit solcher Noumena gar nicht eingesehen werden können? Wenn Letzteres der Fall wäre, so könnte ich die Noumena oder die Dinge-ansich nicht nur nicht anschauen, sondern auch nicht einmal denken. Dann ist überhaupt von ihnen gar nicht zu reden und eine Unterscheidung in Noumena und Phänomena eine sinnlose Spielerei. Widerspricht sich aber der Begriff eines Noumenons nicht, so kann ich ihn denken. Denn
    "Denken kann ich, was ich will, wenn ich mir nur nicht selbst widerspreche, d. h. wenn mein Begriff nur ein möglicher Gedanke ist." (K 34)
Ist es ferner richtig, daß "der Umfang außerhalb der Sphäre der Erscheinungen für uns leer ist", mit anderen Worten: "haben wir einen Verstand, der sich bloß problematisch weiter erstreckt als jene" (nämlich die Erscheinung oder richtiger die Anschauung), so ist das ganze kritische Unternehmen KANTs, alle seine apriorischen Erkenntnisse, deren Umfang wirklich "außerhalb der Sphäre der Erscheinungen" ist, für uns leer, und der Verstand als Quelle reiner Erkenntnisse (Kategorien) "hat sich bloß problematisch weiter erstreckt", was soviel heißt wie: sie haben keine objektive Gültigkeit. Wenn sie keine objektive Gültigkeit haben, so kommt ihnen auch weder "Allgemeinheit" noch "Notwendigkeit zu, die doch allein das Kriterium der Wahrheit ausmachen. Denn notwendig ist, was gar nicht anders sein kann, problematisch aber, was auch anders sein kann, folglich widersprechen sich diese beiden Behauptungen.

Der Einwurf: sie bekämen ihre objektive Gültigkeit erst durch ihre Anwendung auf die Sinnlichkeit, gilt hier nicht. Denn die Vernunftkritik wird als eine Wissenschaft für sich betrachtet, "unabhängig von aller Sinnlichkeit". Sie muß in dieser "Isoliertheit und Selbstgenügsamkeit" (K 73, 110-111) schon ansich etwas Objektives, Reales und Wahres sein oder sie hat als Wissenschaft gar keine Bedeutung und kann nicht einmal auf den Namen einer solchen Anspruch erheben. Das Grundthema der Kritik lautet: Alle wirkliche Erkenntnis darf nicht nur logisch gedacht, sondern muß auf faktisch erwiesen werden, d. h. jedem Begriff muß eine Anschauung, ein Faktum, eine Tatsache zugrunde liegen, widrigenfalls eine "Erkenntnis aus bloß reinem Verstand oder reiner Vernunft nichts als lauter Schein ist". (P 140) Der Kritik der reinen Vernunft aber, als solcher, entspricht gar nichts Faktisches. Denn wir können keine reine Sinnlichkeit "isoliert", "abgesondert", "ohne empirische Anschauung", sogar "von jeglicher Empfindung abgetrennt" uns denken. (K 73) Ebensowenig kennen wir einen "Verstand, der sich nicht allein von allem Empirischen, sondern sogar von aller Sinnlichkeit völlig aussondert." (K 110) Und doch ist gerade "dieses das eigentümliche Geschäft der Transzendentalphilosophie, die Möglichkeit von Erkenntnissen a priori, die schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig stattfinden", zu zeigen. (K 47, 111)

Die Kr. d. r. V. ist deshalb, so wie KANT sich die Aufgabe stellt, etwas nach ihren eigenen Grundsätzen durchaus Unmögliches. Denn sie behandelt nicht etwa ein Phänomenon, sondern in der Tat ein Noumenon, ein Ding-ansich. Denn alles, was nicht in die empirische Anschauung fällt, sondern bloß gedacht werden kann, ist ein Noumenon. Die Kategorien sind Erzeugnisse des reinen Verstandes, die nur gedacht werden können. Also sind sie Noumena. Ein Noumenon aber ist ein "transzendentales Objekt" und
    "dieses bedeutet ein Etwas = X, wovon wir gar nichts wissen, noch überhaupt nach der jetzigen Einrichtung unseres Verstandes wissen können." (K 259)
Folglich ist eine transzendentale Logik oder eine Lehre von den Verstandesbegriffen a priori gar nicht möglich. Dasselbe gilt in noch höherem Grad von der transzendentalen Ästhetik und Dialektik, also von der ganzen Kritik.

Daß die Noumena die Kategorien selbst und als solche sogar die Dinge ansich sind, kann von verschiedenen Gesichtspunkten aus bewiesen werden. Wenn keine Erfahrung denkbar ist, ohne daß unsere Sinne von äußeren Gegenständen affiziert werden, und wenn unser Denkvermögen gar nicht in Tätigkeit gesetzt wird außer durch eine solche Anregung, so muß ich voraussetzen:
    1. daß solche äußere Objekte in Wirklichkeit existieren;

    2. daß sie die Ursache solcher Sinnesaffektionen sind;

    3. daß sie, wenn das "der Empfindung Korrespondierende die Materie ist" und Materie, wie wir gehört haben, einzig und allein als das Substanzielle betrachtet werden muß (denn das Ich selbst ist nach Kant keine Substanz (Werke V, Rosenkranz, 406), daß sie nicht bloß der Möglichkeit nach, sondern notwendigerweise Substanzen sind, und zwar wirksame Substanzen, weil sonst Erfahrung möglicherweise gar nicht stattfinden könnte und somit alle Wissenschaft unmöglich wäre.
Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit, Substanz und Kausalität etc. sind aber Kategorien. Als solches sind sie bloß Gedankendinge, logische Funktionen, wodurch eine objektive Realität immer noch nicht erreicht wird. Wenn ich also auch hundertmal behaupte und wiederhole: die Dinge sind, sie müssen sein, wenn es Erfahrung geben soll, so habe ich immer nur mittels der Kategorie der Wirklichkeit und Notwendigkeit die Dinge gedacht, aber nicht sachlich erreicht. Daß ich solche Dinge denken muß, ist gewiß. Aber ist deshalb ihre objektive Realität auch notwendig gegeben? Entspricht dem notwendigen Denken auch ein notwendiges Sein? Sind beide identisch? Die Kritik selbst ist nur eine Gedankenkonstruktion. Die Beziehung zwischen dem Ich und dem Ding ansich ist bloß eine gedachte. Über die rein gedachte Wirklichkeit hinaus zur empirischen oder realen ist sie nie gekommen. Wir wollen diese Behauptung mit noch schärferen und allseitigeren Gründen zu erhärten versuchen.

An welches Organ unseres Erkenntnisvermögens wir uns auch wenden, mit keinem von allen sind wir imstande das Ding ansich zu erreichen. Weder durch die Vernunft mit ihren Ideen, noch durch den Verstand mit seinen Begriffen; weder durch die empirische Sinnlichkeit mit ihren Empfindungen, noch durch die transzendentale mit ihren reinen Anschauungen. Durch die Vernunft nicht; denn sie ist bloß ein Vermögen zur Produktion von Ideen, welchen aber in der Wirklichkeit gar kein Gegenstand entspricht.
    "Ich verstehe unter der Idee einen notwendigen Vernunftbegriff, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann." (K 308, 313)
Aber auch die Kategorie reicht dazu nicht aus; denn sie ist
    "eine bloße Denkfunktion, wodurch uns kein Gegenstand gegeben, sondern nur was in der Anschauung gegeben werden mag, gedacht wird." (K 261)
Sie findet also nur Anwendung auf die empirische Empfindung. Es müßte nun zuerst bewiesen werden, daß das Ding-ansich in oder durch die Empfindung wirklich gegeben ist, d. h. daß durch die Wirkung eines äußeren Gegenstandes und nicht etwa durch uns selbst diese Sinnesaffektion hervorgerufen worden ist. Als ein solches Beweismittel kann nun die Kategorie nicht angesehen werden, da sie nur auf die gegebene Empfindung oder Erscheinung Anwendung findet, aber nicht auf die entstehende. Sie reicht also nicht über die Empfindung hinaus, sondern nur an die Empfindung heran; sie gibt uns folglich keinen Aufschluß über den Ursprung der Empfindung. Und doch hängt vom Ursprung derselben Alles, die ganze kritische Philosophie, der ganze Unterschied zwischen KANT und BERKELEY, zwischen dem absoluten Idealismus und dem Realidealismus vollständig ab. Aber auch abgesehen davon, daß ich mit der Kategorie, selbst wenn ich sie gegen das kantische Prinzip über die Erfahrung hinaus anwende, indem ich mir zu der Erscheinung ein Objekt hinzudenke, dessenungeachtet keineswegs die reale, sondern bloß die logische Möglichkeit desselben erreiche, so kann bei genauerer Betrachtung des Verhältnisses die Kategorie nicht einmal auf die Sinnlichkeit oder empirische Anschauung angewendet werden. Nach kantischem Grundsatz steht nämlich unwiderleglich fest, daß die Kategorie nur auf die sinnliche Erscheinung, nicht aber auf das Ding-ansich Anwendung findet. Nun gehören aber unsere "Sinnesorgane", unsere "Sinnlichkeit" oder die "Fähigkeit Eindrücke von Gegenständen ausgenommen uns selbst zu empfangen" als aposteriorischer Faktor offenbar zu unserem Körper. Der Körper selbst aber gehört ebensogut zur Außenwelt, wie jedes andere Naturobjekt. Er ist also ein Ding ansich, wie jeder andere Körper außer uns selbst. Folglich kann die Kategorie nicht auf die Sinnlichkeit als Ding-ansich angewendet werden. Mit diesem Argument, gegen welches kein Beweis aufkommen kann, ist das sinnliche Medium zwischen der reinen Vernunft und dem Ding ansich gefallen, und wenn jetzt nicht zugegeben wird, daß die Kategorien direkt auf die Dinge-ansich Anwendung finden, so gibt es schlechterdings gar keine Erkenntnis. Sobald aber dies zugegeben wird, steht die alte Metaphysik mehr denn je in ihrer ganzen Stärke und Unwiderleglichkeit da.

Wenn nun die Kategorie zur Erreichung des Dings-ansich nicht genügt, so noch vielweniger die Sinnlichkeit. Ohne Begriffe ist sie "blind" eine "bloße Modifikation des Gefühls", ein innerer Zustand, von dem ich nicht sagen kann, weder wozu er ist, noch auch wodurch er verursacht wird. Denn sobald ich diesen Zustand auf eine Ursache zurückführe, habe ich schon eine Kategorie angewendet. Man sieht daraus, daß ohne Hilfe der Kategorien auch nicht das Geringste von der bloßen Empfindung oder empirischen Anschauung erkannt und behauptet werden kann. Vor allem aber läßt sich ohne die Kategorie der Kausalität nicht behaupten, daß die Sinnesaffektion die Wirkung eines Gegenstandes ausgenommen uns selbst ist. Wenn ich also mit der Kategorie nicht über die Empfindung hinaus oder gleichsam hinter dieselbe zurückgehe, so kann ich absolut nicht wissen, woher die Empfindung kommt oder wie sie entsteht: ob durch mich selbst oder durch Gegenstände (von mir selbst abgesehen). Ich kann höchstens sagen: sie ist; sie ist gegeben. Aber selbst wenn ich nur behaupte, sie ist, habe ich schon die Kategorie der Wirklichkeit auf sie angewendet. So absolut unmöglich ist es, die Sinnlichkeit vom Verstand, wie KANT wollte, zu isolieren. Aber auch ebenso unmöglich ist es, die Kategorie nicht auf die Dinge ansich anzuwenden. Nur durch die Sinnlichkeit, d. h. durch die Empfindung werden uns Gegenstände gegeben. Nun muß aber die Empfindung doch irgendwoher entspringen; und zwar sind nur zwei Fälle denkbar: Entweder entspringt sie rein aus mir selbst oder aber sie wird durch den Einfluß äußerer Gegenstände in mir bloß veranlaßt. In beiden Fällen ist sie das Produkt oder die Wirkung eines Dings ansich. Denn nach KANTs Ansicht ist nicht bloß jeder äußere Gegenstand, sondern auch das eigene Ich selbst ein Ding-ansich. Ob nun Ich oder ein Gegenstand (ich selbst ausgenommen) als Ursache der Empfindung betrachtet wird: in jedem Fall wende ich die Kategorie nicht bloß auf die Empfindung, sondern über dieselbe hinaus, auf ein Ding-ansich an. Diese Folgerung ist von der größten Bedeutung für die kritische Philosophie. Die Schranke, welche KANT der alten Metaphysik gesetzt hat, ist dadurch vollständig aufgehoben. Denn der Grundcharakter derselben besteht hauptsächlich in der Anwendung unserer Begriffe über die Erfahrung hinaus. Die Konsequenz der kantischen Theorie führt zu demselben Resultat, ja noch zu einem viel gewagteren; sie führt nicht bloß mitten in das Wesen der alten Metaphysik, sondern, da unser Leib und alles, was dazu gehört, unsere ganze Sinnlichkeit auch ein Ding-ansich ist, so führt sie zur absoluten Apriorität, also zu BERKELEYs oder FICHTEs Idealismus. In beiden Fällen aber hört das Noumenon auf, ein bloß negativer Begrif zu sein, vielmehr ist es nach der bisherigen Beweisführung in der Tat das "Objekt einer nicht sinnlichen Anschauung" (K 262), weil, wo nur noch Dinge ansich existieren, folglich rein geistige Wesen, bloß eine "intellektuelle Anschauung" möglich ist. Was also von KANT ein Noumenon genannt wird, muß als solches nicht in negativer, sondern in positiver Bedeutung verstanden werden.

Daß die empirische Sinnlichkeit kein Organ ist zur Erreichung der Dinge-ansich, wäre hiermit zur Genüge bewiesen. KANT selbst fühlte sich durch das "Substrat der Sinnlichkeit nicht befriedigt" und nahm deshalb wieder zur Kategorie und dem Noumenon seine Zuflucht, wie sich aus den folgenden Worten erhellt:
    "Was aber die Ursache betrifft, weswegen man, durch das Substratum der Sinnlichkeit noch nicht befriedigt, den Phänomenis noch Noumena zugegeben hat, die nur der reine Verstand denken kann, so beruth sie lediglich darauf. Die Sinnlichkeit und ihr Feld, nämlich das der Erscheinungen wird selbst durch den Verstand dahin eingeschränkt, daß sie nicht auf die Dinge selbst, sondern nur auf die Art geht, wie uns vermöge unserer subjektiven Beschaffenheit Dinge erscheinen."
Die Sinnlichkeit geht somit nicht auf die Dinge selbst, sondern ist bloß ein subjektiver Zustand, der aber nicht gerade von Etwas außerhalb meiner selbst hervorgerufen werden muß. Will man dessenungeachtet dennoch zu einem Ding-ansich kommen, so bleibt nichts anderes übrig, als darauf zu schließen, also eine Kategorie darauf anzuwenden und folglich mit dem Denken über die Erfahrung hinauszugehen. Diesen Schluß hat KANT selbst gezogen, indem er weiter fährt:
    "Und es folgt auch natürlicherweise aus dem Begriff einer Erscheinung überhaupt, daß ihr etwas entsprechen muß, was ansich nicht Erscheinung ist, weil Erscheinung nichts für sich selbst außer unserer Vorstellungsart sein kann, folglich wo nicht ein beständiger Zirkel herauskommen soll, das Wort Erscheinung schon eine Beziehung auf Etwas anzeigt, dessen unmittelbare Vorstellung zwar sinnlich ist, aber ansich auch ohne diese Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit Etwas, d. h. ein von der Sinnlichkeit unabhängiger Gegenstand sein muß." (K 260)
Kürzer: durch die Sinnlichkeit werden uns Dinge gegeben, nicht wie sie ansich sind, sondern bloß wie sie vermöge unserer subjektiven Beschaffenheit uns erscheinen.

Daraus folgt, daß wenn etwas erscheint, dieser Wirkung eine Ursache zugrunde liegen muß, warum es erscheint. Folglich muß es ein Ding-ansich geben. Hiermit ist unwidersprechlich der wesentliche Unterschied zwischen der kantischen Kritik und der alten Metaphysik aufgehoben.

In dieser Schlußfolgerung sind ferner folgende Punkte zu erwägen:
    1) Hängt denn wirklich die Art und Weise, wie die Dinge erscheinen, nur von unserer subjektiven Beschaffenheit ab?

    2) Läßt sich unsere subjektive Beschaffenheit nicht auch so eingerichtet denken, daß sie sich den Dingen akkomodiert [anpaßt - wp]? Gibt es mehr Gründe dafür, daß sich die Dinge nach uns, als daß wir uns nach ihnen richten?
Daß die Dinge sich nach unserer Erkenntnis richten müssen, kann KANT, zufolge seiner eigenen Aussprüche, gar nicht behaupten.
    "Denn als Erscheinungen machen sie einen Gegenstand aus, der bloß in uns ist, weil eine bloße Modifikation unserer Sinnlichkeit außerhalb von uns selbst gar nicht angetroffen wird." (K 681)

    "Erscheinungen können als solche nicht außerhalb von uns selbst stattfinden, sondern existieren nur in unserer Sinnlichkeit." (K 679)

    "Und daß diese Affektion der Sinnlichkeit in mir ist, macht gar keine Beziehung von dergleichen Vorstellungen auf irgendein Objekt aus."
Nach diesen Äußerungen kann ich nur von meinen inneren Empfindungen, Gemütszuständen, Affektionen reden, ohne deshalb zu wissen, ob diese Gefühlserregungen durch mich selbst oder durch Dinge außerhalb meiner selbst hervorgerufen worden sind. Das Ich ist, wie wir gehört haben, ebensogut ein Ding-ansich, wie die Noumena selbst, also sind mir beide gleich sehr unbekannt; also kann eine solche Modifikation des Gefühls sowohl von dem einen als von dem andern herrühren. Und wenn meine eigene Konstitution imstande ist, reine Anschauungen, Begriffe und Ideen aus sich zu erzeugen, warum soll sie dann nicht auch imstande sein, solche Stimmungen oder Affektionen hervorzubringen? KANT behauptet dies sogar selbst.
    "Unsere Vorstellungen mögen entspringen, woher sie wollen, ob sie durch den Einfluß äußerer Dinge, oder durch eine innere Ursache bewirkt werden, sie mögen a priori, oder empirische als Erscheinungen entstanden sein, so gehören sie doch als Modifikationen des Gemüts zum inneren Sinn und als solche sind alle unsere Erkenntnisse zuletzt doch der formalen Bedingung des inneren Sinnes, nämlich der Zeit unterworfen, als in welcher sie ingesamt geordnet, verknüpft und in Verhältnisse gebracht werden müssen." (K 661)
Man merke wohl: Alle Erscheinungen als Modifikationen des Gemüts gehören zum inneren Sinn, d. h. zur Zeit. Die Zeit aber ist etwas rein Subjektives, als solche führt sie uns nicht zu Dingen außerhalb von uns, sondern sie ist als innerer Sinn die geordnete (sukzessive) Aufeinanderfolge unserer eigenen Stimmungen oder Modifikationen des Gemüts selbst.
    "Die Zeit ist nichts anderes, als die Form des inneren Sinnes, d. h. des Anschauens unserer selbst und unseres inneren Zustandes. Denn die Zeit kann keine Bestimmung äußerer Erscheinungen sein; sie gehört weder zu einer Gestalt noch Lage etc.; dagegen bestimmt sie das Verhältnis der Vorstellungen in unserem inneren Zustand." (K 83)

    "Was es für eine Bewandtnis mit den Gegenständen ansich und abgesondert von all dieser Rezeptivität der Sinnlichkeit haben möge, bleibt uns gänzlich unbekannt."

    "Wir kennen nichts, als unsere Art sie wahrzunehmen, die uns eigentümlich ist, die auch nicht notwendig jedem Wesen obgleich jedem Menschen zukommen muß." (K 90)
Die Zeit ist also unser eigener innerer Vorstellungsprozeß selbst. Die Vorstellungen der Erscheinungen aber sind nicht außerhalb von uns, sondern lediglich in uns. Folglich können wir mittels der Zeit nie zu einem Ding ansich, außerhalb von uns, "abgesondert von all dieser Rezeptivität der Sinnlichkeit" gelangen. Wenn aber die Zeit dazu nicht ausreicht, ist es dann vielleicht der Raum, der uns diese Möglichkeit an die Hand gibt) Man sollte es glauben nach der Art, wie KANT denselben definiert.
    "Mittels des äußeren Sinnes, einer Eigenschaft unseres Gemüts, stellen wir uns Gegenstände als außerhalb von uns und diese insgesamt im Raum vor." (K 74)
Hier ist sofort zweierlei zu berücksichtigen:
    1) ist der Raum bloß eine "Eigenschaft unseres Gemüts";

    2) stellen wir uns mittels dieses äußeren Sinnes die Gegenstände als außerhalb unserer selbst vor.
Diese Vorstellung ist aber selbst wieder nur etwas in uns; denn außerhalb unserer selbst gibt es ja, wie KANT immer wiederholt, keine Vorstellungen. Also stehen wir wieder auf demselben Punkt, wie oben bei der Zeit. Die Folge davon ist, daß, wenn wir uns die Dinge als außerhalb unserer selbst seiend bloß vorstellen, sie in Wirklichkeit gar nicht außerhalb unserer selbst sein müssen, daß es uns bloß so vorkommt oder auch vermöge unserer Organisation so vorkommen muß, aber nichtsdestoweniger ihre objektive Existenz ganz und gar dem Zweifel unterworfen bleibt. Denn wie will ich aus dieser Vorstellung heraus, die rein subjektiv ist, so gut wie alle Vorstellungen in der Zeit? Der Raum gibt uns also so wenig Kunde von etwas Objektivem oder von einem Ding-ansich (denn außer diesem ist alles bloß subjektiv) wie die Zeit.
    "Der Raum stellt gar keine Eigenschaft irgendeines Dings-ansich oder sie in ihrem Verhältnis untereinander vor, d. h. keine Bestimmung derselben die an Gegenständen selbst haften würde, und welche bliebe, wenn man auch von allen subjektiven Bedingungen der Anschauung abstrahiert." (K 77)
Der Raum ist also streng genommen gar kein "äußerer Sinn". Er ist dies schon deshalb nicht, weil er eine "Eigenschaft des Gemüts" sein soll (K 73). Das außerhalb von uns ist also lediglich nur eine Vorstellung in uns. Wenn deshalb gesagt wird:
    "Der Raum, als die reine Form aller äußeren Anschauung, ist als Bedingung a priori bloß auf äußere Erscheinungen eingeschränkt" (K 84),
so ist diese Ausdrucksweise zweideutig und falsch. Denn eine äußere Erscheinung als solche ist ganz und gar unmöglich. Denn alle Erscheinungen sind ja bloße Modifikationen des Gemüts und als solche innerlich (K 681, 260), was er dann auch selbst zugibt, wenn er sagt:
    "Daß überhaupt nichts, was im Raum angeschaut wird, eine Sache ansich, noch daß der Raum eine Form der Dinge ist, die ihnen etwa ansich eigen wäre, sondern daß uns die Gegenstände ansich gar nicht bekannt sind und was wir äußere Gegenstände nennen, nichts anderes als bloße Vorstellungen unserer Sinnlichkeit, deren Form der Raum ist, deren wahres Korrelat aber, d. h. das Ding ansich dadurch gar nicht erkannt wird, noch erkannt werden kann." (K 81)
So gibt uns dann der Raum sowenig wie die Zeit Kunde von der Außenwelt, sondern beide sind bloß Formen und Bedingungen unserer eigenen subjektiven Zustände. Sie sind unser eigentliches Ich, sodaß, wenn dieses aufhört, auch Raum und Zeit sofort verschwinden.
    "Wenn wir unser Subjekt, oder auch nur die subjektive Beschaffenheit der Sinne überhaupt aufheben, würde alle die Beschaffenheit, alle Verhältnisse der Objekte in Raum und Zeit, ja selbst Raum und Zeit verschwinden und könnten als Erscheinungen nicht ansich, sondern nur in uns existieren." (K 90)
Wenn KANT so weit geht, daß er einmal sagt, das Ding-ansich, dieses unbekannte Etwas
    "als Noumenon oder besser als transzendentaler Gegenstand betrachtet, könnte doch auch zugleich das Subjekt der Gedanken sein" (K 689),
so können wir natürlich mit noch mehr Recht behaupten, daß auch das Ich das Subjekt der Dinge-ansich sein könnte. In der Tat sind die Dinge-ansich bloße Gedankenwesen. Sie sind in keiner Erfahrung möglich, weil sie nicht Gegenstände der Anschauung sind. Sie werden also bloß gedacht.
    "Die Bedingungen des Denkens sind die Kategorien. ... Also sind sie auch die Grundbegriffe, Objekte überhaupt zu den Erscheinungen zu denken." (K 669)
Wenn sie aber nur gedacht werden können, so ist bloß ihre logische, nicht aber ihre reale Möglichkeit, geschweige denn ihre Wirklichkeit erwiesen (K 34). Logisch ist, was sich selbst nicht widerspricht.
    "Nun kann aber die Möglichkeit eines Dings niemals bloß aus dem Nichtwidersprechen eines Begriffs desselben, sondern nur dadurch, daß man diesen durch eine ihm korrespondierende Anschauung belegt, bewiesen werden." (K 34)
Nun korrespondiert aber den Dingen-ansich keine Anschauung, weder eine sinnliche, noch eine intellektuelle.

Es "folgt" also nicht
    "natürlicherweise schon aus dem Begriff Erscheinung überhaupt, daß ihr etwas entsprehcen muß, was ansich nicht Erscheinung ist etc."
Dies folgt wahrlich gar nicht, sondern wenn wir unbefangen die Sache ansehen und konsequenz die kantische Grundanschauung zu Ende denken, so folgt in der Tat, daß wir aus einem "beständigen Zirkel nicht herauskommen", sondern im subjektiven Idealismus gefangen bleiben, daß BERKELEY und HUME nicht überwunden und FICHTEs System die einzig wahre Konsequenz ist.

Neuerdings suchten zwei Autoren, HERMANN COHEN und FRIEDRICH ALBERT LANGE, sich vor der Konsequenz der Kausalität auf das Ding-ansich dadurch zu retten, daß sie mit KANT das Ding-ansich als einen bloßen "Grenzbegriff" betrachtet haben.
    "Durch diese Bestimmung", sagt Cohen, (Seite 252), "erledigen sich alle Einwürfe, welche man von dem Gedanken aus, daß die Kausalität nur für die Erscheinungen gilt, gegen die Aufstellung eines Dings-ansich machte." (8)
Zu dieser Ansicht ließ sich auch LANGE in der neuen Auflage seiner "Geschichte des Materialismus" teils durch eigene Studien, teils durch COHENs Arbeit, bestimmen. Wie ist es möglich, frägt LANGE, auf ein "Ding-ansich" zu schließen, welches hinter den Erscheinungen steht?
    "Wird denn da nicht der Kausalbegriff transzendent? Wird er nicht auf einen vermeintlichen Gegenstand angewendet, welcher jenseits aller überhaupt möglichen Erfahrung liegt?"
Mit diesem Einwand, fährt LANGE weiter, habe man von den ersten Entgegnungen gegen die Vernunftkritik bis auf die Gegenwart immer wieder KANT zu schlagen geglaubt
    "und auch ich habe noch in der ersten Auflage dieses Werkes angenommen, daß der Panzer des Systems damit zerschmettert wurde. Eine genauere Untersuchung zeigt aber, daß Kant von diesem Schlag nicht unvorbereitet getroffen wird. Was wir als eine Korrektur des Systems anführten, ist in der Tat Kants eigenste Meinung: das Ding-ansich ist ein bloßer Grenzbegriff."
Was ein Grenzbegriff ist, führt LANGE unter einem Bild aus, das zwar sehr besticht, aber nichts beweist.
    "Der Fisch im Teich kann nur im Wasser schwimmen, nicht in der Erde; aber er kann doch mit dem Kopf gegen Boden und Wände stoßen. So könnten auch wir mit dem Kausalitätsbegriff wohl das ganze Reich der Erfahrung durchmessen und finden, daß jenseits desselben ein Gebiet liegt, welches unserer Erkenntnis absolut verschlossen ist." (zweite Auflage, 2. Buch, Seite 49; erste Auflage, Seite 267)
Machen wir dem berühmten Autor zuliebe für einen Augenblick Halt und analysieren wir seine in das schöne Bild gehüllte Behauptung. Das Wasser ist für den Fisch, was für uns die Erscheinungen sind. Jenes ist für ihn das Element zum Leben, wie dieses für uns das Element zum Erkennen. Wenn nun der Fisch an eine Wand oder an den Boden stößt, so sind Wand und Boden für ihn die Grenze seines Elements. Für uns ist nun das Ding-ansich, was der Boden für den Fisch. Von da an aber hinkt das Gleichnis. Denn der Boden ist für den Fisch empirisch wahrnehmbar, das Ding-ansich für uns aber nicht. Jener wird empfunden, dieses bloß gedacht. Für den Fisch ist der Boden oder die Wand die Ursache der Empfindung; ob er aber das Ding-ansich auch für uns, als Grenze, die Ursache der Empfindung ist, das ist eben hier die Frage, um welche der Streit sich dreht. Wenn nämlich das Ding-ansich nicht die Ursache unserer Empfindung ist, dann folgt mit unvermeidlicher Konsquenz, daß nur noch das eigene Ich die Ursache derselben sein kann und das ist der Idealismus BERKELEYs. Ist aber das Ding-ansich die Ursache unserer Empfindung, dann ist die Kausalität nicht mehr bloß eine Kategorie oder reine Denkfunktion, sondern eine Wirksamkeit in den Dingen selbst. Damit fällt die Apriorität der Kategorienlehre und mit ihr zugleich das Kriterium der Wahrheit. Denn wenn ich die Kausalität in die Dinge selbst verlege, so kann ich von ihrer Wirksamkeit nicht bloß durch die Erfahrung, d. h. durch die Sinnlichkeit Kunde erhalten. Erfahrung gibt aber unseren Urteile nie eine notwendige und allgemeingültige Wahrheit, sondern bloß eine angenommene oder komparative [vergleichende - wp] (K 48).
    "Die empirische Allgemeinheit ist nur eine willkürliche Steigerung der Gültigkeit";

    "wo dagegen strenge Allgemeinheit zu einem Urteil wesentlich gehört, da zeigt diese auf einen besonderen Erkenntnisquell derselben, nämlich ein Vermögen der Erkenntnisse a priori." (K 48)
Bei der Annahme einer Kausalität oder Wirksamkeit in den Dingen selbst wird also der Skeptizismus HUMEs triumphieren (siehe den betreffenden Abschnitt in dieser Abhandlung) oder die Identitätsphilosophie, d. h. wir werden zwar zugeben, daß die Kategorien subjektiven Ursprungs sind, daß aber dieser Denkfunktion zugleich eine physische Aktion in den Dingen selbst, außerhalb unseres Geistes, vollkommen korrespondiert; mit anderen Worten: daß Denken und Sein identisch sind. Verlegen wir aber, wie gesagt, die Kausalität nicht in die Dinge, so ist der Subjektivismus FICHTEs oder LEIBNIZ' Monadismus oder BERKELEYs Idealismus unvermeidlich. Nun aber ist unserem LANGE "der Idealismus von Haus aus metaphysische Dichtung" (zweite Auflage, 2. Buch, Seite 176), und was SCHELLING und HEGEL in dieser Beziehung geleistet haben, bloße
    "Begriffsromantik, die für die exakte Beurteilung der materialistischen Frage auch nicht ein einziges Moment von bleibendem Wert zutage gefördert hat." (a. a. O., Seite 66)
Warum? Weil alle Metaphysik nichts anderes ist, als eine "Poesie der Begriffe", d. h. die Begriffe, welche in der Metaphysik behandelt werden, sond bloß erdichtet und es entspricht ihnen nirgends eine Realität. Wie? Wenn das Ding-ansich auch nur erdichtet wäre, müßte es dann nicht auch für metaphysisch, d. h. für eine poetische Fiktion gehalten werden? Nicht anders!
    "Das Ding ist in der Tat", sagt Lange selbst, "nur der ersehnte Ruhepunkt für unser Denken. Wir wissen nichts als die Eigenschaften und ihr Zusammentreffen in einem Unbekannten, dessen Annahme eine Dichtung unseres Gemütes ist, aber wie es scheint eine notwendig, durch unsere Organisation gebotene." (zweite Auflage, 2. Buch, Seite 214)

    "Wir wissen also wirklich nicht, ob ein Ding ansich existiert. Wir wissen nur, daß die konsequente Anwendung unserer Denkgesetze uns auf den Begriff eines völlig problematischen Etwas führt, welches wir als Ursache der Erscheinungen annehmen." (a. a. O., Seite 49)
Was ich also KANT durch meine ganze Abhandlung zum Vorwurf gemacht habe, daß nämlich durch das bloße Denken das Ding-ansich nicht erreicht, oder seine Objektivität, d. h. seine Existenz außerhalb und unabhängig von uns nicht bewiesen wird, muß auch LANGE zum Vorwurf gemacht werden. Die konsequente Anwendung unserer Denkgesetze führt uns bloß auf den "Begriff", sagt er, also nicht auf eine diesem Begriff außerhalb von uns korrespondierende Realität, sondern auf den Begriff eines "völlig problemtischen Etwas". Wie soll ich mir einen Begriff machen von einem völlig problemamtischen Etwas? Ist das nicht auch romantisch, poetisch, metaphysisch?
    "Wenn man jetzt fragt", setzt Lange hinzu, "wo denn nun aber die Dinge bleiben, so lautet die Antwort: in den Erscheinungen. Je mehr sich das Ding-ansich zu einer bloßen Vorstellung verflüchtigt, desto mehr gewinnt die Welt der Erscheinungen an Realität. Sie umfaßt überhaupt alles, was wir wirklich nennen können." (a. a. O.)
Etwas Ärgeres ist wahrlich im ganzen Zeitalter der "Begriffsromantik" nie behauptet worden. Eine "bloße Vorstellung" ist etwas rein Subjektives. Wenn nun einer solchen Vorstellung nichts außerhalb derselben korrespondiert, so unterscheidet sie sich von einem bloßen Traum oder von einem Wahngebilde ist gar nichts. Nach LANGE aber soll die Welt der Erscheinungen, je mehr sich das Ding-ansich zu einer bloßen Vorstellung verflüchtigt, an Realität gewinnen! Ist das nicht der ausgesprochenste Idealismus und Subjektivismus? Was würde der alte KANT zu einer solchen Behauptung sagen! Wie er den FICHTE seines subjektiven Idealismus wegen, den dieser aus der kantischen Philosophie folgerte, bezeichnet hat, ist bekannt. Er würde LANGE auf diese Behauptung hin wahrscheinlich kein besseres Kompliment machen. Er würde ihn noch überdies der Inkonsequenz bezichtigen. Denn es ist ein Widerspruch, auf der einen Seite zu behaupten: die Welt der Erscheinungen gewinnt an Realität, wenn sich das Ding-ansich zur bloßen Vorstellung verflüchtigt, und auf der anderen den "Glauben an die Wirklichkeit der Erscheinungswelt" für "naiv" zu erklären (a. a. O., Seite 44). Ich stimme jedoch in diesen Vorwurf KANTs nicht ein, sondern halte jenen Satz LANGEs bloß für eine unbedachte, keineswegs ernsthaft gemeinte Äußerung. Man wird es einem so verdienstvollen Forscher wohl verzeihen können, wenn er in der prinzipiellsten und schwierigsten aller philosophischen Fragen, um deren Lösung die größen Denker seit so vielen Jahrhunderten sich abgemüht haben, schwankt und zu keinem endgültigen Resultat gelangt.

Wie sehr sich unser Autor der Schwierigkeit bewußt ist, welche aus der kantischen Kritik resultiert, liegt in der Frage ausgesprochen, welche er gleichsam an sich selbst stellt:
    "Was ist alle Erfahrungswissenschaft, wenn wir nur unsere selbstgeschaffenen Gesetze in den Dingen wiederfinden, die gar nicht mehr Dinge sind, sondern nur Erscheinungen?

    Wozu führt all unsere Wissenschaft, wenn wir uns die absolut existierenden Dinge, die Dinge-ansich ohne Raum und Zeit, also in einer für uns völlig unfaßbaren Weise vorstellen sollen." (zweite Auflage, 2. Buch, Seite 35)
So richtig und präzise aber auch diese Fragen gestellt sind, so schwach und unphilosophisch ist die Antwort.
    "Auf diese Fragen", sagt er, "geben wir einstweilen nur die Gegenfrage zur Antwort: Wer sagt denn, daß wir uns mit den für uns unfaßbaren Dingen-ansich überhaupt befassen sollen? Sind die Naturwissenschaften nicht auf alle Fälle, was sie sind, und leisten sie nicht, was sie leisten, ganz unabhängig von den Gedanken über die letzten Gründe aller Natur, auf die wir uns durch philosophische Kritik geführt sehen?" (a. a. O. Seite 34)
Hierauf erwidere ich:
    1. Ist eine bloße Gegenfrage keine Antwort, sondern nur ein Zeichen der Verlegenheit;

    2. handelt es sich in der Philosophie nicht darum, was die Naturwissenschaft "ganz unabhängig von den Gedanken über die letzten Gründe der Natur" leistet oder nicht, sondern was die Philosophie entweder "unabhängig" von der Naturwissenschaft oder im Bund mit derselben, gerade in Bezug auf "die letzten Gründe aller Natur", leisten oder nicht leisten kann;

    3. kann freilich niemand von einem Naturforscher als solchem verlangen, daß er sich "mit den für uns unfaßbaren Dingen ansich überhaupt befassen soll"; aber wenn "wir uns durch philosophische Kritik darauf geführt sehen", so kann man allerdings von einem Philosophen, dessen Hauptaufgabe in der Lösung der Prinzipienfrage besteht, verlangen, daß er wenigstens versucht, zu beweisen, ob es überhaupt ein Ding-ansich gibt oder nicht, und wenn es eines gibt, ob es dann wirklich, wie Lange ganz apodiktisch behauptet, "unfaßbar" ist. Sagt doch Lange selbst: das Ding ansich ist "völlig problematisch", eine "Dichtung unseres Gemüts", eine "notwendige Folge unserer Organisation", ein "selbstgeschaffener Begriff".
Nun denn! Was bloß problematisch ist, was wir bloß denken oder dichten, von dem wird sich doch wohl ausmachen lassen, ob es wahr oder falsch, ob es willkürlich oder notwendig ist.

LANGE hat in dieser Antwort zugegeben (ich frage jetzt nicht mit welchem Recht), daß die Naturwissenschaft ganz unabhängig von der Philosophie leistet, was sie überhaupt leisten kann. Vielleicht, daß gerade deshalb auch die Philosophie, unabhängig von der Naturwissenschaft, leisten muß, was sie überhaupt zu leisten imstande ist. Aber in Bezug auf jene Antwort handelt es sich um die Frage, ob LANGE seine "Geschichte des Materialismus" als Philosoph oder als Naturforscher geschrieben hat und wenn als Philosoph, so ist jene Antwort, wie jedermann zugeben wird, jedenfalls eine unphilosophische. Daß er aber als Philosoph geschrieben hat, ist klar. Denn sein
    "Zweck war kein geringerer, als zu einer definitiven Erledigung gewisser Kardinalpunkte in der Streitfrage des Materialismus anzuregen und da diese Punkte gerade den Gegensatz von Materialismus und Idealismus, Wissen und Dichten, Empirie und Transzendenz betreffen, so reicht der Gegenstand des Werkes wohl weiter, als der Titel andeutet." (erste Auflage, Vorrede, Seite 1)
Was LANGE selbst als Aufgabe der Philosophie betrachtet, ist aus (Seite 106, 142, 290, 291, zweite Auflage, 2. Buch) zu ersehen. Ebenso ist sein Idealismus ausgesprochen auf (Seite 76, 103, 147, 228, 239).

Kommen wir jetzt wieder auf den Anfang zurück.
    "Mit dem Kausalitätsbegriff", sagt er, "könnten wir wohl das ganze Reich der Erfahrung durchmessen und finden, daß jenseits derselben ein Gebiet liegt, welches unserer Erkenntnis absolut verschlossen ist." (a. a. O., Seite 49)
Das können wir nicht mit dem Kausalitätsbegriff, wenn, wie LANGE von ihm behauptet, derselbe
    "im Gebiet der Erfahrung unbeschränkte Gültigkeit, aber jenseits derselben gar keine Bedeutung hat." (a. a. O., Seite 45.)
Nur innerhalb der Erfahrung, aber nicht über dieselbe hinaus, hat er nach dieser Bestimmung Gültigkeit. Erfahrung ist aber nach LANGE vor allem die Domäne der Naturwissenschaften. Also hat der Kausalitätsbegriff nur für die Naturwissenschaft, nicht für die Philosophie, folglich auch nicht für das Ding-ansich, Geltung. Denn "Naturwissenschaft reicht ein- für allemal nur so weit wie die mechanisch-kausale Erklärung der Dinge. (a. a. O., Seite 277) Mechanisch-kausal kann aber das "Ding-ansich" nicht erklärt werden. Denn "die konsequente Anwendung unserer Denkgesetze" führt uns nur auf den "Begriff eines völlig problematischen Etwas. (a. a. O., Seite 49) Die Naturwissenschaft erklärt aber nicht aus Begriffen, sondern aus materiellen Ursachen, und diese materielle Ursache darf nicht ein völlig problematisches Etwas sein.
    "Die strenge Durchführung des Kausalitätsprinzips unter Beseitigung aller unklaren Annahmen von Kräften, die aus bloßen Begriffen abgeleitet werden" (eine solche unklare Annahme wird wohl auch der Begriff eines völlig problematischen Etwas sein) "muß für das gesamte Feld der Naturwissenschaft der leitende Gesichtspunkt bleiben." (a. a. O., Seite 272)
Folglich kann ich mit dem Kausalitätsbegriff wohl das ganze Gebiet der Erfahrung durchmessen, aber mittels desselben nie finden, "daß jenseits derselben ein Gebiet liegt, welches unserer Erkenntnis absolut verschlossen ist". Es liegt nicht bloß in der Sache, sondern auch schon im Ausdruck ein Widerspruch. Wie kann ich von einem Gebiet jenseits der Erfahrung etwas wissen, wenn es unserer Erkenntnis absolut verschlossen ist?" Wenn ich ja überhaupt nur weiß, daß es ist, so ist meine Unwissenheit nicht mehr eine absolute, sondern bloß eine relative. Ferner nimmt LANGE jenes Gebiet oder das Ding-ansich "als Ursache der Erscheinungen" an (zweite Auflage, 2. Buch, Seite 49), folglich schreibt er ihm nicht bloß ein Sein, sondern auch eine Tätigkeit oder Wirksamkeit zu; und da nicht anzunehmen ist, daß die Mannigfaltigkeit unserer Empfindungen bloß aus uns, sondern wahrscheinlich aus der Mannigfaltigkeit der Dinge ansich oder deren Offenbarungsweise herrührt, so wird ihnen zugleich eine Qualität zugeschrieben; wir wissen also nicht bloß, daß sie sind, sondern auch, was sie sind. Nehmen wir nicht an, daß es in Wirklichkeit Dinge-ansich gibt, so sind wir Berkeleyaner oder Fichteaner. Nehmen wir aber solche an, so kommen wir bloß durch einen Schluß zu dieser Annahme. Dieser Schluß jedoch von einer bloß subjektiven Empfindung zu einem ganz objektiven außerhalb und unabhängig von mir existierenden Ding-ansich, ist offenbar viel gewagter als der von diesem Sein (Ding-ansich) zu dessen Beschaffenheit. Denn wenn es überhaupt einmal ist, so wird es wohl auch irgendwie sein müssen. Es ist deshalb eine reine Selbsttäuschung zu glauben, wir könnten zwar der Existenz eines Dings gewiß sein, von dessen Beschaffenheit aber nicht die geringste Ahnung haben. Dies ist aber wirklich KANTs eigenste Meinung. Wollen wir nicht dem Idealismus BERKELEYs verfallen, sagt er (P 140f), so müssen wir ein Ding ansich annehmen; was es aber ansich seiner Qualität nach sein mag, davon wissen wir ganz und gar nichts (K 258-266). Wir kennen also bloß das Ding, aber nicht seine Eigenschaften. Gerade umgekehrt, behauptet LANGE; wir kennen bloß die Eigenschaften, aber nicht das Ding.
    "Ein Ding wird uns durch seine Eigenschaften bekannt; ein Subjekt durch seine Prädikate bestimmt. Das Ding ist aber in der Tat nur der ersehnte Ruhepunkt für unser Denken. Wir wissen nichts, als die Eigenschaften und ihr Zusammentreffen in einem Unbekannten, dessen Annahme eine Dichtung unseres Gemüts ist." (zweite Auflage, 2. Buch, Seite 214)
Unter diesen Eigenschaften versteht LANGE die Kraft und unter dem "Ding" als Unbekanntem, die Materie (a. a. O.)

Ich will diesen Ge target="_blank"danken hier nicht weiter verfolgen. Was ich in meiner Abhandlung über LANGE (9) und in diesem vorliegenden Traktat gegen das Ding-ansich vorgebracht habe, wird genügen, um zu zeigen, daß sich mit demselben als "Grenzbegriff" nicht alle Einwürfe erledigen lassen, wie COHEN meint (a. a. O., Seite 252); und ebensowenig können "wir uns dieser Anschauung, sofern sie eine notwendige Folge unseres Verstandesgebrauchs ist, ruhig hingeben", wie LANGE fordert (a. a. O., Seite 50) Erst müßten wir uns auch überzeugen, daß das Ding-ansich wirklich eine notwendige Folge unseres Verstandesgebrauchs ist. Solange aber das Ding-ansich nichts anderes ist als der "Begriff eines völlig problematischen Etwas", scheint die Folge unseres Verstandesgebrauchs nicht so ganz absolut notwendig zu sein.

LITERATUR - Gideon Spicker - Kant, Hume und Berkeley, Berlin 1875
    Anmerkungen
    1) K bedeutet "Kritik der reinen Vernunft" und P "Prolegomena", herausgegeben in der philosophischen Bibliothek von Kirchmann.
    2) Daß Raum und Zeit als Formen nicht "ein paar unendliche leere Gefäße" sind, "in welche die Sinne ihre Empfindungen hineinschütten", wie Herbart diese Stelle angefaßt hat, hat Hermann Cohen mit Recht als eine gar zu äußerliche und oberflächliche Erklärung verworfen. Aber Cohens eigene Ansicht will uns doch auch nicht genügen. Er faßt die Form als etwas Potenzielles, das erst entsteht; sie liegt wohl "bereit", aber nicht "fertig" vor. Abgesehen davon, daß wir uns eine unfertige, bloße der Fähigkeit nach vorhandene Form auch nicht wohl vorstellen können, handelt es sich vor Allem umd die Erklärung des Kontaktes, wodurch der affizierende Gegenstand in die reine Form der Anschauung aufgenommen wird. Hierzu genügt aber das Vorschützen der Form als bloßer Potenz offenbar nicht. (Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, Berlin 1871, Seite 39 und 46)
    3) Eine ausführlichere Analyse dieses Begriffs ist in § 8 enthalten.
    4) Werke, Bd. V, Seite 251 in der Ausgabe von Rosenkranz und Schubert.
    5) Daß diese Trennung nicht mechanisch zu verstehen ist, daß a priori und a posteriori nicht bloß zeitlich, etwa wie "früher" und "später" zu fassen sind, sondern transzendental, brauch wohl kaum bemerkt zu werden.
    6) Kant hat diesen Unterschied nicht weiter entwickelt.
    7) Wegen Veränderung in der Paragrapheneinteilung ist da, wo in dieser Abhandlung "Über das Verhältnis der Naturwissenschaft zur Philosophie" § 4 zitiert wird, nunmehr § 3 dieser Abhandlung nachzuschlagen.
    8) Hermann Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, Berlin 1871
    9) Spicker, Über das Verhältnis der Naturwissenschaft zur Philosophie, Berlin 1874.