ra-1LockeF. MauthnerH. J. StörigK. VorländerG. StörringE. Bernauer    
 
HUGO SPITZER
Nominalismus und Realismus
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"Fries stellt die objektive Realität allgemeiner, über die Einzelerscheinung übergreifender und dieselbe bestimmender Prinzipien, als welche die Naturgesetze nicht selten aufgefaßt werden, in Abrede. Ihm gilt als ein Hauptsatz bezüglich der Gültigkeit der Erkenntnis, daß alle metaphysische Verknüpfung der Existenz der Dinge, nach welcher das Allgemeine der Erklärungsgrund des Besonderen wird, nur durch Abstraktion erscheint und nur Stufen der subjektiven Gültigkeit bezeichnet, ohne von objektiver Bedeutung zu sein."

"Der Umstand, daß eine Ellipse mit sehr kleiner Exzentrizität für die sinnenmäßige Auffassung vom Kreis nicht zu unterscheiden ist, berechtigt keinen streng denkenden Mathematiker, den begrifflichen Sprung zu verkennen, der den völligen Wegfall vom Dasein einer, wenn auch noch so kleinen und nach Belieben unbeschränkt klein zu setzenden Exzentrizität trennt. Im einen Fall haben wir den Kreis, im anderen ein dem Begriff nach gänzlich verschiedenes Gebilde, nämlich die Ellipse mit ihren ungleichen Achsen. Ähnlich verhält es sich nun auch mit allen realen Gattungen in der Natur."

"Gibt es für die Homogenität oder, wenn man will, logische Identität mannigfacher, real verschiedener Vorgänge eine Erklärung, und zwar eine Erklärung, die nicht mit idealistischer Willkür die Unterschiede in Raum und Zeit für einen bloßen Sinnenschein ausgibt, so daß, nachdem der Schleier der Maja gefallen, das begrifflich Gleiche auch als wirkliches Eins dasteht; sondern die Übereinstimmung begreiflich macht, ohne daß die Vielheit und Verschiedenheit darüber verloren geht?"

"Die Dinge selbst sind stets nur in der Einzelheit gegeben. Das wirkliche Allgemeine, insofern es nicht lediglich als gemeinsames Merkmal vorgestellt wird, bezeichnet somit ein gänzlich subjektives Gebilde, ein ausschließliches Produkt des Intellekts."

Dieser Zusammenhang der Ideenlehre mit der Zweckvorstellung ist, wie schon gesagt, ein ganz naturgemäßer, und es würde in der Tat die realistische Anschauungsweise durch nichts glänzender zum Sieg gebracht, als wenn es gelänge, die Realität objektiver, keinem animalischen Bewußtsein entstammter Zwecke darzutun; andererseits aber läßt sich wohl begreifen, wie gerade dieser Zusammenhang hauptsächlich Schuld trägt, daß die exakte Wissenschaft so wenig mit der "Philosophie des Unbewußten", dem modernen Steckenpferd schöngeistiger Literaten, sich zu befreunden vermochte. Denn die Abneigung der Naturwissenschaft gegen Zweckvorstellungen jeglicher Art ist eine so gründliche, daß es förmlich Verwunderung erregt, wenn heutzutage ein bedeutender Forscher für Zweckmäßigkeit, "Zielstrebigkeit" und dgl. eine Lanze bricht; weshalb eine in teleologischen Voraussetzungen gründende Ansicht von vornherein auf eine Anerkennung von Seiten der positiven Wissenschaft zu verzichten hat. In der "Philosophie des Unbewußten" aber tritt die Teleologie in so krasser Gestalt auf, wie in keinem der berühmt gewordenen philosophischen Systeme des Jahrhunderts, als deren Vollendung und Synthese sie sich ausgibt. Insofern dürfte also LANGEs Behauptung, daß dieses moderne System sich zu den positiven Wissenschaften in einen schrofferen Gegensatz stellt als irgendeines der früheren und die Fehler eines SCHELLING und HEGEL in weit gröberer und handgreiflicherer Form wiederholt, kaum anzufechten sein. Denn in der Tat: wenn HEGELs Ansicht der individuellen Deutung und Auslegung einen so großen Spielraum läßt, daß ein berühmter Physiologe die Eliminierung des Zweckbegriffs aus der Naturerklärung geradezu HEGEL als dessen ausschließliches Verdienst anrechnen konnte, so wäre es dagegen ganz unmöglich, den teleologischen Grundzug der "Philosophie des Unbewußten" zu verkennen und ihre Übereinstimmung mit der mechanistischen Denkweise der Naturwissenschaft darzutung. Der "Philosophie des Unbewußten" konnte daher nichts verderblicher sein, als das Erstarken von DARWINs Grundsätzen. Daß sie über die Gefahr, welche ihr von dieser Seite her droht, selbst durchaus nicht im Unklaren blieb, zeigt die Äußerung von HARTMANNs:
    "Wenn von irgendeiner Seite die Notwendigkeit einer wesentlichen Modifikation an die Philosophie des Unbewußten herantreten sollte, so würde dies am ehesten von Seiten der biologischen Abstammungstheorie der Fall sein können."
Eine solche Umgestaltung der Philosophie des Unbewußten in dem durch DARWINs Selektionstheorie geforderten Sinn wurde auch wirklich vom anonymen Verfasser der Schrift "Das Unbewußte vom Standpunkt der Physiologie und Deszendentheorie" versucht, welcher es unternahm, die HARTMANNs und DARWINs Gesichtspunkte zu vereinigen. Das schließliche Ergebnis dieses Unternehmens mußte freilich ein völliges Aufgeben des metaphysischen Prinzips des Unbewußten sein; aber jene Schrift beansprucht nichts destoweniger ein hohes Interesse, weil sie den Zusammenhang der Ideenlehre mit den Zweckkonzeptionen vortrefflich klarlegt und namentlich auch in überzeugender Weise auseinandersetzt, wie durch den Darwinismus der teleologischen Spekulation für alle Zeit der Boden entzogen worden ist. Die volle Anerkennung der Wahrheit der Abstammungslehre führt also nicht allein zur Beschränkung und Modifikation, sondern zur gänzlichen Aufhebung des metaphysischen Unbewußten und seiner gestaltenden Ideen. Wenn sowohl die Entstehung wie auch die Fixierung neuer Spezies, neuer Typen überhaupt, eine Wirkung natürlicher Ursachen ist und die Natur selbst Mittel besitzt, sowohl Variationen hervorzurufen, als auch unter den abgeänderten Individuen, sei es nun durch eine Migration [Wanderung - wp] derselben, sei es durch ihr Überleben im Kampf ums Dasein, eine Amixie [Nichtzustandekommen der Paarung - wp], so entfällt jeder Grund, zur Erklärung der organischen Transmutationsprozesse das wunderwirkende Unbewußte herbeizuziehen, welches nach von HARTMANN bei der Fortentwicklung der Organisation eine direkte (d. h. die Naturgesetzlichkeit alterierende) Tätigkeit entfalten muß,
    "einerseits um bei neuen Keimen die nicht zufällig entstehenden und doch in seinem Plan liegenden Abweichungen hervorzurufen, und andererseits um die entstandenen Abweichungen, welche zu seinem Plan gehören, aber den Organismen keine gesteigerte Konkurrenzfähigkeit im Kampf ums Dasein verleihen, vor dem Wiederverlöschen durch Kreuzung zu bewahren."
Der Philosoph des Unbewußten hat neuerdings den Darwinismus einer eingehenden Kritik unterworfen und die Notwendigkeit metaphysischer d. h. hyperphysischer, transzendenter Erklärungsprinzipien neben der natürlichen Selektion und den auxiliären [behelfsmäßigen - wp], mechanischen Prinzipien DARWINs zu erweisen sich bemüht; danach sollen die von DARWIN aufgezeigten Transmutationsweisen nur einzelne Mittel zur Realisierung eines idealen Entwicklungsgesetzes sein, neben welchen noch die heterogene Zeugung und die nicht durch Abstammung vermittelte Herstellung systematischer Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen als nicht weniger wesentliche Mittel zur Verwirklichgung der "Naturideen" einhergehen; aber auch selbst jene Formen des Entwicklungsprozesses, welche der Darwinismus in exklusiver Weise geltend macht, sollen nicht aus bloß mechanischen Ursachen resultieren, sondern, zumindest zum Teil, Äußerungen eines "planvollen, inneren Entwicklungsgesetzes" darstellen und eine teleologische Bedeutung haben. Während jedoch so die wirklich mechanischen Vorgänge als bloß untergeordnete Vehikel zur Durchführung des Entwicklungsplanes angesehen werden, sucht von HARTMANN gleichwohl den zwischen mechanischer und teleologischer Naturauffassung bestehenden Gegensatz verschwinden zu machen, und scheut sich nicht vor der Behauptung, daß der Mechanismus ohne die Teleologie unmöglich ist.
    "Dächte man sich einen absoluten Mechanismus gegeben, so würde er eo ipso [schlechthin - wp] die absolute Teleologie realisieren, dächte man sich die Teleologie auf absolut teleologische Weise realisiert, so müßte dies absolut mechanisch geschehen!"
Eine kritische Philosophie wird sich nun allerdings hüten, das Gegenteil dieser Sätze beweisen zu wollen, da sie gern eingesteht, von den Absichten irgendeines zwecktätigen Weltprinzips so wenig wie von den möglichen Mitteln zur Realisierung derselben etwas zu wissen, aber sie wird es sich auch nicht verhehlen können, daß es schwer fallen dürfte, in einem absolut mechanischen System Beweise für die wirkliche Existenz eines solchen Weltprinzips, dem dieser Mechanismus nur als Mittel zur Verwirklichung seiner Zwecke dient, aufzufinden. Die Teleologie und die mit ihr verbündete Ideenlehre haben offenbar ein Interesse daran, überall in der Natur, wo sie neue Zwecke, neue Ideen realisiert sehen, zugleich Punkte zu statuieren, an welchen die mechanische Kausalität durchbrochen und aufgehoben erscheint, und hierin liegt der Grund, warum der Finalismus [alles Geschehen wird von Zwecken bestimmt und verläuft zielstrebig - wp] und der Begriffsrealismus der mechanischen Naturansicht stets feindlich gegenüber stehen werden. Die "Philosophie des Unbewußten" selbst liefert ein eklatantes Beispiel dieser in der Natur der Sache begründeten Feindschaft.

Es kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen, daß heute nicht bloß die "Philosophie des Unbewußten", sondern aller Realismus im Widerspruch mit den tatsächlichen Fortschritten des Naturerkennens steht. Die realistische Ansicht konnte sich solange auf die Biologie berufen, als das Spezies-Dogma von der überwiegenden Mehrzahl der Forscher geglaubt wurde; die Art, welche in sich abgeschlossen und ohne genealogische Beziehungen nach dastand, durfte mit umso größerer Berechtigung als die Realisation einer Idee angesehen werden, da die Schwierigkeit, die organischen Formen autogonisch [von selbst erzeugt - wp], durch eine generatio aequivoca, aus anorganischer Materie entstehen zu lassen, so erheblich war, daß naturalistische Philosophen, wie CZOLBE, zu der allen Tatsachen ins Gesicht schlagenden Hypothese des ewigen Bestandes der einzelnen Arten ihre Zuflucht nahmen, um der Annahme von Ideen oder Typen der Gattung zu entgehen, welche nach CZOLBEs Worten allein
    "die form- und planlosen Kräfte nötigen könnten, die Grundstoffe in die Formen der Organismen zusammenzufügen".
Durch die Selektionstheorie sind diese Schwierigkeiten gänzlich beseitigt worden. Als Endprodukte einer Millionen von Jahren in Anspruch nehmenden Entwicklungsreihe erscheinen jene Formen gar wohl der mechanischen Auffassung und Erklärung zugänglich, welche sonst für die hyperphysische Weise geschaffenen Abbilder irgendwelcher Ideen gehalten werden müßten, und die Erkenntnis der den Organismen immanenten Variabilität, die unter bestimmten Verhältnissen eine Art in eine andere sich umprägen läßt, macht die Vorstellung jenseitiger, gestaltender Ideen vollends hinfällig. Der Speziesbegriff hat damit aufgehört, als ein metaphysisches oder, in KANTs Sprache zu reden, konstitutives Prinzip der Naturerklärung zu gelten; als die reale Grundlage aller Gestaltung und Umgestaltung im Organischen ist, statt der idealen Art, das physische Individuum erkannt.

Daß insbesondere durch den Darwinismus die nominalistische Auffassung siegreich werden muß, hat schon der ausgezeichnete Botaniker SCHLEIDEN, bekannt auch als Anhänger der FRIES'schen Philosophie, in einem Vortrag über "Die Entstehung der Arten" hervorgehoben, worin der die Hoffnung aussprach, daß die neueren naturwissenschaftlichen Forschungen uns von dem letzten Überbleibsel des Realismus befreien werden, d. h. von der Spezieslehre, in welcher seiner Meinung zufolge auch noch KANT, FRIES und APELT befangen waren. Selbst diese Denker hätten nämlich noch das Vorurteil festgehalten, daß die Unwesenhaftigkeit des Begriffs, die sie auf allen Gebieten (?) behaupteten, doch nicht in der Natur (?) stattfindet, daß hier vielmehr dem Artbegriff eine objektive, reale Bedeutung zukommt; sie hätten im Gesetz der Spezifikation ein "halb metaphysisches Naturgesetz" zu konstruieren versucht, wonach den Begriffen außerhalb der "subjektiven, veränderlichen Auffassung" etwas "Feststehendes und real Vorhandenes" entspricht. So würde dann auch die FRIES'sche Ansicht dem in der modernen Wissenschaft durchgeführten Nominalismus widerstreiten. Indessen scheint es, als ob hierin dem trefflichen Verfasser der "Neuen Kritik der Vernunft" und der "mathematischen Naturphilosophie", dessen exakte Denkhaltung inmitten der romantischen Spekulation seines Zeitalters überhaupt nicht wenig gerühmt werden muß, von Seiten seines Jüngers ein hartes Unrecht zugefügt worden ist. Es möge vorläufig unerörter bleiben, ob und inwieweit die Annahme eines in der Natur zum Ausdruck kommenden Gesetzes der Spezifikation eine eigentlich realistische Auffassung bedingt; nur FRIES' Meinung über die Bedeutung dieses Gesetzes selbst mag hier zu Worte kommen und damit zugleich die Stellung des wohl mindestens ebenso viel Beachtung wie die SCHELLING und HEGEL verdienenden Denkers zur Nominalismus- und Realismusfrage in Kürze gekennzeichnet werden. Daß FRIES die Spezifikation als ein objektives Naturgesetz im Sinne einer durchgängigen Bestimmung des Einzelnen durch allgemeine Ideen oder Typen vorstellt, ist entschieden unrichtig; er erklärt nicht allein ausdrücklich, daß wir die Gesetze der Homogenität, Spezifikation und Stetigkeit der Formen
    "nur logisch zur Anordnung der Begriffe brauchen können, ohne damit Ansprüche an die Natur selbst zu machen, welche über den Wert heuristischer Maximen hinausgehen";
er stellt auch geradezu die objektive Realität allgemeiner, über die Einzelerscheinung übergreifender und dieselbe bestimmender Prinzipien, als welche die Naturgesetze nicht selten aufgefaßt werden, in Abrede. Ihm gilt als ein Hauptsatz bezüglich der Gültigkeit der Erkenntnis,
    "daß alle metaphysische Verknüpfung der Existenz der Dinge, nach welcher das Allgemeine der Erklärungsgrund des Besonderen wird, nur durch Abstraktion erscheint, und nur Stufen der subjektiven Gültigkeit bezeichnet, ohne von objektiver Bedeutung zu sein."
Damit ist jeder Vorwurf einer realistischen Naturauffassung zurückgewiesen. Wenn aber trotzdem auch in der FRIES'schen Philosophie von einem "metaphysischen" Gesetz der Spezifikation die Rede ist, so darf man nicht vergessen, daß dieser Ausdruck bei vielen strengen Kantianern die von der gewöhnlichen abweichende, ja derselben sogar entgegenstehende Bedeutung des Apriorischen hat. Den wahren Sinn der FRIES'schen Ansicht hat HALLIER in dem Schriftchen "Darwins Lehre und die Spezifikation" vortrefflich wiedergegeben. Derselbe nennt die Spezifikation, insofern sie in unserem Vorstellungsmechanismus, in den Formen der mathematischen und sensoriellen Anschauung begründet ist, ein "metaphysisches Gesetz". Hiernach entspringt also gerade aus der Subjektivität des Erkennens, aus der eigentümlichen Anlage des auffassenden Bewußtseins, was der Realismus den Verhältnissen der Dinge-ansich zuschreiben muß.
    "Da die ganze Natur", sagt Hallier, "den mathematischen Gesetzen unterworfen ist, so kann sie nicht wie ein ewiger Fluß aller Dinge durcheinander erscheinen, sondern es muß uns leicht werden, die Gegenstände nach Gestalt und Größe, wie nach qualitativen Bestimmungen zu ordnen."
Überall in der Natur ruht die Artenbildung "auf mathematischen Grundlagen". Aber diese Grundlagen stürzen ein, sobald man das erkennende Subjekt mit seinen apriorischen Auffassungsformen, in welche sich die Natur fügen muß, hinwegnimmt; mit dem Verschwinden des Intellekts verschwinden jedenfalls auch die Gattungen, welche in der Welt unserer Vorstellung so scharf unterschiede und bestimmt gegeneinander abgegrenzt erscheinen, und es ist fraglich, ob überhaupt noch die Gruppierung in Gattungen stattfindet. Dies ist die Bedeutung des Spezifikationsgesetzes bei FRIES, wie sie dem Kritizismus oder Subjektivismus seiner Erkenntnistheorie entspricht.

Wie nun aber, wenn der Verstand seine Gesetze nicht der Natur vorschreibt, sondern sie aus dieser schöpft, indem er selbst nichts weiter als ein Stück Natur ist; wenn die Verstandesformen mit den Formen des universellen, kosmischen Geschehens kongruieren und sich vor diesen nur durch den Hinzutritt einer bewußten Innerlichkeit auszeichnen; wenn also die mathematischen Gesetze, welchen "die Natur unterworfen ist", wirkliche objektive Weltgesetze darstellen? - Dann wird das Gesetz der Spezifikation offenbar über die bloß subjektive Gültigkeit erhoben werden und absolut-reale Bedeutung erlangen müssen. So verhält es sich dann auch wirklich in einer der allerneuesten Zeit angehörenden Philosophie, welche mit Heftigkeit gegen den Kritizismus Front macht und, soeben in einem geschlossenen System hervortretend, auf den Charakter einer streng wissenschaftlichen Weltanschauung Anspruch erhebt - in der Wirklichkeitsphilosophie DÜHRINGs. Dieselbe hat bei unverkennbarer Anlehnung an die Lehre COMTEs eine originale Bedeutung; denn die philosophie positive hat hier nicht allein jene Kruditäten [Derbheiten - wp] und Schrullen abgestreift, welche ihr in der französischen Gestalt noch anhafteten; sie hat sich auch in einer dem höheren philosophischen Genie Deutschlands entsprechenden Weise vertieft und überdies durch die Aufnahme gewisser Bestandteile des SCHOPENHAUERschen Gedankenkreises, sowie durch völlig neue Konzeptionen eine eigenartige Umgestaltung erlitten, unter deren bewegende Faktoren auch ein tiefgehender, auf mathematische Analogien sich stützender Platonismus zu rechnen ist. Obgleich diese Wirklichkeitsphilosophie von ihrem Urheber selbst als konsequentes System des Materialismus betrachtet wird, obgleich sie den "Träger aller Wirklichkeit", das selbstgenügsame, allumfassende, nichts außer und über sich habende Sein in der Materie erkennt, obgleich sie die "materielle und mechanische Brücke" als "das einzige Kriterium der wirklichen Kausalität" auch auf psychischen Gebiet geltend macht und selbst "die Antriebe, vermöge deren das Licht des Bewußtseins aufblitzt", für "Teile einer universellen Mechanik" erklärt, ist sie doch weit entfernt von der streng nominalistischen Ansicht, in welcher der Materialismus sich vollenden zu müssen scheint. Sie steht einerseits in einem schroffen Gegensatz zur Philosophie SCHOPENHAUERs, deren "vermeintlich und scheinbar kritische" Grundlage sie als Traumidealismus verurteilt, andererseits jedoch berührt sie sich in so vielen wesentlichen Punkten mit derselben, daß man sie großenteils daraus ableiten könnte, wenn man die Erkenntnisprinzipien, welche bei SCHOPENHAUER lediglich subjektive Geltung haben, objektiv, d. h. als Gesetze des Seins, nicht nur des Bewußtseins nehmen und, was dort bloße Auffassungsformen sind, in Existenzformen verwandeln würde. Jener Naturalismus, welcher nach SCHOPENHAUER eine Berechtigung hätte, wenn die Welt unserer Vorstellung mehr wäre als ein Hirngespinst, bezeichnet im Wesentlichen den Standpunkt DÜHRINGs.

Die Auffassung der allgemeinen Weltschematik teilt die "Wirklichkeitsphilosophie" mit dem französischen Positivismus, indem si alle höheren Kombinationen sich in der Weise gestalten läßt, daß die neuen Bildungen "die alten Grundformen einschließen", und jede Entwicklungsstufe des Seins die vorhergehende gewissermaßen in reicherer und bestimmterer Ausführung enthält. So
    "vereinigt der Mensch in sich ein Stufensystem von Arten des Seins, welches mit der niedrigsten Gattung beginnt und bis zur höchsten aufsteigt."
Die "Wirklichkeitsphilosophie" lehrt somit "eine Stufenfolge von den letzten mechanischen Kräften bis zum Ergebnis des Bewußtseins"; sie sieht in der Natur denselben Schematismus bestätigt, auf welchen COMTE die Hierarchie der Wissenschaften gründete. In der Art nun aber, wie sie die Hervorbringung der "Kombinationen, Steigerungen und Entwicklungen des Daseins" vorstellt, verrät sich deutlich ihre platonische Tendenz. Man darf sich nämlich durch Ausdrücke wie "Kombination" oder "Komposition gegebener Elemente" nicht irreführen und etwa zur Annahme verleiten lassen, daß die Produktion neuer Entwicklungsstufen eine einfache Folge der sie erzeugenden Verhältnisse ist. Wenn eine Sphäre der Natur in eine andere übergeht, so ist dies ein Prozeß, dessen Ende keineswegs zum Anfang stimmt: der vorhergehende Zustand der Materie ist wohl die Ursache des folgenden, aber dieser kann nicht als seine bloße Fortsetzung begriffen werden, das causa aequat effectum [Ursache gleich Wirkung - wp], sowie das natura non facit saltum [die Natur macht keine Sprünge - wp] hat hier keine Gültigkeit. Es findet in der Tat ein Sprung und eine Heterogenität [Ungleichheit - wp] von Ursache und Wirkung statt; - denn man hat es mit einer der "radikalen Veränderungen" zu tun, welche "im Grund der Dinge angelegt sind, ehe sie hervortreten". Nun ist aber dem neuen Zustand eine ganz bestimmte Form eigen, - eine Form, die unwandelbar immer und immer wiederkehrt, wenn die Gelegenheitsursache jene Veränderung aus dem geheimnisvollen "Grund der Dinge" in die Erscheinung hervorzaubert. Und so gelangt man dann zu der Auffassung "typischer Prinzipien", deren Übereinstimmung mit den platonischen Ideen DÜHRING in seiner "Kritischen Geschichte der Philosophie" ausdrücklich behauptet; nur daß sie nicht nach dem Bild bewußter Gedanken vorgestellt, sondern der Bewußtseinsform entkleidet und als etwas Triebhaftes gedacht werden müssen. Die Existenz gestaltender Typen, welche völlig reale Allgemeinheiten repräsentieren, sucht DÜHRING durch den Vergleich mit mathematischen Verhältnissen anschaulich zu machen.
    "Der Umstand", sagt er, "daß eine Ellipse mit sehr kleiner Exzentrizität für die sinnenmäßige Auffassung vom Kreis nicht zu unterscheiden ist, berechtigt keinen streng denkenden Mathematiker, den begrifflichen Sprung zu verkennen, der den völligen Wegfall vom Dasein einer, wenn auch noch so kleinen und nach Belieben unbeschränkt klein zu setzenden Exzentrizität trennt. Im einen Fall haben wir den Kreis, im anderen ein dem Begriff nach gänzlich verschiedenes Gebilde, nämlich die Ellipse mit ihren ungleichen Achsen. Ähnlich verhält es sich nun auch mit allen realen Gattungen in der Natur."
Der konsequente Nominalist befindet sich daher "auf einem ähnlichen Abweg" wie derjenige, welcher "z. B. Raum und Zeit oder die strengen geometrischen Begriffe von Punkt, Linie usw. zu bloßen Abstraktionen verflüchtigt."

In einem innigen Zusammenhang mit DÜHRINGs platonistischer Auffassung steht seine Ansicht von einer primären Differenz der einzelnen Naturkräfte. Denn obgleich er das Prinzip des "Leitfadens der Materialität" aufstellt, dem zufolge die Gesamtheit der Phänomene der materiellen und mechanischen Kausalität unterworfen ist, und das Universum als einen "Mechanismus" und ein System bezeichnet, "in dessen Geschichte im letzten Fundament nur die verschiedenen mechanischen Zustände der Materie in Frage kommen", so darf man doch nicht übersehen, daß hier der Begriff des Mechanischen stets in dem sehr allgemeinen Sinn raumzeitlicher, quantitativ bestimmbarer Verhältnisse oder Vorgänge genommen wird. Hingegen ist es in DÜHRINGs Naturphilosophie nicht gestattet,
    "den bestimmten Begriff der mechanischen Kraft mit den mannigfaltigen Spezialkräften zu verwechseln, wie man sie jeder Gattung von Erscheinungen unterlegen kann. Schließlich bleibt die mechanische Kraft das Fundament aller anderen Betätigungsformen, aber sie ist deswegen mit diesen Formen nicht identisch."
Notwendigerweise polemisiert daher der Philosoph gegen eine Auslegung oder Erweiterung des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft, welche, anstatt
    "sich bewußt zu werden, daß dieselbe Menge mechanischer Kraft, die in den Phänomenen wiedererscheint, keineswegs den weiteren vulgären Begriff der Kraft, nämlich nicht auch den der Ursache der Formen repräsentiert", vielmehr "die verschiedenen Naturkräfte in ihrer Spezialität verleugnet und sich einer haltungslosen, phantastischen Verwandlungsidee überliefert."
Der "Wirklichkeitsphilosophie" hat die
    "Einheit der Kraft oder, wie man stets ausdrücklich sagen sollte, der mechanischen Kraft für die Gesamtheit der Phänomene nicht mehr zu bedeuten, als die Einheit der Materie. So wenig die letztere die Verschiedenheit der Grundstoffe hindert, ebensowenig tut der Umstand, daß ein gewisses Maß mechanischer Arbeit in allen Tätigkeiten und Erscheinungen verbraucht wird, der spezifischen Natur der einzelnen Kräftegattungen und Schematismen Abbruch. Aus derselben Materie kann das Verschiedenste geformt werden, und das Gesetz der Erhaltung ihrer Menge steht der spezifischen Natur der höchsten Lebenserscheinungen nicht entgegen. Mit der mechanischen Kraft verhält es sich nun aber ähnlich; jede besondere Betätigung der Naturkräfte wird nur produziert, indem zugleich ein gewisses Quantum von Bewegungskraft ins Spiel kommt."
Wie die chemischen Elemente typische Differenzen innerhalb der beharrenden, ihrem Quantum nach unveränderlichen Materie darstellen, so tritt auch der konstante Vorrat mechanischer Kraft in verschiedenen typischen Formen zutage. Ein Unterschied ist hier nur insofern vorhanden, als jene Elemente selbst beharren, während die einzelnen Krafttypen sich ineinander umsetzen, ins Daseins treten und wieder verschwinden können. Indessen gibt DÜHRING die Möglichkeit zu,
    "die Welt der chemischen Differenzen auf eine Mannigfaltigkeit in den Gestaltungen der gleichartigen Materie und ihrer Zustände vermöge der ebenso gleichartigen mechanischen Kraft beschränkt" und "die Formverwandlungen in der Stufenleiter physikalischer Kräfte bei der Differenzierung der chemischen Elemente beseitigt zu denken."
Danach würde allerdings auch jener Unterschied wegfallen. Weil jedoch bis jetzt "kein tatsächlicher Erfahrungsgrund" vorliegt,
    "an der absoluten Ursprünglichkeit und ewigen Unveränderlichkeit der qualitativ verschiedenen Atome zu zweifeln",
muß dieselbe als ein Grundgesetz des Universums betrachtet und müssen außer den "Arten, die am Fluß der Veränderungen teilhaben", auch "ruhende Allgemeinheiten" oder "absolut beharrliche Gattungen angenommen werden.

Es erscheint bedeutungsvoll, daß DÜHRING die organische Transmutationslehre in der heutigen Gestalt des Darwinismus heftig bekämpft, während er sich zu Entwicklungsvorstellungen überhaupt keineswegs feindlich verhält und den Grundzügen der Theorie LAMARCKs sogar seine volle Anerkennung zollt. Denn obgleich dieses Verhalten wesentlich durch moralische Rücksichten bestimmt sein dürfte, und einer Philosophie, die sich nicht weniger die Vertretung humanitärer Prinzipien als ein verstandesmäßiges Erfassen der Wirklichkeit zum Ziel setzt, vor allem die sittlich bedenklichen praktischen Konsequenzen, welche man, übrigens ohne Berechtigung, zuweilen aus DARWINs Lehre vom Kampf ums Dasein gezogen hat, Anstoß erregen müssen, so läßt sich doch nicht verkennen, daß im Gepräge der rein naturwissenschaftlichen Theorie selbst ein DÜHRINGs Auffassung widerstreitendes Moment enthalten ist. Es ist in letzter Instanz das Ignorieren, die tatsächlich durchgeführte Leugnung der "realen Gattungen", welche den Darwinismus im Sinne einer "Wirklichkeitsphilosophie" zu einer Abirrung vom Weg der exakten Wissenschaft und zu einer "nebelhaften Verwandlungsidee" macht. Nicht, als ob DÜHRING, gleich den Artdogmatikern gewöhnlichen Schlages, in den Spezies oder in den höheren Gruppen des botanischen und zoologischen Systems wirkliche Einheiten erblicken würde - eine so naive, unkritische Betrachtungsweise liegt der Weltanschauung dieses genialen Denkers gänzlich fern -: aber er vermißt in DARWINs Konstruktion der organischen Reiche die "typischen und gestaltenden Elemente", durch deren Enthüllung erst die wahre Einsicht in den Bildungs- und Entwicklungsprozeß gewonnen werden soll. Er bemerkt,
    "daß da, wo der Begriff einer Umänderung platzgreifen soll, außer der Identität auch die Differenz festgestellt und in den einzelnen Elementen nachgewiesen werden muß. Mag man es mit den sogenannten Umwandlungen der mechanischen Formen oder mit den Abänderungen pflanzlicher und tierischer Gebilde zu tun haben, so wird man sich in jedem Fall vor wüsten Metamorphosen-Konzeptionen wie vor einer wissenschaftlichen Pest hüten müssen."
Erst durch das Aufzeigen der neuen Elemente, auf deren Hervortreten jede Entwicklung beruth, erhält die Umwandlungsidee einen bestimmten Sinn und entgeht der Gefahr, "die reinen Gattungen durcheinanderzumengen".

Wie die typischen Ursachen in der anorganischen Welt die Verschiedenheit der Phänomene, in der organischen die Mannigfaltigkeit der Gestalten hervorbringen, so verdankt ihnen auch die Animalität, die Innerlichkeit des Empfindens ihre Entstehung, und, da auf dieser aller Wert des Daseins beruth, sind sie es, welche der ganzen, ursprünglich zwecklosen Welt erst Sinn und Zweck zu geben vermochten. Mittels der "inneren, realen Veränderungsprinzipien" setzt sich nämlich die Wirklichkeitsphilosophie über die von ihr anerkannte begriffliche Kluft hinweg, welche zwischen den äußerlichen Phänomenen der Materie und den hiermit ganz inkommensurablen [unvergleichbaren - wp] Bewußtseinserscheinungen besteht, und stößt sich nicht daran, "Leben und Empfindung" als "Kombinationen der allgemeinen Naturkräfte" zu betrachten, obgleich sie die "spezifische Artung" dieser Kombinationen nicht außer Acht läßt. Ein qualitativer Sprung wird ja auch sonst überall vollzogen, wo eine neue Gattung in der Entwicklung des Naturdaseins hervortritt.

Es steht außer Frage, daß der Realismus von DÜHRINGs "Wirklichkeitsphilosophie" ungleich tiefer gründet als die vulgären Ideen- und Zweckkonzeptionen, und daß die philosophische Wissenschaft, welche über diese ohne Weiteres zur Tagesordnung übergehen kann, sich mit ihm ernsthaft wird auseinanderzusetzen haben. Wenn die "Philosophie des Unbewußten" an eine Auffassung biologischer Phänomene anknüpft, welche in der Tat schon als überwunden und der Vergangenheit angehörig zu betrachten ist, so stimmt hingegen die Voraussetzung der platonistischen Lehre DÜHRINGs vollkommen mit einer von vielen ausgezeichneten Physikern, Chemikern und Biologen der Gegenwart geteilten Ansicht über das Wesen der Naturkräfte überein, wonach dieselben als schlechthin gegebene, unableitbare Typen erscheinen, auf welche alle Veränderung in der Welt zurückgeführt werden muß, während sie sich selbst auf keine weitere Ursache zurückführen lassen, somit jene Inkausabilien [Zusammenhangslosigkeiten - wp] darstellen, von welchen BACO gesprochen hat. Dieser Annahme einer mehrfach spezifizierten Kausalität steht die Hypothese entgegen, daß die einzelnen Krafttypen nicht letzte Erklärungsgründe, sondern selbst aus mechanischen Voraussetzungen zu begreifende Tätigkeitsformen der Materie und ihre Manifestationen nur Spezialfälle der allgemeinen mechanischen Kausalität sind. Die letztere Ansicht kann aber den spezifischen Charakter der einzelnen Kraftmechanismen so wenig leugnen, wie die erstere der Erwägung fernzubleiben imstande ist, daß jene ursachlosen Krafttypen durch bestimmte materielle Ursachen in Erscheinung zu treten und sich zu äußern veranlaßt werden. Der Unterschied beider Auffassungen beruth also in letzter Instanz nur darauf, daß die eine jede weitere Erklärung der Wirkungsformen für unmöglich, die andere hingegen eine mechanische Begründung derselben für möglich und notwendig hält, womit, wie sich leicht zeigen läßt, auch noch zusammenhängt, daß diese den Begriff der latenten Kraft oder potentiellen Energie als einen metaphysischen und nicht bloßen Hilfsbegriff aufgibt, indessen jene daran festhält. DÜHRING hat nun die Theorie selbständiger Krafttypen akzeptiert und dieselbe zu einem unzweideutigen Realismus durch die Folgerung umgebildet, daß die spezifischen Differenzen, welche das natürliche Geschehen aufweist, in Elementen der Gestaltung und Veränderung von einem universellen, über das Einzelphänomen übergreifenden Charakter begründet sind.
    "Das Allgemeine kann äußerlich als ein Gemeinschaftliches vorgestellt werden, welches sich in einer Mannigfaltigkeit von Besonderheiten wiederholt. Innerlich und tiefer wird es aber gedacht, wenn man es als ein schaffendes Element begreift, welches den verschiedenen Gestaltungen bildend zugrunde liegt."
Die Basis, worauf sich DÜHRINGs Realismus stützt, ist das Spezifikationsgesetz. Es drängt deshalb vor allem das Problem zur Lösung, wieweit sich die Gültigkeit dieses Gesetzes erstreckt und ob es in der Tat in einem notwendigen Zusammenhang steht mit der realistischen Auffassungsweise. Daß die Spezifikation wirklich existiert, kann kaum einem Zweifel unterworfen werden: denn wollte man selbst im Sinne jenes Idealismus, den die moderne Naturwissenschaft längst zur Explosion gebracht hat, das Subjekt von der Natur loslösen und die objektive Bedeutung der die Außenwelt vergegenständlichenden Vorstellungsgebilde bestreiten, so würde man doch auch in diesem Fall noch im Rahmen des Bewußtseins überal die Gattungsgruppierungen vor Augen haben. Ist nicht schon die Sinnlichkeit so scharf spezifiziert, daß über die Anordnung der in ihr Gebiet fallenden Bewußtseinszustände niemals ein Streit oder eine Uneinigkeit aufkommen kann? Sind die durch das Auge vermittelten Sensationen nicht von den Tonempfindungen, diese von den Geruchs- und Geschmacksempfindungen spezifisch verschieden, während die Perzeptionen jeder dieser Gruppen unter sich in einem solchen Maß übereinstimmen, daß kein Mensch je an ihrer Gleichartigkeit gezweifelt hat? Gibt die Ausdehnung im Raum, die allen unseren Anschauungen äußerer Dinge als wesentliches Merkmal anhaftet, denselben nicht ein durchaus eigentümliches Gepräge, welches sie ohne weiteres von den Wahrnehmungen innerer Seelenzustände unterscheidet und als eine zusammengehörige, bestimmt abgegrenzte Gruppe erscheinen läßt? Und nun auf die Verhältnisse im Raum selbst bezüglichen Vorstellungen! Würde, falls diese nur ein Chaos von Ähnlichkeiten und Unterschieden, ein wirres, wüstes Durcheinander ohne Spezifikation, ohne das Hervortreten und die Abhebung gleichartiger Gebilde darböten, - würde dann wohl die strenge Wissenschaft der Geometrie denkbar sein, in deren Objekten zwar Begriffsschöpfungen, aber nicht beliebige Abstraktionen, sondern tief in der Natur unserer Anschauung begründete Gattungen erkannt werden müssen? Wer sollte die Linie mit der Fläche, die Fläche mit dem Körper, ein- mit zwei-, zwei- mit dreidimensionalen Raumesformeln verwechseln können? - Die Spezifikation leugnen hieße in Wahrheit die Grundlagen des eigenen Bewußtseins verkennen. - Das menschliche Bewußtsein aber steht nicht außerhalb der Natur als ein fremdes und ihren Gesetzen enthobenes Geisterwesen; ein Erzeugnis desselben schaffenden Grundes, der sich im Bewußtsein, seinem Produkt, als Materie spiegelt, ist es auch von denselben Gesetzen beherrscht, welche im kosmischen Ganzen die Gestaltung der Phänomene bestimmen, und wiewohl es nicht zulässig erscheint, alle Eigentümlichkeiten, welche das der Komplikation mannigfacher Faktoren entsprungene Geistesleben bietet, auf den Grund der physischen Prozesse zu übertragen, muß doch jegliches Geschehen diesseits der Grenzen des Intellekts als ein im Bereich der Natur mögliches und wirkliches Geschehen betrachtet werden. Daraus würde dann folgen, daß die Spezifikation zumindest in einer Sphäre des allumfassenden Naturdaseins, im Psychischen, unleugbar wirklich vorhanden ist. Hierbei kann man sich jedoch nicht beruhigen. Die Frage, ob die Gattungen, welche der erkennende Verstand in der Natur unterscheidet, bloß willkürliche Abstraktionen und Komplexionen, vielleicht auch durch das, wie eben gezeigt, spezifizierte Erkenntnisvermögen bedingte Auffassungsschematismen sind, oder ob diesen Distinktionen [Bestimmungen - wp] außerhalb des Intellekts wirklich Gruppen unter sich homogener, von den übrigen scharf verschiedener Dinge und Vorgänge entsprechen, läßt sich durch alles Predigen der Idealisten von der Unerkennbarkeit, wenn nicht Unwirklichkeit des Dings-ansich nicht abweisen und nicht zurückdrängen. Nur ein sich für kritisch ausgebender, tatsächlich jedoch in den Anfängen der Kritik stecken gebliebener Subjektivismus wird diese Frage beiseite schieben oder in einem anderen als dem von DÜHRING festgehaltenen Sinn beantworten wollen, wonach die Verfassung der Dinge der realen Welt selber eine systematische und das System, welches auf der Spezifikation als auf seiner unwandelbaren Grundlage beruth, die "Universalgestalt des manngifaltig verzweigten Seins" ist. Jeder Zweifel an der transzendenten Realität des Spezifikationsgesetzes wäre einer Verzweiflung am Wissen und an der auch nur approximativen Erkenntnis der Welt gleichbedeutend.

Nun kommt aber die andere Seite des Problems zur Erwägung, nämlich, ob ein notwendiger, innerer Zusammenhang zwischen der Annahme eines in der Natur ausgedrückten Spezifikationsgesetzes und der realistischen Vorstellungsweise besteht, wie solche die typischen Kräfte DÜHRINGs nicht weniger als die überweltlichen Ideen PLATONs und die weltschaffenden Begriffe HEGELs repräsentieren. Es ist sonnenklar, daß die Spezifikation nichts weiter als eine gewisse Verteilung von Übereinstimmungen auf verschiedene Einzelphänomene bedeutet, welche für den Verstand die Sonderung derselben in wohlgetrennte Gattungen oder Arten möglich macht, daß in der Tatsache einer derartigen Übereinstimmung selbst jedoch noch durchaus keine Voraussetzung irgendeiner sie erzeugenden Potenz, irgendeines metaphysischen Grundes derselben liegt. Die Sinneswahrnehmung, der einzige unmittelbare Quell unseres Wissens von den Gegenständen der >Außenwelt, welche bekanntlich in ihr allein gegeben werden oder vielmehr in ihr sich selbst offenbaren, sagt uns nichts vom Grund einer solchen Übereinstimmung; sie liefert nur die Anschauung der individuellen Phänomene, die nach Gesichtspunkten der Gleichartigkeit oder Verschiedenheit zu ordnen, Geschäft des Verstandes ist. Bietet sich nun vielleicht dem Verstand ein Mittel dar, die Sinneserfahrung überschreitend, zur Auffassung des Grundes der von ihm erkannten Übereinstimmungen zu gelangen? Wenn es sich herausstellt, daß zwei gleiche, richtiger: gleichartige Erscheinungen, die zu verschiedener Zeit und an verschiedenen Orten hervortreten, die Wirkungen gleicher Verhältnisse sind, die am einen wie am andern Ort, in dem einen wie in dem andern Zeitmoment obwalteten, wenn also das Kausalitätsgesetz bei der Erklärung einer Gleichartigkeit von Wesen oder Geschehnissen in Anwendung kommt, scheint uns der logische Zusammenhang der physisch unzusammenhängenden Phänomene zur Genüge erhellt zu sein. Ein tieferes Eingehen zeigt jedoch, daß die kausale Verknüpfung, d. h. die gesetzmäßige Sukzession von Erscheinungen eines bestimmten Gepräges aufeinander selbst ein Rätsel birgt, ohne dessen Lösung auch das Problem der Übereinstimmung niemals als wahrhaft gelöst gelten kann, ja gerade dessen schwierigste Seite völlig im Dunkeln bleibt; davon abgesehen, daß mit der Herleitung gleichartiger Wirkungen aus der Gleichartigkeit der Ursachen die Frage, um die es sich handelt, offenbar nicht beantwortet, sondern nur zurückgeschoben wird. Nicht die ruhende Übereinstimmung, die Kongruenz des materiell getrennten und geschiedenen, keinerlei physische Einheit repräsentierenden Seins, auch wenn sich dieselbe im Sinne der strengsten Spezifikation gestaltet, begründet nämlich eine so erhebliche Schwierigkeit wie die Kongruenz des Geschehens, die im Begriff der Kausalität als der Gesetzmäßigkeit der Aufeinanderfolge stillschweigend enthalten ist. Mag man immerhin das Moment der wesentlichen Identität des Vorgangs in allen kausalen Verknüpfungen als deren unerläßliches Kriterum postulieren, eine Heterogenität von Ursache und Wirkung, wie sie etwa in der Hervorbringung des Bewußtseins durch mechanische Prozesse bestehen würde, als undenkbar zurückweisen, man wird doch die Kluft, welche die Wirkung von ihrer Ursache scheidet, nie ganz ausfüllen, den Unterschied, welcher hier zutage tritt, nie ganz verwirklichen können. So viel ist gewiß, daß auch schon auf unteren Stufen der Kausalität zwei ursächlich verknüpfte Erscheinungen nicht schlechterdings ein und dasselbe Phänomen sind. Nun besagt jedoch eben der Ausdruck Kausalnexus die Notwendigkeit und Allgemeinheit einer solchen Verknüpfung, ihr Vorhandensein zu jeder Zeit und an jedem Ort, so daß, wenn irgendein auf der Erde beobachtetes Ereignis als die Ursache eines anderen erkannt worden ist, dieses sich auch auf dem äußersten Fixstern abspielen muß, sobald jenes erste daselbst eingetreten ist. Die Kausalität stellt demnach selbst die merkwürdigste Form von Übereinstimmung dar, indem auf ihr alle Gleichartigkeit des Geschehens beruth, welche sich nicht, wie die Gleichartigkeit des Seins in verschiedenen Dingen, auf eine einzige, sondern auf mindestens zwei, unter Umständen aber wohl auch zahlreiche Gruppen oder Reihen von Erscheinungen bezieht. Jedes Glied der Kette nämlich, welche die spezifisch gleichen Phänomene aneinanderreiht, ist hier zumindest aus zwei unter sich mehr oder weniger verschiedenen Gliedern zusammengesetzt; es würde, vermöge der Kontinuität des Kausalzusammenhanges, unabsehbar viele solcher Glieder zählen, wenn nicht von außen her die Übereinstimmung im Ablauf der Erscheinungen meist schon nach einer sehr kurzen Dauer wieder gestört würde. Gibt es nun für diese Homogenität oder, wenn man will, logische Identität mannigfacher, real verschiedener Vorgänge eine Erklärung, und zwar eine Erklärung, die nicht mit idealistischer Willkür die Unterschiede in Raum und Zeit für einen bloßen Sinnenschein ausgibt, so daß, nachdem der Schleier der Maja gefallen, das begrifflich Gleiche auch als wirkliches Eins dasteht; sondern die Übereinstimmung begreiflich macht, ohne daß die Vielheit und Verschiedenheit darüber verloren geht? DÜHRINGs "Wirklichkeitsphilosophie" setzt hier mit ihren "typischen Prinzipien", den "typischen und gestaltenden Elementen" ein; aber es liegt auf der Hand, daß, wenn diese Prinzipien nicht bloß einen metaphorischen Ausdruck für den wirklichen Sachverhalt bedeuten sollen, wenn sie als reale, schöpferische Mächte vorgestellt werden, wobei in diesem Fall allein eine Erklärung der Tatsachen geboten würde, sie den Charakter allgemeiner und darum im Hinblick auf die Einzelphänomene jenseitiger Potenzen an sich tragen müssen, der sich mit den Grundsätzen einer wahren "Wirklichkeitsphilosophie" schlecht zusammenreimen läßt. Vor einer schärferen Kritik erweisen sich diese typischen Kräfte in der Tat als transzendente Erdichtungen, deren Aufzeigung in der Wirklichkeit niemals gelingen könnte. Jedem darauf abzielenden Versuch müßte schon deshalb die Erfolglosigkeit prophezeit werden, weil die Dinge selbst stets nur in der Einzelheit gegeben sind, das wirkliche Allgemeine, insofern es nicht lediglich als gemeinsames Merkmal vorgestellt wird, somit ein gänzlich subjektives Gebilde, ein ausschließliches Produkt des Intellekts bezeichnet.

Wie soll aber die Übereinstimmung anders erklärt und begründet werden als durch eine Einheit, welche den gleichartigen Phänomenen untergelegt wird, sei es nun, daß die Vielheit der Erscheinungen in derselben zugrunde geht, sei, daß sie erhalten bleibt neben der in diesem Fall als eigentliches Allgemeines erscheinenden Einheit? Mit der gleichzeitigen Abweisung des SCHOPENHAUERschen Idealismus und DÜHRINGs Platonismus - die Hypothese einer obersten Intelligenz, in welcher die Ideen der Dinge vorgedacht sind, ist so plump anthropomorphistisch [menschenbezogen - wp], daß sie, gleich der Begriffslehre HEGELs, kaum eine ernsthafte Berücksichtigung finden kann - wird das Problem, wie es zuvor formuliert wurde, notwendigerweise für unlösbar erklärt oder wird vielmehr geleugnet, daß für den seine Kräfte richtig bemessenden Verstand überhaupt noch ein Problem vorliegt. Der Intellekt befindet sich hier vor einer jener letzten Tatsachen der Wirklichkeit, angesichts deren er auf die Befriedigung seines Kausalitätsbedürfnisses zu verzichten hat, wenn er nicht Gefahr laufen will, Hirngespinste zu erzeugen, die, anstatt ihm nützlich zu sein, seine freie Bewegung hemmen und nur allzuleicht offenkundige Irrtümer im Gefolge haben. Die Frage nach dem Grund der Übereinstimmung, d. h. der allgemeinsten Form des Seins ist ebenso müßig wie die Frage nach dem Grund des Seins selbst. Der Realismus, welcher sie zu lösen vermeint, kann den Vorwurf einer metaphysischen Velleität [kraftloses Wollen - wp] nicht von sich abwälzen, weil er Erzeugnisse des Denkens auf die objektive Welt überträgt, wo sie doch, nach den gesetzlichen Beziehungen zwischen der Welt und dem erkennenden Subjekt, diesem letzteren nie und nimmer Gegenstand werden können. Es mag dahin gestellt bleiben, ob es angeht, das Wirkliche mit PLANCK als "reinen quantitative Unterschied" zu definieren, - nicht nur scheint jede Reduktion der Wirklichkeit auf abstrakte Bestimmungen an und für sich ein Widerspruch, sondern dürfte auch wohl in PLANCKs Definition eine Eigentümlichkeit der bewußten Anschauung fälschlich zum Wesen der Realität erhoben worden sein -; hingegen die negative Festsetzung, daß die Einheitsform des Begriffs nur dem Intellekt eignet, ist für eine kritische Erkenntnistheorie sicherlich über jeden Zweifel erhaben. Daß DÜHRING dies verkennt, macht den Grundfehler seines im Übrigen dem Stand der positiven Wissenschaften besser als fast sämtliche Versuche älterer und neuerer Zeit entsprechenden philosophischen Systems aus. Die Annahme gestaltender und schöpferischer Allgemeinheiten trägt Schuld an seinem Versuch einer Restauration des alten, abgelebten Zweckbegriffs in allerdings wesentlich modifizierterer Gestalt, - ein Versuch, der natürlich ebenso verunglücken mußte, wie sie Polemik gegen den Darwinismus oder seine Bekämpfung der lichtvollen Willenstheorie von LUDWIG FEUERBACH, wozu ihn derselbe realistische Grundirrtum verleitete.

Die nominalistische Anschauungsweise ist ein wesentlicher Bestandteil der "Wirklichkeitsphilosophie" der Zukunft, deren allgemeinste Grundsätze FEUERBACH schon im Jahr 1843 aussprach; diese Anschauungsweise entspricht auch der tiefer aufgefaßten Lehre KANTs, die großenteils Anspruch auf einen bleibenden, unvergänglichen Wert hat und welche vorläufig jede nicht dichterische, sondern wissenschaftliche Philosophie zur ihrem Ausgangspunkt wird nehmen müssen; die Methode des Nominalismus ist selbst in jenem Bereich der Naturforschung, wo sie lange Zeit verpönt war, neuerdings zur ausschließlichen Geltung gekommen, und in der Psychologie haben ihr die Forscher gehuldigt, welche für diese Wissenschaft, zu der erst vereinzelte Grundsteine gelegt sind, überhaupt einiges Ersprießliche leisteten. Der Realismus hingegen eilt raschen Schrittes seinem völligen Untergang zu. Wenige denkende Köpfe zweifeln im gegenwärtigen Augenblick noch an der Willkürlichkeit des hegelschen Verfahrens; die Behauptungen der theologischen Metaphysik sind als Fiktionen erkannt, die in einem ganz anderen Gebiet als in demjenigen des unbefangenen Denkens wurzeln, und Unternehmungen zur Wiederbelebung der realistischen Vorstellungsart, wie solche etwa von der "Philosophie des Unbewußten" ausgegangen, können nur mit dem Geist der positiven Wissenschaften gänzlich unbekannte Dilettanten verwirren. Aber auch in der Gestalt von typischen Prinzipien, welche nicht übermütig die Naturgesetze durchbrechen, um allerlei, von bewußten oder "unbewußten" Zauberwesen gesetzten Zweck zu realisieren, sondern im Gegenteil gerade als die Gesetzmäßigkeit der Phänomene begründende Mächte auftreten, erscheinen die platonischen Ideen unhaltbar. Wohl läßt sich nicht leugnen, daß das Naturdasein allenthalben spezifiziert ist, d. h. daß mit großer Deutlichkeit Gattungen in demselben hervortreten; aber es heißt den festen Boden der Erkenntnis verlassen und in die Nebelregionen der Transzendenz hinüberschweifen, wenn man diesen Gattungen gestaltende Typen zugrundelegen, die Spezifikation durch bildnerische Allgemeinheiten erklären will. Der Ursachen suchende Verstand muß hier vor der Wirklichkeit Halt machen. Alles Forschen nach einem Grund des realen Verhältnisses ist vergebliche Mühe und scheitert an den festen, unübersteigbaren Grenzen der menschlichen Erkenntnis.
LITERATUR - Hugo Spitzer, Nominalismus und Realismus in der neuesten deutschen Philosophie mit Berücksichtigung ihres Verhältnisses zur modernen Naturwissenschaft, Leipzig 1876