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Nominalismus und Realismus [3/3]
Dieser Zusammenhang der Ideenlehre mit der Zweckvorstellung ist, wie schon gesagt, ein ganz naturgemäßer, und es würde in der Tat die realistische Anschauungsweise durch nichts glänzender zum Sieg gebracht, als wenn es gelänge, die Realität objektiver, keinem animalischen Bewußtsein entstammter Zwecke darzutun; andererseits aber läßt sich wohl begreifen, wie gerade dieser Zusammenhang hauptsächlich Schuld trägt, daß die exakte Wissenschaft so wenig mit der "Philosophie des Unbewußten", dem modernen Steckenpferd schöngeistiger Literaten, sich zu befreunden vermochte. Denn die Abneigung der Naturwissenschaft gegen Zweckvorstellungen jeglicher Art ist eine so gründliche, daß es förmlich Verwunderung erregt, wenn heutzutage ein bedeutender Forscher für Zweckmäßigkeit, "Zielstrebigkeit" und dgl. eine Lanze bricht; weshalb eine in teleologischen Voraussetzungen gründende Ansicht von vornherein auf eine Anerkennung von Seiten der positiven Wissenschaft zu verzichten hat. In der "Philosophie des Unbewußten" aber tritt die Teleologie in so krasser Gestalt auf, wie in keinem der berühmt gewordenen philosophischen Systeme des Jahrhunderts, als deren Vollendung und Synthese sie sich ausgibt. Insofern dürfte also LANGEs Behauptung, daß dieses moderne System sich zu den positiven Wissenschaften in einen schrofferen Gegensatz stellt als irgendeines der früheren und die Fehler eines SCHELLING und HEGEL in weit gröberer und handgreiflicherer Form wiederholt, kaum anzufechten sein. Denn in der Tat: wenn HEGELs Ansicht der individuellen Deutung und Auslegung einen so großen Spielraum läßt, daß ein berühmter Physiologe die Eliminierung des Zweckbegriffs aus der Naturerklärung geradezu HEGEL als dessen ausschließliches Verdienst anrechnen konnte, so wäre es dagegen ganz unmöglich, den teleologischen Grundzug der "Philosophie des Unbewußten" zu verkennen und ihre Übereinstimmung mit der mechanistischen Denkweise der Naturwissenschaft darzutung. Der "Philosophie des Unbewußten" konnte daher nichts verderblicher sein, als das Erstarken von DARWINs Grundsätzen. Daß sie über die Gefahr, welche ihr von dieser Seite her droht, selbst durchaus nicht im Unklaren blieb, zeigt die Äußerung von HARTMANNs:
Es kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen, daß heute nicht bloß die "Philosophie des Unbewußten", sondern aller Realismus im Widerspruch mit den tatsächlichen Fortschritten des Naturerkennens steht. Die realistische Ansicht konnte sich solange auf die Biologie berufen, als das Spezies-Dogma von der überwiegenden Mehrzahl der Forscher geglaubt wurde; die Art, welche in sich abgeschlossen und ohne genealogische Beziehungen nach dastand, durfte mit umso größerer Berechtigung als die Realisation einer Idee angesehen werden, da die Schwierigkeit, die organischen Formen autogonisch [von selbst erzeugt - wp], durch eine generatio aequivoca, aus anorganischer Materie entstehen zu lassen, so erheblich war, daß naturalistische Philosophen, wie CZOLBE, zu der allen Tatsachen ins Gesicht schlagenden Hypothese des ewigen Bestandes der einzelnen Arten ihre Zuflucht nahmen, um der Annahme von Ideen oder Typen der Gattung zu entgehen, welche nach CZOLBEs Worten allein
Daß insbesondere durch den Darwinismus die nominalistische Auffassung siegreich werden muß, hat schon der ausgezeichnete Botaniker SCHLEIDEN, bekannt auch als Anhänger der FRIES'schen Philosophie, in einem Vortrag über "Die Entstehung der Arten" hervorgehoben, worin der die Hoffnung aussprach, daß die neueren naturwissenschaftlichen Forschungen uns von dem letzten Überbleibsel des Realismus befreien werden, d. h. von der Spezieslehre, in welcher seiner Meinung zufolge auch noch KANT, FRIES und APELT befangen waren. Selbst diese Denker hätten nämlich noch das Vorurteil festgehalten, daß die Unwesenhaftigkeit des Begriffs, die sie auf allen Gebieten (?) behaupteten, doch nicht in der Natur (?) stattfindet, daß hier vielmehr dem Artbegriff eine objektive, reale Bedeutung zukommt; sie hätten im Gesetz der Spezifikation ein "halb metaphysisches Naturgesetz" zu konstruieren versucht, wonach den Begriffen außerhalb der "subjektiven, veränderlichen Auffassung" etwas "Feststehendes und real Vorhandenes" entspricht. So würde dann auch die FRIES'sche Ansicht dem in der modernen Wissenschaft durchgeführten Nominalismus widerstreiten. Indessen scheint es, als ob hierin dem trefflichen Verfasser der "Neuen Kritik der Vernunft" und der "mathematischen Naturphilosophie", dessen exakte Denkhaltung inmitten der romantischen Spekulation seines Zeitalters überhaupt nicht wenig gerühmt werden muß, von Seiten seines Jüngers ein hartes Unrecht zugefügt worden ist. Es möge vorläufig unerörter bleiben, ob und inwieweit die Annahme eines in der Natur zum Ausdruck kommenden Gesetzes der Spezifikation eine eigentlich realistische Auffassung bedingt; nur FRIES' Meinung über die Bedeutung dieses Gesetzes selbst mag hier zu Worte kommen und damit zugleich die Stellung des wohl mindestens ebenso viel Beachtung wie die SCHELLING und HEGEL verdienenden Denkers zur Nominalismus- und Realismusfrage in Kürze gekennzeichnet werden. Daß FRIES die Spezifikation als ein objektives Naturgesetz im Sinne einer durchgängigen Bestimmung des Einzelnen durch allgemeine Ideen oder Typen vorstellt, ist entschieden unrichtig; er erklärt nicht allein ausdrücklich, daß wir die Gesetze der Homogenität, Spezifikation und Stetigkeit der Formen
Wie nun aber, wenn der Verstand seine Gesetze nicht der Natur vorschreibt, sondern sie aus dieser schöpft, indem er selbst nichts weiter als ein Stück Natur ist; wenn die Verstandesformen mit den Formen des universellen, kosmischen Geschehens kongruieren und sich vor diesen nur durch den Hinzutritt einer bewußten Innerlichkeit auszeichnen; wenn also die mathematischen Gesetze, welchen "die Natur unterworfen ist", wirkliche objektive Weltgesetze darstellen? - Dann wird das Gesetz der Spezifikation offenbar über die bloß subjektive Gültigkeit erhoben werden und absolut-reale Bedeutung erlangen müssen. So verhält es sich dann auch wirklich in einer der allerneuesten Zeit angehörenden Philosophie, welche mit Heftigkeit gegen den Kritizismus Front macht und, soeben in einem geschlossenen System hervortretend, auf den Charakter einer streng wissenschaftlichen Weltanschauung Anspruch erhebt - in der Wirklichkeitsphilosophie DÜHRINGs. Dieselbe hat bei unverkennbarer Anlehnung an die Lehre COMTEs eine originale Bedeutung; denn die philosophie positive hat hier nicht allein jene Kruditäten [Derbheiten - wp] und Schrullen abgestreift, welche ihr in der französischen Gestalt noch anhafteten; sie hat sich auch in einer dem höheren philosophischen Genie Deutschlands entsprechenden Weise vertieft und überdies durch die Aufnahme gewisser Bestandteile des SCHOPENHAUERschen Gedankenkreises, sowie durch völlig neue Konzeptionen eine eigenartige Umgestaltung erlitten, unter deren bewegende Faktoren auch ein tiefgehender, auf mathematische Analogien sich stützender Platonismus zu rechnen ist. Obgleich diese Wirklichkeitsphilosophie von ihrem Urheber selbst als konsequentes System des Materialismus betrachtet wird, obgleich sie den "Träger aller Wirklichkeit", das selbstgenügsame, allumfassende, nichts außer und über sich habende Sein in der Materie erkennt, obgleich sie die "materielle und mechanische Brücke" als "das einzige Kriterium der wirklichen Kausalität" auch auf psychischen Gebiet geltend macht und selbst "die Antriebe, vermöge deren das Licht des Bewußtseins aufblitzt", für "Teile einer universellen Mechanik" erklärt, ist sie doch weit entfernt von der streng nominalistischen Ansicht, in welcher der Materialismus sich vollenden zu müssen scheint. Sie steht einerseits in einem schroffen Gegensatz zur Philosophie SCHOPENHAUERs, deren "vermeintlich und scheinbar kritische" Grundlage sie als Traumidealismus verurteilt, andererseits jedoch berührt sie sich in so vielen wesentlichen Punkten mit derselben, daß man sie großenteils daraus ableiten könnte, wenn man die Erkenntnisprinzipien, welche bei SCHOPENHAUER lediglich subjektive Geltung haben, objektiv, d. h. als Gesetze des Seins, nicht nur des Bewußtseins nehmen und, was dort bloße Auffassungsformen sind, in Existenzformen verwandeln würde. Jener Naturalismus, welcher nach SCHOPENHAUER eine Berechtigung hätte, wenn die Welt unserer Vorstellung mehr wäre als ein Hirngespinst, bezeichnet im Wesentlichen den Standpunkt DÜHRINGs. Die Auffassung der allgemeinen Weltschematik teilt die "Wirklichkeitsphilosophie" mit dem französischen Positivismus, indem si alle höheren Kombinationen sich in der Weise gestalten läßt, daß die neuen Bildungen "die alten Grundformen einschließen", und jede Entwicklungsstufe des Seins die vorhergehende gewissermaßen in reicherer und bestimmterer Ausführung enthält. So
In einem innigen Zusammenhang mit DÜHRINGs platonistischer Auffassung steht seine Ansicht von einer primären Differenz der einzelnen Naturkräfte. Denn obgleich er das Prinzip des "Leitfadens der Materialität" aufstellt, dem zufolge die Gesamtheit der Phänomene der materiellen und mechanischen Kausalität unterworfen ist, und das Universum als einen "Mechanismus" und ein System bezeichnet, "in dessen Geschichte im letzten Fundament nur die verschiedenen mechanischen Zustände der Materie in Frage kommen", so darf man doch nicht übersehen, daß hier der Begriff des Mechanischen stets in dem sehr allgemeinen Sinn raumzeitlicher, quantitativ bestimmbarer Verhältnisse oder Vorgänge genommen wird. Hingegen ist es in DÜHRINGs Naturphilosophie nicht gestattet,
Es erscheint bedeutungsvoll, daß DÜHRING die organische Transmutationslehre in der heutigen Gestalt des Darwinismus heftig bekämpft, während er sich zu Entwicklungsvorstellungen überhaupt keineswegs feindlich verhält und den Grundzügen der Theorie LAMARCKs sogar seine volle Anerkennung zollt. Denn obgleich dieses Verhalten wesentlich durch moralische Rücksichten bestimmt sein dürfte, und einer Philosophie, die sich nicht weniger die Vertretung humanitärer Prinzipien als ein verstandesmäßiges Erfassen der Wirklichkeit zum Ziel setzt, vor allem die sittlich bedenklichen praktischen Konsequenzen, welche man, übrigens ohne Berechtigung, zuweilen aus DARWINs Lehre vom Kampf ums Dasein gezogen hat, Anstoß erregen müssen, so läßt sich doch nicht verkennen, daß im Gepräge der rein naturwissenschaftlichen Theorie selbst ein DÜHRINGs Auffassung widerstreitendes Moment enthalten ist. Es ist in letzter Instanz das Ignorieren, die tatsächlich durchgeführte Leugnung der "realen Gattungen", welche den Darwinismus im Sinne einer "Wirklichkeitsphilosophie" zu einer Abirrung vom Weg der exakten Wissenschaft und zu einer "nebelhaften Verwandlungsidee" macht. Nicht, als ob DÜHRING, gleich den Artdogmatikern gewöhnlichen Schlages, in den Spezies oder in den höheren Gruppen des botanischen und zoologischen Systems wirkliche Einheiten erblicken würde - eine so naive, unkritische Betrachtungsweise liegt der Weltanschauung dieses genialen Denkers gänzlich fern -: aber er vermißt in DARWINs Konstruktion der organischen Reiche die "typischen und gestaltenden Elemente", durch deren Enthüllung erst die wahre Einsicht in den Bildungs- und Entwicklungsprozeß gewonnen werden soll. Er bemerkt,
Wie die typischen Ursachen in der anorganischen Welt die Verschiedenheit der Phänomene, in der organischen die Mannigfaltigkeit der Gestalten hervorbringen, so verdankt ihnen auch die Animalität, die Innerlichkeit des Empfindens ihre Entstehung, und, da auf dieser aller Wert des Daseins beruth, sind sie es, welche der ganzen, ursprünglich zwecklosen Welt erst Sinn und Zweck zu geben vermochten. Mittels der "inneren, realen Veränderungsprinzipien" setzt sich nämlich die Wirklichkeitsphilosophie über die von ihr anerkannte begriffliche Kluft hinweg, welche zwischen den äußerlichen Phänomenen der Materie und den hiermit ganz inkommensurablen [unvergleichbaren - wp] Bewußtseinserscheinungen besteht, und stößt sich nicht daran, "Leben und Empfindung" als "Kombinationen der allgemeinen Naturkräfte" zu betrachten, obgleich sie die "spezifische Artung" dieser Kombinationen nicht außer Acht läßt. Ein qualitativer Sprung wird ja auch sonst überall vollzogen, wo eine neue Gattung in der Entwicklung des Naturdaseins hervortritt. Es steht außer Frage, daß der Realismus von DÜHRINGs "Wirklichkeitsphilosophie" ungleich tiefer gründet als die vulgären Ideen- und Zweckkonzeptionen, und daß die philosophische Wissenschaft, welche über diese ohne Weiteres zur Tagesordnung übergehen kann, sich mit ihm ernsthaft wird auseinanderzusetzen haben. Wenn die "Philosophie des Unbewußten" an eine Auffassung biologischer Phänomene anknüpft, welche in der Tat schon als überwunden und der Vergangenheit angehörig zu betrachten ist, so stimmt hingegen die Voraussetzung der platonistischen Lehre DÜHRINGs vollkommen mit einer von vielen ausgezeichneten Physikern, Chemikern und Biologen der Gegenwart geteilten Ansicht über das Wesen der Naturkräfte überein, wonach dieselben als schlechthin gegebene, unableitbare Typen erscheinen, auf welche alle Veränderung in der Welt zurückgeführt werden muß, während sie sich selbst auf keine weitere Ursache zurückführen lassen, somit jene Inkausabilien [Zusammenhangslosigkeiten - wp] darstellen, von welchen BACO gesprochen hat. Dieser Annahme einer mehrfach spezifizierten Kausalität steht die Hypothese entgegen, daß die einzelnen Krafttypen nicht letzte Erklärungsgründe, sondern selbst aus mechanischen Voraussetzungen zu begreifende Tätigkeitsformen der Materie und ihre Manifestationen nur Spezialfälle der allgemeinen mechanischen Kausalität sind. Die letztere Ansicht kann aber den spezifischen Charakter der einzelnen Kraftmechanismen so wenig leugnen, wie die erstere der Erwägung fernzubleiben imstande ist, daß jene ursachlosen Krafttypen durch bestimmte materielle Ursachen in Erscheinung zu treten und sich zu äußern veranlaßt werden. Der Unterschied beider Auffassungen beruth also in letzter Instanz nur darauf, daß die eine jede weitere Erklärung der Wirkungsformen für unmöglich, die andere hingegen eine mechanische Begründung derselben für möglich und notwendig hält, womit, wie sich leicht zeigen läßt, auch noch zusammenhängt, daß diese den Begriff der latenten Kraft oder potentiellen Energie als einen metaphysischen und nicht bloßen Hilfsbegriff aufgibt, indessen jene daran festhält. DÜHRING hat nun die Theorie selbständiger Krafttypen akzeptiert und dieselbe zu einem unzweideutigen Realismus durch die Folgerung umgebildet, daß die spezifischen Differenzen, welche das natürliche Geschehen aufweist, in Elementen der Gestaltung und Veränderung von einem universellen, über das Einzelphänomen übergreifenden Charakter begründet sind.
Nun kommt aber die andere Seite des Problems zur Erwägung, nämlich, ob ein notwendiger, innerer Zusammenhang zwischen der Annahme eines in der Natur ausgedrückten Spezifikationsgesetzes und der realistischen Vorstellungsweise besteht, wie solche die typischen Kräfte DÜHRINGs nicht weniger als die überweltlichen Ideen PLATONs und die weltschaffenden Begriffe HEGELs repräsentieren. Es ist sonnenklar, daß die Spezifikation nichts weiter als eine gewisse Verteilung von Übereinstimmungen auf verschiedene Einzelphänomene bedeutet, welche für den Verstand die Sonderung derselben in wohlgetrennte Gattungen oder Arten möglich macht, daß in der Tatsache einer derartigen Übereinstimmung selbst jedoch noch durchaus keine Voraussetzung irgendeiner sie erzeugenden Potenz, irgendeines metaphysischen Grundes derselben liegt. Die Sinneswahrnehmung, der einzige unmittelbare Quell unseres Wissens von den Gegenständen der >Außenwelt, welche bekanntlich in ihr allein gegeben werden oder vielmehr in ihr sich selbst offenbaren, sagt uns nichts vom Grund einer solchen Übereinstimmung; sie liefert nur die Anschauung der individuellen Phänomene, die nach Gesichtspunkten der Gleichartigkeit oder Verschiedenheit zu ordnen, Geschäft des Verstandes ist. Bietet sich nun vielleicht dem Verstand ein Mittel dar, die Sinneserfahrung überschreitend, zur Auffassung des Grundes der von ihm erkannten Übereinstimmungen zu gelangen? Wenn es sich herausstellt, daß zwei gleiche, richtiger: gleichartige Erscheinungen, die zu verschiedener Zeit und an verschiedenen Orten hervortreten, die Wirkungen gleicher Verhältnisse sind, die am einen wie am andern Ort, in dem einen wie in dem andern Zeitmoment obwalteten, wenn also das Kausalitätsgesetz bei der Erklärung einer Gleichartigkeit von Wesen oder Geschehnissen in Anwendung kommt, scheint uns der logische Zusammenhang der physisch unzusammenhängenden Phänomene zur Genüge erhellt zu sein. Ein tieferes Eingehen zeigt jedoch, daß die kausale Verknüpfung, d. h. die gesetzmäßige Sukzession von Erscheinungen eines bestimmten Gepräges aufeinander selbst ein Rätsel birgt, ohne dessen Lösung auch das Problem der Übereinstimmung niemals als wahrhaft gelöst gelten kann, ja gerade dessen schwierigste Seite völlig im Dunkeln bleibt; davon abgesehen, daß mit der Herleitung gleichartiger Wirkungen aus der Gleichartigkeit der Ursachen die Frage, um die es sich handelt, offenbar nicht beantwortet, sondern nur zurückgeschoben wird. Nicht die ruhende Übereinstimmung, die Kongruenz des materiell getrennten und geschiedenen, keinerlei physische Einheit repräsentierenden Seins, auch wenn sich dieselbe im Sinne der strengsten Spezifikation gestaltet, begründet nämlich eine so erhebliche Schwierigkeit wie die Kongruenz des Geschehens, die im Begriff der Kausalität als der Gesetzmäßigkeit der Aufeinanderfolge stillschweigend enthalten ist. Mag man immerhin das Moment der wesentlichen Identität des Vorgangs in allen kausalen Verknüpfungen als deren unerläßliches Kriterum postulieren, eine Heterogenität von Ursache und Wirkung, wie sie etwa in der Hervorbringung des Bewußtseins durch mechanische Prozesse bestehen würde, als undenkbar zurückweisen, man wird doch die Kluft, welche die Wirkung von ihrer Ursache scheidet, nie ganz ausfüllen, den Unterschied, welcher hier zutage tritt, nie ganz verwirklichen können. So viel ist gewiß, daß auch schon auf unteren Stufen der Kausalität zwei ursächlich verknüpfte Erscheinungen nicht schlechterdings ein und dasselbe Phänomen sind. Nun besagt jedoch eben der Ausdruck Kausalnexus die Notwendigkeit und Allgemeinheit einer solchen Verknüpfung, ihr Vorhandensein zu jeder Zeit und an jedem Ort, so daß, wenn irgendein auf der Erde beobachtetes Ereignis als die Ursache eines anderen erkannt worden ist, dieses sich auch auf dem äußersten Fixstern abspielen muß, sobald jenes erste daselbst eingetreten ist. Die Kausalität stellt demnach selbst die merkwürdigste Form von Übereinstimmung dar, indem auf ihr alle Gleichartigkeit des Geschehens beruth, welche sich nicht, wie die Gleichartigkeit des Seins in verschiedenen Dingen, auf eine einzige, sondern auf mindestens zwei, unter Umständen aber wohl auch zahlreiche Gruppen oder Reihen von Erscheinungen bezieht. Jedes Glied der Kette nämlich, welche die spezifisch gleichen Phänomene aneinanderreiht, ist hier zumindest aus zwei unter sich mehr oder weniger verschiedenen Gliedern zusammengesetzt; es würde, vermöge der Kontinuität des Kausalzusammenhanges, unabsehbar viele solcher Glieder zählen, wenn nicht von außen her die Übereinstimmung im Ablauf der Erscheinungen meist schon nach einer sehr kurzen Dauer wieder gestört würde. Gibt es nun für diese Homogenität oder, wenn man will, logische Identität mannigfacher, real verschiedener Vorgänge eine Erklärung, und zwar eine Erklärung, die nicht mit idealistischer Willkür die Unterschiede in Raum und Zeit für einen bloßen Sinnenschein ausgibt, so daß, nachdem der Schleier der Maja gefallen, das begrifflich Gleiche auch als wirkliches Eins dasteht; sondern die Übereinstimmung begreiflich macht, ohne daß die Vielheit und Verschiedenheit darüber verloren geht? DÜHRINGs "Wirklichkeitsphilosophie" setzt hier mit ihren "typischen Prinzipien", den "typischen und gestaltenden Elementen" ein; aber es liegt auf der Hand, daß, wenn diese Prinzipien nicht bloß einen metaphorischen Ausdruck für den wirklichen Sachverhalt bedeuten sollen, wenn sie als reale, schöpferische Mächte vorgestellt werden, wobei in diesem Fall allein eine Erklärung der Tatsachen geboten würde, sie den Charakter allgemeiner und darum im Hinblick auf die Einzelphänomene jenseitiger Potenzen an sich tragen müssen, der sich mit den Grundsätzen einer wahren "Wirklichkeitsphilosophie" schlecht zusammenreimen läßt. Vor einer schärferen Kritik erweisen sich diese typischen Kräfte in der Tat als transzendente Erdichtungen, deren Aufzeigung in der Wirklichkeit niemals gelingen könnte. Jedem darauf abzielenden Versuch müßte schon deshalb die Erfolglosigkeit prophezeit werden, weil die Dinge selbst stets nur in der Einzelheit gegeben sind, das wirkliche Allgemeine, insofern es nicht lediglich als gemeinsames Merkmal vorgestellt wird, somit ein gänzlich subjektives Gebilde, ein ausschließliches Produkt des Intellekts bezeichnet. Wie soll aber die Übereinstimmung anders erklärt und begründet werden als durch eine Einheit, welche den gleichartigen Phänomenen untergelegt wird, sei es nun, daß die Vielheit der Erscheinungen in derselben zugrunde geht, sei, daß sie erhalten bleibt neben der in diesem Fall als eigentliches Allgemeines erscheinenden Einheit? Mit der gleichzeitigen Abweisung des SCHOPENHAUERschen Idealismus und DÜHRINGs Platonismus - die Hypothese einer obersten Intelligenz, in welcher die Ideen der Dinge vorgedacht sind, ist so plump anthropomorphistisch [menschenbezogen - wp], daß sie, gleich der Begriffslehre HEGELs, kaum eine ernsthafte Berücksichtigung finden kann - wird das Problem, wie es zuvor formuliert wurde, notwendigerweise für unlösbar erklärt oder wird vielmehr geleugnet, daß für den seine Kräfte richtig bemessenden Verstand überhaupt noch ein Problem vorliegt. Der Intellekt befindet sich hier vor einer jener letzten Tatsachen der Wirklichkeit, angesichts deren er auf die Befriedigung seines Kausalitätsbedürfnisses zu verzichten hat, wenn er nicht Gefahr laufen will, Hirngespinste zu erzeugen, die, anstatt ihm nützlich zu sein, seine freie Bewegung hemmen und nur allzuleicht offenkundige Irrtümer im Gefolge haben. Die Frage nach dem Grund der Übereinstimmung, d. h. der allgemeinsten Form des Seins ist ebenso müßig wie die Frage nach dem Grund des Seins selbst. Der Realismus, welcher sie zu lösen vermeint, kann den Vorwurf einer metaphysischen Velleität [kraftloses Wollen - wp] nicht von sich abwälzen, weil er Erzeugnisse des Denkens auf die objektive Welt überträgt, wo sie doch, nach den gesetzlichen Beziehungen zwischen der Welt und dem erkennenden Subjekt, diesem letzteren nie und nimmer Gegenstand werden können. Es mag dahin gestellt bleiben, ob es angeht, das Wirkliche mit PLANCK als "reinen quantitative Unterschied" zu definieren, - nicht nur scheint jede Reduktion der Wirklichkeit auf abstrakte Bestimmungen an und für sich ein Widerspruch, sondern dürfte auch wohl in PLANCKs Definition eine Eigentümlichkeit der bewußten Anschauung fälschlich zum Wesen der Realität erhoben worden sein -; hingegen die negative Festsetzung, daß die Einheitsform des Begriffs nur dem Intellekt eignet, ist für eine kritische Erkenntnistheorie sicherlich über jeden Zweifel erhaben. Daß DÜHRING dies verkennt, macht den Grundfehler seines im Übrigen dem Stand der positiven Wissenschaften besser als fast sämtliche Versuche älterer und neuerer Zeit entsprechenden philosophischen Systems aus. Die Annahme gestaltender und schöpferischer Allgemeinheiten trägt Schuld an seinem Versuch einer Restauration des alten, abgelebten Zweckbegriffs in allerdings wesentlich modifizierterer Gestalt, - ein Versuch, der natürlich ebenso verunglücken mußte, wie sie Polemik gegen den Darwinismus oder seine Bekämpfung der lichtvollen Willenstheorie von LUDWIG FEUERBACH, wozu ihn derselbe realistische Grundirrtum verleitete. Die nominalistische Anschauungsweise ist ein wesentlicher Bestandteil der "Wirklichkeitsphilosophie" der Zukunft, deren allgemeinste Grundsätze FEUERBACH schon im Jahr 1843 aussprach; diese Anschauungsweise entspricht auch der tiefer aufgefaßten Lehre KANTs, die großenteils Anspruch auf einen bleibenden, unvergänglichen Wert hat und welche vorläufig jede nicht dichterische, sondern wissenschaftliche Philosophie zur ihrem Ausgangspunkt wird nehmen müssen; die Methode des Nominalismus ist selbst in jenem Bereich der Naturforschung, wo sie lange Zeit verpönt war, neuerdings zur ausschließlichen Geltung gekommen, und in der Psychologie haben ihr die Forscher gehuldigt, welche für diese Wissenschaft, zu der erst vereinzelte Grundsteine gelegt sind, überhaupt einiges Ersprießliche leisteten. Der Realismus hingegen eilt raschen Schrittes seinem völligen Untergang zu. Wenige denkende Köpfe zweifeln im gegenwärtigen Augenblick noch an der Willkürlichkeit des hegelschen Verfahrens; die Behauptungen der theologischen Metaphysik sind als Fiktionen erkannt, die in einem ganz anderen Gebiet als in demjenigen des unbefangenen Denkens wurzeln, und Unternehmungen zur Wiederbelebung der realistischen Vorstellungsart, wie solche etwa von der "Philosophie des Unbewußten" ausgegangen, können nur mit dem Geist der positiven Wissenschaften gänzlich unbekannte Dilettanten verwirren. Aber auch in der Gestalt von typischen Prinzipien, welche nicht übermütig die Naturgesetze durchbrechen, um allerlei, von bewußten oder "unbewußten" Zauberwesen gesetzten Zweck zu realisieren, sondern im Gegenteil gerade als die Gesetzmäßigkeit der Phänomene begründende Mächte auftreten, erscheinen die platonischen Ideen unhaltbar. Wohl läßt sich nicht leugnen, daß das Naturdasein allenthalben spezifiziert ist, d. h. daß mit großer Deutlichkeit Gattungen in demselben hervortreten; aber es heißt den festen Boden der Erkenntnis verlassen und in die Nebelregionen der Transzendenz hinüberschweifen, wenn man diesen Gattungen gestaltende Typen zugrundelegen, die Spezifikation durch bildnerische Allgemeinheiten erklären will. Der Ursachen suchende Verstand muß hier vor der Wirklichkeit Halt machen. Alles Forschen nach einem Grund des realen Verhältnisses ist vergebliche Mühe und scheitert an den festen, unübersteigbaren Grenzen der menschlichen Erkenntnis. |