ra-2LiefmannF. J. NeumannF. EulenburgA. Weber    
 
ROBERT LIEFMANN
Das Wesen der Wirtschaft
und der Ausgangspunkt der Nationalökonomie
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"Ich behaupte, daß es geradezu ein Kennzeichen einer richtigen ökonomischen Theorie ist, daß sie auch die Grenzen der Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen erkennt, die ihr gesetzt sind."

"Das Eigentum ist eine Voraussetzung der ökonomischen Theorie, weil es ohne ein solches zumindest keinen Tausch gibt. Aber nicht das Eigentum als rechtlich geordnete Herrschaft über eine Sache kommt für die ökonomische Theorie in Betracht, sondern das Eigentum ist hier als bloße Verfügungsmacht verstanden, die bei vielen Individuen auch auf dem Recht des Stärkeren, auf Raub und dgl. beruhen kann. Eigentum ist also in der Tat in gewissem Sinn für die Wirtschaftstheorie Voraussetzung, aber nicht in einem Rechtssinn."

"Das regelnde Prinzip, welches den ganzen tauschwirtschaft- lichen Mechanismus organisiert, d. h. das Angebot im Tauschverkehr zustande bringt, ist ganz dasselbe, das auch in der Psyche des isolierten Wirtschafters wirkt."

"Eine richtige ökonomische Theorie kann sehr wohl erklären, wie es zum Gegensatz von Kapitalisten und Arbeitern gekommen ist. Sie braucht dabei nicht einmal das Erbrecht vorauszusetzen. Denn selbst ohne Erbrecht würde es Kapitalisten und Arbeiter geben. Einige Leute würden sich allein wegen ihrer organisatorischen Begabung und überhaupt wegen ihrer den Durchschnitt überragenden Fähigkeiten kürzester Frist in den Besitz der Produktionsmittel setzen."

"Alle wirtschaftlichen Begriffe sind in gewisser Hinsicht soziale, sogar einschließlich des individualistischsten von allen, des am Eingang der Wirtschaftstheorie stehenden Nutzen begriffs. Denn was uns Nutzen gewährt, auf das sich unsere Bedürfnisse richten, das ist abhängig von einem allgemeinen Kulturzustand und sogar bei den einzelnen auf der gleichen Kulturstufe stehenden Völkern wiederum durch ihre kulturelle und soziale Besonderheit bedingt."

"Menger und Jevons haben zunächst die alte Arbeitswerttheorie noch gar nicht bekämpft. Erst nachdem der sogenannte wissenschaftliche Sozialismus sich ihrer zur Stütze seiner Forderungen bemächtigt und sozusagen die Welt erobert hatte, hat man die Arbeitswerttheorie durch die subjektive Wertlehre zu widerlegen versucht. Man hat darauf hingewiesen, daß nicht die Arbeit ansich Werte schafft, sondern nur dann, wenn sie sich in wertgeschätzten Produkten verkörpert, daß also die subjektiven Wertschätzungen der Konsumenten das Primäre sind und die Arbeit und überhaupt den ganzen tauschwirtschaftlichen Organismus erst in Bewegung setzen."


I. Über den Ausgangspunkt
der Nationalökonomie

In den "Übungen über Grundbegriff der Nationalökonomie", die ich vor einigen Semestern abhielt, warf ich die Frage auf, welcher Begriff wohl als Ausgangspunkt der Volkswirtschaftslehre zu betrachten sei. Einer der Teilnehmer meinte, der der Volkswirtschaft; ein anderer behauptete: Wirtschaft; ein dritter: Gut; ein vierter: Wert; ein fünfter: Bedürfnis. und recht haben sie alle, insofern als in der Tat jeder dieser Begriffe schon von Nationalökonomen als Ausgangspunkt ihrer Darlegungen genommen wurde. Sie hätten auch noch die Arbeit und den Tausch nennen können, mit deren Erörterung berühmte Nationalökonomen, wie SMITH und MARX ihre Untersuchungen beginnen.

Wenn man nun die verschiedenen nationalökonomischen Systeme überblickt, so kann man nach ihrem  Ausgangspunkt  2 Gruppen unterscheiden, diejenigen, die einen  individualistischen  und diejenigen, die einen  sozialen  Ausgangspunkt haben. Die ersteren haben sich offenbar das höhere Ziel gesteckt. Sie wollen alle wirtschaftlichen Erscheinungen, auch der Tauschwirtschaft, aus den wirtschaftlichen Handlungen  der einzelnen Menschen  ableiten. Diejenigen, die einen sozialen Ausgangspunkt wählen oder empfehlen, beschränken sich darauf, die  tauschwirtschaftlichen  Erscheinungen erklären zu wollen. Aber manche von ihnen komplizieren ihre Aufgabe dadurch, daß sie, zumindest prinzipiell, verlangen, gewisse soziale Bedingtheiten und gesellschaftliche Verhältnisse z. B. Erscheinungen des modernen Kapitalismus, der Klassenbildung, die ungünstige Lage der Arbeiterklasse und dgl., auch durch die Theorie erfassen zu können, die die individualistische Theorie als durch äußere, nicht-wirtschaftliche Umstände bedingt ansieht und als außerhalb des Rahmens ihres Erklärungsgebietes liegend bezeichnet.

Diese Unterscheidung von individualistischem und sozialem Ausgangspunkt ist nun in Wirklichkeit nicht von so großer Bedeutung, als sie uns heute, wo in der ökonomischen Theorie noch alles im Werden ist und von unten angefangen werden muß, erscheint. Sie ist
    1) deswegen nicht von so großer Bedeutung, weil der soziale Ausgangspunkt wohl von gewissen Vertretern der modernen ökonomischen Methodologie gefordert, aber in Wirklichkeit bisher noch niemals zur Grundlage eines ökonomischen Systems gemacht wurde.

    2) Deswegen nicht, weil über die eigentliche  Aufgabe  der Volkswirtschaftslehre, über das, was sie zu erklären hat, kaum Streit besteht. Streitig ist nur der Weg, den die Untersuchung der tauschwirtschaftlichen Erscheinungen zu nehmen hat, die Art und Weise, die "Methode", wie dieselben erklärt, d. h. in vereinfachter Form systematisch zur Darstellung gebracht werden können.
Es ist aber bemerkenswert und, wie gesagt, ein Beweis dafür, daß praktisch dieser methodologischen Frage nicht die Bedeutung zukommt, die man ihr heute beimißt, daß kein Schriftsteller konsequent und einseitig seine Betrachtungsweise festgehalten hat. Auch diejenigen, die besonders nachdrücklich den Charakter der Volkswirtschaftslehre als  Sozialwissenschaft  betonen, konnten doch Erscheinungen nicht übergehen, die sie, wie Wert, Einkommen, Vermögen und dgl. als  "privat wirtschaftlich" bezeichnen müßten. Und auch die extremsten Individualisten, die vom Begriff des Bedürfnisses ausgehen, kommen doch bald zu typisch sozialen Vorgängen wie Tausch, Preis, Monopol, Konkurrenz usw. Namentlich bei der Frage der Preisbildung, die nach der Meinung aller im Zentrum der von der Volkswirtschaftslehre zu erklärenden Erscheinungen steht, treffen sich die verschiedenen Ausgangspunkte und es ist für den materialistisch-quantitativen Charakter  aller  bisherigen Theorien charakteristisch, daß das eminent soziale Wesen des Preises in seinem vollen Umfang noch von keinem ihrer Vertreter richtig erfaßt worden ist (1).

Die letzte Bemerkung gibt mir die Veranlassung darauf hinzuweisen, daß man neben den 2 Gruppen nationalökonomischer Systeme, die wir nach ihrem Ausgangspunkt unterschieden haben, in mancher Hinsicht noch eine dritte feststellen kann, die sowohl von den  Individuen  als auch von den  sozialen Gesamtheiten  abstrahiert und ausschließlich die  Objekte,  die Güter betrachtet. Dahin gehören die Anhänger der extrem objektiv-materialistisch-quantitativen Richtung, die die meisten "mathematischen" Nationalökonomen vertreten. Ein typisches Beispiel dieser Rihtung aus der neuesten Zeit im Anschluß an ältere Vorgänge wie PATTEN, CLARK u. a., ist JOSEPH SCHUMPETER mit seiner Schrift "Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie" (1908), der als Gegenstand der ökonomischen Theorie "ein System von zusammengehörigen Quantitäten bestimmter Güter" bezeichnet. Diese Güterquantitäten sollen sich in einem natürlichen Gleichgewichtszustand, der mathematisch durch eine Reihe von Gleichungen ausgedrückt wird, befinden, und Aufgabe der Theorie soll sein, "jene  Änderungen  der Quantitäten" abzuleiten, welche im nächsten Augenblick vor sich gehen werden" usw. (Seite 28 und 33).

Derartige Theorien bedeuten nun eine solche Verkennung der Aufgabe der Nationalökonomie, die es unter allen Umständen mit  Bewertungsvorgängen  und nicht mit Quantitäten zu tun hat, daß wir an dieser Stelle über sie zur Tagesordnung übergehen können, zumal ihre Nichtigkeit schon durch das Fehlen aller positiven Resultate, auch nur der kleinsten Erweiterung unseres Verständnisses der wirtschaftlichen Zusammenhänge, genügend dargetan wird. Da diese Schriftsteller bei ihren Quantitätsveränderungen übrigens in der Hauptsache an die durch den  Tauschverkehr  verursachten Veränderungen denken, und daraufhin ihre Tauschgleichungen aufstellen, kann man sie auch den Theoretikern mit einem sozialen Ausgangspunkt zuzählen. -

Der soziale Ausgangspunkt ist nun in der ökonomischen Theorie der ursprüngliche. Denn die Wissenschaft hat mit Untersuchungen über den  Volksreichtum  ihren Anfang genommen. Um die Frage, worin er besteht, drehen sich die ältesten ökonomischen Theorien. Noch heute führen zahlreiche englische und amerikanische Lehrbücher und Grundrisse den Titel  "The Distribution of Wealth"  und die ganze sogenannte  "Verteilungslehre",  die noch heute im Mittelpunkt der meisten Theorien steht, ist nichts weiter als ein Überbleibsel dieses Ausgehens von einem Volksreichtum, der als ein Ganzes entstanden gedacht und dann verteilt wird (2). Es braucht aber, trotzdem es noch neuestens bestritten worden ist (3), kaum näher ausgeführt zu werden, daß es nur individuellen Reichtum, Besitz, Vermögen gibt und daß der sogenannte Volksreichtum nur eine nicht näher feststellbare Summierung desselben ist. Ebenso ist klar, daß man von diesem Begriff aus nicht zur Erklärung der volkswirtschaftlichen Erscheinungen gelangen kann.

Dasselbe gilt vom Begriff der  Volkswirtschaft  selbst, den manche Schriftsteller sich verpflichtet fühlen, an den Anfang zu stellen, weil unsere Wissenschaft nun einmal Volkswirtschaftslehre heißt und weil ein Teil derselben, dessen wissenschaftlicher Charakter aber sehr bestritten ist, die Volkswirtschafts politik,  sich mit den Verhältnissen eines bestimmten  Volkes  oder besser  Staates  befaßt. Mit Recht sagt aber JOHANNES CONRAD in seinem "Grundriß", § 1, daß "es die eingehende Erörterung der ganzen Schrift erfordert, um darüber eine genaue Aufklärung zu bieten, was Volkswirtschaft ist".

Wenn neuerdings wieder verschiedene Versuche gemacht worden sind, von einem  sozialen Ausgangspunkt  aus zur Erklärung der volkswirtschaftlichen Erscheinungen zu gelangen, oder wenn, was häufiger der Fall ist, manche Schriftsteller in ihrer Vorliebe für methodologische Erörterungen die Behauptung aufstellen, daß ein solcher Ausgangspunkt notwendig sei, ohne selbst positive Versuche in dieser Richtung zu machen, so hat das verschiedene Gründe. Einmal und vor allem ist es eine ganz naturgemäße Reaktion gegen die älteren individualistischen Theorien, die viel zu extrem  allgemeine wirtschaftliche Gesetze  nach Art der Naturgesetze, die für alle Zeiten gelten, aufstellen zu können glaubten. Diese oft recht scharfsinnigen Erörterungen waren jedoch zu wenig an eine tatsächliche Beobachtung des wirtschaftlichen Lebens geknüpft, leisteten daher für dessen Erklärung sehr wenig und gelangten oft nicht einmal über die "Grundbegriffe" hinaus zur Untersuchung der tauschwirtschaftlichen sozialen Vorgänge. Diesen unfruchtbaren ökonomischen Theorien gegenüber, wie sie ebensosehr in den älteren "objektiven" Richtungen wie auch in der neueren sogenannten  subjektiven  Grenznutzenlehre zutage treten, hatte die  historische Schule  der Nationalökonomie leichtes Spiel, wenn sie auf alle ökonomische Theorie und Systematik verzichtete und ihre Aufgabe in der bloßen  Beschreibung  wirtschaftlicher Erscheinungen erblickte, wobei sie dann alle durch Klima, Rasse, Sitte, Kultur herbeigeführten Verschiedenheiten in Betracht ziehen konnte, die die ökonomische Theorie, die stets die Feststellung des Allgemeinen im Auge hat, nicht zu berücksichtigen vermag. Den Höhepunkt dieser ganzen Richtung der Nationalökonomie bezeichnet natürchlich GUSTAV SCHMOLLERs "Grundriß", der als kulturhistorisches und kulturphilosophisches Werk ersten Ranges hier beileibe nicht unterschätzt werden soll, der aber für die ökonomische  Theorie,  d. h. für die bessere Erkenntnis der  Grundlagen allen wirtschaftlichen Lebens  sowie des Mechanismus der heutigen Tauschwirtschaft im besonderen keinen Fortschritt bedeutete.

Man hat nun aber in neuester Zeit, namentlich aufgrund einer besseren erkenntnistheoretischen Schulung, immer mehr erkannt, daß die bloße  Beschreibung  wirtschaftlicher Vorgänge für die Wissenschaft nicht genügen kann, daß sie, wenn sie sich auch noch so sehr in die besonderen Bedingtheiten des einzelnen Beispiels vertieft, dennoch oder besser gerade deswegen ein vollständiges Abbilden der Wirklichkeit nie erreichen kann. Man hat immer mehr erkannt, daß sich auch hier in der Beschränkung der Meister zeigt, und daß die Aufgabe der Wissenschaft gerade in einer solchen Beschränkung, d. h. in einer systematischen Vereinfachung des unendlich mannigfachen Anschauungsmaterials besteht, die es uns möglichst abzugrenzen und zu gliedern und damit jenes unübersehbaren Materials einigermaßen wissenschaftlich Herr zu werden.

In Reaktionen gegen die älteren individualistischen Theorien, die in der Erklärung des Wirtschaftslebens offenbar versagt hatten, gelangte man aber dazu, nun die Notwendigkeit eines  sozialen  Ausgangspunktes zu betonen. Das wurde veranlaßt durch gewisse moderne Richtungen und Bestrebungen der Philosophie und Psychologie (Windelbald-Rickerts Methodenlehre, Massenpsychologie), ferner bei einigen Vertretern durch die Lehre STAMMLERs von der soziale und insbesondere rechtlichen Bedingtheit alles Wirtschaftlichen. Und schließlich ist es zweifello, daß gewisse Ambitionen der neuesten Theorie, welche zur Forderung eines sozialen Ausgangspunktes führen, zu erklären sind als eine zu weit gehende Reaktion gegen die historische Schule, indem man glaubt, all das, was diese durch Beschreibung des  Einzelnen  in der Erfassung sozialer und kultureller Bedingtheiten leisten konnte, nun auch in der theoretischen Erfassung des  Allgemeinen  leisten zu können.

Manche, die heute - ich will nicht sagen, selber ökonomische Theorie treiben - aber die Forderung nach weiteren ökonomischen Theorien erheben, lassen dabei jene Beschränkungen vermissen und stecken ihre Grenzen viel zu weit, wenn sie glauben, rein gesellschaftliche Erscheinungen wie Klassenbildung und dgl., die nur von der historischen Betrachtung aus zu verstehen sind, theoretisch erfassen zu können. Es ist dringend zu wünschen, daß das neuerwachte Interesse für die ökonomische Theorie nicht dadurch im Keim erstickt wird, daß man Unmögliches von ihr verlangt. Der historischen Betrachtungsweise muß daneben immer ihr Platz gewahrt bleiben. Und ich behaupte, daß es geradezu ein Kennzeichen einer richtigen ökonomischen Theorie ist, daß sie auch die Grenzen der Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen erkennt, die ihr gesetzt sind, und daß sie angeben kann, wo im einzelnen Fall die historische Betrachtungsweise zur Erklärung der besonderen ökonomischen Bedingtheiten und Einwirkungen einzusetzen hat.

Es ist aber bemerkenswert, was ich schon andeutete, daß die Zahl derjenigen, die wirklich positiv moderne ökonomische Theorie treiben, verschwindend gering ist. Während die meisten noch an den klassischen Theorien, viele noch an der Grenznutzenlehre herumdoktern, einzelne auch im extremsten quantitativen Materialismus der "Mathematik" befangen sind, haben einige durch die moderne Erkenntnistheorie beeinflußte Nationalökonomen mit ihren methodologischen Forderungen großen Einfluß erlangt, ohne aber selbst an die Weiterbildung der Theorie heranzutreten, andere haben unter ihrem Einfluß die früheren Theorien kritisiert, ohne aber selbst auch etwas einigermaßen Systematisches an ihre Stelle zu setzen.

Einen erheblichen Einfluß auf die Vertretung des sozialen Ausgangspunktes in der Wirtschaft haben die Ideen RUDOLF STAMMLERs gehabt, "Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung", zweite Auflage, Leipzig 1906, der eigentlich zuerst prinzipiell den sozialen Ausgangspunkt für die Erkenntnis der wirtschaftlichen Erscheinungen gefordert und diese Forderung zu begründen versucht hat.

Nach STAMMLER wären als wirtschaftliche Erscheinungen überhaupt nur die anzusehen, die unter dem Einfluß  von der Gesellschaft gegebener Regeln,  also in letzter Linie der Rechtsordnung erfolgen. Daraufhin hat man den sozialen Ausgangspunkt damit motivieren zu können geglaubt, daß man behauptete, selbst bei der Erklärung der Privatwirtschaft, vor allem aber bei der der tauschwirtschaftlichen Erscheinungen müßten gewisse  "soziale" Voraussetzungen,  der Staat, die Gesellschaft besonders aber das  Privateigentum  gemacht werden. Es ist richtig, daß ohne den Staat der heutige Tauschverkehr nicht zu denken ist. Aber die Wirtschaftstheorie kann zweifellos bei der Erklärung der ersten Grundlagen alles Wirtschaftens von ihm abstrahieren, und des ist ihr ja nicht verwehrt, seine Wirksamkeit in Betracht zu ziehen, wenn sie bei der Untersuchung der wirtschaftlichen Erscheinungen darauf stößt. das gilt aber z. B. schon  nicht  für das Privateigentum. Das Eigentum ist allerdings eine Voraussetzung der ökonomischen Theorie, weil es ohne ein solches zumindest keinen Tausch gibt. Aber nicht das Eigentum  als rechtlich geordnete  Herrschaft über eine Sache kommt für die ökonomische Theorie in Betracht, sondern das Eigentum ist hier als  bloße Verfügungsmacht  verstanden, die bei vielen Individuen auch auf dem Recht des Stärkeren, auf Raub und dgl. beruhen kann. Eigentum ist also in der Tat in gewissem Sinn für die Wirtschaftstheorie Voraussetzung, aber nicht in einem Rechtssinn; es ist gar keine "soziale" Voraussetzung. Tatsächliche Verfügungsmacht hat auch schon der isoliert wirtschaftende Mensch, hat auch der  Robinson,  dem alle Gegenstände der äußeren Natur unbeschränkt zur Verfügung stehen. Auch er muß wirtschaften, wie wir unten sehen werden, muß zumindest seine Arbeitskraft in der zweckmäßigsten Weise auf die Befriedigung seiner Bedürfnisse verteilen. Auch bei ihm ergibt sich ein Unterschied zwischen den Gegenständen der äußeren Natur, dem Holz des Urwald, wildwachsenden Früchten, jagdbaren Tieren usw., die ihm unbegrenzt  zur Verfügung stehen,  und denen, die er sich nun  wirklich zur Befriedigung seiner Bedürfnisse beschafft, angeeignet hat.  nur in diesem Sinne als tatsächliche Innehaltung ist das Eigentum eine Voraussetzung wirtschaftlicher Erscheinungen, nicht aber im Sinne einer rechtlichen Ordnung (4).

Da ber die ökonomische Theorie vor allem die Tauschverkehrsvorgänge zu untersuchen hat, ist der  Robinson  nur so weit gelegentlicher Gegenstand der Betrachtung, als es darauf ankommt, individualwirtschaftliche Vorgänge in voller Reinheit zu isolieren. Und dabei zeigt sich einer richtigen Theorie, daß  das regelnde Prinzip,  welches den ganzen  tauschwirtschaftlichen Mechanismus organisiert,  d. h. das Angebot im Tauschverkehr zustande bringt,  ganz dasselbe ist, das auch in der Psyche des isolierten Wirtschafters  wirkt.

Manche Nationalökonomen vertreten die Ansicht, daß gewisse Grundbegriffe der Volkswirtschaftslehre, wie vor allem das Kapital, soziale Erscheinungen umfassen, die von einer vom Individuum ausgehenden ökonomischen Theorie nicht richtig verstanden werden können (5). Sie behaupten, die individualistische Theorie kann z. B. den modernen Kapitalismus, den Gegensatz zwischen Kapitalisten und besitzlosen Arbeitern nicht erklären, und sie leistet daher auch nichts für eine Definition des Begriffs  Kapital.  Kapital sei ein "sozialer" Begriff, der nur unter gewissen sozialen Verhältnissen auftritt. Diese Auffassung ist unzutreffend, ist überhaupt nur möglich aufgrund des herrschenden technisch-materialistischen Kapitalbegriffs und verhindert eine wirkliche Erkenntnis des tauschwirtschaftlichen Mechanismus. Nur das Privateigentum vorausgesetzt, kann eine richtige ökonomische Theorie sehr wohl erklären, wie es zum Gegensatz von Kapitalisten und Arbeitern gekommen ist. Sie braucht dabei nicht einmal das  Erbrecht  vorauszusetzen. Denn selbst ohne Erbrecht würde es Kapitalisten und Arbeiter geben. Einige Leute würden sich allein wegen ihrer organisatorischen Begabung und überhaupt wegen ihrer den Durchschnitt überragenden Fähigkeiten kürzester Frist in den Besitz der Produktionsmittel setzen. Daß  ein einzelner  Mensch Arbeiter und kein Kapitalist geworden ist, kann die Theorie, die immer nur das Allgemeine zum Gegenstand hat, natürlich nicht erklären. Beim Einzelnen liegt dies vielleicht daran, daß seit Generationen keiner seiner Vorfahren an Intelligenz auch nur einigermaßen über den Durchschnitt hervorragte, um mehr als den notwendigen Lebensunterhalt erwerben und seinen Nachkommen ein Vermögen vererben zu können. Die Theorie kann aber allgemein zeigen, daß und warum es schwer ist, ohne Vermögen und ohne besondere eigene Fähigkeiten über die Stufe der Lohnarbeit hinauszugelangen (6).

Natürlich kann keine ökonomische Theorie, von welchem Ausgangspunkt aus auch immer, die historische Entwicklung des Wirtschaftslebens von Anfang an zur Darstellung bringen und zeigen, wie es von einem Urzustand aus zum modernen Kapitalismus gekommen ist oder wie zum ersten Mal ein Preis zustande gekommen ist und dgl. Sie erklärt nur den Mechanismus des Wirtschaftslebens, in erster Linie der heutigen Tauschwirtschaft. Das Verlangen, solche Erscheinungen wie Klassenbildung, die in erster Linie gesellschaftliche wirtschaftliche Phänomene sind, durch irgendeine Wirtschaftstheorie erklären zu wollen, scheint mir, wie gesagt, eine Überspannung der Theorie und eine übertriebene Reaktion gegen die Anwendung der historishen Methode zu sein.

Übrigens sei zur Unterscheidung von individualistischen und sozialen Begriffen in der ökonomischen Theorie, wonach z. B. das Kapital ein sozialer Begriff sein soll, noch bemerkt, daß diese Unterscheidung letzten Endes überhaupt wenig Berechtigung hat.  Alle  wirtschaftlichen Begriffe sind in gewisser Hinsicht soziale, sogar einschließlich des individualistischen von allen, des am Eingang der Wirtschaftstheorie stehenden  Nutzen begriffs. Denn was uns  Nutzen  gewährt, auf das sich unsere Bedürfnisse richten, das ist abhängig von einem allgemeinen Kulturzustand und sogar bei den einzelnen auf der gleichen Kulturstufe stehenden Völkern wiederum durch ihre kulturelle und soziale Besonderheit bedingt. Die Wirtschaftstheorie abstrahiert aber von solchen außerwirtschaftlichen Einflüssen und Besonderheiten und muß davon abstrahieren, wenn sie eine selbständige Wissenschaft sein will.


Der Gedanke, daß die ökonomische Theorie eines sozialen Ausgangspunktes bedarf, wird von manchen Schriftstellern offenbar nur deswegen vertreten, weil sie glaubten nachgewiesen zu haben oder es sei nachgewiesen, daß die üblichen individualistischen Ausgangspunkte unbrauchbar seien. Das tritt besonders deutlich hervor in dem Buch, das die eingehendste Erörterung der hier besprochenen Frage nach dem Ausgangspunkt und dem Objekt der theoretischen Nationalökonomie enthält: ALFRED AMONN, "Objekt und Grundbegriff der theoretischen Nationalökonomie", 1911. Der Verfasser kritisiert mit einer guten philosophischen Schulung und mit gründlicher Kenntnis der nationalökonomischen Literatur die verschiedenen sozialen oder individualistischen "Grundbegriffe", von denen die Wissenschaft ausgegangen ist. Aber man braucht nur die verhältnismäßig wenigen Seiten (Seite 146-191) zu lesen, in denen der AMONN seine positive Lösung der Frage nach dem Objekt der Nationalökonomie zu geben versucht, um zu erkennen, daß er damit die Wissenschaft nicht fördert. Im Grunde ist er in der Vertretung des sozialen Charakters der Volkswirtschaftslehre und in der Ablehnung des individualistischen Ausgangspunkes nicht über STAMMLER hinausgekommen. Er kommt nicht weiter als zu betonen, daß die Nationalökonomie eine Sozialwissenschaft und ihr Objekt die sozialen Verkehrsbeziehungen sind. Ausgehend vom Preis, in dem auch er das Zentralproblem der ökonomischen Theorie sieht und von dem er erkennt, daß er einen viel "sozialeren" Charakter hat als die üblichen Theorien (der Preis = ein Güterquantum) annehmen (aber er erkennt nicht,  worin  die "soziale Bedingtheit" des Preises besteht, den Zusammenhang  aller  Preise), will er das Objekt der Nationalökonomie, die sozialen Verkehrsbeziehungen, nur da erblicken, wo mehrere Personen aufgrund des Privateigentum und des Geldes miteinander in einen Tauschverkehr treten. Außerdem macht er noch für das Vorliegen eines Objektes der Nationalökonomie zwei weitere Voraussetzungen: die erste, freier  Wechsel  der Verfügungsmacht ist mit dieser Verfügungsmacht, eben dem Privateigentum, aber von selbst gegeben. Die zweite ist: "Freiheit der  Bestimmung des quantitativen Verhältnisses  der auszutauschenden Verkehrsobjekte, weil darin alle nationalökonomischen Probleme, speziell die Preisproblem wurzeln". Diese Bemerkung ist äußerst charakteristisch für die übliche quantitativ-materialistische Auffassung des Wirtschlichen, über die auch schon AMONN nicht hinauskommt. Es tritt wieder deutlich zutage, wie diese Auffassung dahin führt, die eigentliche Aufgabe der Preistheorie ganz zu verkennen. Immer wird eine gegebene Angebots- oder Nachfragemenge vorausgesetzt. Das "quantitative Verhältnis", wie die "Mathematiker" es so schön ausdrücken - und SCHUMPETER hat hier offenbar auf AMONN eingewirkt - mit anderen Worten: wieviel produziert und angeboten wird, das wird ja gerade  durch die Preisbildung  bestimmt. Die Preistheorie hat überhaupt keine andere Aufgabe, als die Größe des Angebots zu erklären, ohne daß die Größe der Nachfrage gegeben ist.

Bei solchen Irrtümern, die AMONN freilich mit allen bisherigen Nationalökonomen teilt, weil er den Grundfehler der quantitativ-materialistischen Auffassung des Wirtschaftlichen nicht erkennt, ist es freilich ein vergebliches Bemühen, das Objekt der Nationalökonomie bestimmen zu wollen. Daher kommt dann auch AMONN nicht zu einer klaren Abgrenzung seiner Nationalökonomie von den anderen Sozialwissenschaften, zu denen nach ihm ein großer Teil der heutigen Nationalökonomie gehören würde. Erst recht kommt er aber nicht dazu, für einen organischen systematischen Aufbau der wirtschaftlichen Erscheinungen auch nur die Grundlagen zu liefern. Die Abgrenzung der einzelnen Wissenschaften voneinander ist als soche nicht deren Aufgabe, sondern Sache der Philosophie, und die so oder so vorgenommene Bestimmung des Objekts der Nationalökonomie hat für diese nur dann einen Wert, wenn man auf dieser Abgrenzung auch eine systematische Darstellung ihres damit gegebenen Inhalts aufbaut. Das mögen alle diejenigen zahlreichen Nationalökonomen beherzigen, die, einer gewissen Mode folgend, heute Philosophie und Methodologie treiben, aber für die bessere Erkenntnis der wirtschaftlichen Erscheinungen nichts leisten. Es ist auf dem ureigensten Gebiet unserer Wirtschaft noch so unendlich viel zu tun, es sind - das zeigen, glaube ich, alle meine theoretischen Arbeiten, mag man sich zu ihren positiven Resultaten einstweilen stellen, wie man will, zur Genüge - über ihre wichtigsten Grundlagen noch so viele fundamentale Irrtümer und Unklarheiten vorhanden, daß man besser täte, jene Erörterungen der Philosophie zu überlassen und dafür positive ökonomische Theorie zu treiben. So leistet auch das Buch AMONNs, so viele gute kritische Bemerkungen es auch im einzelnen enthält, eben nach dieser positiven Seite hin nichts.

Einen sozialen Ausgangspunkt proklamiert auch OTHMAR SPANN, "Wirtschaft und Gesellschaft", 1907. Seine Untersuchung ist mehr rein philosophisch eingestellt als diejenige AMONNs, macht weniger den Anspruch, überhaupt eine ökonomische Theorie zu bieten. Er glaubt aber auch, das Objekt der Nationalökonomie aus der allgemeinen Sozialwissenschaft ableiten zu können und will ausgehen von einem Begriff der  Gesellschaft der ihm "der oberste Zentralbegriff aller Sozialwissenschaft ist" (7). Der Gedanke, einen allgemeinen Begriff als Ausgangspunkt für die Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen und auch nur für die Objektbestimmung der Nationalökonomie zu nehmen, wird schon von AMONN treffend zurückgewiesen. -

Den einzigen größeren Versuch, die wirtschaftlichen Erscheinungen von einem  soziologischen  Ausgangspunkt aus, vom Standpunkt der "sozialen Kategorie", vom Begriff des "sozialen Gesamtkörpers" aus zu erklären, hat meines Wissens RUDOLF STOLZMANN in seinen beiden Werken: "Die soziale Kategorie in der Volkswirtschaft" (1896) und "Der Zweck in der Volkswirtschafte (1909), gemacht. Aber seine, an STAMMLER sich anlehnende  "Soziale Kategorie",  bezeichnenderweise auch  "Kategorie der Verteilung"  genannt, scheint mir als Ausgangspunkt seiner Erörterungen nur eine Scheinfassade zu sein, welche den wesentlichen Inhalt des Werkes (II. und III. Teil) nicht deckt. Diese Untersuchungen über die Grundbegriffe sind eben doch mehr oder weniger  "individualistisch",  und ich stimme hier mit dem Verfasse in sehr vielen Punkten, namentlich in der Kritik der herrschenden Anschauungen, z. B. seiner von BÖHM-BAWERK sehr obenhin abgetanen Kritik der Grenznutzenlehre, überein. Sein Grundfehler scheint mir, wie überall, eine falsche Auffassung des  Wirtschaftlichen  zu sein; denn seine rein "ökonomischen Bedingungen" (sie besonders  Soziale Kategorie,  Seite 8f) und seine "natürliche und ökonomische Kategorie" sind ganz offenbar rein  technische  Begriffe. Seine "Soziale Kategorie" gibt es überhaupt nicht, weil es, für die Wirtschaftstheorie wenigstens, die doch auch STOLZMANN treiben will, keine  "Sozialwirtschaft"  und keinen  "sozialen Gesamtkörper",  sondern nur Einzelwirtschaften und zahlreiche Beziehungen zwischen ihnen gibt. STOLZMANN konstruiert auch diese "Soziale Kategorie" oder "Kategorie der Verteilung" nur, weil er eben, wie alle bisherigen Theorien, die Einkommen nicht aus der Preisbildung erklären kann, sondern eine mystische "Verteilung", die, bei ihm offen eingestanden, bei anderen unbewußt mit Gerechtigkeitserwägungen durchsetzt ist, zu Hilfe nehmen muß. Von seinem sozialen Ausgangspunkt aus kann er die  "Nahrungseinheit",  die bei ihm in ähnlicher Weise das die "Verteilung" Bestimmende ist, wie nach meiner Theorie der  volkswirtschaftliche Grenzertrag  den tauschwirtschaftlichen Mechanismus reguliert, nicht weiter auflösen. Er kommt so - und das ist der Mangel jedes sozialen Ausgangspunktes - nicht dazu, zu erkennen, daß das regelnde Prinzip der Tauschwirtschaft ganz dasselbe ist, das auch das wirtschaftliche Handeln des einzelnen Menschen bestimmt und das ich als die Tendenz oder, wenn man so will, das Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge bezeichne. Er verzichtet damit, wie das die ganze soziale Betrachtungsweise tun muß, auf die letzte Ableitung der tauschwirtschaftlichen Erscheinungen aus den Bestrebungen der Individualwirtschaften; ein großer Teil dessen, was zweifello als ökonomische Vorgänge zu bezeichnen ist und was man sich neuerdings bemüht, als besondere  Privatwirtschaftslehre  auszubauen, was aber wissenschaftlich von der Nationalökonomie nicht zu trennen ist, fällt damit außerhalb des Gebietes ökonomischer Betrachtung. Im Übrigen zeigen gerade die Untersuchungen STOLZMANNs, daß für die Hauptprobleme der Volkswirtschaftslehre die Frage des Ausgangspunktes nicht von so großer Bedeutung ist, da man, wenn man nur richtig zu beobachten gelernt hat, auch von einem solchen Ausgangspunkt aus zu richtigen Erklärungen, wenn auch nicht zur tiefsten systematischen Fundierung des tauschwirtschaftlichen Mechanismus gelangen kann (8).

Ich komme also zu dem Schluß, den ich in den weiteren Ausführungen noch näher begründen werde: Die Beschränkung des Objekts und damit des Ausgangspunktes der Nationalökonomie auf ausschließlich  tauschwirtschaftliche  Erscheinungen, wobei das ganze wirtschaftliche Handeln des einzelnen Menschen, als was im weitesten Sinne als privatwirtschaftlich bezeichnet werden kann, außerhalb ihres Gebietes bleibt, ist eine Verlegenheitsmaßregel, eine Ausflucht, die man vornahm, weil es bisher, wie unter anderen AMONN offen eingesteht, nicht gelungen ist, das Wesen der Wirtschaft so zu erfassen, daß ihre Einheitlichkeit, die Gleichartigkeit der sie leitenden Prinzipien sowohl in der Einzelwirtschaft als auch in der Tauschwirtschaft hervortritt (9). Man kann auch sagen: weil es bisher nicht gelungen ist, die tauschwirtschaftlichen Erscheinungen auf die Bestrebungen der Einzelnen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse zurückzuführen oder - pars pro toto [der Teil fürs Ganze - wp] - die "Entstehung des Preises  aus subjektiven Wertschätzungen"  zu erklären. Das leistet aber mein theoretisches System, und der Zweck des vorliegenden Aufsatzes ist es, ihm die letzte Grundlage zu liefern und das Wesen der Wirtschaft so zu entwickeln, daß die Gleichartigkeit des Objekts der Wissenschaft bei den Einzelwirtschaften wie bei den tauschwirtschaftlichen Vorgängen klar hervortritt und daß es dadurch möglich wird, in  einem  systematischen Aufbau alle wichtigeren wirtschaftlichen Erscheinungen theoretisch zur Darstellung zu bringen. An das hier Gegebene lassen sich dann direkt die Ausführungen anknüpfen, die in meinem Aufsatz "Die Entstehung des Preises aus subjektiven Wertschätzungen" enthalten sind und die in das Zentrum der ökonomischen Theorie hineinführen. So hoffe ich, wird man auch ohne die systematische Zusammenfassung meiner Theorie, mit der ich noch beschäftigt bin, erkennen, daß es sich dabei um ein einheitliches theoretisches System handelt, das die Grundlage für einen Neubau der theoretischen Sozialökonomik liefern kann.


II. Die bisherigen Grundbegriffe
der Nationalökonomie

Bevor wir daran gehen, die Auffassung des Wirtschaftlichen, wie sie unserem theoretischen System zugrunde liegt, zu formulieren, wollen wir uns kurz mit den  Grundbegriffen  beschäftigen, von denen die bisherigen Theorien ausgegangen sind. Eine eingehende Darstellung erübrigt sich, weil AMONN in seinem genannten Buch ausführlich auf diese Fragen eingegangen ist und seine Kritik abgesehen von der des wirtschaftlichen Handelns, das er eben wie alle früheren nicht richtig erfaßt hat, in den meisten Fällen sehr zutreffend ist. Wir können aber nicht ganz darauf verzichten, einei der von den bisherigen Theoretikern gewählten Ausgangspunkte zu kritisieren, einmal, weil unser Standpunkt doch ein wesentlich anderer ist als der AMONNs, der wie schon gezeigt, zu keinem besseren positiven Resultat kommt, als die früheren, dann weil diese Kritik uns Gelegenheit gibt, fundamentale Fehler der früheren Theorien aufzuzeigen, die zu vermeiden das Ziel jedes weiteren theoretischen Fortschritts sein muß.

Den meisten ökonomischen Theorien ist der  individualistische Ausgangspunkt  gemeinsam. Daß die Versuche, einen  sozialen  Ausgangspunkt zu wählen, soweit sie überhaupt über bloße  Vorschläge  hinausgekommen sind, keine bessere Erkenntnis der wirtschaftlichen Erscheinungen vermittelt haben, wurde schon gezeigt. Es bleibt noch übrig nachzuweisen, daß der individualistische Ausgangspunkt der logisch gegebene und erforderte ist, daß es aber nicht gleichgültig ist, welchen der individualistischen Grundbegriffe man zum Ausgangspunkt wählt. Wir werden zeigen, daß der Begriff des  wirtschaftlichen Handelns  oder des  Wirtschaftens  so gefaßt werden kann, daß er die gleichartige Grundlage sowohl für die Privatwirtschaft als auch für die tauschwirtschaftlichen Erscheinungen abgibt und damit den Aufbau einer geschlossenen  einheitlichen  Theorie ermöglich, was kein sozialer Ausgangspunkt zu leisten imstande ist.

Daß ein wirtschaftstheoretisches System einen individualistischen Ausgangspunkt nehmen muß, scheint mir auch schon logisch begründet, wenn man einerseits Aufgabe und Zweck der Volkswirtschaft selbst ins Auge faßt. Die ökonomische Theorie hat zweifellos - darin ist den Vertretern der "sozialen" Nationalökonomie recht zu geben, es ist dies aber eine Binsenwahrheit, die sich aus den Bestrebungen der Wissenschaft seit 200 Jahren von selbst ergibt - in erster Linie die Aufgabe, den so außerordentlich komplizierten Mechanismus des heutigen Tauschverkehrs zu erklären. Sie tut das, wie alle Erklärung, durch Vereinfachung, durch eine Heraushebung des Wesentlichen und Typischen, durch die Bildung von Kategorien und Abgrenzungen. Was aber als wesentlich und typisch aufzufassen ist, in welcher Weise die Kategorien am besten gebildet, die Abgrenzungen am zweckmäßigsten vorgenommen werden, das ist nur im Rahmen eines ganzen  Systems  der Erklärung möglich zu entscheiden, und deshalb hat die Erörterung eines einzelnen Begriffs - mag er auch noch so wichtig sein, wie das Kapital oder die Grundrente, und mögen noch so geistreiche Theorien daran geknüpft werden - für das Verständnis des Ganzen der Wirtschaft nur sehr geringen Wert, besonders heute, wo über die allerersten Grundlagen der ökonomischen Wissenschaft noch die größte Unklarheit herrscht. Daher hat auch die Erörterung des Wesens der Wirtschaft, die wir hier versuchen, nur Zweck als Grundlage für eine systematische Erklärung des ganzen tauschwirtschaftlichen Mechanismus, die wir uns zum Ziel gesetzt haben.

Wenn es nun aber auch die erste Aufgabe der ökonomischen Wissenschaft ist, die  tauschwirtschaftlichen  Erscheinungen zu erklären, so ergibt sich doch als selbstverständlich, daß sie dabei auf das wirtschaftliche Handeln der einzelnen Menschen zurückgeen und daß eine systematisch-konstruktive Darstellung auch hiervon  ausgehen  muß (10). Denn der ganze tauschwirtschaftliche Mechanismus, den zu erklären die Hauptaufgabe der ökonomischen Theorie ist, hat doch seinerseits wieder als Hauptzweck, ja man kann sagen, als einzigen Zweck, die Bedürfnisse aller einzelnen Menschen möglichst vollkommen zu befriedigen. Er existiert und funktioniert nur um ihretwillen und durch ihren Willen. Denn wenn auch ein Tauschverkehr heute kaum mehr ohne die öffentlichen Körperschaften gedacht werden kann und wenn sie auch sehr vielseitig in das Wirtschaftsleben eingreifen und dabei auch mit eigenen Bedürfnissen auftreten, so hat doch alles Wirtschaftsleben seine  Ursache  nie in einer rechtlichen und sozialen Ordnung, sondern ausschließlich in den Bedarfsempfindungen der einzelnen Menschen. Sie sind es, die den ganzen Tauschverkehr erst in Gang setzen und alle wirtschaftlichen Einrichtungen, die ihm dienen, in letzter Linie geschaffen haben, mag, wie beim Markt, beim Transportwesen und vor allem beim Geld, der Staat  heute  noch so intensiv daran beteiligt sein. Die Wirtschaft der einzelnen Menschen, ihr wirtschaftliches Handeln muß daher der Ausgangspunkt für die theoretische Betrachtung auch aller tauschwirtschaftlichen Phänomene sein und das umso mehr, wenn sich nachweisen läßt, daß die letzten Grundlagen und Prinzipien allen Wirtschaftens in der Einzelwirtschaft und im Tauschverkehr dieselben sind.

Das schließt nicht aus, daß auch die gesellschaftliche Betrachtungsweise, der Ausgangspunkt von gewissen sozialen Gesamtheiten für die Erkenntnis der wirtschaftlichen Erscheinungen Bedeutung behält. Ja, es ist, wie ich schon betonte, kein Zweifel, daß eine richtige ökonomische Theorie auch gleichzeitig die Punkte anzugeben ermöglich, wo beide Betrachtungsweisen sich berühren, und die Grenze, die ihnen  beiden  gesetzt ist. So ergibt sich z. B. aus meiner Preistheorie deutlich, daß und warum der Preis eine "soziale" Erscheinung in einem viel eminenteren Sinn ist, als die bisherigen Theorien angenommen hatten, es ergibt sich aus ihr, daß und warum  alle  Preise in einem Zusammenhang stehen. Aber dennoch kann man mit dieser Theorie alle wichtigen Prinzipien der Preisbildung erklären und sie auf die Nutzenschätzungen der Konsumenten zurückführen, und gleichzeitig ergibt sich aus ihr deutlich, welche Preiserscheinungen man nicht auf subjektive Wertschätzungen sondern auf objektive gesellschaftliche Momente zurückführen muß. In ähnlicher Weise habe ich selbst die Krisen und Konjunkturschwankungen, d. h. die komplexesten Erscheinungen, die es in der Volkswirtschaft gibt und die von allem beeinflußt werden, was in ihr vorgeht, doch zum Teil, durch den Produktivitätsgedanken und durch das Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge, auf die Einzelwirtschaften und ihre Bedürfnisse zurückführen können. Aber auch bei diesen Problemen, die wohl die entferntesten sind, bis zu denen die theoretische Erfassung reicht, zeigt sich durch diese deutlich, in welchem Grad sie durch die sozialen Gesamtheiten bedingte Erscheinungen sind.

Bis zum Beweis des Gegenteils, der bisher von den Befürwortern eines sozialen Ausgangspunktes noch nicht geliefert ist, scheint mir, daß diejenigen wirtschaftlichen Erscheinungen, die nicht auf der Grundlage eines von der Einzelwirtschaft ausgehenden ökonomischen Systems theoretisch erfaßbar sind, auch durch die soziale Betrachtungsweise nicht theoretisch erklärt werden können, daß hier vielmehr die  historisch beschreibende Methode  in Anwendung kommen muß, welche im Gegensatz zur Theorie die Besonderheiten des einzelnen Falles berücksichtigen kann.


Der individualistische Ausgangspunkt der ökonomischen Theorie wird dann auch seit den Klassikern von fast allen Nationalökonomen festgehalten. Unzählige haben sich bemüht, aus den subjektiven Bedürfnissen und Wertschätzungen die tauschwirtschaftlichen Erscheinungen abzuleiten. Aber die immer wieder erneuten Bestrebungen und die zahllosen Kontroversen beweisen allein, daß das noch nicht befriedigend gelungen ist. Und zwar ist es, wie mir scheint, deswegen nicht gelungen, weil man sich  über die ersten Voraussetzungen und Grundlagen aller Wirtschaft nicht klar war.  Das tritt deutlich zutage, wenn man sich nach dem Ausgangspunkt umsieht, den die meisten Nationalökonomen zum "Grundbegriff" nehmen, es ist der des  wirtschaftlichen Gutes. 

Daß man zum Begriff des  wirtschaftlichen  Gutes als Grundbegriff der ökonomischen Theorie kam, ist aus der Geschichte der Wissenschaft leicht erklärbar. Die merkantilistische Lehre, die den Volksreichtum im baren Geld erblickte, mußte schließlich, allein schon durch die Tatsachen, überwunden werden. Es war ein großer Fortschritt, daß man erkannte, der Reichtum bestehe in dem, "was das Geld erkauft". Dabei betrachtete man nun von Anfang an fast ausschließlich die  Sachgüter,  die  Produktion,  und kam so ganz von selbst in die heute noch herrschende Auffassung des Wirtschaftlichen, die ich als die  quantitativ-materialistische  bezeichne, die eine Verwechslung von  Wirtschaft und Technik  und in verschiedener Weise der Grundfehler aller herrschenden Theorien ist. Weil man nur die Beschaffung der Sachgüter betrachtete, kam man dazu, die wirtschaftliche Tätigkeit und  Produktion  zu identifizieren, man sah als Ziel des wirtschaftlichen Handelns eine möglichst große  Produktmenge  an. Diese Verwechslung bzw. die darin liegende falsche Vorstellung vom Wesen des Wirtschaftlichen durchzieht die ganze Nationalökonomie. Sie tritt zutage, wenn man die "Güter" (oder auch den "Wert der Güter"), mit anderen Worten, die Objekte der Bedarfsversorgung, zum Ausgangspunkt der ökonomischen Theorie macht; sie erscheint in der Auffassung des Kapitals als "Produktionsmittel", in der Lehre von den "Produktionsfaktoren", denen die Einkommen zugerechnet werden, in einer Lehre vom Preis, den man als eine Gütermenge auffaßt, bei der Trennung des Stoffes der theoretischen Nationalökonomie in die Lehre von der Produktion, der Distribution und der Konsumtion; sie kommt zum Ausdruck in der Lehre von der "Überproduktion" und in der Auffassung des "Produktivitäts"gedankens. Es handelt sich da keineswegs, wie man nach diesen Beispielen vielleicht glauben könnte, um bloße unzweckmäßige Ausdrücke und Bezeichnungen, sondern es liegt ein fundamentaler Fehler in der Auffassung des Wirtschaftlichen ganz allgemein vor, der in den verschiedensten Formen zutage tritt.

Wenn sich auch die quantitative Auffassung der ökonomischen Vorgänge aus der ganzen Entwicklung der Volkswirtschaftslehre ergibt, so hat in Deutschland doch zweifellos von HERMANN viel zu ihrer Verbreitung beigetragen ("Staatswirtschaftliche Untersuchungen", zweite Auflage, München 1874). Er bezeichnet die Wirtschaftslehre geradezu als  "die Größenlehre der Güter"  (Seite 68). "Die quantitative Überwachung der Herstellung und Verwendung der Güter in einem gesonderten Kreis von Bedürfnissen heißt Wirtschaft" (Seite 11). Er will damit die Wirtschaft von der Technik scheiden, welche es "mit dem Bemühen zu tun hat, die Güter in der rechten  Qualität,  am rechten Ort und zur rechten Zeit darzubieten". Daß diese Auffassung der Technik, als ob es sich bei ihr nur um Qualitätsfragen handelt, viel zu eng ist,  wann  andererseits rein technische Vorgänge zu wirtschaftlichen werden, wird besonders deutlich bei der Untersuchung des  Produktivitätsproblems.  Eine möglichst große Menge von Produkten möglichst billig, mit möglichst geringen Kosten herzustellen, bleibt zunächst eine rein technische Frage, trotzdem  billig  und  Kosten  zweifellos ökonomische Begriffe sind. Wirtschaftlich relevant wird eine derartige technische Erwägung und Betätigung erst, wenn sich daran Erwägungen über die  Bedarfsbefriedigung  oder in der Tauschwirtschaft über den  Absatz,  also über den mit der Produktion zu erzielenden Preis knüpfen. Ich muß dafür hier auf meine schon zitierte Arbeit "Grundlagen einer ökonomischen Produktivitätstheorie" verweisen.

Ein extremer und besonders charakteristischer Vertreter dieser materialistischen Auffassung ist HEINRICH DIETZEL, von dem die eindringlichste Erörterung der "Elementarphänomene" der Wirtschaft herrührt, die wir besitzen. Er geht zwar in seiner "Theoretischen Sozialökonomik" prinzipiell nicht vom Begriff des wirtschaftlichen Gutes aus, sondern von dem der wirtschaftlichen Handlung, aber dennoch ist jenes in Wirklichkeit sein Grundbegriff. Denn er definiert die wirtschaftliche Handlung als eine solche, die auf die Beschaffung von  Sachgütern  gerichtet ist. Er beginnt nämlich in Buch I § 1 mit dem Satz:
    "Nach Wahrheit und Tugend, Liebe und Freundschaft, Rang und Ruhm zu streben oder nicht zu streben, steht dem Menschen frei. Gewisse Zwecke aber werden ihm von der Natur aufgezwungen: er muß Nahrung beschaffen, seine Blößen decken usw.; er muß sich, allgemein gesprochen, Teile der Sachenwelt unterwerfen.  Das Bedürfnis nach Sachen nennen wir das wirtschaftliche Bedürfnis, und die Handlungen,  welche unter dem Antrieb dieses Bedürfnisses erfolgen,  wirtschaftlichen  Handlungen."
Die Begründung dieses Axioms ist aber äußerst dürftig:
    "Nur dadurch, daß man sich des Merkmals  Sachgut  bedient, kann eine Absonderung des wirtschaftlichen vom übrigen menschlichen Tun erfolgen. Dieses Merkmal ist schlechterdings unentbehrlich, aber auch ausreichend." (Seite 160).
Das ist eine  petitio principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp], und wie wir unten zeigen werden, durchaus unzutreffend, ebenso wenn er z. B. schon in seinem Aufsatz "Der Ausgangspunkt der Sozialwirtschaftslehre und ihr Grundbegriff", Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1883, Seite 65 definiert:
    "Wirtschaftliche Handlungen sind solche, die den Zweck verfolgen und denselben zu erreichen geeignet sind, einen begrenzten Teil des Stoffes der Willensherrschaft einer Person zu unterwerfen. Wirtschaftliches Bedürfsni: Das Bedürfnis dieser Herrschaft; Wirtschaftliche Güter: Mittel zur Befriedigung des wirtschaftlichen Bedürfnisses."
Zur Begründung sagt DIETZEL immer nur, daß der Begriff des Wirtschaftlichen zu weit würde, man müsse sich "beschränken";
    "Will sich die Wirtschaftstheorie nicht über menschliches Handeln jeder Art verbreiten, so hat sie sich zu beschränken auf eine Analyse der  direkt  produktiven, der  materiellen  Leistungen."
Durch die Heranziehung des Begriffs "direkt produktiv" wird natürlich die Begründung nicht besser, und wenn er gegen PHILIPPOVICHs Meinung, mindestens müsse doch die Verwendung sachlicher Güter zur Erlangung von Dienstleistungen, z. B. der Hilfe eines Arztes, als eine wirtschaftliche Handlung angesehen werden, einwendet (Seite 173), eine solche Handlung entspringe dem "desire of health" [Wunsch nach Gesundheit - wp] nicht dem "desire of wealth" [Wunsch nach Reichtum - wp], so klingt das ja sehr hübsch, aber er hat nirgends bewiesen, daß das "Streben nach Reichtum" mit dem wirtschaftlichen Handeln identisch ist. Und wenn DIETZEL schließlich meint (Seite 171):
    "Was ist denn  nicht  Wirtschaft, wenn z. B.  Adolf Wagner,  Grundlegung I, Seite 349, sie als Inbegriff der auf eine fortgesetzte Beschaffung und Verwendung von Gütern gerichteten, planvoll nach dem ökonomischen Prinzip erfolgenden Arbeitstätigkeiten definiert",
so ist zu sagen, daß, wenn man nur den Ausdruck: ökonomisches Prinzip richtig versteht, diese Definition das wirtschaftliche Handeln im Gegensatz zu anderen menschlichen Handlungen im allgemeinen ganz zutreffend abgrenzt. Darüber aber später.

Im Übrigen sei für die Widerlegung der Ansichten DIETZELs und aller anderen hierher gehörigen Autoren nochmals auf die in der Kritik ausgezeichnete Arbeit von ALFRED AMONN, "Objekt und Grundbegriffe der theoretischen Nationalökonomie" hingewiesen.

Aber selbst die zahlreichen Schriftsteller, die den Begriff des wirtschaftlichen Gutes weiter fassen und, in verschiedenem Umfang, auch  immaterielle Güter  als in den Kreis des Wirtschaftlichen gehörig zu erweisen sich bemühen - und es ist im Laufe des 19. Jahrhunderts ein unendlicher Scharfsinn darauf verwendet worden, eine zweckmäßige Abgrenzung der wirtschaftlichen Güter zu finden - auch alle, die einen erweiterten Güterbegriff vertreten, gelangen doch alsbald in ein materialistisches Fahrwasser und betrachten nur die  Produktion  und die  Produktionsmengen.  So - um nur zwei Namen zu nennen - die zwei bedeutendsten Verfasser moderner theoretischer Systeme, ADOLF WAGNER und ALFRED MARSHALL. WAGNER rechnet zwar auch die Dienste zu den wirtschaftlichen Gütern, aber seine Darstellung bleibt eine materialistische und ist z. B. in seiner "Theoretischen Sozialökonomik" in  "Produktion der Güter"  und  "Verteilung des Produktionsertrags"  gegliedert. Auch MARSHALL geht zwar, wie die meisten Nationalökonomen in englischer Sprache, vom Begriff des  Reichtums  aus, kommt aber sofort zur Lehre von den  wirtschaftlichen Gütern  (englische Ausgabe Seite 102, deutsche von Arthur Salz, Seite 112), als welche Sachgüter und direkt für die Beschaffung solcher verwendete "immaterielle äußere" Güter gelten, und ist in allen seinen Ausführungen, wobei er auch viel im Sinne der mathematischen Nationalökonomen mit Quantitätsgleichungen operiert, ein typischer Vertreter der Verwechslung technisch-materiell-quantitativer und wirklich  wirtschaftlicher  Gesichtspunkte.

Von einer klaren Unterscheidung des Technischen vom Ökonomischen ist man heute noch himmelweit entfernt. Die rein materialistische Auffassung, daß das Ziel der Wirtschaft eine Produktmenge ist, tritt auch bei den "subjektivsten" Schriftstellern immer wieder hervor, wie ich es in "Ertrag und Einkommen" und in meinen Aufsätzen an zahlreichen Beispielen dargelegt habe. Man könnte aber damit Bände füllen. Ihren Höhepunkt erreichten diese Irrtümer sogar erst neuerdings in den Schriften mancher Nationalökonomen, die die grundlegenden ökonomischen Vorgänge auf Gleichungen bringen und es direkt als Aufgabe der ökonomischen Theorie bezeichnen, die Veränderungen festzustellen, die sich in den Güterquantitäten ergeben. Es ist aber geradezu unglaublich, und in einigen Jahrzehnten wird man die Hände über dem Kopf darüber zusammenschlagen, daß es am Anfang des 20. Jahrhunderts noch möglich war, daß Schriftsteller, die sich sonst von den mathematischen Spielereien fernhalten und raten, Gleichungen wie die folgende:

4000 konstantes Kap. + 1000 variables Kap. + 1000 Mehrwert = 6000 Produktionsmittel
1000 konstantes Kap. + 500 variables Kap. + 500 Mehrwert = 3000 Konsumtionsmittel
      =====================
              Gesamtwert  = 9000

(Rudolf Hilferding,  Das Finanzkapital, Marx-Studien, Bd. III, 1910, Seite 304f) seitenlang als ökonomische Theorie erörtern können. Noch schlimmer ist es aber, daß niemand den Unsinn merkte, der darin liegt. Unsere ganze Nationalökonomie steckt so tief im Materialismus, daß zahlreiche Nationalökonomen wie CLARK, SCHUMPETER, von BORTKIEWICZ, TUGAN-BARANOWSKI u. a. noch neuerdings ganze Bücher auf dieser Grundlage veröffentlichen konnten. Es wird noch angestrengtester Arbeit bedürfen, bis wir aus allen damit verbundenen Irrtümern herauskommen. Erste Voraussetzung dafür ist natürlich eine bessere Einsicht in das eigentliche Wesen der Wirtschaft, die zu liefern der Zweck dieses Aufsatzes ist. -

Es ist nun keineswegs der Erkenntnis des erwähnten Grundfehlers der ökonomischen Theorie, der quantitativ-materialistischen Auffassung, zuzuschreiben, daß die neuere Nationalökonomie, in der Hauptsache seit RICARDO, anstelle eines so rein objektiven Ausgangspunktes wie der Gutsbegriff einen mehr  subjektiven  suchte und daher im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr und schließlich fast allgemein den  "Wert"  zum Ausgangspunkt und Grundbegriff der ökonomischen Theorie machte. Denn schon die Tatsache des Bestehens einer sogenannten  objektiven  Wertlehre, die im Laufe des 19. Jahrhunderts zahlreiche Anhänger gehabt hat und noch heute besitzt, beweist, daß der Ausgang vom "Wert" noch keineswegs eine  individualistisch,  geschweige denn eine  "subjektiv"  begründete Theorie bedeutet. Schon ADAM SMITH hatte ja vom "Wert" gesprochen und Gebrauchswert und Tauschwert unterschieden. Ihn aber und seine Nachfolger interessierte nur der letztere, der dann in der bekannten Weise, weniger von ADAM SMITH selbst, als von seinen Nachfolgern auf die  Arbeit  zurückgeführt wurde. Diese  Arbeitswerttheorie  beruth nun aber auch wieder auf nichts anderem als auf jener Verwechslung von Wirtschaft und Technik ("Produktion"). Sie ist die folgenschwerste Konsequenz dieser Irrtümer, der ganze theoretische Sozialismus (Rodbertus, Marx) beruth auf ihr und sie ist so ein ernstes Beispiel dafür, daß falsche ökonomische Theorien nicht praktisch harmlos sind, sondern die unheilvollsten, sozialen und politischen Konsequenzen haben können.

Es ist das Verdienst der  neueren  ökonomischen Theorie, vor allem der österreichischen sogenannten  Grenznutzenlehre,  und wie mir scheint, ihr einziger wirklicher Fortschritt in der Lehre von den sogenannten Grundbegriffen gegenüber den Klassikern, diese sogenannte objektive Wertlehre widerlegt und an ihre Stelle einen, prinzipiell wenigstens,  subjektiven  Ausgangspunkt gesetzt zu haben. Der das am ersten und radikalsten getan hat, war freilich kein Vertreter der offiziellen "subjektiven Richtung", sondern, schon 20 Jahre vor deren erstem Auftreten, ein ganz unabhängier, eigene Wege gehender Schriftsteller, der rheinische Regierungs-Assessor a. D. HERMANN HEINRICH GOSSEN (11). Wegen zu großer Einseitigkeit - er will aus der Nationalökonomie eine reine "Genußlehre" machen - mußte er freilich ganz ohne Einfluß bleiben. Die ersten einflußreichen Vertreter einer subjektiven Wertlehre als Grundlage der ökonomischen Theorie waren CARL MENGER in Österreich und STANLEY JEVONS in England. Aber sie haben zunächst die alte Arbeitswerttheorie noch gar nicht bekämpft. Erst nachdem der sogenannte wissenschaftliche Sozialismus (RODBERTUS, MARX), der sich ihrer zur Stütze seiner Forderungen bemächtigt hatte und vor allem sein wichtigstes Postulat, das  "Recht auf den vollen Arbeitsertrag auf sie gründete, sich sozusagen die Welt erobert hatte, hat man die Arbeitswerttheorie durch die subjektive Wertlehre zu widerlegen versucht. Man hat darauf hingewiesen, daß nicht die Arbeit ansich Werte schafft, sondern nur dann, wenn sie sich in wertgeschätzten Produkten verkörpert, daß also die subjektiven Wertschätzungen der Konsumenten das Primäre sind und die Arbeit und überhaupt den ganzen tauschwirtschaftlichen Organismus erst in Bewegung setzen.

Aber diese Erkenntnis ist selbst heutzutage noch so wenig durchgedrungen und noch so wenig in das Ganz der heute herrschenden theoretischen Systeme hineingepaßt, daß, wenn auch nich die reine Arbeitswerttheorie der Klassiker und des "wissenschaftlichen" Sozialismus, so doch die Bestimmung des  Wertes  der Güter durch die  Kosten - als welche in letzter Linie natürlich die Arbeit in Betracht kommt - noch immer, man kann wohl sagen, die  herrschende  Ansicht ist. Denn auch die sogenannten subjektiven Werttheoretiker kommen doch schließlich dazu, daß der Wert durch die Kosten bestimmt wird.

Allerdings wird  prinzipiell  von allen Vertretern der verschiedenen Wertlehren heute anerkannt, daß der Wert der Güter  in letzter Linie  von ihrem "Nutzen", von den Bedürfnissen, die sie befriedigen, abhängt. Aber wie ADAM SMITH und RICARDO den Nutzen (Gebrauchswert) nicht als maßgebend für den Tauschwert erklärt hatten, weil Güter, die sehr nützlich sind, wie Kohlen, Eisen, Getreide, doch einen sehr geringen "Wert" haben - sie haben dabei den sogenannten  Tauschwert  im Auge - ebenso erklären die Neueren, daß der Nutzen nicht für den  wirtschaftlichen Wert  entscheidend ist, weil sehr nützliche Dinge, die Luft, das Sonnenlicht usw., kurz die sogenannten  freien Güter  sehr wenig geschätzt werden. Dieser anscheinend sehr plausible Hinweis, der sich in allen modernen Lehrbüchern findet, ist die zunächst sehr bedeutungsvoll erscheinende Nuance, um die die neuere Wertlehre "subjektiver" ist als die alte. Der Gedanke des "Tauschwertes", den die letztere verwertet, ist zweifellos einer der größten Unheilstifter in der ökonomischen Theorie gewesen. Aber er macht seinen Einfluß noch heute vollauf geltend, indem, wie ich in meinem Aufsatz über die Preistheorie gezeigt habe, noch heute  alle  Theorien der Meinung sind, daß der  Preis ein Ausdruck eines irgendwie formulierten Wertes ist.  Die Behauptung, daß ich den Rock, den ich für 50 Mark kaufe, = 50 Mark schätze, ist jedenfalls nie schärfer kritisiert worden.

Aber die neuere Theorie, die unter Hinweis auf die freien Güter die  Verschiedenheit von Nutzen und Wert  betont, ist überhaupt von der älteren, die dafür auf den Tauschwert hinweist, nicht so verschieden, wie es auf den ersten Blick erscheint. Jene ist vielmehr nur eine etwas "subjektivere" Einkleidung. Denn die  Begründung  für die Notwendigkeit eines vom Nutzen verschiedenen "Wertes" ist  bei beiden Richtungen genau die gleiche:  sie geschieht in beiden Fällen mit dem Hinweis auf den Faktor  beschränkte Vermehrbarkeit, Seltenheit.  Dieser selbe Gedanke veranlaßte die alten Werttheoretiker zur Aufstellung eines vom Gebrauchswert verschiedenen "Tauschwertes", wie er die Neueren veranlaßt, dem Wert im allgemeinsten Sinn = Nutzen einen besonderen  wirtschaftlichen Wert  gegenüberzustellen.

Es muß nun auf das schärfste betont werden, daß, ganz ebenso wie beim Tauschwert, auch dieser moderne Begriff des  wirtschaftlichen Wertes,  der eine Funktion von Nutzen und Seltenheit sein soll, nichts anderes bedeutet als  ein Hineintragen objektiv-materialistisch-quantitativer Vorstellungen in die vermeintlich subjektiv begründete Wertlehre. Daher  habe ich - was die Kritiker der Schrift nicht erkannten -, weil ich  diesen  Wertbegriff ablehne und finde, daß er beim wirtschaftlichen Handeln nicht in Betracht kommt, meine Schrift "Ertrag und Einkommen als "auf der Grundlage einer  rein  subjektiven Wertlehre" stehend bezeichnet. Auch die konsequentestsen "Subjektivisten" in der bisherigen Wertlehre, die österreichischen Grenznutzentheoretiker, kommen dadurch, daß sie ein objektives Faktum:  beschränkte Verfügbarkeit, Seltenheit  zum Kriterium des wirtschaftlichen Wertes - nehmen, in das quantitativ-materialistische Fahrwasser, was dann durch den Grenznutzengedanken noch verstärkt wird.

Es ist aber klar, daß die Seltenheit nicht neben dem Nutzen, Bedürfnis, als gleichgeordnete Komponente des Wertes betrachtet werden kann. Denn die Seltenheit ihrerseits hängt doch auch wieder von den Bedürfnissen des Menschen nach den betreffenden Gütern ab. Es gibt im wirtschaftlichen Sinn keine objektiv seltenen Güter, sondern selten sind Dinge nur im Verhältnis der auf sie gerichteten Begehrungen. Nur auf sie, die Bedürfnisse, ihren Umfang und ihre Intensität kommt es also an und die Statuierung der Seltenheit neben der individuellen Nutzenschätzung als Faktor des "Wertes" bedeutet ein Hineintragen  objektiv-quantitativer  Gesichtspunkte in die vermeintlich subjektive Wertlehre. Die Seltenheit kommt beim wirtschaftlichen Handeln, das ausschließlich mit den Begriffen  Nutzen  und  Kosten  operiert, nur auf der  Kostenseite  in Betracht. Ob die Gegenstände der äußeren Natur unbeschränkt oder beschränkt vorhanden, selten oder nicht selten sind - abgesehen von den ganz unvermehrbaren, die  wegen  ihrer Seltenheit geschätzt werden, Bilder verstorbener Meister -, alle  kosten  im letzten Grund nur Arbeit. Sie werden aber deswegen nicht nach der Arbeit geschätzt, wie die ganze objektive Wertlehre und der Sozialismus behauptet, sondern Arbeit wird auf sie verwandt aufgrund ihrer Wertschätzung durch die Konsumenten und nach den Regeln des wirtschaftlichen Handelns, der Aufwendung von Kosten, die es eben aufzufinden gilt. Ich schätze den Genuß eines Apfels nicht höher, einerlei ob die Ernte klein oder groß war. Aber wenn es wenig Äpfel gibt im Verhältnis zu den auf ihren Genuß gerichteten Begehrungen, der Nachfrage, werden diejenigen, die sie am höchsten schätzen, veranlaßt,  mehr Kosten  auf sie aufzuwenden. Diejenigen, die sie geringer schätzen, werden ausgeschlossen (sie erzielen bei der Beschaffung nicht mehr ihren Grenzertrag), und in der Tauschwirtschaft wird daher auch der  Preis  der Äpfel höher werden. Mit einem irgendwie aufgefaßten subjektiven  Wert  aber hat dies gar nichts zu tun. Die individuelle Bewerung, Nutzenschätzung jedes Apfels ist nicht anders als vorher (hier liegt der Fehler aller vom "Wert" ausgehenden Theorien, insbesondere der österreichischen sogenannten Grenznutzen - besser Grenz wert theorie). Ein "Wert" des Apfels, oder der Äpfel, der vom "Preis" verschieden ist, läßt sich nicht bestimmen. Wohl aber kann man mittels des Ertragsgedankens, aber  nur  mit ihm, in der Weise, wie ich das in meiner Preistheorie gezeigt habe, direkt den subjektiven Grundbegriffen Nutzen und Kosten zur Erklärung der Preisbildung gelangen. Ein besonderer  Wert begriff, der außer vom Nutzen auch von der Seltenheit abhängen soll, ist nicht nur überflüssig, sondern direkt irreführend. Man wäre schon längst zu einer besseren Einsicht in die wirtschaftlichen Vorgänge gelangt, wenn man nicht immer nach "dem Wert" der Güter gefragt hätte. Dieser ganze Begriff des wirtschaftlichen Wertes ist, ebenso wie der des Tauschwertes, eine bloße Fiktion, eine willkürliche Konstruktion, auf die es beim wirtschaftlichen Handeln gar nicht ankommt. Es ist ganz klar, daß, abgesehen von Gütern, die  wegen  ihrer Seltenheit geschätzt, "gesammelt" werden (z. B. seltene Briefmarken), jedermann die Dinge nicht nach ihrer Seltenheit, sondern nach dem ganz individuellen Nutzen schätzt, den sie ihm leisten (12).

Die Unrichtigkeit jenes Wertbegriffs - ganz abgesehen davon, daß er dann meistens noch mit dem  Preis  verwechselt wird - ergibt sich auch schon daraus, daß auch auf sogenannte freie, in unbeschränkter Menge vorhandene Dinge wirtschaftliche Handlungen gerichtet sind, Kosten aufgewandt werden, so auf das Holz im Urwald, das Wasser an der Quelle, die Luft, das Sonnenlicht und was alles als "freie Güter" in den Lehrbüchern paradiert. Diese Unterscheidung hat für die Erkenntnis des Wesens des wirtschaftlichen Handelns keine Bedeutung.

Keine Verbesserung der herrschenden Seltenheitslehre ist es, wenn OTTO CONRAD, "Die Lehre vom subjektiven Wert als Grundlage der Preistheorie", Wien 1912, Seite 10, "die Größe des Wertes vom  Grad der Brauchbarkeit  und der Höhe des Bedürfnisses abhängen" läßt. Ersteres soll "auf Seite des Gutes" die Größe des Wertes bestimmen. So, objektiv aufgefaßt, ist der Grad der Brauchbarkeit, der danach einem Gut objektiv anhaftet, eine Fiktion. Richtig,  subjektiv  aufgefaßt, ist aber die "Brauchbarkeit"  schon im Begriff des Bedürfnisses,  des Begehrens  enthalten,  und auch CONRAD kommt schließlich dazu: "Der Satz, daß die Größe des Wertes von der Größe des Nutzens, den das Gut dem Schätzenden gewährt, abhängt, gilt ohne Ausnahme." (Seite 13)

Aber diese Frage nach dem  Güterwert,  mag man ihn nun mit dem Bedürfnis, Nutzen identisch erklären oder ihne aus der beschränkten Verfügbarkeit der Güter ableiten, führt überhaupt zu nichts, weil damit das Auge immer auf die  Objekte  der Wirtschaft gezogen wird, was sich aus der geschichtlichen Entwicklung der Wissenschaft erklärt, statt  das wirtschaftliche Handeln der Menschen zu beobachten,  was ihre erste Aufgabe ist.

Wir können daher die zahllosen Wertlehren, die aufgestellt worden sind, auf sich beruhen lassen und tun am besten, den Begriff des Wertes, der immer zu einer Objektivierung der wissenschaftlichen Betrachtung führt,  ganz aus der ökonomischen Theorie fortzulassen." (13)

Mit wenigen Worten sei noch auf den Begriff des  Bedürfnisses  eingegangen, der sehr naheliegend erscheint, wenn man an einem individualistischen Ausgangspunkt festhält, und auch oft versucht wurde. Aber er ist unbrauchbar, selbst wenn man das Einlenken in die materialistische Auffassung vermeidet. Ein solches liegt auch von hier aus nahe, aufgrund der beliebten in zahlreichen Lehrbüchern sich findenden Definition der Bedürfnisse: Empfindung eines Mangels verbunden mit dem Wunsch, ihn zu beseitigen. Das führt alsbald zu den "Gütern" und ihrer beschränkten Verfügbarkeit, dann zur Lehre von der Produktion usw., kurz zum Materialismus in der ökonomischen Theorie.

Das zeigt sich deutlich bei von HERMANN, "Staatswirtschaftliche Untersuchungen", von dem auch die obige Definition des Bedürfnisses herrührt. Denn seine eingehende Klassifizierung der Bedürfnisse in absolute und relative, höhere und niedere, allgemeine und besondere zeigt den materialistischen Charakter seiner ganzen Darstellung und beweist, daß es ihm beim Begriff des Bedürfnisses nicht auf einen subjektiven Ausgangspunkt für sein ganzes theoretisches System ankam. Er untersucht auch mehr als die Bedürfnisse den  "Bedarf",  worunter er das  Quantum  der Brauchlichkeiten versteht, welches zur Befriedigung des Bedürfnisses notwendig ist (Seite 79) und meint auch, daß "der wahre Bedarf der  Sachbedarf  ist". Auf das Kapitale über die Bedürfnisse folgt dann das übliche über die Güter, über die Wirtschaft und dann der umfangreichste Abschnitt über die "Produktion".

Daß man sich mit einer Untersuchung der Bedürfnisse für die ökonomische Theorie noch zu keinerlei Resultaten kommt, wird durch das Buch von FRANZ CUHEL, "Zur Lehre von den Bedürfnissen", Innsbruck 1907, bewiesen. Sein Fehler ist, daß auch er von "subjektiven Wohlfahrtszuständen" ausgeht und sich dann in unbrauchbaren Unterscheidungen wie Wohlfahrts-, Verwendungs- und Verfügungsbedürfnisse verliert. Der wichtigste Satz über die Bedürfnisse, den schon 20 ahre vor der 2. Auflage des  von Hermannschen  Buches H. H. GOSSEN in seiner "Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs aufgestellt hatte und der der einzigste über die Bedürfnisse ist, der für die ökonomische Theorie in Betracht kommt, der aber selbst noch nicht zu ihr gehört: Der Satz von der abnehmenden Dringlichkeit der Bedürfnisse bei zunehmender Sättigung wird von diesen Schriftstellern gar nicht herangezogen.

GOSSEN geht selbst übrigens nicht vom Begriff des  Bedürfnisses  aus, das so leicht zur materialistischen Auffassung führt, sondern vom Begriff des  Genusses,  und will überhaupt die Nationalökonomie zu einer "Genußlehre" erweitern. Er ist der erste, der den heute noch herrschenden Materialismus in der ökonomischen Theorie klar als falsch erkennt und bekämpft hat. Er sagt (Seite 34):
    "Die Nationalökonomie hat es sich zur Aufgabe gestellt, die Regeln zu entwickeln, nach welchen die Versorgung des Menschengeschlechts mit sogenannten  sachlichen  Gütern vor sich geht. Zu dieser Beschränkung ist durchaus kein haltbarer Grund vorhanden, denn dem genießenden Menschen ist es ganz und gar gleichgültig, ob der Genuß durch materielle oder immaterielle Güter zustande gebracht wird. Auch hat zu dieser Beschränkung lediglich der Umstand Veranlassung gegeben, daß es nicht gelingen wollte, die Regeln so auszusprechen, daß sie über die materiellen Güter hinaus eine Anwendbarkeit erlangten."
GOSSEN hat zwar richtig dargelegt, wie die Genüsse geschätzt werden und dafür das Gesetz des abnehmenden Genusses (erstes Gossensches Gesetz) aufgestellt; er hat auch darüber hinaus noch den Grundgedanken, der das wirtschaftliche Handeln der Menschen bestimmt, richtig erkannt und ihm im zweiten  Gossenschen Gesetz:  "Gesetz des Ausgleichs der letzten zur Befriedigung gelangenden Genüsse", Ausdruck gegeben, aber er hat die Beziehung zu den eigentlich  wirtschaftlichen  Handlungen dadurch verloren, daß er es bei seiner "Genußlehre" versäumt hat, dem Genuß (Nutzen) die  Kosten  gegenüberzustellen (14). Darüber braucht man heute keine Worte mehr zu verlieren, daß eine reine Genußlehre das Wesen des wirtschaftlichen Handelns nicht erklären kann. Aber auch die nähere Untersuchung der Bedürfnisse fällt, da dies  vorwirtschaftliche  Erscheinungen sind, außerhalb der Aufgabe der ökonomischen Theorie.
LITERATUR Robert Liefmann, Das Wesen der Wirtschaft und der Ausgangspunkt der Nationalökonomie, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, III. Folge, Bd. 46, Jena 1913
    Anmerkungen
    1) Das zeigt sich darin, daß alle bisherigen Theorien unter Preis eine  Güterquantum  verstehen, statt in ihm einen Geldausdruck, d. h. einen Generalnenner zu sehen, der mit allen Gütern und allen Preisen in Beziehung steht.
    2) Die meisten neuen englischen und amerikanischen Lehrbücher gehen aber nicht mehr vom  Volks reichtum, sondern vom Reichtum aus und kommen damit ebenso in die übliche materialistisch-quantitative Auffassung wie die deutschen Nationalökonomen mit ihrem Guts- und Wertbegriff. Alle englischen und amerikanischen Nationalökonomen sind typische Vertreter dieses Irrtums, als Beispiel seien nur die beiden neusten amerikanischen Lehrbücher genannt: Irving Fisher, "Elementary Principles of economics", 1912, der mit dem Begriff des Reichtums beginnt und ihn als Sachgüterbesitz definiert, und  F. W. Taussig,  "Principles of Economics", 1911, der seinem ersten Buch den Titel: Die Organisation der Produktion gibt.
    3) von Philippovich, Referent in der Wiener Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik, Schriften, Bd. 132: "Es gibt keinen individuellen Reichtum", siehe dazu meinen Aufsatz: "Grundlagen einer ökonomischen Produktivitätstheorie in dieser Zeitschrift, III. Folge, Bd. 43.
    4) Im letzten Grund wird der ganze Gedanke des Habens, Besitzens, der zum Eigentum führt, nicht erst ausgelöst durch soziale Verkehrsbeziehungen, sondern schon ganz allgemeine durch das Moment der  Kosten, Aufwendungen,  welches die eine Grundlage allen Wirtschaftens ist. An Gegenstände, die uns ohne Kosten zur Verfügung stehen, knüpft die Vorstellung des Besitzes zunächst überhaupt nicht an. Und so sind, wie das auch logisch selbstverständlich ist,  wirtschaftliche Erwägungen die Ursache des Eigentums  und damit auch der rechtlichen Ordnung, und es bedeutet eine völlige logische und historische Verkennung des Kausalzusammenhangs, im Privateigentum eine  Voraussetzung  der wirtschaftlichen Erscheinungen zu sehen. Sobald man nur das Wesen des Wirtschaftlichen  richtig  erkennt, werden alle diese Zusammenhänge klar.
    5) Die folgenden Ausführungen sind insbesondere eine Polemik gegen von meinem Freiburger Kollegen Dr. Schönitz in persönlicher Unterhaltung und in Vorträgen vertretene Ansichten.
    6) Auch beim Kapital kann eine richtige ökonomische Theorie zeigen, daß die fundamentalen wirtschaftlichen Erscheinungen, um derenwillen man zur Aufstellung eines besonderen Kapitalbegriffs gelangt, die Erscheinungen des  Kapitalertrags,  in ihren letzten Grundlagen bei der Einzelwirtschaft (Konsumwirtschaft) und in der Tauschwirtschaft dieselben sind. Allerdings sind mit diesem Begriff heute noch die verbreitetsten Irrtümer der herrschenden Theorien: Zurechnungslehre, Verteilungstheorie verbunden.
    7) Othmar Spann, Wirtschaft und Gesellschaft, Seite 222
    8) Einen Versuch, den sozialen und den individuellen Ausgangspunkt zu kombinieren, hat in gewissem Sinne Franz Oppenheimer in seinem Buch "Theorie der reinen und politischen Ökonomie", Berlin 1910, unternommen. Er geht für die reine Ökonomie individualistisch vom Begriff des Wirtschaftens aus, wobei er mit seinem Satz: "Nur weil die Dinge etwas  kosten,  entsteht der Trieb mit ihnen zu wirtschaften", meiner Auffassung verhältnismäßig nahe kommt. Aber sein Hauptinteresse ist nicht der reinen, sondern der politischen Ökonomie zugewandt, und deshalb leistet seine Arbeit auf dem Gebiet jener nichts für eine bessere Erkenntnis der wirtschaftlichen Erscheinungen. Für die politische Ökonomie mag ein sozialer Ausgangspunkt der richtige sein, doch stehen wir bei ihrer theoretischen Erfassung noch so in den Anfängen, daß mir scheint, wir müßten erste einmal die reine Theorie weiter gefördert, d. h. die Grundlagen allen Wirtschaftens klar erkannt haben, bevor wir daran denken können, zu einer Theorie der politischen Ökonomie zu gelangen. Oppenheimer ist auf diesem Gebiet viel zu sehr im Bann bestimmter Tendenzen, als daß ich ihm zugeben könnte, trotz mancher guten Bemerkungen und Ansätze, wirklich eine Theorie der politischen Ökonomie geliefert zu haben.
    9) Das geht auch deutlich aus den Bemerkungen von Max Weber zu dem unten erwähnten Versuch von  Andreas Voigt  hervor, das Wesen der Wirtschaft mit dem wirtschaftlichen Prinzip zu definieren (Verhandlungen des I. deutschen Soziologentages, Seite 267). Er will wirtschaftliche Probleme nur beim  Tausch  als vorliegend ansehen und will, ähnlich wie  Amonn,  das Objekt der Wissenschaft dahin bestimmen, daß sie sich nur mit der Analyse derjenigen Mittel zur Bedarfsbefriedigung befaßt, welche denkbarerweise Gegenstand eines Tausches werden können. Das ist eine willkürliche und formale Abgrenzung und wenn sie auch  Weber  nur ganz gelegentlich vorgenommen hat, so ist doch prinzipiell zu bemerken, daß eine derartige formale Scheidung nach der Art der Mittel jeder tieferen Erkenntnis der wirtschaftlichen Erscheinungen einen Riegel vorschiebt. Ich glaube das durch die folgenden Ausführungen und meine positive Lösung des Problems der Wirtschaft beweisen zu können.
    10) Daß der  Weg der Erkenntnis,  der  Beobachtung  ein anderer sein kann und daß dabei deduktive und induktive Methode fortgesetzt miteinander kombiniert werden, habe ich schon in anderen Arbeiten betont.
    11) Vgl. zu Gossen und seine Lehre meinen Aufsatz zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages in dieser Zeitschrift, Bd. 40, 1910, III. Folge.
    12) Es ist im Rahmen dieses Aufsatzes nicht möglich, auf das komplizierte Problem der Seltenheit und ihre Bedeutung für das wirtschaftliche Handeln näher einzugehen, worüber ebenfalls noch die allergrößten Unklarheiten bestehen. Nationalökonomen, die selbständig zu denken imstande sind, bietet sich hier ein Thema, dessen vollständige Aufhellung großen Scharfsinn erfordert.
    13) Nur der Begriff des  Ertragswertes  als Bezeichnung für die Schätzung gewisser Güter entfernterer Ordnung hat eine theoretische Bedeutung, weil er nicht gut durch einen anderen Ausdruck zu ersetzen ist (vgl. meine "Entstehung des Preises", Kap. VIII).
    14) Vgl. dazu meinen oben zitierten Aufsatz über Gossen in dieser Zeitschrift.