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Die Methode der Sozialwissenschaften [2/4]
Erstes Buch 1. Kapitel Über die verschiedenen Gesichtspunkte der Forschung auf dem Gebiet der Volkswirtschaft Die Welt der Erscheinungen kann unter zwei wesentlich verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden. Entweder sind es die konkreten Phänomene in ihrer Stellung in Raum und Zeit und in ihren konkreten Beziehungen zueinander oder aber die im Wechsel dieser letzteren wiederkehrenden Erscheinungsformen, deren Erkenntnis den Gegenstand unseres wissenschaftlichen Interesses bildet. Die erstere Richtung der Forschung ist auf die Erkenntnis des Konkreten, richtiger des Individuellen, die letztere auf jene des Generellen der Erscheinungen gerichtet und es treten uns demnach, entsprechend diesen beiden Hauptrichtungen des Strebens nach Erkenntnis, zwei große Klassen wissenschaftlicher Erkenntnisse entgegen, von welchen wir die ersteren kurz die individuellen, die letzteren die generellen nennen werden. (1) Das Interesse, welches der menschliche Geist an der Erkenntnis der konkreten Erscheinungen (des Individuellen) nimmt und die Bedeutung desselben für das praktische Leben ist von selbst ersichtlich; desgleichen die formale Natur der Ergebnisse des auf das Individuelle gerichteten Erkenntnisstrebens. Nicht eben so nahe liegend dem allgemeinen Verständnis sind das Wesen und die Bedeutung der generellen Erkenntnisse und mögen deshalb um der Wichtigkeit dieses Gegenstandes wegen für das Verständnis des Wesens der theoretischen Wissenschaften und ihres Gegensatzes zu den historischen einige diesbezüglich Bemerkungen hier ihre Stelle finden. Trotz der großen Mannigfaltigkeit der konkreten Erscheinungen, vermögen wir, selbst bei flüchtiger Beobachtung wahrzunehmen, daß nicht jedes einzelne Phänomen eine besondere, von jener aller übrigen verschiedene Erscheinungsform aufweist. Die Erfahrung lehrt uns vielmehr, daß sich bestimmte Erscheinungen, bald mit größerer, bald mit geringerer Genauigkeit wiederholen und im Wechsel der Dinge wiederkehren. Wir nennen diese Erscheinungsformen Typen. Ein gleiches gilt von den Beziehungen zwischen den konkreten Erscheinungen. Auch diese weisen nicht in jedem einzelnen Fall eine durchgängige Besonderheit auf; wir vermögen vielmehr unschwer gewisse, bald mehr, bald minder regelmäßig wiederkehrende Relationen zwischen denselben zu beobachten (z. B. Regelmäßigkeiten in der Aufeinanderfolge, in der Entwicklung, in der Koexistenz derselben), Relationen, welche wir typische nennen. Die Erscheinungen des Kaufes, des Geldes, des Angebots und der Nachfrage, des Preises, des Kapitals, des Zinsfußes sind beispielsweise typische Erscheinungsformen der Volkswirtschaft, während sich das regelmäßige Sinken des Preises einer Ware in Folge der Vermehrung des Angebotes, das Steigen der Warenpreise infolge einer Vermehrung der Umlaufmittel, das Sinken des Zinsfußes infolge beträchtlicher Kapitalanhäufung usw. als typische Relationen zwischen den volkswirtschaftlichen Erscheinungen darstellen. Der Gegensatz zwischen dem, was wir generelle und individuelle Erscheinungen, beziehungsweise generelle und individuelle Erkenntnisse der Erscheinungen nennen, ist nach dem Gesagten wohl vollkommen klar. Die Erforschung der Typen und typischen Relationen der Erscheinungen ist von geradezu unermeßlicher Bedeutung für das Menschenleben, von nicht geringerer als die Erkenntnis der konkreten Erscheinungen selbst. Ohne die Kenntnis der Erscheinungsformen vermöchten wir die uns umgebenden Myriaden von konkreten Erscheinungen weder zu erfassen, noch auch in unserem Geist ordnen; sie ist die Voraussetzung jeder umfassenderen Erkenntnis der realen Welt. Ohne die Erkenntnis der typischen Relationen würden wir aber nicht nur, wie wir weiter unten darstellen werden, des tieferen Verständnisses der realen Welt, sondern wie leicht ersichtlich ist, auch jeder über die unmittelbare Beobachung hinausreichenden Erkenntnis, d. h. jeder Voraussicht und Beherrschung der Dinge entbehren. Alle menschliche Voraussicht und mittelbar alle willkürliche Gestaltung der Dinge ist durch jene Erkenntnisse bedingt, welche wir oben die generellen genannt haben. Das hier Gesagte gilt von allen Gebieten der Erscheinungswelt und somit auch von der menschlichen Wirtschaft überhaupt und der sozialen Form derselben, der "Volkswirtschaft" (2), insbesondere. Auch die Erscheinungen dieser letzteren vermögen wir unter den beiden obigen so durchaus verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten und auch auf dem Gebiet der Volkswirtschaft werden wir demnach zwischen individuellen (konkreten) Phänomenen und ihren individuellen (konkreten) Beziehungen in Raum und Zeit einerseits und den Typen (den Erscheinungsformen) und typischen Relationen derselben (den Gesetzen im weitesten Verstand des Wortes) andererseits, zu unterscheiden haben; auch auf dem Gebiet der Volkswirtschaft treten uns individuelle und generelle Erkenntnisse und, dem entsprechen, Wissenschaften vom Individuellen und solche vom Generellen der Erscheinungen entgegen. Zu den ersteren gehören die Geschichte und die Statistik der Volkswirtschaft, zu den letzteren die theoretische Volkswirtschaftslehre (die theoretische Nationalökonomie); denn die beiden ersteren haben die Aufgabe, die individuellen (3) volkswirtschaftlichen Phänomene, wenn auch unter verschiedenen Gesichtspunkten der Betrachtung, die letztere die Erscheinungsformen und Gesetze (das generelle Wesen und den generellen Zusammenhang) der volkswirtschaftlichen Erscheinungen (4) zu erforschen. Der obige Gegensatz wird nicht selten, wenngleich auch in einem etwas verschiedenen Sinn, durch die Trennung der Wissenschaften in historische und theoretische bezeichnet. Die Geschichte und die Statistik der Volkswirtschaft sind im obigen Sinn historische Wissenschaften, die Nationalökonomie eine theoretische Wissenschaft. (5) Außer den beiden obigen großen Gruppen von Wissenschaften müssen wir hier noch einer dritten gedenken, deren Natur von jener der beiden vorgenannten wesentlich verschieden ist: wir meinen die sogenannten praktischen Wissenschaften oder Kunstlehren.' Die Wissenschaften dieser Art bringen uns die Erscheinungen, weder unter dem historischen, noch auch unter einem theoretischen Gesichtspunkt der Betrachtung zu Bewußtsein; sie lehren uns überhaupt nicht das, was ist. Ihre Aufgabe ist vielmehr, die Grundsätze festzustellen, nach welchen Bestrebungen bestimmter Art, je nach der Verschiedenheit der Verhältnisse, am zweckmäßigsten verfolgt werden können. Sie lehren uns das, was, nach Maßgabe der Verhältnisse, sein soll, damit bestimmte menschliche Zweck erreicht werden. Kunstlehren dieser Art auf dem Gebiet der Volkswirtschaft sind die Volkswirtschaftspolitik und die Finanzwissenschaft. Wir werden somit auf dem Gebiet der Volkswirtschaft für unsere speziellen Zweck drei Gruppen von Wissenschaften zu unterscheiden haben: erstens die historischen Wissenschaften (die Geschichte) (6) und die Statistik (7) der Volkswirtschaft, welche das individuelle Wesen und den individuellen Zusammenhang, zweitens die theoretische Nationalökonomie, welche das generelle Wesen und den generellen Zusammenhang (die Gesetze) der volkswirtschaftlichen Erscheinungen, endlich drittens die praktischen Wissenschaften (8) von der Volkswirtschaft, welche die Grundsätze zum zweckmäßigen (der Verschiedenheit der Verhältnisse angemessenen) Handeln auf dem Gebiet der Volkswirtschaft zu erforschen und darzustellen haben (die Volkswirtschaftspolitik und die Finanzwissenschaft). Unter der politischen Ökonomie (9) werden wir aber jene Gesamtheit theoretisch-praktischer Wissenschaften von der Volkswirtschaft (die theoretische Nationalökonomie, die Volkswirtschaftspolitik und die Finanzwissenschaft) verstehen, welche gegenwärtig gemeinhin unter der obigen Bezeichnung zusammengefaßt werden. (10) Über die Irrtümer, welche aus der Verkennung der formalen Natur der theoretischen Nationalökonomie entstehen. Das Wesen und die Bedeutung des sogenannten historischen Gesichtspunktes in der politischen Ökonomie wird im zweiten Buch in eingehender Weise dargelegt und auf die Irrtümer hingewiesen werden, welche sich aus der Verkennung desselben - aus dem, was man den unhistorischen Gesichtspunktin der politischen Ökonomie nennen könnte - für unsere Wissenschaft ergeben. Bevor wir aber an die Lösung dieser Aufgabe schreiten, möchten wir zunächst jener Irrtümer gedenken, welche aus der Verkennung der formalen Natur der Politischen Ökonomie und der Stellung dieser letzteren im Kreise der Wissenschaften überhaupt entstanden sind. Es geschieht dies aber deshalb, weil dieselben nicht nur ganz vorzugsweise unter den deutschen Volkswirten zutage getreten sind, sondern auch, wie sich herausstellen wird, zum nicht geringen Teil geradezu in dem ansich berechtigten, aber bisher unklaren und irregeleiteten Bestreben wurzeln, den historischen Gesichtspunkt in unserer Wissenschaft zur Geltung zu bringen. Wir werden aber hier zunächst von der Verwechslung der historischen und der theoretischen Forschung auf dem Gebiet der Volkswirtschaft und hierauf von jener der theoretischen und praktischen Wirtschaftswissenschaften sprechen. Es wurde oben hervorgehoben, daß die Erscheinungen unter einem doppelten Gesichtspunkt, unter dem individuellen (dem historischen im weitesten Verstand dieses Wortes) und unter dem generellen (dem theoretischen) erforscht zu werden vermögen. Die Aufgabe der ersten Richtung der Forschung ist die Erkenntnis der konkreten Erscheinungen in ihrem individuellen Wesen und ihrem individuellen Zusammenhang, die Aufgabe der letzteren: die Erkenntnis der Erscheinungsformen (der Typen) und der typischen Relationen (der Gesetze der Erscheinungen). Es sind konkrete Taten, Schicksale, Institutionen bestimmter Völker und Staaten, es sind konkrete Kulturetnwickungen und Zustände, deren Erforschung die Aufgabe der Geschichte und der Statistik bildet, während die theoretischen Sozialwissenschaften uns die Erscheinungsformen der sozialen Phänomene und die Gesetze ihrer Aufeinanderfolge, ihrer Koexistenz usw. darzulegen haben. Der Gegensatz zwischen den historischen und theoretischen Wissenschaften tritt noch deutlicher zutage, wenn wir uns denselben auf einem bestimmten Gebiet der Erscheinungen zum Bewußtsein bringen. Wählen wir zu diesem Zweck die Erscheinungen der Volkswirtschaft, so stellt sich uns die Aufgabe der theoretischen Forschung die Feststellung der Erscheinungsformen und der Gesetze, der Typen und typischen Relationen der volkswirtschaftlichen Phänomene dar. Wir arbeiten am Ausbau der theoretischen Nationalökonomie, indem wir die im Wechsel der volkswirtschaftlichen Phänomene sich wiederholenden Erscheinungsformen, beispielsweise das generelle Wesen des Tausches, des Preises, der Bodenrente, des Angebots, der Nachfrage, bzw. die typischen Relationen zwischen den obigen Erscheinungen, z. B. die Wirkung der Steigerung oder des Sinkens von Angebot und Nachfrage auf die Preise, die Wirkung der Bevölkerungsvermehrung auf die Bodenrent usw. festzustellen suchen. Die historischen Wissenschaften von der Volkswirtschaft dagegen lehren uns das Wesen und die Entwicklung individuell bestimmter volkswirtschaftlicher Phänomene, also z. B. den Zustand oder die Entwicklung der Wirtschaft eines bestimmten Volkes oder einer bestimmten Völkergruppe, den Zustand oder die Entwicklung einer bestimmten wirtschaftlichen Institution, die Entwicklung der Preise, der Bodenrente in einem bestimmten Wirtschaftsgebiet usw. Die theoretischen und die historischen Wissenschaften von der Volkswirtschaft weisen demnach in der Tat eine fundamentale Verschiedenheit auf und nur die völlige Verkennung der wahren Natur dieser Wissenschaften vermöchte dieselben miteinander zu verwechseln oder der Meinung Raum zu geben, daß dieselben sich gegenseitig zu ersetzen vermögen. Es ist vielmehr klar, daß, gleichwie die theoretische Volkswirtschaftslehre für unser Erkenntnisstreben niemals die Geschichte oder die Statistik der Volkswirtschaft zu vertreten vermag, so umgekehrt auch selbst die umfassendsten Studien auf dem Gebiet der beiden letztgenannten Wissenschaften nicht an die Stelle der theoretischen Volkswirtschaftslehre gesetzt zu werden vermöchten, ohne eine Lücke im System der Wirtschaftswissenschaften zurück zu lassen. (11) Wenn nichtsdestoweniger eine Reihe volkswirtschaftlicher Schriftsteller sich mit der Nationalökonomik zu befassen wähnt, während sich dieselbe doch in Wahrheit mit historischen Studien auf dem Gebiet der Volkswirtschaft beschäftigt, so lohnt es wahrlich die Mühe, nach dem Erklärungsgrund eines in so hohem Grad auffälligen Irrtums zu fragen. Die nachfolgenden Untersuchungen sollen auf die obige, in Rücksicht auf die historische Schule der deutschen Nationalökonomie in hohem Maß praktische Frage die Antwort bringen. Das Ziel der wissenschaftlichen Forschung ist nicht nur die Erkenntnis, sondern auch das Verständnis der Erscheinungen. Wir haben eine Erscheinung erkannt, wenn das geistige Abbild derselben zu unserem Bewußtsein gelangt ist, wir verstehen dieselbe, wenn wir den Grund ihrer Existenz und ihrer eigentümlichen Beschaffenheit (den Grund ihres Seins und ihres So-Seins) erkannt haben. Nun vermögen wir aber zum Verständnis der Sozialerscheinungen in doppelter Weise zu gelangen. Wir verstehen eine konkrete Erscheinung in spezifisch historischer Weise (durch ihre Geschichte), indem wir ihren individuellen Werdeprozeß erforschen d. i. indem wir uns die konkreten Verhältnise zum Bewußtsein bringen, unter welchen sie geworden sind und zwar so, wie sie ist, in ihrer besondern Eigenart, geworden. In wie hohem Maße das Verständnis einer Reihe bedeutungsvoller Sozialphänomene durch Erforschung der Geschichte derselben d. i. auf spezifisch historischem Weg gefördert worden ist und in wie rühmlicher Weise die deutsche Wissenschaft an diesem Werk teilgenomen, ist bekannt. Ich erinnere nur an das Recht und an die Sprache. Das Recht eines bestimmten Landes, die Sprache eines bestimmten Volkes sind konkrete Erscheinungen, die uns dadurch, daß wir uns ihren Werdeprozeß zum Bewußtsein bringen, also erforschen, wie ein bestimmtes Recht, eine bestimmte Sprache allmählich entstanden sind, welche Einflüsse hier gewirkt haben usw., in viel höherem Grad verständlich werden, als wenn wir ausschließlich auf der Grundlage eines, wenn auch noch so eingehenden und sich vertiefenden Studiums der Gegenwart zu ihrem Verständnis gelangen wollten. "Der Stoff des Rechts - sagt SAVIGNY - ist durch die gesamte Vergangenheit der Nationen gegeben, ... aus dem innersten Wesen der Nation und ihrer Geschichte hevorgegangen!" (12) Die Geschichte - fährt 'SAVIGNY fort - sei nicht bloß eine Beispielsammlung, sondern der einzige (!) Weg zur wahren Erkenntnis unserer eigenen Zustände. Und an einer anderen Stelle: "Die geschichtliche Ansicht der Rechtswissenschaft ... legt darauf das höchste Gewicht, daß der lebendige Zusammenhang erkannt werde, welcher die Gegenwart an die Vergangenheit knüpft und ohne deren Kenntnis wir vom Rechtszustand der Gegenwart nur die äußere Erscheinung wahrnehmen, nicht das innere Wesen begreifen." (13) Es bedarf nun wohl kaum der Bemerkung, daß die obige, ansich durchaus berechtigte Richtung der Forschung auch auf dem Gebiet der volkswirtschaftlichen Erscheinungen eine analoge Anwendung zu finden vermag. Auch das Verständnis bestimmter Institutionen, Bestrebungen und Ergebnisse der Volkswirtschaft, des Zustandes der volkswirtschaftlichen Gesetzgebung in einem bestimmten Land usw., vermag durch die Erforschung ihres Werdeprozesses d. i. auf spezifisch historischem Weg in ähnlicher Weise gefördert zu werden, wie auf dem Gebiet des Rechts. Das spezifisch historische Verständnis konkreter Erscheinungen ist auch dem Gebiet der Volkswirtschaft durchaus adäquat. Das historische Verständnis der konkreten Sozialerscheinungen ist jedoch keineswegs das einzige, zu welchem wir auf dem Weg wissenschaftlicher Forschung zu gelangen vermögen. (14) Demselben steht vielmehr das theoretische Verständnis der Sozialphänomene als durchweg gleichwertig und gleichbedeutend gegenüber. Wir verstehen eine konkrete Erscheinung in theoretischer Weise (auf der Grundlage der entsprechenden theoretischen Wissenschaften), indem wir dieselbe als einen speziellen Fall einer gewissen Regelmäßigkeit (Gesetzmäßigkeit) in der Aufeinanderfolge oder in der Koexistenz der Erscheinungen erkennen oder mit anderen Worten: wir gelangen zum Bewußtsein des Grundes der Existenz und der Besonderheit des Wesens einer konkreten Erscheinung, indem wir in ihr lediglich die Exemplifikation einer Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen überhaupt erkennen lernen. Wir verstehen somit z. B. im konkreten Fall das Steigen der Grundrent, das Sinken des Kapitalzinses und dgl. mehr in theoretischer Weise, indem die bezüglichen Phänomene sich uns (auf der Grundlage unserer theoretischen Erkenntnisse) lediglich als besondere Exemplifikationen der Gesetze der Grundrente, des Kapitalzinses usw. darstellen. Sowohl die Geschichte, als auch die Theorie der Sozialerscheinungen überhaupt und der Volkswirtschaft insbesondere verschaffen uns somit ein gewisses Verständnis der Sozial- bzw. der volkswirtschaftlichen Phänomen. Dasselbe ist jedoch in jedem Fall ein eigenartiges, ein wesentlich verschiedenes, so verschieden eben, wie Theorie und Geschichte selbst. Daß unsere historischen Nationalökonomen die beiden obigen, ihrer Natur und ihren Grundlagen nach so verschiedenen Arten des Verständnisses der volkswirtschaftlichen Phänomene nicht stets strenge genug auseinanderhalten und infolge dieses Umstandes die Meinung entstehen konnte, es vermöchte, in Rücksicht auf das Verständnis der Phänomene der Volkswirtschaft, die Theorie die Geschichte und umgekehrt die Geschichte die Theorie der Volkswirtschaft zu ersetzen: scheint mir der erste Grund jener Verwechslung von Geschichte und Theorie der Volkswirtschaft zu sein, von welcher die obige Schule von Volkswirten uns ein so seltsames Beispiel gibt, indem sie im Streben nach dem historischen Verständnis der volkswirtschaftlichen Erscheinungen die Betätigung der historischen Richtung in der theoretischen Nationalökonomie erkennt. Hierzu tritt ein anderer Umstand, welcher in noch höherem Maße, als der vorhin gekennzeichnete, zur obigen Unklarheit über die formale Natur der theoretischen Nationalökonomie und ihre Stellung im Kreis der Wirtschaftswissenschaften geführt hat. Das Verständnis konkreter Tatsachen, Institutionen, Verhältnisse usw., kurz das Verständnis konkreter Erscheinungen, welcher Art dasselbe auch immer gedacht werden mag, ist streng zu unterscheiden von der wissenschaftlichen Grundlage dieses Verständnisses d. i. von der Theorie, bzw. von der Geschichte der bezüglichen Erscheinungen und das theoretische Verständnis konkreter volkswirtschaftlicher Phänomene insbesondere von der Theorie der Volkswirtschaft. Die auf Feststellung und Darstellung der volkswirtschaftlichen Theorie gerichtete wissenschaftliche Tätigkeit darf mit jener, welche das Verständnis konkreter volkswirtschaftlicher Erscheinungen auf Grundlage der Theorie bezweckt, selbstverständlich nicht verwechselt werden. Wer nämlich noch so sorgfältig und in noch so umfassender Weise das theoretische Verständnis konkreter Erscheinungen der Volkswirtschaft - etwa aufgrund der herrschenden Theorien! - anstrebt, ist um dessentwillen doch noch kein Theoretiker der Volkswirtschaft. Nur wer den Ausbau und die Darstellung der Theorie selbst sich zur Aufgabe setzt, ist als solcher zu betrachten. Das Verständnis der konkreten Erscheinungen der Volkswirtschaft durch die Theorie, die Anwendung der theoretischen Nationalökonomie als Mittel für die Verständnis, die Nutzbarmachung der nationalökonomischen Theorie für die Geschichte der Volkswirtschaft, all das sind vielmehr Aufgaben des Historikers, für welchen die theoretischen Sozialwissenschaften in der obigen Rücksicht Hilfswissenschaften sind. Fassen wir das Gesagte zusammen, so beantwortet sich leicht die Frage nach dem eigentlichen Wesen jener Irrtümer, in welche die historische Schule deutscher Nationalökonomen rücksichtlich der Auffassung der theoretischen Nationalökonomie als einer historischen Wissenschaft verfallen ist. Sie unterscheidet nicht das spezifisch historische vom theoretischen Verständnis der Volkswirtschaft und sie verwechselt beide, d. i. das Streben nach dem Verständnis konkreter volkswirtschaftlicher Erscheinungen durch die Geschichte, bzw. durch die Theorie der Volkswirtschaft, mit der Erforschung dieser Wissenschaften selbst und ganz besonders mit der Forschung auf dem Gebiet der theoretischen Nationalökonomie. Sie glaubt an der Theorie der Volkswirtschaft zu bauen und diese darzustellen, indem sie durch Heranziehung der Geschichte, bzw. der Theorie der Volkswirtschaft zum Verständnis konkreter Tatsachen und Entwicklungen der Volkswirtschaft zu gelangen und dieses Verständnis zu vertiefen unternimmt. In einem ebenso großen Irrtum über die Natur der theoretischen Nationalökonomie und ihre Stellung im Kreis der Wirtschaftswissenschaften befinden sich jene, welche dieselbe mit der Volkswirtschaftspolitik, die Wissenschaft vom generellen Wesen und Zusammenhang der volkswirtschaftlichen Erscheinungen mit der Wissenschaft von den Maximen zur zweckmäßigen Leitung und Förderung der Volkswirtschaft verwechseln. Der Irrtum ist kein geringerer, als ob die Chemie mit der chemischen Technologie, die Physiologie und Anatomie mit der Therapie und Chirurgie usw. verwechselt werden würden und in der Wissenschaftslehre bereits so klargestellt, daß denselben eines weiteren zu erörtern wir füglich Abstand nehmen. Wenn der obige Irrtum übrigens nicht nur in den Anfängen unserer Wissenschaft, sondern seltsamerweise selbst heute noch vereinzelt in der volkswirtschaftlichen Literatur (15) zutage tritt und trotz aller prinzipiellen Zugeständnisse die Methodik und Systematik unserer Wirtschaft immer noch in hohem Maß beeinflußt, so kann der Grund hiervon füglich nur in der eigentümlichen geschichtlichen Entwicklung der theoretischen Erkenntnis überhaupt und jener auf dem Gebiet der Volkswirtschaft inbesondere gesucht werden. Die theoretische Erkenntnis hat sich überall nur allmählich aus den praktischen Einsichten und mit dem erwachenden Bedürfnisse nach einer tieferen wissenschaftlichen Begründung der Praxis entwickelt. Auch die theoretische Erkenntnis auf dem Gebiet der Volkswirtschaft hat diesen Gang der Entwicklung genommen; auch sie hatte ursprünglich nur den Charakter einer gelegentlichen Motivierung praktischer Maximen und es haften ihr naturgemäß noch die Spuren dieses ihres Ursprüngs und ihrer einstigen Unterordnung unter die Volkswirtschaftspolitik an. Wie wichtig indessen beim heutigen Stand volkswirtschaftlicher Einsicht die strenge Trennung von theoretischen und praktischen Erkenntnissen auf dem Gebiet unserer Wissenschaft ist und zu welchen verwirrenden Konsequenzen die Verwechslung der beiden obigen Wissenschaften führt, wird insbesondere bei allen Fragen der Systematik und Methodik unserer Wissenschaft klar. Die zusammenfassende Darstellung theoretischer und praktischer Erkenntnisse hat notwendig zur Folge, daß die praktischen Erkenntnisse entweder in das System der theoretischen oder umgekehr diese letzteren in jenes der praktischen Erkenntnisse eingeordnet werden müssen, ein Vorgang, welcher selbstverständlich jede strengere, der Natur der betreffenden Wissensgebiete adäquate Systematik der Darstellung, zumindest hinsichtlich er einen der beiden Wissenschaften, völlig aufhebt, hinsichtlich der anderen aber unablässig durchbricht. Dazu tritt der Umstand, daß die Verbindung der beiden obigen Gruppen wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Darstellung auch die Vollständigkeit der letzteren nahezu ausschließt. Zumindest in jener Form, in welcher sie sich in neuerer Zeit in unserer Wissenschaft geltend macht, bietet sie wohl zumeist die Theorie der Volkswirtschaft in, mehr oder minder, genügender Weise, die Volkswirtschaftspolitik dagegen nur in gelegentlichen, höchst lückenhaften Ausführungen. Die obigen Darstellungen der politischen Ökonomie machen besondere Schriften über Volkswirtschaftspolitik keineswegs entbehrlich und es ist somit, zumindest wo das Bedürfnis nach umfassenden Darstellungen der Volkswirtschaftspolitik bereits zutage getreten ist, nicht abzusehen, welchen Nutzen die obige Verbindung theoretischer und praktischer Erkenntnisse in den Darstellungen der politischen Ökonomie eigentlich schaffen soll. In ganz besonders ungünstiger Weise hat die obige Verquickung des theoretischen und praktischen Gesichtspunktes die erkenntnistheoretischen Untersuchungen auf dem Gebiet unserer Wissenschaft beeinflußt. Welchen Wert können nämlich, wenn die theoretische und die praktische Nationalökonomie nicht streng auseinandergehalten werden, Untersuchungen über die Methode der Nationalökonomie aufweisen, also über die Methode zweier Wissenschaften (einer theoretischen und einer praktischen Wissenschaft), welche so durchaus verschiedener Natur sind - welchen Wert gar Untersuchungen über die Methode der politischen Ökonomie im Sinne einer die theoretische Volkswirtschaftslehre, die Volkswirtschaftspolitik und die Finanzwissenschaft umfassenden theoretisch-praktischen Wissenschaft? Es läßt sich nicht leugnen, daß die deutsche Nationalökonomie den hier in Rede stehenden Irrtum und damit zum Teil wenigstens auch seine Konsequenzen für die Systematik und Methodik unserer Wissenschaft, strenger als irgendeine andere Literatur dieses Wissensgebietes zu vermeiden verstanden hat. Das lebhafte Bedürfnis der deutschen Kameralisten nach umfassenden Darstellungen der volkswirtschaftlichen Verwaltung hat offenbar zu diesem Erfolg wesentlich beigetragen. Dagegen hat allerdings jener Irrtum, dessen wir vorhin gedachten: die Verwechslung des historischen und des theoretischen Gesichtspunktes in der wissenschaftlichen Erforschung der Volkswirtschaft, gerade in der deutschen Literatur zu den verwirrendsten Konsequenzen geführt. Entsprungen dem ansich durchaus berechtigten Streben nach Erweiterung und Vertiefung des historischen Verständnisse konkreter volkswirtschaftlicher Erscheinungen, hat der obige Irrtum doch sowohl die Systematik als auch die Methodik unserer Wissenschaft auf das ungünstigste beeinflußt; die Systematik, indem, die Darstellung der Theorie durch zahllose historische Exkurse zu durchbrechen, für zweckmäßig, ja für die Betätigung der "historischen Methode" in unserer Wissenschaft erachtet wurde; die Methodik, indem man Gesichtspunkte und Postulatie der historischen Forschung mißverständlicherweise in die Methodik der theoretischen Nationalökonomie übertrug. Aber auch auf dem eigentlichen Gebiet der theoretischen Forschung hat der obige Irrtum den Fortschritt unserer Wissenschaft in der verderblichsten Weise beeinträchtigt. Nicht nur etwa ein geringfügiger Teil, sondern geradezu die Mehrzahl der Anhänger der hier hin Rede stehenden Gelehrtenschule, vermag von dem Vorwurf nicht freigesprochen zu werden, sich mit der Geschichte der Volkswirtschaft, bzw. mit der Vertiefung ihres Verständnisses zu befassen, während dieselben ausdrücklich oder doch stillschweigend von der Voraussetzung ausgehen, die Theorie der Volkswirtschaft unter dem historischen Gesichtspunkt darzustellen und auszubauen. Das ansich berechtigte Streben der obigen Forscher, die unhistorische Richtung in der theoretischen Nationalökonomie zu beseitigen, hat solcherart in Folge des hier in Rede stehenden methodischen Irrtums, zu einer Preisgebung des theoretischen Charakters der obigen Wissenschaft und dazu geführt, an die Stelle der theoretischen Forschung überhaupt und der theoretischen Forschung unter Festhaltung des historischen Gesichtspunktes insbesondere, die historische Forschung, die Geschichtsschreibung zu setzen. Daß hauptsächlich infolge dieses Mißverständnisses die Forschung auf dem Gebiet der theoretischen Nationalökonomie in Deutschland nahezu brach liegt, bedarf wohl kaum einer Bemerkung. Das historische Verständnis einzelner Gebiete der Volkswirtschaft ist in den letzten Dezennien durch den Forscherfleiß deutscher Volkswirte erschlossen und vertieft worden, die Theorie der Volkswirtschaft und zwar nicht nur jene, welche den historischen Gesichtspunkt in der Volkswirtschaft verkennt, sondern die Theorie der Volkswirtschaft überhaupt, ist dagegen leider sichtbar zurückgeblieben. Das Verdienst, den historischen Gesichtspunkt in der politischen Ökonomie überhaupt und in der theoretischen Volkswirtschaftslehre insbesondere im Prinzip betont zu haben, möchten wir der historischen Schule der deutschen Volkswirte in keiner Weise verkümmern, wenngleich auch die Form, in welcher der obige Gedanke bisher zum Ausdruck gelangte, wie wir in der Folge sehen werden, ebenso sehr der Klarheit, als der Konsequenz entbehrt. Sicherlich vermag aber kein Unbefangener, wofern er die Bedeutung des historischen Gesichtspunktes in unserer Wissenschaft auch noch so hoch anschlägt, in Abrede zu stellen, daß selbst die vollständige Verkennung dieses letzteren, was die Tragweite des Irrtums anbelangt, sich auch nicht im entferntesten in eine Parallele mit jenem Irrtum stellen läßt, durch welchen die theoretische Nationalökonomie mit der Geschichte der Volkswirtschaft verwechselt wird. Indem ein großer Teil der deutschen Volkswirte solcherart die formale Natur der theoretischen Nationalökonomie und ihre Stellung im Kreis der Wissenschaften verkannt hat, ist derselbe in einen schwereren Irrtum, als die Nationalökonomen irgendeiner unhistorischen Richtung, verfallen, in den fundamentalsten Irrtum nämlich, dessen Opfer eine Gelehrtenschule überhaupt zu werden vermag, denn er hat die Wissenschaft verfehlt, welche er zu erforschen vermeinte. Wäre die theoretische Nationalökonomie nun eine hoch entwickelte oder zum mindesten in ihren Grundzügen vollendete Wissenschaft, so könnte allenfalls die Kritik über das obige, den eigentlichen historischen Studien auf dem Gebiet der Volkswirtschaft zugute kommende Mißverständnis stillschweigen hinweggehen. Wie vermag sie das aber gegenüber einer Gelehrtenschule, welche einem solchen Mißverständnis in einer Wissenschaft zum Opfer wurde, deren Grundlagen noch nicht gewonnen sind, in einer Wissenschaft, in welcher bisher nahezu alles noch in Frage steht? Wie trefflich paßt auf die obigen Forscher, welche meist tüchtige Historiker, aber schwache Theoretiker sind, eine gelegentliche Bemerkung des großen Begründers unserer Wissenschaft über gewisse wissenschaftliche Systeme: "Systeme, die ihren Ursprung einer Nachtarbeit verdanken, die mit einer Weise bekannt macht, aber alle anderen ignoriert, die sich deshalb die Phänomene so erklärt, daß sie das, was ihnen fremd vorkommt, durch das erklärt, was bekannt erscheint." (16)
1) Wir gebrauchen an dieser Stelle den Ausdruck "individuell" lediglich, um den Gegensatz zum "Generellen", zwischen den konkreten Erscheinungen und den Erscheinungsformen zu bezeichnen. Die Ausdrücke "konkret" und "abstrakt" wurden von uns hier absichtlich vermieden, weil sie mehrdeutig sind und den obigen Gegensatz überdies nicht genau kennzeichnen. 2) Siehe Anhang I: Über das Wesen der Volkswirtschaft. 3) Das "Individuelle ist keineswegs mit dem "Singulären" oder was das nämliche ist, die Individualerscheinungen sind keineswegs mit den Singularerscheinungen zu verwechseln. Der Gegensatz des "Individuellen" ist nämlich das "Generelle", während der Gegensatz einer "Singularerscheinung" die "Kollektiverscheinung" ist. Ein bestimmtes Volk, ein bestimmter Staat, eine konkrete Volkswirtschaft, eine Genossenschaft, eine Gemeinde usw. sind beispielsweise Individual-, jedoch keineswegs Singularerscheinungen (sondern Kollektiv-Phänomene), während die Erscheinungs formen des Gutes, des Gebrauchswerts, des Unternehmers usw. wohl generelle, jedoch keine Kollektiverscheinungen sind. Daß die historischen Wissenschaften von der Volkswirtschaft die individuellen Phänomene dieser letzteren darstellen, schließt demnach keineswegs aus, daß sie uns dieselben unter dem Gesichtspunkt kollektiver Betrachtung zum Bewußtsein bringen. Immer ist jedoch der Gegensatz zwischen der Erforschung und Darstellung des Individuellen und Generellen der Menschheitserscheinungen das, was die historischen von den theoretischen Sozialwissenschaften unterscheidet. 4) Die theoretische Volkswirtschaftslehre hat das generelle Wesen und den generellen Zusammenhang er volkswirtschaftlichen Erscheinungen zu erforschen, nicht etwa die volkswirtschaftlichen Begriffe zu analysieren und die aus dieser Analyse sich ergebenden Konsequenzen zu ziehen. Die Erscheinungen, beziehungsweise bestimmte Seiten derselben und nicht ihr sprachliches Abbild, die Begriffe, sind das Objekt der theoretischen Forschung auf dem Gebiet der Volkswirtschaft. Die Analyse der Begriffe mag im einzelnen Fall eine gewisse Bedeutung für die Darstellung der theoretischen Erkenntnisse von der Volkswirtschaft haben, das Ziel der Forschung auf dem Gebiet der theoretischen Nationalökonomie kann jedoch immer nur die Feststellung des generellen Wesens und des generellen Zusammenhangs der volkswirtschaftlichen Erscheinungen sein. Es ist ein Zeichen des geringen Verständnisses, welches namentlich einzelne Vertreter der historischen Schule für die Ziele der theoretischen Forschung haben, wenn sie in Untersuchungen über das Wesen des Gutes, über das Wesen der Wirtschaft, das Wesen des Wertes, des Preises und dgl. mehr nur Begriffsanalysen und im Streben nach einer exakten Theorie der volkswirtschaftlichen Erscheinungen "die Aufstellung eines Systems von Begriffen und Urteilen sehen (vgl. inbesondere web11a.htmlROSCHERs Thukydides, Seite 27). In einen ähnlichen Irrtum verfällt eine Reihe französischer Nationalökonomen, welche, in mißverständlicher Auffassung der Begriffe "Theorie" und "System", unter diesen letzteren lediglich aus apriorischen Axiomen auf deduktivem Weg gewonnene Sätze, bzw. Lehrgebäude von solchen, verstehen (vgl. insbesondere J. B. SAY, Cours 1852 I, Seite 14f. Noch J. GARNIER sagt: "Das Systemwort politische Ökonomie wird im Sinn einer fehlerhaften Doktrin genommen", Traité d'Econ. Pol. 1868, Seite 648) 5) Vgl. unten Anhang II: Über den Begriff der theoretischen Nationalökonomie und das Wesen ihrer Gesetze. 6) KNIES präzisiert (Politische Ökonomie, 1853, Seite 3f) die Aufgabe der Wirtschaftsgeschichte in folgender Weise: "Sie hat nicht nur die geschichtliche Entwicklung der nationalökonomischen Theorie, die Intentionen und die Praxis der allgemeinen Staatsgewalten für die Gewinnung ihres Bedarfs an sachlichen Gütern und zur Förderung der wirtschaftlichen Volksinteressen, sondern auch die ökonomischen Zustände und Entwicklungen im wirklichen Leben der verschiedenen Nationen und Zeiten zu erfassen und darzustellen." Uns scheint die Aufgabe der wissenschaftlichen Wirtschaftsgeschichte eine dreifache zu sein: 1. die Erforschung der Quellen der Wirtschaftsgeschichte, 2. die äußere und innere Kritik dieser Quellen, 3. die Darstellung der Entwicklung jener Kollektivphänomene, welche wir "Volkswirtschaft" nennen, aufgrund des so gewonnenen historischen Materials. - Je umfassender das Studium der Quellen, je sorgfältiger und methodischer die Kritik derselben und je größer die Kunst der Darstellung, in umso höherem Maße wird es dem Geschichtsschreiber gelingen, uns ein einheitliches, den realen Verhältnissen adäquates Bild der Wirtschaftsgeschichte der einzelnen Völker, bestimmter Völkergruppen oder auch der Menschheit zu bieten. Unwissenschaftlich scheint uns dagegen das Vorgehen jener zu sein, welche die Wirtschaftsgeschichte der Völker, ohne auf die Quellen zurückzugehen und ohne eine zumindest nachprüfbare Kritik derselben zu üben, lediglich aus zusammengelesenen Notizen kompilieren, unwissenschaftlich insbesondere auch das Vorgehen jener, welche ein mehr oder minder äußerlich angeordnetes historisches Material, aber kein einheitliches Bild der volkswirtschaftlichen Entwicklungen darbieten und dergleichen Sammlungen mehr oder minder unkritischer Notizen als Geschichte bezeichnen. 7) Die Statistik, als historische Wissenschaft, hat die nämlichen Aufgaben wie die Geschichte, jedoch nicht hinsichtlich der Entwicklung, sondern des Zustandes der Gesellschaften zu lösen. Unkritische Kompilationen oder bloß äußerliche, der höheren Einheit entbehrende Anordnungen von statistischem Material, fallen nicht in den Bereich wissenschaftlicher Darstellung. - Die Definition der historischen Statistik als "ruhende Geschichte", als "Durchschnitt der geschichtlichen Entwicklung", als "Darstellung der Gesellschaft in einem bestimmten Zeitpunkt" und dgl. Begriffsbestimmungen mehr, gestatten mannigfache Mißdeutungen des wahren Wesens der obigen Wissenschaft. Die historische Statistik hat uns nicht das äußere Bild der Gesellschaft in einem bestimmten Zeitpunkt, welches je nach der Wahl dieses letzteren ja ein höchst verschiedene und in Rücksicht auf die Totalität des Volkslebens ein höchst unvollständiges sein müßte, sondern die Darstellung aller (auch der in einem bestimmten Moment latenten) Faktoren des Gesellschaftslebens zu bieten, aus welchen die Bewegung der Gesellschaft resultiert, während die Geschichte diese Bewegung selbst zu schildern hat. - Zu unterscheiden von der Statistik, als historische Wissenschaft, sind die durch Massenbeobachtung gewonnenen Statistiken, welche gegenüber der historischen Statistik ebensowohl, wie gegenüber der theoretischen Statistik, sich als bloßes wissenschaftliches Material darstellen. So wenig zutage geförderte historische Quellen und selbst kritisch festgestellte historische Tatsachen an sich "Geschichte" sind, so wenig können auch bloße Statistiken als "Statistik" bezeichnet werden. Auch die Methode zur Gewinnung von Statistiken muß, wie eigentlich selbstverständlich sein sollte, von der wissenschaftlichen Darstellung der Ergebnisse derselben unterschieden werden. Die "Statistik als Wissenschaft" kann nie eine bloße Methode sein. - Was gemeinhin "Theorie der Statistik" genannt wird, ist seinem Wesen nach zumeist Methodik (sog. Erkenntnistheorie!) dieser Wissenschaft. Korrekterweise sollten nur die Ergebnisse einer in Wahrheit theoretischen Betrachtung des statistischen Materials, die aus der Erforschung dieses letzteren sich ergebenden Gesetze der Koexisten und der Aufeinanderfolge der sozialen Phänomene als theoretisch-statistische Erkenntnisse und die Gesamtheit derselben als theoretische Statistik bezeichnet werden. Die "Gesetze der großen Zahl" bilden den wichtigsten Bestandteil, keineswegs aber den ausschließlichen Inhalt der theoretischen Statistik. 8) Vgl. Anhang III: Über das Verhältnis der praktischen Wissenschaften von der Volkswirtschaft zur Praxis auf dem Gebiet dieser letzteren und zur theoretischen Volkswirtschaftslehre. 9) Als derjenige, welcher den Ausdruck Politische Ökonomie (Economie politique) zuerst gebraucht hat, wird MONTCHRETIEN SIEUR de VATEVILLE genannt, welcher im Jahre 1615 seinen "Traicté de l'éconmie politique" in Rouen bei JEAN OSMOUT erscheinen ließ. Der obige zu so großer Verbreitung gelangte Ausdruck findet sich indessen nur auf dem Titel des Werkes, weder im königlichen Privileg, wo dasselbe als "Traicté économique du proft" bezeichnet wird, noch auch irgendwo im Text, scheint demnach das Ergebnis einer momentanen Inspiration des Verfassers, vielleicht auch nach der Drucklegung des Textes seiner zeitgenössischen Schrift entlehnt worden zu sein. Das Werk, welches in drei Bücher, über die Gewerbe, den Handel und die Schifffahrt, zerfällt, ist der Hauptsache nach praktische Wirtschaftslehre (vgl. J. GARNIER, Journal des Economistes, Heft Aug.-September 1852. DUVAL, Mémoire sur Antoine de Montchretien, Paris 1868). Der Ausdruck Politische Ökonomie ist wohl bereits in der pseudo-aristotelischen Ökonomik, jedoch nur im Sinn der Wirtschaft einer Stadt angedeutet. Im mittelalterlichen Latein wird das Wort "politia", häufiger noch "politica" im Sinne von Regierungskunst angewandt (in den ältesten Glossaren werden die obigen Ausdrücke durch: "statordendunge, regiment eyner stat, kunst von der regierund der stat, ein kunst von stetten zu regieren" übersetzt. "Oeconomie" hat im mittelalterlichen Latein zumeist die Bedeutung von praedium, villa rustica; "Oeconomus" die Bedeutung von Verwalter, defensor, advocatus usw. Die Verbindung der beiden obigen Ausdrücke habe ich bei alten Schriftstellern (vgl. Du CANGE 1845 V, Seite 333f und IV, Seite 696. LAUR. DIEFENBACH, Glossarium Latino-german, 1857, Seite 445). Die vor MONTCHRETIEN erschienenen Schriften handeln, durchweg im Anschluß an die aristotelische Terminologie, von der Politik oder von der Ökonomik, nicht aber von der Politischen Ökonomie. 10) Vgl. Anhang IV: Über die Terminologie und Klassifikation der Wirtschaftswissenschaften. 11) Welche Verwirrung selbst über das obige elementarste Problem der nationalökonomischen Methodik herrscht, darüber vgl. noch WILHELM ROSCHER, System der Volkswirtschaft I, § 26, wo die einfache Schilderung erstens der wirtschaftlichen Natur und Bedürfnisse des Volkes, zweitens der Gesetze und Anstalten, welche zur Befriedigung der letzteren bestimmt sind und endlich des größeren oder geringeren Erfolges, den sie gehabt haben, als Aufgabe der Theorie bezeichnet und die Ergebnisse dieser Richtung der Forschung "gleichsam als die Anatomie und Physiologie der Volkswirtschaft" bezeichnet werden! Daß übrigens auch bereits unter den Anhängern der historischen Schule sich eine Reaktion gegen das obige, mehr noch in der Praxis als in der Theorie der Forschung hervortretenden Mißverrstännis, geltend macht, davon geben die neuesten Schriften KNIES', SCHMOLLERs, HELDs und neuestens auch SCHEELs (Vorrede zu JOHN K. INGRAMs, "Die notwendige Reform der Volkswirtschaftslehre", Jena 1879, Seite VI) Zeugnis. Der Irrtum ist ähnlich jenem, welcher auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft die Rechtsgeschichte mit der historischen Jurisprudenz überhaupt identifizierte. 12) SAVIGNY, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft, Bd. 1,1815, Seite 436 13) SAVIGNY, System des heutigen Römischen Rechtes, Berlin 1840, Seite XV 14) Diejenigen, welche die historische Richtung der Forschung auf dem Gebiet der theoretischen Nationalökonomie mit jener auf dem Gebiet der Jurisprudenz in eine Parallele stellen und sich für berechtigt halten, die methodischen Gesichtspunkte der historischen Juristenschule schlechthin auf unsere Wissenschaft zu übertragen, übersehen dabei einen sehr wichtigen Umstand. Die historische Juristenschule anerkennt neben der Erforschung des Rechts in seinen konkreten Gestaltungen und in seiner geschichtlichen Entwicklung keine theoretische Wissenschaft vom Recht im eigentlichen Verstand des Wortes. Der historischen Juristenschule ist die Jurisprudenz somit überhaupt eine historische Wissenschaft und ihr Ziel, das historische Verständnis des Rechtes, neben welchem nur noch die Dogmatik ihr Recht behauptet. Auf dem Gebiet der Volkswirtschaft anerkennen dagegen selbst die fortgeschrittensten Vertreter der historischen Richtung eine Wissenschaft vom generellen Wesen und den Gesetzen der volkswirtschaftlichen Erscheinungen, eine Theorie der letzteren und die historische Richtung der Forschung in der theoretischen Nationalökonomie kann somit nicht in der Negation des theoretischen Charakters dieser letzteren, in der ausschließlichen Anerkennung der Geschichte der Volkswirtschaft, als Mittel für das Verständnis der Phänomene der Volkswirtschaft bestehen; ihre Eigentümlichkeit kann vielmehr vernünftigerweise nur in der Festhaltung des historischen Gesichtspunkte in der Theorie der Volkswirtschaft gesucht werden. Das, was die historische Juristenschule will, und das, was die Anhänger der historischen Methode in der Nationalökonomie, so lange der Charakter der letzteren als einer theoretischen Wissenschaft festgehalten wird, notwendigerweise anstreben müssen, unterscheidet sich somit wie Geschichte und Theorie oder vielmehr wie Geschichte und eine durch historische Studien geläuterte Theorie. Beide Schulen stehen, ihrer gemeinschaftlichen Devise zum Trotz, in einem tiefgehenden methodischen Gegensatz und die mechanische Übertragung der Postulate und Gesichtspunkte der Forschung aus der historischen Jurisprudenz in unsere Wissenschaft ist demnach ein Vorgang, dem, bei einiger Überlegung, kein methodisch gebildeter Forscher zuzustimmen vermag. 15) Vgl. neuerdings insbesondere BONAMY PRICE, Practical Political Economy, London 1878, Seite 1f 16) ADAM SMITH, History of Astronomy, Edited by DOUGALD STEWARD, Basil 1799, Seite 28f |