ra-2LiefmannF. J. NeumannF. EulenburgA. Weber    
 
ROBERT LIEFMANN
Das Wesen der Wirtschaft
und der Ausgangspunkt der Nationalökonomie
[2/2]

"Ich lasse ganz dahingestellt, ob meine Auffassung des Wirtschaftlichen wirklich in allem und jedem Fall auch das umfaßt, was der  Sprachgebrauch  des gewöhnlichen Lebens als  wirtschaftlich  bezeichnet. Denn dieser ist so lax und liebt so sehr übertragene Begriffe, daß auf ihn die Wissenschaft bei ihrer Begriffsbildung nie absolute Rücksicht nehmen kann."

"Rudolf Stammler  will unter wirtschaftlichem Handeln jedes Handeln zum Zweck der Befriedigung irgendeines Bedürfnisses verstehen, wenn es nur unter irgendeiner  von der Gesellschaft gegebenen  Regel erfolgt. Hier wird also etwas Außerwirtschaftliches, im letzten Grund die Rechtsordnung zur Grundlage für die Abgrenzung der wirtschaftlichen Erscheinungen genommen."

"Selbst wenn alle Gegenstände der äußeren Natur in unbeschränkter Menge vorhanden sind, ist doch ein Gut nur beschränkt vorhanden, die  menschliche Arbeitskraft.  An ihr, d. h. an einem ungünstigen Ergebnis eines Vergleichs zwischen Genuß und Arbeitsmühe, nicht aber an einer Beschränktheit der Naturgüter, scheitert auch heute im letzten Grund die Ausdehnung der Bedarfsbefriedigung. Wie schon  Gossen  sagt: Der Mensch, dessen  Zeit  nicht ausreicht, alle seine Bedürfnisse voll befriedigen zu können ..."

"Es ist gerade die spezifische Aufgabe, die dem wirtschaftenden Menschen gesetzt ist, zu entscheiden, wie er bei tatsächlich unbegrenzten Bedürfnissen seine Tätigkeit einrichtet, und die Aufgabe der ökonomischen Theorie ist es, diesen Vorgang und die Lösung dieses Problems zu erklären. Man darf daher in der ökonomischen Theorie niemals von  gegebenen  Bedürfnissen, einem  gegebenen  Zweck ausgehen."


III. Die Wirtschaft und das
wirtschaftliche Prinzip

Wir haben also den Ausgangspunkt der ökonomischen Betrachtung vom Gut, vom Wert und vom Bedürfnis zurückgewiesen, weil sie im ersten Fall das Ökonomische mit dem Technischen verwechselt, im zweiten Fall einen Begriff künstlich konstruiert, der im Wirtschaftsleben keine Bedeutung hat und ebenfalls die wirtschaftlichen Erscheinungen zu sehr objektiviert, im dritten Fall dagegen, weil sich die Betrachtung hier in außerökonomischen Erscheinungen verliert. Jetzt kommen wir dazu, einen anderen sehr naheliegenden individualistischen Ausgangspunkt zu besprechen, den der  Wirtschaft  selbst, der  Einzelwirtschaft.  Dies scheint in der Tat der als Ausgangspunkt gegebene Begriff der Wirtschaftslehre, da die Bestrebungen der Einzelwirtschaft den ganzen tauschwirtschaftlichen Mechanismus in Gang setzen. Wenn wir trotzdem auch diesen Begriff nicht als Ausgangspunkt nehmen, so geschieht das keineswegs aus dem Grund, mit dem AMONN den Begriff der Einzelwirtschaft als Ausgangspunkt ablehnt. Er tut es deswegen (Seite 87f), weil er in ihm den Hinweis auf das  Soziale  vermißt, das zum Wesen der Nationalökonomie als einer Sozialwissenschaft gehört. Es ist eben der Kardinalfehler seines ganzen Buches, zu glauben, daß, weil die Nationalökonomie es hauptsächlich, oder nach ihm ausschließlich, mit  Tauschvorgängen  zu tun hat, nun auch der Ausgangspunkt und Grundbegriff schon einen Hinweis auf diese  "sozialen Verkehrsbeziehungen"  erhalten muß. Er wird inzwischen vielleicht aus meinen bisherigen Arbeiten erkannt haben, daß, wenn man das Wirtschaftliche nicht so quantitativ-materialistisch auffaßt, wie es bisher üblich war - und auch er hat die Unrichtigkeit dieser Auffassung nicht erkannt, was sich besonders bei seiner Besprechung des extremen "Quantitätsnationalökonomen" SCHUMPETER zeigt - man nicht nur von den Einzelwirtschaften ausgehen  kann,  sondern, in richtiger Weise, sogar  ausgehen muß,  um die Gleichartigkeit der Prinzipien und die letzten Antriebe des tauschwirtschaftlichen Organismus überhaupt erkennen zu können. Selbst wenn, wie AMONN richtig betont (Seite 101), die Nationalökonomie als Sozialwissenschaft die sozisale Seite oder Form und nicht die technische und psychologische Seite interessiert, so ist es doch nicht unmöglich, sondern für eine vollkommene ökonomische Theorie sogar nötig, von den  Bestrebungen der Einzelwirtschaften  auszugehen, weil in ihnen etwas  Einheitliches und Gleichartiges  enthalten ist, das in seinen Äußerungen überhaupt die sogenannten sozialen Erscheinungen ausmacht.  Dies gilt es herauszufinden,  und es ist nur ein Mangel an Beobachtungsgabe oder Abstraktionsfähigkeit, daß das bisher niemandem gelungen ist.

Wenn wir den Begriff der Einzelwirtschaft noch nicht als geeignet ansehen, den Ausgangspunkt der ökonomischen Theorie zu bilden, so geschieht es nicht, wie AMONN will, weil man bei dem Wort  Wirtschaft  auch an die  Familienwirtschaft,  den  Familienhaushalt  denkt, während doch nur die  Tauschwirtschaft  Objekt der Nationalökonomie ist (Seite 210). Und es kennzeichnet gut die ganze Verkehrtheit seiner Grundauffassung, wenn er frischweg behauptet, daß mit der Hauswirtschaft, Konsumwirtschaft, "mit der Familienwirtschaft die nationalökonomischen Probleme am allerwenigsten" - wenige Zeilen später sagt er: "gar nichts zu tun haben". Warum in aller Welt soll die ökonomische Theorie mit den Konsumwirtschaften weniger zu tun haben als mit den Tausch-, Erwerbswirtschaften, wo doch die ersteren den Anstoß zu aller tauschwirtschaftlichen Tätigkeit geben? Diese Auffassung ist eben nur möglich, wenn man, wie die bisherigen Theorien,  wirtschaftliche Tätigkeit  und  Produktion  verwechselt. Wenn man aber einmal erkannt hat, daß  Haus- und Erwerbswirtschaften genau nach denselben Prinzipien tätig werden,  und diese Prinzipien zugleich auch die Grundlagen allen tauschwirtschaftlichen Verkehrs sind, dann kommt man nicht mehr auf den absurden Gedanken, diejenigen Wirtschaften aus der Nationialökonomie ganz auszuschließen, die das Primäre bei allen wirtschaftlichen Erscheinungen sind und zu allen wirtschaftlichen Vorgängen den ersten Anstoß geben.

Wir können aber die Einzelwirtschaften deswegen nicht zum Ausgangspunkt der ökonomischen Betrachtung nehmen, weil auch sie zumeist etwas zu Kompliziertes und zu Verschiedenartiges sind. Es gibt heute sehr verschiedene Einzelwirtschaften - der Unterschied von Konsumwirtschaft und Erwerbswirtschaft spielt dabei natürlich auch eine Rolle - und manche von ihnen - ich erinnere nur an eine große Unternehmung, z. B. der Eisenindustrie oder irgendeine große Aktiengesellschaft - sind heute so komplizierte Gebilde, daß man sie unmöglich zum Ausgangspunkt der ökonomischen Untersuchungen machen kann. (15) Das ihnen alle Gemeinsame, das es herauszufinden gilt, liegt vielmehr im Begriff der  wirtschaftlichen Handlung  oder, wenn man will, des  "Wirtschaftlichen".  Dieses,  richtig aufgefaßt,  ist das Gemeinsame, das allen wirtschaftlichen Erscheinungen, sei es der Einzelwirtschaft, sei es den Tauschvorgängen zugrunde liegt. Ich lasse dabei ganz dahingestellt, ob meine Auffassung des Wirtschaftlichen wirklich in allem und jedem Fall auch das umfaßt, was der  Sprachgebrauch  des gewöhnlichen Lebens als  wirtschaftlich  bezeichnet. Denn dieser ist so lax und liebt so sehr übertragene Begriffe, daß auf ihn die Wissenschaft bei ihrer Begriffsbildung nie absolute Rücksicht nehmen kann. Ich behaupte aber, daß meine Auffassung des Wirtschaftlichen und der wirtschaftlichen Handlung in allem Wesentlichen das trifft und umfaßt, was der Sprachgebrauch damit bezeichnet.

Wenn also DIETZEL die wirtschaftliche Handlung als den Ausgangspunkt der Nationalökonomie bezeichnet, so hat er damit zweifellos recht. Nur durch die Art, wie er sie definiert, durch die Beziehung auf Sachgüter, entfernt er sich gleich von vornherein himmelweit vom richtigen Verständnis der wirtschaftlichen Erscheinungen, konnte deswegen wohl noch in Einzelheiten zu richtigen Beobachtungen und Abgrenzungen gelangen, mußte aber in der Aufstellung eines vollständigen ökonomischen Systems definitiv scheitern und wird wohl aus diesem Grund die Weiterführung seiner vor bald 20 Jahren begonnenen Arbeit aufgegeben haben.


Wenn wir jetzt versuchen, das Wesen des Wirtschaftlichen und der wirtschaftlichen Handlung zu erfassen, wollen wir wieder davon ausgehen, was bisher in dieser Hinsicht geleistet ist. Dabei scheiden, nach unseren früheren Erörterungen, alle diejenigen Definitionen ohne weiteres aus, die die  wirtschaftliche Handlung  oder das  wirtschaftliche Bedürfnis  mit der Erlangung von  Sachgütern,  den  wirtschaftlichen Wert  mit der  beschränkten  Verfügbarkeit der Gegenstände der äußeren Natur erklären wollen. Wenn wir uns nun nach anderen Definitionen des Wirtschaftlichen und der wirtschaftlichen Handlung umsehen, so sollen zunächst zwei Schriftsteller kurz erwähnt werden, die in der Definition des wirtschaftlichen Handelns ihre eigenen Wege gehen. RUDOLF STAMMLER, "Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung", zweite Auflage 1906, ist ein typischer und extremer, ja der extremste Vertreter des "sozialen" Ausgangspunktes. Er will unter wirtschaftlichem Handeln jedes Handeln zum Zweck der Befriedigung irgendeines Bedürfnisses verstehen, wenn es nur unter irgendeiner  von der Gesellschaft gegebenen  Regel erfolgt. Hier wird also etwas Außerwirtschaftliches, im letzten Grund die Rechtsordnung zur Grundlage für die Abgrenzung der wirtschaftlichen Erscheinungen genommen. Es ist klar, daß mit dieser Auffassung STAMMLERs, die nur die letzte Konsequenz  jedes  sozialen Ausgangspunktes für die Definition des Wirtschaftlichen zieht, auf dessen tiefere Erkenntnis und Erklärung überhaupt verzichtet wird, daß damit die grundlegendsten Probleme, eben wie die Einzelwirtschaften mit ihren Bestrebungen den tauschwirtschaftlichen Organismus in Gang setzen, ganz außerhalb des Kreises der nationalökonomischen Wissenschaft bleiben und daß damit die Wirtschaftslehre als eine selbständige Wissenschaft einfach negiert und abgedankt ist.

Einen anderen Weg zur Erkenntnis des Wirtschaftlichen von einem ganz individualistischen Standpunkt aus schlägt FRIEDRICH JULIUS NEUMANN ein. Er will ("Grundlagen der Volkswirtschaftslehre", Seite 4) "als entscheidend dafür, ob etwas wirtschaftliche Tätigkeit ist oder nicht", nicht das ökonomische Prinzip ansehen, weil dieses auch für die  Technik  gilt, sondern "welcher Art diejenigen  Dinge  sind, auf deren Erhaltung oder Bewahrung diejenigen Tätigkeiten sich beziehen, welche als wirtschaftlich zu bezeichnen sind". Die Beziehung auf materielle Güter erscheint ihm zu eng, und er glaubt, einen Ausweg gefunden zu haben, indem er (Seite 25) sagt: "Wirtschaft sei ein Inbegriff von Tätigkeiten zwecks  Gewinnung oder Erhaltung von Vermögen für jemand."  Es ist klar, daß diese Definition einerseits eine Verwechslung von wirtschaftlichem Handeln und Produktion keineswegs ausschließt, wie dann auch NEUMANN diesen allgemeinen Irrtum teilt, daß sie aber andererseits nur eine geschickte Umgehung und geringfügige Erweiterung der üblichen materialistischen Auffassung darstellt. Zum Vermögen kann man außer Sachgütern auch noch gewisse  Rechte  zählen, keinesfalls aber persönliche Leistungen, die doch auch Gegenstand wirtschaftlichen Handelns sind. Auch ist der Begriff  Vermögen  ausschließlich der Geldwirtschaft entnommen, in der allein man seinen Güterbesitz in einer Summe zum Ausdruck bringen kann. In der Wirtschaft mit Naturaltausch und in der tauschlosen Wirtschaft gibt es nur Güter, und es leuchtet ein, daß die Anwendung des Vermögensbegriffs auf die Definition der Wirtschaft nur scheinbar etwas anderes ist als die übliche Beziehung auf den Gutsbegriff und uns das eigentliche Wesen des wirtschaftlichen Handelns ebensowenig erschließen kann wie diese.


Bei den Bestrebungen, das Wesen des wirtschaftlichen Handelns zu erfassen, hat ein Begriff die größte Bedeutung gewonnen, wird am häufigsten erörtert und führt auch, richtig aufgefaßt, in der Tat am nächsten an die Lösung des Problems heran, es ist der Begriff des  wirtschaftlichen Prinzips.  Eine Erörterung dessen, was die wichtigsten Schriftsteller darüber sagen, ist schon geeignet, uns der richtigen Erkenntnis des Wirtschaftlichen näher zu führen.

Seit langem schon hat man den Gedanken des  wirtschaftlichen Prinzips  aufgestellt als den Grundsatz enthaltend, der das wirtschaftliche Handeln und den ganzen Tauschverkehr bestimmt, und auch heute noch wird es, wenn es auch aus gleich zu erwähnenden Gründen etwas in Mißkredit gekommen ist, in den meisten Lehrbüchern wenigstens erwähnt. Die Formulierung des wirtschaftlichen Prinzips ist aber bemerkenswerterweise verschieden und in manchen Formulierungen spricht sich gleich die materialistisch-quantitative Auffassung der bisherigen Nationalökonomen aus, die dann in ihren weiteren Ausführungen immer schärfer hervortritt.

QUESNAY, wohl der erste, der das wirtschaftliche Prinzip scharf formuliert hat, stellt in seinem "Dialogue sur les traveaux des artisans" es als Ziel der Wirtschaft hin "d'obtenir la plus grande augmentation possible des jouissances par la plus grande diminition des dépenses [größtmögliche Vermehrung des Genusses bei größtmöglicher Verminderung der Ausgaben - wp]. Er bezeichnet also mit dem wirtschaftlichen Prinzip nicht einen Zustand, sondern einen Vorgang (Vermehrung und Verminderung). Auch NASSAU WILLIAM SENIOR hat diese Auffassung. Er betrachtet es als ein Grundaxiom "that every man desires to obtain additional wealth with as little sacrifice as possible" [Jeder Mensch strebt nach immer mehr Reichtum bei geringstmöglichen Opfern. - wp]. Beide stellen also als Ziel des wirtschaftlichen Handelns die  Vermehrung  des  "Reichtums"  hin, gehen schon von einem Gütervorrat als vorhanden aus, eine Auffassung, die, wie wir sehen werden, noch in der Gegenwart zu den fundamentalsten Irrtümern über das Wesen der Wirtschaft geführt hat.

PROUDHON ferner faßt das wirtschaftliche Prinzip in typischer Weise technisch-quantitativ auf:  "produire (!) aux moindres frais possibles la plus grande quantité (!) des valeurs" [zu den geringstmöglichen Kosten die größtmögliche Menge an Werten zu produzieren - wp], das ist nach ihm "la grande loi  économique"  [das große ökonomische Gesetz - wp].

Der Gedanke des wirtschaftlichen Prinzips, namentlich in der letzteren materiellen Form wird dann auch auf die ganze Volkswirtschaft übertragen und gibt hier die Grundlage für die übliche Produktivitätslehre, wie ich das in dem mehrfach erwähnten Aufsatz ausgeführt habe.

Von den neueren Nationalökonomen ist namentlich SCHÄFFLE zu nennen, der wohl am meisten das wirtschaftliche Prinzip für die ökonomische Theorie nutzbar zu machen sucht. Er beginnt sein Buch "Gesellschaftliches System der menschlichen Wirtschaft", dritte Auflage 1873, mit dem Satz (§ 1):
    "Die persönliche Selbsterhaltung ... des Menschen ist sehr umfassend vom Erwerb und Gebrauch solcher äußerer Güter abhängig, welche dem Bedarf des Menschen nicht frei, d. h. in zureichendem Maß nicht opferlos zur Verfügung stehen; viele Güter sind nämlich nur gegen besonderes Zutun, gegen Vorsorge und bei schonender Zurückhaltung, also nur mittelbar und dem Bedarf gegenüber in einem beschränkten Maß (mangelhaft) zugänglich. Diese beschränkt vorhandenen Befriedigungsmittel veranlassen zu einer eigentümliche Regelung der Erzeugung und des Gebrauchs, welche darauf abzielt: daß mit möglichst geringer persönlicher Aufopferung möglichst viel persönliche Lebensförderung, d. h. mit möglichst geringen  Kosten  möglichst viel  Nutzen  erlangt, und so die möglichst reiche Versorgung des ganzen persönlichen Lebens sichergestellt wird."
Auch in § 12 gibt er "die Formulierung des wirtschaftlichen Grundsatzes" folgendermaßen:
    "Erziele in Produktion und Konsumtion der mangelhaft vorhandenen Güter durchgehends einen möglichst großen  reinen  Nutzen zum Zweck möglichst reichlicher Versorgung des ganzen Lebens, erlange mit möglichst viel Lebensgenuß mit möglichst geringer Aufopferung von Lebenskraft und Lebenslust usw."
Aber auch für ihn selbst gilt, was er (Seite 2) mit Recht behauptet, daß das (hier ganz richtig erkannte) "Wesen des wirtschaftlichen Handelns schon lange, zum Teil sehr nachdrücklich formuliert, aber fast nie  systematisch festgehalten  worden ist."

ALBERT SCHÄFFLE ist zwar zunächst nicht wie die Neueren der falschen Ansicht, daß das Wirtschaften gegeben sei infolge der Beschränktheit der Gegenstände der äußeren Natur, aber er weist doch auch schon im ersten, oben zitierten Satz auf die "mangelhaft vorhandenen Güter" hin. Und wenn er auch das Wesen der Wirtschaft zunächst richtig als ein Gegenüberstellen von Nutzen und Kosten erkennt, so berücksichtigt er doch später (§ 15), den Klassikern folgend,  nur  die  Kosten  und basiert darauf seine Güter-, Wert- und Preislehre.

ADOLF WAGNER, "Allgemeine oder theoretische Volkswirtschaftslehre", zweite Auflage, Seite 10, sagt ebenfalls zunächst ganz richtig:
    "Bei aller auf die Bedürfnisbefriedigung gerichteten Tätigkeit leitet den Menschen das  Ökonomische  oder das  Prinzip  der Wirtschaftlichkeit, d. h. das Streben, nur solche Arbeit vorzunehmen, bei welcher nach seiner Schätzung die Annehmlichkeit der Befriedigung die Pein der Anstrengung (des Opfers) überwiegt, sowie das fernere Streben nach einer möglichst hohen Summe (Maximum) Befriedigung für ein möglichst geringes Maß (Minimum) Anstrengung oder Opfer. Der Inbegriff der auf die fortgesetzte Bedürfnisbefriedigung gerichteten, planvoll nach diesem ökonomischen Prinzip erfolgenden Arbeitstätigkeiten einer Person ist die Wirtschaft, jede einzelne hierzu gehörige Tätigkeit ist eine wirtschaftliche, ökonomische."
Entsprechend dem ganzen typisch objektiven Charakter seiner Lehren gibt er dieser ganz richtigen Auffassung aber später in seinem System gar keine weitere Anwendung. In der 3. Auflage seiner  Grundlegung  ist das wirtschaftliche Prinzip nur gelegentlich erwähnt, in seiner theoretischen Sozialökonomik gar nicht.

WILHELM LEXIS, "Allgemeine Volkswirtschaftslehre", Seite 15, kennt das wirtschaftliche Prinzip nur in der  Geldwirtschaft. 
    "Das Wesen der geldwirtschaftlichen Produktion zwingt dazu, daß sie nach dem sogenannten  wirtschaftlichen Prinzip  betrieben wird, nämlich mit dem Streben, stets möglichst große Geldgewinne mit dem geringsmöglichen Kostenaufwand zu erzielen."
Auch im Artikel "Wirtschaft", Wörterbuch der Volkswirtschaft, zweite Auflage, Bd. 2, Seite 1329 sagt er:
    "Alle Geschäftsleute ... befolgen das Prinzip, daß mit den geringstmöglichen Kosten der größtmögliche Gewinn erzielt werde. Vom Standpunkt der Volkswirtschaft würde diesem Prinzip der Wirtschaftlichkeit die Formel entsprechen: es soll mit dem kleinsten Aufwand von Arbeit und Kapital der größtmögliche objektive (!) Nutzeffekt erreicht werden."
Also wieder einmal die typisch materialistisch-objektive Auffassung der Volkswirtschaft. LEXIS verkennt, daß mit  diesem  Prinzip kein Maßstab für den zu machenden Aufwand gegeben ist. Möglichst große Produktmenge mit möglichst geringen Kosten ist nur ein technisches, kein wirtschaftliches Prinzip. Und wir haben hier die tiefere Begründung für den schon in meinem Aufsatz "Grundlagen der Produktivitätstheorie" gegebenen Nachweis, daß, trotzdem Kosten ein Schätzungsbegriff, z. B. eine Geldsumme, und nicht ein Quantum Produktionsmittel ist, der Vergleich ein rein technischer bleibt und über das  wirtschaftliche  Resultat nichts ausgesagt wird, sobald man den Kosten als Erfolg eine  Produktmenge  gegenüberstellt. Wie man jetzt vielleicht erkennen wird, sind die dort gegebenen Auseinandersetzungen von fundamentaler Bedeutung für die Erkenntnis des Wesens der Wirtschaft und ihre Unterscheidung von der Technik, so daß ich hier nochmals auf sie verweisen möchte, umso mehr als sie zugleich den inneren Zusammenhang aller meiner Theorien beleuchten.

Auch von PHILIPPOVICH erwähnt gleich zu Anfang seines Lehrbuches das wirtschaftliche Prinzip ("Grundriß", neunte Auflage, Seite 2):
    "Der Mühe- und Güteraufwand, der hingegeben wird, wird mit dem vorgesteckten Ziel verglichen werden. Man wird nur Handeln, wenn man einen Nutzen zu erwarten hat, wenn der Erfolg größer zu sein verspricht als das Opfer. Man wird trachten, das letztere auf das geringste Maß zu bringen und seine Tätigkeiten und Güterverwendungen so zu ordnen, daß sie den größten Nutzen ergeben."
Und Seite 40 sagt er in typischer Vertretung der üblichen materialistischen Auffassung:
    "Jede Wirtschaftsführung ist auf die Produktion von Ertrag und Einkommen gerichtet, da ja erst in diesem die Konsumtion und daher die Bedürfnisbefriedigung sichergestellt ist. Und da die ganze Wirtschaftsführung unter dem Einfluß des wirtschaftlichen Prinzips steht, so drückt sich in ihr eine Tendenz aus, die wir dahin zusammenfassen können, daß das Ziel der Wirtschaft ist: Produktion (!) mit den geringsten Kosten zum Zweck des größten Ertrags und Einkommens."
Danach ist anzunehmen, daß PHILIPPOVICH auch im ersten Satz unter Nutzen eine möglichst große  Gütermenge  versteht.

Es ergibt sich schon aus unseren bisherigen Ausführungen, daß unter wirtschaftlichem Prinzip sehr verschiedene Dinge verstanden werden, und daß dabei insbesondere die grundlegende Verwechslung wirtschaftlicher und technischer Gesichtspunkte in der Nationalökonomie wieder eine bedeutende Role spielt. Man kann drei Auffassungen des wirtschaftlichen Prinzips unterscheiden:
    1) Das wirtschaftliche Prinzip wird aufgefaßt als das  Prinzip des kleinsten  Mittels,  principe èdonstique,  wie es die Franzosen nennen,  Sparprinzip,  wie es  Dietzel  bezeichnet. Schon hier finden wir wieder die rein technische, quantitative Auffassung der Mittel und die wirtschaftliche: Kosten als ein Wertbegriff aufgefaßt. Beide Auffassungen gehen aber infolge des bekannten Grundfehlers aller bisherigen Theorien in der Regel ununterschieden durcheinander und nebeneinander her.

    2) Wirtschaftliches Prinzip wird aufgefaßt als das  Streben nach einem möglichst großen Erfolg,  und auch hier wird zwischen einem technisch-quantitativen Erfolg  (Produktmenge)  und der  Bewertung  des Erfolges  (Nutzen)  in der Regel nicht klar unterschieden.

    3) Das Wirtschaftsprinzip wird aufgefaßt als  Verbindung von 1) und 2): möglichst großer Erfolg mit möglichst geringen Mitteln,  und da auch hier wieder, nun aber auf  beiden  Seiten, die Verwechslung wirtschaftlicher und technisch-quantitativer Gesichtspunkte die Regel ist, beleuchtet dieser Gedanke des wirtschaftlichen Prinzips nicht übel die Rolle, welche jene Verwechslung in der ökonomischen Theorie spielt.
1) Ein, wenn auch nicht konsequenter, Vertreter der ersten Auffassung des wirtschaftlichen Prinzips ist HEINRICH DIETZEL; der sich in seiner "Theoretischen Sozialökonomik" auch ausführlich mit dem wirtschaftlichen Prinzip beschäftigt hat. Er sagt ("Theoretische Sozialökonomik", Seite 176):
    "Die erste Frage, welche das zu einer Handlung entschlossene Subjekt sich zu stellen hat, lautet: Welche Mittel können mir dienen, den Zweck zu erreichen. Die Vernunft gebietet, zwecklose, zweckwidrige Mittel auszuschließen. Die zweite Frage lautet: Wie kann ich an den zweckmäßigen Mitteln möglichst sparen? Dieses Bestreben,  den Zweck mit einem Minimum von Mitteln zu erreichen, an Mitteln tunlichst zu sparen,  wird am besten als das  Sparprinzip  bezeichnet." (16)
Das so definierte  "Sparprinzip"  und das  Prinzip des kleinsten Mittels,  das denselben Inhalt hat, sind nun aber mit dem  eigentlichen wirtschaftlichen Prinzip  keineswegs identisch, das Prinzip des kleinsten Mittels - dieser Ausdruck ist zweckmäßiger als Sparprinzip - sagt, wie sein Name ergibt, zunächst nur etwas über die Mittel, aber nichts über den Zweck, das Ziel, den zu erwartenden Erfolg. Dies erkennt dann auch DIETZEL, indem er sich gegen GUSTAV COHN wendet, der in seiner  "Grundlegung"  (Seite 199) das wirtschaftliche Prinzip mit der Aufwendung möglichst geringer Mittel verwechselt hatte und demgemäß meinte: "Wollen wir unsere Arbeitsleistung mit äußerster "Wirtschaftlichkeit" verwenden, so gelangen wir zur Unvernunft des Nichtstuns". Dem gegenüber definiert  jetzt DIETZEL das Sparprinzip folgendermaßen:
    "Das Sparprinzip lautet nicht: gib so wenig aus wie möglich; sondern: gib so viel, aber nicht mehr aus, daß das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen sich so gestaltet, daß die Kosteneinheit das Maximum von Nutzeneinheiten abwirft."
Das ist aber etwas ganz anderes als seine frühere Definition (17).

An anderer Stelle seines Buches vertritt DIETZEL wieder andere Ansichten. So wenn er gelegentlich betont (Seite 179, 182), daß das wirtschaftliche Prinzip auch in der letzten Auffassung nicht für die Definition des wirtschaftlichen Handelns geeignet, sondern viel zu weit und die Grundlage  jeden  rationalen Handelns ist. An anderer Stelle (Seite 161) behauptet er dann wieder:
    "Überflüssig das Merkmal wirtschaftliches Prinzip = Prinzip des kleinsten Mittels hereinzuziehen."

    "Beschränkte Quantität und wirtschaftliches Prinzip sind sachlich gleichbedeutende Merkmale (!). Wer, wie  Cohn,  die  Beschränktheit  als Merkmal verwendet, nimmt die Ursache, das tatsächliche Verhältnis, welches die Subjekte zur Befolgung des wirtschaftlichen Prinzips treibt. Wer, wie  Wagner,  mit dem Merkmal  wirtschaftliches  Prinzip" operiert, meint die Wirkung."
Das ist natürlich ganz unzutreffend. An dritter Stelle zitiert er wieder beifällig GANS-LUDASSY ("Die wirtschaftliche Energie", Seite 351), der meint, daß wirtschaftlich und zweckmäßig, unwirtschaftlich und unzweckmäßig synonym sind. Mit allen derartigen Auffassungen kann man natürlich nicht zu einer richtigen Erkenntnis des Wesens des wirtschaftlichen Handelns gelangen.

Es hat keinen Zweck, hier zu erörtern, wie sich die verschiedenen neueren Schriftsteller dem ökonomischen Prinzip gegenüber verhalten. Als  communis opinio  [allgemeine Meinung - wp] kann man es geradezu bezeichnen, daß sie das wirtschaftliche Handeln ableiten aus dem  beschränkten Vorhandensein der Gegenstände der äußeren Natur.  Daraus entspringt von selbst das oben erörterte  Prinzip des kleinsten Mittels.  Wenigstens ist dieser Grund des Wirtschaftens nie bestritten worden. Er paßt auch sehr gut in die üblichen Systeme der ökonomischen Theorie, die auf dem Gedanken beruhen, einen vom Nutzen verschiedenen besonderen  "Wert"  festzustellen, der eben eine Kombination des Nutzens mit jener beschränkten Verfügbarkeit, der Seltenheit, sein soll. Und doch ist dieser Gedanke, der den Grund und das Wesen der Wirtschaft in einem beschränkten Vorhandensein der Gegenstände der Außenwelt erblickt, falsch. Einmal, weil er zur materialistisch-quantitativen Auffassung des Wirtschaftens führt, vor allem, weil er das eigentliche Wesen des Wirtschaftens erkennt. Denn auch wenn alle Gegenstände der Außenwelt in unbeschränkter Menge vorhanden wären, müßten wir wirtschaften, d. h. allerdings nicht: mit ihnen  haushalten, sparen,  wie die herrschenden Theorien definieren, sondern wir müßten wirtschaften, weil wir auch dann immer noch Arbeit auf sie verwenden müßten, um uns den Genuß zu verschaffen. Auch bei völligem Überfluß an allen Gütern werden uns doch nicht, wie im Schlaraffenland, die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Deswegen habe ich schon in einer früheren Arbeit gesagt: Selbst wenn alle Gegenstände der äußeren Natur in unbeschränkter Menge vorhanden sind, ist doch ein Gut nur beschränkt vorhanden, die  menschliche Arbeitskraft.  An ihr, d. h.  an einem ungünstigen Ergebnis eines Vergleichs zwischen Genuß und Arbeitsmühe,  nicht aber an einer Beschränktheit der Naturgüter,  scheitert auch heute im letzten Grund die Ausdehnung der Bedarfsbefriedigung.  Wie schon GOSSEN sagt: "Der Mensch, dessen  Zeit  nicht ausreicht, alle seine Bedürfnisse voll befriedigen zu können ..." Er kennt aber - das ist der Kardinalfehler seiner Theorie, der Grund, weshalb er zu keinen positiven Resultaten für die Wirtschaftstheorie gelangt - das  Kostenmoment nur  in dieser Form.

Gegenüber der üblichen Auffassung, die das Wesen der Wirtschaft aus der Beschränktheit der Gegenstände der äußeren Natur erblickt und damit unfehlbar dem Materialismus verfällt (18), bedeutet es einen gewissen Fortschritt in der Erkenntnis des Wirtschaftlichen, wenn FRANZ OPPENHEIMER, "Theorie der reinen und politischen Ökonomie", Berlin 1910, dasselbe  ausschließlich auf den Kostenbegriff  ohne das immer mehr oder weniger objektive Seltenheitsmoment begründen will.
    "Weil die Dinge etwas  kosten,  entschließen wir uns, mit ihnen zu wirtschaften. Ökonomischer Trieb ist der Trieb, mit gewissen Dingen, die etwas  kosten,  zu  wirtschaften,  hauszuhalten. Der Aufwand an Körperenergie zur Erlangung äußerer Objekte, das sind die ersten  Kosten.  Der Bär, der seine Beute in sein Lager bringt, der Hamster, die Biene, die Ameise, der Mensch wirtschaften jetzt auch mit denjenigen materiellen Mitteln, die den Energievorrat ersetzen können, mit den  wirtschaftlichen  Gütern." (Seite 22)

    "Zuerst erschien als kostend nur der Aufwand an Körperenergie zur Erlangung der Nahrung; von jetzt an aber erscheint als kostend auch der Aufwand verfügbarer Nahrung zur Erlangung von Energie." (Seite 15)
Der Fortschritt besteht hier darin, daß die Kosten nicht mehr materiell quantitativ, sondern auf  Arbeit  zurückgeführt, als  Anstrengungen, Energieaufwendungen  aufgefaßt werden. Aber es ist klar, daß OPPENHEIMER, wenn er auch die  technische  Auffassung des Prinzips des kleinsten Mittels vermeidet, doch das wirtschaftliche Handeln mit seiner Anwendung identifiziert, und daher, wie auch aus dem Vergleich mit der Tätigkeit von Tieren hervorgeht, viel zu weit faßt. Er sagt selbst (Seite 27): "Wirtschaften, das heißt: nach dem Prinzip des kleinsten Mittels verfahren"; und (Seite 34):
    "Wo immer ein kostendes Mittel nach dem Prinzip des kleinsten Mittels beschafft oder verwaltet wird, fällt es in das Gebiet der Ökonomik. Das Motiv und die Zweckbestimmung fallen immer heraus."
Wenn OPPENHEIMER dennoch gelegentlich den Zwecke erwähnt und betont, daß er vollkommen nicht erreicht werden kann, hat er doch den Unterschied des wirtschaftlichen Prinzips vom Prinzip des kleinsten Mittels nicht erkannt. Und wenn er auch den Kostenbegriff nicht materialistisch auffaßt, so beraubt er sich doch aller Vorteile dieser Auffassung für die Erkenntnis des Wirtschaftlichen, indem er bei der Begriffsbestimmung des letzten Kostenfaktors, der Arbeit, und damit des wirtschaftlichen Handelns der herrschenden materialistischen Auffassung entsprechend "die Zweckbestimmung: zur Erlangung  äußerer  Objekte" für wesentlich hält. Auf diese Weise kommt er doch wieder in die materialistische Auffassung, die Beziehung auf  Sachgüter,  als Zweck der Wirtschaft hinein und gelangt gar nicht dazu, seinen richtig, d. h. psychisch aufgefaßten  Kostenbegriff  den ebenso zu fassenden Begriff des  Nutzens, Genußes  gegenüberzustellen.

Aus all dem ergibt sich, daß wir mit dem  Prinzip des kleinsten Mittels,  d. h. mit den  Kosten  allein, wenn wir sie auch nicht quantitativ-materialistisch, sondern als Schätzungsbegriff, Anstrengungen, Unlustgefühl auffassen, das wirtschaftliche Handeln und das Wesen der Wirtschaft nicht erklären können.


2) Ebensowenig ist aber die zweite oben skizzierte Auffassung des wirtschaftlichen Prinzips fruchtbringend, wonach dieses mit dem  Streben nach dem größten Erfolg  identifiziert wird. Ebenso wie beim Prinzip des kleinsten Mittels gilt auch hier, daß das Streben nach einem maximalen Erfolg weit über den Rahmen des wirtschaftlichen Handelns hinausgeht, bei allen menschlichen Handlungen eine Rolle spielt. Das dürfte wohl allgemein anerkannt werden und ich gehe nur auf eine ganz neuerdings aufgestellt Behauptung ein, die zeigt, welche fabelhaften Unklarheiten in dieser Beziehung noch vorhanden sind. HENRY OSWALT hat kürzlich in der "Zeitschrift für Sozialwissenschaft", 1913, Seite 300f und 384f einen Aufsatz: "Der Ertragsgedanke" veröffentlicht, der zwar eine Kritik meiner theoretischen Arbeiten bringen soll, sie aber doch nur so weit berücksichtigt und wiedergibt, als der Verfasser glaubt, ihnen seine eigenen, in der Schrift "Vorlesungen über wirtschaftliche Grundbegriffe", Jena 1905, niedergelegten Ansichten entgegenstellen zu können (19). OSWALT schließt seine Kritik meiner Arbeiten mit folgenden Sätzen (Seite 392):
    "Man pflegt das wirtschaftliche Prinzip als das Prinzip des kleinsten Mittels zu beschreiben. Man kann es auch als das Prinzip des größten Erfolges definieren. Beide Ausdrücke besagen ganz dasselbe, nur von einer anderen Seite betrachtet: sobald die eine dieser Maximen allgemein durchgeführt ist, ist ganz von selbst auch die andere allgemein durchgeführt. Darin manifestiert sich jene Universalität, die die Wirtschaft vor der Technik auszeichnet. Trotzdem ist es gebräuchlich geworden, das wirtschaftliche Prinzip so zu fassen: der höchste Erfolg mit den kleinsten Mitteln. Ein Pleonasmus [Doppelmoppel - wp], ein Verstoß gegen die Logik, in dem künstlich ein Dualismus geschaffen wird, wo keiner besteht. Dieser Pleonasmus, dieser falsche Dualismus zum Prinzip erhoben - das ist der  Liefmannsche  Ertragsgedanke als  Organisationsprinzip der Tauschwirtschaft.  Aus einem Zwischenmotiv des Unternehmers macht er den obersten Zweck der ganzen Wirtschaft."
Um die letzte Bemerkung vorwegzunehmen, habe ich immer die Bedarfsbefriedigung als "obersten Zweck der ganzen Wirtschaft" angesehen und niemals den Ertrag, diesen vielmehr nur als  Organisationsprinzip,  als Richtschnur der Tauschwirtschaft sowohl als auch der Konsumwirtschaft bezeichnet, was wohl mit dem Zweck nicht ganz identisch ist.

Was aber OSWALTs übrige Darlegung betrifft, so liegt hier, trotz seiner Berufung auf die Logik, einer der mehrfachen typischen Grundfehler seiner Auffassungen vor, die ihn in seinen "Vorlesungen über Grundbegriffe" an der richtigen Erfassung der wirtschaftlichen Erscheinungen, und hier an einem richtigen Verständnis und einer wirklich zutreffenden Kritik meiner Lehre hindern. Ich glaube, wenn er, statt die Logik spielen zu lassen, die wirtschaftlichen Handlungen etwas näher  beobachtet  hätte, würde er die obigen Sätze nicht geschrieben haben. Das wirtschaftliche Prinzip ist weder identisch mit dem Streben nach dem größten Erfolg (Genuß) noch mit dem Prinzip des kleinsten Mittels. Wer ohne Rücksicht auf seine "Mittel" nach dem größten Genuß strebt, z. B. der Verschwender, oder wer ohne Rücksicht auf sein Einkommen, um bei dem alten Beispiel zu bleiben, die Flasche Sekt trinkt, der handelt nicht wirtschaftlich. Das Streben nach größtem Erfolg steht zwar hinter dem wirtschaftlichen Prinzip, ist ein  Teil  desselben, aber es geht weit darüber hinaus, umfaßt alle menschlichen, nicht nur die wirtschaftlichen Handlungen, und sofern man nicht Erfolg und Ertrag in meinem Sinn  identifiziert,  kann man das wirtschaftliche Prinzip nicht als das Streben nach größtem Erfolg definieren. Umgekehrt ist aber auch das Prinzip des kleinsten Mittels sowohl vom Streben nach größtem Erfolg als auch ganz besonders vom wirtschaftlichen Prinzip vollkommen verschieden.  Denn das Prinzip des kleinsten Mittels sagt gar nichts über die Größe des Erfolges.  Es kann z. B. gewahrt sein bei der Herstellung  eines  Produktes als auch beliebig vieler Produkte. Ob man den Erfolg quantitativ (Menge der Produkte) oder qualitativ (Schätzung des Erfolges, Lustempfindung) auffaßt, das Prinzip des kleinsten Mittels sagt nie etwas über seine Größe. Es lehrt mich, wie ich am billigsten Zucker herstelle, aber ebenso für ein Pfund wie für Tausende von Zentnern, aber sagt mir nicht, ob ich überhaupt und wieviel Zucker ich nun herstelle. Es sagt mir, wie ich am billigsten von  A  nach  B  gelange, aber nicht, ob ich im Rahmen meines Wirtschaftsplans jene Ausgabe mache, ob ich in der 2. oder 3. Klasse oder im Auto dahin gelangen werde. Kurzum, das Prinzip des kleinsten Mittels gibt mir keine Richtschnur für das wirtschaftliche Handeln, es ist darum nicht mit dem wirtschaftlichen Prinzip identisch.

Es zeit aber, wie unendlich wenig die einfachsten wirtschaftlichen Erscheinungen noch durchdacht sind, wenn man solche Auffassungen wie die oben von OSWALT angeführten noch dazu mit dem Hinweis auf die Logik vorgebracht findet. In dieser Weise läßt sich mein "Ertragsgedanke als Organisationsprinzip der Tauschwirtschaft" sicherlich nicht widerlegen.

3) Wenn also das wirtschaftliche Prinzip weder mit dem Prinzip des kleinsten Mittels noch mit dem Streben nach dem größten Erfolg identisch, sondern von beiden wohl zu unterscheiden ist, so ergibt sich, daß es in einer  Kombination dieser beiden Gesichtspunkte bestehen muß.  Nicht die möglichst geringe Aufwendung von Mitteln allein, möglichst große Sparsamkeit, auch nicht möglichst großer absoluter Erfolg, sondern  möglichst großer Erfolg erzielt mit einem möglichst geringen Aufwand an Mitteln:  das ist nach der dritten Auffassung das Wesen des wirtschaftlichen Prinzips.

Diese  Auffassung des wirtschaftlichen Prinzips wird von zahlreichen Schriftstellern gelegentlich betont, so namentlich von SCHÄFFLE, auch von DIETZEL, bei diesem jedoch im Widerspruch mit seinem, keineswegs dasselbe, bedeutenden Sparprinzip. Am eingehendsten hat diese Bedeutung des wirtschaftlichen Prinzips neuerdings ANDREAS VOIGT behandelt, der in seinem Vortrag über  Wirtschaft und Recht  auf dem 1. Soziologentag, Seite 249f, das Wesen der Wirtschaft mit dem wirtschaftlichen Prinzip zu definieren versucht. Aber wenn er auch dem eigentlichen Wesen der Wirtschaft näher gekommen ist als alle Nationalökonomen vor ihm, finden sich doch auch in seinen Ausführungen noch fundamentale Irrtümer, und den entscheidenden Punkt, der das Wesen der Wirtschaft charakterisiert, hat auch er nicht erkannt. Er betont, daß weder der Zweck allein, noch die Art der Mittel, noch die Motive das wirtschaftliche Handeln charakterisieren können, sondern daß dieses bestimmt wird durch eine  besondere Beziehung zwischen Zweck, Mittel und Motiv  (Seite 253). Das ist aber auch falsch, die  Motive  scheiden beim wirtschaftlichen Handeln vollkommen aus, sie sind immer außerwirtschaftlich. Auch VOIGT berücksichtigt die Motive später nicht mehr. Er sagt (Seite 258):
    "Die menschlichen Bedürfnisse sind im Prinzip unbeschränkt, die menschlichen Mittel aber immer beschränkt: Hieraus entspringt die Aufgabe, über die gegebenen (!) Mittel so zu verfügen, daß durch sie eine möglichst vollkommene Bedarfsbefriedigung erreicht wird, oder, wie man es auch ausdrücken kann, gegebene (!) Bedürfnisse mit möglichst wenig Mitteln zu befriedigen. Die ökonomische Aufgabe ist eine sogenannte Maximumaufgabe: es soll unter den gegebenen Bedingungen (jetzt sind also wieder die Mittel gegeben!) das Maximum eines bestimmten (!) Erfolges erreicht werden (20). Das ist das spezifisch wirtschaftliche Problem, und überall, wo wir dieses antreffen, wird also gewirtschaftet. Wirtschaften heißt, nach dem wirtschaftlichen Prinzip über Mittel verfügen, d. h. so verfügen, daß mit den Mitteln möglichst viel erreicht wird."
Man sieht, daß diese Definition über die OPPENHEIMERs hinausgeht, indem den Mitteln,, Kosten hier ein maximaler Erfolg gegenübergestellt wird. Man kann in der Tat das wirtschaftliche Prinzip so definieren, aber wenn man, wie VOIGT, diese Auffassung auf das  Wesen des wirtschaftlichen Handeln  anwenden will, ist sie immer noch viel zu weit, übersieht das wirklich für die wirtschaftlichen Handlungen Charakteristische und hat zwei fundamentale Fehler, die merwürdigerweise bisher von niemand erkannt worden sind.

a) VOIGTs Auffassung enthält zunächst wieder den unvermeidlichen Rückfall in die herrschende materialistisch-quantitative Auffassung, indem er nämlich einmal die Mittel und ein andermal die Bedürfnisse als  "gegeben ansieht. Letzteres ist für ihn eine umso größere Inkonsequenz, als er selbst vorher sagt, daß die Bedürfnisse unbeschränkt sind. In der Tat ist es ja gerade die spezifische Aufgabe, die dem wirtschaftenden Menschen gesetzt ist, zu entscheiden, wie er bei tatsächlich unbegrenzten Bedürfnissen seine Tätigkeit einrichtet, und die Aufgabe der ökonomischen Theorie ist es, diesen Vorgang und die Lösung dieses Problems zu erklären. Man darf daher in der ökonomischen Theorie niemals von "gegebenen" Bedürfnissen, einem "gegebenen" Zweck ausgehen.

Aber ebensowenig darf man, wie VOIGT es auch tut, die  Mittel  als gegeben ansehen. Zwar sind die Mittel zumeist nicht unbeschränkt verfügbar. Denn wenn auch die Gegenstände der äußeren Natur, absolut betrachtet, meist in unbeschränkter Menge vorhanden sind (was die herrschenden Theorien mit ihrem Seltenheitswert verkennen), so ist doch die menschliche Arbeitskraft, sie sich anzueignen und in einen gebrauchsfertigen Zustand zu bringen, immer beschränkt, als daß man alle Bedürfnisse voll befriedigen könnte. Weil aber die Mittel beschränkt sind, darf man sie nicht als  "gegeben"  ansehen. Wirtschaftlich Handeln heißt niemals mit gegebenen Mitteln wirtschaften, die  Höhe des letzten Mittels, der aufzuwendenden Arbeit, ist nicht gegeben,  sondern die wirtschaftliche Aufgabe besteht gerade darin, festzustellen,  wieviele Mittel aufgewendet werden. 

Zweck und Mittel abwechseln als gegeben anzusehen, darin liegt auch der Fehler von DIETZEL an denjenigen Stellen seiner "Theoretischen Sozialökonomik", wo er seiner Grundauffassung des wirtschaftlichen Prinzip als das des kleinsten Mittels untreu wird und sich der dritten Auffassung, der Kombination von Zweck und Mittel anschließt. So sagt er (Seite 176):
    "Ich will einen Anzug haben" (21) "Welche Mittel können mir dienen, den Zweck zu erreichen. Die zweite Frage lautet: Wie kann ich an den zweckgemäßen Mitteln möglichst sparen? Dieses Bestreben, den (!) Zweck mit einem Minimum an Mitteln zu erreichen - an Mitteln somit unbeschadet der Zweckerreichung tunlich (hier liegt der Fehler!) zu sparen, wird am besten als das Sparprinzip bezeichnet. Dieses Bestreben kann sich dadurch betätigen, daß man, wenn das Mittel fix ist, den Zweck vergrößert, d. h. versucht, ein Maximum von Bedürfnisbefriedigung aus jenem zu gewinnen, oder wenn der Zweck fix ist, das Mittel verkleinert."
Die ökonomische Theorie darf aber  weder  den Zweck  noch  die Mittel als  fix  ansehen. Sie darf nicht voraussetzen: "Ich will einen Anzug haben", d. h. dieses Bedürfnis isoliert betrachten, sondern ihre Aufgabe ist, zu bestimmen, wieviel ich  neben meinen sonstigen Bedürfnissen  für das nach einem Anzug Kosten aufwenden kann. Ebensowenig aber sind, wie schon gesagt, die Mittel von vornherein gegeben. Zweck der Wirtschaft ist die Befriedigung unbegrenzt vorhandener Bedürfnisse, die mit zunehmender Sättigung aber immer weniger intensiv werden. Mittel sind in letzter Linie Unlustgefühle, Anstrengungen von denen auch jede Einheit anders empfunden wird. Wohl kann man in der heutigen Geldwirtschaft gelegentlich mit einem bestimmten Geldeinkommen als "Mitteln" rechnen, aber man muß auch hier  die  Erscheinungen erklären können, in denen das Geldeinkommen direkt von einem letzten Kostengrund, Arbeit abhängt, vom Umfang, in dem die Menschen solche auf sich nehmen wollen, wie bei Akkordarbeitern und zahlreichen liberalen Berufen usw.

Entweder die Mittel oder den Zweck als gegeben und fix anzunehmen, das war, wie ich schon in früheren Arbeiten oft betont habe, einer der großen Grundfehler aller bisherigen Theorien, auf dem auch z. B. die ganze Grenznutzenlehre beruth. So hängen deren Fehler auch zusammen mit den falschen Auffassungen über das Wesen des wirtschaftlichen Handelns, und ich liefere hier mit dem Nachweis dieser falschen Auffassung auch gleich die Grundlage, um die Irrtümer jener noch schärfer als bisher einzusehen.

b) Mit dem oben Gesagten hängt der zweite  Grundfehler  eng zusammen, den VOIGTs Auffassung vom Wesen der Wirtschaft enthält und den alle diejenigen teilen, die überhaupt so weit kommen, einem zu erstrebenden Maximum an Erfolg eine möglichst geringe Aufwendung von Mitteln gegenüberzustellen. Denn es liegt auch bei dieser Definition des wirtschaftlichen Prinzips und des wirtschaftlichen Handelns, wie überall in der bisherigen Nationalökonomie, wieder die alte Verwechslung von  Wirtschaft  und  Technik  vor. Das so als Gegenüberstellung von Zweck und Mittel gedachte  wirtschaftliche  Prinzip ist immer noch zugleich ein rein  technisches Prinzip.  Wenn man, wie VOIGT und DIETZEL, immer nur  Zweck  und  Mittel  einander gegenüberstellt, selbst wenn man keines von beiden als "fix" ansieht, hat man doch noch nichts gesagt über die  Art  des Zwecks, und dieser Zweck kann immer noch ein rein quantitativer, eine  Produktmenge  sein. Ist das aber der Fall, so ist dieses sogenannte wirtschaftliche Prinzip ein rein technisches. Das Prinzip:  möglichst großer Erfolg mit möglichst geringem Aufwand von Mitteln  ist noch  kein wirtschaftliches Prinzip.  Und zwar deswegen nicht und damit kommen wir nun auf den Kern und die Lösung des ganzen Problems - weil es über die Größe des Erfolges und das Maß der aufzuwendenden Mittel noch nichts sagt.  Nach dem Prinzip: möglichst großer Erfolg mit möglichst geringem Aufwand an Mitteln kann ich ein Pfund Zucker oder aber tausende herstellen. Solange man den  Erfolg quantitativ,  als eine  Produktmenge  auffaßt - und das entspricht der ganzen bisherigen Nationalökkonomie - bleibt jenes Prinzip ein rein technisches. Solange sich die Produktmenge noch vergrößert, wenn auch mit erhöhten Kosten, ist sowohl das Streben nach einem größeren Erfolg in diesem quantitativen Sinn als auch das Prinzip des kleinsten Mittels gewahrt. Denn wenn auch bei einer geringeren Produktmenge pro Einheit geringere Kosten aufzuwenden wären, kann doch jene größere Produktmenge nicht mit weniger Kosten beschafft werden. Daraus ergibt sich wieder, daß das wirtschaftliche Prinzip des kleinsten Mittels keineswegs identisch ist, und es gehört wahrlich kein großer Scharfsinn dazu, das einzusehen. Nach dem Prinzip des kleinsten Mittels muß man aufhören, sobald eine weitere Einheit des Produktes größere Kosten verursacht als die vorhergehende. Das  wirtschaftliche Prinzip  aber in jenem  technischen Sinn  ist gewahrt, solange sich überhaupt nur die Produktmenge vergrößert. Aus  beiden Prinzipien  aber und überhaupt, solange ich den Erfolg  quantitativ  als eine  Produktmenge  auffasse, gewinne ich keinen Maßstab,  wieviele  Mittel ich nun nach dem Prinzip des kleinsten Mittels aufwenden kann. Ich berühre mich hier wieder auf das Engste mit meinen Ausführungen über das Produktivitätsproblem (in dieser Zeitschrift, III. Folge, Bd. 43, Seite 284f, wo ich nachgewiesen habe, daß auch wenn man Kosten [Mittel] als einen Schätzungsbegriff auffaßt, der Produktivitätsvergleich  solange immer ein rein technischer bleibt,  wie man als Ziel eine  Produktmenge  im Auge hat und daß daher das Gesetz des abnehmenden Bodenertrags immer ein rein technisches Gesetz ist. Jene Ausführungen stehen natürlich als Teile eines ganzen theoretischen Systems mit den hier gegebenen im engsten Zusammenhang und finden durch meine Auffassung des wirtschaftlichen Handelns zugleich ihre letzte Begründung.

Erst wenn ich als Erfolg, als Ziel des menschlichen Handelns möglichst viele  Lustempfindungen,  also einen  Schätzungsbegriff  und natürlich gleichzeitig als Mittel, Kosten, nicht eine Produktmenge, sondern  Unlustempfindungen, Anstrengungen  ansehe, gewinne ich einen Maßstab,  wieviele  Mittel ich aufwenden kann. Und zwar gewinne ich diesen Maßstab im letzten Grund deswegen,  weil nicht,  wie bei der Produktion,  die Lustmenge des Erfolges und die Unlustmenge der Mittel sich einfach addieren lassen,  sondern  weil jede fortgesetzte Befriedigung desselben Bedürfnisses einen immer geringeren Genuß gewährt, jede fortgesetzte Aufwendung von Anstrengung ein immer größeres Unlustgefühl bedeutet.  Das wirtschaftliche Prinzip im eigentlichen, nicht übertragenen, ökonomischen Sinn ist also nicht möglichst großer Erfolg mit möglichst geringen Mitteln, sondern  möglichst großer Genuß, Nutzen mit möglichst geringen Kosten, Anstrengungen und Aufwendungen.  Und wo  dieses  wirtschaftliche Prinzip gewahrt ist, da kann man, unter noch zu erwähnenden Umständen, von wirtschaftlichem Handeln sprechen.


IV. Das Wesen des
wirtschaftlichen Handelns

Wir haben durch all die falschen, auf einer Verwechslung der Wirtschaft und Technik beruhenden Auffassungen des wirtschaftlichen Prinzips hindurch dasselbe schließlich rein ökonomisch erfaßt und gesehen, daß es nicht schlechthin in einer Gegenüberstellung von  Zweck  und  Mittel  (das ist seine übertragene Bedeutung), sondern in der Gegenüberstellung von  Nutzen  und  Kosten  als Schätzungsbegriffen, von Lust- und Unlustempfindungen besteht. Und zwar ist es, wie schon VOIGT betont hat, ein  Maximumproblem,  das hier zu lösen ist, aber eben ein  ökonomisches,  kein technisches Maximumproblem, es handelt sich darum, einen  möglichst großen Nutzen  mit möglichst geringen Kosten zu erzielen.

Wir erkennen aus dieser Fassung des ursprünglichen wirtschaftlichen Prinzips zunächst, daß die Untersuchung des Wesens des wirtschaftlichen Handelns unweigerlich  in die Psychologie führt.  Und das ist auch selbstverständlich. Denn da die Ursache allen Wirtschaftens psychische Erscheinungen, Bedarfsempfindungen sind, müssen es auch psychische Vorgänge sein, welche die Erreichung des Ziels der Wirtschaft, die Befriedigung dieser Bedarfsempfindungen regeln. Da nun  Wirtschaft  nicht gleichbedeutend mit  Technik  ist, mit der die bisherige ökonomische Theorie trotz aller Abgrenzungsversuche sie regelmäßig noch in entscheidenden Punkten verwechselte, so müssen es jene psychischen Erwägungen sein, die das Wesen des wirtschaftlichen Handelns ausmachen. Das erkennen prinzipiell auch alle diejenigen Theoretiker an, die - und das sind heute die zahlreichsten - sich selbst als "Subjektivisten" bezeichnen, während sich andererseits aus unseren bisherigen Ausführungen ergibt, daß die Vertreter sogenannter objektiver ökonomischer Theorien gleich von vornherein in den Materialismus und die Verwechslung von Wirtschaft und Technik verfallen.

Aber wie ich schon mehrfach gezeigt habe, auch die Vertreter der sogenannten subjektiven Wertlehre - denn um den "Wert" dreht sich ja in den bisherigen ökonomischen Theorien alles - sind eben wegen dieses Ausgangspunktes und Grundbegriffs doch allesamt nicht "rein subjektiv", sondern verfallen alsbald dem Materialismus, indem sie den "Wert" der Güter aus der beschränkten Verfügbarkeit ableiten.

Ich habe schon in meiner Schrift "Ertrag und Einkommen auf der Grundlage einer rein subjektiven Wertlehre", Jena 1907, als erster (außer GOSSEN) diesen Fehler vermieden, habe, wie GOSSEN, den rein subjektiv aufgefaßten, absoluten Nutzen, Genuß an die Spitze gestellt und bin insofern über GOSSEN hinausgekommen, als ich diesem Nutzen die ebenfalls subjektiv, d. h. als Schätzungsbegriff, und nicht wie bisher quantitativ als Produktmenge, aufgefaßten  Kosten,  Unlustgefühle gegenüberstellte. Daher habe ich schon in jener Schrift und dann schärfer in meinem Aufsatz über die Entstehung des Preises (Seite 12) die Frage nach dem Wesen der Wirtschaft dahin beantwortet:  wirtschaftliches Handeln ist überall da vorhanden, wo Nutzen mit Kosten verglichen werden, d. h. wo ein Ertrag festgestellt werden kann.  So erklärt es sich, weshalb ich den  Ertrag,  die Spannung zwischen Nutzen und Kosten, zum Grundbegriff (nicht zum Ausgangspunkt) der Wirtschaftstheorie gemacht habe. Ich bin allerdings erst allmählich, von der Beobachtung tauschwirtschaftlicher Erscheinungen, der Einkommensarten und der Verwerfung der üblichen Zurechnungslehre zu einem allgemeinen Ertragsgedanken als Richtschnur jedes wirtschaftlichen Handelns gelangt, aber es ergibt sich jetzt aus den vorstehenden Erörterungen, daß auch logisch der  Ertragsgedanke,  d. h. das Gegenüberstellen von Nutzen und Kosten, das wirtschaftliche Handeln charakterisiert.

Aber wenn auch diese Definition:  Vergleichen von Nutzen und Kosten  dem Wesen des wirtschaftlichen Handelns nahe kommt, dasselbe jedenfalls zum ersten Mal scharf von der Sphäre des Technischen abgrenzt, so ist sie doch nicht vollständig. Vielmehr sind noch zwei Verbesserungen bzw. Einschränkungen vorzunehmen.
    1) Die erste ist der von  Andreas Voigt  und auch oft von mir selbst betonte Gedanke, daß die wirtschaftliche Aufgabe ein  Maximumproblem  ist. Mein Fundamentalsatz aller ökonomischen Theorie: Das Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge, und vor allem auch meine Lösung des Produktivitätsproblems beruhen ja auf diesem Maximumprinzip. Man darf daher das wirtschaftliche Handeln nicht einfach mit:  Nutzen und Kosten vergleichen  definieren, sondern muß auch noch den Gesichtspunkt hinzufügen, unter welchen das geschieht, und das ist eben das ökonomische Prinzip: Größter Erfolg mit den kleinsten Mitteln. So kommen wir zu dem Resultat:  Nutzen und Kosten, Lust und Unlustgefühle vergleichen nach dem ökonomischen Prinzip,  oder  möglichst großen Nutzen oder Genuß mit möglichst geringen Kosten zu erlangen suchen,  das ist wirtschaftliches Handeln.

    2) Aber bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß auch diese Definition des wirtschaftlichen Handelns noch zu weit ist. Schon  Dietzel  hat betont, daß, auch wenn das wirtschaftliche Prinzip nicht als Sparprinzip, wie er es sonst tut, sondern als Maximumprinzip und rein psychisch als Prinzip der Erlangung möglichst großen Genusses mit möglichst wenig Aufwendungen aufgefaßt wird, es sich nicht auf das eigentliche wirtschaftliche Handeln beschränkt, sondern, wenn auch nicht alles menschliche Handeln, so doch einen großen und sicher weit über das eigentliche wirtschaftliche Gebiet hinausgehenden Teil umfaßt.
Gerade unsere "psychologische" Erfassung des wirtschaftlichen Prinzips, unsere Auffassung, daß es sich beim wirtschaftlichen Handeln um psychische Erwägungen handelt, zwingt uns, den Begriff des Wirtschaftlichen noch stärker einzuschränken, als das durch obige Definition geschehen ist. Es ist ganz klar - und es ist das eine Empfindung, der auch  Max Weber  schon in seiner Besprechung des  Voigtschen  Vortrages (a. a. O., Seite 268) Ausdruck gegeben hat, die ihn dann freilich veranlaßte, zu einem Verlegenheitsmittel zu greifen und den Begriff der Wirtschaft auf die tauschwirtschaftlichen Erscheinungen zu beschränken: ich erstrebe sehr oft größten Nutzen mit geringsten Kosten, ohne daß man dabei von wirtschaftlichem Handeln reden kann. Wenn ich im Wald ausruhen will und dabei, um ein schattiges und möglichst bequemes Plätzchen zu finden, mehrfach hin und her gehe, auch beim Suchen Seitenwege einschlage, handle ich wohl nach dem wirtschaftlichen Prinzip in unserem Sinn, aber man kann kaum sagen, daß ich  wirtschafte,  daß ich wirtschaftlich handle. Wenn mir bei meiner Mittagsruhe die Sonne ins Gesicht scheint, stelle ich vielleicht eingehende Erwägungen an, ob ich mich bequemen soll, aufzustehen und die Vorhänge herabzulassen oder ob ich nicht lieber warte, bis die Sonne ihren Standpunkt verändert oder eine Wolke sie verdunkelt. Wie schwierig kommt man oft des  Nachts  zu einem Entschluß, ob man aufstehen und einen klappernden Fensterladen schließen oder nicht lieber das Unlustgefühl des Geräusches in Kauf nehmen und abwarten soll, ob man nicht trotzdem wieder einschläft oder daß es von selber aufhört? So gibt es zweifellos Tausende von Fällen, in denen man Nutzen und Kosten, Lust- und Unlustgefühle genau einander gegenüberstellt, und zwar auch mit dem Streben, ein möglichst hohes Maß an Nutzen mit möglichst wenig Kosten zu erlangen. Und doch kann man hier sicherlich von Wirtschaft und wirtschaftlichem Handeln nicht reden.

Aber es ist nur noch ein kleiner, doch, wie mir scheint, fundamentaler Schritt, der uns zum richtigen Ziel bringt, ein ganz neuer Gedanke, der für die richtige Erkenntnis des Wirtschaftlichen von der allergrößten Bedeutung ist und der sich dann schließlich als eine schon längst aufgestellte, aber in ihrem wahren Inhalt und ihrer eigentlichen Bedeutung nicht erkannte Behauptung entpuppt. Warum sind jene Handlungen keine wirtschaftlichen? Jedermann wird sofort die Empfindung heben, daß sie außerhalb dessen fallen, was man als wirtschaftlich zu bezeichnen pflegt. Und wenn man näher darüber nachdenkt, wo wohl der Unterschied liegt, so kommt man darauf, daß  wirtschaftliches Handeln  immer einen  Komplex von Handlungen  bezeichnet. Hier ist der springende Punkt, der uns das innerste Wesen des wirtschaftlichen Handelns offenbart.  Ich kann von einer einzelnen Handlung nur durch einen Vergleich mit anderen sagen, ob sie wirtschaftlich ist oder nicht. Eine Handlung von jemandem charakterisiert sich nur in ihren Beziehungen zu, durch einen Vergleich mit anderen Handlungen desselben als wirtschaftlich. Darin  besteht das Wesen des wirtschaftlichen Handelns, daß hier  einer Mehrheit, ja einer Gesamtheit von Zielen, von allen jeweils in Betracht gezogenen Bedürfnissen, die Gesamtheit der aufzuwendenden Mittel gegenübergestellt und beide miteinander verglichen werden.  Deshalb sind jene oben erwähnten Handlungen keine wirtschaftlichen, weil sie isoliert erfolgen, weil hier Nutzen und Kosten nur einander, aber nicht anderen gegenübergestelt werden.

Das ist auch der tiefere Grund, weshalb man von jeher in die üblichen materialistischen Definitionen der wirtschaftlichen Handlung den Begriff  "planmäßig"  hineingenommen hat, ohne jemals näher zu untersuchen, worin diese Planmäßigkeit besteht. Erst jetzt erkennen wir, daß man erst mit der richtigen Erfassung dessen, was hier unter planmäßig zu verstehen ist, das Wesen des Wirtschaftlichen wirklich begreift. Wirtschaften bedeutet eben: Die aufzuwendenden Kosten nach dem wirtschaftlichen Prinzip auf die  verschiedenen,  ansich unbeschränkten Bedürfnisse verteilen, d. h. sie so verteilen, daß eine möglichst vollkommene Bedarfsbefriedigung mit möglichst geringen Kosten erzielt wird.

Jetzt erkennen wir auch, daß es nicht falsch ist, wenn VOIGT sagt: "Wirtschaften heißt disponieren." Aber er  meint  es falsch, wenn er nicht scharf Wirtschaft und Technik unterscheidet, d. h. er als Ziel eine Produktmenge statt Genuß hinstellt. In der Tat ist Wirtschaften eine besondere Art des Disponierens, nämlich die Verteilung der aufzuwendenden Kosten auf die Bedürfnisse nach dem wirtschaftlichen Prinzip. Dieses Disponieren hat zwei Eigentümlichkeiten, die also das wirtschaftliche Handeln charakterisieren und die das Problem so kompliziert und für eine richtige mathematische Erfassung, die so oft versucht worden ist, so schwierig machen. Nämlich:  weder der Zweck noch die Mittel,  um die es sich handelt,  sind gegeben und fest.  Ziel ist die Befriedigung der Bedürfnisse, die ansich unendlich groß sind, aber nicht alle und die meisten nicht ganz befriedigt werden können, die aber mit zunehmender Sättigung an Stärke immer mehr abnehmen. Aber auch die Mittel sind nicht fix - es ist, wie schon betont, der Fehler VOIGTs und überhaupt aller bisherigen Theorien, namentlich auch der Grenznutzenlehre - immer die Mittel als gegeben anzusehen. Es ist vielmehr gerade das Eigentümliche des wirtschaftlichen Handelns, daß es die Aufgabe hat, festzustellen,  bis zu welchem Punkt bei den verschiedenen Bedürfnissen Mittel, Kosten aufgewendet werden können.  Diese Kosten sind aber keine "Güter", von denen der Wirtschafter eine bestimmte Menge "vorrätig" hat, sondern sie sind als  Unlustgefühle  aufzufassen, die sich im Gegensatz zum Nutzen mit jeder aufgewendeten Einheit steigern. Die Wirtschaftslehre ist keine "Güterlehre", selbst wenn man den Gutsbegriff, der in der bisherigen Theorie den Grundbegriff zu bilden pflegt, noch so weit faßt, sondern die Güter sind eben als  Mittel  der Wirtschaft nur eine Durchgangsstufe von den ersten Unlustempfindungen des Mangels über die Unlustempfindungen der Beschaffung der Güter, Kosten, zum Genuß (22). Jetzt erkennen wir, warum wir nicht wirtschaften mit  haushalten  definieren dürfen. Denn abgesehen davon, daß dieser Begriff nur auf dem Prinzip des kleinsten Mittels beruth und über den maximalen  Erfolg  nichts aussagt, geht er auch von einer gegebenen Kostenmenge aus, was nicht der eigentlichen wirtschaftlichen Aufgabe entspricht.

Die Verteilung ihrer Höhe nach nicht gegebener, sondern dem zu erzielenden Nutzen anzupassenden Kosten auf die verschiedenen Bedürfnisse ist nur möglich, weil diese Kosten regelmäßig auf eine Einheit gebracht werden können. Sie sind im letzten Grund immer Anstrengungen, Arbeit. Das gilt nicht nur für die isolierte Wirtschaft, sondern auch für die Wirtschafter in der entwickelten Geldwirtschaft. Auch hier, wo als Kosten regelmäßig ein Geldeinkommen in Betracht kommt, sind die meisten Wirtschafter vor die Aufgabe gestellt, zu erwägen, ob sie durch vermehrte Arbeit ihr Geldeinkommen steigern sollen. Nur bei Leuten, die von festen Renten leben und zu einem eigenen Erwerb nicht imstande sind, sind die Kosten als eine gegebene feste Größe anzusehen, die nach dem wirtschaftlichen Prinzip auf die verschiedenen Begriffe zu verteilen sind. In anderen Fällen gilt die oben betonte Variabilität des Kostenfaktors (23).

Das Wesen des wirtschaftlichen Handelns besteht also darin,  nach dem wirtschaftlichen Prinzip Kosten auf die Gesamtheit der erstrebten Nutzen zu verteilen,  und wir haben daher, genau betrachtet, wenn wir zur kürzesten und abstraktesten Definition des wirtschaftlichen Handelns gelangen wollen, an unserer früheren Definition nur ein einziges Wörtchen zu ändern: Wirtschaften ist nicht Nutzen  und  Kosten vergleichen, sondern  Nutzen "an" Kosten vergleichen. Verschiedene erstrebte Nutzen, Bedürfnisse, an den für sie aufzuwendenden Kosten vergleichen, das nennt man wirtschaften.  Die Wirtschaftlichkeit einer Handlung ergibt sich als, wie gesagt, nur aus ihrem Vergleich mit anderen, eine Handlung erscheint als wirtschaftlich nur im Komplex mit anderen aufgrund des wirtschaftlichen Prinzips. Hier ist zugleich der tiefste Grund, weshalb alle die unendlichen Versuche der bisherigen Theorie zu einer Definition des wirtschaftlichen Gutes, des wirtschaftlichen Bedürfnisses, des wirtschaftlichen Wertes zu gelangen, ergebnislos und unfruchtbar bleiben mußten. Niemals ist  eine  Handlung,  ein  Gut wirtschaftlich, sondern Wirtschaften ist ein  Vergleichen mehrerer Bedürfnisse an ihren Kosten. 

Aber die Feststellung, daß das Wesen des Wirtschaftlichen nicht in der Gegenüberstellung von Nutzen und Kosten einer einzelnen Handlung besteht, sondern daß verschiedene Nutzen an den Kosten verglichen werden und diese Kosten auf eine Einheit gebracht werden können, führt uns noch einen Schritt weiter, der für die Erfassung des Wesens der Wirtschaft von der größten Bedeutung ist. Statt nämlich verschiedene Nutzen an den Kosten  vergleichen,  können wir jetzt auch sagen:  messen Denn das ist ein weiteres Charakteristikum, das sich direkt aus unserer Auffassung des Wirtschaftlichen ergibt: wenn wir  verschiedene  Nutzen den auf einen Generalnenner zu bringenden Kosten gegenüberstellen, können wir ihre Größe gegeneinander viel schärfer und genauer feststellen, als wenn es sich nur um eine einzelne Handlung,  ein  erstrebtes Lustgefühl und das mit seiner Erreichung verbundene Unlustgefühl handelt. Denn im ersteren Fall, bei den wirtschaftlichen Handlungen haben wir ein  tertium comparationis  [Drittes zum Vergleich - wp], eben die Kosten, den Generalnenner, an dem die verschiedenen Nutzen verglichen, ja man kann sagen, gemessen werden. Daß bei einer einzelnen Handlung, bei welcher also nur zwei Faktoren, das erstrebte Lustgefühl und das verursachte Unlustgefühl gegeben sind, man doch auch von einem Vergleichen reden kann, obwohl ein  tertium comparationis  fehlt, hat, wie ich schon an anderer Stelle dargelegt habe, darin seinen Grund, daß jedes erstrebte Lustgefühl zunächst als ein Mangel, als ein Unlustgefühl empfunden wird und daher in unserem Bewußtsein mit dem verglichen werden kann, das zu seiner Beseitigung erforderlich ist. Um bei unserem früheren Beispiel zu bleiben: Empfunden wird das Bedürfnis nach Ruhe und Schlaf; der klappernde Fensterladen bedeutet eine Beeinträchtigung desselben, die als Unlustgefühl empfunden wird. Damit wird das Unlustgefühl des Aufstehens und Befestigens des Ladens verglichen und beide Unlustgefühle werden dann gegeneinander abgewogen, eine Entscheidung, die bekanntlich oft sehr schwer fällt. Niemals aber gelangt man hier dazu, die  Größe  des Lustgefühls oder der beiden Unlustgefühle irgendwie festzustellen. Wir müssen uns bei diesen isolierten Handlungen mit der Entscheidung in unserem Empfinden begnügen, daß dieses oder jenes Unlustgefühl größer ist, und danach richten wir unser tatsächliches Vorgehen ein.

Ganz anders bei den  wirtschaftlichen Handlungen.  Ihr Wesen besteht gerade darin, daß wir hier in jedem Moment feststellen können, wie groß der Nutzen des letzten befriedigten Bedürfnisses verglichen mit dem der anderen noch zu befriedigenden Bedürfnisse und gemessen an den Kosten ist. Denn da jedes Bedürfnis mit zunehmender Befriedigung an Stärke abnimmt, die Kosten aber in der Regel mit weiteren Aufwendungen als größere Unlustgefühle empfunden werden, müssen wir in jedem Moment die Höhe eines jeden noch unbefriedigten Bedürfnisses feststellen können, und zwar nicht absolut, sondern verglichen mit den für die weitere Befriedigung eines jeden Bedürfnisses erforderlichen, oft sehr verschiedenen Kosten. Wirtschaften ist also eigentlich  ein doppeltes Vergleichen,  was eben die wirtschaftliche Aufgabe so kompliziert macht.  Einmal werden die noch unbefriedigten Bedürfnisse absolut ihrer Stärke nach miteinander verglichen  und dann  noch einmal hinsichtlich der speziellen Kosten, die jeder Akt der weiteren Befriedigung eines jeden von ihnen erfordert. 

Es ergibt sich also, daß es für das wirtschaftliche Handeln maßgebend und entscheidend ist,  in jedem Moment für jedes Bedürfnis die Spannung zwischen dem noch zu erzielenden Nutzen und den dafür aufzuwendenden Kosten feststelen und mit der Spannung zwischen Nutzen und Kosten bei allen anderen Bedürfnissen vergleichen zu können.  Diese Spannung nenne ich  Ertrag.  Sie gibt die  Richtschnur  für das wirtschaftliche Handeln, ohne daß sie sich aber, wenigstens bei den Konsumwirtschaften, zahlenmäßig feststellen läßt. Es genügt und charakterisiert, wie gesagt, das wirtschaftliche Handeln, daß der Wirtschaft in seinem Empfinden in jedem Moment bei allen seinen Bedürfnissen die Relationen zwischen jeder weiteren Nutzeneinheit und den für ihre Erlangung aufzuwendenden Kosten miteinander vergleichen kann.  Die theoretisch schärfste Formulierung dieses wirtschaftlichen Handelns ist das von mir entwickelte Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge:  Die weitere Befriedigung eines Bedürfnisses muß dann abgebrochen werden,  wenn die Spannung zwischen Nutzen und Kosten, eben der Ertrag, geringer wird als bei der Befriedigung anderer Bedürfnisse.  Und die  größte Bedarfsbefriedigung ist dann gegeben, wenn die Spannung zwischen Nutzen und Kosten bei der letzten befriedigten Einheit aller Bedürfnisse gleich groß ist, d. h. wenn die "Grenzerträge" bei allen Bedürfnissen gleich hoch sind. 

Dies ist das Maximalproblem, in dem die wirtschaftliche Aufgabe besteht, dies ist seine schärfste theoretische Lösung. Maximum des Erfolges bedeutet hier also doch etwas wesentlich anderes als beim noch so wirtschaftlich, d. h. nicht technisch, aufgefaßten "wirtschaftlichen" Prinzip. Denn Maximum des Nutzens bezieht sich hier auf die  Gesamtheit  des Nutzens bei der Befriedigung der Bedürfnisse. Wie schon GOSSEN es ausdrückt: Der Mensch strebt, daß die  "Summe der Genüsse des ganzen Lebens ein Größtes ist,"  oder wenn wir den Wirtschaftsplan nicht so weit, gleich über das ganze Leben, erstrecken wollen wie GOSSENss "Genußlehre": daß, soweit überhaupt der Wirtschaftsplan reicht, d. h. wie wir jetzt wissen,  soweit überhaupt verschiedene Nutzen und Kosten einander gegenübergestellt werden, die Summe der Nutzen im Vergleich zu den Kosten, d. h. die Summe der Erträge ein Größtes ist.  Bei der  einzelnen  Handlung kann, wenn sie nach dem wirtschaftlichen Prinzip geschieht, auch ein möglichst großer Erfolg erstrebt und mit möglichst geringen Mitteln zu erreichen versucht werden, aber - das ist eben das unterscheidende Kriterium des  wirtschaftlichen Handelns - er wird nicht  mit anderen Erfolgen und deren Kosten verglichen,  wird nicht in den Rahmen auf einen Gesamterfolg gerichteter Handlungen, eines einheitlichen Komplexes von Handlungen hineingestellt.

Zahlenmäßig feststellen  läßt sich der Ertrag, die Spannung zwischen Nutzen und Kosten, die die Richtschnur für das wirtschaftliche Handeln bildet, nur bei den Erwerbswirtschaften in der Geldwirtschaft, wo als Nutzen nicht die Bedarfsbefriedigung, sondern Geldeinkommen den Kosten in Geld gegenübergestellt werden. In allen übrigen Fällen, auch wo die Konsumwirtschaften mit einem gegebenen Geldeinkommen als Kostengrundlage rechnen, bleiben die Erträge (Konsumerträge) rein im Empfinden des Wirtschafters feststellbare Größen, die aber doch von ihm in dieser Weise in jedem Moment bei jeder weiteren Kostenaufwendung festgestellt werden und das wirtschaftliche Handeln bestimmen. Immer ergibt die Spannung zwischen Nutzen und Kosten für jede weitere Nutzeneinheit eines jeden Bedürfnisses die Richtschnur, welcher das wirtschaftliche Handeln folgt. Man kann so wirtschaften auch als  Handeln nach dem Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge  definieren. -

Es ist eine der vornehmsten und in gewisser Hinsicht die letzte Aufgabe der ökonomischen Theorie, die besonders auch die Grenznutzenlehre zu lösen sich bemühte, zu zeigen, wie  dasselbe Prinzip,  das das wirtschaftliche Handeln des einzelnen Menschen, die Konsum- oder Hauswirtschaft bestimmt, auch bei den Erwerbswirtschaften im Tauschverkehr Geltung hat und schließlich überhaupt den Mechanismus des ganzen Tauschverkehrs beherrscht. Hier liegt dann die Rechtfertigung dafür, besser gesagt, die  Begründung der Notwendigkeit,  einen  individualistischen  Ausgangspunkt für die ganze ökonomische Theorie zu nehmen. Dieses Einheitliche alle Wirtschaftens nachzuweisen, scheint mir mit dem Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge gelungen. Ich habe daher mit den vorstehenden Untersuchungen den letzten noch fehlenden Unterbau für meine früher aufgestellten Theorien geliefert und bin so auf einem anderen Weg, von einer anderen Seite zu den gleichen Grundsätzen gelangt, auf denen schon meine früheren Theorien aufgebaut waren. Die Leser, die diese Theorien kennen, werden wissen, daß auch meine Erklärung der Preisbildung aus subjektiven Nutzenschätzungen, meine Produktivitätstheorie und die daran anknüpfende Theorie des Sparens und der Kapitalbildung, die die theoretische Erfassung tauschwirtschaftlicher Erscheinungen bis in das Krisenproblem hinein vorschiebt, aufgebaut ist auf dem Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge, in dem wir jetzt die schärfste Formulierung der wirtschaftlichen Aufgabe, das Wesen des wirtschaftlichen Handels überhaupt erkannt haben. Man wird daher vielleicht jetzt schon zugeben, auch solange ich eine einheitliche und geschlossene Darstellung meines ganzen theoretischen Systems noch nicht gegeben habe, daß es mir gelungen ist, woran die neueren Theoretiker mit ihrer rein tauschwirtschaftlichen Auffassung der Wirtschaft verzweifelten, in der Tat den tauschwirtschaftlichen Mechanismus in seinen Hauptproblemen auf das richtig erkannte Wesen der Wirtschaft ganz allgemein und auf das wirtschaftliche Handeln des einzelnen Menschen zurückzuführen.
LITERATUR Robert Liefmann, Das Wesen der Wirtschaft und der Ausgangspunkt der Nationalökonomie, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, III. Folge, Bd. 46, Jena 1913
    Anmerkungen
    15) In einer systematischen Darstellung der ökonomischen Theorie muß aber allerdings die Erörterung der Einzelwirtschaft in  allen  ihren Formen der ihrer tauschwirtschaftlichen Beziehungen vorausgehen. Ich habe deshalb schon vor mehr als 10 Jahren in meiner Vorlesung über theoretische Nationalökonomie die Grundeinteilung folgendermaßen vorgenommen: I. Grundlagen des Wirtschaftslebens. II. Die Einzelwirtschaft und ihre Organisation. III. Die Tausch- oder Verkehrswirtschaft und ihre Organisation.
    16) Über andere Auffassungen des wirtschaftlichen Prinzips bei DIETZEL siehe unten bei Ziffer  3). 
    17) Auch dies ist, wie wir unten sehen werden, nicht korrekt, weil wegen des Gesetzes der abnehmenden Bedarfsintensität nicht jede "Kosteneinheit das Maximum von Nutzeneinheiten abwerfen" kann, sondern jede weitere Kosteneinheit eine geringere Nutzeneinheit abwirft. Die richtige Formulierung liefert nur der Ertragsgedanke, das Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge, wonach der Konsekutivsatz [Folgesatz - wp] lauten muß: daß die  Grenzerträge  gleich hoch sind.
    18) Ich muß immer wieder betonen, daß diese ganze Vorstellung herbeigeführt wird durch die übliche Frage nach dem  Wert,  daß der Wertbegriff diesen ganzen in die Irre führenden Gedankengang verschuldet hat.
    19) Ich hoffe bei anderer Gelegenheit auf die Irrtümer und Mißverständnisse OSWALTs näher eingehen zu können. Hier genügt der Hinweis, daß auch seine Theorien absolut auf dem üblichen materialistisch-quantitativen Boden stehen, der einen Gütervorrat und eine bestimmte Angebotsmenge als gegeben ansieht und damit das Wesen der einzelwirtschaftlichen wie der tauschwirtschaftlichen Aufgabe vollkommen verkennt.
    20) Wenn MAX WEBER in der Diskussion (Seite 266) gegen die Formulierung VOIGTs: möglichst beste Bedarfsbefriedigung mit gegebenen Mitteln eingewendet hat, daß sie Werturteile involviert, so gilt dafür dasselbe, was ich gegenüber dem gleichen Einwand WEBERs gegen meine Produktivitätstheorie ausgeführt habe (in dieser Zeitschrift, Bd. 43), Seite 300 und 312). Wenn auch jeder Wirtschafter natürlich fortgesetzt Werturteile fällt, so bedeutet doch, wie ich unwiderleglich gezeigt habe, die Auffassung der ökonomischen Aufgabe als einem Maximumproblem selbst keinerlei Werturteil.
    21) Er fährt hier fort: "Für einen Anzug, welcher nur wenige Monate hält, 40 Mark geben, ist, wenn ich mir für 80 Mark einen mehrere Jahre haltenden und damit zwar absolut teureren, aber relativ wohlfeileren Anzug beschaffen kann, nicht Sparsamkeit, sondern Verschwendung." Auch das ist ein Verkennen des Wesens des wirtschaftlichen Handelns. Denn das läßt sich allgemein nicht behaupten, ein derartiges Vorgehen kann auch durchaus wirtschaftlich sein. Darüber gibt meine Produktivitätstheorie näheren Aufschluß, die ebensowohl für die Einzelwirtschaft wie für den gesamten Tauschverkehr gilt. Sie erklärt, mit anderen Worten, was im obigen Satz "relativ wohlfeiler" bedeutet, was bei DIETZEL völlig unerklärt, daher eine reine Phrase bleibt.
    22) Hier liegt der Grund, weshalb man in der Wirtschaftstheorie sehr wohl auch die Genußgüter als Kosten auffassen kann, siehe darüber die Entstehung des Preises, Seite 22.
    23) Das schließt natürlich nicht aus, daß auch die modernen Wirtschaftssubjekte heute mit einem Geldeinkommen von bestimmter Größe rechnen und zunächst dieses nach dem wirtschaftlichen Prinzip auf ihre Bedürfnisse verteilen. Für das, was sie mehr erzielen, stellen sie dann gewissermaßen einen neuen Wirtschaftsplan auf und erleichtern sich auf diese Weise ihre wirtschaftliche Aufgabe. Die Theorie aber muß prinzipiell davon ausgehen, daß die Kosten zunächst keine gegebene, fixe Größen sind.