ra-2R. StolzmannR. LiefmannN. BucharinH. CohnR. Zuckerkandl    
 
OTTO CONRAD
Die Lehre vom subjektiven Wert

"Vor allem hervorzuheben ist, daß der Wert einen rein  individuellen  Charakter besitzt. Man kann daher immer nur davon sprechen, daß ein bestimmtes Gut für ein bestimmtes Individuum in einem bestimmten Augenblick Wert besitzt. Dies wird ja auch von den Anhängern der subjektiven Werttheorie, dort, wo sie den Begriff des Wertes erörtern, allgemein anerkannt. Allein bei der Anwendung des Begriffs wird das wieder vergessen. Man läßt den Arbeiter  Werte  produzieren, man untersucht den Anteil, den die Produktionsfaktoren an der "Wertentstehung besitzen, man spricht vom  Wert der Produktivmittel,  ohne zu erkennen, daß man damit die ursprüngliche Auffassung des Wertes ganz verlassen hat. Denn es gibt keinen  Wert schlechthin,  sondern immer nur einen Wert in Bezug auf eine bestimmte Person und ein bestimmtes konkretes Gut."

"Der Wert kommt im Werturteil nicht unmittelbar zum Ausdruck. Die Art, wie er zum Ausdruck kommt, hängt vielmehr vom Verhältnis zwischen Bedarf und Deckung in den anderen Bedarfszweigen ab. Nur dann, wenn dieses Verhältnis bei allen Menschen gleich wäre, könnte der Wert an der Höhe des Werturteils gemessen werden. Da diese Bedingung nicht zutrifft, ist eine Messung des Wertes nicht möglich."


Einleitung

Wie auf anderen Gebieten der Nationalökonomie, so herrscht auch in der Frage, welche Bedeutung die Lehre vom subjektiven Wert als Grundlage der Preistheorie besitzt, immer noch der unerquickliche Zustand vor, daß sich die verschiedensten Meinungen nebeneinander behaupten, ohne daß es einer von ihnen gelingen würde, die andern zurückzudrängen und sich zu allgemeiner Anerkennung durchzuringen. Während eine Gruppe von Theoretikern die Anschauung vertritt, daß der Preis von Anfang bis zum Ende das Produkt subjektiver Wertschätzungen ist, wollen andere die Wertschätzungen nur als  einen  unter mehreren am Preisbildungsprozeß mitwirkenden Faktor gelten lassen, oder glauben, auf die Heranziehung der Wertschätzungen bei der Erklärung der Preisbildung sogar völlig verzichten zu können.

Die folgende Arbeit unternimmt den Versuch, die vorliegende Frage zur Entscheidung zu bringen. Es soll anhand einer kurzen Darstellung der Preisbildung untersucht werden, inwieweit die Lehre vom subjektiven Wert zur Erklärung des Preisbildungsprozesses beiträgt. Hierbei wird sich zeigen, daß die Bedeutung dieser Lehre außerordentlich überschätzt worden ist. Ich glaube nachweisen zu können, daß die Idee des Wertes auf Erscheinungen angewendet und auf Gebiete ausgedehnt worden ist, die der Herrschaft des Wertes in Wirklichkeit völlig entzogen sind.

Bei dieser Untersuchung dürfte sich eine besondere Einteilung des Stoffes als zweckmäßig erweisen. Wie die vorstehenden Andeutungen erkennen lassen, gedanke ich keineswegs wesentlich Neues zur Preistheorie vorzubringen. Ich will vielmehr nur untersuchen, inwieweit die Erklärung der Preisbildung - soweit sie bisher gelungen ist - auf der Lehre vom subjektiven Wert fußt. Es handelt sich also in der Hauptsache um eine Auseinandersetzung mit den  Anwendungen,  die von der Wertlehre für die Erklärung der Preisbildung gemacht worden sind. Würde nun diese Auseinandersetzung in die Darstellung der Preisbildung eingefügt werden, dann würde diese letztere ganz auseinanderfallen. Ich halte es daher für zweckmäßiger, Darstellung und Auseinandersetzung zu trennen. Zunächst will ich den Preisbildungsprozeß, wie er sich mir nach dem gegenwärtigen Stand der Theorie darzustellen schein, darlegen und dann erst jene Auseinandersetzung folgen lassen. Dies geschieht in der Weise, daß an die Erörterung der Preisbildung eine Reihe von Exkursen angeschlossen wird.

Natürlich sind auch mit dieser Einteilung sehr erhebliche Nachteile verbunden. Denn, da ich vorläufig auf eine Auseinandersetzung verzichte, laufe ich Gefahr, zahlreiche Bedenken und Einwände hervorzurufen, die erst an späterer Stelle ihre Aufklärung und Widerlegung finden können. Gleichwohl scheint mir dieser Nachteil durch den Vorteil einer geschlossenen Darstellung aufgewogen zu werden. Ich möchte jedoch an den Leser, der die Darstellung der Preisbildung und die Exkurse gelesen hat, die Bitte richten, den ersten Teil dann nochmals einer Durchsicht zu unterziehen. Ich hoffe zuversichtlich, daß die Bedenken, die bei der ersten Lektüre etwa auftauchen mögen, so dann von selbst fortfallen werden.



I. Begriff des subjektiven Wertes

Bei der Unbegrenztheit der Bedürfnisse und der Beschränktheit der Mittel, die zu ihrer Befriedigung stehen, ist eine volle Befriedigung der Bedürfnisse ausgeschlossen. Die Menschen sind daher bestrebt, ihre Bedürfnisse wenigstens so vollständig wie möglich zu befriedigen.

In der tauschwirtschaftlichen Wirtschaftsorganisation wird dies dadurch erreicht, daß man möglichst billig kauft und möglichst teuer verkauft. Der Unternehmer sucht die Arbeitskräfte, Rohstoffe und sonstigen Produktionsmittel, die er beim Betrieb seines Unternehmens braucht, möglichst billig zu beschaffen und die Erzeugnisse seines Betriebes zu möglichst hohen Preisen an den Mann zu bringen. Der Arbeiter, Beamte, Advokat, Arzt, usw. ist bestrebt, für seine Leistungen ein möglichst hohes Entgelt zu erzielen. Und jeder ist als Konsument darauf bedacht, die Güter, die er zur Befriedigung seiner Bedürfnisse braucht, so billig wie möglich zu erwerben. Alle sind von dem Bestreben erfüllt,  möglichst teuer zu verkaufen und möglichst billig zu kaufen. 

Dieser Satz bildet die wichtigste Grundlage für die Preistheorie. Ja, man könnte, ohne sich allzu weit von der Wahrheit zu entfernen, sagen, daß er eigentlich alles enthält, was die Untersuchung der das Verhalten der Menschen bestimmenden Motive zur Erklärung der Preisbildung beitragen kann. Es wird sich später zeigen, daß seine Bedeutung für die Theorie viel weiter reicht, als gewöhnlich angenommen wird. Viele Zusammenhänge auf dem Gebiet der Preisbildung, für die man die kompliziertesten Theorien aufstellen zu müssen glaubte, lassen sich aus diesem Satz auf die einfachste Weise erklären.

Immerhin ist es aber doch zweckmäßig, das Verhalten des Menschen noch etwas näher zu betrachten. Der Satz, daß der Käufer möglichst billig zu kaufen sucht, sagt uns, daß,  wenn  einmal der Entschluß zu kaufen gefaßt ist, dem billigeren Preis der Vorzug gegeben wird. Wir wissen aber noch nicht,  wann  sich der Käufer zum Kauf entschließt,  wo  der Punkt liegt, bei dem seine Bereitwilligkeit, zu kaufen, beginnt. Ebenso steht die Sache auf seiten des Verkäufers. Wir wissen, daß dieser so teuer als möglich zu verkaufen sucht, wir kennen aber noch nicht den Punkt, bei dem er als Verkäufer auftritt. Es handelt sich mit einem Wort um  die Grenze, bei der der Kaufs-, bzw. Verkaufswille beginnt.  Diese Grenze fällt, wie ersichtlich, mit einem bestimmten Preis zusammen. Es gibt für jedermann betreffs jedes Gutes irgendeinen höchsten Preis, den man zu bezahlen noch gewillt ist, bei dessen Überschreitung man jedoch auf den Erwerb des Gutes verzichtet (1); und es gibt für jedermann betreffs jedes im eigenen Besitz befindlichen Gutes irgeneinen niedrigsten Preis, der geboten werden muß, wenn man bereit sein soll, das Gut zu verkaufen, während man sonst die Verwendung des Gutes zum eigenen Gebrauch vorzieht (2). Es fragt sich nun, wie sich dieser niedrigste, vom Verkäufer geforderte und wie sich jener höchste, vom Käufer gebotene Preis bestimmt.

Damit sind wir beim Wertproblem angelangt.

Der Wert ist die Bedeutung, die das Individuum einem bestimmten Gut beilegt, weil ihm das Gut einen Nutzen gewährt.  Diese Definition, welche sich von den üblichen Definitionen in einigen Punkten unterscheidet, soll im folgenden näher erläutert werden.

Vor allem ist hervorzuheben, daß der Wert einen rein  individuellen  Charakter besitzt. Man kann daher immer nur davon sprechen, daß ein bestimmtes Gut für ein bestimmtes Individuum in einem bestimmten Augenblick Wert besitzt. Dies wird ja auch von den Anhängern der subjektiven Werttheorie, dort, wo sie den Begriff des Wertes erörtern, allgemein anerkannt. Allein bei der Anwendung des Begriffs wird das wieder vergessen. Man läßt den Arbeiter "Werte" produzieren, man untersucht den Anteil, den die Produktionsfaktoren an der "Wertentstehung besitzen, man spricht vom "Wert der Produktivmittel", ohne zu erkennen, daß man damit die ursprüngliche Auffassung des Wertes ganz verlassen hat. Denn es gibt keinen "Wert" schlechthin, sondern immer nur einen Wert in Bezug auf eine bestimmte Person und ein bestimmtes konkretes Gut. An späterer Stelle wird davon noch ausführlich die Rede sein. Hier sei nur hervorgehoben, daß es eben wegen dieser Verstöße als zweckmäßig erscheint, den individuelen Charakter des Wertes schon in der Definition deutlich zum Ausdruck zu bringen. Deshalb die Hervorhebung des "Individuums" und des "bestimmten Gutes". Um ganz genau zu sein, hätten auch noch die Worte "in einem bestimmten Zeitpunkt" eingefügt werden müssen. Da aber dieser Zusatz selbstverständlich ist, kann er wohl ohne Nachteil weggelassen werden.

Der Wert ist eine "Bedeutung, die den Gütern beigelegt wird. Dieses Wort bedarf einer genaueren Erläuterung. Wenn ich wissen will, welche Bedeutung ein Ding besitzt, dann genügt es mir nicht, zu erfahren, daß das Ding überhaupt "Bedeutung hat", sondern ich frage nach einer bestimmten, und zwar der  höchsten  Bedeutung, die das Ding besitzt. Der Begriff  Bedeutung  ist ein Maximumbegriff. Wird daher der Wert als eine Bedeutung definiert, dann kann damit nur die höchste Bedeutung, die das Individuum dem betreffenden Gut beilegt, gemeint sein.

Daraus ergibt sich nun eine wichtige Folgerung. Um erkennen zu können, welchen Wert ein Individuum einem Gut beilegt, müssen die Umstände so geartet sein, daß die höchste Bedeutung, die dem Gut beigelegt wird, auch wirklich zum Ausdruck kommen kann.

Besitzt der Schätzende das Schätzungsobjekt nicht, befindet er sich also in der Stellung des Käufers, dann muß er genötigt sein, den  höchsten  Preis zu nennen, zu dem er das Schätzungsobjekt zu erwerben gewillt ist. Nur dann läßt sich erkennen, welche höchste Bedeutung er dem Gut beilegt.

Der Verkäufer hingegen, der das Gut besitzt, muß vor die Frage gestellt sein, bei welchem  geringsten  Preis er das Gut abzugeben bereit wäre oder - was dasselbe ist - bei welchem höchsten Preis er es vorzieht, das Gut zum eigenen Gebrauch zu verwenden. Nur so läßt sich erkennen, welche Bedeutung er dem Gut beilegt.

Daraus folgt, daß es für die Größe des Wertes völlig gleichgültig ist, zu welchem Preis das Gut tatsächlich gekauft oder verkauft werden kann. Einen Winterrock, der auf dem Markt für 40 Gulden feilgeboten wird, schätzen wir nicht auf 40 Gulden. Die Tatsache, daß der Winterrock 40 Gulden kostet, ist vielmehr für die Größe des Wertes ohne jeden Belang. Allerdings wird niemand einen höheren Preis bewilligen, wenn der Winterrock um 40 Gulden zu haben ist. Allein der Schluß, der daraus zu ziehen ist, ist nicht der, daß der Winterrock mit 40 Gulden bewertet wird, sondern lediglich der, daß unter diesen Umständen nicht zu erkennen ist, welche Bedeutung dem Winterrock beigelegt wird. Vielleicht bewertet der betreffende Käufer den Winterrock mit 100 Gulden, vielleicht sogar mit 1000 Gulden. Daß er nur 40 Gulden dafür bezahlt, bestätigt nur den Satz, daß jedermann so billig wie möglich zu kaufen versucht. Ein Rückschluß auf die Größe des Wertes ist daraus nicht zu ziehen (3).

Ebenso steht die Sache beim Verkäufer. Der Umstand, daß der Winterrock nach der herrschenden Marktlage einen Preis von 40 Gulden erzielt, ist für die Wertschätzung des Verkäufers, z. B. des Kleiderhändlers, völlig gleichgültig. Allerdings wird kein Händler seine Ware unter dem Preis abgeben, den er erzielen zu können glaubt. Allein damit ist nur bewiesen, daß auch der Händler wie jeder Verkäufer möglichst teuer zu verkaufen versucht. Für die Größe des Wertes ergibt sich daraus kein Anhaltspunkt. Es ist vielmehr sehr wohl möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß er die Ware viel niedriger, vielleicht nur mit 1 Gulden, bewertet.

Das Beispiel vom Winterrock ist zuerst von BÖHM-BAWERK gebraucht und dann auch von anderen aufgenommen worden (4). Daß BÖHM-BAWERK den Satz, ein Winterrock wird auf 40 Gulden geschätzt, wenn er auf dem Markt um 40 Gulden zu haben ist, aufstellen konnte, erklärt sich daraus, daß er neben dem Gebrauchswert eine zweite Art des subjektiven Wertes,  "den subjektiven Tauschwert",  unterscheidet. Im zweiten Exkurs wird über diesen Begriff ausführlich gesprochen werden. Hier möchte ich nur vorläufig bemerken, daß ich ihn für ein unbrauchbares Instrument der wissenschaftlichen Terminologie halte. Die "Schätzung", um die es sich hier handelt, ist keine  Wert schätzung, sondern eine  Ab schätzung, und zwar die Abschätzung eines Preises. Der subjektive Tauschwert ist kein wahrer  Wert,  sondern ein vermuteter, im Voraus berechneter oder angenommener  Preis.  Hier liegt der Punkt, von dem die oben erwähnte Ausdehnung der Idee des Wertes auf Gebiete, die der Herrschaft des Wertes entrückt sind, ihren Ausgang genommen hat.

Ich beschränke mich vorläufig auf diese Andeutungen. Sie werden, wie erwähnt, in den Exkursen ihre nähere Ausführung und Begründung erhalten. Auf die Sache hier schon einzugehen, liegt keine Nötigung vor, da, wie das Weitere zeigen wird, der Begriff des subjektiven Tauschwertes bei der Darstellung der Preisbildung durchaus entbehrlich ist. Es sei daher nur festgestellt, daß wir den subjektiven Tauschwert als Wert nicht anerkennen, und des für das Richtige halten, diesen Begriff gänzlich fallen zu lassen. Dann bleibt aber von den verschiedenen Arten des subjektiven Wertes nur  eine  Art  der  Gebrauchswert, übrig. Im folgenden werden daher die Worte: Wert, Gebrauchswert und subjektiver Wert synonym verwendet, wobei wir daran festhalten, daß unter dem Wert die höchste Bedeutung, die das Individuum einem bestimmten Gut in einem gegebenen Augenblick beilegt, zu verstehen ist, und daß es daher für die Größe des Wertes gleichgültig ist, welchen Preis das betreffende Gut auf dem Markt tatsächlich erzielt.

Wir fahren in der Erläuterung der oben angegebenen Definition des Gebrauchswertes fort. Sie besagt, daß das Individuum einem Gut deshalb Wert beilegt,  weil ihm das Gut Nutzen gewährt.  Es fragt sich nunmehr, ob mit diesem letzteren Satz die Ursache des Bewertens richtig bezeichnet ist. Die Antwort auf diese Frage wird am leichtesten zu finden sein, wenn wir untersuchen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit einem Gut ein Wert beigelegt wird. Ich glaube nun, daß zwei Bedingungen zutreffen müssen, von denen die eine auf der Seite des Gutes, die andere auf der Seite des Schätzenden liegt: Das Gut muß brauchbar, d. h. zur Befriedigung eines Bedürfnisses tauglich sein; und auf seiten des Schätzenden muß eben dieses Bedürfnis vorhanden, d. h. ungedeckt sein. Sind diese Bedingungen erfüllt, dann wird dem Gut ein Wert beigelegt.  Brauchbarkeit des Gutes  auf der einen Seite und  Vorhandensein eines ungedeckten Bedürfnisses  auf der anderen Seite sind also die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit einem Gut ein Wert beigelegt wird. Ebendieselben Bedingungen müssen aber auch erfüllt sein, wenn ich von einem Gut soll sagen könenn: das Gut gewährt mir Nutzen. Denn ein Gut, welches zur Befriedigung eines Bedürfnisses nicht brauchbar ist, oder ein Gut, das zwar brauchbar ist, jedoch ein Bedürfnis befriedigt, das ich nicht empfinde, ist für mich nutzlos. Ein Gut gewährt also einer bestimmten Person nur dann Nutzen, wenn es brauchbar ist zur Befriedigung eines Bedürfnisses, welches die betreffende Person empfindet. Da nun dies die beiden Bedingungen der Wertentstehung sind, ist in der obigen Definition die Ursache des Bewertens durch die Worte: "weil ihm das Gut Nutzen gewährt", richtig bezeichnet.

Gewöhnlich werden als Bedingungen der Wertentstehung andere Momente genannt, worauf dann auch die Definition des Wertes eine andere Gestalt annimmt. So sagt z. B. BÖHM-BAWERK:
    "Damit der Wert entsteht, muß sich zur Nützlichkeit auch Seltenheit gesellen; nicht absolute, sondern relative Seltenheit im Vergleich zum Bedarf nach Gütern der betreffenden Art." (5)
Hiernach wären die  Nützlichkeit  und die  Seltenheit  als Bedingungen der Wertentstehung anzusehen. Es scheint mir nicht schwer, diese Auffassung mit der oben dargelegten in Einklang zu bringen. Unter "Nützlichkeit" versteht BÖHM-BAWERK nicht den individuellen konkreten Nutzen, den ein Gut einer bestimmten Person gewährt, sondern Nützlichkeit im allgemeinen ohne Bezug auf eine bestimmte Person. In diesem Sinne deckt sich jedoch das Wort  Nützlichkeit  vollständig mit der Brauchbarkeit, die auch wir als Bedingung der Wertentstehung anerkennen. Ich ziehe das Wort  Brauchbarkeit  vor, weil die Gefahr eines Mißverständnisses allzu nahe liegt, wenn zwei so ähnliche Worte, wie (allgemeine) Nützlichkeit und (konkreter) Nutzen, die doch zwei so verschiedene Begriffe bezeichnen, nebeneinander verwendet werden.

Als zweite Bedingung der Wertentstehung nennt BÖHM-BAWERK die Seltenheit, während wir das Vorhandensein eines ungedeckten Bedürfnisses auf seiten des Schätzenden genannt haben. Auch hier scheint mir kein prinzipieller Gegensatz vorzuliegen. Denn ein ungedecktes Bedürfnis kann nur dann vorhanden sein, wenn das Gut im Vergleich zum Bedarf in zu geringer Menge vorhanden, also im Sinne BÖHM-BAWERKs "selten" ist. Ich habe nur gewissermaßen die Bedingung von der Seite des Gutes auf die Seite des Schätzenden verlegt, sie wird statt an die Verhältnisse des Gtues an die Verhältnisse des Schätzenden angeknüpft. Diese Formulierung scheint mir dem individuellen Charakter des Wertes besser zu entsprechen, da sie die Abhängigkeit des Wertes von den persönlichen Verhältnissen des Schätzenden deutlicher zum Ausdruck bringt. Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen dieser Auffassung und derjenigen BÖHM-BAWERKs besteht meines Erachtens nicht.

Mit dem Gesagten ist auch unser Standpunkt gegenüber der Auffassung gegeben, welche BÖHM-BAWERK hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Nutzen und Wert vertritt:
    "Es gibt zwei wesentlich verschiedene Stufen der Wohlfahrtsbeziehung. Die niedrigere liegt dann vor, wenn ein Gut überhaupt die  Fähigkeit  hat, der menschlichen Wohlfahrt zu dienen. Dagegen erfordert die höhere Stufe, daß ein Gut nicht bloß taugliche Ursache, sondern zugleich auch unentbehrliche  Bedingung  eines Wohlfahrtserfolges ist, so daß mit dem Besitz oder Verlust eines Gutes irgendein Lebensgenuß steht und fällt. Reich und feinfühlig, wie unsere Sprache ist, hat sie für jede der beiden Stufen eine besondere Bezeichnung ausgebildet. Die niedrigere Stufe nennt sie  Nützlichkeit,  die höhere  Wert." (6)
Die Nützlichkeit oder - wie wir sagen - die Brauchbarkeit stellt meines Erachtens keine Wohlfahrtsbeziehung dar. Denn jede Wohlfahrtsbeziehung setzt eine Beziehung zum Menschen voraus. Die Brauchbarkeit ist aber, wie BÖHM-BAWERK selbst hervorhebt, nur eine Fähigkeit der Güter, die auch dann noch vorhanden wäre, wenn es keine Menschen gäbe.

Dagegen ist der konkrete Nutzen allerdings eine Wohlfahrtsbeziehung, die jedoch mit dem Wert auf  gleicher  Stufe steht. Nutzen und Wert bezeichnen nicht  zwei verschiedene Stufen  der Wohlfahrtsbeziehung, sondern  zwei verschiedene Seiten  ein und derselben Stufe. Der Wert etzt keine höhere Wohlfahrtsbeziehung voraus, er korrespondiert vollkommen mit dem von den Gütern ausgehenden Nutzen. Weil der Mensch von einem Gut einen Nutzen empfängt, legt er ihm Wert bei.


II. Die Größe des Wertes

Von welchen Momenten hängt die Größe des Wertes ab? Die Antwort auf diese Frage ist leicht zu finden. Der Wert beruth, wie oben festgestellt, auf der Brauchbarkeit des Gutes und auf dem Vorhandensein eines ungedeckten Bedürfnisses. Es wird daher auch die Größe des Wertes vom  Grad  der Brauchbarkeit und der  Stärke  des Bedürfnisses abhängen.

Wir haben also auch hier wieder, ebenso wie bei der Erörterung der Bedingungen der Wertentstehung, zwischen den Momenten zu unterscheiden, die auf der Seite des Gutes und auf seiten der Person des Bewertenden über die Größe des Wertes entscheiden.

Auf seiten des Gutes finden wir den  Grad der Brauchbarkeit.  In je höherem Grad das Gut geeignet ist, das Bedürfnis zu befriedigen, desto höher wird auch unter sonst gleichen Umständen die Bedeutung sein, die dem Gut beigelegt wird.

Auf seiten des Bewertenden ist maßgebend die  Stärke des Bedürfnisses.  Diese hängt aber wieder ab von der  Wichtigkeit  und von der  Dringlichkeit  des Bedürfnisses. Die Bedürfnisse sind verschieden wichtig. Von der Befriedigung der einen Bedürfnisse (Existenzbedürfnisse) hängt die Erhaltung des Lebens ab, die Befriedigung anderer Bedürfnisse (Luxusbedürfnisse) verschafft lediglich eine Bequemlichkeit oder ein Vergnügen, worauf leicht verzichtet werden kann. Jedes Bedürfnis, ob wichtig oder unwichtig, kann aber mit verschiedener Dringlichkeit auftreten. Das Nahrungsbedürfnis kann je nach dem Grad, in dem es gesättigt ist, bald als quälender Hunger, bald als Appetit auf eine leicht zu entbehrende Leckerei auftreten. Das Verlangen nach Musik, dessen Befriedigung sonst nur als Vergnügen empfunden wird, kann sich zu einem, alle anderen Bedürfnisse zurückdrängenden wahren Musikhunger steigern. So ergeben sich mannigfache Kombinationen für die Stärke der Bedürfnisse. Es kann ein wichtiges Bedürfnis eine geringe Stärke besitzen, wenn es wenig dringend ist. Und es kann sich ein unwichtiges Bedürfnis mit großer Stärke geltend machen, wenn es sehr dringend auftritt (7).

Damit haben wir alle Momente beisammen, die über die Größe des Wertes entscheiden.  Die Größe des Wertes hängt ab einerseits von der Brauchbarkeit des Gutes, andererseits von der Stärke des Bedürfnisses, die selbst wieder von der Wichtigkeit und von der Dringlichkeit des Bedürfnisses abhängig ist.  Alles diese Momente bestimmen aber gleichzeitig auch die Größe des  Nutzens,  den das Gut dem Schätzenden gewährt. Denn auch die Größe des Nutzens ist einerseits vom Grad der Brauchbarkeit, andererseits von der Stärke des Bedürfnisses abhängig. Je brauchbarer das Gut und je stärker das Bedürfnis, zu dessen Befriedigung das Gut dient, desto größer der Nutzen, den das Gut gewährt. Der Nutzen ist also nicht nur die Ursache der Wertentstehung, von seiner Größe hängt auch, wie dies nicht anders sein kann, die Größe des Wertes ab. Wir legen den Gütern Wert bei,  weil  sie uns Nutzen gewähren, und wir legen ihnen  in dem Maß  Wert bei,  wie  sie uns Nutzen gewähren (8). Sonach läßt sich die Antwort auf die Frage nach der Größe des Wertes in die folgende kürzeste Form bringen:  Die Größe des Wertes hängt ab von der Größe des Nutzens, den das Gut dem Bewertenden gewährt. 

Man hat geglaubt, dieser Regel eine Ausnahme hinzufügen zu sollen, und zwar für jene Fälle, in denen das Gut um den Preis eines persönlichen Opfers, z. B. einer Arbeitsplage, frei ersetzlich ist.
    "Robinson besitzt" - führt BÖHM-BAWERK aus - "ein Dutzend Pfeile, die er in einer Stunde von neuem schnitzen könnte. In diesem Fall hängt für ihr vom Besitz der Pfeile nicht deren positiver Nutzen ab - den er sich ja durch die Anfertigung eines neuen Dutzends in jedem Fall sichern könnte und würde -, sondern einfach eine einstündige Arbeitsplage mehr oder weniger. Er wird daher den Wert des Dutzends Pfeile folgerichtig bemessen an der Größe des Leides, das ihm die Verlängerung seiner Arbeitsplage um die der Wiederherstellung der Pfeile zu widmende Stunde verursachen würde. Die Anwendung dieses Schätzungsmaßstabes ist jedoch an zwei Voraussetzungen geknüpft. ... Erstens muß der positive Nutzen (oder Grenznutzen) des Gutes größer sein, als das für den Ersatz zu übernehmende Leid - sonst würde man eben um den Preis des letzteren das Gut überhaupt nicht wiederherstellen, und an seinem Besitz und Verlust würde ... nur die Erlangung oder Nichterlangung jenes positiven Nutzens hängen -, und zweitens, man muß in der Lage sein, über das Maß der Plage, das man überhaupt zu wirtschaftlichen Zwecken auf sich nehmen will, bis zu einem gewissen Grad frei zu entscheiden." (9)
Ich vermag diesen Ausführungen nicht beizupflichten. Mir scheint vielmehr auch in diesen Fällen die Größe des Wertes von der des Nutzens abhängig zu sein. BÖHM-BAWERK hebt selbst hervor, daß der Arbeiter die Arbeitsplage mit dem Nutzen vergleicht. Um aber diesen Vergleich anstellen zu können, muß er sich offenbar sowohl über den Nutzen als auch über die Arbeitsplage ein Urteil gebildet haben. Er bewertet daher das Gut nicht nach der Arbeitsplage, sondern er schätzt es ganz ebenso wie in allen anderen Fällen nach dem Nutzen und vergleicht damit das Opfer der Arbeitsplage. Erscheint ihm das Opfer größer als der Nutzen, dann ist ihm das Gut "nicht der Mühe wert", und er wird auf den Erwerb verzichten. Im entgegengesetzten Fall wird er die Arbeit ausführen. Das Besondere dieses Falles liegt meines Erachtens nicht darin, daß hier die Größe des Wertes anders als sonst bestimmt wird, sondern darin, daß der  Preis  ein anderer ist, als er sonst zu sein pflegt. Während der Preis gewöhnlich in einer Geldsumme besteht, wird das Gut hier mit einem Opfer an Arbeitsplage bezahlt. Im übrigen aber ist zwischen diesem Fall und irgendeinem Tausch kein Unterschied. Sowie auch sonst der Preis nur bezahlt wird, wenn er die Wertschätzung nicht übersteigt, so wird auch hier das Opfer nur gebracht, wenn das Leid kleiner ist als der Nutzen. Und wie auch sonst die Größe des Wertes davon unabhängig ist, um welchen Preis das Gut tatsächlich zu haben ist (Seite 5), so vermag auch hier der zu entrichtende Preis - das Arbeitsopfer - den Wert in keiner Weise zu beeinflussen. Das Gut wird vielmehr ganz unabhängig vom Preis nach der Größe des Nutzens bewertet. Wir gelangen somit zu dem Ergebnis, daß die Ausnahmestellung, die man den Fällen, in denen das Gut um den Preis eines persönlichen Opfers frei ersetzlich ist, zugewiesen hat, nicht begründet ist.  Der Satz, daß die Größe des Wertes von der Größe des Nutzens, den das Gut dem Schätzenden gewährt, abhängt, gilt ohne jede Ausnahme. 

Dagegegen bedarf dieser Satz nach einer anderen Richtung hin noch einer Ergänzung. Wir haben hervorgehoben, daß für die Größe des Wertes außer der Brauchbarkeit die Stärke des Bedürfnisses maßgebend ist, zu dessen Befriedigung das Gut dient. Es kann nun unter Umständen zweifelhaft sein, welches unter mehreren Bedürfnissen dasjenige ist, das durch das Gut befriedigt wird. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn mehrere Exemplare derselben Güterart verfügbar sind, so daß es dem Belieben des Schätzenden anheimgestellt ist, welches Exemplar er zur Befriedigung eines stärkeren und welches er zur Befriedigung eines schwächeren Bedürfnisses verwenden will. Hier entsteht die Frage, welches Bedürfnis es ist, dessen Befriedigung durch ein einzelnes Exemplar des Gütervorrates gesichert wird, wovon dann natürlich auch - je nach der Stärke des betreffenden Bedürfnisses - die Größe des Wertes abhängt. Diese Frage ist durch die  Grenznutzentheorie  gelöst worden. Sie zeigt, in welcher Reihenfolge die Bedürfnisse zur Deckung gelangen. Bei der Verwendung eines Vorrates werden zuerst die stärksten und dann sukzessive die schwächeren Bedürfnisse gedeckt, so daß immer nur das letzte, schwächste Bedürfnis in seiner Befriedigung vom Besitz des einzelnen Güterexemplars abhängig ist. Der Nutzen, den die Befriedigung dieses letzten, mindest starken Bedürfnisses gewährt, ist der Grenznutzen; er ist für die Größe des Wertes, den ein einzelnes Exemplar aus dem Gütervorrat besitzt, entscheidend. Wird also der besondere Fall der Schätzung aus einem Vorrat mitberücksichtigt, dann erhalten wir für die Größe des Wertes folgende Regel:  Die Größe des Wertes hängt ab von der Größe des Nutzens, den das Gut dem Schätzenden gewährt. Handelt es sich um die Bewertung aus einem Vorrat, dann ist dieser Nutzen ein Grenznutzten. (10)

Dem Grenznutzengesetz ist eine ganz außerordentliche Bedeutung beigelegt worden. Man glaubte damit eine Entdeckung gemacht zu haben, die eine neue Epoche für die Nationalökonomie eröffnen wird. Ich bekenne, daß ich zu denjenigen gehöre, die diesen Optimismus nicht teilen. Es scheint mir vielmehr die Bedeutung dieses Gesetzes ganz außerordentlich überschätzt worden zu sein. Im ersten Exkurs wird dies ausführlich begründet werden. Hier möchte ich mich auf die folgenden kurzen Andeutungen beschränken: Das Grenznutzengesetz scheint mir zunächst schon deshalb von beschränkter Bedeutung zu sein, weil es ja doch nur für die Schätzung aus einem Vorrat Geltung besitzt, also für einen Spezialfall, der bei denjenigen Schätzungen, die für die Preisbildung die allein wichtigen sind, nämlich bei den Schätzungen des  Käufers  (11), nur ausnahmsweise zutreffen kann. Ferner glaube ich zeigen zu können, daß mehrere sehr wichtige theoretische Erklärungen, die man aus dem Grenznutzengesetz ableiten zu können glaubte, nicht stichhaltig sind, das Gesetz also den Erfolg, den man ihm zugeschrieben hat, tatsächlich nicht hatte. Schließlich hoffe ich aber auch noch nachzuweisen, daß das Grenznutzengesetz zu seiner anscheinend universalten Bedeutung nur dadurch gelangen konnte, daß man den Grenznutzenbegriff in einer willkürlichen, die Gültigkeit des Gesetzes aufhebenden Weise veränderte: Man hat an die Stelle des Nutzens, den ein Gut durch die Befriedigung  des letzten (schwächsten) Bedürfnisses  stiftet, den Nutzen gesetze, den ein Gut  dem letzten, noch zum Tausch kommenden Käufer  gewährt. Indem man dann den Tauschwert und Preis von diesem letzteren "Grenznutzen" ebenso abhängen ließ, wie den Gebrauchswert vom wahren Grenznutzen, war dem Gesetz zur Bedeutung eines universalen Wert- und Preisgesetzes verholfen.

Im ersten Exkurs wird sich zeigen, ob die hier aufgestellten Behauptungen begründet sind. Vorläufig begnügen wir uns damit, das Grenznutzengesetz als einen Zusatz, als eine Ergänzung der allgemeinen, für die Größe des Wertes geltenden Regel zu registrieren. Zu einer eingehenderen Auseinandersetzung liegt an dieser Stelle keine Nötigung vor, da wir dem Gesetz in den folgenden Darlegungen nicht mehr begegnen werden.


III. Das Werturteil

Der Wert, als ein im Innern des Menschen vorhandenes Empfinden, übt zunächst keinerlei Wirkung nach außen hin aus. Namentlich für die Preisbildung, die uns hier allein interessiert, ist es ansich ganz gleichgültig, welche Bedeutung die einzelnen Individuen irgendeinem Gut beilegen. Ein armer Dorfschullehrer, der der Versteigerung einer Gemäldesammlung beiwohnt, mag einem  Tizian  einen viel größeren Wert beilegen, als der Milliardär, der durch sein Mitbieten den Preis emportreibt und schließlich als Sieger aus dem Preiskampf hervorgeht. Sein Verständnis für das Kunstwerk kann viel tiefer, sein Wunsch, es zu besitzen, viel dringender sein, und doch übt er auf die Gestaltung des Preises nicht den geringsten Einfluß aus. Die Bedeutung, die jemand einem Gut beilegt, besitzt eben für die Preisbildung ansich noch keine Wirksamkeit; wirksam wird sie erst dadurch, daß sie in einem Preisangebot oder in einer Preisforderung zum Ausdruck kommt. Dieser Ausdruck der  Wertempfindung  ist das  "Werturteil"  oder die "Wertschätzung".

Das Werturteil des Käufers hat folgende Form: "Um in den Besitz dieses Gutes zu kommen, will ich höchstens  a  Kronen geben." Wer so urteilt, schätzt das Gut auf  a  Kronen. Das Gut ist ihm  a  Kronen wert.

Das Werturteil des Verkäufers hat folgende Form: "Die geringste Summe, die mir geboten werden muß, wenn ich das Gut verkaufen soll, ist  b  Kronen." Wer so urteilt, schätzt das Gut auf  b  Kronen, das Gut ist ihm  b  Kronen wert.

Ich befinde mich hier in voller Übereinstimmung mit den Anschauungen, welche GUSTAV CASSEL hinsichtlich der Bedeutung des Werturteils für die Erklärung der Preisbildung vertritt. Auch für mich steht außer Zweifel, daß die Preistheorie nur solche Umstände in Betracht zu ziehen hat, die auf den Preisbildungsprozeß einwirken (12); auch ich glaube, daß eine solche Einwirkung des Wertes nur insofern stattfindet, als der Wert in einem Werturteil zum Ausdruck kommt, und auch mir scheint daher in den fertigen Werturteilen der eigentliche Ausgangspunkt für die Theorie der Preisbildung zu liegen (13).

Nur in einem Punkt vermag ich CASSEL nicht beizupflichten. CASSEL will nämlich, allem Anschein nach, das Geld als  Wertmaß  verwenden; er scheint es für möglich zu halten, aus der Höhe des Werturteils auf die Größe des Wertes zu schließen. Allerdings ist seine Auffassung nicht ganz klar zu erkennen. Während er an einer Stelle erklärt, lediglich die  Fiktion  machen zu wollen, "daß die Bedürfnisse von  A  und  B  von derselben Intensität sind, sobald beide diese Bedürfnisse (?) zu einer Mark schätzen", (14) scheinen die folgenden Sätze darauf hinzudeuten, daß er doch auch eine  wirkliche  Messung des  Wertes  für möglich hält:
    "Die Elektrizitätsmenge, die durch einen Kupferdraht in einer Sekunde geht, könenn wir nicht direkt messen; und doch ist es möglich, die betreffende Menge zu messen, nämlich durch ihre Wirkung auf die Magnetnadel. In derselben Weise: es ist ebenso unmöglich, einen direkten Vergleich zu ziehen zwischen meinen eigenen Bedürfnissen untereinander, wie zwischen diesen und den Bedürfnisse anderer Personen; und doch besitzen wir in den ökonomischen Äußerungen dieser Bedürfnisse ein Mittel zu einer relativ vollendeten Messung." (15)
Daß CASSEL eine wirkliche Messung des Wertes im Auge hat, dafür sprechen auch die folgenden Sätze, worin er das Ergebnis seiner Ausführungen über "das Geld als Wertmaßstab" zusammenfaßt:
    "Eine Messung der Bedürfnisintensitäten der verschiedenen Individuen ist für die theoretische Ökonomie erforderlich. Diese Messung ist indessen auf direktem Weg nicht erreichbar, weil eben die Bedürfnisse so vielseitig und von so verschiedener Art sind. Deswegen muß die Wissenschaft, von dieser Vielseitigkeit absehend, nur ein Einziges, Gemeinsames ins Auge fassen: das tut sie, indem sie die Verschiedenheit der Bedürfnisse nur insofern berücksichtigt, als sie in den Geldschätzungen der Individuen zum Ausdruck gelangt." (16)
Diesen Versuch, den Wert durch das Geld zu messen, halte ich für aussichtslos. Gewiß ist es möglich, eine Kraft durch ihre Wirkung zu messen. Allein die unabweisliche Voraussetzung für eine solche Messung ist, daß die Kraft in der Wirkung rein und unmittelbar zum Ausdruck kommt. Nur dann können die Werturteile als Maß des Wertes verwendet werden, wenn für die Höhe des Werturteils die Größe des Wertes das einzig und allein Maßgebende ist. Diese Bedingung ist nun aber in dem Zusammenhang, der zwischen Wert und Werturteil besteht, nicht erfüllt. Der Wert, der einem bestimmten Gut beigelegt wird, kommt im Werturteil nicht unmittelbar zum Ausdruck, die Art, wie er zum Ausdruck kommt, ist vielmehr abhängig vom Verhältnis zwischen Bedarf und Deckung in den anderen Bedarfszweigen. Je weiter dort die Deckung reicht, desto höher wird das Werturteil ausfallen, das über ein bestimmtes Gut bei gleichem Wert gefällt wird. Es finden daher bei der Schätzung eines Gutes, je nach dem Verhältnis von Bedarf und Deckung in den übrigen Bedarfszweigen, gleiche Werte in verschiedenen Werturteilen und vershiedene Werte in gleichen Werturteilen ihren Ausdruck.

Um in der hier erörterten Frage, welche jedenfalls wichtig genug ist, volle Klarheit zu schaffen, möchte auch ich mich eines Beispiels aus dem Gebiet der Physik bedienen. Wir lesen die Temperatur an der Höhe der Quecksilbersäule im Thermometer ab, indem wir einen Punkt (den Gefrierpunkt) fixieren und den Abstand der Quecksilbersäule von diesem Punkt beobachten. Angenommen, wir hätten zwei mit Wasser gefüllte Gefäße und stellen in diese zwei Thermometer hinein, an denen der Gefrierpunkt, sonst aber nichts, ersichtlich gemacht ist. Die Quecksilbersäule steigt in beiden Thermometern zwei Zentimeter über den Nullpunkt. Darf ich daraus schließen, daß die Temperatur des Wassers in beiden Gefäßen die gleiche ist? Keineswegs. Denn die Temperatur kommt in der Höhe der Quecksilbersäule nicht unmittelbar zum Ausdruck. Die Art, wie sie zum Ausdruck kommt, hängt vielmehr von dem Verhältnis zwischen dem im Thermometer befindlichen Quecksilberquantum und dem Durchmesser der Glasröhre ab, worin das Quecksilber emporsteigt. Ist das Quecksilberquantum groß, die Glasröhre eng, dann steigt das Quecksilber bei jedem Grad der Erwärmung um ein großes Stück. Ist hingegen die Menge des Quecksilbers klein und das Steigrohr weit, dann wird die Säule nur um ein kleines Stück gehoben. Gleiche Temeraturen äußern sich in einem verschiedenen Stand der Quecksilbersäule, verschiedene Temperaturen können in einem gleichen Stand zum Ausdruck kommen. Nur dann, wenn bei beiden Thermometern das Verhältnis zwischen Quecksilberquantum und Durchmesser des Steigrohrs dasselbe ist, darf aus dem Quecksilberstand auf die Höhe der Temperatur geschlossen werden. Ist hingegen dieses Verhältnis ein verschiedenes, dann ist dieser Schluß nicht möglich. Deshalb müssen auch bei derart verschiedenen Thermometern die Teilstriche an der Gradskala in verschiedenen Abständen voneinander angebracht werden.

Was nun der Raum des Steigrohres und die Größe des Quecksilberquantums für das Zumausdruckkommen der Temperatur bedeutet, das bedeutet der in den anderen Bedarfszweigen vorhandene Bedarf und dessen Deckung für das Zumausdruckkommen des Wertes in einem bestimmten Werturteil. Daraus, daß zwei Werturteile gleich hoch über dem Nullpunkt stehen, ist keineswegs zu schließen, daß beiden ein gleich großer Wert zugrunde liegt. Denn der Wert kommt im Werturteil nicht unmittelbar zum Ausdruck. Die Art, wie er zum Ausdruck kommt, hängt vielmehr vom Verhältnis zwischen Bedarf und Deckung in den anderen Bedarfszweigen ab. Nur dann, wenn dieses Verhältnis bei allen Menschen gleich wäre, könnte der Wert an der Höhe des Werturteils gemessen werden. Da diese Bedingung nicht zutrifft, ist eine Messung des Wertes nicht möglich.

Ich vermag aber auch nicht einzusehen, warum eine solche Messung für die Nationalökonomie unentbehrlich sein soll. Für die Theorie der Preisbildung kommt der Wert ja doch nur insofern in Betracht, als er ökonomisch relevant ist. Ökonomisch relevant wird er aber, wie CASSEL selbst hervorhebt, erst in dem Augenblick, wo das Werturteil entstanden ist. Wie das Werturteil aus dem Wert entsteht, das vermag die Nationalökonomie nicht zu erklären. Sie kann wohl die Bedingungen der Wertentstehung klarlegen und die Momente im allgemeinen feststellen, von denen die Größe des Wertes und damit auch die Höhe des Werturteils abhängt. Allein eine wirkliche Ableitung des Werturteils aus dem Wert, eine Zurückführung des Werturteils auf weiter zurückliegende Erklärungsmomente in der Art, daß aus diesen die Höhe des Werturteils ziffernmäßig bestimmt werden könnte, ist nicht möglich. Es bleibt daher der Wissenschaft nichts anderes übrig, als die Werturteile als Daten, als gegebene Größen hinzunehmen. Mit ihnen, nicht mit dem Wert, hat sie zu operieren. Dann genügt es aber auch für die Zwecke der Nationalökonomie vollständig, wenn sich die Werturteile miteinander vergleichen und zusammenfassen lassen. Diese Bedingung ist nun aber tatsächlich erfüllt. Da alle Werturteile in Geld gefällt werden, bietet sich im Geld von selbst der Maßstab dar, der die Vergleichung und Zusammenfassung ermöglicht. Das Wert urteil  kann in Geld gemessen werden. Für eine Messung des  Wertes  liegt keine Möglichkeit, aber auch keine Nötigung vor.

Wohl aber ergibt sich aus dieser Sachlage für die Theorie eine wichtige Pflicht. Werden die Werturteile als Datum angenommen, dann ist es nötig, die Voraussetzungen, unter denen sie als gegeben zu betrachten sind, festzustellen und an ihnen auch festzuhalten. Denn nur solange wir dies tun, dürfen wir natürlich auch mit den Werturteilen als gegebenen Größen rechnen. Die Art, wie der Wert im Werturteil zum Ausdruck kommt, hängt nun, wie soeben festgestellt, vom Verhältnis ab, das zwischen dem Bedarf und der Deckung in den übrigen Bedarfszweigen besteht. Hierfür ist aber in der Tauschwirtschaft wieder entscheidend:  das Einkommen,  welches der Schätzende bezieht, und  der Stand der Preise aller übrigen, für den Bedarf in Frage kommenden Güter.  Denn von diesen beiden Größen hänt es ab, inwieweit der Bedarf Deckung findet. Je größer das Einkommen bei gleichen Preisen oder je niedriger die Preise bei gleichem Einkommen, desto weiter reicht die Deckung. Je kleiner hingegen das Einkommen bei gleichen Preisen, oder je höher die Preise bei gleichem Einkommen, desto unzureichender wird der Bedarf gedeckt. Wollen wir also mit den Werturteilen, die über ein bestimmtes Gut gefällt werden, als gegebenen Größen rechnen, dann müssen wir die Einkommen der schätzenden Personen und die Preise aller übrigen Güter als gegeben annehmen (17).

Auf diesen wichtigen Punkt werden wir noch mehrmals zurückzukommen haben.
LITERATUR Otto Conrad, Die Lehre vom subjektiven Wert als Grundlage der Preistheorie, Leipzig und Wien 1912
    Anmerkungen
    1) Dieser Preis kann natürlich auch gleich Null sein.
    2) Ist mir das Gut "um keinen Preis" feil, dann ist dieser niedrigste Preis gleich unendlich.
    3) Ebenso LIEFMANN, Ertrag und Einkommen auf der Grundlage der subjektiven Wertlehre, Jena 1907, Seite 62. Ich benütze diese Gelegenheit, um hervorzuheben, daß ich den in dieser leider viel zu wenig beachteten Schrift enthaltenen  kritischen  Erörterungen größtenteils beipflichte, und daß dieses Werk einen erheblichen Einfluß auf die vorliegende Arbeit ausgeübt hat. Es sei mir gestattet, dies hier ein für allemal festzustellen, um der Pflicht enthoben zu sein, die Übereinstimmung mit den Anschauungen LIEFMANNs an jeder einzelnen Stelle besonders hervorheben zu müssen.
    4) BÖHM-BAWERK, Grundzüge einer Theorie des wirtschaftlichen Güterwerts, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Neue Folge, Bd. 13, Jena 1886, Seite 516. WIESER, Natürlicher Wert, Seite 47. Die Ausführungen im Text richten sich jedoch selbstverständlich gegen alle Autoren, welche den subjektiven Tauschwert als wahren Wert anerkennen und zur Erklärung der Preisbildung heranziehen.
    5) BÖHM-BAWERK, Grundzüge a. a. O., Seite 13
    6) BÖHM-BAWERK, Grundzüge a. a. O., Seite 9
    7) Ich schließe mich hier ganz an die Darlegung BÖHM-BAWERKs über die Gliederung der Bedürfnisse (Grundzüge, Seite 21f, besonders 24) an. Eine Abweichung besteht lediglich in der Formulierung, indem der Unterschied zwischen der Wichtigkeit und der Dringlichkeit der Bedürfnisse, der oben gemacht wird, bei BÖHM-BAWERK als Unterschied zwischen  Bedürfnisgattung  und konkreter Bedürfsnisregung auftritt.
    8) Über die sogenannte "Wertantinomie" siehe die Ausführungen im Exkurs I weiter unten.
    9) Artikel  Wert  im "Handwörterbuch der Staatswissenschaften", Bd. VIII, Seite 768; siehe auch BÖHM-BAWERK, "Grundzüge" a. a. O., Seite 42f und "Letzter Maßstab etc.", a. a. O., Seite 203. Ebenso WIESER, "Natürlicher Wert", Seite 191, vgl. aber Seite 193, Anmerkung, wo ausdrücklich hervorgehoben wird, daß der aus dem erwarteten Nutzen hervorgehende Wert unverkürzt angesetzt und daneben die in Aussicht stehende Mühe als eine Sache für sich erwogen wird.
    10) Die Frage, von welchen Umständen die Größe des Grenznutzens selbst wieder abhängt, ist ganz ebenso wie für den Nutzen überhaupt zu beantworten. Auch hier ist es die Brauchbarkeit des Gutes und die Stärke des Bedürfnisses, die über die Größe des Nutzens entscheidet. Dagegen läßt BÖHM-BAWERK die Größe des Grenznutzens vom Verhältnis zwischen Bedarf und Deckung abhängen (Grundzüge, Seite 40 / Artikel  Wert  im "Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. VIII, Seite 768). Dies kann ich nicht für richtig halten. Das Verhältnis von Bedarf und Deckung entscheidet meines Erachtens nur darüber, welches von mehreren Bedürfnissen das letzte, noch zur Deckung gelangende Bedürfnis ist. Es weist einem bestimmten Bedürfnis die Stelle als Grenzbedürfnis, einem bestimmten Nutzen die Stelle als Grenznutzen an, hat aber auf die Größe dieses Nutzens keinen Einfluß. Die Größe des Nutzens wird vielmehr auch hier durch die Brauchbarkeit des Gutes und die Stärke des Bedürfnisses bestimmt.
    11) Siehe die Ausführungen weiter unten.
    12) GUSTAV CASSEL, Preislehre, Seite 398: "Unsere Aufgabe ist es, den Gesetzen der Preisbildung nachzuforschen; dabei sind natürlich nur solche Umstände in Betracht zu ziehen, die auf diesen Prozeß einwirken können."
    13) Nachtrag zur Abhandlung "Die Produktionskostentheorie Ricardos und die ersten Aufgaben der theoretischen Volkswirtschaftslehre", Zeitschrift für Staatswissenschaft, Bd. 57, 1901, Seite 94: "Die Grenznutzentheorie will von den Intensitäten der Nutzempfindungen ausgehen und macht Anspruch darauf, die Erklärung der Preisbildung auf diesen Ausgangspunkt zurückführen zu können. Da man dies nun einmal nicht vermag, so ist es ehrlicher und wissenschaftlicher, das anzuerkennen, sich mit weniger weitgehenden Ansprüchen zu begnügen. Die Erklärung muß nun sowieso durch den Punkt gehen, wo die Geldschätzungen der verschiedenen Individuen fertig vorliegen; diesen Punkt will ich als Ausgangspunkt für die Theorie der Preisbildung gewählt wissen."
    14) CASSEL, a. a. O., Preislehre, Seite 397/398
    15) CASSEL, a. a. O., Preislehre, Seite 399
    16) CASSEL, a. a. O., Preislehre, Seite 404
    17) ebenso CASSEL, Preislehre, Seite 406-408.