![]() |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
|||
Die Atomistik des Willens [ 3 / 3 ]
Erstes Buch Theorie der Erkenntnis [Fortsetzung 2] Analyse und Synthese Für jeden, welcher daran geht, die Natur und das Rätsel des Daseins überhaupt zu erklären, ist die nächstliegende Frage die nach den Grenzen der Gewißheit des menschlichen Wissens - die Frage, ob es eine absolute Gewißheit gibt. Wir glauben nun so manches gewiß zu wissen und zu erkennen, aber eine tiefere Betrachtung lehrt, daß es, nicht bloß vom universellen, sondern auch schon vom irdisch-menschlichen Standpunkt aus betrachtet, übel bestellt ist mit der absoluten *Gewißheit. Freilich wird die Relativität dessen, was wir Gewißheit nennen, von Wenigen in Betracht gezogen. Daß auf dem Weg der Erfahrung eine zwar für die Naturwissenschaften vollkommen ausreichende, aber keineswegs absolute Gewißheit zu erlangen ist, leuchtet nur den tiefer Blickenden ein, und noch seltener wird erkannt, daß Sätze und Annahmen, die wir a priori für unbedingt gewiß halten zu müssen glauben, es tatsächlich nicht sind. Daß manche unserer sogenannten Axiome, genau besehen, sich als unbewiesene Voraussetzungen herausstellen, hat OTTO LIEBMANN in seiner Schrift "Die Klimax der Theorien" einem weiteren Kreis klar gemacht. Er zeigt, daß
Und neben diesen unbewiesenen oder unerweislichen "Axiomen" läßt sich auch noch eine Reihe von vermeintlichen "Axiomen" aufzählen, die man als offenbar falsch bezeichnen muß, die deshalb in der Wissenschaft ganz unberechtigt sind, sich aber doch eine ziemlich allgemeine Geltung namentlich in der neueren Philosophie erschlichen haben. Solche Pseudo-Axiome sind z. B., daß, wenn wir durch logische Schlüsse mit Notwendigkeit auf eine unbekannte Größe, auf ein X, wie deren die Mathematik gelten läßt, geführt werden sollten, wir auch dem zwingenden logischen Schluß keine Folge geben dürfen: daß das Prädikat der Existenz nur auf "Gegebenes", niemals aber auf etwas bloß logisch, wenn auch mit absoluter Denknotwendigkeit Erschlossenes angewendet werden darf, sobald wir von diesem keine nähere Bestimmungen anzugeben imstande sind; daß, wenn irgendetwas - beispielsweise das "Wirken" von seienden Einheiten aufeinander für uns unbegreiflich ist, wir auch die Möglichkeit eines solchen Wirkens nicht zugeben dürfen; daß etwas, das selbst keine Ursache hat - wenn es etwas dergleichen gäbe - auch niemals Ursache von etwas werden könnte; daß ein Sein nur zugegeben werden darf, wenn außer den Bestimmtheiten, in welchen es erscheint, auch noch ein nacktes, bestimmungsloses Sein eben dieses bestimmten Seins nachgewiesen werden kann, und dgl., mit einem Wort: daß die Philosophie nicht mit unbekannten Größen rechnen darf. Es läßt sich nicht leugnen, daß diese Pseudo-Axiome zumeist in der Bekämpfung wirklicher Irrtümer, philosophischer oder religiöser Wahnvorstellungen gebraucht werden; aber der Zweck heiligt auch auf philosophischem Gebiet die Mittel nicht, und man sollte es verschmähen, Sätze von zweifelhafter oder gar keiner wirklichen Geltung als unanfechtbar oder selbstverständlich aufzustellen, bloß weil sie in der Polemik gute Dienste leisten. Wenn in der Tat die reale Existenz der nur in der Idee erreichbaren Gedankendinge bloß deshalb unerweislich wäre, weil dieselben nicht in der sinnlichen Erfahrung "gegeben" sind, so wäre dem zum Teil leicht abzuhelfen. Der liebe Gott z. B. ist ja schon Vielen persönlich erschienen, unter Andern dem MOSES, im brennenden Dornbusch. Und ich sehe nicht ein, was der Philosoph einwenden will, wenn ich behaupte, mir ist der liebe Gott ebenfalls erschienen. Er wird sagen, ich bilde mir das nur ein. Möglich; aber was sich einer einbildet, können sich ebenso gut Hunderte, Tausende, Hunderttausende einbilden: Wahnbilder und Wahnvorstellungen sind ja manchmal ansteckend. Wer will aber dann endgültig entscheiden, was Einbildung und was "wirkliche" Wahrnehmung ist? Mich dünkt, der ungeheure Respekt vor dem sinnlich Wahrgenommenen, "Gegebenen" ist ebensowenig begründet, wie andererseits die naserümpfende Verachtung, welche man den bloß logisch erschlossenen Existenzen, wie dem Äther, den Atomen und dgl. gegenüber zur Schau trägt. Sinnlich "gegeben" ist uns z. B. das Auf- und untergehen der Sonne; bloß logisch erschlossen ist uns die Tatsache, daß nicht die Sonne um die Erde, sondern diese um jene sich bewegt. Und doch glauben wir alle in diesem Fall der Logik mehr als der "gegebenen" Wirklichkeit. - Die Induktion kann, wie gesagt, nie eine absolute Gewißheit liefern. Sie beruth aber auf der Voraussetzung, daß gleiche Ursachen in alle Ewigkeit gleiche Wirkungen haben müssen, und daß, was wir unter gewissen Umständen geschehen sehen, immer geschehen muß. Diese Voraussetzung ist jedoch, streng genommen, weder a posteriori noch a priori zu beweisen. Ein Erfahrungsbeweis dafür, daß ein induktiv erschlossenes Gesetz des Geschehens für immer gelten muß, ist von vornherein dadurch ausgeschlossen, daß die Gesamtheit der Fälle, in welchen sich ein solches Gesetz bewähren könnte oder müßte, niemals überschaubar ist. Und eine absolute logische Denknotwendigkeit, daß alles, was sich unter gewissen Umständen in den uns bekannten Fällen ereignet hat, sich unter denselben Umständen immer ereignen muß, besteht desgleichen nicht. Es läßt sich demnach durch die Induktion nur ein Grad von Wahrscheinlichkeit erzielen, der für die naturwissenschaftliche Forschung ausreicht, aber nicht für die eigentliche Philosophie, auf deren Gebiet nur das Denknotwendige als absolute Gewißheit gilt. Auf induktivem Weg wird aus Erfahrungstatsachen ein allgemeines Gesetz erschlossen; aus diesem können auf deduktivem Weg neue Tatsachen erschlossen werden. Finden sich solche deduktiv erschlossenen Tatsachen nachträglich durch die Erfahrung bestätigt, so ist ein vorläufig ausreichender Beweis für jenen allgemeinen Satz geliefert. Aber man darf nicht vergessen, daß selbst in diesem Fall die Gewißheit desselben, weil auf Erfahrung - und zwar unter allen Umständen beschränkter Erfahrung - beruhend, keine absolute sein kann. Es ist eines der allerbekanntesten Naturgesetze, daß Feuer brennt. Jeder Mensch betrachtet es als unbedingt gewiß, daß er sich die Hand versengt, wenn er sie in eine glühend-flüssige Metalmasse taucht. Wenn er sie nun aber einmal in eine weiß glühende Metallmasse taucht, so wird er zu seiner größten Verwunderung finden, daß ihn in diesem Fall das Feuer nicht brennt. Und wenn er im Vertrauen darauf die Hand in der weißglühenden Metallmasse stecken läßt, so wird er zu seinem Schaden erfahren, daß die Unverletzlichkeit seiner Hand nur einen Augenblick dauert und daß die weißflüssige Masse ihn dennoch brennt. Ein bekanntes Naturgesetz ist es auch, daß Wärme die Körper ausdehnt. Aber in ein paar Fällen geschieht das Gegenteil. So ergeht es mit allen Naturgesetzen. Wir können niemals wissen, welche Ausnahmen davon und welche Ausnahmen der Ausnahmen sich unter bestimmten, bisher vielleicht noch gar nicht zur Wahrnehmung gekommenen Umständen ergeben werden. Das vielleicht ehrwürdigste, unverbrüchlichste aller Naturgesetze ist die Schwere. Aber die Wissenschaft hat sich viel mit "Imponderabilien" [Unwägbarkeiten - wp] beschäftigt, und wenn wir jetzt auch von dieser Vorstellung zurückgekommen sind, so bürgt doch nichts dafür, daß wir nich noch einmal physische Wesenheiten entdecken, für welche wir auf den Namen des Unwägbaren zurückgreifen müssen, oder daß wir nicht unter besonderen, bisher unbekannten Umständen auf Alterationen der Schwerkraft stoßen, welche den Alterationen des Magnetismus und den Ablenkungen der Richtung einer Magnetnadel analog sind. An und für sich sind die Naturgesetze freilich unverbrüchlich; aber unsere Kenntnis davon ist niemals eine so vollständige, daß wir das denselben gemäß sich Ergebende unter allen Umständen mit absoluter Sicherheit vorausbestimmen könnten. Es sollte deshalb von der absoluten Gewißheit dessen, was wir Naturgesetze nennen, d. h. die Naturgesetze, soweit wir sie kennen, nicht immer wieder die Rede sein. - Hütet euch vor den Philosophen, welche euch eine Geschichte erzählen! - Die Philosophie ist eine analytische Wissenschaft und steht als solche den Erfahrungswissenschaften, als den synthetischen, gegenüber. Das Gebiet der historischen und naturwissenschaftlichen Tatsachen ist ihr versagt. Darum könnte sie z. B. auch nie eine Erschaffung der Welt behaupten und beweisen. Denn die Erschaffung der Welt wäre ein historisches Faktum, eine zufällige empirische Tathandlung, die sich als solche der analytisch-philosophischen Konstruktion entzieht. Als historisches Faktum könnte sie sich nur auf historische Zeugnisse stützen, auf das Zeugnis von Personen, welche - "dabei" gewesen sind. "Ich bin" ist kein philosophischer Satz, sondern ein empirischer, synthetischer. Von diesem Seienden aber den Begriff des Seins zu abstrahieren, und denselben zu analysieren, logisch festzustellen, zu entwickeln, ist Sache der Philosophie. Kann sie so nichts eigentlich Neues, Positives aus Eigenem bieten, so kann sie doch Großes und Unschätzbares leisten, indem sie Irrtümer zerstört und die Begriffe klärt. Sie scheint mit ihrer Analyse zwar nur in logischen Gleichungen (Tautologien) fortzuschreiten; aber jede dieser Gleichungen erweitert den Gesichtskreis der Erkenntnis nach einer neuen Seite hin. Die Analyse zergliedert den Begriff; aber der Begriff selbst, mußte er nicht ursprünglich durch eine Synthese gebildet werden? Die Philosophie befindet sich also im Irrtum, wenn sie verkennt, daß sie alle ihre Synthesen von der Erfahrungs- oder Naturwissenschaft entlehnen, alle Begriffe, die sie ihrer Analyse unterwerfen will, mit Einschluß des höchsten, des Seinsbegriffs, von der Wirklichkeit abstrahiert haben muß. Aber auch die Naturwissenschaft irrt, wenn sie glaubt, die Philosophie könne sich mit ihrer Analyse nur auf dem Gebiet unfruchtbarer Begriffsgespinste bewegen, während dieselbe doch, wenn sie nur in streng logischer Weise verfährt, mit all dem, was sie als denknotwendig aufzeigt, auch zugleich die Notwendigkeit und das Gesetz des Wirklichen aufstellt. Denn alles Gedanklich hat nur Sinn, insofern es sich auf die Wirklichkeit bezieht. Wenn die Systeme solcher Philosophen, welche, wie HEGEL, sich auf dem Gebiet der reinen Analyse bewegen, schließlich nicht befriedigen, so rührt dies nicht von der Unfruchtbarkeit der Analyse selbst her, sondern davon, daß diese Denker eine unübersteigliche Kluft aufrichteten zwischen der Welt des abstrakten Gedankens und der Wirklichkeit, während sie doch eben diese durch jene hätten erklären sollen. Ich bestreite, daß die Philosophie, um als wissenschaftlich zu gelten, sich künftig nur noch als eine Hilfsdisziplin der Naturwissenschaft nützlich machen soll. Das hieße sie zu entwürdigen. Sie ist und bleibt eine Wissenschaft für sich, und zwar die höchste von allen, nicht bloß weil es die höchsten Probleme sind, mit welchen sie sich beschäftigt, sondern auch weil es schließlich doch nur in ihr ein wahres, ein unumstößliches Wissen gibt. Den Schatz des synthetischen, empirischen Wissens wird sie freilich, rein als solche, nicht vermehren. Sie wird niemals ganz aus Eigenem einen neuen Planeten entdecken, niemals a priori einen Strohhalm oder eine Wanze konstruieren. Das soll sie aber auch nicht. Es gibt Besseres für sie zu tun: sie hat die Grundlagen der menschlichen Erkenntnis zu prüfen und festzustellen; sie hat zu bestimmen, wieviel Wahres an der Wahrnehmung ist, sie hat die Genesis des Weltbildes zu erklären, wie es sich in unserer Vorstellung gestaltet; sie hat sich mit der Ergründung des Wesens von Zeit, Raum, Kausalität usw. zu beschäftigen, sie hat sich mit Problemen zu befassen, gegen welche gehalten z. B. die naturwissenschaftliche Frage, ob die Naur feststehende Arten hervorbringt, oder ihre Typen sich auseinander entwickeln läßt, nur von untergeordneter Bedeutung ist. * Alle Wissenschaften, deren Sätze ihre Gewißheit nicht von der Erfahrung entlehnen, sondern sie in sich selbst tragen, nenne ich analytisch: so die Mathematik, die Geometrie, die Logik, die Philosophie in einem engeren Sinn. Jede unmittelbar, oder durch bloßes Nachdenken einleuchtende Folgerung kann nur eine Tautologie sein, d. h. etwas, das mit jenem, woraus es gefolgert wird, eigentlich schon mitgesagt ist. Daß 2 x 2 = 4 ist, gilt nur darum allen Menschen als unmittelbar gewiß, weil, wie schon das Gleichheitszeichen besagt, 4 nur ein anderer Ausdruck, eine Tautologie, eine Gleichung von 2 x 2 ist. "Zwei gerade Linien können sich nur in einem Punkt schneiden", soll nach Manchen ein synthetisches Urteil sein, denn es "liegt nicht im bloßen Begriff der zwei geraden Linien, sondern kommt erst durch die Hinzunahme der Raumanschauung zustande". Allerdings - aber diese Raumanschauung ist eine innere, apriorische - sie hat nichts zu tun mit der Erfahrung durch eine äußere Anschauung. Wenn ich einen denkenden, aufgeweckten Ungelehrten frage: "In wievielen Punkten können sich zwei gerade Linien schneiden?" so wird er durch bloßes Nachdenken, inneres Anschauen, Vorstellen, ohne Zuhilfenahme einer äußeren Erfahrung, mit apodiktischer Gewißheit imstande sein zu erklären, daß zwei gerade Linien sich nur in einem Punkt schneiden können. Ich nenne synthetisch, was durch äußere Anschauung erfahren wird, analytisch, was durch innere Anschauung einleuchtet, was zu seiner Bestätigung nicht der Erfahrung bedarf. Ohne allen Zweifel sind die beiden Hauptgruppen des Wissens die des unmittelbar Gewissen und des mittelbar, d. h. durch Erfahrung Gewonnenen, daher auch durch Erfahrung wieder Umzustoßenden, und so niemals absolut Gewissen. Ohne Zweifel wird man jenes am besten analytisch, dieses synthetisch nennen; und dieser Definition entsprechend wird man Mathematik, Geometrie etc. mit Verzichtleistung auf allzu feine Distinktionen, den analytischen Wissenschaften zuzählen können. Denn die Qualität der absoluten Gewißheit trennt dieselben von den Erfahrungswissenschaften durch eine so weite Kluft, daß sie den analytischen Wissenschaften immer näher stehen werden, als den synthetischen, wie immer man auch den Begriff der Analyse und Synthese definieren mag. Diejenigen, welche synthetische Urteile a priori zugeben, und z. B. die Sätze der Mathematik für synthetisch halten, gehen dabei von der Definition aus, analytische Sätze seien diejenigen, die schon im Begriff des Subjekts selbst liegen. Zu diesen rechnet man dann auch Sätze wie: "Die Körper sind ausgedehnt", "Das Gold ist gelb" - weil die Ausdehnung im Begriff des Körpers, das Gelbsein im Begriff des Goldes liegt! Aber die Begriffe Körper und Gold sind doch empirisch entstanden, und man hat jene Prädikate erst aus der Erfahrung in dieselben hineinversetzt! Es ist doch possierlich, Bestimmungen, die ich durch Synthese in einen Begriff hineingetragen habe, durch Analyse wieder aus ihm herausklauben zu wollen! Wenn man in einem solchen Sinn von "synthetischen Sätzen a priori" redet, so könnte man sie ebensogut und besser "analytische Sätze a posteriori" nennen. Ich wiederhole es, der Ausdruck "analytische" sollte für Urteile aufbehalten bleiben, welche für ihre Gewißheit der äußeren Erfahrung nicht bedürfen, und welche zwar, streng genommen, nur logische Gleichungen, jedoch ebensowenig als unfruchtbar zu verachten sind, als die mathematischen Gleichungen. Vor allem sollte hierbei der Unterschied maßgebend sein zwischen dem, was nur erfahrungsmäßig, und dem, was absolut gewiß, absolut begreiflich ist. Daß die Körper schwer sind, ist bloß erfahrunsmäßig gewiß, und der Grund davon ist uns ein Rätsel; daß die gerade Linie die kürzeste zwischen zwei Punkten ist, ist nicht bloß absolut gewiß, sondern wir begreifen auch, warum es so ist und in aller Ewigkeit so sein muß. Analysis ist die Methode der Gleichungen; und zwar: Arithmetik die der Zahlengleichungen, höhere Mathematik und Geometrie die der Raum- und Größengleichungen, Logik die der Begriffsgleichungen. Die Zahl 3 ist nichts, als ein anderer Ausdruck von 1 + 1 + 1, eine Tautologie, eine Gleichung davon, und umgekehrt; 4 - 1 ist ein anderer Ausdruck für 3, 3 x 4 ein anderer Ausdruck oder eine Gleichung oder eine "zufällige Ansicht", oder ein "identischer Satz" für 12. Jede Rechenaufgabe ist eine Formel, als deren Gleichung und kürzerer Ausdruck das Resultat erscheint. - In dem Satz: "die kürzeste Linie zwischen 2 Punkten ist = der geraden", wird "die gerade einmal als Richtung, und dann als Weg zwischen zwei Punkten" genommen (STEINER, Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, 1886, Seite 47). Das logische Subjekt ist = seinen Prädikaten. Das Identitätsprinzip ist das Prinzip allen Denkens. Urteilen und Schließen heißt nichts anderes, als Sätze aufstellen, deren Gegenteil dem Identitätsprinzip widersprechen würde. Ein Satz ist bewiesen, wenn derjenige gewisse Satz aufgefunden ist, mit welchem er identisch ist, d. h. mit welchem er eine Gleichung bildet. Man sollte die analytischen Urteile identische nennen. JOHN STUART MILL nennt sie auch wirklich so. Es gibt genaugenommen gar kein Erkennen oder Wissen a priori. Was man so nennt, sind analytische, identische Sätze. Glaubt man deshalb in der ganzen Analysis nur ein System leerer Tautologien erblicken zu dürfen, die uns "nichts Neues sagen?" Man erinnere sich doch, welche ungeheure Rolle die Gleichungen in der Mathematik spielen, so wie in der Mechanik - ihre Sätze sind, so weit sie auseinander fließend erkannt sind, Gleichungen. Man sagt, ein analytisches Urteil ist ein solches, bei welchem das Prädikat schon im Subjekt enthalten ist. Eine schale Definition, welche besagen würde, daß analytische Urteile überflüssig sind. Wenn das Prädikat schon im Subjekt enthalten ist, wozu dann die ganze Aussage? - "Ein ausgedehntes Ding ist ausgedehnt!" Das braucht doch nicht gesagt zu werden! Wert und Sinn hat also ein analytisches Urteil nur dann, wenn es das im Prädikat enthaltene nicht einfach wiedergibt, sondern eine Gleichung davon, die dasselbe, und doch nicht ganz dasselbe sagt. Die Mathematik ist die große Wissenschaft des Selbstverständlichen. Ihre Apriorität besteht darin, daß jeder ihrer Sätze, einmal ausgesprochen und verstanden, der inneren Anschauung unmittelbar und mit absoluter Gewißheit einleuchtet - durch den bloßen Verstand und auch ohne Zuhilfenahme der äußeren Anschauung. Will man behaupten, daß die mathematischen Sätze doch nicht so "unmittelbar" einleuchten, sondern sich auf äußere Erfahrung stützen, weil sie zum Teil erst spät und nicht ohne Mühe von den Gelehrten "entdeckt" worden sind? Nun, auch die Planeten sind von den Astronomen entdeckt worden; ich glaube aber nicht, daß man dieselben vorher nicht gesehen hat. - Die Zeit, wann diese Sätze zum erstenmal von den Gelehrten formuliert und wissenschaftlich dargestellt worden sind, hat nichts zu tun mit ihrer Evidenz. Es gibt viel Selbstverständliches, das noch immer nicht ausgesprochen, wissenschaftlich formuliert und in ein System gebracht worden ist. Die Hauptsache ist, daß jene Sätze, einmal ausgesprochen, keinen Zweifel mehr zulassen - Jedem, der sie versteht, sofort mit absoluter Gewißheit einleuchten. Von den durch die wirklichen Erfahrungswissenschaften gewonnenen synthetischen Sätzen gibt es kaum einen, der nicht bestritten worden wäre oder bestritten werden könnte. Aber niemals, solange die Welt steht, ist die Wahrheit eines mathematischen Satzes angezweifelt oder bestritten worden - und niemals wird es geschehen. Diesen Unterschied sollte man festhalten, und diesen allein, wenn es sich um die Begriffsbestimmung "analytischer" und "synthetischer" Sätze handelt. Die Wissenschaft hat sich mit "synthetischen Urteilen a priori" befaßt und KANT hat solche nicht bloß in der Mathematik, sondern auch in der Physik nachweisen wollen. Sein Unterfangen war verfrüht, und die physikalischen Sätze, die er in den "Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft" - ein Titel der ungefähr soviel besagt wie "Metaphysik der Physik" - als angeblich a priori gefunden aufstellte, sind dies durchaus nicht. Die Sätze der Physik werden sich erst dann vollständig analytisch entwickeln lassen, wenn der erste, oder die ersten derselben, auf synthetischem Weg ermittelt und erwiesen sind und wir so weit sind, die Grundtatsache, das Prinzip der Naturwissenschaft, die einheitliche Urkraft des Ganzen erfaßt und begriffen zu haben. Solange wir es in der Naturerklärung noch mit "Ursache" und "Wirkung" zu tun haben, statt mit Grund und Folge, sind wir noch weit vom Ziel. Grund ist die begriffene Ursache, Folge die begriffene Wirkung. Uns so innig muß für unsere Anschauung Grund und Folge zusammenhängen, daß uns die ursprüngliche Identität beider feststeht - daß wir die Folge wirklich als eine bloße Gleichung des Grundes begreifen. Wäre einmal die ersten Definition, der rechte Begriff der "Kraft" und des "Lebens" gefunden und aufgestellt, so müßte sich aus jenem die ganze Physik, aus diesem die Physiologie auf analytischem Weg ableiten und entwickeln lassen. Schließlich sollte man etwas sehr Wesentliches zur Würdigung der Analyse nicht übersehen: daß sie es nämlich keineswegs bloß mit der Zerlegung von reinen Begriffen zu tun hat, sondern daß sie ebensowohl die auf dem Weg der Erfahrung gewonnenen, also die synthetischen Sätze zu bearbeiten, die logischen Gleichungen und die Konsequenzen derselben zu entwickeln hat. Ihr Werk beginnt erst so recht, wenn das der Synthese getan ist; sie macht die Erfahrung zur Wissenschaft. Der Fortschritt in allen Naturerkenntnissen beruth auf der allmählichen Umwandlung des synthetischen Wissens in analytisches. DULONG und PETIT entdeckten in der Wärmelehre das wichtige Gesetz:
- Wenn ich sage, daß es im Bereich der reinen philosophischen Spekulation keine wirkliche Synthese gibt, und der Philosophie die Analyse, der Naturwissenschaft die Synthese zuweise, so meine ich dies nicht so, als ob der Philosoph sich niemals auf eine Analyse einlassen sollte. Im Gegenteil wird der Eine beständig auf das Gebiet des anderen überzugreifen sich veranlaßt finden. Nur darf Jener niemals vergessen, daß er mit jeder Synthese auf naturwissenschaftlichem, dieser, daß er mit jeder Analyse auf philosophischem Boden steht. Und weil ben für das Wissen im allgemeinen Synthese und Analyse gleich unentbehrlich sind, wird weder der Philosoph die Naturwissenschaft, noch der Naturforscher die Philosophie gering zu schätzen berechtigt sein. Der Naturforscher sollte nie etwas vom Philosophen gelernt, die Philosophie nie etwas zur Förderung der Naturwissenschaften getan haben? Ei, von wem ist denn die Tatsache, daß die Sinneswahrnehmung uns nicht das Ansicht der so genannten Dinge, sondern nur eine durch die Eigenart eben dieser Organe bedingte Erscheinungswelt erschließt - von wem ist dise, heutzutage auch von den Physiologen anerkannte Tatsache früher erkannt worden, von den Philosophen, oder von den Physiologen? - Lange vor der Naturwissenschaft hat die Philosophie die Atome als letzte Prinzipien des Wirklichen aufgestellt. Auch vom Äther haben die Philosophen früher gesprochen als die Physiker. Es war ein Philosoph, KANT, der vor LAPLACE die heutige Theorie des Himmels ersann. Selbst SCHELLINGs Naturphilosophie war nicht so unfruchtbar wie man sie schilt; es waren deutsche Naturphilosophen, welche die Lehre von der Zelle und den Darwinismus antizipierten. Lange vor SCHWANN hatte der Naturphilosoph OKEN die Zelle entdeckt. HUMBOLDT sagte einmal, daß ihm an unserer Physik nichts erwiesen scheint, als die Theorie des Regenbogens, weil nur diese ganz mathematisch konstruiert werden kann. Aber ist diese Einschränkung haltbar? Die Rolle, welche die Geometrie in der Optik spielt, ist sehr merkwürdig. Es wäre interessant, den Nachweis zu führen, daß, wie hier, auch in der Mechanik, Akustik usw. manche vermeintlichen Erfahrungssätze auf Grundsätze der Mathematik oder Geometrie zurückzuführen, auch geometrische Sätze oft nur angewandte Sätze der Zahlenmathematik sind. Der mechanische Lehrsatz vom Parallelogramm der Kräfte ist so a priori einleuchtend, wie nur irgendeiner von den einfachen analytischen Sätzen der Mathematik, und wenn man einen Beweis dafür beibringt, so geschieht es genau genommen nicht, um sich von der Wahrheit desselben erst hierdurch zu überzeugen, sondern mehr in einem gewissen theoretischen Interesse. Daß ein von zwei gleichen Kräften in entgegengesetzter Richtung angezogener Körper in Ruhe verharrt, ist mit dem mathematischen Satz + a und - a = 0 im Grunde identisch, verhält sich zu demselben als Spezialfall oder Beispiel. Daß ein Körper, wenn er von zwei gleichen Kräften aus gleichen Entfernungen in zwei verschiedenen, nicht entgegengesetzten Richtungen, die zusammen einen Winkel bilden, angezogen wird, in seiner Bewegung die Diagonale dieses Winkels zieht, ist so selbstverständlich, wie der Satz 4 - 2 = 2 oder wie die Notwendigkeit, daß, wenn ein gleichmäßig ausgedehnter Körper in zwei gleiche Hälften geteilt werden soll, der Schnitt durch die Mitte desselben gehen muß. In diesem Sinne kann man wirklich von Sätzen a priori in der Physik sprechen, wie KANT es wollte: a priori gewiß sind zumindest alle physikalischen Sätze, die auf mathematische zurückzuführen sind, und dergleichen gibt es weit mehr als man bisher angenommen hat. PLATOs Äußerung, daß Physik und Astronomie "Beispiele für die reine Mathematik" sind, klingt vielleicht paradoxer als sie ist! Übrigens würden die Spuren des mathematischen Apriori sich auch bis in das organische und in das soziale Gebiet hinein verfolgen lassen. Man hat sich die Mühe genommen, sogar den Satz der Identität, die axiomatische Wahrheit von a = a beweisen zu wollen, und man hat ernsthaft untersucht, ob denn dieser Satz wirklich unanfechtbare, apriorische Allgemeingültigkeit hat. Die einfachste Auffassung der Sache wäre wohl diese: Wer etwas sagt, der bejaht etwas. Wer aber dann das Bejahte sofort verneint, der nimmt das Gesagte sofort zurück, und es ist, als ob er nichts gesagt hätte. Über nichts läßt sich aber nicht weiter reden. Mathematisch ausgedrückt heißt das: 1 - 1 = 0. Sätze, die dem Identitätsprinzip widerstreiten, sind als nicht gesagt, und ihr Inhalt als nichts, als = 0 zu bezeichnen. Aber es gibt eine Art von Widerspruch, den ich den dialektischen nenne, und auf den ich sofort im Besonderen zu sprechen komme. Er ist da, dieser Widerspruch, und schlägt dem Identitätsgesetz ein Schnippchen. Jedes Ding entschlüpft uns, wenn wir es begrifflich-einseitig festhalten wollen. Wir sagen: A ist. Aber es ist etwas Bestimmtes, daher ist es etwas anderes nicht; folglich ist es ein Sein, aber ebensogut ein Nicht sein. Begreifen wir etwas als ein Werdendes, so zeigt sich, daß es ebensogut im selben Moment ein Vergehendes ist. Alles ist zugleich Position und Negation, Sein und Nichtsein; alles ist zugleich ein Hier und ein Dort - alles ist zugleich groß und klein - alles ist zugleich Ursache und Wirkung. Alles hat sein Gegenteil an sich. Aber vielleicht ist doch der Begriff des Unendlichen ohne Negation? Auch er schlägt in sein Gegenteil um, wenn wir ihm näher treten. Das Unendliche ist nicht endlich - es ist also etwas nicht - es ist nicht alles - folglich ist es doch endlich. - So weit führt die Dialektik des Begriffs, - er löst sich auf in sich selbst. - Das Unendliche für sich genommen, verflüchtigt sich in Nichts, das Endliche für sich genommen, ebenfalls. Real werden sie nur in und miteinander, in dem, was unendlich und endlich zugleich ist, also entgegengesetzte Bestimmungen in sich vereinigt, den "Widerspruch" an sich hat. Damit hängt zusammen, daß man überhaupt nichts absolut Wahres sagen kann. "Es ist besser zu heiraten!" - "Es ist besser unverheiratet zu bleiben!" - Beides gleich wahr und unwahr. "Die Monarchie ist die beste Staatsform." - "Die Republik ist die beste!" - Alles nur bedingt, relativ wahr. - Ein spanisches Sprichwort sagt: "Alles ist wahr und alles ist Lüge!" (En esta vida todo es vertad y todo es mentira.) Es gibt kein Sprichwort, dem nicht ein anderes gegenüberstünde, welches das Gegenteil sagt. Und doch gelten die Sprichwörter als Quintessenz menschlicher Weisheit und Wahrheit. Und mit Recht. Alles ist in gewissem Sinne wahr, in gewissem Sinne unwahr. In aller Theorie und Praxis herrscht jene ewige Dialektik - jenes Gesetz des Widerspruchs. Und wie jeder Gedanke, so ist auch jedes Gefühl im Menschen nur halb wahr. Denn es gibt z. B. kein Wohlgefallen, kein Lieben, kein Verlangen im Menschen, unter dessen Gründe nicht auch, bewußt oder instinktiv, ein näherer oder entfernter Grund des Gegenteils geheim wirkend sich einschleicht. Man sagt, es sei die Wärme, die alles Leben hervorbringt. Man könnte ebensogut sagen, daß es die Kälte ist. Denn erst wenn ein Weltkörper bis auf einen gewissen, sehr niedrigen Grad abgekühlt ist, wird organisches Leben auf ihm möglich. Es zeigt sich hier, wie uns die Begriffe äffen. - Ein hoher Hitzegrad vernichtet ebensowohl wie ein tiefer Kältegrad alles Leben; nur eine gewisse Mitte ist demselben günstig. Aber wo liegt die Mitte, die Grenze zwischen Wärme und Kälte? Und sollen wir sie als Wärme oder als Kälte bezeichnen? Es ist rein eine Sache der Willkür. der festgesetzte "Nullpunkt" unserer Thermometer ist ein bloßer Behelf der Wissenschaft, der für unser Gefühl nichts Maßgebendes hat, denn wir finden unter Umständen gewisse "Wärme grade" erheblich "kalt". Versteht man unter Dialektik vornehmlich die Lehre vom Widerspruch, so kann man der Begriffs dialektik recht wohl eine Real dialektik gegenüberstellen und von einer solchen reden. Das wirkliche Leben ist voller Widersprüche. Aber diese Dialektik der Widersprüche des Wirklichen hat nichts zu tun mit jener seltsamen Idee einer metaphysischen "Realdialektik", welche heutzutage in einigen Köpfen spukt. JULIUS BAHNSEN hatte ganz recht, wenn er im Wesen und Wollen des Menschen überall einen "realdialektischen Widerspruch" zu finden glaubte, den Willen zu leben mit seiner eigenen Verneinung, alles Wollen überhaupt mit einem Nichtwollen verknüpft sah. Aber er hatte unrecht, wenn er diesen Widerspruch für einen schon ursprünglich im Willen ansich liegenden grundlosen, antilogischen ausgab, was ihm in einer Zeit, die es immer gerne hört, wenn etwas Unvernünftiges und Unlogisches als Prinzip des Weltwesens hingestellt wird, das Lob des Tiefsinns eingetragen hat. Aber diese Tiefsinn war vielmehr eine Gedankenlosigkeit, welche erstaunlicherweise ganz außer Acht ließ, daß jener Widerspruch im Wollen des Menschen überall seine guten Gründe hat, sich auf vernünftige, nachweisbare Motive stützt, also eminent logisch ist. Wenn wir das Leben wollen und doch auch wieder nicht wollen, so haben wir für Ersteres die Lust, für Letzteres die Unlust des Lebens zum Motiv, und da Lust und Unlust im Leben immer gemischt sind, so wird auch der Wille zu leben mit einem Willen nicht zu leben gemischt sein. Wenn, wie BAHNSEN bemerkt, die Geschlechtsliebe mit einer geheimen, fast unbewußten Feindseligkeit verbunden ist, so erklärt sich dies gar wohl daraus, daß bei aller Zärtlichkeit doch die Abhängigkeit von einem fremden Wesen und Willen insgeheim als etwas für unseren natürlichen Egoismus Peinliches empfunden wird. Und so hat BAHNSEN bis in den Bereich der geringfügigsten Dinge hinunter überall eine ursprüngliche Selbstentzweiung des Willens nachzuweisen geglaubt, ohne zu bemerken, daß in allen diesen Tatsachen die Entzweiung in einem Widerstreit der Motive oder in einer Verschiedenheit der Umstände begründet ist. BAHNSEN hätte ebensogut die Tatsache, daß man sich rasiert, um den Bart loszuwerden, manchmal aber auch (in der Jugend) um einen Bart zu bekommen, als einen Beleg des von Ewigkeit her in sich entzweiten, unlogischen Weltwillens anführen können. - Auch in einem anderen Sinn hatte BAHNSEN unrecht, den "Widerspruch im Wissen und Wesen der Welt" als einen antilogischen zu fassen. Wenn nachzuweisen ist, daß ohne diesen Widerspruch, oder richtiger gesagt, ohne die Polarität in den Erscheinungen des Seins und Wollens die reale Existenz der Welt nicht möglich wäre, so muß der Widerspruch als zweckmäßig im höchsten Sinne, demnach als vernunftgemäß und logisch gelten. Neben der Dialektik der Begriffe und der sogenannten Realdialektik gibt es auch eine Dialektik der Anschauung, welche hauptsächlich die Widersprüche unserer Zeit- und Raumanschauung in sich faßt. Die Unmöglichkeit, sich das All unendlich, und die ebenso große, es sich begrenzt vorzustellen - die Unmöglichkeit sich eine Grenze der Teilbarkeit der Materie vorzustellen, und die ebenso große, diese Teilung ins Unendliche vollzogen zu denken - diese Antinomien sind Sackgassen, in welche sich die innere Anschauung verliert - sie führen den Begriff der Anschauung überhaupt, und, was den Raum betrift, insbesondere den der Materie ad absurdum. Den etwas, das weder unbegrenzt noch begrenzt sein kann, ist notwendig ein Unding. Mit diesem Zugeständnis an die Relativität des für unsere Anschauung Wirklichen und Wahren bin ich aber nicht gewillt, auch die Relativität des logisch und mathematisch Gewissen zuzugeben, das analytischer Natur ist und auf dem Apriori, auf dem für alle möglichen Welten gültigen A = A beruth. Auch möchte ich damit den Phantasien z. B. von einem vierdimensionalen Raum keineswegs Vorschub leisten. Denn diese Phantasien sündigen eben auch dadurch, daß sie außerirdische Möglichkeiten mit irdischen Anschauungen konstruieren wollen, indem sie unsere Anschauung von Dimensionen in eine vorausgesetzte andere Welt übertragen, wo die irdischen Anschauungen nicht gelten sollen, und doch auch wieder gelten sollen, insofern man auch da noch von den Dimensionen in unserem Sinne spricht. Wir verhält sich nun ernsthaft die Dialektik zum Identitätsprinzip? Welche Bewandtnis hat es mit dem "Schnippchen", das die Dialektik dem obersten Prinzip aller Logik schlägt? Ist dasselbe wirklich dadurch gefährdet? - Die Antwort lautet: Nein! Ernsthaft gefährdet wird das Identitätsprinzip nur durch Sätze, welche Gegenteiliges von einer Sache in ein und derselben Beziehung aussagen. Die Dialektik aber befaßt sich mit Gegensätzen, die nur beziehungsweise gelten. In einer Beziehung ist etwas groß, in einer anderen klein; in einer Beziehung wahr, in einer anderen unwahr usw. Der Widerstreit liegt mehr in den Worten als in der Sache. Es hat den Anschein, als ob auch die Mathematik, auf ihre Selbstgewißheit und Selbständigkeit pochend, der Logik manchmal dialektisch ein "Schnippchen" schlagen zu dürfen glaubte. Sie bedarf der "Erfahrung" nicht - das macht sie stolz und da glaubt sie dann manchmal auch der Logik nicht zu bedürfen. Sie redet mit Ruhe, Bedächtigkeit und Ernst von einem "Krümmungsmaß = 0", oder von "kubischen Plankurven des nullten Geschlechts", oder bezeichnet Parallelen als Linien, welche sich "in der Unendlichkeit schneiden." Aber eine Redeweise wie die von einem Krümmungsmaß = 0 ist nicht so unverfänglich, als sie für den ersten Augenblick aussieht. Sie erweckt den Schein, als wären das Gerade und das Krumme nur dem Grad nach verschieden, als bestände ein stetiger Übergang von einem zum andern, was nicht der Fall ist: denn eine Krümmung könnte nicht in ihr Gegenteil übergehen, ohne aufzuhören eine Krümmung zu sein. Ein grausamer mathematischer Scherz von ähnlicher Art ist auch der, daß man sagt, die Gerade Linie beschreibt einen Kreis von unendlichem Umfang. Damit wäre entweder der Begriff der geraden Linie oder der des Kreises aufgehoben. In der Infinitesimalrechnung wird z. B. auch das Nichts der Bewegung, die Ruhe, als ein Etwas derselben behandelt, indem man die Ruhe als eine Bewegung von unendlicher Kleinheit faßt. Auch hier übersieht man, daß Ruhe und Bewegung toto genere [völlig - wp] verschieden sind. Der Schein des stetigen Übergangs von Gegensätzen, wie Ruhe und Bewegung, ineinander, berechtigt nicht zu der Behauptung, daß sie bloß graduell von einander verschieden sind. Es ist unwahr, daß sie stetig ineinander übergehen, denn die kleinste endliche Bewegung wäre von der absoluten Ruhe noch immer unendlich verschieden, eine unendlich kleine Bewegung aber, durch welche der Übergang in Ruhe stattfinden soll, gibt es nicht, weil es überhaupt ein reales "unendlich Kleines" so wenig gibt, wie ein reales "unendlich Großes". Die Behauptung, daß es einen wirklichen stetigen Übergang zwischen Bewegung und Ruhe nicht geben kann, klingt neu und paradox, ist aber die Wahrheit. EUGEN DÜHRING persifliert den Satz von der unendlichen geraden Linie, welche, einen unendlichen Kreis beschreibend, in sich zurückkehren muß, drollig genug, indem er sagt, daß, wenn es sich so verhielte, man nicht mehr gerade vor sich ausspucken könnte, ohne fürchten zu müssen, daß einem das sputum auf dem Weg der kreisförmig in sich zurückkehrenden Geraden wieder anfliegt. Es ist doppelt begreiflich, daß DÜHRING, der bekanntlich oft und gerne ausspuck, sich gegen eine solche Möglichkeit verwahrt und ich freue mich, einen so besonnenen und mathematisch geschulten Denker in diesem Punkt auf meiner Seite zu haben. Zum Bedenklichsten, wozu sich die mathematische Dialektik verstieg, gehört ohne Zweifel die behauptete Möglichkeit eines Raumes von mehr oder weniger als drei Dimensionen: ein Gegenstand, den ich an anderer Stelle in Erwägung ziehen werde. Die spekulativen Spitzfindigkeiten der Mathematik - sind sie etwas Neues in der Wissenschaft? Durchaus nicht! Man könnte sie eher als ein Erbstück aus der Scholastik des Mittelalters bezeichnen. In der Tat finden sich schon bei den ältesten Scholastikern diese mathematischen Spiele des Witzes. NIKOLAUS von KUES philosophiert im gleichen Sinn und Geist, wie es oben erwähnt wurde, über den unendlichen Kreis, dessen Linie eine gerade sein muß, und wie im unendlich spitzen und im unendlich stumpfen Winkel die Schenkel, im unendlichen Dreieck die Seiten in eine gerade Linie zusammengehen. Die Infinitesimalrechnung mag für die Operationen der höheren Mathematik ihre Vorteile haben, aber das Prinzip derselben hat zur Verwirrung der Begriffe, namentlich auf dem Grenzgebiet zwischen Mathematik und Philosophie ohne Zweifel so Manches beigetragen. (Ding-ansich) "Ansich der Dinge!" - Ding ansich!" - Hier, lieber Leser, ist eine verrufene, unheimliche Stelle auf dem Gebiet der Philosophie - ein Unglücksort, wo man ein großes Kreuz aufrichten sollte mit einem frommen Sprüchlein als Inschrift, wie man es tut an einem einsam-düster-rauhen Ort im Wald, wo schon Viele verunglückt sind, viele kühne Reiter den Hals gebrochen, viele Fuhrleute umgeworfen haben. Denn an dieser Stelle wurde unglaublicherweise der Satz ausgeheckt, allen Ernstes behauptet, und allen Ernstes geglaubt: "Es gibt kein Ansich der Dinge, kein "Ding ansich" - denn Etwas, wovon wir nicht wissen, was es ist, ist gleich einem Nichts" oder genauer: "Etwas, das für uns gleich einem Nichts ist, ist auch an und für sich nichts!" oder, um die äußerste Konsequenz zu ziehen: etwas uns völlig Unbekanntes existiert nicht wirklich - kann nur ein Gedankending, ein Unding sein! - Die Frage: "Bleibt etwas von einem seienden Wesen übrig, wenn man es aller Bestimmungen, die es für uns hat, entkleidet?" ist nicht durch Erfahrung, sondern nur durch eine logische Beweisführung zu entscheiden. Ist sie durch eine solche einmal wirklich in einem bejahenden Sinn entschieden, so wird die Gewißheit der Existenz dieses Wesens meines Erachtens nicht im Mindesten durch die Frage berührt, ob dasselbe unserer genaueren Erkenntnis zugänglich oder verschlossen ist. Die Behauptung, daß Wesenheiten in der Welt, die wir nicht erkennen, als nicht existenz zu betrachten, wegzuwerfen, aus der philosophischen Rechnung auszuschließen sind, ist grundlos und absurd - darf sich an Absurdität mit dem beaknnte Satz messen: "Es muß einen Gott geben - denn wenn Gott nicht existiert, so wäre er nicht vollkommen." Dieser angeblich Beweis der Existenz eines Wesens ist nicht wunderlicher, als jener angebliche Beweis der Nichtexistenz eines solchen! - "Wir wollen nichts von einem Ding-ansich wissen", sagt man, "denn da wir es nicht kennen, ist es für uns vollkommen wertlos." Ganz recht; aber die Frage nach dem Wert des Dings-ansich für uns hat mit der Frage nach seiner Existenz nicht das Mindeste zu tun. Es kann uns z. B. gleichgültig sein, ob in einem gewissen Winkel des Weltalls ein Sternchen letzter Größe, das wir niemals zu Gesicht bekommen, existiert. Aber nur ein Narr könnte sagen: "Da dieser Stern für uns schlechterdings keinen Wert hat, so existiert er überhaupt nicht, sondern ist ein bloßes Gedankending, ein Unding." Wenn ich vom Ding-ansich rede, so meine ich nicht das kantische Ding ansich. Schon darum nicht, weil ich nicht weiß, was das kantische Ding ansich sein soll. Als ich KANT zum erstenmal las, da wußte ich es; seit ich aber die Werke der neueren Erklärer KANTs gelesen habe, weiß ich es nicht mehr. Nein, nicht die kantischen Dinge ansich meine ich, sondern die des gesunden Menschenverstandes, oder, wenn man will, die der Naturwissenschaft: das, was auch ohne mich da ist, vor mir da war, und nach mir da sein wird, vorausgesetzt, daß es etwas dergleichen gibt. Nach meinem Begriff ist also das Ding-ansich die Voraussetzung desjenigen, was vom Wahrgenommenen übrig bleibt, wenn man die Wahrnehmung davon abzieht, gleichsam das Netto-Objekt gegenüber dem Brutto-Objekt, das die Sinne liefern. Ich teile nicht die Ansicht, daß dann sofort nichts übrig bliebe; sondern es bleibt vorläufig meiner Meinung nach dasjenige übrig, was die bestimmte Wahrnehmung just an diesem Ort und in dieser Zeit bedingt, sei dies nun ein Subjektives, oder ein Objektives. Der beste Ausdruck für das Ding-ansich wäre "Ursache", und zwar zunächst im gwöhlichen Sinn des Wortes, dann aber in seinem etymologischen Sinn, als Ur-Sache. Dieser Ausdruck Ursache, als Ur-Sache, ist in der philosophischen Terminologie von unschätzbarem Wert. Ich habe mir, offen gestanden, unter KANTs "Ding oder Dingen ansich" niemals etwas anderes denken können, als was ich mir auch unter den Monaden des LEIBNIZ denken mußte. Es gereicht mir zur Befriedigung, daß einige von den neuesten Erklärern KANTs, wie VAIHINGER, und insbesondere OTTO RIEDEL ("Die monadologischen Bestimmungen in Kants Lehre vom Ding-ansich", Hamburg und Leipzig 1884) dieser selben Auffassung sich zuneigen, - ohne freilich sonderlich Ernst damit zu machen. Der Mißkredit, in welchen das kantische "Ding-ansich" geraten ist, ist berechtigt, insofern er dem Ausdruck "Ding" gilt, der allerdings schlecht gewählt ist. Ein Ding ist jenes Unbekante nicht. "Ding ansich" ist im Grunde ein Widerspruch. Ich sehe in den "Dingen ansich", die sich hinter den "Dingen für uns" bewegen, zunächst eben nur die früher erwähnten Kraft- und Lebenspunkte. Aber, wie schon zu KANTs Zeiten von FICHTE und anderen, wird auch heute wieder in den weitesten Kreisen der philosophischen Wissenschaft geltend gemacht, es exiatiere kein Ansich hinter dem, was für uns ist - unsere Vorstellungen seien durch nichts außer uns mitveranlaßt und mitbestimmt. Es gebe kein "Ding-ansich", kein Nichtich, aber auch kein Ich, kein Objekt ansich, aber auch kein Subjekt ansich. Das seien durchwegs nur Wechselbegriffe des menschlichen "kategorialen" Denkens. Es gebe nur einen "Bewußtseinsinhalt" - dabei müssen man stehen bleiben. Nun, daß ich mich mit vollem Bewußtsein bei meiner Festhaltung von Kraft-, Lebens-, Willenselementen innerhalb der Schranken des menschlichen, "kategorialen" Denkens halte. Es ist auch gar nicht meine Absicht, mich damit kopfüber in die Abgründe der Metaphysik zu stürzen, sondern ich befinde mich vorläufig noch auf dem Boden der Naturwissenschaft. Wäre die Naturwissenschaft beim "Bewußtseinsinhalt stehen geblieben, so wäre sie nicht über die Körper hinausgekommen. Aber wir haben uns mit den sinnlichen Bewußtseinsbildern der Dinge nicht begnügt, haben nach objektiven Gründen der Erscheinung geforscht, und so entdeckten wir Kräfte, so entdeckten wir kleinste Teile, Zellen, Moleküle, chemische Elemente. Warum sollen wir Halt machen? Es gelingt uns vielleicht, die Elemente noch weiter zu zerlegen, die Kräfte auf weitere einheitliche Urkräfte zurückzuführen oder zumindest festzustellen, daß ursprünglichere Elemente, ursprünglichere Kräfte vorhanden sein müssen, wenn sie sich auch unserer direkten Wahrnehmung für immer entziehen sollten. "Aber" - so gellt es von neuem - "Dinge, wovon wir nichts wissen, existieren für uns nicht, und es ist Unsinn davon zu reden!" - Ei, wenn die Mathematik mit unbekannten Größen rechnet, warum nicht auch die Naturwissenschaft und die Philosophie? Freilich, wenn die Urkräfte und Urelemente des Seins - die "Dinge ansich", oder besser das Ansich der Dinge - oder die Ur-Sache - als etwas Überweltlich-Transzendentes gefaßt würden, auf welches Zeit und Raum und Kausalität und die Kategorien des Seins keine Anwendung fände, dann wären sie nicht, dann hätten sie kein reales Sein, dann wären sie = Nichts. Ich erkläre ein für allemal, daß ich weder hier noch späterhin unter einem Sein oder einem Seienden jemals ein Sein oder ein Seiendes verstehe, welches nicht in Zeit und Raum existiert, nicht dem Kausalitätsgesetz unterworfen wäre, und auf welches die Kategorien des menschlichen Denkens keine Anwendung finden. - Undvon diesem Standpunkt aus werde ich mich mit dem Neukantianismus zwar streiten, aber auch verständigen können. - Auf die allgemeinen Kategorien des Seins also können wir meiner Meinung nach bei der Urelementen nicht verzichten; wohl aber können und müssen wir verzichten auf jene Qualitäten, welche unsere Sinneswahrnehmung den Dingen leiht. Denn mittes der Sinneswahrnehmung nehmen wir eben immer nur Dinge und Erscheinungen, niemals Urelemente und Kräfte wahr. Der Kampf, welcher in dieser Art gegen das "Ansich" geführt wird, beruth doch nur auf einem Mißverständnis. Die Sache ist sehr einfach. Ich frage die Philosophen:
Da behaupten z. B. Viele, der "Unsinn" des "Dinges ansich" sei dadurch entstanden, daß Subjekt und Objekt, welche notwendig zusammengehören und eins ohne das andere keinen Sinn haben, voneinander getrennt und bald das Objekt zur Ursache des Subjekts (?), bald das Subjekt zur Ursache des Objekts gemacht worden ist. Es gibt schlechterdings kein Ding-ansich, sondern nur ein unzertrennliches Subjekt-Objekt. Aber was ist denn dieses unzertrennliche Subjekt-Objekt anderes, als eben auch ein "Ding-ansich"? Was anders als ein Ansicht, das unserer subjektiven Vorstellung sofort als ein Objekt gegenübertritt, und mit welchem von neuem die alte Frage beginnt: Erkennen wir es mit seinem Ansich? oder ist es gar kein Ansicht, sondern auch nur ein "Ding für uns?" "Grenzbegriff!" Was ist das eigentlich? Ich stelle mir darunter etwas vor wie den Schein einer Grenze, wie sie z. B. das unseren Gesichtskreis umschließende und abschließende Firmament bildet, und welche, immer weiter vor uns zurückweichend, niemals erreichbar, der wissenschaftlichen Betrachtung zuletzt in nichts zu zerfließen scheint. Ist das Ding-ansich, ist das Atom ein solcher Grenzbegriff? Gewiß nur in dem Sinn, in welchem beiden noch sinnliche Bestimmungen ankleben, wie dem Grenzbegriff des Firmaments das feste, wandartig Abschließende - und wenn sie in nichts zu zerfließen scheinen, so ist es doch nur unsere Vorstellung davon, welche in nichts zerfließt, sowie ja auch der Horizont keineswegs nichts ist, sondern nur nicht das, wofür wir ihn nehmen. Gegen den oft gehörten Einwand, daß ein vorausgesetztes Ding-ansich, ein Jenseitiges, von welchem wir "nichts wissen", eben dadurch, daß wir es bloß denken, auch wieder ein bloße Subjektives, also ein sich selbst widersprechender Begriff ist, hat CHALYBÄUS ein zu beherzigendes Wort gesprochen: "Wüßten wir wirklich gar nichts," äußert er, "von etwas Jenseitigem, einem Ansich der dinge, so setzten wir es auch gar nicht voraus und könnten es nicht einmal negativ bestimmen. Sobald wir aber dieses Ansich wieder als ein "für uns", als ansich identisch mit unserem Begriff betrachten, heben wir seinen wahren Begriff auf. Das also, was wir darunter meinen, ist gar nicht zu verwechseln mit Begriff, und sein Begriff ist eben der, daß es das Andere (d. h. das Gegenteil) jedes subjektiven Begriffs und von einer tatsächlichen Denknotwendigkeit ist." ("Historische Entwicklung der spekulativen Philosophie von Kant bis Hegel", vierte Auflage, Seite 92) Wir haben in unserem Bewußtsein Anschauungen von Personen und Dingen, auf welche wir jenen Existenzbegriff, den wir von unserem eigenen Seinsgefühl abstrahiert haben, übertragen. Es steht uns aber auch frei, diese Anschauungen theoretisch für bloße Vorstellungen zu halten, welchen keine Wirklichkeit außerhalb von uns entspricht. Bleiben wir beim Ersteren, nehmen wir an, daß andere Seiende außer uns vorhanden sind, mit welchen wir in Wechselwirkung stehen, so ist die Möglichkeit einer Art von Begreiflichkeit der Welt, einer erfaßbaren vernünftigen Ordnung der Dinge gegeben; das Geschehen läuft ab am Faden der Kausalität, dem Denken und dem wissenschaftlichen Forschen ist ein fruchtbares Feld eröffnet, dem menschlichen Streben ein Ziel gesteckt, das die Mühe lohnen kann. Nehmen wir dagegen an, daß die Realität dessen, was nicht wir selbst sind, lediglich in unserer Vorstellung besteht, daß es außer uns (praeter nos) ein an und für sich Seiendes nicht gibt, so erlischt die Sonne am Himmel der Vernunft und undurchdringliches Dunkel bricht über uns herein, die Welt wird zur unerklärbaren wüsten Phantasmagorie, zum Traum in uns, es gibt keine Wechselwirkung und keine Kausalität; das Denken und wissenschaftliche Forschen verliert allen Sinn und Wert, und des wäre Torheit, sich mit einer Logik zu befassen, welche den Begriff des Seins über Bord geworfen hat, und deren Kategorien nichts weiter bedeuten als die Formen und Regeln, in und nach welchen ein unerklärbares, wesenloses Vorstellungsleben zweck- und ziellos in uns abläuft. Unnütz und zwecklos wäre alles menschliche Streben überhaupt: denn warum soll ich auch nur einen Finger rühren, wenn mein Wirken nichts Wirkliches wirkt, sondern sich eben auch nur als totes Glied in die Kette meines inneren Vorstellungslebens einfügt? Sich, wenn man die Wahl hat zwischen einer wirklichen Welt und einer Welt des bloßen Wahns, für die Welt des Wahns zu entscheiden, wäre selbst Wahnwitz. Von SCHOPENHAUER nicht allein, sondern fast allgemein wird KANT der Vorwurf gemacht, daß er dem Kausalgesetz zufolge ein "Ding ansich" vorausgesetzt hat, nachdem er selbst doch die Anwendung des Kausalgesetzes auf Dinge außerhalb der Erfahrung streng verpönt. Aber dieser Vorwurf wäre, wie seltsamerweise bis jetzt Niemand bemerkt zu haben scheint, nur dann begründet, wenn KANT nach einem Grund des "Dings ansich" gefragt hätte. Denn das Kausalgesetz auf ein Ding anwenden, kann doch wohl nichts anderes heißen, als nach seinem Grund, nach seiner Ursache fragen. Indem nun KANT nach dem Grund der Erscheinungswelt, nicht des Dings ansich, forschte, ist er mit der Anwendung des Kausalitätsgesetzes innerhalb der von ihm selbst gesteckten Grenzen geblieben. Da er den zureichenden Grund der Erscheinungswelt in der "Erfahrung" nicht fand, so war er berechtigt, ihn teilweise außerhalb derselben vorauszusetzen. Ich weiß nun recht wohl, daß es durchaus nicht erlaubt sein soll, irgendetwas, dessen Grund nicht in der Erfahrungswelt nachweisbar ist, durch etwas unserer Erkenntnis Unzugängliches verboten sei soll, zu glauben, daß irgendetwas, das nicht selbst durch irgendetwas verursacht ist, Ursache von etwas werden könnte. Ich kenne diese Verbote - aber ich habe niemals einen wirklich triftigen, überzeugenden Rechtsbeweise dafür gehört. In der Tat, woher die Neukantianer wissen, daß ein unbekanntes "Ding ansich" schlechterdings niemals Ursache eines Geschehens auf dem Gebiet der Erscheinungswelt sein kann - das ist bis zur Stunde in den Schleier des tiefsten Geheimnisses gehüllt. Und wenn man vom Ding ansich so ganz und gar nichts weiß, wie kommt man dann dazu, gerade dies von demselben wissen zu wollen, daß es niemals die Ursache von etwas ein, niemals auf uns und die übrige Erscheinungswelt wirken kann? - Es ist, wie gesagt, eine Behauptung, auf die man sich immer sehr viel zugute tut, daß, wenn man ein Ansich der Dinge oder Ding-ansich zur Erklärung der Erscheinungen voraussetzt, hernach aber die Erscheinungen sämtlich von diesem Ding ansich hinwegdenkt, nichts übrig bleibt, das Ding-ansich also gleich dem Nichts ist. Es kommt aber darauf an, ob ich, da ich das Ding ansich als Ursache der Erscheinungen voraussetzte, annahm, dasselbe sei ansich Nicht, oder Etwas. Habe ich vorausgesetzt, es sei Etwas, so kann mir, wenn ich hernach die Erscheinungen wegdenke, nicht Nichts übrig bleiben, sondern es bleibt mir jenes unbekannte Etwas übrig, das ich vorausgesetzt habe. Nichts kann mir nur dann übrig bleiben, wenn ich etwas, das nicht ansich und gleich dem Nichts ist, vorausgesetzt habe; aber ein Nichts zur Erklärung von Etwas vorauszusetzen, fällt doch keinem Vernünftigen ein, und es ist die lächerlichste Sache von der Welt, wenn ich, obgleich der Meinung, daß ein "unbekanntes Etwas" nicht bloß für mich, sondern auch ansich = Nichts ist, dennoch ein solches erst voraussetze, und dann ein großes Aufhebens davon mache, daß vom vorausgesetzten Nichts nach Abzug der Erscheinungen - nichts übrig bleibt. Ebenso eigentümlich ist die Art, wie man zuerst eine Substanz voraussetzt, welcher die Qualitäten oder "Akzidenzen" inhärieren sollen, und hinterher die merkwürdige Entdeckung zu machen glaubt, daß, wenn man die "Akzidenzen" wegdenkt, die Substanz hernach gleich dem Nichts sein soll. Es hängt ja aber auch hier alles davon ab, ob man sich die vorausgesetzte Substanz als ein Nichts oder als ein Etwas gedacht hat. Als ein Nichts kann man sie sich doch wohl nicht gedacht haben; denn wie sollte einem Nichts etwas "inhärieren"? Hat man sie aber von vornherein als ein Etwas gedacht, so bleibt uns nach dem Hinwegdenken der Akzidenzen, wie beim Ding ansich, genau das ansich seiende, aber für uns unbekannte Etwas übrig, das wir vorausgesetzt haben. Damit will ich das Ding ansich und die Substanz nicht als eine Art von Behälter bezeichnet haben, in welchem die Erscheinungsweisen und Akzidenzen stecken, so daß man sie herausnehmen und wieder hineintun kann; sondern ich betrachte beide als das Erscheinende in der Erscheinung, als das Wirkende in der Wirkung. Ich will versuchen, was ich meine, in einer mathematischen Formel klar zu machen. Bezeichne ich den unbekannten Grund der Erscheinungen mit X und seine Erscheinungen oder Wirkungsweisen mit a + b + c + d etc., so wird das Verhältnis beider Faktoren nicht durch X = a + b + c + d etc. zu bezeichnen sein. Denn eine Sache ist keineswegs identisch mit ihren Erscheinungen und Wirkungsweisen, sondern etwas neben und außer ihnen. Ganz richtig sagt schon ROBINET: "L'essence d'une chose n'est pas l'assemblage des ses qualites." [Das Wesen einer Sache ist nicht die Anordnung seiner Qualitäten. - wp] (De la nature, IV, 5) KANT behauptet, daß es ein Ding ansich hinter den Erscheinungen gibt. Aber: auf dieses Ding ansich sind, weil es kein Gegenstand der Wahrnehmung ist, die Kategorien nicht anwendbar. Das heißt: das Ding ansich hat weder "Quantität", noch "Qualität", noch "Relation", noch "Modalität". Das Ding-ansich ist also - (wohlgemerkt!) weder Eins, noch Vieles - es enthält weder eine Bejahung, noch eine Verneinung - es ist weder Substanz noch Akzidenz, nocht ist eine Kausalität in ihm - es ist weder möglich noch unmöglich - weder seiend, noch nicht seidend! Denn all das sind nach KANT "Kategorien", die bloß für das sinnlich Wahrnehmbare gelten. Da KANT wirklich sogar das Sein und Nichtsein unter die "Kategorien" setzt, so kann man in der Tat folgerichtig nicht vom Ding-ansich sagen, dasselbe ist oder ist nicht! Ja sogar die Frage, ob ein solches Ding ansich hinter der "Erscheinung" möglich ist, hat keinen Sinn und ist unberechtigt, denn "Möglichkeit" ist eine bloße "Kategorie" und darf als solche nicht auf Transzendentes angewendet werden!!! Wollte man Festhalten an der Anschauung, daß das Sein eine bloße Kategorie ist - Wessen? - und die Kategorien nur für subjektive Formen des menschlichen Denkens gelten lassen, so wäre die Folgerung unabweisbar, daß Nichts existiert! Denn daß überhaupt etwas existiert, gilt nur innerhalb des kategorialen Denkens, ist also nur eine subjektiv-menschliche Meinung oder Anschauungsweise. Ich sehe hier davon ab, daß KANT sich dieser äußersten Konsequenz seiner Kategorienlehre in Anwendung auf den Seinsbegriff nie völlig bewußt geworden ist, und daß er fortfährt vom Ding-ansich als von einer zwar undefinierbaren, aber unzweifelhaft seienden transzendenten Wahrheit zu sprechen. Es liegt eben darin der große und unversöhnliche Widerspruch seiner Vernunftkritik. KANTs größter Fehler war, das Sein unter die Kategorien zu setzen, während der Seinsbegriff die Kategorien in sich schließt. Die Kategorien sind die Bestimmungen des Seins - es geht also nicht an, das Sein selbst wieder als eine Kategorie, eine Bestimmung des Seins zu fassen. Und wenn die Kategorien jene Bestimmungen sind, welche allem Seienden notwendigerweise zukommen, ein Subjekt aber seine Wirklichkeit nur in seinen Bestimmungen hat, so muß man entweder zugeben, daß das Sein seine Wirklichkeit in den Kategorien hat, oder man muß sich zu der Annahme entschließen, daß überhaupt nichts existiert. Ein Sein in anderen Formen, als in denen der Kategorien, wäre ein sich selbst aufhebender Begriff, und von der Möglichkeit eines solchen Seins zu reden, hätte ebensowenig Sinn, wie von der Möglichkeit eines Goldes zu reden, das nicht schwer, nicht gelb usw. wäre, kurz, dem alle wesentlichen Bestimmungen des Goldes fehlen. Ein Gold ohne die wesentlichen Eigenschaften des Goldes wäre kein Gold, und ein Sein ohne die wesentlichen Bestimmungen, welche den Seinsbegriff ausmachen - die Kategorien - wäre kein Sein. Ich erkläre also ein für allemal, daß es für mich kein anderes Sein als ein kategoriales, sowie kein anderes Denken als ein kategoriales gibt. Die Annahme, daß es KANT mit den "Dingen ansich" nicht ernst gewesen ist, daß er für seine Person nicht von der realen Existenz einer "unbekannten Ursache der Erscheinungen" überzeugt gewesen ist, wird auf das Schlagendste durch die zweite Anmerkung zum § 13 der "Prolegomena" widerlegt. Hier verteidigt sich KANT gegen den Vorwurf des Idealismus, und gründet seine Verteidigung ganz und gar auf die Annahme der realen Existenz der Dinge-ansich.
Zum Schluß der Anmerkung spricht er es noch einmal mit gleicher Entschiedenheit aus, daß deshalb, weil wir das erscheinende Ding ansich durch die Sinne gar nicht erkennen können, die Existenz desselben nach seiner Lehre nicht wie beim wirklichen Idealismus aufgehoben wird. Unumstößlich hat KANT mit diesen Worten festgestellt, daß die Lehre der Neukantianer, dem Ding ansich lasse sich keine reale Existenz zuschreiben, weil wir es nicht kennen, keineswegs auch so ganz die seinige ist. Auch in der 3. Anmerkung zu demselben § 13 kommt er weitläufig auf diese Verteidigung seines realistischen Standpunktes zurück; unter anderem wie folgt:
EBERHARD hatte gegen KANTs "Idealismus" eingewendet, daß wir unter allen Umständen auf Dinge ansich kommen. KANT antwortet:
COHEN legt das größte Gewicht auf eine Stelle der Kr. d. r. V., in welcher es heißt:
Aber zugegeben, KANT habe hier oder an anderen Stellen wirklich sagen wollen, daß unser menschliches Denken Dinge anscih, unerkennbare Ursachen der Erscheinung fingiert, bloß um etwas zu haben, was der "rezeptiven Sinnlichkeit" als affizierender Gegenstand entspricht; fragen wir uns doch einmal, was das heißen soll? Soll es heißen, daß man erst eine "rezeptive Sinnlichkeit" entdeckt, und hernach einen auf sie einwirkenden Gegenstand hinzuerfunden hat? Aber es ist unwahr, daß wir erst durch den Begriff einer rezeptiven Sinnlichkeit auf den Begriff eines Gegenstandes geführt werden, dessen Einwirkungen die Sinnlichkeit rezipiert. Der Begriff einer rezipierenden Sinnlichkeit, einer Fähigkeit zur Aufnahme von Einwirkungen, kann uns nur entstehen, wenn wir den Begriff von Einwirkungen und einwirkenden Gegenständen schon haben. Eben weil diese beiden Begriffe einander "korrespondieren", müssen sie zumindest gleichzeitigen Ursprungs sein, und es kann nicht das eine erst um des andern willen erfunden oder fingiert gedacht werden. Und wenn wir etwas haben müssen, was den wahrgenommenen Einwirkungen und der Fähigkeit, Einwirkungen aufzunehmen, als ein Wirkendes entspricht, so besagt das nicht, daß eben dieses Wirkend eine bloße Fiktion des Denken, ein lusus ingenii humani [Spiel des menschlichen Geistes - wp] ist, sondern es will sagen, daß es ein Wirkends, eine reale Ursache der Erscheinungen wirklich und wahrhaftig gibt und geben muß. Nun beruft man sich aber weiterhin darauf, daß KANT die Dinge ansich gelegentlich den "Gedankendingen", den Noumenis, beizählt. Dies tut er in der Tat in einer Stelle der Prolegomena, die von den Noumenis handelt. Gedankendinge, Noumena, sind nun die "unerkannten Ursachen der Erscheinungen" allerdings insofern, als sie nicht sinnlich wahrgenommen, sondern nur mit dem Gedanken erfaßt werden können. Aber KANT war weit davon entfernt, die Noumena deshalb für etwas nicht Seiendes und nicht sein Könnendes zu halten. Alles, was er behauptete, war, daß man die Existenz derselben außerhalb des Bewußtseins nicht erfahrungsmäßig beweisen kann, daß daher ihr Anundfürsichsein auf dem Gebiet der theoretischen Philosophie problematisch bleibt. Bekanntlich hat ja KANT selbst die transzendente Realität mehrerer dieser Noumena, nachdem er sie auf theoretischem Gebiet dahingestellt sein lassen, auf dem der praktischen Philosophie zu erweisen gesucht hat. Zuzugeben ist schließlich allerdings, daß KANT durch den Zusammenhang seines Systems, insbesondere die Tragweite seines unglückseligen Apriori, sich hie und da genötigt sah, das "Ding ansich" in das Licht des Problematischen zu rücken; sich geradezu in Widersprüche zu verwickeln; seine persönliche Überzeugung aber ging ohne Zweifel auf die transzendente Existenz desselben. Wie hätte er sich sonst auf diese als den festen, realten Halt seines Systems berufen mögen, zur Abwehr eben jenes Idealismus, welcher ein reales Sein außerhalb des Bewußtseins leugnet? Auch die Theorie seiner "intelligiblen Freiheit" hat KANT auf die Annahme der realen Existenz des Dings ansich gestützt. Sollte KANT sich wirklich haben einfallen Lassen, etwas Transzendente, wie die intelligible Freiheit, gründen zu wollen auf etwas, das er für ein nur immanent Gültiges, nur in unserem Denken, unserem Bewußtsein Wirkliches hielt? KANT hat alle jene Fiktionen des menschlichen Denkens, für welche der Verstandes- oder Vernunftbeweis ihm nicht zu genügen schien, einzeln behandelt und ihre logische Haltlosigkeit ausführlich nachgewiesen: so namentlich in der Lehre von den Paralogismen und den Ideen. Nirgends aber hat er sich mit einer ähnlichen Kritik des Ding-ansich-Begriffs befaßt. Auf das Ding ansich, die unerkennbare Ursache der Erscheinungen, kommt er immer wieder zurück, und zwar in einfacher, unumwundener Redeweise, ohne auch nur ein einziges Mal durch einen Ausdruck wie das "angebliche", oder "vermeintliche," "bloß gedachte", "fingierte" Ding-ansich seinen Standpunkt in dieser Sache als einen skeptischen zu bezeichnen. Unrichtig ist die Behauptung, daß KANT das Ding-ansich nur in der transzendentalen Ästhetik gelten läßt, später aber "beiseite schiebt", "fallen läßt" und dgl. Die Annahme des Dings ansich zieht sich, und zwar ausgesprochenermaßen, durch die ganze Kritiker der reinen Vernunft und die Prolegomena hindurch, wenn auch, wie gesagt, zugegeben werden muß, daß sie nicht mit allen Lehrsätzen KANTs, dem Wortlaut nach, im Einklang steht. Aber daß es bei KANT an scheinbaren und wirklichen Widersprüchen nicht fehlt, daß der Riesenbau seines Systems keineswegs mit absoluter Folgerichtigkeit durchgeführt wurde, ist eine Tatsache, in die man sich längt hat ergeben müssen. Es ist nach all dem einer der größten Willkürakte, die auf wissenschaftlichem Gebiet vorkommen sind, wenn KUNO FISCHER in seinem Werk "Immanuel Kant und seine Lehre" (dritte Auflage, Seite 423-438) das Ding-ansich zum Inbegriff des "transzendentalen Scheins" macht, zum Gesamtnamen für alles, was die das Erfahrungsgebiet unbefugter weise überschreitende Vernunft ausheckt. Um Derjenigen willen, welche in seinem ausführlichen Werk eine authentische Belehrung über das kantische System nach Inhalt und Form suchen, hätte KUNO FISCHER es vermeiden sollen, eine solche Darstellung der Lehre vom Ding ansich zu geben, welche ganz seine eigene Sache, dem Wortlaut der "Kritik d. r. V." aber vollkommen fremd ist. Nie und nirgends hat KANT selbst das Ding-ansich zu den "Ideen" gerechnet, nie und nirgends als "transzendentalen Schein" bezeichnet. Ein Argument nur gäbe es, mit welchem die Gegner des "Ding ansich" alles hier Gesagte gründlich umstürzen könnten: die Verweisung darauf, daß KANT das Sein unter die Kategorien setzte, und daß, wenn die Kategorien nach KANTs Behauptung nur auf Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung und Erfahrung angewendet werden dürfen, man auch nicht sagen kann, daß das Ding-ansich existiert. Dieser Konsequenz seiner Versetzung des Seins unter die Kategorien ist jedoch KANT sich niemals klar bewußt geworden; denn wäre er sich derselben wirklich bewußt gewesen, so hätte er mit Berufung auf sie das Ding-ansich kurz abtun müssen, und alles was er sonst darüber vorbrachte, hätte er als überflüssig, ja sinnlos und absurd erkennen müssen. Auch die Neukantianer verschmähten und versäumten Es, von jenem einzig schlagenden Argument für ihre Sache Gebrauch zu machen; sei es, daß sie jene Konsequenz ebenso, wie KANT selbst sich nicht völlig klar machten, oder daß ihnen das Ungeheuerliche des Mißgriffs, das Sein unter die Kategorien zu setzen, doch einiges Bedenken erregte, so daß sie über diese Sache ganz zu schweigen vorzogen. Denn die Tragweite jenes Mißgriffs führt an einen gähnenden Abgrund. Wenn die "Dinge", als bloße Erscheinungen, nicht wirklich existiern, von ihrem Ansich aber ebenfalls nicht gesagt werden darf, daß es existiert, so existiert nichts - und das gestehen selbst die Neukantianer nicht immer gerne offen ein. Allerdings hat KANT, um den Vorwurf des BERKELEYschen "Idealismus" abzuwehren, einmal sich darauf eingelassen, sogar einen Beweise der Realität der Sinnendinge als solcher (also der Erscheinungen!) aufzustellen. Aber ich möchte diesen kläglichen, sophistischen, in die zweite Auflage der Kr. d. r. V. eingeflickten "Beweis" nicht in eine Reihe stellen mit der fast auf jeder Seite der kantischen Werke wiederkehrenden, ruhigen und ernsten Erwähnung des Dings ansich als Grund der Erscheinungen. Ich fasse das Schlußergebnis des Gesagten in die Erklärung zusammen: KANT hat die reale Existenz einer unbekannten Ursache der Erschenungen außerhalb des Bewußtseins (Ding-ansich) in klaren und entschiedenen Worten behauptet, sich auf diese Behauptung wiederholt zu seiner Verteidigung gegen den Vorwurf des Idealismus berufen; gedrängt jedoch durch die Konsequenzen seines Apriori, hat er an manchen Stellen das Ding-ansich, als nicht erfahrungsmäßig wahrnehmbar, in seiner Existenz außerhalb des Bewußtseins als problematisch hingestellt, d. h. als etwas, wovon sich weder erweisen läßt, daß es existiert, noch daß es nicht existiert. Nie und nirgends hat KANT ausdrücklich das Ding-ansich als das hingestellt, als was es die Neukantianer auffassen: als eine leere Fiktion, als ein Unding, dessen reale Existenz außerhalb des Bewußtseins nicht bloß zweifelhaft, sondern sinnlos und unmöglich ist. ![]() |