cr-2GuttmannGoldnerSsalagoffStörringWindelbandMünchRickert    
 
ARTHUR LIEBERT
Das Problem der Geltung
[2/8]

"Im letzten Grunde ist jegliche Geltungssetzung, jegliche Geltungsbestimmung ein Ausdruck logischer Funktion, so gewiß als überhaupt der Begriff der Geltung, des Sinnes, der Bedeutung außerhalb des Logos, d. h. unabhängig vom logischen Zusammenhang, jede Geltung, jeden Sinn, jede Bedeutung verliert."

Der logische Sinn des Geltungsproblems

Daß in dem Problem der Geltung, abgesehen von seiner psychologischen und psychologisch-metaphysischen Bedeutung, auch ein logischer Kern steckt, und daß die Bedeutung, die dem Problem unter logischem Gesichtspunkt zukommt, allererst den tiefsten Gehalt dieses Problems umfaßt, das ist es, was nun nachgewiesen und begründet werden soll.

Gerade die Untersuchung der logischen Seite der Frage ist für die Rechtfertigung des Problems als eines philosophischen von besonderer Wichtigkeit. Denn daß auch eine Logik des Geltungsproblems möglich sei, dagegen sind mannigfache Bedenken laut geworden. Man gesteht dem Geltungsgedanken wohl eine psychologische Bedeutung im Sinne des Wertes und diese in erster Reihe, und auch wohl eine metaphysische zu; d. h. man erkennt in der Geltungssetzung entweder eine rein subjektive Größe, bei deren Schöpfung und Ausgestaltung der Wille und das Gefühl die entscheidende Rolle spielen, oder man erblickt in ihr eine metaphysische Größe, eine Ur-Realität, wie eine solche z.B. in dem Begriffe "Gott" aufgestellt wird.

Demgegenüber zeigt sich die logische Seite des Problems ungleich weniger behandelt und ungleich weniger geklärt. Es gilt daher zunächst einmal den begrifflichen Ort zu bestimmen, in dem das Problem der "Logik der Geltung" seine Wurzel hat; es gilt überhaupt erst den Zusammenhang zu zeigen, in dem sich dieser logische Sinn der ganzen Frage geltend macht, und für den er sich geltend macht, und in dem und für den dieser Sinn eben einen Sinn, eine Geltung hat.

Der logische Sinn des Geltungsproblems läßt sich zunächst negativ dadurch bestimmen, daß man ihn sowohl von dem subjektiv-psychologischen Vorgang, in welchem vom Bewußtsein des Menschen Geltungen, Werte erlebt werden, als auch von der metaphysischen Geltungsverdinglichung, der gemäß Geltungswerte als absolute Realitäten, als transzendente Wesenheiten aufgefaßt werden, unterscheidet.

Aber diese Unterscheidung hat zugleich eine weitergehende positive Bedeutung. Denn diese Unterscheidung zweier verschiedener Geltungszonen und die Charakteristik einer jeder dieser Zonen kann nur vorgenommen, kann nur aufgestellt werden, wenn schon der Begriff der Geltung festgestellt, wenn bereits eine Erkenntnis der Geltung vorgenommen ist. Sonst schwebt diese ganze Unterscheidung theoretisch in der Luft. Um von einer psychologischen oder von einer metaphysischen Geltungsordnung sprechen, um mit diesen Bestimmungen einen faßlichen Sinn verbinden zu können, muß bereits eine begriffliche Festlegung des Geltungsgedankens erfolgt sein. Im letzten Grunde ist jegliche Geltungssetzung, jegliche Geltungsbestimmung ein Ausdruck logischer Funktion, so gewiß als überhaupt der Begriff der Geltung, des Sinnes, der Bedeutung außerhalb des Logos, d. h. unabhängig vom logischen Zusammenhang, jede Geltung, jeden Sinn, jede Bedeutung verliert, geltungs-, sinn-, bedeutungslos ist. Die Funktion des Logos, die Funktion des Begriffs, des Urteils, des Schlusses: das ist die Funktion der Erzeugung der Geltung; mit dieser Funktion allererst wird "Geltung" gedacht und darum Geltung geschaffen. In welchem besonderen Sinne sich diese prinzipielle Geltungserzeugung in der logischen Funktion vollzieht, in welchem Sinne sich diese Geltung des logischen Funktionalismus geltend macht, ist später genauer zu zeigen.

Wenn wir im Vorhergehenden von dem psychologischen Erleben von Geltungswerten und von der metaphysischen Setzung von Geltungswerten sprachen, so war demnach dabei prinzipiell die logische Ordnung des Geltungswertes bereits zu Grunde gelegt, so war dabei deren begriffliche Bedeutung und Tragweite notwendig vorausgesetzt. Diese Ordnung, auf die sich die psychologische Interpretation des Geltungsbegriffs ebensowohl wie die metaphysische stützt, ist also, kurz gesagt, das Gebiet oder die Ordnung der Erkenntnis. Diese Ordnung ist insofern also in fundamentaler und prinzipieller Beziehung verschieden von der psychologischen und von der metaphysischen Wert- oder Geltungsordnung, da sie es ist, die diesen Ordnungen das logische Rückgrat, das logische Fundament gibt.

So also haben wir schon immer unbewußt mit einem logischen Geltungswert gearbeitet und seine grundsätzliche Geltung anerkannt. Und es obliegt uns nun, den Sinn, die Bedeutung herauszuarbeiten, den die begriffliche Geltungsordnung eben als grundsätzliche Geltungsordnung besitzt. Es ist die Aufgabe, das Moment herauszuheben, das ihr jene fundamentale Geltungsbedeutung sichert und erhält. Gerade da der Begriff der Erkenntnis fundamentale und autonome Bedeutung hat und in seiner Entwickelung nur durch Gesichtspunkte bestimmt ist, die sich rein aus ihm selber ergeben, so ist es auch gewiß, daß sich aus dieser Ordnung eine Geltungsbestimmung heraussondern läßt, die der Eigenart dieser Ordnung angemessen ist, und in der die Eigenart und die grundlegende Bedeutung dieser Ordnung zu charakteristischem Ausdruck kommen. Die Unterscheidung der Ordnung der Erkenntnis von den beiden anderen Ordnungen und der Aufweis der unableitbaren theoretischen Kompetenz jener Ordnung vollziehen sich und können sich nur vollziehen an Hand eines für sie charakteristischen, weil aus ihrer innersten Natur heraus sich ergebenden Geltungsbegriffes. Alle Unklarheiten und Meinungsverschiedenheiten über den Begriff der Erkenntnis ergeben sich in letzter Linie aus der Unklarheit über den im Begriff der Erkenntnis gedachten Geltungswert der Erkenntnis. Besonders mißversteht oder verdunkelt man so oft die Frage nach dem Begriff der Erkenntnis dadurch, daß an die Stelle der Frage nach der logischen Gültigkeit und nach dem objektiven Geltungssinn der Erkenntnis entweder die nach der Genesis der Erkenntnis, d. h. nach der psychologischen Entwickelung der Erkenntnis, besser: des Erkennens, oder die nach der Metaphysik der Erkenntnis, d. h. die nach der transzendenten Bedeutung der Erkenntnis geschoben wird.

Mit diesen Ausführungen ist zunächst das Eine erreicht, daß der logische Ort, der für den logischen Sinn des Geltungsproblems in Frage kommt, bezeichnet ist. In diesem logischen Sinn des Problems kristallisiert sich also nicht der psychologische Vollzug von Werterlebnissen, auch bedeutet er nicht die Hypostase [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] von Geltungen. Diesen Anschauungen ist dadurch vorgebeugt, daß der Begriff der Geltung durchaus nur auf den Begriff und auf die Ordnung der Erkenntnis bezogen und lediglich als für diese Ordnung giltig gedacht wird. Wo diese Beziehung, besser: Bezogenheit, unterbunden oder übersehen und verkannt wird, da ist die Logizität des Geltungsgedankens und damit überhaupt sein "Sinn", seine "Geltung" in Frage gestellt.

Und das ist nun das Bemerkenswerte, daß sie dieser Geltungssinn, also der rein begriffliche, erst dann enthüllt, daß er erst dann geltende Erkenntnisbedeutung gewinnt, wenn wir gerade von dem psychologischen Vollzug des Erkennens, von dem psychologischen Mechanismus des Erkennens absehen, und die Erkenntnis als Erkenntnis reinlich aus ihrer psychologischen Einkleidung herausschälen.

Die Frage nach dem Begriff der Erkenntnis ist die Frage nach dem Begriff der Geltung der Erkenntnis, nach ihrer Bedeutung, nach ihrem Gehalt. Das ist die primäre, das ist die eigentlich erst philosophische Fragestellung, die die allgemeinste prinzipielle Bedeutung besitzt. Mit der von dem Fundamentalbegriff der logischen Geltung schlechthin ausgehenden Analyse des Begriffs der Erkenntnis ist die Frage nach der objektiven Gültigkeit der Erkenntnis untrennbar verbunden: Erkenntnis kann gar nicht anders denn als objektiv geltend überhaupt gedacht werden, überhaupt gesetzt sein. Ihr Begriff ist der Begriff der objektiven Geltung dieses Begriffes. So kann die Deduktion der Erkenntnis logisch garnicht bei der "metyphysischen Deduktion", um mit KANT zu sprechen, stehen bleiben, denn das wäre nicht die Deduktion der Erkenntnis, sondern die psychologische Analyse des Erkennens; die Deduktion der Erkenntnis hat ihren Sinn, hat ihre Geltung allererst in der "transzendentalen" Untersuchung. In und mit der Konzeption des Begriffes der Erkenntnis wird der Begriff der Geltung dieses Begriffes der Erkenntnis mitkonzipiert. Diese Konzeption ist nicht als eine logische zu denken; es handelt sich nicht um den subjektiv gültigen Konzeptionsakt, sondern um den Gedanken, daß im Begriff der Erkenntnis die Geltung der Erkenntnis gerade als Erkenntnis gedacht wird, daß jener Begriff der zusammenfassende Ausdruck aller derjenigen Merkmale ist, die für die Erkenntnis charakteristisch sind. Die innere und unlösbare Zugeordnetheit des Begriffes der Geltung zu dem Begriff der Erkenntnis und der durch diese Zugeordnetheit zum Ausdruck kommende logische Sinn des Geltungsproblems ist also so zu verstehen, daß, wo immer der Begriff der Erkenntnis gedacht wird, die Erkenntnis überhaupt als eine geltende gedacht wird.

Hat sich nunmehr ergeben, daß es der Begriff und das System der Erkenntnis ist, in denen der logische Sinn des Geltungsgedankens zur Geltung kommt, so entsteht nunmehr die Aufgabe, diesen Begriff des logischen Geltungszusammenhanges, m. a. W. den Begriff der Erkenntnis in Hinsicht auf seine eigentümlich logische Bedeutung und Tragweite näher ins Auge zu fassen, und die im Begriff und System der Erkenntnis zum Ausdruck kommende logische Geltungskraft genauer zu bestimmen.


Der Begriff des logischen Geltungszusammenhanges.

a) Der größte und entscheidende Fortschritt in der Aufdeckung und Entwickelung der in sich gegründeten und der Psychologie gegenüber durchaus selbständigen Geltungsreihe der Erkenntnis geschah durch die transzendentale Logik und durch die dieser eigentümlichen Methode. (1) Will man den tiefsten Sinn und die tiefste Bedeutung der Transzendentalphilosophie in eine kurze Formel fassen, so wird man sagen dürfen, daß ihr eigentliches Wesen und ihr eigentümlicher Wert in dem Gedanken der unerschütterlichen Autonomie der Erkenntnis, in dem Gedanken der Eigengeltung und Eigengesetzlichkeit der Erkenntnis ruht. Diese Philosophie macht endlich rücksichtslos Ernst mit dem großen Ansatz des DESCARTES, daß das Sein auf das Denken sich gründe; sie bildet diesen Ansatz fort zu einem allbegründenden System, ohne daß auch nur an einem Punkte die methodische Selbständigkeit der Erkenntnis verleugnet oder abgeschwächt wird, die sich bei DESCARTES bekanntermaßen doch schließlich der transzendenten, der metaphysischen Dignität Gottes unterordnet.

Aber diese Autonomie der Erkenntnis wird von der Transzendentalphilosophie nicht einfach behauptet, sondern sie wird nachgewiesen, sie wird in ihrer autonomen Geltung begründet. In welcher Weise? So, daß der Standpunkt der Vernunft als Gesichtspunkt und Prinzip, als methodischer Leitfaden der Untersuchung selber zur Geltung kommt. M. a. W.: Die Erkenntnis gilt in der Transzendentalphilosophie nicht als ein einzelner Akt, nicht als ein Verband einzelner Akte, nicht als eine Summe einzelner Erkenntnisse und einzelner Erkenntnisstücke. Das hieße, die Erkenntnis abhängen lassen von dem Vorgang des Erkennens. (2) Aber nicht um das Erkennen handelt es sich bei dem Problem der Transzendentalphilosophie. Denn sonst wäre die bloß geschichtliche Tragweite, die dem psychologischen Geltungsmoment zukommt, noch nicht im Prinzip überwunden. Und zugleich würde sich der emotionale Hintergrund des psychologischen Begriffs des Erkennens immer wieder bemerkbar machen. Damit wäre aber die Autonomie der Erkenntnis erschüttert. Beides aber, sowohl die Autonomie als die Erkenntnis (und nicht das Erkennen) ist ins Auge zu fassen und in ihrer Geltung zu erhellen. Es gilt im Gegensatz zu dem psychologischen Geltungswert des Erkennens, das den Charakter der Subjektivität unabstreifbar an sich trägt, den objektiven, wissenschaftlichen Geltungswert der Erkenntnis, ihren systematischen und prinzipiellen Gehalt zu bestimmen und zu würdigen, und zu zeigen, worin denn dieser objektive Geltungswert zum Ausdruck kommt, durch welchen Gesichtspunkt er seine Objektivität erweist, wodurch er sich als Erkenntnis rechtfertigt.

Zur Verdeutlichung dieses Punktes sei noch einmal eine Gegenüberstellung der transzendentallogischen Geltungsreihe und der psychologischen eingefügt.

Die psychologische Betrachtung des Erkennens untersucht nicht die Erkenntnis als solche, nicht die in ihr gedachte objektiv-gültig Verknüpfung von Einsichten, Urteilen, Schlüssen, sie hat es vielmehr mit dem Erkennen als Erlebnis zu tun, das als psychologische Tatsache oder Begebenheit in dem menschlichen Bewußtsein auftritt und unter den Bedingungen desselben, eben als eines menschlichen Bewußtseins, steht. Sie verfolgt also den empirischen Verlauf des Erkennens, ganz besonders - und darin kommt ein außerordentlich bedeutsamer Unterschied der erkenntniskritischen Analyse gegenüber zum Ausdruck - beachtet sie auch die Beziehungen, die der Vorgang des Erkennens zu den anderen Erlebnissen des Bewußtseins, also zu Willens- und Gefühlsäußerungen aufweist. Die Psychologie des Erkennens berücksichtigt im letzten Grunde stets die Totalität des Bewußtseins, ihr Objekt ist der vorstellend-wollend-fühlende Mensch, es ist der Mensch in der ungebrochenen Ganzheit seines Lebens und Erlebens.

Im genauen methodischen Gegensatz dazu sondert die erkenntniskritische Analyse aus jener Totalität einen bestimmten Geltungszusammenhang heraus; sie reflektiert nicht auf den erlebten und erlebbaren Erkenntnisakt, den sie in seinem Erlebnischarakter garnicht antastet, sondern sie bezieht sich auf den erkenntnismäßigen Gehalt, der, wenn man so will, in dem Erkenntniserlebnis, d. h. dem Erkennen, steckt; sie sucht die prinzipielle, die objektive Bedeutung auszuzeichnen, die gegenstandskonstituierende, wissenschaftsermöglichende Geltung zu bestimmen, in der nicht nur das zum Ausdruck kommt, was das Bewußtsein erlebt, sondern dasjenige, durch welches alle empirische Tatsächlichkeit, somit auch die des Erlebnisses, gesetzmäßig begründet wird.

Der Begriff der objektiven Bedeutung der Erkenntnis bezieht sich also nicht auf das Erlebnis des Bewußtseins; es ist vielmehr die Gesetzlichkeit des Bewußtseins, die in diesem Begriff ausgezeichnet wird, und auf die sich der Begriff der objektiven Bedeutung der Erkenntnis bezieht. Selbst die Psychologie des Erkennens ist, da sie doch eine Erkenntnisart des Erkennens ist, als der Gesetzlichkeit, d. h. sie logisch von ihm abhängig, sie ist ihm logisch untergeordnet. Um eine Aussage psychologischer Natur über das Erkennen zu machen, muß der Begriff der objektiven Geltung und der Begriff der Gesetzlichkeit dieser Aussage-Geltung unabweisbar vorausgesetzt werden. Diese Aussage selber ist ihrem Sinne nach nichts Psychologisches; sie ist eine Größe von objektiver, theoretischer Bedeutung. Und so ist, logisch gesehen, jegliche Bestimmung des Erlebnisses, jegliche Aussage über dasselbe, also hinausgehende theoretische Kundmachung desselben geknüpft an begriffliche Bestimmungen, welche letztlich selber, wie sich noch des Genaueren zeigen wird, an dem Begriff der Gesetzlichkeit, des gesetzmäßigen Zusammenhanges oder, wie man auch sagen kann, an dem Begriff des Systems orientiert sind und erst von dieser Grundlage aus die Geltung begriffsmäßiger Bestimmungen besitzen.

Dieser Begriff der Gesetzmäßigkeit oder des Systems erschöpft sich seinem prinzipiellen Gehalt und seiner Bedeutung nach keineswegs in dem erlebbaren Erkenntnisakt; vielmehr ist er in seiner sachlichen Geltung so sehr von ihm unterschieden, daß er prinzipiell überhaupt nichts mit ihm zu tun hat. Man kann vielleicht sagen, jener erlebbare Erkenntnisakt ist die psychologische Darstellung und Erscheinung eines Erkenntniswertes in dem menschlichen Bewußtsein. Aber die Erkenntniskritik reflektiert nicht auf diese Erlebniserscheinungen in dem menschlichen Bewußtsein; sie macht auch dieses Bewußtsein nicht zum Stützpunkt für ihre Deduktion, da dann stets nur eine "subjektive Einheit", um mit KANT zu sprechen, zu Grunde gelegt würde; die transzendentale Deduktion wird hingegen von dem Gesichtspunkt der Objektivität geleitet, und sie sucht in ihrem ganzen Vorgehen diejenigen Momente der Erkenntnis herauszustellen und als "Bedingungen" auszuzeichnen, die nicht subjektiv-empirische, sondern objektive, das heißt: allgemeingültige und notwendige Bedeutung für die Erkenntnis besitzen. So geht sie auch nicht zurück auf die subjektive Einheit des empirischen Bewußtseins, die nur einen subjektiv-psychologischen Wert darstellt, sondern auf "die transzendentale Einheit der Apperzeption", die als höchste und letzte Bedingung der Erkenntnis des Objekts den objektiv gültigen Grundwert der Erkenntnis darstellt. (3) Diese Einheit ist nicht als der empirisch-synthetische Komplex der psychologischen Bewußtseinsvorgänge aufzufassen, sondern als die transzendental-synthetische Grundlage, als der Inbegriff und das Prinzip der "logischen Funktion der Urteile"; es ist diejenige Einheit, die sich dann in die Sonderwerte der einzelnen Synthesen, d. h. in die Kategorien und in die transzendentalen Grundsätze differenziert. In treffender Weise bezeichnet EDUARD von HARTMANN dieses Verhältnis zwischen der synthetischen Einheit der transzendentalen Apperzeption und den einzelnen Synthesen als Selbstdifferenzierung der logischen Determination von den allgemeinsten Beziehungsformen zu immer spezielleren. (4)

Überhaupt ist die Erfassung einzelner psychologischer Wahrnehmungen einzelner Vorstellungen, und um welche einzelnen Bewußtseinstatsachen auch immer es sich handeln mag, an die grundlegende Voraussetzung der Einheit gebunden. Zunächst muß die Einheit der Erkenntnis in ihrer Geltung gedacht werden, und dann erst kann von hier aus der Weg zur Bestimmung der einzelnen Bewußtseinsinhalte beschritten werden.

Die transzendentale Analyse sondert also die objektiv gültigen, d. h. die gesetzlichen Bedingungen der Erkenntnis aus dem empirisch-psychologischen Erkenntnisvollzug des Bewußtseins heraus, in der transzendentalen Einheit der Apperzeption und in den ihr ein- oder untergeordneten Synthesen (Raum- und Zeitanschauung, Kategorien, transzendentale Grundsätze) deckt sie solche Bedingungen und Grundlagen auf. Damit hat sie eine neue Geltungsordnung, eine selbständige Reihe von eigentümlichen Geltungswerten entwickelt. Damit hat sie einen Geltungszusammenhang von logisch-objektiver und objekti-logischer Bedeutung nachgewiesen.

b) Die Geschlossenheit und Selbständigkeit dieser Geltungsordnung muß nun gegen eine Überlegung gesichert werden, die mit Vorliebe dazu neigt, in den logischen Geltungszusammenhang ein nicht logisches Kriterium einzuführen, und zwar an grundlegender Stelle, und die auf diese Wiese, zwar ganz unbewußt, die Geschlossenheit und damit auch die Autonomie der logischen Struktur auflöst und zersprengt.

Wenn von dem logischen Geltungszusammenhang gehandelt werden, der theoretischen, begrifflichen erkenntnismäßigen Charakter besitzt. Damit ist gesagt, daß in diesem Zusammenhang kein Glied eintreten, daß für ihn kein Gesichtspunkt gültig gemacht werden darf, der dem logischen Sinn dieses Zusammenhanges nicht innerlichst angemessen ist, daß besonders für seine Begründung und Sicherstellung kein Kriterium verwendet werden darf, das der theoretischen Geltungsbedeutung dieses Zusammenhanges widerspricht. Und doch hat die ältere, formale Logik ein solches Kriterium gerade für den Zweck der letzten Sicherstellung der Erkenntnis oft gebraucht.

Seit altersher wird nämlich das Gefühl der Evidenz als das entscheidende Wahrheitskriterium anerkannt. Hier seien nur zwei Vertreter dieses Gedankens angeführt: SPINOZA und SIGWARTs. SPINOZA sagt: "Wer eine wahre Idee hat, weiß zugleich, daß er eine wahre Idee hat und kann an der Wahrheit der Sache nicht zweifeln." (5) Ferner heißt es in seinen Briefen einmal: "Das Wahre ist der Prüfstein seiner selbst und des Falschen." (6) Und SIGWART erklärt: "Ebenso wie das Gefühl der Gewißheit, welches auf logischen Gebiete das objektiv notwendige Denken scheidet von dem individuell zufälligen und durch wechselnde psychologische Motive bestimmten, ein Letztes ist, über das nicht zurückgegangen werden kann ..." (7)

Aber das Gefühl der Evidenz zur Grundlage der logischen Geltungssphäre machen, das bedeutet immer wieder eine Konzession an den Psychologismus, das bedeutet, jene Sphäre an ihrem tiefsten Punkte, nämlich bei der Begründung ihrer Geltung, auf ein Moment psychologischer Natur stützen wollen. Abgesehen von der logischen Unbestimmtheit und Unfaßlichkeit des Evidenzgefühls ist überhaupt kein Gefühl, und sei es das höchste und stärkste, sachliche ausreichend für die logische Begründung eines Zusammenhanges. Keines Erlebnisses Gewalt und Universalität können im mindesten die theoretische, die logische Geltung, sei es eines ganzen Zusammenhanges, sei es eines Teilbegriffes, verbürgen. Man kann die Schönheit eines Kunstwerkes noch so tief empfinden - so hat doch diese Empfindung mit der rein theoretischen und erkenntniskritischen Aufgabe, die in der Grundlegung der Ästhetik besteht, nichts zu tun. Die Empfindung ist, wie jedes psychologische Phänomen, ein seelischer Tatbestand. Ein solcher vermag keine begründende Funktion zu übernehmen, ein solcher hat keinen logischen Geltungswert, bedarf er doch selber der erkenntniskritischen Begründung.

In der Abweisung der "unmittelbaren Gewißheit" als des Kriteriums für die Geltung der Wahrheit im theoretischen, wissenschaftlichen Sinne unterscheidet sich die Wissenschaft von der Praxis des Lebens, für die das Kriterium der Evidenz fast immer die Bedeutung der endgültigen Sicherung und Besiegelung besitzt, (8) unterscheidet sie sich auch von jeglichem Erlebnis, und sei es das tiefste und erhabenste. Die logische Geltung begründen, das heißt, die begründende, erkenntnisstiftende, also kategoriale und systematologische Bedeutung nachweisen, die Begriffe, Urteile, Schlüsse innerhalb des Erkenntniszusammenhanges besitzen, das heißt zeigen, daß und inwiefern diese Begriffe, Urteile, Schlüsse, indem sie in dem Erkenntniszusammenhang auftreten, konstitutive Bedeutung besitzen für den logisch-objektiven Aufbau des Erkenntniszusammenhanges. Und indem gezeigt wird, daß sich der Erkenntniszusammenhang in und mittels jener logischen Elemente systematisch entfaltet, wird auch seine logische Eindeutigkeit und Notwendigkeit und damit seine grundsätzliche Verschiedenheit von dem psychologischen Erlebniszusammenhang erwiesen. Der theoretische Zusammenhang, den die Erkenntnis darstellt, und der die Geltung der Erkenntnis darstellt, ist ein Zusammenhang, der in jedem Punkte, in jedem Schritt den Charakter der Objektivität und Allgemeingültigkeit besitzt, und der in dieser seiner Struktur einer Begründung durch das Evidenzgefühl unbedürftig ist. Die Autonomie der Erkenntnis, m. a. W.: die Autonomie des theoretischen Begründungszusammenhanges darf nicht angetastet werden, wenn nicht Philosophie und Wissenschaft ihren Begriff aufgeben wollen.

Aber sie kann im logischen Sinne auch garnicht angetastet werden. Denn um einen Zweifel an der Autonomie der Erkenntnis auszusprechen und diesen Zweifel irgendwie zu begründen, muß die autonome Geltung der Erkenntnis als solche vorausgesetzt werden, wenn anders überhaupt jener Zweifel einen theoretischen Sinn, eine theoretische Geltung haben soll. Auch der Zweifler steht im System und in der Einheit der Erkenntnis, auch er ist nur ein Moment in der Erkenntnis. (9)

So steht die Erkenntnis vor uns als ein einheitlicher, autonomer, in sich gefestigter Begründungszusammenhang, dessen einzelne Glieder in der Form der Notwendigkeit zur Einheit der Erkenntnis zusammengeschlossen sind. Was im Begriff der Erkenntnis im letzten Grunde gedacht wird, das, was die innere Geltung, die logische Geltung dieses Begriffes ausmacht, ist der Gedanke des einheitlichen, streng geschlossenen, streng selbständigen Zusammenhanges der Erkenntnis, ist der Gedanke der objektiven Notwendigkeit dieses Zusammenhanges. Im Begriff der Erkenntnis werden alle einzelnen Erkenntnisse notwendig auf die Einheit, auf die einheitliche Ordnung der Erkenntnis bezogen. In ihm wird notwendig die Einheit der Erkenntnis und die Erkenntnis notwendig als Einheit gedacht. So bezieht sich die Geltung der Erkenntnis auf die Einheit der Erkenntnis, die als geltend gedacht wird. Und die Geltung der einzelnen Erkenntnisse und einzelnen Erkenntnisgebiete ist abhängig von der grundsätzlichen und grundlegenden Geltungseinheit der Erkenntnis; sie ist in dieser gesetzt und begründet. Die Erkenntnis überhaupt stellt eine Geltungseinheit dar, durch welche alle Teileinheiten der Erkenntnis ihre prinzipielle und methodische Sicherung erhalten.

Der Begriff des logischen Geltungszusammenhanges enthüllt sich uns somit als der Begriff der einheitlichen Geltung der Erkenntnis. Unter dem logischen Gesichtspunkt ist unter Geltung die objektive Geltung der Einheit der Erkenntnis zu verstehen.

Was aber heißt objektive Einheit der Erkenntnis?
LITERATUR, Arthur Liebert, Das Problem der Geltung, Berlin 1914
    Anmerkungen
  1. Hermann Cohen, Logik der reinen Erkenntnis, 1902, Seite 3
  2. Hermann Cohen, Logik der reinen Erkenntnis, 1902, Seite 3
  3. Streng genommen kann man überhaupt nicht von der subjektiven "Einheit" des Bewußtseins sprechen. Denn diese Einheit ist nur eine scheinbare, insofern als sie das veränderliche Resultat einer Vielheit veränderlicher psychologischer Faktoren darstellt.
  4. Eduard v. Hartmann, Kategorienlehre, 1896, Seite VIII, X
  5. Spinoza, Ethik II, Lehrsatz 43: Qui veram ideam habet, simul scit se veram habere ideam, nec de rei veritate potest dubitare; [Wer eine wahre Idee hat, weiß gleichzeitig, dass er eine wahre Idee hat, und kann nicht an der Wahrheit der Sache zweifeln. - wp] vgl. auch II, Lehrs. 21 Anm.
  6. Spinoza, Brief 74: Est enim verum index sui et falsi. [Denn die Wahrheit ist das Kennzeichen von Selbst und Falschheit. - wp]
  7. Sigwart, Logik II, 3. Auflage, Seite 755f
  8. Sehr gute Ausführungen gibt in dieser Richtung Wundt, Logik, Band I, Erkenntnistheorie, 1906, Seite 407f, besonders Seite 410: "In der ungeheuren Mehrzahl der Menschen regt sich niemals der Gedanke, daß man andere Kriterien der Wahrheit als diese (sc. "unmittelbare Gewißheit") verlangen könne, und selbst ihrer werden sie sich nur unvollständig bewußt. - Die Wissenschaft, gelangt aber bald zu der Überzeugung, daß, was für die Zwecke des praktischen Lebens als objektiv gegeben angenommen werden kann, dennoch nicht die zureichende Bürgschaft objektiver Gewißheit in sich trägt". Vgl. ferner Benno Erdmann, Logik I, Band, zweite Auflage 1907, Seite 525: "Die Selbstverständlichkeit fällt diesem ihrem Sinne nach mit der Notwendigkeit der Geltung nicht zusammen".
  9. Vgl. die soeben erschienene, ausgezeichnete Studie von Hönigswald, Die Skepsis in Philosophie und Wissenschaft, 1914, z. B. Seite 14f: "Ein Zweifel, der auf Gründen beruht, wird nun mit Recht als ein Zweifel bezeichnet werden dürfen, der Wissenschaft zu seiner Voraussetzung hat. Er ist sicherlich ein Zweifel gemäß den Bedingungen der Wissenschaft; in solchem Sinn also auch ein Zweifel "innerhalb der Wissenschaft"; vgl. ferner Seite 17, 130f