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ANTON MAXSEIN (1)
Der Begriff der Geltung
bei Lotze


"Die erste Leistung des Denkens bezeichnet Lotze als Beginn einer Objektivierung. - Ihr Gegenständliches ist die Empfindung. Sie ist das sinnliche Gefühl, ein Zustand unseres Befindens, eine Art, wie uns zumute ist. Nicht immer sind wir imstande, einen Namen für diesen Zustand zu finden. Gelingt es uns, dann steht die Empfindung in einer bestimmten Gesetalt vor uns, wir haben eine Vorstellung. Die Verwandlung eines Eindrucks in eine Vorstellung ist vollzogen. Das Ungeschiedene, Mannigfaltige der Eindrücke wird also zunächst durch das Denken geordnet - das sinnliche Gefühl erhält diese oder jene bestimmte Bedeutung. Das Denken erzeugt in den zunächst noch isolierten Vorstellungen, die bloß ein Zusammensein im Bewußtsein haben, das Material, die Bausteine, die es später zu einem Sinngefüge der Zusammengehörigkeit verbindet."

In LOTZEs Philosophie spielt der Begriff der "Geltung" eine wichtige Rolle. Diese ist ihm eine bestimmte Form der Wirklichkeit. Wirklich nennen wir nach LOTZE ein Ding, das ist, ein Ergebnis, das geschieht, ein Verhältnis, das besteht, endlich bezeichnen wir als wirklich wahr einen Satz, der gilt. Es könnte scheinen, daß die Geltung durch die Bejahung eines denkenden Subjekts Wirklichkeit erhält. Indessen soll Wirklichkeit das Objektive bedeuten, das sich in verschiedenen Formen gibt, das vom Subjekt immer nur als Bejahung gedacht werden kann, deswegen aber unabhängig von diesem ist, geschieht oder gilt.

Wirklichkeit ist das Charakteristikum aller Gegebenheiten. Dennoch sind die einzelnen Wirklichkeitssphären unabhängig voneinander. Weswegen dann auch das, was mit dem Gelten gemeint ist, sich nicht von etwas anderem ableiten oder aus anderem erklären läßt (2). So ist es unmöglich, die Geltung als Abschwächung oder Modifizierung des Seins, wie es den Dingen zukommt, oder als Geschehen, wie es der Ablauf der Vorstellungen darbietet, etwa in verfestigter Form, zu erklären. Der Begriff des Geltens leugnet vom geltenden Inhalt ebensowohl die Wirklichkeit des Seins, wie er auch die Unabhängigkeit von unserem Denken behauptet (ebd. Seite 513).

Eine letzte Aufklärung über das Wesen der Geltung erhalten wir dadurch nicht. Es läßt sich, sagt LOTZE, nicht angeben, wie es gemacht wird, daß eine Wahrheit gilt. Man muß eben diesen Begriff als einen durchaus auf sich beruhenden Grundbegriff ansehen, von dem jeder wissen kann, was er mit ihm meint, den wir aber nicht durch eine Konstruktion aus Beschaffenheiten erzeugen können, welche ihn selbst nicht bereits enthielten." (Logik 513)

Es bleibt uns also überlassen, aufgrund der Aussagen, die LOTZE bezüglich des Geltungsbegriffs macht, unsere Meinung darüber zu entwickeln und zu formulieren.

Es liegt nahe, den Begriff der Geltung - als objektiven Sinngehalt - von der Logik aus zu verstehen. Nun ist es aber typisch für den Systemcharakter der Philosophie LOTZEs, daß keine ihrer Einzeldisziplinen unabhängig von anderen dasteht. Sie entstammen derselben einen Wurzel. Es gilt daher, das Kernstück seiner Philosophie herauszuschälen, den Nerv seines Systems zu entdecken, um von hier aus kritisch Stellung zu einer philosophischen Äußerung - wie dem Begriff der Geltung - zu ermöglichen.

GEORG MISCH (Logik, LXXXI) sieht den Schlüssel zu LOTZEs Philosophie mit Recht da, wo in der Ontologie die "dualistische Spitze der Zweiweltentheorie", Wirklichkeit, die ist, und Wahrheit, die gilt, abgebrochen wird durch den monistischen Satz:
    "Alle notwendigen Wahrheiten , denen wir das Seiende unterordnen zu können glauben, sind nur Natur und Konsequenz des Seienden selbst und werden nur durch eine Reflexion des Denkens von ihm abgelöst und ihm als gebietendes Prius zurückdatiert."
Diesem Zitat entsprechend wäre die Geltung gesetzt aufgrund des Seienden. Damit ist unserer Untersuchung über das Geltungsproblem und der erkenntnistheoretischen Begründung des Apriori der Weg gewiesen.

Wir haben zunächst herauszustellen, was LOTZE unter einem Seienden versteht, von dem wir Wahrheiten ablösen, weiterhin müssen wir darlegen, wie sich die Reflexion des Denkens vollzieht, die das gebietende "Prius" setzt. Es rückt zunächst das Problem der Wirklichkeit, die Metaphysik, in den Brennpunkt des Interesses.

Gegen die beliebte Methode, eine bestimmte Erkenntnistheorie als unvermeidliche Voraussetzung allem Philosophieren voranzustellen, wendet sich LOTZE in seiner "Metaphysik": "Das beständige Wetzen der Messer ist langweilig, wenn man nichts zu schneiden vorhat." (Logik CXXII). Seine erkenntnistheoretischen Erwägungen wachsen organisch aus seinen metaphysischen Erörterungen - die zugleich das objektiv notwendige Wahre behandeln. Er übt eine immanente Erkenntniskritik.

Wie verankert LOTZE die Gültigkeit der metaphysischen Erkenntnis? Am Ende der Metaphysik stellt LOTZE die Frage, wieso es kommt, daß das Wirkliche geschehen ist, daß diese Entwicklung das Erkennen so beherrscht, daß in ihm nichts als derselbe teleologische Prozeß erkannt wird. Seine Antwort typisiert den Kern seiner Metaphysik und damit seine gesamte Philosophie. Das Geschehen ist nicht nur da, weil es eben da ist und die Ruhe nun einmal fehlt, sondern
    "weil das Gute die wahrhafte Substanz der Welt ist, es selbst aber nur in diesem Prozeß da ist, was es ist, deswegen ist alles Sein in die Form des Guten gegossen, um deswillen es ist." (M 326). "Die Apodiktizität des Daseins kann nur dem Guten zugesprochen werden." (M 324)
Dieses letzte soll nicht von fremder Notwendigkeit als ein Seinsollendes an diesen metaphysischen Platz gestellt werden, "sondern vermöge seiner Natur forderte es diesen Platz". (M 325) - Allem Sein zugrunde liegend, beherrscht dieses Sollen die gesamte Wirklichkeit. Es wird zum Dikatator auch der Erkenntnis.

Das Gute muß sich verwirklichen - es offenbart sich als ontologischer Gehalt in der Mannigfaltigkeit der kosmologischen Formen, es ruft zunächst den objektiven Schein hervor. Damit nicht an der Grenze der Tat angelangt, will es Er-scheinung werden für ein Subjekt, denn nur durch das erkennende Wesen wird es zu dem, was es sein soll.
    "Der sein sollende wahrhafte Inhalt der Welt verlangt seiner inneren Bestimmtheit nach ein System von Gründen, um durch das Zusammenwirken des Seienden nach jenen Gründen sich selbst zu verwirklichen." (M 323)
Das Wesen der Dinge besteht nich in Gedanken und das Denken ist nicht fähig, es zu fassen. Der ganze Geist aber erlebt dennoch, vielleicht in anderen Formen seiner Tätigkeit und seines Begriffenseins den wesentlichen Sinn allen Seins und Wirkens ...
    "Der Schatten des Altertums, seine unheilvolle Überschätzung des Logos, liegt noch breit über uns und läßt uns weder im Realen noch im Idealen das bemerken, wodurch beides mehr ist als alle Vernunft." (Mikrokosmus III, Seite 243/44)
Es ist demnach klar, daß die trennende, wägende, unter- und überordnende Ratio Lotzes teleologischen Idealismus nie restlos auflösen, ihn nie ganz verstehen kann. Wie für LOTZE das Weltall aus einem Guß ist, und der Geist, "das tätige Wesen von der Substanz des Guten" (M 327) als Urgrund alles Seienden im Universum lebt und webt, so ist auch nur aus und it dem ganzen Geist das Weltall zu erfassen.

Dieser ganze Geist hat den Charakter eines lebendigen, zielstrebigen Ethos - das nur in seiner Verwirklichung, in der Bewegung und Tat, sich selbst hervorbringt, Wahrheit schafft. "Die Wahrheit ist nicht das Prius, sondern sie hängt daran, daß das Reich des Guten sie als ihre notwendige Voraussetzung sowohl ihrem Dasein als ihrer Bestimmtheit nach hervorbringt." (M 328)

Und dennoch muß das Gute diese Wahrheit zugleich sein. Als Erfüllung des Geistes - des Guten und seiner Aufgaben, ist die Wahrheit auch dessen Wesen, dessen Inhalt. (Wahrheit ist also Wirklichkeit.)

Das Seiende ist zunächst erfaßt in der Gestalt der Meinung. Der ganze Geist erinnert sich seiner Wahrheit und besitzt sie eher, als er sie wissenschaftlich erkennt. Sie soll jedoch ihres dumpfen, individuellen Stimmungscharakters entkleidet, zu einer Allgemeingültigkeit erhoben werden. Der Geist ruft zur Begründung seiner selbst die von ihm geschaffenen Kategorien zu Hilfe. Er erfüllt sich. "Dieses Übergehen aus dem vorausgesetzten Wesen durch die Erscheinung zu einem erfüllten Wesen ist die Seele der Metaphysik." (M 325)

Aus dieser kurzen Darlegung erkennen wir, daß LOTZE Sein und Denken auf das "Gute" zurückführt - Metaphysik wie Logik auf die Ethik gründet. Danach wäre die Setzung der "Geltung" eine Setzung durch die Wahrheit selbst bzw. durch das Gute. Das Gute erweist sich als objektives Seinsapriori. Im Interesse der "Geltung" als Aprioriproblems stellen wir heraus, ob und in welchem Sinn LOTZE außer jenem objektiv Wahren, dem metaphysischen Seinsapriori, ein erkenntnistheoretisches Apriori kennt.

Die dem Denken jenseitige Wirklichkeit ist der Bereich des Realen, der Dinge, sofern sie sind und der Ereignisse, sofern sie geschehen. (L 570). Sie ist "die schweigende, unsichtbare Welt der kosmologischen Dinge, die über die Empfindung zu einer wahrhaften Erscheinung kommen muß"; denn "die Natur bringt als ihren Gipfel notwendig die Empfindung hervor". (M 269). Erkenntnis besteht für LOTZE nicht bloß in dieser Aufnahme von Eindrücken, sie fordert eine Rückwirkung, deren Form von der Natur des angeregten Geistes abhängt. WINDELBAND (Geschichte der Philosophie, Leipzig 1903, Seite 528) charakterisiert LOTZEs Stellung "durch die Auffassung der Erkenntnis einer jener lebendigen und zweckvollen Wechselwirkungen zwischen der "Seele" und anderen Substanzen." Jene Denkformen sind für LOTZE nicht Denkleistungen, sondern Denkakte (L XXXVII). Leistungen werden hervorgebracht durch Denkakte und aufgrund des "Gegebenen" - dem erlebten Inhalt der Empfindungen. Ihr Ergebnis ist eine Objektivierung durch das Subjektive.

Die Subjektivität ist die Geburtsstätte alles Wirklichen. "In der Ausbreitung der Subjektivität gipfelt der ganze teleologische Zusammenhang der Seinsweisen." (L XVIII) Ihr Wert (subj.) "besteht darin, die Verwirklichung jenes Ansich zu erschaffen. So sind die Kategorien von der höchsten Wahrheit, weil sie subjektiv sind." (M 328)

Die erste Leistung des Denkens bezeichnet LOTZE als Beginn einer Objektivierung. - Ihr Gegenständliches ist die Empfindung. Sie ist das sinnliche Gefühl, "ein Zustand unseres Befindens, eine Art, wie uns zumute ist". (L 15) Nicht immer sind wir imstande, einen Namen für diesen Zustand zu finden. Gelingt es uns, dann steht die Empfindung in einer bestimmten Gesetalt vor uns, wir haben eine Vorstellung. Die Verwandlung eines Eindrucks in eine "Vorstellung" ist vollzogen.

Das Ungeschiedene, Mannigfaltige der Eindrücke wird also zunächst durch das Denken geordnet - das sinnliche Gefühl erhält diese oder jene bestimmte Bedeutung. Das Denken erzeugt in den zunächst noch isolierten Vorstellungen, die bloß ein Zusammensein im Bewußtsein haben, das Material, die Bausteine, die es später zu einem Sinngefüge der Zusammengehörigkeit verbindet.

Die dumpfe, unklare Empfindung erhält durch die Bezeichnung einen bestimmten, bewußten Inhalt. Die Vorstellung ist ein Inhaltliches, das unabhängig vom empfindenden Subjekt etwas bedeutet, das "dies zu sein und zu bedeuten fortfährt, gleichviel ob unser Bewußtsein sich auf es richtet oder nicht." (L 15) Aus der subjektiven Empfindung ist die objektive Bedeutung gestaltet. Das Denken hat die Bedeutung des Empfindungsinhaltes getrennt vom Zustand der subjektiven Erregung, vom Sein. "Der Inhalt wird herausgerückt in die Sphäre des Denkbaren - nicht in eine äußere Wirklichkeit". (L 16)

Von Bedeutung ist diese Leistung des Denkens für das Urteils- und Schlußverfahren, sofern es in jenen Vorstellungen bereits eine logische Formung als Substantiv, Adjektiv oder Verbum gibt, die eine bestimmte logische Zuordnung im Satz zwar nicht praktisch vornimmt, aber dieses Sinnstatuieren doch bereits in sich schließt, da die logische Formung eine Unterscheidung des Empfundenen und in dessen Bezeichnung eine Identifizierung des Empfundenen mit diesem selbst fordert.
    "Kein Name für irgendeinen Inhalt kann geschaffen werden ohne diesen als mit sich selbst gleich, als verschieden von anderen, endlich als Vergleichbar mit anderen gedacht zu haben. " (L 25)
Diese Tätigkeit ist zum Teil die Antwort auf eine Frage, die sich unmittelbar an die Namensgebung anschließt: wie es denn kommt, daß ich treffend forme; denn
    "das Denken steht nicht mit einem Bündel logischer Formen in der Hand dem Gewimmel der anlangenden Eindrücke gegenüber, ratlos, welche dem einen, welche dem andern sich überstreifen lassen." (L 24)
Die Denkfähigkeit ist notwendig. Sie ist rückwirkend, reagierend auf die bestehenden Verhältnisse, bzw. auf ihre entsprechenden Eindrücke. Es besteht also ein Zusammenhang zwischen den sachlichen Gegegebenheiten und der logischen Denktätigkeit. Letztere wird von LOTZE als formal charakterisiert, weil ihre Eigentümlichkeiten zwar nicht die eigenen Bestimmungen der Sachen sind, aber doch Formen des Verfahrens, eben die Natur der Sachen zu erfassen und deshalb nicht fern jedem Zusammenhang mit dem sachlichen Verhalten selbst. (L 570) Der Zusammenhang ist psychologisch aufweisbar, nicht aber beweisbar, weil im wesentlichen uns verborgen. LOTZE hat somit die Sacheinsicht auf die Erkenntnis gegründet, er hat das Verhältnis zwischen Gegenstand und erkennendem Subjekt gezeichnet, maßt sich indessen nicht an, das Geheimnis des Erkennens, daß wir Gegenständliches erfassen, erklärt zu haben. Es ist ein metapsychisches Problem, das zu lösen seine Mittel nicht ausreichen.
    "Auf welche Weise dieser letzte Schritt vollbracht iwrd, das unmittelbare Innewerden der notwendigen Wahrheit, die in den vollständig vorhandenen Beziehungsgliedern liegt, darüber ist jetzt gewiß, für mich nicht weniger gewiß in aller Zukunft, jede weitere psychologische Analyse unmöglich." (L 593)
Schon jene ersten Denkhandlungen waren ein Ineinssetzen und Trennen. Es müssen also dem Geist Prinzipien eignen, die ihm als Maßgabe dienen. Besäße er sie nicht, dann könnte er nicht denken. Sie kommen ihm wesentlich zu. Doch kommen ihm diese seine höchsten Grundsätze erst zu Bewußtsein "auf Veranlassung eines bestimmten Beispiels oder eines Falls, den Wahrnehmung oder Einbildungskraft ihm vorführen." (L 595)

Was für jene allgemeinen Wahrheiten gilt, hat erst recht Bedeutung für spezielle Erkenntnisse. Wahrheit als bequemes Besitztum des Geistes, als "selbstverständlichen, unablässigen Inhalt des Bewußtseins" gibt es für LOTZE nicht. Darum sind auch mathematische Wahrheiten, die uns am ehesten als angeboren erscheinen könnten, von einer realen Sachlichkeit abhängig.
    "Entdeckt wurden die elementarsten von ihnen, sobald die Aufmerksamkeit eine Veranlassung erhielt, von den höchst mannigfaltig gezeichneten Raumfiguren, mit denen uns die Wahrnehmungswelt umgibt, sich auf die einfachsten Beziehungen zu richten, die in ihnen allen enthalten sind; dann sprang unmittelbar die evidente Wahrheit der einzelnen Grundsätze als selbstverständlich hervor." (L 594)
Was für die Vorstellung einer Zahlengröße überhaupt, wie für die bestimmtere ihrer Summierbarkeit und jedem arithmetischen Satz in Frage kommt, nämlich, daß sie nie "ohne Veranlassung, die zuletzt immer durch äußere Anregungen erfolgt, in unser Bewußtsein treten", dies gilt für LOTZE im Prinzip überhaupt.

Alle Erkenntnis beruth auf einer Einsicht in reale Sachverhalte. Doch besteht ein Unterschied zwischen allgemeinen Wahrheiten - wie den Denkgesetzen: "Satz der Identität, des Widerspruchs, vom ausgeschlossenen Dritten oder disjunktives Gesetz" - und den übrigen allgemeinen und speziellen Erkenntnissen. Jene sind, wie schon gesagt, Eigentum des subjektiven Geistes, wie er vom metaphysischen Geist gesetzt ist, und werden bei Anlaß einer Erfahrung, bei der sich ein Denken betätigt, zu Bewußtsein gebracht. Sie werden Erkenntniswahrheiten. Letztere entstehen aus einer sachlichen Gegebenheit mit Hilfe des Denkens.

Die Art der Denkformen LOTZEs erinnert an jenes funktionale Apriori bei KANT, an die im Gemüt bereitliegenden Formen, welche bei Anlaß der Empfindungen in Tätigkeit treten. Doch ist das kantische Apriori "ein absolutes Prius aus sich selbst." LOTZEs "moralischer Idealismus stößt ein solches Gängeln des Geistes am Leitfaden eines für ihn völlig zufälligen Komplexes absolut notwendiger Formen mit entschiedener Evidenz zurück." (L XLVIIf) Bei aller Anerkennung für den kritisch-rationalen Begriff des Apriori hatte LOTZE doch gelernt, daß man hinter die Trennungen KANTs auf den Zusammenhang der apriorischen Vernunftformen zurückgehen muß". (Misch, Einleitung in L. XXV) Ihre Wurzel ist wiederum der ganze, ontologische, universale Geist. Ihm entstammt der menschliche Geist, der "tätige Kraft von der Substanz des Guten" ist. Dieser Ursprung bürgt für die objektive Geltung der logischen Formen.

Der ganze "Bestand des Apriorischen" darf aus demselben Grund - nämlich weil im Wesentlichen nicht eigenwüchsig - auch nicht eigenwillig sein, sondern ist dem Dienst dieses Geistes verpflichtet. Er offenbart sich als Nachbildung des innerlichsten Wesens des Geistes. So ist der Satz der Identität das höchste Denkgesetz, "weil er zugleich die tiefste Natur des Geistes ausdrückt nach der Seite hin, wo er nicht als bloße Intelligenz, sondern als sittlicher Geist erscheint". (L. XLVIII) Das denkende Ich, sich selbst getreu, erfaßt nicht nur mit logischer Notwendigkeit, sondern aus sittlicher Verpflichtung das Gegebene in seiner Wesenseinzigkeit. Der Fortgang über KANT mußte bei LOTZE mit der Verankerung des subjektiven logischen Apriori in einem objektiven ethischen Apriori enden. So konnte LOTZE aus seinem Gedankenkreis heraus mit Recht behaupten: "So "wie der Anfang der Metaphysik, so liegt auch der der Logik in der Ethik, und zwar durch das Mittelglied der Metaphysik selbst." (L. XLVIII)

KANT hatte die erkenntnistheoretische Kernfrage aufgeworfen: wie sind synthetische Urteile apriori möglich? und darauf geantwortet: indem das Ding-ansich die Materie, das Subjekt die Form gibt. Das Denken schafft sich Sachverhalte. Wahrheit ist für KANT nur im Urteil. Kriterium ist die Übereinstimmung des Denkens mit den apriorischen Denkregeln. Er hat also das Prinzip der objektiven Gewißheit in subjektiven Gesetzen begründet.

Für LOTZE ist die Realität vom Geist durchlebt, und von ihm hat sie Wahrheit. Dem Denken sind Sachverhalte gegeben. Zwischen beiden besteht ein Wechselbezug. Wahrheit kommt dem Urteil zu, wenn es Sachverhalte in ihrem So- und Nichtanderssein faßt. Wahrheitskriterium ist also subjektive Gewißheit aufgrund objektiver Evidenz.

Da die höchsten Denkgesetze uns nur bei Gelegenheit eines Falles - also der Erfahrung - zu Bewußtsein kommen und auch für ihre Notwendigkeit die objektive Evidenz als letzte Instanz in Frage kommt, so ist auch für alle Fälle, deren Wahrheitsgewißheit auf die Anwendung des Identitätsgesetzes gegründet wird, für die also die logische Evidenz spricht, die objektive Evidenz der ursprüngliche Beweisfaktor.

Damit sind die höchsten Denkgesetze nicht ihrer Bedeutung entkleidet. Die Faktizität des A = A ist ontologisch notwendig; die Erkenntnis dieser Identität ist logisch (bzw. ethisch) notwendig. Beide Notwendigkeiten entsprechen sich. Sie sind bedingt (metaphyisch) im Ethischen - dem idealen Seinsapriori.

Es ist also das logische Denkgesetz in jeder Beziehung notwendig. Es ist von der Metaphysik her gesehen (angeboren) apriorisch und bloß als Bewußtseinsphänomen (als Erkenntnis) abhängig.
    "Nicht in dieser ihrer Eigenschaft, dem Geist angeboren zu sein, werden jene (angeborene) Wahrheiten erfahren, sondern die sachlich Selbstverständlichkeit ihres Inhaltes fällt uns zuerst auf und macht sie, nachdem irgendein Beispiel uns veranlaßt hat, sie zu denken, von aller Bestätigung durch fernere Beispiele, mithin von der Erfahrung unabhängig." (L 527)
Als Identifizierungsprinzip ist das oberste logische Denkgesetz maßgebend in jedem Denkprozeß. Es ist jedoch nicht die treibende Kraft in der Schöpfung von Synthesen - und gerade auf diesen beruth die Fruchtbarkeit der Denkarbeit. LOTZE führt an, daß im Satz der Identität nicht die mindeste Hindeutung auf einen Gegensatz zwischen Form und Inhalt liegt, daß sich sein Vermögen in der dauernden Wiederholung erschöpft, daß jede Form mit sich selbst und jeder Inhalt mit sich selbst identisch ist, daß aber doch alles von der Berechtigung abhängt, Verschiedenes gleichzusetzen.
    "Und diese Berechtigung fließt, unmittelbar zumindest, nicht aus dem Sinn des Identitätsprinzips". (L 585) "Denn daß nun A = A gilt, worauf beruth es dann, daß wir diesen Satz unbeanstandet als eine verständliche Wahrheit betrachten, wenn nicht auf der unmittelbaren Evidenz, mit welcher er sich uns aufdrängt und keine weitere Vermittlung seiner Gewißheit wünschenswert macht?" (L 606)
Aus der metaphysischen Grundüberzeugung LOTZEs, der die Wirklichkeit als Einheitliches, als Ganzes, faßt, folgt, daß der Sachverhalt des A + B = C mit derselben ontologischen Notwendigkeit besteht wie die Sichselbstgleichheit des A = A. Wie wir nun dieses A = A unbeanstandet als eine verständliche Wahrheit betrachten, weil es sich nur als unmittelbar evident aufdrängt, so sind wir in demselben Maß berechtigt, synthetische Wahrheiten wie A + B = C, wenn sie uns in unmittelbarer Anschauung aus dem Sachverhalt herausleuchten, für Wahrheit anzusehen.

Das Organ, dem also in jedem Fall die objektive Evidenz aufgeht, ist die unmittelbare Anschauung, die LOTZE im Gegensatz zum diskursiven Denken kennzeichnet: "Ihre Leistung vollzieht sich so mit einem Schlag, daß keine Schritte zu unterscheiden sind, die zu einer Beschreibung Anlaß gäben." (L 592) Sie ist überdies das einzige Mittel, allgemeingültige und notwendige Erkenntnis zu erlangen. Allgemeinheit und Notwendigkeit sind auch für LOTZE die Eigenschaften, die die apriorischen Erkenntnisse auszeichnen. (L 538)

Damit ist nun die Apriorität der synthetischen Urteile nicht mehr gegründet, wie LOTZE sich ausdrückt, auf Anschauungs- und Denkformen, sondern auf das Was, "auf die sachliche Selbstverständlichkeit ihres Inhalts." (L 537)

Die Frage nach der Apriorität im Sinne eines Angeborenseins überläßt LOTZE der Metaphysik und beschränkte den Gebrauch des Namens Apriori dahin,
    "daß jene Erkenntnisse apriori sind, die nicht durch Induktion oder Summation aus ihren einzelnen Beispielen entstehen, sondern zuerst allgemeingültig gedacht werden und so als bestimmte Regeln diesen Beispielen vorangehen." (L 593)
Wir wollten herausstellen, ob LOTZE, abgesehen von einem metaphysischen Seinsapriori ein erkenntnistheoretisches Apriori annimmt: die logischen Denkgesetze sind ihm ein angeborenes Apriori, insofern der ontologische Geist sie zu seiner Verwirklichung im subjektiven Geist mit Notwendigkeit hervorruft. Alle subjektive Erkenntnis ist nach LOTZE auf eine reale Sacheinsicht gegründet. Reale Sachverhalte erkannten wir als Wahrheiten, die ihren Grund im apodiktischen Guten tragen. - Das Gute mußten wir als Seinsapriori verstehen. Was aber bedeutet die apriorische "Geltung", die vom "Sein" zu trennen ist? Wir konnten nicht ermitteln, wie LOTZE die Wirklichkeit der Geltung begründet. Geltungen waren - wie uns aus der erkenntnistheoretischen Erörterung klar wurde - dem subjektiven Geist nicht als Gegenständliches gegeben. In der Einführung zitierten wir den Satz, daß sich nicht angeben läßt, wie es gemacht wird, daß eine Wahrheit gilt. LOTZE betrachtet diese Begriff als einen auf sich beruhenden Grundbegriff. Wir kommen auf unsere Vermutung zurück, daß sich der Sinn von LOTZEs Geltungsbegriff aus der Logik erklären läßt. Im Laufe der erkenntnistheoretischen Darlegung festigte sich die Einsicht, die wir bereits bei der kurzen Darstellung seiner Metaphysik gewannen, daß LOTZE Logik wie Metaphysik auf die Ethik gründet, daß er Denken wie Sein auf das Gute zurückführt. Wir müssen darum versuchen, vom Wesen des Seinsapriori her uns einen Zugang zum Geltungsapriori zu verschaffen.

In der Logik (Seite 538) hat LOTZE das Wesen des Apriori dem Inhalt zuerkannt, der, einmal gedacht, sich selbst ewige Geltung, der Erfahrung vorgreifend, zuschreibt.

Die apriorische Geltung tritt hier im Zusammenhang mit dem Denken auf. Nicht aber das Denken, sondern sie selbst bestimmt ihr Wesen.

Die Geltung, die, wenn sie gedacht wird, sich als unabhängig von psychologischen Momenten erkennt, ist nur ein Spezialfall der Geltung überhaupt. Auch dieses bewußt gewordene Apriori gehört zu jenen ewigen Ideen, die unabhängig sind "von dem Geist, der, indem er sie denkt, sie nicht schafft, sondern nur anerkennt. Auch die niemals vorgestellte Wahrheit gilt". (L 515)

Erinnern wir uns an das Zitat, daß alle notwendigen Wahrheiten Natur und Konsequenz des Seienden selbst darstellen. Diesem Sinn entspricht auch jene Behauptung der Metaphysik, daß die Wahrheit nicht das Prius ist, sondern daß das Reich des Guten sie hervorbringt.

Bedenken wir dann, daß LOTZE in der Deutung der platonischen Ideenlehre die ewige Geltung der Wahrheit betont, gleichviel ob es Dinge gibt, die sie in der realen Welt zur Erscheinung bringen oder nicht. Die Wirklichkeit der Geltung bleibt unberührt vom Wechsel der vergänglichen Dinge, die sich bald mit ihnen schmücken, bald nicht (L 513-14). So ergibt sich eine bestimmte Gegenüberstellung. Dem Wesen des Prius des Guten entsprach die Notwendigkeit der Verwirklichung. Die Geltung war erhaben über die Wirklichkeit des Seins. Danach sind sich also die Wirklichkeitssphären des Seins und des Geltens wesensfremd. Widerspruchsvoll und befremdlich klingt deshalb die monistische Behauptung, daß alle notwendigen Wahrheiten Wesen und Inhalt des Seienden, ja vom Guten hervorgebracht sind. Wie läßt sich aus diesem offenbaren Widerspruch das Wesen der Geltung gegenüber dem des Seins ins rechte Licht setzen?

Der Geist, das Gute, bringt die Wahrheit hervor, kommt zur Erfüllung auf dialektischem Weg - über das Subjekt und seine Erkenntnis. Für LOTZE gibt es nicht nur Wahrheit in einem logischen Urteilssinn. Wahrheit ist ihm reale Wirklichkeit (altgriechische und scholastische Auffassung). "Das Seiende, das wesenhaft Seiende" hat "sicht zur Wahrheit und nicht zur inneren Haltlosigkeit eines Traumes aneinander gefügt". (M 88)

Die früheste Tat des Geistes ist nach LOTZE, Wahrheit in einem realen Sinn der Sachverhalte zu erzeugen. Die Anerkennungen dieser geordneten, vom Geist durchlebten Außenwelt geschieht durch das Subjekt mit Hilfe der notwendigen Kategorien, aus denen derselbe Geist spricht und die ein Urteil über diese Sachverhalte erst möglich machen. In diesem Sinn ruft der Geist die Wahrheit als logischen Urteilssinn hervor und ist er auch ihr Prius.

Die reflektierende Vernunft datiet den Urteilssinn vor den Sachverhalt, das will besagen: sie erfaßt nicht nur diese und jene Wahrheit - nicht nur Wahrheiten, sondern in und mit ihnen das Wesen der "Wahrheit", nämlich absolute Geltung zu besitzen und Urprinzipien alles So- und Nichtandersseienden zu verkörpern.

Wir wissen nur um Geltungen und ihren Charakter, weil wir sie gedacht haben; wir verbinden aber daraufhin in unserem Denken mit diesen Geltungen den Glauben, daß sie sich nicht erschöpfen im Gelten für ein Subjekt - sondern daß sie unabhängig sind vom denkenden Individuum, daß sie ein "Ansich" verwirklichen.

Es gibt also ein Gelten von Sachverhalten; und da Sachverhalte gedacht werden, wird das Gelten von Sachverhalten ein Gelten für denkende Individuen. Es leuchtet somit ein, daß nicht alle Urteile ihre Geltung haben. Faßt das subjektive Urteil das So- und Nichtanderssein des Sachverhalts, dann anerkennt es die Geltung, es wird ihr gerecht. Es kommt ihm daraufhin Wahrheit zu. Nur dem wahren Satz entspricht also Geltung.

Daß der reflektierende Geist die erkannte Wahrheit dem Seienden als gebietendes Prius vordatiert, ist eine Erkenntnistat, die der Gedankenführung LOTZEs im Aufbau des Seins und Erkennens entspricht. Sie ist der Rückweg des Geistes.

Wir haben den Geist als Schöpfer der Sachverhalte und Sinngehalte gezeichnet. Er verdankt seine eigene Bestimmtheit der Substanz des Guten. Das Wesen des Guten ist es, sich dauernd tatkräftig so und nicht anders zu verwirklichen. Ihm entspricht wesensmäßig eine apriorische Begründung. Sie liegt im Charakter des Apodiktischen, der Geltung. Die Geltung ist schlechthinnige Wirklichkeit, die allen Sinn überhaupt in sich begreift. Es könnte sich der ganze Geist nie erfüllen, wenn ihm nicht ein Sinn gebieten würde. Das Gute ist das Organ, das Gelten macht zum Gelten-für. Geltung ist das Apodiktische schlechthin - Gelten überhaupt und Gelten-für.

Wir sagten: es gibt Geltungen von Sachverhalten. Wie das Wesen des Apriori nicht aufgeht im "für das Subjekt", ihm dieses Charakteristikum vielmehr zukommt wegen und aufgrund seiner schlechthinnigen Unabhängigkeit, ebensowenig ist das Apriori restlos ein Gelten für das Ding. Es ist das Apriori überhaupt und damit herrschend über und vorherrschend einer jeden Stufe der Verwirklichung des Guten. "Diese Wahrheit" ist "ein wesenhaftes, aber nicht-seiendes Gesetz, welches nicht sich selbst, sondern nur das Seiende, ihm Untertänige, in den Schein heraushebt". (M 89)

So ist Geltung also das Unbedingte, die Notwendigkeit, die als Sinn, als So- und nicht-anders-sein-müssen jeden Sachverhalt bestimmt und die aus der Einsicht in Sachverhalte erkannt, aber unabhängig von ihr - nicht ist - nicht geschieht - nicht besteht, sondern eben gilt. Kein reales Verhältnis läßt sich aufstellen zwischen Gelten und Sachverhalt, weil "Geltung" als nichtseiend auch kein reales Beziehungsglied darstellen kann - höchstens ein Entsprechen ließe sich rechtfertigen. Die Apodiktizität des Guten ist das Urphänomen, das Absolute, die Wirklichkeit der "ewigen Ideen". Sie sind nicht getragen von den "vergänglichen Dingen", sondern begründen diese durch die Verwirklichung des Guten, das sich an der Geltung notwendig orientieren muß. Daher wahrt die Geltung als Apodiktisches ewig sich selbst.

Man kann den Unterschied zwischen einer "Wirklichkeit der Geltung" und einer "Wirklichkeit des Seins", wie er konstatiert ist im "apodiktischen Guten", das als ein Apriorisches Apodiktizität des Guten, - und dennoch gleichzeitig ausschließliche Apodiktizität in sich und aus sich ist, denken. Die Faktizität ist eine andere Frage. Die Unterscheidung aufrecht zu erhalten, ersah LOTZE nicht als die geringste Schwierigkeit. "Die Sache ..., die wir durch den Namen der Geltung bezeichnen, hat dadurch nicht von der Wunderbarkeit verloren, die den Antrieb zu ihrer Vermischung mit dem Sein enthielt." (L 519) Und wiederum:
    "Daß dies so ist, daß es allgemeine Wahrheiten gibt, die nicht selber sind, wie die Dinge, und die doch das Verhalten der Dinge beherrschen, dies ist doch für den Sinn, der sich darin vertieft, ein Abgrund an Wunderbarkeit, dessen Dasein mit Staunen und Begeisterung entdeckt zu haben, immer eine große philosophische Tat Platons bleibt ..." (L 520)
LOTZE statuiert ein Apriori des Seins in der Gestalt des Geistes, des Guten, und ein Apriori der Geltung. Beide entsprechen sich, gehen aber nicht ineinander auf oder über. Als apodiktisches Gutes bilden sie ein monistisches Prius.

So wären die Zweiweltentheorie und der Monismus (die monistische Erklärung von gut - Geltung - als ein apodiktisches Prius) miteinander in Einklang gebracht mit Hilfe einer genauen Bestimmung von LOTZEs Geltungsprinzip.

LOTZE stellt das Prinzip des Guten auf als Urheber der Gesetze. Vom Guten aus haben wir die Geltung gesehen. Die Voranstellung des Guten als Urprinzip alles Seienden entspricht einer subjektiven Meinung, deren reale Bedeutung man nicht nachweisen kann. Damit fällt für das Denken natürlich auch die Wirklichkeit der Geltung als apodiktischer Begründung des Guten.

Wir haben die Geltung im Zusammenhang mit der Metaphysik betrachtet, sie dennoch nicht - ganz dem Verbot LOTZEs entsprechend - in dem Sinn vom Begriff des Seienden abgeleitet, daß wir sie etwa für ein "abgeschwächtes Sein" erklärten. Es ist das Apodiktische schlechthin, das eine Wirklichkeit für sich darstellt. LOTZE kämpft dagegen, daß man seine Geltungen im Sinne einer aristotelischen Platondeutung als ideale, hypostasierte [vergegenständlichte - wp] Wesen faßt. Er spricht von der befremdlichen Angabe, die in der Geschichte der Philosophie überliefert wird, PLATO habe den Ideen, zu deren Bewußtsein er sich erhoben hatte, ein Dasein abgesondert von den Dingen und doch, nach Meinung derer, die ihn so verstanden haben, ähnlich dem Sein der Dinge zugeschrieben. LOTZE bezeichnet seine Geltungen gelegentlich der Platoninterpretation (L 513) als "ewige Ideen." Für ihre Anerkennung ist die Forderung einer Sphäre die notwendige Konsequenz. Bei dialektischer Hochspannung läßt sich so etwas wie Unabhängigkeit schlechthin und gleichzeitige Apodiktizität eines "Dieses" vorstellen - man mag sublimieren nach Möglichkeit -, nicht wird LOTZE dem Einwand entgehen können, daß er in seinen Geltungen "etwas" setzt, bzw. anerkennt, daß er verwesentlicht und nicht ein Nichts behauptet. Es gibt nur die Alternative: entweder behauptet man einen "ewigen" Sinn und gibt ihm seine entsprechende Welt oder man beschränkt sich auf Gedanken im wirklichen Denken. Die letztere Entscheidung käme für LOTZE nicht in Betracht. Deswegen kann seine Geltung ebenso wie BOLZANOs Ansich nichts anderes verwirklichen als eine ideales Seinsapriori - wenn auch in aparter Terminologie.

Wir mußten die Geltung von der Metaphysik her verstehen. Die Vorstellung des Guten als Urgrund allen Seins entspricht einer subjektiven Meinung, ist Ausdruck einer Weltanschauung, die als solche nicht die von LOTZE gewünschte Allgemeingültigkeit in Anspruch nehmen kann. Als "Befriedigung von Gemütsbedürfnissen" mag sie "Geltung" haben für einen jeden, dem sie etwas bedeutet. - Wir mußten Gutes und Geltung als ein monistisches Prius begreifen. Wer also dem Guten als dem Urseienden die Anerkennung versagt, der negiert gleichzeitig das Gelten als objektive Begründung aller Wahrheit.
LITERATUR - Anton Maxsein, Der Begriff der Geltung bei Lotze, Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft, Bd. 51, Freiburg i. Br. 1938, Seite 451-470
    Anmerkungen
    1) Von Lotzes Schriften kommen für uns in Betracht seine "Metaphysik" (Leipzig 1912), abgekürzt bezeichnet durch M, sowie seine "Logik" (Leipzig 1912), abgekürzt bezeichnet durch L.
    2) LOTZE, Logik, Leipzig 1912), Seite 512.