p-4von AsterA. LiebertL. SsalagoffH. RickertF. M. Goldner     
 
GUSTAV STÖRRING
Beiträge zur Lehre
vom Bewußtsein der Gültigkeit


"Den Zustand der Sicherheit finde ich von stärkster Intensität und am klarsten ausgeprägt, wo nicht nach der einfachen  Anweisung, einen Schluß zu ziehen,  sondern  nach der Anweisung, die Rechtfertigung  eines Schlusses vorzunehmen, operiert wird. Durch diese differenten Anweisungen bei einfachen Schlußprozessen habe ich auf experimentellem Weg interessantes Material gewonnen zur Entscheidung der Frage nach der Beziehung der Psychologie zur Logik."

Ich möchte Beiträge zur Lehre vom Bewußtsein der Gültigkeit geben, einmal anhand von pathologischen Tatbeständen und sodann aufgrund von Experimenten, die ich über einfach Schlußprozesse angestellt habe.

I.

Im pathologischen Seelenleben finden wir in gewissen Fällen das Bewußtsein der Gültigkeit von Gedachtem abnorm stark entwickelt. Ein charakteristisches Merkmal der Wahnideen besteht darin, daß sie  unkorrigierbar  sind, d. h. daß die Kranken, auch die im übrigen urteilsfähigen, durch keine Gegenvorstellungen veranlaßt werden können, ihre wahnhaften Ideen fallen zu lassen. Hier, wo das Bewußtsein der Gültigkeit abnorm stark entwickelt ist, kann man auch erwarten, daß die Abhängigkeitsbeziehungen dieses Phänomens deutlicher hervortreten als in der Norm. Am meisten müssen natürlich solche Fälle interessieren, wo wahnhafte Ideen bestimmter Art bei Kranken auftreten, die, abgesehen von dieser Art von Ideen durchaus urteilsfähig sind. Das finden wir bei Fällen beginnenden chronischen Verfolgungswahns ohne Halluzinationen. Ich habe in meinen Vorlesungen über Psychopathologie in ihrer Bedeutung für die normale Psychologie (Seite 336f) gezeigt, daß in diesen Fällen für die Wahnideen eine mißtrauische Verstimmung verantwortlich zu machen ist. Eine deutlich bei diesen Kranken hervortretende mißtrauische Verstimmung mach die Wahrnehmungen der Kranken einseitig, bewirkt eine Begünstigung der Reproduktion derjenigen Vorstellungen, die sich mit einem mißtrauischen Gefühlszustand verbinden, bedingt Einseitigkeiten in der Fixierung von Vorstellungen. So entwickeln sich mißtrauische Deutungen gegebener Tatbestände, ohne daß objektiv Anlaß zu Mißtrauen vorliegt. Und diese mißtrauischen Deutungen werden mit abnormer Zähigkeit festgehalten. Wie kommt das? Für dieses Phänomen von abnormer Intensität kann nur die abnorme Intensität des erwähnten emotionellen Faktors verantwortlich gemacht werden. Aber wie bedingt in unseren Fällen die mißtrauische Verstimmung diese Erscheinung? Ist einmal eine mißtrauische Deutung eines gegebenen Tatbestandes neben anderen gegebenen vollzogen, so haben wir es eben mit einer Deutung zu tun, bei der mit den die Deutung darstellenden Gedanken sich ein emotioneller Zustand gleicher Qualität verbindet, wie er in der mißtrauischen Verstimmung gegeben ist. Tritt nun das Individuum von neuem an die Deutung des betreffenden Tatbestandes heran, so wird durch die Vorstellung des zu deutenden Tatbestandes bei der vorhandenen mißtrauischen Verstimmung sich dem Bewußtsein des Individuums die mißtrauische Deutung im Gegensatz zu anderen Deutungen  aufdrängen. Von dem abnorm starken Sichaufdrängen der einen Deutung im Gegensatz zu anderen muß das abnorm starke Bewußtsein der Gültigkeit des in der Deutung Gedachten abhängen. 

Eine zweite Abhängigkeitsbeziehung des Bewußtseins der Gültigkeit lernen wir durch die Untersuchung von Fällen beginnender Paralyse kennen. Dort zeigt sich die Fehlerhaftigkeit der Urteile deutlich abhängig vom Grad der Herabsetzung der Aufmerksamkeit. Die Aufmersamkeit werden wir uns aber als mitwirkend zu denken haben, indem sie sich auf den zu beurteilenden Tatbestand richtet.

Beide Feststellungen zusammen führen uns zu folgender Bestimmung über die Abhängigkeit des Bewußtseins der Gültigkeit:  Das Bewußtsein der Gültigkeit tritt dann auf, wenn sich uns gewisse psychische Akte aufdrängen, während unsere Aufmerksamkeit sich unter einem bestimmten Gesichtspunkt auf den zu beurteilenden Tatbestand richtet, während wir diesem Tatbestand hingegeben sind. 

Eine Verifikation dieser anhand von pathologischen Tatbeständen gegebenen Bestimmung liegt darin, daß das Realisiertsein der hier für die Entstehung des  Bewußtsein der Gültigkeit angegebenen Bedingungen nicht bloß die Entstehung des  Bewußtseins  der Gültigkeit, sondern auch die Entstehung wirklich  gültiger  Akte verständlich macht.

Auf eine gegebene Vorstellung  Va  mag bei mir in einem bestimmten Moment, etwa in Reproduktionsversuchen, eine Vorstellung  Vb  folgen, in einem anderen Zeitmoment eine Vorstellung  Vc,  bei einem anderen Individuum etwa eine Vorstellung  Vk.  Diese sogenannte "Unregelmäßigkeit" ist natürlich durch die differenten Konstellationen des Bewußtseins bedingt. Da frägt man sich dann aber:  wie ist es denn überhaupt möglich, daß sich bei mir Vorstellungsverbindungen entwickeln, die Gültigkeit besitzen,  die bei einem vorgestellten, zu beurteilenden Tatbestand bei mir zu differenten Zeiten in gleicher Weise auftreten, und in derselben Weise bei anderen Menschen? Darauf ist zu antworten:  das wird ermöglicht, wenn die Aufmerksamkeit sich in der oben beschriebenen Weise auf den zu beurteilenden Tatbestand richtet und dadurch Hemmungen für die Mitwirkung wechselnder Faktoren, gesetzt werden; so wird eine Konstanz von Bedingungen geschaffen, unter denen psychische Akte auftreten, welche Konstanz die Entstehung allgemeingültiger psychischer Akte verständlich macht. - 

Diese Bestimmungen über die Abhängigkeit des Bewußtseins der Gültigkeit stehen im Gegensatz zu der weitverbreiteten Anschauung, daß in allen Urteilsakten Ineinssetzungen zwischen dem im Urteil Gedachten und dem zu beurteilenden Tatbestand vorliegen. Solche Gleichheitssetzungen sind aber tatsächlich nicht bei alen Urteilen konstatierbar. Andererseits versteht man,  daß  bei einem Realisiertsein der angegebenen Bedingungen eine Gleichheit zwischen dem Behaupteten und dem zu beurteilenden Tatbestand zustande kommen muß, so daß derartige Gleichheitsurteile zur logischen Kontrolle  möglich  werden. Wir werden später eine Wirkung dieser Gleichheit nachweisen, die in einer Bekanntheitsqualität und in anderen Fällen in einem angedeuteten Gleichheitsbewußtsein besteht. Gleichheitsbewußtsein nenne ich dabei eine reproduzierte Gleichsetzung.

Die Abhängigkeit des Bewußtseins der Gültigkeit gestaltet sich etwas komplizierter, wenn kausale Betrachtungen auf das Denkgeschehen angewandt werden. Darauf komme ich bei Gelegenheit der Besprechung der Untersuchung des Bewußtseins der Gültigkeit auf experimentellem Weg zu sprechen.

(Die Art der Wirkung des Gesichtspuntes in Denkprozessen ist durch psychologische Experimente näher bestimmt worden von WATT und anderen bei Urteilen, von mir selbst bei einfachen Schlußprozessen.)


II.

Bei experimenteller Untersuchung einfacher Schlußprozesse haben sich mir weitere Bestimmungen über das Bewußtsein der Gültigkeit ergeben Die Versuchsbedingungen waren folgende: die Versuchsperson saß in einem von schwarzem Tuch eingeschlossenen Raum. Das eine Ende eines vierkantigen Tubus [Hohlzylinder - wp] führte in diesen Raum, das andere konnte durch einen Vorhang verdeckt werden. Dem Tubus war eine schräge Lagerung gegeben, so daß die VP durch denselben in der Blickrichtung, wie sie gewöhnlich beim Lesen eines Buches gegeben ist, die Prämissen auf einem exponierten Zettel lesen konnte, welcher horizontal auf einem vor der mit dem Tubus versehenen Fläche des abgedunkelten Raumes stehenden Tischchen so gelagert war, daß die Entfernung vom Auge der VP etwa 30 cm betrug. - Etwa eineinhalb Sekunden nach einem Signal "bald" wurde der Vorhang mit einem "jetzt" entfernt. Der Zettel, auf dem die Prämissen standen, blieb bis zum Ende des Referats über den Versuch exponiert.

1. Zunächst hebt sich für die VP sehr deutlich der Gedanke oder besser die  Feststellung der Gültigkeit des Ausgesagten die Feststellung der Gültigkeit  und etwas, was ich  Zustand der Sicherheit  nennen möchte, ein psychisches Etwas, das schwer zu beschreiben, aber jedenfalls so beschaffen ist, daß es aufgrund der Frage nach der Gültigkeit des Ausgesagten die Feststellung der Gültigkeit des Ausgesagten bedingt; die Bestimmung etwa: es ist richtig, es ist gewiß, ich bin sicher - und zwar ohne daß ein  Bewußtsein  um die Sicherheit in diesem psychischen Etwas gegeben wäre.

Diese Feststellung der Gültigkeit wird entweder mit Worten begleitet oder vollzieht sich ohne Worte. Sie tritt bei einfachen Schlußprozessen fast nie anders als am Schluß der Operationen auf und zwar entweder nach einer vorangegangenen Frage nach der Gültigkeit oder auch ohne daß der Gedanke einer solchen Frage nachweisbar wäre. Sie tritt nicht regelmäßig bei Schlußprozessen auf, aber häufig.

Diese Feststellung der Gültigkeit nimmt verschiedene Formen an: ich bin sicher, es ist sicher so, es ist gut, es ist gewiß, es ist richtig, es stimmt, jeder muß so denken, es kann nicht anders sein.

Wir werden später sehen, daß jedenfalls da, wo die Feststellung der Gültigkeit auf eine entsprechende Fragestellung hin erfolgt, zwischen der Feststellung der Gültigkeit und dem Zustand der Sicherheit noch eine Erscheinung in der Mitte steht.

2. Wir sehen nun zunächst den  Zustand  der Sicherheit etwas näher an.

a. Den Zustand der Sicherheit finde ich von stärkster Intensität und am klarsten ausgeprägt, wo nicht nach der einfachen  Anweisung, einen Schluß zu ziehen,  sondern  nach der Anweisung, die Rechtfertigung  eines Schlusses vorzunehmen, operiert wird. Durch diese differenten Anweisungen bei einfachen Schlußprozessen habe ich auf experimentellem Weg interessantes Material gewonnen zur Entscheidung der Frage nach der Beziehung der Psychologie zur Logik. Hier habe ich nur dies hervorzuheben, daß bei der Anweisung, eine Rechtfertigung des Schlusses vorzunehmen, der Zustand der Sicherheit auf Schritt und Tritt in klarer Ausprägung und starker Intensität auftritt und daß bei einer klaren Ausprägung dieses Zustands von den Versuchspersonen die Sicherheit als eine solche von  absolutem, nicht mehr steigerungsfähigem  Charakter bestimmt wird. Das ist wichtig für die Frage nach den Kriterien der Wahrheit. Man erkennt leicht, daß es nicht angängig ist, nur diejenigen Urteile als wahr anzusetzen, die man verifiziert hat. Denn die  Verifikation  ist selbst eine Feststellung, die als wahr angesprochen wird. In den Verifikationen finden sich Deduktionen und Gleichsetzungen, die doch selbst wieder der Rechtfertigung bedürfen! Das gäbe ja ein Verifizieren ad infinitum! Operiert man mit einfachen Erkenntnisakten, so sieht man, daß dieselben mit einer Sicherheit vollzogen werden können, die  keiner  Steigerung mehr fähig ist und in dieser Sicherheit von absolutem Charakter liegt ein nicht entbehrliches Kriterium der Wahrheit einer Feststellung. Es wird von den Versuchspersonen häufig hervorgehoben, daß diese Art der Sicherheit einen ganz anderen Grad hat als diejenige, mit der man im gewöhnlichen Leben meist operiert und auch als diejenige, die bei den meisten wissenschaftlichen Betrachtungsweisen auftritt.

Ich habe also festgestellt, daß bei der Anweisung, eine Rechtfertigung zu vollziehen, die Schlußprozesse so erfolgen, daß bei jedem Schritt der Zustand der Sicherheit in klarer Ausprägung und relativ starker Intensität auftritt und daß die Sicherheit der VP eine solche von absolutem Charakter ist. Der Charakter des Nichtsteigerungsfähigen hängt offenbar von der klaren Ausprägung ab.

Bei Schlüssen mit einfacher Anweisung tritt der Zustand der Sicherheit in sehr verschiedener Intensität und in verschieden klarer Ausprägung bei jedem einzelnen Schritt hervor. Am intensivsten ist derselbe im allgemeinen an solchen Stellen, die eine größere Anstrengung erfordern. So finde ich bei Schlüssen mit räumlichen Beziehungen, mit zeitlichen Beziehungen und den Beziehungen größer-kleiner, also bei Schlüssen, wie
     p  ist rechts von  v 
     v  ist rechts von  r, 
also dann, wenn der Gedanke der Gleichheit oder des Gegensatzes der Beziehungen beim Entwickeln des Schlußsatzes selbst keine Rolle spielt, sondern der Schluß aus dem durch Synthesis der Behauptung der Prämissen gewonnenen Gesamttatbestand durch "Ablesen" gewonnen wird, den Zustand der Sicherheit die stärkste Intensität bei der Bildung des Gesamttatbestandes annehmen, weniger stark beim Ablesen des Schlußsatzes. Das Ablesen des Schlußsatzes aus dem synthetisch geschaffenen Gesamttatbestand ist eben ein einfacher, leicht zu vollziehender Akt. Dagegen besitzt da, wo der Gedanke der Gleichheit oder des Gegensatzes der Beziehungen in der Weise, wie ich das in meinen experimentellen Untersuchungen über einfache Schlußprozesse näher auseinandergesetzt habe (1), beim Zustandekommen des Schlußsatzes mitwirkt, der Zustand der Sicherheit auch bei der Entwicklung des Schlußsatzes eine relativ starke Intensität, entsprechend dem Grad der Anstrengung bei diesem letzten Schritt.

Bevor ich zur näheren Beschreibung des Zustandes der Sicherheit übergehe, will ich noch die Stellen zu bezeichnen suchen, an denen bei den einzelnen Schritten der Zustand der Sicherheit eintritt. Eine meiner Versuchspersonen gibt mit Bestimmtheit an, daß, wenn es sich etwa um die Auffassung der Prämisse handelt:  A  hat die Eigenschaft  α  schon bei der Auffassung von  A,  der Zustand der Sicherheit auftrete, daß dieser Zustand sich dann bei der weiteren Auffassung der Prämisse allmählich auf die ganze Prämisse erstrecke. Damit scheint die Angabe anderer Versuchspersonen übereinzustimmen, welche sagen, daß der Zustand der Sicherheit gleichmäßig verteilt sei über das, was man gewöhnlich ein Urteil nennt. Eine andere Versuchsperson bezeichnet den Moment des Übergangs von einer der im Urteil aufeinander bezogenen Größen zur anderen als Moment des Auftretens des Zustandes der Sicherheit. Diese Angabe würde sich mit den obigen vereinigen lassen, indem man annähme, daß, während sie auch bei der Auffassung der bezogenen Größen vorhanden sei, nur in jenem Moment des Übergangs der Zustand der Sicherheit stärker hervortritt. Eine sichere Bestimmung kann ich in dieser Beziehung nach meinen bisherigen Feststellungen noch nicht machen. Es wird danach aber wahrscheinlich, daß der Zustand der Sicherheit schon bei der Auffassung der ersteren der bezogenen Größen auftritt.

Ist das aber der Fall, so dürfte das, was man gewöhnlich als Elementarurteil bezeichnet, als ein komplexes Urteil anzusehen sein (siehe HEINRICH MAIER, Psychologie des emotionalen Denkens, Seite 146f).

b. Treten wir nun in das schwierige Geschäft der  Beschreibung des Zustandes der Sicherheit  ein.

Nach den Angaben der VP kommt hier ein  emotionaler  und  intellektueller  Faktor in Betracht. Der emotionale Faktor wird von allen Versuchspersonen gelegentlich als  Befriedigungsgefühl,  in anderen Fällen als  Beruhigungsgefühl  beschrieben. Über die Rolle dieses Faktors in diesem ganzen Phänomen später Näheres.

Unter den intellektuellen Faktoren spielt die Hauptrolle eine  Empfindung des Bestimmtwerdens, Gedrängtwerdens, der Notwendigkeit, der Verkettung.  Dieses  Erleben  des Bestimmtwerdens, der Verkettung ist zu scheiden von der  Auffassung  der Verkettnung, des Bestimmtwerdens, der Notwendigkeit als einer solchen. Die Versuchspersonen geben häufig mit Bestimmtheit an, daß die Verkettung, das Aufgedrängtwerden erlebt, aber nicht als Aufgedrängtwerden, als Verkettung aufgefaßt wurde, während in anderen Fällen außer dem Erleben des Aufgedrängtwerdens, des Verkettetseins die Auffassung desselben als solchen hinzukommt. In den letzteren Fällen ist mehr gegeben als der bloße Zustand der Sicherheit, es liegt ein Bewußtsein um die Sicherheit vor, ein Bewußtsein der Notwendigkeit, der Verkettung. Dieses Bewußtsein der Notwendigkeit nimmt bei einfachen Schlüssen selten den Gedanken an:  ich  muß so denken und auch nicht den Gedanken:  jeder  muß so denken, sondern es ist meist nur der Gedanke der Notwendigkeit, ohne daß eine erkennbare Beziehung zum "Ich" auftritt. Bei Rechtfertigungsprozessen dagegen modifiziert sich dieses Bewußtsein der Notwendigkeit häufig: es klingt in ihm häufig der Gedanke der Allgemeingültigkeit an. das wird dadurch begreiflich, daß man bei der logischen Rechtfertigung an die Beurteilung des Tatbestandes mit der Absicht herantritt, allgemeingültige Bestimmungen zu machen. In diesen Fällen kann man deshalb von einem Bewußtsein der Gültigkeit ohne vorangegangene Frage sprechen.

Das Bewußtsein der Notwendigkeit wird neben dem bloßen Zustand der Sicherheit sehr häufig bei Rechtfertigungsprozessen angegeben, aber durchaus nicht nur bei solchen. An die Stelle des Bewußtseins der Notwendigkeit tritt in manchen Fällen noch eine zweite Nuancierung desselben, das  Bewußtsein der Eindeutigkeit  der Prozesse. Dieses Bewußtsein der Eindeutigkeit habe ich fast nur bei logischer Rechtfertigung, außerordentlich selten bei einfachen Schlüssen auftreten sehen. Man beachtet die negative Wendung des Gedankens im Bewußtsein der Eindeutigkeit.

Dieses Bewußtsein der Notwendigkeit mit seinen Modifikationen ist diejenige Erscheinung, von der ich oben sagte, daß sie in der Mitte steht zwischen dem bloßen Zustand der Sicherheit und der Feststellung der Gültigkeit auf eine entsprechende Frage hin.

Nachdem wir das  Erleben  des Aufgedrängtwerdens, der Notwendigkeit unterschieden haben von der  Auffassung  des Aufgedrängtwerdens, der Notwendigkeit und die Nuancierungen des Bewußtseins der Notwendigkeit angegeben haben, suchen wir eine  nähere Bestimmung jenes Erlebens des Aufgedrängtseins, Verkettetseins  zu geben. Die Versuchspersonen heben hervor, daß sich diese in Schlußprozessen klar erlebte Notwendigkeit deutlich  unterscheide von einem assoziativen Zwangsgefühl.  Aber hier besteht eine Beziehung, die man bei psychischen Tatbeständen, die für den Logiker von Interessen sind, häufig findet: die eindeutige Erkennung eines bestimmten psychischen Phänomens und seine Unterscheidung von anderen ähnlichen Phänomenen kann stattfinden, ohne daß deshalb das Individuum in der Lage zu sein braucht, eine psychologische Beschreibung des Phänomens und seines Unterschieds von ähnlichen Phänomenen zu vollziehen. Mit anderen Worten,  daß  es sich in einem gegebenen Fall um das und das Phänomen handelt, wird erkannt, und es wird deutlich von ähnlichen Phänomenen unterschieden, aber  worin  der Unterschied besteht, kann nicht im einzelnen angegeben werden.

Einige Versuchspersonen charakterisieren diese Notwendigkeit im Gegensatz zum assoziativen Zwang als ein  Hervorgehen, ein Geborenwerden  der einzelnen Gedanken auseinander, sie glauben hier die Entstehung einer Wirkung aus der Ursache zu erleben, hier im Denkgeschehen.

Bei eindringenderer Analyse wird dann angegeben, daß neben der  Empfindung des Zwangs, der Notwendigkeit  hier noch eine  Bekanntheitsqualität  vorliege. Die Genesis dieser Bekanntheitsqualität ist sehr durchsichtig, wenn man die Gleichheit der in den Denkprozessen aufgestellten Behauptungen mit der Gesamtheit des zu beurteilenden Tatbestandes berücksichtigt. Diese Gleichheit bedingt hier die Bekanntheitsqualität. Gewonnen ist diese Gleichheit durch die von uns beschriebene Einstellung zum Denken. Zu Gleichheitsurteilen  braucht  sie, wie wir oben entwickelten, nicht zu führen.

Neben dem Erleben des Bestimmtwerdens, des Verkettetseins, sagen wir kurz der objektiven Notwendigkeit, wird im Zustand der Sicherheit bei näherer Untersuchung häufig ein  Nachlassen der Spannung, die Empfindung der Erleichterung,  die Erfahrung der Förderung der Prozesse angegeben. Dieses Nachlassen der Spannung, die Empfindung der Erleichterung folgt auf die Empfindung des Bestimmtwerdens. Diese Empfindung des Nachlassens der Spannung, der Erleichterung verbindet sich häufig mit dem  Gedanken des Erledigtseins  und dieser wird von mehreren Versuchspersonen in übereinstimmender Weise als innig verbunden mit dem  Gefühl des Befriedigtseins  bezeichnet.

Dabei ist zu bemerken, daß das Befriedigungsgefühl da, wo die Notwendigkeit klar erlebt wird, häufig als bloße Nebenerscheinung, die unwesentlich sei, bezeichnet wird. - Aber die Notwendigkeit wird nicht immer klar erlebt. Das führt uns auf die Besprechung eines  zweiten Typus des Zustands  der Sicherheit.

Wobei Schlüssen mit räumlichen und zeitlichen Beziehungen die Schlüsse ohne Mitwirkung des Gedankens der Gleichheit oder des Gegensatzes der in den Prämissen gesetzten Beziehungen gebildet werden, also durch einfach Synthesis sich anschließendes "Ablesen" des Schlußsatzes aus dem Gesamttatbestand (wie das Ablesen bedingt ist, habe ich an anderer Stelle auseinandergesetzt), da sagen die Versuchspersonen, daß im Zustand der Sicherheit von erlebter Notwendigkeit wenig zu entdecken sei, die Sicherheit sei ähnlich der Sicherheit, mit der eine Beschreibng von Anschauungen gemacht wird, die Sicherheit wird, die Sicherheit wird deshalb als  Anschauungsunterricht  bezeichnet. Eine nähere Beschreibung dieser Sicherheit ist schwer zu erzielen. Ich sagte oben, daß in der erlebten objektiven Notwendigkeit zwei Momente zu stecken scheinen: die Empfindung des Bestimmtwerdens und einer Art von Bekanntheitsqualität. Bei dieser von mehreren Versuchspersonen mit der Sicherheit der unmittelbaren Anschauung verglichenen Sicherheit liegt offenbar ein Prävalieren des zweiten Faktors, der Bekanntheitsqualität oder eines ähnlichen Phänomens vor, ich will sie deshalb im Gegensatz zur  Sicherheit der objektiven Notwendigkeit  als  Sicherheit  des angedeuteten  Gleichheitsbewußtseins  bezeichnen.

Diesen beiden Typen des Zustands der Sicherheit habe ich aber noch einen  dritten Typus  gegenüberzustellen.  Der Zustand der Sicherheit, auf den sich bei entsprechender Fragestellung die Feststellung der Gültigkeit gründet, kann 1. bestehen in einer bestimmten Eigentümlichkeit der ablaufenden Prozesse  (Typus I und II),  sodann kann sie 2. im Erleben des Realisiertseins gewisser Bedingungen bestehen, unter denen logisch richtige Prozesse ablaufen  (Typus III). Dieser Typus tritt in klarer Ausprägung bur bei einer meiner Versuchspersonen auf, bei anderen Versuchspersonen ist er nur angedeutet.

Dieser dritte Typus stellt sich so dar, daß die VP die auf eine entsprechende Frage auftretende Feststellung der Gültigkeit des Ausgesagten darauf gründet, daß sie den  Bewußtseinszustand voller Aufmerksamkeit erlebt habe, welche unter einem bestimmten Gesichtspunt auf den Tatbestand gerichtet war,  so daß nur das in den Prämissen Gegebene mitwirken konnte.

Hier ist also die Feststellung der Gültigkeit durch die Anwendung einer kausalen Betrachtung auf die gegebene Operationsweise vermittelt.

Kausale Auffassung und Denkgeschehen stehen in Wechselwirkung zueinander. Die im Denkgeschehen unter bestimmten Bedingungen erlebte Notwendigkeit, vo allem die Notwendigkeit, mit der sich der Schlußsatz aus den Prämissen ergibt, wirkt bestimmend auf unsere kausale Auffassung, stellt eine der Abhängigkeitsbeziehungen derselben dar (siehe die Erkenntnistheorei von TETENS, Seite 38f) und andererseits bestimmt die kausale Auffassung, wie wir hier sehen, die Entwicklung des Bewußtseins der Gültigkeit.

Wenn ich hier im Weitergehen eine  Entwicklung  des Bewußtseins der Gültigkeit, des Denkens behaupte, so glaube man nicht, daß ich die  Gültigkeit  unserer Denkoperationen durch Erfahrung darzutun unternehme.


III.

Nach dem, was ich über den Zustand der Sicherheit entwickelt habe, begreift man, daß der Behauptung, jedes Urteil verbinde sich mit dem Bewußtsein der Denknotwendigkeit oder der Gültigkeit, widersprochen werden könnte. Wenn man es etwa mit der Prämisse eines Schlusses zu tun hatte, so sagte der eine: dieser Denkakt verbindet sich mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit oder der Gültigkeit, der andere sagte: ich kann tatsächlich nicht immer bei der Beurteilung der Prämissen in einem Schlußsatz so etwas wie Bewußtsein der Notwendigkeit oder Gültigkeit nachweisen.

Es ist nach unseren Entwicklungen so, daß auch wirklich mit dem Denken einer Prämisse in einem Schlußsatz sich  nicht  immer das Bewußtsein der Notwendigkeit oder Gleichgültigkeit oder der Feststellung der Gültigkeit verbindet, aber es ist doch etwas  Ähnliches  beim Denken einer Prämisse vorhanden: ein  Zustand  der Sicherheit. Es ist mit dem Denken jeder Prämisse in einem Schlußsatz ein Etwas gegeben, das so beschaffen ist, daß aufgrund der Fragestellung, ob die Sache stimmt, eine Bejahung stattfindet.

Diese Feststellung nun knnen wir zur Charakteristik des Urteils benutzen, nicht zur Definition, aber zum eindeutigen Hinweis auf das Urteil.  Ich spreche da von einem Urteil im psychologischen Sinn, wo mit einem psychischen Vorgang ein Etwas gegeben ist, das so beschaffen ist, daß aufgrund der Fragestellung, ob die Sache stimmt, eine Bejahung eintritt. 

Ob man bei dem, was man gewöhnlich als Urteil bezeichnet, also etwa bei der Feststellung:  A  hat die Eigenschaft  B,  von einem komplexen oder elementaren Urteil zu sprechen hat, würde von der Entscheidung der oben bezüglich des Auftretens des Zustands der Sicherheit in einer Prämisse aufgeworfenen Frage abhängen.


DISKUSSION

ERNST MALLY frägt nach den Beziehungen zwischen dem "Zustand der Sicherheit" und dem Moment der Überzeugung bei Vermutungen, zwischen dem "Bewußtsein der Gültigkeit" und dem, was man sonst Evidenz nennt.

GUSTAV STÖRRING (Zürich): Was ich "Zustand der Sicherheit" nenne, kann ich nicht mit dem identifizieren, was man "Überzeugung" nennt. Der Begriff der Überzeugung ist mir zu unbestimmt. Was ich als "Zustand der Sicherheit" bezeichne, ist jedenfalls ein Phänomen, welches unter den von mir angegebenen Bedingungen (bei experimenteller Untersuchung einfacher Schlußprozesse) bei allen meinen Versuchspersonen in gleicher Weise aufgetreten ist. Es läßt sich eindeutig so charakterisieren, daß man sagt: Der "Zustand der Sicherheit" ist ein bei gewissen psychischen Vorgängen auftretendes Etwas, das, ohne  Bewußtsein  der Sicherheit oder Gültigkeit zu sein, so beschaffen ist, daß aufgrund desselben bei einer Fragestellung nach der Richtigkeit des Gedachten Bejahung eintritt.
LITERATUR - Gustav Störring, Beiträge zur Lehre vom Bewußtsein der Gültigkeit, Bericht über den III. Internationalen Kongress für Philosophie, hg. von Theodor Elsenhans, Heidelberg 1909
    Anmerkungen
    1) Archiv für die gesamte Psychologie, Band XI, 1. Heft