tb-4   
   
Laurent Verycken
F o r m e n   d e r  
W i r k l i c h k e i t


Der Mythos der Kausalität

2. Bewußtsein
3. Logik
4. Sprache
5. Tatsachen
6. Moral
  7. Ordnung
  8. Recht
  9. Ökonomie
10. Anarchie
11. Religion
Schon David Hume hatte die Kausalität als bloße Denkgewohnheit erkannt, ohne sich jedoch entscheidend durchsetzen zu können. Auch die Schützenhilfe Kants konnte seine Bedeutung nicht maßgeblich steigern.

Die subatomaren  Bausteine  der Welt können nicht mehr als rein körperliche Bestandteile aufgefasst werden. Es gibt keine  Materie  mehr, bloß noch eine mathematische Formel für  Energie.  Auch  Quanten  sind als Abstraktionen theoretische Vereinheitlichungen, die nur  den  Sinn haben, den sie als Maß für das Zählen haben. In der Natur selbst aber gibt es weder ein Zählen noch ein Messen. " Gravitation  und  Elektrizität  sind vollkommene Rätsel, wenn sie etwas anderes sein wollen, als Begriffe von Gesetzmäßigkeiten sensibler Vorgänge. Alle physikalischen Begriffe enthalten nur Abstraktionen und keine Realitäten." 9)

Physikalische Anwendungen der Mathematik beruhen auf einer willkürlichen Analogie zwischen Wirklichkeit und Rechnungsoperation. Die Rechenbarkeit von Sachverhalten ist zwar nützlich, doch dürfen wir die Wirklichkeit selbst nicht für meßbar halten. Alle Meßbarkeit hat ihre natürlichen Grenzen. Zählbarkeit verlangt die Einheit eines  Dings.  Das wirklich letzte Einzelne ist aber unzählbar, wie überhaupt Zählbarkeit ein geistiges Wunschbild ist. Es gibt keine vollständige lückenlose Beschreibung eines physikalischen Objekts. Eine solche ist  unmöglich.  Definitionen im atomaren Bereich sagen nichts über die Wirklichkeit aus.

Meßbarkeit heißt Quantifizierung und Berechenbarkeit. Die Zahl ist die einfachste Abstraktion. Erst der Vorgang des Abstrahierens liefert eine in Zeit und Raum lokalisierbare Materie. Die Vorstellung von den Grundbausteinen der Materie, die als abgeschlossene Dinge quantifizierbar sind, ist deshalb nicht haltbar. Wir dürfen das Wirkliche nur als  kontinuierlichen Übergang  begreifen und als Prozess, nicht statisch als Ding. Wir müssen uns vom Positivismus der Naturerkenntis lösen, da alles Beobachtbare und Meßbare für uns nur repräsentativen Bedeutungswert hat. Der Schematismus unserer Denkformen ist ein Produkt unserer Einbildungskraft. Elementare Einzelteilchen haben letztlich keine Zustandseigenschaft. "Nicht nur die Messung ist unmöglich, sondern auch jede vernünftige theoretische Definition." 10) In der Quantentheorie wird daher der Identitätsbegriff selbst für unzulässig gehalten. Die Einheit eines Atoms ist bloß gedacht. Stabilität ist im Grunde aber eine fixe Idee. "Nichts ist in Ruhe, nichts ist jemals in Ruhe gewesen." 11) Ein Elementarteilchen  ist  kein Elementarteilchen. A ≠ A     . Ohne einen greifbaren individuellen Gegenstand der Messung gibt es keine Messung. Ohne Messung keine Physik.

Wenn wir sagen ein Ding  existiert,  dann meinen wir damit seine Existenz in der Zeit und im Raum. Indem wir Zeit und Raum festsetzen, isolieren und individualisieren wir einen Gegenstand aus einem von vornherein noch nicht bestimmten Geschehen. Nur was gemessen werden kann ist wissenschaftlich existent und nur was einen Anfang und ein Ende hat, kann konkret gemessen werden. Anfang und Ende haben die Dinge in Raum und Zeit. Es ist deshalb unmöglich ein Individuum zu identifizieren, das nicht raum-zeitlich lokalisiert werden kann. Was nicht in Raum und Zeit ist, kann auch nicht Objekt sein. Ohne Ort kein Ding.

Zeit und Raum bedingen sich gegenseitig. Das  wann  und  wo  bilden stets eine Einheit. Der Raumbegriff ist ohne die Zuhilfenahme des Zeitbegriffs gar nicht zu fassen. Ein Ort ohne Dauer ist undenkbar. Es gibt keinen wirklichen Ort mit der Zeitdauer  null.  Wo es keinen Ort gibt, gibt es auch kein Ding. Ebenso ist die Zeit eigentlich nur ein anderer Name für den Raum und die Objekte. Die Zeit braucht einen Raum indem sie sich abspielt. Der Raum ist quasi ein Niederschlag aus der Zeit. "Die Zeit ist die Seele des Raums." 12) Es gibt keinen absoluten Raum und keine absolute Zeit. Der Ort unterscheidet sich nicht prinzipiell von der Zeit. Der absolute Raum, also der Raum-ansich, ist, wie die absolute Zeit, eine unwirkliche Fiktion. In der Relativitätstheorie ist die Zeit deshalb eine Funktion des Orts und eine vierte Dimension des Raums. Raum und Zeit werden durch eine  Raumzeit  ersetzt.

EINSTEIN nahm der Zeit und dem Raum ihre kausale Absolutheit, die ihnen NEWTON verliehen hatte. Die Vorstellung einer universellen, kosmischen Zeit, die vor der Relativitätstheorie für so selbstverständlich gehalten wurde, ist heute nicht mehr vertretbar. Raum und Zeit existieren nur relativ zu uns. Absolut genommen gibt es keine Räumlichkeit und keine Zeitlichkeit.

Für NEWTON floß die absolute, wahre und mathematische Zeit von sich aus gemäß ihrem Wesen gleichförmig und ohne Rücksicht auf irgendwelche äußeren Dinge. Zeit war das, was scheinbar immer gleichbleibend umläuft. In NEWTONs Physik waren Raum und Zeit völlig von einander getrennte unabhängige Kategorien, während wir es in der relativistischen Physik mit einem vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum zu tun haben, in dem Raum und Zeit untrennbar sind. Kein Ding und kein Vorgang und kein Wesen kann gedacht werden, ohne Zeitdauer des Bestehens. Schon die einfachste Wahrnehmung ist abhängig davon, welches Zeitempfinden zugrunde gelegt wird. Erst das Übertragen der Zeitordnung auf die Erscheinungen macht die Vorstellung eines Gegenstandes möglich.

Zeit gehört notwendig zur Existenz von Objekten. Wenn wir den Raum definieren als das, was die Objekte umgibt, so folgt daraus, daß es ohne Objekte keinen Raum geben kann. Objekte müssen wiederum von Raum umgeben sein, müssen Grenzen haben, sonst gäbe es sie ebenfalls nicht. Wo wir etwas identifizieren, stülpen wir der Wirklichkeit entweder den Zeit- oder Raumbegriff über. Der Raum, die Zeit und die Objekte hängen voneinander ab und sind untrennbar. Wenn eines von ihnen unwirklich ist, dann ist es auch das andere. Raum und Zeit stehen in Zusammenhang mit psychischen Bedingungen und existieren nicht ansich, sondern werden durch das Bewußtsein gesetzt. Zeit und Raum sind nur Ordnungsformen unseres Denkens, sind Maßangaben, die von den realen Geschehnissen abstrahiert werden. Raum und Zeit werden von KANT daher  Undinge  genannt.

Unser ganzer Raumzeit-Begriff ist nur eine auf Übereinkunft beruhende Festsetzung. Zeit ist, wie der Raum, nur eine nützliche Abstraktion, mit der wir uns alle anderen Abstraktionen ermöglichen. Eine jede Orts- und Zeitbestimmung beruth auf Messung. Maßeinheiten existieren aber nicht  ansich,  sondern beruhen auf mehr oder weniger willkürlicher Definition von Menschen. Unsere Vorstellung von der atomaren Welt ist auch nur eine grobe praktische Approximation, die bloß bis zu einem gewissen Punkt präzisiert werden kann. An ihr ist nichts logisch Zwingendes.

"Der Glaube an das Beharrende ist die Grundhaltung allen Glaubens an die Realität. Auf dem Glauben an das Beharrende beruth auch unsere Raumvorstellung. Der Glaube an das Beharrende, an das Unbedingte, ist nicht der am meisten wahre, sondern der am meisten nützliche Glaube." 13)
Wären wir nicht um vieles größer, als ein Elektron, hätten wir auch nicht diesen Eindruck der Stabilität, der nur auf der Grobheit unserer Sinne beruth. Das wissenschaftliche, sowie unser menschliches Denken überhaupt, ist also in eminenter weise "time binding". 14) Das Zeitmaß stiftet Einheit. Nur diese künstliche Vereinheitlichung bringt Zählbarkeit.

Der Kausalitätsbegriff ist deshalb nur der Name für die  Idee  einer Verknüpfung von Ursache und Wirkung. Ursache und Wirkung werden aber genausowenig sinnlich wahrgenommen, wie etwa eine  Kraft  oder die  Zeit.  Wo wir bisher immer eine Wirkung von einer Ursache abgeleitet haben, stellen wir fest, daß die Kausalität immer nur unter bestimmten Bedingungen gilt, also bedingt, nicht  ansich.  Es gibt letztlich keinen genau aufweisbaren Punkt, an dem die Ursache ganz klar von der Wirkung getrennt werden könnte. In der Teilchenwelt kann ganz offensichtlich nicht mehr exakt zwischen Anfang und Ende unterschieden werden. Es gibt hier für uns keine Grenze zwischen der Ursache und einer Wirkung. Was wir als kausale Gesetzmäßigkeit bezeichnen, beruth auf der Grobheit unserer Sinne. Die kausale Welt in Zeit und Raum gilt höchstens in einer "Zone der mittleren Abmessung" 15), die der Alltagswelt unserer gewöhnlichen Sinne entspricht.

Die Einschulung des Auges auf die Beobachtung der Wirkung qualitativ gleichartiger Ursachenkategorien und die stete Verwendung des gleichen begrifflich-methodischen Apparates bietet uns bloß alle Vorteile einer nützlichen Arbeitsteilung im praktischen Umgang. Die Kausalität ist lediglich das Instrument zur technischen und praktischen Beherrschung der Natur. Für die Erkenntnistheorie hat sie kaum eine Bedeutung. Wir beschreiben immer nur unser eigenes Vorgehen,  erklären  aber nichts. In der kausalen Weltbetrachtung steht stets der praktische Machbarkeitszweck, d.h. ein subjektive Interesse im Vordergrund.

Schon DAVID HUME hatte die Kausalität als bloße Denkgewohnheit erkannt, ohne sich jedoch entscheidend durchsetzen zu können. Auch die Schützenhilfe KANTs konnte seine Bedeutung nicht maßgebend steigern. Noch zu Beginn des 20.Jahrhunderts wurde allgemein von einer angeborenen Kausaltitätsauffassung gesprochen. Wer heute von kausaler Gesetzmäßigkeit spricht, sollte wissen, daß mit dieser Denkform immer ein gewisser Zweck verfolgt wird. Die kausale Naturgesetzlichkeit schafft Berechenbarkeit, Reproduzierbarkeit und damit Beherrschbarkeit der Natur. Eine in der Natur beobachtete Veränderung - eine Bewegung oder Handlung - wird mit einer zweiten, die mit ihr in zeitlichem und räumlichen Zusammenhang steht, so verknüpft gedacht, daß die zweite als von der ersten  bewirkt,  also als ihre notwendige Folge erscheint. Per Definition geht eine Ursache immer der Wirkung zeitlich voraus. Die Zeitspanne zwischen der Ursache und der Wirkung kann aber verschwindend klein, also auch zugleich sein. Unsere Sinne haben auch für zu geringe Zeitintervalle keine Unterscheidungsmöglichkeit mehr.

 Genau  anzugeben, wann die Ursache aufhört und die Wirkung angeht, ist in allen Fällen schwer. In der Zwangsläufigkeit der Kausalität erscheint jeder Schritt als unvermeidbare Folge des vorhergehenden. Wie kommen wir aber dazu, eine solche notwendige Verknüpfung anzunehmen? Wenn wir uns streng auf das beschränken, was wir sehen, so sehen wir nicht mehr, als daß auf Vorgang A der Vorgang B folgt. Die Wahrnehmung zeigt uns stets nur ein  Nach-& einander, niemals ein  Wegen- einander. Wenn wir einen Vorgang zum erstenmal beobachten, so wissen wir auch gar nicht, ob die kausale Verbindung vorliegt, oder ein zufälliges Zusammentreffen zweier Veränderungen. Beobachten wir allerdings das gleiche Verhältnis zweier Veränderungen immer wieder in zeitlichem und räumlichem Zusammenhang, so drängt sich uns die Vorstellung auf, daß beide in einem inneren, notwendigen Wirkungszusammenhang stehen. Diese innere Nötigung ist aber höchstens eine psychologische Notwendigkeit und keine objektive, also bloß Gewöhnung.

Unser Wissen über Naturvorgänge ist deshalb im strengen Sinne kein Wissen. Unsere Erwartung, daß auf Vorgang A der Vorgang B folgen werde, beruth auf der Erfahrung, daß bisher immer B auf A gefolgt ist. Wir wissen nicht, aber wir glauben, daß es in Zukunft so sein wird. Dieser  Glaube  ist freilich durch eine Vielzahl der bisher beobachteten Fälle durchaus gerechtfertigt, weswegen also der mechanische Sinn der Kausalbeziehungen für den praktischen Alltag durchaus eine gewisse Nützlichkeit hat. Die  Gesetze  der Kausalität sind aber nicht notwendig gegeben, sondern nur praktisch-nützlich.
"Die Physik der Billiardkugeln legt nahe, daß, wenn Kugel A Kugel B anstößt, A Energie an B  abgibt,  wobei B  mit  der Energie reagiert, die sie von A erhielt. Das ist die alte Syntax, und sie ist zutiefst unsinnig. Zwischen Billiardkugeln gibt es natürlich kein  Anstoßen, Abgeben, Reagieren  oder  Verwenden.  Diese Worte verdanken sich der Gewohnheit, Dinge zu personifizieren, und erleichtern es, so vermute ich, von diesem Unsinn zur Verdinglichung von Menschen überzugehen." 16)
Was wir glauben sinnlich wahrzunehmen, ist bereits erschlossen. Kausalität ist nur die Befriedigung unseres Ordnungsbedürfnisses. Was wir als  Kausalität  kategorisieren, meint im Grunde eine Beziehung. Beziehungen sind nun aber immer vielfältig und verzweigen sich in viele Richtungen.  Eine  Wirkung kann durch Einwirkung verschiedener einzelner Ursachen hervorgerufen werden, genauso, wie eine Ursache mehr als eine Wirkung verursachen kann. Es ist deshalb bloß eine blinde Leidenschaft unseres menschlichen Denkens, zu versuchen eine Gesamtheit von Tatsachen immer aus einer einzigen Ursache abzuleiten. Kausalität ist nichts als ein  logischer  Schluß, ein Gedankenprodukt, nicht wirklich, sondern abstrakt.
"Alle Urteile über Tatsachen sind in einer Art Analogie begründet, die uns veranlaßt, von einer Ursache diesselben Ereignisse zu erwarten, von denen wir beobachtet haben, daß sie aus ähnlichen Ursachen entstanden sind." 17)
Kausalität ist eindimensional, wie eine Kette. Das Wirkliche aber ist nichts Einzelnes, sondern sehr komplex strukturiert. Die dogmatische Blindheit des Kausaldenkens besteht nun gerade darin, daß es das Einzelne nur als Einzelnes nimmt. Die kausale Erklärung  einer  individuellen Tatsache ist aber unmöglich, da schon eine Beschreibung selbst des kleinsten Ausschnittes der Wirklichkeit niemals erschöpfend sein kann. Ein Würfel ist in seiner Funktion jeder kausalen Berechnung entzogen. Der einzelne Wurf ist als individueller Einzelvorgang ein Gebiet des Undeutbaren. Kausale  Gesetzmäßigkeit  ist lediglich eine statistische Größe. Bloß Wiederholung läßt eine scheinbare Gesetzlichkeit aufkommen.

Alle Gründe werden kausal gegeben. Die kausale Feststellung reicht auch aus, um Vorgänge für praktische Zwecke vorausberechnen zu können. Wir dürfen aber Nützlichkeit nicht mit einer  Wahrheit  des Geschehens verwechseln.  Nützlichkeit  ist eine Wertidee und keine Tatsache. Die erkannten Kausaleinheiten sind nur durch raum-zeitlichen Zusammenhang miteinander verknüpft. Alle Maßeinheiten bedürfen aber einer Definition und sind nicht schon von selbst in der Natur vorhanden.

Zeit und Raum müssen als solche  gesetzt  werden, damit überhaupt Kausalität möglich wird. Wo der raum-zeitliche Zusammenhang nicht mehr gegeben ist, hat es auch mit der Kausalität ein Ende. Unter Kausalität darf deshalb nicht Ursache und Wirkung, sondern nur Reihenfolge verstanden werden. Nur die verobjektivierte Zeit und der verobjektivierte Raum, bzw. die Mathematisierung der Natur, macht es möglich, die Welt als eine Summe von Kausalzusammenhängen aufzufassen. Im Grunde gibt es keine Trennung zwischen Ursache und Wirkung, beide müssen aneinander grenzen. Der Kausalität entsprechend müßten wir auch Tag und Nacht als Ursache und Wirkung voneinander auffassen.

Kausalität beruht auf einer beobachteten, gemessenen oder scheinbar erkannten Gleichförmigkeit und ist eine analogische Fiktion, nur ein Wort und ein Bild, etwas, das wir in die Dinge hineinlegen. Wenn an einer Tatsache etwas Gleichförmiges entdeckt wird, so ist das aber noch lange kein hinreichender Grund, um von einem Gesetz zu sprechen. Wir vergleichen nur und erkennen nichts. Es hat keinen Sinn nach den wirklichen Ursachen der Tatsachen zu fragen, sondern nur nach ihrer Beziehung zu anderen Tatsachen in der Form von Aufeinanderfolge oder Ähnlichkeit. Der Analogieschluß hat mit dem Ideal der Kausalität nicht das Geringste zu tun. Erst unser Orientierungs- und Erklärungsbedarf neigt dazu, mehr Ähnlichkeiten zu sehen, als in der Wirklichkeit da sind.

Das Kausalgesetz stammt keineswegs aus der Erscheinung, sondern aus einer, unserem Geist eigenen Fähigkeit zu verbinden und zu vereinheitlichen. Kausalität ist also keine Ursache, sondern sie ist der Gesichtspunkt, die Ursachen im Sinne der Gegenständlichkeit zu setzen. "Die Begründung der Kausalität liegt im Begriff der Begründung selbst, d.h. in dem gegenständlicher Bedingtheit." 18) Eine Kausalität existiert nicht wirklich in der wahrnehmbaren Welt. Kausalität ist eine Denkform und praktische Hilfskonstruktion. "Es gibt keinen physikalischen Gegenstand  Kausalität  genannt." 19)  Kausalität  ist, wie die  Zeit  oder  Raum,  bzw.  Objekt  nur ein praktischer Denkmodus, nichts als eine bloße Denkgewohnheit.

Maß, Zeit und Zahl sind lediglich Modi des Denkens, bzw. unserer Vorstellung und keine Eigenschaften der Dinge. Wir können deshalb nicht von Zeit, Raum und Kausalität ausgehen, um eine Theorie der objektiven Wirklichkeit zu formulieren.  Natur  und  Naturgesetze  sind Produkte unserer eigenen Vorstellung.

"Die Welt, die wir uns aus unseren Empfindungen und Wahrnehmungen konstruieren und die wir uns bequemerweise immer so denken, als sei sie an und für sich einfach schlechthin vorhanden, ist also nicht schon durch das bloße Vorhandensein auch wirklich manifest, sondern dazu bedarf es der Gehirnfunktionen." 20)
Raum und Zeit sind menschliche Denkformen auf der Grundlage der Fähigkeit unserer Sinne. Alle  physikalischen  Vorgänge sind einem Beobachter  prinzipiell  nur so zugänglich, wie es ihm seine Sinne erlauben. Ohne die uns Menschen eigenen Sinne hätten wir nicht diesen Raum- und Zeitbegriff. Erkannt werden kann nur, was für unser Bewußtsein aufweisbare Grenzen hat. Unser ganzes Erkennen ist zeitgebunden und was sich nicht mehr in die Formen von Raum, Zeit und Kausalität fassen läßt, kann auch nicht bewußt werden.

Bewußtsein hat immer eine zeitliche Ordnung. Hätten wir keine Grenze, die das Früher vom Später trennt, gäbe es überhaupt kein Zeitbewußtsein. Nur die Fixierung einer bestimmten Bewußtseinslage durch die Aufmerksamkeit ruft den Schein der Dauer psychischer Zustände hervor. Was wir unter Bewußtsein verstehen, ist nicht zu trennen von dem, was wir unter Zeitlichkeit verstehen. Im Fluß der Zeit, wie im Bewußtsein, gibt es aber nichts Bleibendes und kein Sein, sondern nur ein Werden. Was wir mit  Zeit  oder  Bewußtsein  meinen,  bildet  sich stets ohne zu  sein. 

Was uns kausale Zusammenhänge vermuten läßt, ist lediglich unser Zweckdenken. Die positiven Bestimmungen, aus denen wir glauben, eine  naturgesetzliche  Ordnung ableiten zu können, ergeben sich aus räumlichen und zeitlichen Unterscheidungen des  Bewußtseins Raum, Zeit und Kausalität täuschen eine Ordnung und Gesetzmäßigkeit nur vor. Die raum-zeitliche  Ordnung  ist eine bloße Idee, nichts Wirkliches, ist abstrahiert von realen Geschehnissen. Raum und Zeit, bzw. Kausaltät sind ideale Denkformen, mit denen wir die Wirklichkeit vermenschlichen.

Alle logischen Kausalitätsvorstellungen müssen als psychologische Beziehungen im Bewußtsein aufgefaßt werden. Wir erkennen immer nur die Notwendigkeit der Wirkungen in der Natur, nicht aber die Notwendigkeit der Ursachen. Die Notwendigkeit der Wirkungen reicht nie weiter, als unsere Sinnlichkeit für Raum und Zeit. Unser ganzes Wissen ist für alle Zeit auf  die  Dinge beschränkt, wie sie uns in Raum und Zeit erscheinen. Was wir Naturgesetze nennen, sind lediglich angenommene Beziehungen zwischen bestimmten Phänomenen. Wir legen die Kausalität in die Dinge hinein, weil uns ein Wirkungszusammenhang  erscheint.  Kausalität als solche gehört aber nicht zu den Sinneseindrücken, sondern ist etwas Gedachtes, eine Abstraktion. Durch ein sogenanntes  Naturgesetz  wird darum auch nichts erklärt oder erkannt. Der Begriff der  Ursache  ist eher mythologischer Natur. Wir fragen bloß unaufhörlich nach dem  Warum  und jede Ursache, bei der wir uns vorübergehend beruhigen, nennen wir Ursache.
LITERATUR - Laurent Verycken, Formen der Wirklichkeit - Auf den Spuren der Abstraktion, Penzberg, 1994
    Anmerkungen
    9) PAUL FEYERABEND, Probleme des Empirismus, Braunschweig 1981, Seite 253
    10) JEAN-MARIE GUYAU in HANS PFEIL, Jean-Marie Guyau und die Philosophie des Lebens, Augsburg/Köln/Wien 1928, Seite 180
    11) John von NEUMANN 1932
    12) LUDWIG KLAGES,Der Geist als Widersacher der Seele, Bonn 1981, Seite 849
    13) FRIEDRICH NIETZSCHE in HANS VAIHINGER, Philosophie des Als-ob, Berlin 1911, Seite 776
    14) ALFRED KORZYBSKI, Science and Sanity, Lakehurst 1958
    15) ALBERT EINSTEIN in P.A. SCHILPP (Hrsg), Albert Einstein/ Philosopher-Scientist, Evanston 1949, Seite 45
    16) GREGORY BATESON, Geist und Natur, Ffm 1987 Seite 126
    17) DAVID HUME, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, Stuttgart 1967, Seite 135
    18) RICHARD HÖNIGSWALD, Grundprobleme der Wissenschaftslehre, Bonn 1965, Seite 201
    19) RICHARD HÖNIGSWALD, Grundprobleme der Wissenschaftslehre, Bonn 1965, Seite 27
    20) ERWIN SCHRÖDINGER, Geist und Materie, Zürich 1989, Seite 92