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Die Begriffe der Geltung bei Lotze [ 2 / 3 ]
II. Das existentiale Gelten In der Einleitung wurde gesagt, daß diese Schrift sich vor allem schon dadurch in einen Gegensatz zu LOTZE stellen muß, daß sie behauptet, drei verschiedene Begriffe des Geltens aufzuweisen, für die LOTZE höchst unzweckmäßig den gleichen Terminus verwendet. Hierdurch bereits ist die Methode dieser Arbeit nicht referierend, sondern kritisch. Dies braucht nicht dahin verstanden zu werden, daß sie nichts als eine Polemik gegen LOTZE ist. Der erste Teil zeigte deutlich, wie sehr seine Gedanken im Einzelnen, seine Ausführungen über die Normativität der Wahrheit und der Werte überhaupt, sachlich die größte Zustimmung erfahren können. Und auch was LOTZE über das Gelten in der dritten Bedeutung des Wortes lehrt, ist von großer Tiefe und fordert nicht unseren Widerspruch heraus. Dieser richtet sich in diesen beiden Abschnitten lediglich gegen die Lässigkeit, sachlich Verschiedenes durch den gleichen Terminus zu kennzeichnen. So könnte sich die Darstellung, nachdem erst die Wortbedeutung des Geltens enthüllt war, wesentlich referierend verhalten. Der Grund hierfür ist nicht allein der, daß wir persönlich mit LOTZE übereinstimmen, sondern liegt vor allem darin, daß seine Gedanken über diesen Gegenstand völlig ausgereift waren und ihn nicht in Unklarheit ließen über seine Lehre und ihren Gegenstand, die Werte und das Wahre und ihre Beziehung zur Welt des Menschen. Dies alles ist anders in diesem Abschnitt, beim zweiten Begriff des Geltens, denn LOTZE ist im Kapitel "Ideenlehre", die das Material für uns liefert, bei weitem nicht zu einer solchen Sicherheit der Fragestellung, geschweige denn der Antwort gekommen wie beim ersten oder gar dritten Geltungsbegriff. Hierdurch wird der Gang unserer Darstellung bestimmt. Wir sehen uns gezwungen, uns völlig von seiner eigenen Art der Entwicklung des Problems zu emanzipieren, um den reinen Sinn seiner Lehre umso deutlicher hervortreten zu lassen. Daß dieser nicht nur in LOTZE hineingelesen ist, sondern tatsächlich, wenn auch in sachlich vorteilhafter Weise mit anderen Gedanken verschlungen, von LOTZE beabsichtigt ist, werde ich dann durch eine eingehende Interpretation des Textes Satz für Satz beweisen. LOTZEs Lehre vom Gelten ist zu großer Berühmtheit gelangt und in der philosophischen Literatur vielfach geschildert worden. Im Allgemeinen ist es lediglich die jetzt in Frage kommende Bedeutung des Geltens, auf die man hinweist. Wir machen sie uns am einfachsten klar, wenn wir an den Schluß des ersten Abschnitts anknüpfen. Dort handelt es sich um den Inhalt der Wahrheit, d. h. einer Vorstellung oder eines Satzes, die, im Gegensatz zum Irrtum, eine normative Geltung hat. Es wurde dort gesagt, daß ein solcher Inhalt auch wahr ist, wenn er von keinem Bewußtsein für wahr gehalten oder auch nur überhaupt vorgestellt wird. Es ist darum naheliegend zu fragen, was er ist, wenn er von keinem psychischen Wesen gedacht wird. Denn um die Eigenschaft zu haben, wahr zu sein, muß er doch, scheint es, selber etwas sein. Irgendetwas, dem, wäre er auch nur ein klein wenig anders - wodurch er zum Irrtum würde -, dieses Prädikat abgesprochen werden müßte. Diese und ähnliche Erwägungen beziehen sich auf die Wahrheit, aber das wesentliche Interesse rückt doch hier leicht ersichtlich, im Unterschied zu den Fragen des ersten Abschnitts, von der Wahrheit des Inhaltes auf den Inhalt der Wahrheit. Der Inhalt der Wahrheit ist es, der uns die Frage aufwerfen ließ, welcher Art von Wirklichkeit ihm, abgesehen von seinem Realisiertwerden durch psychische Subjekte, zukommt. Aber man würde in die ärgsten Naivitäten eines alles verdinglichenden Aberglaubens geraten, wollte man nicht zugeben, daß diese Frage auch den falschen Inhalten gegenüber aufzuwerfen ist. Auch bei ihnen ist es sinnvoll zu erforschen, was sie eigentlich sind, bevor sie gedacht werden, oder was sie sind im Moment ihres Vorgestelltwerdens abgesehen von diesem. Es hieße in die Anschauung zurückfallen, die wir in den Spruchbändern des Mittelalters symbolisiert fanden, wenn man bei den Inhalten der Wahrheit ein größeres Recht zu einer solchen Frage empfinden würde. So ist es der eigentliche Sinn der Frage, die oben nur gelegentlich der Wahrheit aufgeworfen wurde, sich auf das Phänomen der Inhalte überhaupt zu beziehen. Die Wahrheiten freilich nehmen unter allen Inhalten infolge ihres nur ihnen zukommenden normativen Charakters eine eminente Stellung ein, aber diese Eminenz gestattet nicht den Schluß auf eine von anderen Inhalten verschiedene Realität, sofern dieses Wort für derartige Gebilde gebraucht werden darf. Sie sind für das, worauf es hier ankommt, gleichsam nichts Besseres als die anderen Inhalte, und die Wirklichkeit, die sie haben, abgesehen von unserem Vorstellen - gesetzt, sie haben überhaupt eine solche -, genießen sie nicht als Wahrheiten, sondern als Inhalte. In diesem Sinn wurden Wahrheiten, Irrtümer, Begriffe und Vorstellungen bereits vor LOTZE einander koordiniert. Sie alle gehören zusammen, denn abgesehen von dem, was sie an spezifischen Differenzen haben, sind sie Inhalte, Bedeutungen, der Sinn unserer Vorstellungen. Dies wird mit voller Deutlichkeit zum ersten Mal bei BOLZANO erkannt. Nichts anderes als dies bedeutet es, wenn BOLZANO den gedachten Satz vom Satz ansich und die Vorstellung im subjektiven Sinn von der Vorstellung im objektiven Sinn oder der Vorstellung ansich unterscheidet. So sagt er:
Dieses Zusammengehören der Vorstellungen, insofern sie vom Menschen gedacht werden, als etwas Zeitliches, auf der einen Seite und ihnen gegenüber das Was dessen, das vorgestellt wird, die Inhalte, die zeitlos sind, hat auch LOTZE deutlich erkannt. Aber er unterscheidet nicht nur das subjektiv Vorgestellte vom Inhalt des Vorstellens, sondern auch diese oder beide vom Gegenstand, auf den der Inhalt sich bezieht. Der Inhalt ist gleichsam das Medium zwischen den Menschen und dem Gegenstand, er ist gleichsam das, worin Mensch und Wirklichkeit sich berühren. Verglichen mit ihm sind beide von anderer Natur als er und beide von gleicher Natur. Vorstellung und Gegenstand gehören zur zeitlichen Welt (der Gegenstand meist auch zur räumlichen), während der Inhalt zeitjenseitig ist. Welches auch sein Form ist, ob Urteil, Satz oder Einzelvorstellung, und welches die spezifische Art, gleichsam der Inhalt der Inhalte ist, ob wahr oder falsch, sinnvoll oder sinnlos - als Inhalte, als das Was dessen, was die Seele in der Zeit erfaßt und dessen, was die Gegenstände in der Wirklichkeit sind, als Sinn, als Bedeutungen unserer Worte oder Gedanken gehören sie alle einer Art von Wirklichkeit an, die nicht durch den alten Gegensatz von psychisch und physisch ausdrückbar ist. Die Inhalte unserer Wahrnehmungen, Vorstellungen, Begriffe, Urteile, der wahren wie der falschen, sind allem anderen unvergleichbar. Sie sind, was sie sind,
LOTZE sagt: sie gelten.
LOTZE selbst glaubt es. Zwar kann er nicht genau sagen, was dieses Gelten eigentlich heißt. Gefragt, ob er es nicht annähernd andeuten, umschreiben könnte, weiß er sich keinen Ausweg als zu behaupten, daß es sich hier um einen jener Grundbegriffe handelt, bei denen man Glück und Talent haben muß, intuitiv zu erfassen, was sie meinen. Man könnte vielleiht versucht fühlen, ihn als eine Synthese anderer bekannterer Begriffe darstellen zu wollen. Denn das Gelten ist die Seinsform oder Seinsart der "Inhalte", diese aber sind als eine Vermittlung zwischen dem Psychischen und dem Physischen aufzufassen, insofern sich in den Inhalten die Psyche physische Gegenstände vorstellt. So könnte man auf den Gedanken kommen, das Gelten als ein Mittleres zwischen Psychischem und Physischem aufzufassen, oder wenn dies nicht möglich wäre, es als eine Mischung zweier anderer Fundamentalbegriffe anzusehen: des Seins und des Werdens, der Wirklichkeitsform von Dingen und der von Ereignissen. Aber so groß auch die Verlegenheit LOTZEs ist, er weist dies entschieden ab. Mit unbedingtem Recht, denn das Gelten ist das Zeitjenseitige, soviel zumindest steht ja von vornherein fest - Psychisches und Physisches oder Sein und Werden aber sind in der Zeit, von ihnen zum Geltenden ist eine unüberbrückbare Kluft. Das Zeitjenseitige ist sui generis [aus sich heraus - wp], und die Hoffnung, aus zeitlichen Elementen das zeitjenseitige Gelten aufzubauen, ist so sinnlos wie die Frage, aus welchem Stoff eine Symphonie verfertigt ist. So sagt LOTZE:
Daß LOTZE tatsächlich ein zur Lösung der Frage Gehöriges, ja womöglich die Lösung selbst gegeben zu haben glaubt, unterliegt keinem Zweifel und wird gestützt durch die Emphase [Eindringlichkeit - wp], mit der er in dem eben zitierten Satz am Schluß - ich möchte sagen, mit erhobener Stimme - ausruft:
Doch gerade dies ist meines Erachtens nicht der Fall. Denn das Problem war doch: Welche Wirklichkeitsart ist es, die den Gebilden zukommt, die weder psychisch noch physisch sind, d. h. den Inhalten, Bedeutungen, dem Sinn unserer Vorstellungen, von denen dies beides sicher ist, daß sie nicht unwirklich sind, und daß sie außerhalb der Zeit stehen. Unser Ergebnis ist also: Der Terminus Gelten ist in diesem Problemzusammenhang nichts weiter als ein zusammenfassender Ausdruck für alle Arten von Inhalten, Wahrnehmungen, Vorstellungen, Begriffen, Sätzen, wahren und falschen, die von vornherein als das Zeitlose dem Zeitlichen und Zeiträumlichen gegenübergestellt werden. Aber es ist nicht zweckmäßig, die Inhalte schlechthin als zeitlose zu bezeichnen; zwar würde auch dieser Ausdruck die gewünschte Zusammenfassung darstellen, aber zeitlos - ewig - zeitjenseitig ist doch auch noch etwas anderes: das Übersinnliche, Gott. Es ist aber ein berechtigtes Bedürfnis für alle Inhaltsarten, einen Terminus zu fixieren, der eigens für sie allein geschaffen ist. Man hat inzwischen ein Wort gefunden, das ausgezeichnet und völlig ungekünstelt diese Aufgabe leistet. Gegenüber dem zeitlich Sinnlichen oder seelischen und räumlichen Realitäten einerseits und dem Übersinnlichen der Gottheit andererseits sind die "Inhalte" das "Unsinnliche" (LASK, Logik der Philosophie). Das Wort "sinnlich" gestattet eher die Variierungen, die zur Bezeichnung der drei Gebilde Welt, Gott und Inhalte geeignet machen, als der Ausdruck "wirklich". Denn könnte man die zeiträumliche Welt das Wirkliche und Gott das Überwirkliche nennen, so bliebe für die Inhalte das "Unwirkliche" übrig. Aber gerade dieser Ausdruck ist der Natur der Inhalt zuwider. Wirklich in irgendeinem Sinn sind sie ja zweifellos, es fragt sich nur, in welchem. Freilich nicht weniger ungeeignet ist das Wort Gelten als terminus technicus für die theoretischen Existenzen, wie man die Inhalte auch genannt hat. Denn "Gelten" hat, wie wir sahen, die Bedeutung des Anerkennens und schließlich des Anerkennungswürdigen - Normativen. Indem wir also behaupten, daß der Ausdruck Gelten hier nicht eine Erkenntnis über die Wirklichkeit der Inhalte, sondern nur ein zusammenfassender Terminus für alle Inhaltsarten ist, ganz wie der Terminus Unsinnlich, und nicht zur Lösung, sondern nur zur Fragestellung gehört, geben wir dem von LOTZE gemeinten Problem die Formulierung: Welche Art von Realität haben die Gebilde, welche - gelten? Daß hierauf nicht die Antwort gegeben werden kann: "Sie gelten", ist selbstverständlich. Insofern das Gelten ein Ausdruck ist für die Gebilde, nach deren Existenzart geforscht wird, wollen wir es in diesem Zusammenhang kurz als das "existentiale Gelten" bezeichnen. Nach all dem scheint es, als ob LOTZE nichts Neues den Gedanken BOLZANOs über den "Satz ansich" und die objektive Vorstellung hinzugefügt hat. Dennoch besteht ein Unterschied zwischen den beiden Denkern, den ich dahingehend charakterisieren möchte: Das Thema Bolzanos ist das Problem Lotzes. Was bei BOLZANO höchst tiefsinnig als Tatsache konstatiert wird, wird bei LOTZE zum Ansatzpunkt für eine noch viel tiefere Frage, die er freilich nicht gelöst hat. Er geht insofern über BOLZANO hinaus, als er sich nicht damit begnügt festzustellen, daß es auf der Welt in einem nahen Zusammenhang mit dem Psychischen etwas gibt, das schlechterdings nicht psychisch ist, sondern er stellt die Frage: Was ist das? Die Worte "ein Geltendes" aber sind nur eine Antwort auf die Frage: Wer ist das? Dies verwechselt und übersehen zu haben, ist LOTZEs großer Irrtum. Doch nicht nur in der Fragestellung, im Aufwerfen einer Frage überhaupt ist ein Neues gegenüber BOLZANO. Ein nicht Unwesentliches liegt darin, daß er einem eigenen Terminus für das Gebilde geschaffen hat. Die Ungeeignetheit, Doppeldeutigkeit - oder Dreideutigkeit des Ausdrucks vernichtet nur zum Teil dieses Verdienst. Es ist uns nicht möglich, aber es ist auch unnötig, für alle Dinge der Welt ein nur sie charakterisierendes Wort zu haben. Nur die wichtigsten Komplexe bringen es zu einer eigenen Namensgebung, und wo sie stattfindet, ist es ein Beweis für die Überzeugung von ihrer Wichtigkeit. Daß LOTZE dies bei den Inhalten für erforderlich hielt, ist ein Zeichen dafür, wie scharf er seinen Blick auf sie richtete. Man könnte meinen, deutlicher als BOLZANO, der für sie keinen Terminus geprägt hat. Dies scheint mir die Bedeutung des Geltens, der eigentliche Sinn von LOTZEs Lehre über die Inhalte zu sein. Sie sind das wahre Thema des berühmten Kapitels "Die Ideenwelt". Ich sage, der eigentliche Sinn. Hiermit gebe ich zu, daß dies aus der Fülle der Gedanken und Gedankenansätze des Kapitels herauszulesen nicht ganz leicht ist, und daß LOTZE seine Lehre nicht ganz so rein als Theorie über die Inhalte gefaßt hat. Und doch behaupte ich, ist im obigen Entwurf die Entfernung von LOTZE keineswegs so groß, daß es willkürlich wäre, dies als LOTZEs Lehre auszugeben. Ich will deshalb im Folgenden nachweisen, wie dies tatsächlich nach Inhalt und Absicht der Kern von LOTZEs Gedanken ist, wenn er ihm auch im Laufe der Ausführungen oft verloren ging und häufig nur mit anderen vermischt vor Augen trat. Dabei will ich meine bisherigen Darlegungen verwenden und mich der Bezeichnungen "normatives" und "existentiales" Gelten bedienen, deren Sinn im ersten und dem bisherigen Teil des zweiten Abschnittes expliziert wurde. Daß das Gelten in beiden Bedeutungen im gleichen Kapitel vorkommt, ja oft im gleichen Satz, ist von besonderem Nachteil und macht seine Lektüre unnötig schwer - und die vorliegende Arbeit erforderlich. Zu Beginn des Kapitels, auf der dritten Seite nach einer Einleitung über das Feste und Veränderliche, erscheint wie ein Leitmotiv das Thema des "ansich etwas bedeutenden Inhaltes" (LOTZEs Sperrdruck), ... der ... "ewig sich selbst gleichbleibend immer bedeutet, was er bedeutet" (Logik, Seite 507). Am Ende der Seite sagt LOTZE:
Da es ein psychologisch leicht verständlicher Irrtum ist, gelegentlich des "Inhalts"problems von Farben, Tönen und Schmerzen zu sprechen, lohnt es sich, dieses Mißverständnis näher zu beleuchten. Da es Inhalte von allem gibt, so gibt es natürlich auch solche von Farben, auch Farben und Töne sowie Schmerzen können Gegenstand eines Inhaltes, einer Bedeutung sein. Diese ebengenannten Gegenstände unterscheiden sich von den meisten Gegenständen, den physischen. Farben und Töne sind nicht im Raum, außerhalb eines vorstellenden Bewußtseins vorhanden. Sie sind so sicher nur in einem Bewußtsein möglich, wie sie andererseits von diesem Bewußtsein unabhängig, ihm gegenüber Gegenstände sind. Sie sind nicht physisch, aber sie sind ebensowenig rein psychisch. Wegen dieses ihres Charakters glaubt LOTZE leicht, sie wären gleicher Art wie die Gegenstände seines Themas, die "Inhalte", denn auch diese sind ja nicht physisch und nicht psychisch. Doch das ist falsch. Noch eine Kategorie von Gegenständen gibt es übrigens, die jenseits des Psychischen und Physischen stehen: die Gebilde der Mathematik. Es kann hier nicht untersucht werden, ob Farben, Töne und mathematische Gegenstände von gleicher Wirklichkeitsart sind wie die Inhalte. RICKERT bestreitet das ("Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung"). Aber wie dem auch sei, ob Farben, Töne, mathematische Gebilde und "Inhalte" einander koordiniert sind oder ob noch weitere Gliederungen im Reich des nicht Psychisch-Physischen anzunehmen sind: es bleibt ein nicht aufzuhebender Unterschied zwischen dem Phänomen "Inhalt und dem "Gegenstand" und dementsprechend in der Frage nach den Inhalten der Gegenstände, Farben und Töne und der nach Farbe und Ton als Gegenständen der Inhalte. Diesen Unterschied verwischt LOTZE, und noch störender wird diese Verwechslung, wenn er, sei es auch nur beiläufig, die Frage nach der Realität des Schmerzes hineinträgt und die Schmerzen der Farbe und dem Ton an die Seite stellt. Hier kann als Entschuldigung nicht die mögliche Realitätsgleichheit des Inhaltes mit dem Gegenstand Schmerz angeführt werden. Denn der Schmerz als Gegenstand kann nur innerhalb des Bewußtseins und zwar nur innerhalb eines empirischen Bewußtseins, existieren, das ihn als solchen empfindet. Der Schmerz, der nicht weh tut, dagegen ist nur der Inhalt "Schmerz". Bei Farbe und Ton, gewiß aber bei mathematischen Gebilden, sind auch die Gegenstände unzeitlich, nicht nur die Inhalte ihrer; das Phänomen Schmerz aber ist als Gegenstand unbedingt zeitlich und hätte nicht so leicht mit dem "Inhalt" Schmerz verwechselt werden dürfen. Vermutlich führt LOTZE den Schmerz assoziativ wegen seiner Subjektivität, d. h. hier Unräumlichkeit, die er mit Ton und Farbe teilt, als Beispiel an. Dieser Entgleisung folgt bald eine zweite, und diese ist deshalb viel gefährlicher und störender, weil sie fortan seine ganzen Ausführungen bis zum Ende des Kapitels durchzieht und an vielen Stellen ihren eigentlichen Sinn verdunkelt. Daß auch dieses vom Weg Abirren naheliegend ist, ist selbstverständlich, es könnte sonst einem Denker von der Qualität LOTZEs nicht passiert sein. Ich erinnere an unsere Ausführungen zu Beginn dieses Abschnittes. Dort war in Anknüpfung an den ersten Teil der Arbeit von einem Inhalt der Wahrheit die Rede. Am Phänomen der Wahrheit der Inhalte wurde das Problem der Realität der Inhalte der Wahrheit entdeckt. Und es wurde betont, daß die wahren Inhalte nur die Gelegenheit sind, durch die unser Blick für die Frage nach den Inhalten überhaupt geschärft wird. Denn dies allein war doch unsere Frage, was die Inhalte sind, und wir besannen uns darauf, wie naiv es wäre, für die wahren Inhalte eine andere Existenzart zu vermuten als für die falschen, für Sätze eine andere als für einzelne Begriffe. Hiergegen verstößt LOTZE. Er ist zu fasziniert vom Wahrheitsmoment eines wahren Inhaltes, um von seiner Wahrheit gänzlich absehen zu können, und läßt den Inhalt gerade der Wahrheit als pars pro toto [der Teil für das Ganze - wp] fungieren. Hieraus ergibt sich eine Verwechslung der beiden Bedeutungen des Geltens im normativen und im existentialen Sinn: Denn die Inhalte der Wahrheit "gelten" normativ, die Inhalte der Wahrheit "gelten" in einem existentialen Sinn. Fahren wir in der Interpretation dieses Kapitels fort. Nach der Episode der Farben, Töne und Schmerzen leitet er über zum Begriff der Wirklichkeit und erkennt, daß es viele Arten von Wirklichkeiten gibt.
Auch der übernächste Satz enthält eine Verwechslung. Er führt aus, daß wir unter "Wirklichkeit" eine Bejahung denken, die verschiedene Form annehmen kann, deren keine auf die andere zurückführbar ist. Nach meiner Darstellung im ersten Teil ist unschwer zu vermuten, daß LOTZE an dieser Stelle Gelegenheit nehmen wird, das Gelten als eine der Formen der Wirklichkeit einzuführen.
Im folgenden Paragraphen kommt LOTZE zur Besprechung der platonischen Ideenlehre, die er seltsamerweise mit seiner Lehre von den Bedeutungen identifiziert.Wir halten dies für ein Mißverständnis PLATONs, aber wie es auch sei, da er selbst an die Identität beider Lehren glaubt und seine Gedanken über die Inhalte für den "eigentlichen" Sinn der platonischen Metaphysik hält, können wir seine Behauptungen über die platonischen Ideen als solche über Inhalte und Bedeutungen, nehmen. So ist es zur Erklärung des "allen" zu verwenden, wovon man "absehen kann", wenn er sagt:
Doch hiervor zu abstrahieren ist bei Wahrheiten nicht möglich, oder wenn bei Wahrheiten, so doch nur insofern, als sie Inhalte sind, den Begriffen, Vorstellungen und Wahrnehmungen koordiniert. Denn Wahrheiten sind Aussagen über Gegenstände. Auch wenn es gewiß gleichgültig ist, ob jemand die Wahrheit einer Aussage anerkennt oder nicht, so ist es ganz und gar nicht gleichgültig, ob es die Gegenstände gibt, über die der Satz wahr sein will. Diese Gegenstände können längst verschwunden sein, ohne daß die Wahrheit über sie aufhört, wahr zu sein, aber sie müssen einmal existiert haben, und sie müssen genau in der Weise existiert haben, wie der Inhalt des wahren Urteils es aussagt, sonst wäre es ja keine Wahrheit. Anders ist es bei den Inhalten, die nicht prätendieren [vorgeben - wp] wahr zu sein, wie etwa der Inhalt des Begriffs Pferd. Hier ist es irrelevant, nicht nur, ob jemand diesen Inhalt vorstellt, sondern auch, ob es ein Pferd gibt. Die seltsame Existenzart, die dem Inhalt "Pferd" zukommt, wird davon nicht alteriert, ob es Pferde gibt, ob sie ausgestorben sind oder ob es jemals welche gab. Ein Inhalt, der nichts bedeutet, sondern nur etwas bedeutet, steht außerhalb jeglicher Beziehung sowohl zu einem Vorstellen als auch zu den Dingen. Sieht man bei einem wahren Satz ab von seiner Wahrheit, betrachtet man ihn rein unter dem Gesichtspunkt, daß er ein Inhalt ist, so ist es selbstverständlich auch bei ihm sinnvoll möglich, vom Sachverhalt zu abstrahieren, den er beurteilt oder ausdrückt, aber eben nur, wenn er als Inhalt und nicht als Wahrheit fungiert. Verlangen also die Worte "daß sein Gegenteil nicht gilt" die Auffassung, daß es sich um einen wahren Satz handelt, so lassen die Worte "abgesehen von allen Anwendungen, die er erfahren kann", dies nicht zu und verlangen umgekehrt die Auffassung des Satzes als eines bloßen Inhaltes. Davon aber, ob der Satz als Wahrheit oder als Inhalt gemeint ist, hängt die Bedeutung ab, die das Gelten hier hat. Bezieht es sich auf die Wahrheit, so ist es das normative Gelten, bezieht es sich auf den Satz als Inhalt, so hat es existentiale Bedeutung. So haben wir hier den Fall, daß nicht nur im gleichen Satz gleichlautende Worte ("Satz" und "Gelten" in verschiedener Bedeutung vorkommen, sondern daß dieselben Worte Verschiedenes bedeuten, je nachdem sie auf einen oder den anderen Teil des Satzes bezogen werden! Erst zwei Sätze später tritt das Gelten lediglich in Beziehung zum Begriff des Inhaltes auf, nun ohne Vermischung mit der Wahrheit:
Ein Fall ganz ähnlicher Verwirrung, wie er eben ausführlich besprochen wurde, wiederholt sich in einem der folgenden Paragraphen, der der platonischen Ideenlehre gewidmet ist. Wieder nehmen wir seine Gedanken über PLATON als Selbstbekenntnisse. Er spricht hier ausdrücklich vom "Inhalt einer Wahrheit" - Worte, die ja besonders zur Verwechslung verführen - und sagt von ihm, daß er "gilt". Je nachdem es der Inhalt der Wahrheit oder der Inhalt der Wahrheit ist, den er meint, hat das Gelten existentialen oder normativen Sinn. Und wieder lassen einzelne Teile des Satzes nur die Wahrheit als Inhalt zu, während andere die Wahrheit um ihrer Wahrheit willen aufgefaßt wissen wollen. So lesen wir (Seite 515):
So scheinen mir auch die Worte, daß sich nicht angeben läßt, "wie es gemacht wird, daß eine Wahrheit gilt" (Seite 513) nicht recht auszudrücken, was sie meinen. LOTZEs Absicht geht meines Erachtens dahin zu sagen, daß der neugewonnene Existenzbegriff des unsinnlichen Geltens nicht weiter zu analysieren ist, und daß man diese Art der Wirklichkeit hinnehmen muß ohne nähere Erklärung ihres Zustandeskommens, ganz wie die anderen Daseinsweisen. Und doch spricht er diese Gedanken nicht am Begriff des Inhaltes aus, sondern an dem der Wahrheit; angewandt auf sie aber erhält das Gelten unvermeidlich die normative Nuance. Täusche ich mich nicht, so hat LOTZE das Mißliche der Verwendung des Ausdrucks Gelten für zwei so heterogene [ungleichartige - wp] Dinge selbst empfunden. Aus dem Bedürfnis, dies zu vermeiden, ist es wohl gewesen, daß er am Ende des Kapitels eine terminologische Neuerung einführt. Den Ausdruck "Gelten" möchte er nunmehr bloß auf Sätze, nicht auf Begriffe angewandt wissen, "von ihnen ließe sich nur sagen, daß sie etwas bedeuten" (Seite 521). Ist dies, wie ich glaube, die Absicht LOTZEs gewesen, so scheint sie mir doch nicht wesentlich erreicht zu sein, denn "Bedeuten" drückt in keiner Weise das aus, wofür der Terminus "Gelten" fixiert worden ist. Gelten bezeichnet die Art der Existenz der unsinnlichen Gebilde. Bedeuten aber ist ein Wort, das auf eine ganz andere Frage als die nach der Existenz antwortet, es drückt die Funktion der Begriffsinhalte aus. Auf die Frage, was sie sind, ließe sich sagten, sie "gelten". Daß sie etwas "bedeuten", antwortet auf die Frage, was sie tun. So wenig also ersetzt das "Bedeuten" das "Gelten" in Bezug auf Begriffe, daß man sagen müßte: Die hinsichtlich ihrer Wirklichkeit geltenden Begriffe haben die Eigenschaft oder die Funktion, etwas zu bedeuten - vor allem aber profitieren von dieser terminologischen Reform gerade die Gebilde nicht, die dessen am meisten bedürfen, die wahren Sätze. (Wie es scheint, sind diese gemeint und nicht Sätze überhaupt, Urteile im Gegensatz zum isolierten Begriff, denn hierauf deutet die Nähe, in der sie an der fraglichen Stelle mit den "Gesetzen" auftreten.) Für sie wird auch nach der reformierte Bezeichnung das Gelten beibehalten. Daß es ein Mißgriff ist, den Ausdruck Gelten zugleich für die Normativität der Wahrheit und die Existentialität der Inhalte zu verwenden, bedarf keines Wortes. Die Logik wird sich nach anderen Bezeichnungen hierfür umsehen müssen. Uns aber bleibt an dieser Stelle noch übrig, die psychologische Quelle dieser so unzweckmäßigen Benennung aufzudecken. Sie ist wohl darin zu finden, daß beide Geltungsbegriffe gleichsam durch eine Personalunion versunden. Denn Wahrheiten sind es, an denen beide zur Entfaltung kommen. Als Wahrheiten gelten sie normativ, als Inhalte haben sie existentiale Geltung. Dies ist oft genug in diesem Abschnitt an Sätzen LOTZEs aufgewiesen worden, so daß es keiner Erörterung mehr bedarf. Da nun der Terminus Allgemeingültigkeit bereits vor LOTZE mit der Wahrheit verbunden wurde, was es kein weiter Schritt dahin, die Wahrheit als geltend oder als Geltende (in einem normaitven Sinn) zu bezeichnen. Ich vermute, daß die erste Bedeutung des Geltens im Bewußtsein LOTZEs die normative, die Wahrheit charakterisierende gewesen ist, und daß, sobald er das Problem der Inhalte konzipiert hatte, der Terminus von hier aus zur Bezeichnung auch der anderen Seite der Wahrheit, der Wahrheit als Inhalt gelangt ist. Der Terminus Gelten war ihm bereits so verwachsen mit dem Begriff der Wahrheit, die als etwas vom Menschen Unabhängiges erkannt wurde, als er an das Problem der Bedeutungen herantrat, daß er sich verführen ließ, auf die Frage "welches ist die Existentialität der Inhalte, die gelten", (d. h. der wahren Inhalte) zu antworten. sie "gelten". Denn wieder sollte eine Unabhängigkeit den Menschen gegenüber zum Ausdruck kommen, und für diese Nuance bot sich ihm das Gelten an. Wir wandten im Vorhergehenden ein, daß diese Antwort weit weniger befriedigend ist, als LOTZE meint, immerhin hat sie doch einen Sinn. Und dieser Sinn ist kein anderer als der existentiale, nicht weil uns wirklich eine Antwort auf die Frage nach der Existenz gegeben wird, sondern lediglich kraft der gemeinten Bedeutung der Frage. Zwischen den Lehren über die Normativität der Wahrheit und der Geltung der Inhalte besteht ein enger Zusammenhang, wenn nicht gar eine funktionale Abhängigkeit. Welche Stellung man zum Gelten der Inhalte als dem Sein der Bedeutungen hat, hängt davon ab, welche Stellung man zum Begriff der Wahrheit einnimmt und umgekehrt. Der Relativismus leugnet, wie den übermenschlichen Charakter der Wert überhaupt, auch den der Wahrheit. Die unbedingte Normativität der Wahrheit erkennt er nicht an und sieht in ihr vielmehr eine bloße Konvention zum Zweck klein menschlicher Interessen. Ihm sehr gemäß ist die Ablehnung der Gedanken BOLZANOs und LOTZEs über das existentiale Gelten. Er will nicht zugeben, daß es neben und außerhalb des Psychischen so etwas wie ein "Gelten überhaupt" gibt. Eine Diskussion hierüber mit ihm ist von vornherein zur Unfruchbarkeit verurteilt. Es kann niemals bewiesen werden, daß die Inhalte unserer Vorstellungen etwas anderes sind als ihre psychischen Korrelate, so selbstverständlich ist es. Die Haltung der Relativisten erinnert in dieser Hinsicht lebhaft an die der Materialisten. Wie es diesen nicht möglich war, intuitiv zu begreifen, daß körperliche Vorgänge nichts Seelisches sind und zerebrale [Hirn- |wp] Erregungen nicht Empfindungen, d. h. Bewußtseinsleistungen gleichgesetzt werden dürfen, und sie deshalb alles Wirkliche auf den Generalnenner des Räumlichen brachten, so glauben die Relativisten an die Katholizität des Gegensatzpaares psychisch-physisch. Das "sogenannte" Gelten kann für sie nur eine Abart des Psychischen sein, ohne daß sie in seiner Zeitjenseitigkeit den Gegenbeweis verstehen. SO sagt HEYMANs (Gesetz und Elemente des wissenschaftlichen Denkens): "Der logische Satz steht nicht neben oder gegenüber dem Psychologischen, sondern gehört in denselben hinein." Der Relativismus neigt leicht zum Psychologismus, wie das Hineinziehen der zeitlos ruhenden Inhalte in den Prozeß seelischer Vorstellungen genannt wird. Umgekehrt hat der Psychologismus eine natürliche Tendenz zum Relativismus. Es ist ein unverkennbarer gleicher Rhythmus, der in beiden lebt. Der Relativismus sagt: Die Wahrheit hat keinen Sinn jenseits des Menschen. Der Psychologismus lehrt: Die Wahrheit hat kein Sein jenseits des Menschen. Zwar ist der Psychologismus keine Leugnung der seelenjenseitigen Existenz gerade des Inhalts der Wahrheit, sondern aller Inhalte; und auch der Relativismus ist nicht allein eine Theorie der Wahrheit, sondern der Werte. Aber da die Wahrheit beiden Reichen, dem normativen und dem geltenden angehört, so wurde die Personalunion mit Recht dazu benutzt, um die Gleichartigkeit des Relativismus und des Psychologismus prägnanter auszudrücken. Ganz ebenso ist eine innige Verwandtschaft zwischen dem entgegengesetzten Glauben an die Übersubjektivität der Wahrheit und dem der Inhalte. Der Ausdruck Übersubjektivität, den beide beanspruchen, deutet dies an. Wo man deutlich fühlt, daß es im Phänomen der Wahrheit wie des Wertes es dem Menschen vergönnt ist, etwas zu ergreifen, das mehr ist als er selbst, da, wo die Gewißheit des Übersinnlichen lebt, ist der Blick geklärt genug, unter den vielen Seltsamkeiten dieser Welt auch die des Unsinnlichen in seiner ganzen Eigenart zu schauen. Dem Glauben an die Sphäre des Geltens ist der Weg bereitet durch die halb logische, halb religiöse Überzeugung von der Majestät des Sollens, von der Weltentrücktheit des Wahren. Daß nicht alles, was die Seele erfaßt, selber seelisch ist, gehört hier zu den Selbstverständlichkeiten. Aber das Verständnis für BOLZANOs und LOTZEs Lehre der transpsychischen Inhalte stelt nicht einmal Ansprüche an das religiöse Gefühl des Menschen, die logische Einsicht reicht aus, den fundamentalen Unterschied zwischen der psychischen Vorstellung und dem geltenden Inhalt zu begreifen. Ist aber erst das Transpsychische, als eine unbestreitbare Tatsache, im Seelenleben des Menschen festgestellt, so wird auch der Vorsichtigste nicht mehr zögern, an einen über das Menschliche hinausragenden Gehalt der Idee der Wahrheit zu glauben. Dies freilich ist erst Zusammensein, nicht Zusammengehörigkeit. Wie sehr wir die Gleichheit des Rhythmus fühlen im Glauben an die Seelenjenseitigkeit des Wahren und an die der Inhalte, dies ist noch keine funktionale Abhängigkeit der beiden Geltungsbegriffe. Diese wird erst deutlich in den Gedankengängen eines zur Metaphysik entschlosseneren Denkens. Hier geht man nämlich so weit, die Tatsache der Geltungsrealität als einen Beweis für den Normcharakter der Wahrheit anzusehen. Die Normativität der Wahrheit ist doch nur unter Zugrundelegung des existierenden Geltens denkbar. Denn, was wir die Wahrheit eines Inhalts nennen, besteht darin, daß er von unserem Anerkennen unabhängig ist. Was anderes aber heißt diese Unabhängigkeit von uns, als daß die Wahrheit ein irgendwie geartetes Ansich-sein hat. Dieses Sein darf gewiß nicht dem Sein der Dinge ähnlich gedacht werden.
In solchen Argumenten enthält LOTZEs Lehre vom Gelten eine ungeahnte Bedeutung. Sie wird zum Beweis, zur Rechtfertigung der Wahrheitslehre des SOKRATES! Indem ich WINDELBANDs Satz in diesen Zusammenhang brachte, soll nicht behauptet werden, daß WINDELBAND selbst ihm diesen Sinn gegeben hätte, obgleich es nicht ausgeschlossen ist. Aber seine Worte sind noch in anderer Hinsicht interessant. Sie schlagen einen Ausweg vor, über die Doppeldeutigkeit des Geltens hinwegzukommen. Er spricht von Geltung ansich und setzt sie außerhalb der Beziehung auf das Bewußtsein. Gleichviel, ob WINDELBAND damit die Geltung in existentialer Hinsicht meint oder nicht, können wir von seiner vielleicht unbeabsichtigten Anregung profitieren. Zwar ist auch das normative Gelten unabhängig von unserem Belieben oder Vorstellen, und insofern ist auch dieses ein "Ansich-Gelten", ist doch das "ansich" seit KANT zu einem Synonym der Subjektentrücktheit geworden. Nun haben wir hinreichend die Eigengesetzlichkeit der Normen behauptet, um nicht in den Verdacht der Relativierung zu kommen, wenn wir jetzt sagen, daß im Begriff des Normativen selbst ein Anklingen von Beziehung zum Subjekt, zur Welt des Menschen ist. Nicht so, daß die Norm in die Gewalt des Menschen gegeben wird, es ist ein absolutes Herrschaftsverhältnis zwischen ihr und uns, aber um über uns zu herrschen, ist sie auf unsere Existenz angewiesen. Ein Sollen kann ein solches nur sein in Beziehung zu jemandem. Die Norm ist Norm nur ad hominem [in Bezug auf den Menschen - wp] (RICKERT, LASK) -, sie ist nicht zu denken ohne die ihr hingegebene Subjektivität. Mit anderen Worten: Norm ist ein Relationsbegriff. Wie immer auch der spezifische Gehalt eines wahren Satzes uns selbst genugsam gegenübersteht und ansich gilt, in des Wortes normativer Bedeutung, ob wir ihn anerkennen oder nicht, als Norm ist er doch Norm für uns, die wir ihm unterworfen sind. So ist das logisch-normative Gelten ein Ansich-gelten doch für uns: ein Hingelten zu uns, ein uns Entgegengelten. Dieses unverkennbare Beziehungsmoment, das sich mit der Autonomie sehr wohl verträgt, bringen wir zum Ausdruck, indem wir das logische (nicht nur das psychologische) Gelten als ein relationales bezeichnen. Etwas ganz anderes ist das existentiale, das Sein der Inhalte bezeichnende Gelten. Mit ihm soll eine Wirklichkeit zum Ausdruck gebracht werden. Wirklich ist aber etwas ganz ohne Beziehung zu einem Wesen, im reinsten Sinn "an und für sich". Aus diesem Grund charakterisiert man das existential gemeinte Gelten zweckmäßig als das "Gelten ansich" und im Unterschied zum logisch-normativen Gelten, das im letzten Grund ein relationales ist, als das absolute Gelten. ![]() |