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JOHANNES VOLKELT
Psychologische Streitfragen
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Der Anfang der gliedernden Beschreibung der Bewußtseinstatsachen wird damit zu machen sein, daß vor dem Eingehen auf die verschiedenen Klassen und Gruppen das Gemeinsam sämtlicher Bewußtseinsvorgänge ans Licht gestellt wird. Denn erst hierdurch wird der Boden geschaffen, der das Gleichartige und Unterschiedene der größeren und kleineren Klassen und Gruppen der Bewußtseinsvorgänge einigt und zusammenhält. Welcherlei Gemeinsamkeiten nun in den Vordergrund zu stellen sind, dies kann nur die antizipierte Rücksicht auf die erst später zu rechtfertigende wissenschaftliche Wichtigkeit dieser oder jener Bewußtseinsfaktoren lehren."

"Erst in den Bewußtseinsakten findet das Bewußtsein sein Ziel, seinen Sinn und Wert. Die Bewußtseinelemente für sich, abgesehen von ihrer Zusammenfassung zu Akten, machen den Menschen noch nicht zu einer vernünftigen Persönlichkeit, zu einem Wesen, das die Welt erkennend deutet, sittlich bearbeitet, künstlerisch verklärt. Die Güter unseres Lebens werden erst durch die Akte des Bewußtseins geschaffen. Wissenschaft, Sitte, Staat, Religion, Kunst: dies alles setzt die Akte des Wahrnehmens, Denkens, Wollens usw. als seine nächsten Mittel voraus; ja jene Güter bestehen in nichts anderem als in verschiedenen Einheiten höherer Ordnung, zu denen sich diese Akte verknüpfen."


I. Selbstbeobachtung
und psychologische Analyse

[Fortsetzung]

9. In der neuesten Zeit ist viel von der Anwendung des Experiments auf die Psychologie die Rede. Man denkt dabei an das Experiment im exakten Sinn der Naturwissenschaft. Ohne Frage ist damit der psychologischen Forschung ein höchst wichtiges Hilfsmittel dienstbar gemacht worden. Schon um die Überschätzung abzuwehren, die sich häufig an die "experimentelle Methode" in der Psychologie knüpft, wird es gut sein, hier die Tauglicheit des Experiments für die Psychologie bestimmt zu umgrenzen.

Das psychologische Experiment setzt die Bewußtseinsvorgänge unter absichtlich hergestellte Bedingungen, um sie in dieser künstlichen Zwangslage zur Äußerung zu veranlassen. Diese Bedingungen werden so zu wählen sein, daß durch dieselben die Probleme, um die es sich handelt, geklärt, vereinfacht und in genauerer und bestimmterer Weise beantwortet werden, als dies ohne Experiment möglich gewesen wäre. Zu einer derartigen Einrichtung der Bedingungen wird besonders auch gehören, daß sich dieselben nach Zahl und Maß angeben lassen. Nur in diesem strengen Sinn soll hier von Experiment die Rede sein. Wenn man dem Experiment nicht diese "exakte" Bedeutung gibt, dann ist es kein Kennzeichen der "experimentellen" Psychologie. Im weitesten Sinn findet ja überall dort ein psychologisches Experimentieren statt, wo ich andere oder mich selbst absichtlich in irgendeine Lage bring, um die in dieser Lage sich ergebenden Bewußtseinsvorgänge zu konstatieren. Ein solches Experimentieren ist seit jeher mit dem Beobachten in der Psychologie im weitesten Umfang verknüpft gewesen (23).

Wie das naturwissenschaftliche, so läßt sich demnach auch das psychologische Experiment als eine Veranstaltung auffassen, um die Erfahrungsgrundlage der betreffenden Wissenschaft einer der Erforschung möglichst günstingen Veränderung absichtlicherweise zu unterwerfen. Es ist kein neues Erfahrungsgebiet, was durch das psychologische Experiment aufgeschlossen wurde, sondern es sind auch nur wieder Bewußtseinsvorgänge, was durch das Experiment als sein der weiteren wissenschaftlichen Bearbeitung harrender Erfolg der unmittelbaren Erfahrung dargeboten wird. So überhebt uns also das Experiment keineswegs der Selbstbeobachtung, sondern es stellt vielmehr an jeden, dessen Bewußtseinsvorgänge unter die Bedingungen eines Experiments gesetzt werden, die unerläßiche Anforderung, mit aller denkbaren Schärfe sein Inneres zu beobachten.

Es is daher, wie man auch über die Selbstbeobachtung denken mag, in jedem Fall unstatthaft, der trügerischen und im Grund unausführbaren Methode der Selbstbeobachtung, wie WUNDT tut, (24) das psychologische Experiment als objektive Methode entgegenzusetzen. Leidet wirklich die Selbstbeobachtung an vernichtenden Mängeln, so ist damit auch die experimentelle Methode tödlich getroffen. Wenn ich bei psychologischen Experimenten (etwa beim Heben von Gewichten) auf den ebeb merklichen Empfindungsunterschied achtgeben soll, oder wenn die Aufgabe darin besteht, auf den Zeitpunkt zu achten, wo wir die Qualität eines Eindrucks genau unterscheiden oder sich zu einer Vorstellung eine andere assoziativ gesellt (25), so ist dies nur durch die scharfe Selbstbeobachtung möglich. Ja in der hierzu nötigen Selbstbeobachtung ist die Absicht des Beobachtens auf die Bewußtseinsvorgänge, die da kommen sollen, geradezu gespannt. Es wird also die schwierigste Art der Selbstbeobachtung durch das Experiment gefordert.

So hat die Verwendung des Experiments in der Psychologie durchaus zur Bedingung, daß man die Selbstbeobachtung zur letzten Grundlage der Psychologie macht. Nur eine Psychologie, die dies tut, vermag das Experiment methodisch zu rechtfertigen. Die Frage nach dem Umfang, in dem das Experiment in der Psychologie mit Erfolg angewendet werden darf, liegt außerhalb meiner Aufgabe. Jedenfalls wird man anerkennen müssen, daß nicht nur auf psychophysischem Gebiet, sondern auch in den Untersuchungen über die gesetzmäßigen Beziehungen der Bewußtseinsvorgänge, besonders soweit dabei Zeit und Zahl in Frage kommen, das Experiment die Aufstellung gewisser Gesetze teils überhaupt erst möglich macht, teils doch die Gesetze eine exaktere Gestalt gewinnen läßt. KANT erklärte noch die Psychologie als Experimentallehre für unausführbar (26); und noch bis vor kurzem war die Meinung fast allgemein, daß das Experiment höchstens auf dem Gebiet der Psychophysik zur Anwendung kommen kann. Diese noch von VOLKMANN (27), ZELLER (28) u. a. vertretene Meinung kann angesichts der zentralen seelischen Gebiete, die sich vorzüglich bei WUNDT die experimentelle Methode erobert hat, nicht aufrechterhalten werden. Doch auch wenn man diesen Fortschritten der experimentellen Methode vollauf Rechnung trägt, so dürften doch folgende Gebiete der Psychologie der Natur der Sache nach im wesentlichen dem Experiment unzugänglich bleiben.

Zum einen rechne ich hierher die empirische Grundlegung der Psychologie, d. h. die Beschreibung der typischen Bewußtseinsvorgänge und Analyse derselben in ihre letzten im Bewußtsein aufweisbaren Elemente. Ich wüßte nicht, welcher erhebliche Vorteil für die hierdurch bezeichneten und, wie weiterhin gezeigt werden wird, überaus wichtigen Aufgaben aus dem Experiment entspringen sollte. Die Bestandteile, die uns das Bewußtsein im Wahrnehmen, Reproduzieren, Wollen usw. zeigt, werden nicht erst durch Experimente bloßgelegt, sondern auch ohne solche liegen sie der Selbstbeobachtung offen da. Ebensowenig ist ferner das Experiment imstande, sich in den nach der Metaphysik zu liegenden Teil der Psychologie Eingang zu verschaffen. Ich rechne aber hierzu nicht nur die Fragen, die sich um die Seelensubstanz drehen, sondern auch die Untersuchungen über die ursprüngliche und abgeleitete Natur der verschiedenen seelischen Grundbetätigungen, über das Apriorische usw. Daß hier für das Experiment kein Boden vorhanden ist, bedarf keiner Begründung. Dagegen ist es der mittlere Teil der Psychologie: die Untersuchung der die Koexistenz und Sukzessin der Bewußtseinsvorgänge bestimmenden Gesetze, wo das Experiment in großem Umfang mit Erfolg angewendet werden kann. Doch auch hier erstreckt sich, abgesehen von den psychophysischen Bereichen, die Anwendbarkeit der experimentellen Methode der Hauptsache nach nur auf zwei Untersuchungsgebiet: auf die Entstehung der sinnlichen Wahrnehmungen und auf die Beziehungen, welche die Koexistenz und Sukzession der Vorstellungen nach Zahl und Zeit regeln (29). Dagegen bleibt, wie WUNDT sagt (30) "die Entwicklung der eigentlichen Denkprozesse, sowie der höheren Gefühls- und Triebformen" dem Experiment verschlossen. Aber auch niedrigere Bewußtseinsakte, wie die Reproduktion, lassen sich nach ihren qualitativen Zusammenhängen nicht experimentell erforschen. Inwieweit z. B. die Reproduktion von Gefühl und Interesse, von der Anordnung der unbewußten Vorstellungsdispositionen und von den vorausgehenden bewußten Vorstellungen abhängt, wird sich durch exakte Experimente nicht feststellen lassen (31).

So werden wir also sagen dürfen, daß weder in der empirischen Grundlegung der Psychologie, noch in der Erörterung der metaphysisch-psychologischen Hypothesen das Experiment mit Erfolg angewendet werden kann, sondern nur im mittleren Teil der Psychologie, der die in den psychischen Erscheinungen unmittelbar zutage tretenden gesetzmäßigen Beziehungen aufsucht. Auch diese Beziehungen aber werden, soweit sie Zusammenhänge qualitativer Art sind, wohl weitaus in der Hauptsache außerhalb des Geltungsbereiches der experimentellen Methoden fallen.

10. Wir haben kennengelernt, woraus sich die Erfahrungsgrundlage der Psychologie zusammensetzt. Teils (soweit es sich nämlich um die eigenen Bewußtseinstatsachen des Psychologen handelt) besteht die Erfahrungsgrundlage in der unmittelbaren Beobachtung von Bewußtseinstatsachen, teils jedoch in einem Erschließen derselben. Das Weitere ist nun, daß sich jene unmittelbare Erfahrungsgrundlage mit dieser Erfahrungsgrundlage zweiter Ordnung (vgl. Punkt 6) vereinigt, um eine möglichst genaue und die zweckmäßigsten Bahnen verfolgende Beschreibung der Bewußtseinstatsachen zustande zu bringen. Der Zweck jenes Beobachtens und dieses Erschließens besteht in einer derartigen Beschreibung, daß die kausale, Gesetze aufsuchende Bearbeitung hieran die möglichst günstige Vorbereitung findet, also unmittelbar an sie anknüpfen kann. Ich werde diese Beschreibung als endgültige psychologische Beschreibung bezeichnen.

Die Herstellung jener beiden Erfahrungsgrundlagen ist übrigens eine Arbeit, die in den psychologischen Werken fast niemals dargelegt wird, sondern nur als Vorarbeit derselben vorhanden ist. In den psychologischen Werken wird erst die von bestimmten Zielen geleitete, nach vorhergegangener Auswahl und Sichtung vorgenommene Beschreibung der Bewußtseinstatsachen niedergelegt. Es ist also im Grunde schon eine Erfahrungsgrundlage dritter Ordnung, deren Feststellung in den psychologischen Werken die erste Aufgabe bietet. Zuweilen freilich würde man lieber sehen, wenn der Psychologe seine Beobachtungen, statt sie sofort durch Hineindeutungen zu verunreinigen, als rohe, ungesichtete Materialsammlung zu veröffentlicht hätte. Es obliegt mir zunächst, die Ziele zu bezeichnen, nach denen sich die endgültige Beschreibung der Bewußtseinsorgane zu richten hat.

In allgemeinster Hinsicht wird sich sagen lassen, daß die methodischen Gesichtspunkte, nach denen die Auswahl des zu Beschreibenden zu treffen ist, teils mit Rücksicht auf den allgemeinen Charakter wissenschaftlicher Forderung, teils mit Rücksicht auf die besondere Beschaffenheit des vorliegenden Erfahrungsgebietes bestimmt werden müssen. Zunächst wird für die Beschreibung der Bewußtseinstatsachen die methodische Forderung maßgebend sein, daß dieselben nach Gleichartigkeit und Unterschied angeordnet werden. Die Beschreibung wird dann zugleich eine Gliederung der Bewußtseintatsachen sein müssen. Nur so arbeitet die Beschreibung dem Zweck der wissenschaftlichen Untersuchung, der Auffindung der Gesetze in möglichster Weise vo. Natürlich übrigens werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, nach denen sich jene Gliederung richtet, lediglich aus den Bewußtseinstatsachen selbst und nicht aus irgendeinem transsubjektiven Bereicht genommen werden müssen.

Der Anfang der gliedernden Beschreibung der Bewußtseinstatsachen wird nun wohl damit zu machen sein, daß vor dem Eingehen auf die verschiedenen Klassen und Gruppen das Gemeinsam sämtlicher Bewußtseinsvorgänge ans Licht gestellt wird. Denn erst hierdurch wird der Boden geschaffen, der das Gleichartige und Unterschiedene der größeren und kleineren Klassen und Gruppen der Bewußtseinsvorgänge einigt und zusammenhält. Welcherlei Gemeinsamkeiten nun in den Vordergrund zu stellen sind, dies kann nur die antizipierte Rücksicht auf die erst später zu rechtfertigende wissenschaftliche Wichtigkeit dieser oder jener Bewußtseinsfaktoren lehren. Nach meiner Überzeugung müßte zu allererst das Bewußtsein selbst, soweit als tunlich beschrieben, also das, was wir in ihm haben und erfahren, umgrenzt und besonders von Mißverständnissen geschützt werden. Dies würde von selbst die Beschreibung zu manchen weiteren gemeinsamen Zügen führen: zur durchgängigen Korrelation von Bewußtseinsform und Bewußtseinsinhalt, zur Beziehung des Bewußtseins zu den koexistierenden und sukzedierenden Bewußtseinsinhalten (also zur Identität des Bewußtseins und der damit verbundenen relativen Überwindung von Vielheit und Zeit), zum durchgängig zeitlichen und ebenso durchgängig unräumlichen Charakter der Bewußtseinsvorgänge, ferner zum Fehlen der Kontinuität und ursächlichen Verknüpfung in der Reihe der Bewußtseinsvorgänge als solcher und zu vielem anderen, dessen Aufzählung hier von keinem Nutzen wäre. Und dies alles wäre nicht etwa zu dem Zweck ins Auge zu fassen, um auf Erklärungen und Hypothesen zu sinnen, sondern einzig um das, was uns das Bewußtsein aufzeigt, genau und treu wiederzugeben.

Es fragt sich nun weiter, nach welcher Richtschnur die Beschreibung der Bewußtseinsvorgänge von da an vorzugehen hat, wo sie sich auf die Gliederung des Bewußtseins in Klassen und Arten einläßt. Diese Richtschnur wird sich natürlich aus den Bewußtseinsinhalten als solchen nicht ablesen, sondern nur dadurch gewissen lasen, daß wir die weitere psychologische Arbeit, die sich an das Beschreiben schließen wird, im Voraus in Betracht ziehen (32).

Da die Aufgabe der Psychologie in der Auffindung der den Bewußtseinsvorgängen immanenten Gesetze besteht, so wird es darauf ankommen, die Bewußtseinsvorgänge derart zu gliedern, daß die Gliederung nicht aus einer willkürlichen, subjektiven Vergleichung stammt, , nicht ein über die Bewußtseinsvorgänge geworfenes Begriffsnetz ist, sondern daß sie die in der eigenen Natur des Bewußtseins begründeten verschiedenen Richtungen zum Ausdruck bringt. Es werden Klassen aufzustellen sein, in denen sich Bau und Entwicklung des Bewußtseins als in seinen notwendigen Spaltungen und Stufen ausspricht. So kommt die klassifizierende Beschreibung dem Auffinden der Gesetzmäßigkeit am Besten entgegen (33).

Die nächste Einteilung, die in dieser Beziehung das Bewußtsein darbietet, besteht nun ohne Frage in derjenigen Reihe koordinierter Glieder, zu der das sinnliche Wahrnehmen, das Reproduzieren, das Denken, Fühlen, Wollen und vielleicht noch einige andere Betätigungen gehören. Der spätere Verlauf der Psychologie wird zeigen, daß in den genannten Betätigungen das Ziel der Entwicklung des menschlichen Bewußtseins liegt. Jene Betätigungen sind zwar nichts weniger als elementare Funktionen, nichts weniger als Ausdrücke einfacher Gesetze; wohl aber sind mit ihnen Gestaltungen bezeichnet, zu denen sich im Bewußtsein alles Elementare natur- und bestimmungsgemäß zusammensetzt. Alles Geschehen im Bewußtsein verläuft als Koexistenz und Sukzession [Aufeinanderfolge - wp] jener vielgliedrigen, zusammengefaßten Formen. Erst in ihnen erhalten die elementaren Bestandteile des Bewußtseins Sinn und Wert. So wird auch die Untersuchung der Gesetzmäßigkeit des Bewußtseins ganz besonders die Beziehungen zwischen jenen verwickelten Betätigungen ins Auge zu fassen haben.

Es wird daber mit Rücksicht auf die späteren Untersuchungen offenbar von Vorteil sein, wenn die Beschreibung des Bewußtseins sich an jene wichtigen Betätigungsweisen desselben hält. Man könnte nur fragen, warum die Beschreibung sich nicht lieber sofort auf die elementaren Bestandteile des Bewußtseins richtet. Die Antwort hierauf liegt in der Tatsache, daß jene zusammengesetzten Betätigungsweisen des Bewußtesins sich dem Beobachten weit früher, deutlicher und greifbarer darbieten als die weit versteckteren elementaren Bestandteile desselben. Wollte sich die Beschreibung zunächst auf die elementaren Faktoren des Bewußtseins hinwenden, so würden für die Auffindung derselben jene erleichternden Fingerzeige fehlen, die in der Abgrenzung jener verschiedenen Bewußtseinselemente liegen. Auch würde die Bedeutung der Bewußtseinselemente ohne die vorhergehende Abgrenzung derjenigen kleineren Ganzen, in die sie stets als Elemente eingehen, nicht klar hervortreten. So werden wir also sagen dürfen, daß der beschreibende Teil der Psychologie sich nach der Feststellung jener durchgängigen Gemeinsamkeiten mit jenen zusammengesetzten Betätigungsweise des Bewußtseins zu beschäftigen haben wird. Ich will für diese Betätigungsweisen ein für allemal den Namen "Bewußtseinsakte" einführen.

Es wird nun gut sind, wenn sich die beschreibende Psychologie, indem sie die "Bewußtseinsakte" betrachtet, nicht nur mit jenerungefähren Bestimmung ihres Begriffs begnügt, die ich bereits angedeutet habe, sondern wenn sie das Unterscheidende der Bewußteinsakte (besonders im Gegensatz zu den Bewußtseinselementen) bestimmt und unzweideutig anzugeben versucht. Dies soll kurz im Folgenden geschehen.

11. So zusammengesetzt auch Wahrnehmen, Vorstellen, Denken, Wollen usw. der feineren Anylse erscheint, so steht doch auf der anderen Seite ebenso unbestreitbar fest, daß die Bewußtseinsänderungen der genannten Art zunächst den Eindruck des Einfachen machn. So kam es, daß die frühere Psychologie sie meist zumindest stillschweigend, wie etwas Einfaches behandelte, was dann zur Entstehung der falschen Seelenvermögen-Theorie nicht wenig beitrug. Doch liegt der Täuschung, als ob wie es im Wahrnehmen, Vorstellen usw. mit etwas Einfachem zu tun haben, eine gewisse Wahrheit zugrund, die hier betont zu werden verdient, weil sich uns dadurch eine wesentliche Seite an den Bewußtseinsakten hervortun wird.

Mag der Akt des Wahrnehmens, Reproduzierens, Denkens usw. für die analysierende Selbstbesnnung auch noch so zusammengesetzter Natur erscheinen, so faßt sich doch das Zusammengesetzte darin in gewisser Hinsich zu einem Einfachen zusammen. Das bewußte Ausüben, Betätigen selber nämlich ist ungeteilt, unzusammengesetzt. In jedem Wahrnehmungs- Urteilsalte usw. geht etwas vom Bewußtsein aus, wird etwas von ihm vollzogen, das Bewußtsein gibt sich darin eine Stellung, oder wie man sonst diese formelle Seite an den Bewußtseinsakten bezeichnen mag. Dieses Vollzogenwerden nun eben, das vom Bewußtsein ausgeht, ist in jedem Bewußtseinsakt ein einmaliges, sowohl im Hinblick auf Koexistenz als auf Sukzession. Wenn ich eine Wahrnehmung habe, einen Entschluß fasse, ein Urteil fälle, so ist das Ausüben meines Bewußtseins selber weder gleichzeitig noch nacheiander ein mehrmaliges. Das Einfache hat hier also die Bedeutung eines Einmaligen. Dieses Einmalige der Ausbildung soll auch der Name "Bewußtseinsakt" zum Ausdruck bringen. - Schon hier sei darauf hingewiesen, daß keiner der elementaren Bestandteile des Bewußtseins jemals mit einem Bewußtseinsakt identisch ist. Immer gehen mehrere elementare Bestandteile in einen ungeteilten Vollzugsakt des Bewußtseins ein. Auf einem elementaren Bestandteil für sich ruht niemals jener Akzent einer ganzen Bewußtseinsleistung.

Wenn wir jetzt in der Bestimmung der Eigentümlichkeit des Bewußtseinsaktes einen Schritt weiter machen, so fällt in die Augen, daß den verschiedenen Klassen der Bewußteinsakte im Verhältnis zueinander eine Selbständigkeit zukommt, wie sie die elementaren Funktionen des Bewußtseins gleichfalls nicht besitzen. Wenn man nämlich die Art und Weise ins Auge faß, wie die Bewußtseinselemente im Bewußtsein anwesend sind, so findet man, daß diese immer nur zu bestimmten kleineren Ganzen (eben den Bewußtseinsakten) verbunden vorkommen, daß also ihr Vorkommen nach einer beschränkten Anzahl von unbedingt geltenden Verknüpfungstypen oder Normalkomplexen geordnet ist. Sowohl ihr Zusammenbestehen als auch ihr Aufeinanderfolgen vollzieht sich immer nur durch Vermittlung ihrer Zugehörigkeit zu den verschiedenen, so und nicht anders zusammengesetzten Bewußtseinsakten als den Verbindungsnormen. Die Bewußtseinsakte dagegen sind in ihrem Vorkommen gegeneinander frei und beweglich. Es ist durch keinerlei Verknüpfungstypen vorgeschrieben, daß Wahrnehmungs- Vorstellungs-, Denk-, Gefühlsakte usw. immer nur so und nicht anders koexistierend oder sukzessive vom Bewußtsein ausgeübt werden können. In der mannigfaltigsten Weise, ganz nach der jeweiligen Lage des Individuums, können die verschiedenen Arten der Bewußtseinsakte miteinander bestehen und aufeinanderfolgen.

Viel wichtiger jedoch erscheint mir folgende Seite an den Bewußtseinsakten. Sie sind der ausdrückliche Gegenstand der Absichten des Bewußtseins, das Bewußtsein geht auf sie aus, es ihm auf sie an. Jedermanns Streben geht darauf, Wahrnehmungen, Denkakte auszuüben, sich in Gefühlen zu ergehen und dgl., wogegen niemand durch den natur gemäßen Lauf der Bewußtseinvorgänge dahin gebracht wird, eine elementare Funktion (wie das Empfinden für sich, die Lust für sich usw.) ausüben zu wollen. Höchsten der Psycholog kommt durch seine Unterschungen dazu, zu probieren, ob sich die elementaen Bewußtseinsfaktoren für sich herstellen lassen. Dabei wird er an sich die Erfahrung machen, daß diese Herstellung nur insoweit gelingt, als er einen Bewußtseinsakt, dem das gewünschte Element notwendig angehört, verwirklicht.

Indem man in dieser Richtung mit seinen Erwägungen weitergeht und sich mehr von der Entfahrung entfernt, wird man hinzufügen dürfen, daß erst in den Bewußtseinsakten das Bewußtsein sein Ziel, seinen Sinn und Wert findet. Die Bewußtseinelemente für sich, abgesehen von ihrer Zusammenfassung zu Akten, machen den Menschen noch nicht zu einer vernünftigen Persönlichkeit, zu einem Wesen, das die Welt erkennend deutet, sittlich bearbeitet, künstlerisch verklärt. Die Güter unseres Lebens werden erst durch die Akte des Bewußtseins geschaffen. Wissenschaft, Sitte, Staat, Religion, Kunst: dies alles setzt die Akte des Wahrnehmens, Denkens, Wollens usw. als seine nächsten Mittel voraus; ja jene Güter bestehen in nichts anderem als in verschiedenen Einheiten höherer Ordnung, zu denen sich diese Akte verknüpfen. So ist es wohl gerechtfertigt, wenn ich das Auszeichnendste an den Bewußtseinsakten darin erblicke, daß erst in ihnen das menshliche Bewußtsein seine Bestimmung und Weltstellung erreicht. - Ich glaube, daß mit dem Dargelegten der für die gliedernde psychologische Beschreibung so wichtige Begriffe des Bewußtseinsaktes eindeutig und erschöpfend charakterisiert ist.

12. Wie weit hat sich nun die beschreibende Psychologie auf die Arten, Unterarten usw., in welche die Klassen der Bewußtseinsakte zerfallen, einzulassen? Dies hängt durchaus davon ab, ob jemand eine beschreibende Psychologie für sich ausarbeiten will, ohne zu den weiteren Teilen überzugehen, oder ob man das Beschreiben lediglich als Grundlage für die weiteren Teile (die Erfoschung der psychischen Gesetze und die Erwägung der metaphysisch-psychologischen Hypothesen) benützt. Im ersteren Fall wird die Aufgabe erst dann vollständig gelöst sein, wenn sich das Beschreiben auch auf die Arten, Unterarten usw. erstreckt, also z. B. nicht bloß Gemütsbewegungen, Affekt, Leidenschaft im allgemeinen, sondern auch in ihren mannigfaltigen Besonderungen behandelt. Erst dann werden auch der fast üppige Reichtum des Bewußtesins, seine erstaunliche Gliederung, die nach den verschiedensten Richtungen bin spielenden Ähnlichkeiten, Unterschiede und Übergänge seiner Äußerungen gehörig zutage treten. Und gerade diesen Zweck zu erreichen, ist für den ausschließlich beschreibenden Psychologen äußerst wichtig; denn das Unternehmen, die Beschreibung der Bewußtseinsvorgänge zum ausschließlichen Gegenstand eines Werkes zu machen, rechtfertigt sich erst überhaupt durch die Absicht, von der Vielgestaltigkeit und fast unerschöpflichen Fülle des Bewußtseins ein anschauliches Bild zu geben. Ganz anders verhält es sich in solchen Werken, in denen die psychologischen Beschreibungen die bloße Vorarbeit zu den höheren Untersuchungen bilden. Ich mache dabei eine Voraussetzung, deren Beweis ich mir für weiterhin aufspare: daß es beim gegenwärtigen Stand der psychologischen Wissenschaft nicht nur zweckmäßig, sondern sogar dringend nötig ist, die Beschreibungen nicht etwa in die Untersuchungen über die psychischen Gesetze bloß gelegentlich, wo es gerade paßt, einzustreuen, sondern sie als besodneren, zusammenhängenden grundlegenden Teil vorauszuschicken. So unentbehrlich mir nur in diesem grundlegenden empirischen Teil die Beschreibung der Klassen der Bewußtseinsvorgänge zu sein scheint, so ist es doch andererseits ebenso klar, daß es für die erstrebte Untersuchung der psychischen Gesetze eine arge Verzögerung und Ablenkung bedeuten würde, wenn sich die Beschreibung ausführlich auf all die Arten, Unterarten usw. jener Hauptklassen einließe. Diese mehr ins Besondere gehende Beschreibung wird sich am passendsten im späteren Verlauf der psychologischen Untersuchung gelegentlich anbringen lassen.

13. Indessen ist die Aufgabe des empirischen Teils der Psychologie durch jene klassifizierende Beschreibung nicht erschöpft. Ja es ist der wichtigste Teil der Aufgabe, den zu kennzeichnen mir noch übrig bleibt. Es wird sich nämlich das Beschreiben mit einer analysierenden Tätigkeit zu verbinden haben, die nach ganz anderer Richtung als die bisherige geht. Bisher handelte es sich ja allerdings auch um eine Verbindung von Beschreibung und Analyse: es galt aus dem kaleidoskopisch wechselnden Durcheinander der Bewußtseinsvorgänge, aus dem zunächst fast einschnittlos und ungruppierbar scheinenden Fließen und Wogen gewisse konstant zusammengehörige, scharf abgegrenzte Komplexe - eben die Bewußtseinsakte - herauszuheben. Doch was nun folgt, ist eine Analyse in viel bestimmterem Sinne: Analyse nämlich auf die letzten, nicht weiter zurückführbaren Elemente hin. Die beschreibende Psychologie wird die verschiedenen Bewußtseinsakte vorzunehmen und in die letzten Bewußtseinselemente zu zerlegen haben, die sich nicht wieder in noch einfachere Bewußtseinselemente zerlegen lassen. Diese beschreibenden Zerlegung der Akte in die weiter zerlegbaren Bewußtseinselemente wird man, weil es sich eben um ein Zurückgehen auf die Elemente handelt, mit besonderem Nachdruck als psychologische Analyse bezeichnen können.

Hier muß vor einer naheliegenden Verwechslung gewart werden. Was hier verlangt wird, ist nicht ein Zurückgehen auf Elemente, die hinter dem Bewußtsein liegen, und die daher erst duch Schlüsse als die hervorbringenden Kräfte des Bewußtseins gewonnen werden. Ohne Zweifel: es ist eine wichtige Aufgabe der Psychologie, diese nicht im Bewußtsein direkt aufweisbaren, also unbewußten Faktoren, aus denen sich das Bewußtsein herstellt und entwickelt, zu erschließen; allein sie gehört nicht in den empirischen grundlegenden Teil. Was hier angestrebt werden muß, ist etwas weit Einfacheres und Gewisseres: die Zerlegung der Bewußtseinsakte in ihre im Bewußtsein direkt aufweisbaren Elemente, in ihre einfachen Bausteine. Es sind im wahrsten Sinn des Wortes die letzten Bewußtseinsbestandteile, die hier aus ihren innigen, nicht ganz leicht zu durchschauenden Verbindungen ans Licht gezogen werden sollen.

So selten die Wichtigkeit dieser Aufgabe gebührend gewürdigt wird, so liegt sie doch deutlich zutage. Ich weiß nicht, wie man die Untersuchung der psychischen Gesetze und die Erwägung der metaphysisch-psychologischen Hypothesen auch nur mit einiger Sicherheit anstellen will, ohne darüber im Reinen zu sein, aus welchen letzten, nicht weiter in andere zerlegbaren Elemente das Bewußtsein besteht. Will man von den Bewußtseinerscheinungen zu deren Gesetzen und tieferen Grundlagen übergehen, so setzt man sich solange der Gefahr gröbster Verkennungen und folgenschwerer Fehlgriffe aus, als man die letzten, einfachen Bestandteile dessen, was man auf Gesetze zurückführen und erklären will, nicht kennt. Ein hiervor absehendes Verfahren in der Psychologie stünde auf gleicher Stufe mit der Meinung eines Chemikers, es könnten Wasser, Luft, Feuer und dgl. in ihren gesetzmäßigen Beziehungen erforscht werden, ohne daß vorher ihre Zusammensetzung genau festgestellt worden wäre.

Hier erbebt sich jedoch ein Einwand, der nicht unberücksichtigt bleiben darf. Ich will ihn in seiner ganzen Allgemeinheit betrachten. Man kann nämlich sagen, daß die Beschaffenheit der Bewußtseinsakte und ihre Zusammensetzung aus einfachen Elementen so offenbar zutage liegt und sich daher so leicht erkennen läßt, daß die Psychologie auf die Feststellung derselben keine besondere, zusammenhängende Arbeit zu verwenden braucht; es heißt, mit Leichtem, wo nicht Selbstverständlichem wichtig tun, wenn der Beschreibung der Bewußtseinsakte und ihrer Elemente die Stelle eines besonderen und grundlegenden Hauptteils der Psychologie zugewiesen werden soll; stattdessen soll es genügen, den Tatbestand des Bewußtseins im Verlauf der Untersuchungen über die psychische Gesetzmäßigkeit von Fall zu Fall heranzuzihen, was ohne eine ausdrückliche Beschreibung und Analyse, sozusagen stillschweigend und implizit, geschehen kann. In der Tat ist ein solches Verfahren in fast sämtlichen Bearbeitungen der Psychologie zu finden. Selbst bei solchen Forschern, von denen man, wie von BENEKE, oder in neuester Zeit von HORWICZ ("Psychologische Analyen") und LIPPS ("Grundtatsachen des Seelenlebens"), ein vorangehendes genaues Beschreiben und Analysieren der Bewußtseinsakte recht eigentlich erwarten sollte, laufen von Anfang an Beschreibung und Erklärung, und zwar weitaus mit dem Überwiegen der letzteren, durcheinander.

Dieser Einwand hätte recht, wenn es wirklich so einfach wäre, die Bewußtseinsate zu beschreiben und zu analysieren. Allein die Schwierigkeiten der Selbstbeobachtung sind überhaupt schon so bedeutend und dies ist inbesondere der Fall, wo die Bewußtseinsakte mit Rücksicht auf ihre Elemente beschrieben werden wollen. Es ist eine bemerkenswerte Feinheit des Unterscheidens und lange Übung erforderlich, um aus den innig und dicht zusammengewachsenen Komplexen die Elemente abzusondern. Ferner aber wird die Unbefangenheit der inneren Beobahtung nur zu leicht vorgefaßte und gewohnt gewordene Ansichten und Theorien getrübt. Es rächt sich daher, wenn die Tatsachen des Bewußtseins nur obenhin und beiläufig, mitten unter den Untersuchungen über psychische Gesetze, beschrieben oder gar ohne weiteres als bekannt vorausgesetzt werden, und wenn ohne vorangehenden zusammenhängenden empirischen Unterbau alle Aufmerksamkeit fast ausschließlich dem Erklären zugewendet wird. Sehr leicht werden dann die Tatsachen des Bewußtseins ungenau un einseitig hingenommen; insbesondere aber ist die Gefahr schwer vermeidlich, daß gewisse Ansichten und Theorien in die Bewußtseinsakte hineingeschoben, diese auf die mannigfachste Weise verfälscht und oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt werden. Es kann unter dem Einfluß von Meinungen und Theorien geschehen, daß weitläufige und höchst verwickelte Begebnisse als im Bewußtsein vorkommend berichtet werden, von denen doch keine Spur darin zu finden ist, oder daß über gewisse offen zutage liegende Bewußtseinsvorgänge in einer Weise gesprochen wird, in der sie dem, was Jedermann dabei erfährt, völlig unähnlich aussehen, oder daß wichtige Bewußtseinstatsachen hartnäckig verschwiegen und wie nicht vorhanden angesehen werden. Selbst bei HERBART finden sich in seinen Lehren von Hemmung und Verschmelzung, von Gefühl und Begehren die auffallendsten Belege für dieses Hinein- und Weginterpretieren (34). Natürlich werden derlei Erdichtungen und Entstellungen von Bewußtseinstatsachen auch da nicht gänzlich fehlen, wo die Beschreibung und Analyse derselben in zusammenhängender Weise vor dem Eintreten in die weiteren psychologischen Aufgaben gepflogen wird. Allein eine sehr erhebliche Steigerung jener Mängel wird doch darin liegen, daß der Psychologe sofort ans Erklären geht und auf die Bewußtseinstatsachen und ihre Elemente nur beiläufig hinblickt oder sie gar als bekannt voraussetzt.

So führt uns die Widerlegung jenes Einwandes zu der Überzeugung, daß die Beschreibung und Analsyes der Bewußtseinsakte nicht nur überhaupt der Untersuchung der psychischen Gesetze zur Grundlage zu dienen hat, sondern auch daß sie in Form einer zusammenhängenden besonderen Betrachtung den grundlegenden Teil der Psychologie bilden muß. Freilich ist eine gewisse Einschränkung hinzuzufügen. Nur unter der Voraussetzung nämlich ist meine Beweisführung gültig, daß die gegenwärtige Psychologie, wie dies tatsächlich der Fall ist, es noch nicht bis zu einer auch nur annähernd endgültigen Feststellung der Bewußtseinstatsachen und ihrer Elemente gebracht hat. Sollte einmal über die Bewußtseinstatsachen im wesentlichen kein Streit und keine Unklarheit mehr bestehen, dann wäre es pedantisch und einsichtslos, verlangen zu wollen, daß die psychologischen Untersuchungen jedesmal mit jenem beschreibend-analytischen Teil beginnen sollen.

Wenn ich auf die Stellung der empirischen Analyse in der Psychologie solchen Nachdruck lege, so wirkt dabei auch der Umstand mit bestimmend, daß in der methodologgischen Erörterung über die Psychologie die Bedeutung jener Analye in der Regel nicht gehörig gewürdigt wird. Eine Ausnahme bildet SIGWART, der an die Psychologie die dringende Forderung richtet, die Analyse dessen, was wir in unserem unmittelbaren Selbstbewußtsein finden, als ihre erste und fundamentalste Aufgabe scharf und bestimmt ins Auge zu fassen. Er findet, daß vielfach diese Aufgabe außer Acht gelassen wird, indem man sich sofort auf die psychologische Erklärung wirft, statt zuerst "zu analysieren und auf feste Begriffe zu bringen, was wir als Gegenstand der inneren Selbstauffassung finden". (35) WUNDT dagegen geht in seinen methodologischen Erörterungen über die Psychologie fast nur auf diejenigen Methoden ein, denen die Erforschung der gesetzmäßigen Beziehungen der Bewußtseinserscheinungen (also der mittlere Teil der Psychologie) zu folgen hat. Die empirische Analyse der Bewußtseinserscheinungen hält er für zu untergeordnet, als daß sie eine ausführliche Berücksichtigung verdienen würde (36).

14. Die Bedeutung der empirischen Bewußtseinsanalyse wird erst dadurch in das gehörige Licht gesetzt, daß man auf einen wichtigen Unterschied in der Beschaffenheit der elementaren Bestandteile, auf welche die Anlyse stößt, seine Aufmerksamkeit richtet. Teils nämlich gelangt die Analye zu gewissen Weisen des Zugleichbestehens und Aufeinanderfolgens, teils jedoch zu gewissen qualitativ nicht weiter zerlegbaren Bewußtseinsäußerungen, a und zwischen denen jene Verhältnisse des Zugleichbestehens und Folgens stattfinden. Die Analyse der sinnlichen Wahrnehmung z. B. führt zu dem Ergebnis, daß in allem sinnlichen Wahrnehmen mehr oder weniger ein Unterscheiden des Wahrgenommenen und ein Gruppieren desselben zu näher zusammengehörigen Komplexen enthalten ist. Dies sind bestimmte Weise des Zugleichsehens und Folgens, welche die Analyse des sinnlichen Wahrnehmens aufdeckt. Oder betrachten wir die reproduzierten Vorstellungen, so finden wir, daß zuweilen die reproduzierte Vorstellung zu der im Bewußtsein vorangegangenen im Verhältnis der Ähnlichkeit oder des Kontrastes, zuweilen in anderen Verhältnissen steht. Wiewohl es keineswegs überflüssig ist, zu wissen, in welcherlei Weisen des Zugleichseins und Folgens sich das Bewußtsein unmittelbar abspielt, so liegt in diesem Aufweisen doch der weit weniger wichtige Teil der empirischen Analyse. Denn die Verhältnisse, welche sie aufdeckt, deuten auf kausale Beziehungen, auf Gesetze hin, die Auffindung dieser aber übersteigt prinzipiel das Vermögen der empirischen Analyse, die nur das im Bewußtsein gegebene Elementare herausheben kann. Die Erforschung der kausalen Beziehungen nötigt zur Annahme von Faktoren, die nicht unmittelbar im Bewußtsein vorliegen. So kommt dann auch in jene Weisen des Zugleichseins und Folgens, die durch die empirische Analyse aus den verschiedenen Bewußtseinsakten herausgenommen werden, erst dadurch Ordnung und Zusammenhang, daß man sie auf die gehörigen kausalen Verhältnisse bringt. Erst durch die Bearbeitung also, die sie im zweiten Teil der Psychologie erfahren, erhalten sie Sinn und Bedeutung. Die empirische Analyse führt hier nur zu einem Aggregat, das für sich wenig besagt.

So wird auch nicht behauptet werden dürfen, daß in diesem Aggregat das, was das Bewußtsein als solches ist, bedeutet und leistet, zu einem irgendwie erschöpfenden und zusammengefaßten Ausdruck gelangt. Gerade diese hier fehlende Bedeutsamkeit kommt nun eben der zweiten Art elementarer Bestandteile zu, auc welche die Bewußtseinsanalyse hinführt. Es sind die die qualitativ einfachen, nicht weiter zerlegbaren Bewußtseinsäußerungen, an denen eben allererst jene Verhältnise des Zugleichsein und der Aufeinanderfolge stattfinden. Ich will diese qualitativ einfachen Bewußtseinsfaktoren zu ihrer Grundlage haben, an der sie bestehen, sondern solche Faktoren, die sich im Bewußtsein als ein schlechthin Seiendes darbieten. Dieser Unterschied läßt nirgends im Stich. Wenn irgendein Bewußtseinfaktor A sich im Bewußtsein derart darbietet, daß er nicht an anderen, von ihm verschiedenen Bewußtseinsfaktoren als deren Verhältnis vorkommt, so hat man A als eine "Bewußtseinselement" anzusehen. Bei der Analyse der Sinneswahrnehmungen stoßen wir z. B. auf die Raumanschauung. Diese zeigt sich Bewußtsein als etwas qualitativ Einfaches, gerade so wie Farbe oder Ton. Wollen wir nun wissen, ob wir in ihr ein Bewußtseinseleent im obigen Sinn aufgedeckt haben, so brauchen wir nur zu fragen, ob die räumliche Anschauung ein Verhältnis bedeutet, das zwischen anderen nichträumlichen Bewußtseinsfaktoren stattfindet. Da finden wir nun, daß das Räumliche allerdings in sehr mannigfaltigen Verhältnissen besteht, daß jedoch dasjenige in sehr mannigfaltigen Verhältnissen besteht, daß jedoch dasjenige, wozwischen diese Verhältnisse obwalten, stets selbst schon räumlicher Natur ist. So werden wir daher in der räumlichen Anschauung ein "Bewußtseinselement" erblicken dürfen. Hiermit ist natürlich nicht geleugnet, daß die räumliche Anschauung jene empirische Entwicklung durchmacht, die schließlich im perspektivischen Sehen und Größenabschätzen endet; und ebenso wenig ist damit schon darüber entschieden, ob hinter dem Bewußtsein die räumlich Anschauung aus Faktorn von nicht-räumlicher Beschaffenheit entspringt. Indem die räumliche Anschauung als Bewußtseinelement bezeichnet wird, soll damit nur gesagt sein, daß sie innerhalb des Bewußtsein sich in nichts Einfacheres auseinanderlegen läßt.

Natürlich wird mit dem Analysieren in die Bewußtseinselemente zugleich ein Klassifizieren derselben verknüpft sein. Der Psychologe wird nicht sämtliche qualitativ unzerlebgare Bewußtseinsäußerungen aufzuzählen versuchen. Denn dann würde er schon durch die Notwendigkeit, alle Farben-, Ton- Geruchsempfindungen usw. zu nennen, ins Unabsehbare zu geraten. Sondern sein Bestreben wird sein, die elementaren Bewußtseinsäußerungen auf ihre allgemeinsten Klassen zurückzuführen. Diese allgemeinsten Klassen der elementaren Bewußtseinsäußerungen werden wir als Bewußtseinselemente im engeren Sinn bezeichnen dürfen. Die Richtschnur aber für die Bestimmung dieser allgemeinsten Klassen wird darin zu suchen sein, daß in ihnen wirklich eine als gleichartig gespürte und erfahrene Äußerungsweise des Bewußtseis zum Ausdruck kommt, nicht also bloß irgendeine äußerliche, nebensächliche Ähnlichkeit vorliegt. Dies ist allerdings ein Gesichtspunkt, der über das Beschreiben hinausliegt, der aber herbeigezogen werden muß, wenn das Beschreiben der weiteren wissenschaftlichen Arbeit in fruchtbringender Weise vorarbeiten soll.

15. Es werden nicht ganz wenige Bewußtseinselemente (im engeren Sinn) sein, auf welche die beschreibende Analyse stößt. Die Analyse des sinnlichen Wahrnehmens führt allein schon auf vier Bewußtseinselemente: das Empfinden, das Innesein der Zeit, das räumliche Anschauen und die Lust, bzw. Unlust. Weiter aber gelangen wir durch die Analyse der Reproduktion, des Denkens, Begehrens, Wollens, der Gemütsbewegungen und der Phantasie in einer Anzahl weiterer elementarer Bewußtseinsfunktionen. Die Aufzählung derselben wäre jedoch hier nutzlos, ja sie müßte zu Mißverständnissen Anlaß geben, weil die Sprache fast nur für die zusammengesetzten besonderen Worte besitzt, der Psychologe sonach, wenn er die Bewußtseinselemente bezeichnen will, die übliche Bedeutung gewisser Worte umprägen muß. Mir liegt hier nur daran, ausdrücklich hervorzuheben, daß jene empirische Analyse das Bewußtsein in eine nicht ganz kleine Anzahl allgemeinster Klassen qualitativer Elemente zerlegen wird. Das Bewußtseni stellt sich sonach dar als ein Reich, in dem die qualitativen Unterschiede heimisch sind. Soviel qualitativ einfache Funktionen die empirische Bewußtseinsanalyse aufweist, in soviel einfachen Qualitäten eben äußert sich die Natur des menschlichen Bewußtseins. Das Bewußtsein wird durch das Ergebnis der Analyse in eine Reihe von Leistungen zerlegt, deren Summe eben das, was das Bewußtsein ist, kann und Bedeutet, zum Ausdruck bringt und diese einfachen Qualitäten sind nicht erschlossen, sondern sie sind unmittelbarste Tatsachen, das Bewußtsein besteht und bewegt sich in ihnen, sie lassen sich nicht wegdisputieren oder wegeskamotieren [durch Wartung zum Verschwinden bringen - wp], jede psychologische Erklärung hat mit ihnen als mit Tatsachen zu rechnen, die nicht weggewischt oder auch nur verwischt werden können.

Besonders wichtig wird, wie wir sogleich sehen werden, diese Analyse noch durch folgenden Umstan. Indem die Bewußtseinselemente sich als unzerlegbar zeigen, bemerken wir zugleich, daß sie im Bewußtsein als schlechthin urnsprünglich einander gegenüberstehen. Nirgends können wir im Bewußtsein ein Werden, ein Übergehen irgeneines Bewußtseinselements in ein anderes verfolgen. Wer auf jene qualitative Unzerlegbarkein achtet, dem wir auch dieses Schlechthin - Gegebensein im Bewußtsein, dieser Gegensatz zu allem Hervorgehen aus anderen Bewußtseinsfaktoren, offen daliegen. Die empirische Bewußtseinsanalyse zeigt beides zugleiche. Natürlich hat auch hier die Analyse nur einen vorbereitenden Wert. Es bleibt durch sie ganz unentschieden, wie es mit der Ursprünglichkeit der qualitativen Bewußtseinselemente steht. Wahrscheinlich werden nicht alle gleich ursprünglich sein; vielleicht lassen sich sämtliche Bewußtseinselemente auf ein einziges zurückführen. Wie es sich aber auch hiermit verhalten mag, jedenfalls sind es unbewußte Prozesse und Übergänge, durch die allein eine derartige Vereinbarung und Einigung zustande kommen könnte. Nimmermer dagegen läßt es sich rechtfertigen, den Hergang so darzustellen, als ob im Bewußtsein selber irgendwie das eine oder das andere jener qualiativen Elemente das Ergebnis einer Zusammensetzung, Steigerung oder Umformung anderer Elemente wäre. Solchen Darstellungen gegenüber ist einfach zu konstatieren, daß es sich hierbei um Bewußtseinsfunktionen handelt, die, wie sie im Bewußtsein und nirgends als das Ergebnis einer Zusammensetzung, Steigerung oder Umformung anderer Bewußtseinsfunktionen darstellen.

Hier tritt am grellsten der Nachteil zutage, der daraus entspringt, daß die empirische Bewußtseinanalyse vernachlässigt wird. In den verschiedensten Formen begegnet man dem Bestreben, solche Bewußtseinsfunktionen, die sich im Bewußtsein als unzurückführbar auf andere zeigen, dennoch so zu behandeln, als ob sich im Bewußtsein ihre Herstellung aus anderen durch Zusammensetzung, Steigerung oder Umformung aufweisen läßt. Natürlich glaubt man dann auch, diese Übergänge und Prozesse mit den bekannten und bestimmten Begriffen, in die wir die Kräfte und Gesetze des Bewußtseins fassen, verständlich machen zu können, während man doch in Wahrheit auf ein sehr unsicheres und durch Bewußtseinsbegriffe nur mit größter Vorsicht aufhellbares Gebiet (das Unbewußt-Psychische nämlich) hinübergegriffen hat.

Hierher gehören z. B. die verschiedenen sensualistischen Theorien. Wenn LAAS alle höheren Prozesse und Zustände, auch das Denken und Wollen, als Transformationn aus Wahrnehmung, Gefühl und Reproduktion bestrachtet (37), so muß vielmehr eine genaue empirische Analyse des Denkens und Wollens lehren, daß im Bewußtsein wenigstens so etwas wie ein Übergehen von Empfindung, Gefühl und Reproduktion in Denken und Wollen nicht stattfindet. Die empirische Analyse des Denkens stößt auf das Bewußtsein der logischen Notwendigkeit, die des Wollens auf das Denken und so mittelbar gleichfalls auf das Bewußtsein der logischen Notwendigkeit, zugleich aber auch auf das Moment des Sollens oder das Bewußtsein inneren eines inneren Wertes. Hiermit sind zwei Bewußtseinsfunktionen bl0ßgelegt, die im Bewußtsein als auf anderes schlechthin unzurückführbar gegeben sind. Der Sensualismus jedoch ist, da er ja, wie LAAS sagt, nirgends zu nicht erfahrbaren Inhalten und Vorgängn ausgereift, wenn auch nicht in ausgesprochener Weise, so doch implizit der Meinung, daß sich das Hervorgehen des Denkens und Wollens aus jener niedrigen Tätigkeit "erfahren" also im Bewußtsein aufzeigen läßt. Diesen Anspruch müßte der Sensualismus aufgrund jener Bewußtseinsanalyse völlig aufgeben; und es bliebe ihm nur übrig, sich als eine Hypothese über die hinter dem Bewußtsein liegende Entstehung des Denkens, Wollens usw. auszugeben. Damit wäre er aber um die Klarheit und Selbstverständlichkeit, die er sich zuzuschreiben pflegt, gebracht und in einen Bereich verwiesen, wo die Schwierigkeiten, sich zu behaupten, gewaltig anwachsen würden.

Ähnlich steht es mit HERBARTs Zurückführung des Fühlens und Begehrens auf de Mechanismus der Vorstellungen. Wenn bei HERBART eine genaue Analyse des Bewußtseins voranginge, so würde sich das Eigenartige, vollkommen Besondere und Ursprüngliche, was im Bewußtsein ein jeder der drei Vorgänge, Vorstellen, Fühlen und Begehren besitzt, herausgestellt haben. Hierdurch würde die Aufgabe unabweislich geworden sein, zu zeigen, wie die hinter dem Bewußtsein befindliche Vorstellungskonstellation, welche er dem Fühlen, bzw. dem Begehren gleichsetzt, es anfängt, vom Bewußtsein in der allem Vorstellen absolut unähnlichen, ihm gegenüber völlig selbständigen und ursprünglichen Qualität des Fühlens, bzw. Begehrens gespürt zu werden. Diese Aufgabe aber trägt, indem sie gestellt wird, zugleich die Unmöglichkeit einer bejahenden Lösung sichtlich in sich.

Ich will noch eine Vereinfachungstheorie erwähnen, an der mir, wie an keiner anderen, klar geworden ist, welche bodenlos leichtfertige Theorien die Vernachlässigung der empirischen Bewußtseinsanalyse begünstigt. Ich meine die Absicht HERBERT SPENCERs, daß die letzte Bewußtseinseinheit in einer Empfindung besteht, die der Empfindung eines plötzlichen lauten Knalls oder einer elektrischen Ladung am nächsten kommt, und die er als Nervenerschütterung bezeichnet. Durch eine immer weitergehende Zusammensetzung solcher Nervenerschütterungen glaubt SPENCER jeden beliebigen Grad an Ungleichheit in den Bewußtseinsvorgängen erklären zu können (38). Hätte SPENCER sich auch nur ein ganz klein wenig das Unzerlegbare und Unzurückführbare der letzten Bewußtseinsfaktoren, auf welche die empirische Analyse stößt, klar gemacht, so hätte er unmöglich zu dem ungeheuerlichen Glauben kommen können, daß die verschiedenen Bewußtseinsinhalte sich aus einer Zusammenhäufung jener gleichförmigen Stoßempfindungen heraushexen lassen.

Mit dem soeben dargelegten Mißstand in der gegenwärtigen Psychologie verbindet sich gewöhnlich eine Unklarheit, die ich nicht unerwähnt lassen will. Der psychologische Verfasser läßt den Leser nicht selten im Unsicheren darüber, ob die von ihm behandelten psychischen Vorgänge ins Bewußtsein fallen oder dem Unbewußten angehören. Es ist Pflicht eines jeden Psychologen, jeden psychischen Vorgang, von dem er spricht, unzweideutig als im Bewußtsein geschehend oder als außerhalb desselben fallend zu bezeichnen. Stattdessen herrscht bei vielen Psychologen in diesem Stück gar oft ein sonderbares Dämmerlicht; man bleibt in peinlicher Ungewißheit, wie gewisse psychische Begriffe zu jener Alternative stehen. Dieser Übelstand hat aber in der Vernachlässigung der empirischen Bewußtseinsanalyse seinen Grund. Wo diese vernachlässigt wird, dort fehlt auch die Klarheit über den Tatsachenbestand, den das Bewußtsein aufweist, ja es liegt überhaupt die Frage fern, ob die verschiedenen psychischen Vorgänge im Bewußtsein vorkommen oder nicht. So entspringt jene Zwitterstellung, in die nicht wenige psychologische Darstellungen viele ihrer Begriffe rücken.

Aber nicht nur für die Erforschung der Gesetze der Bewußtseinserscheinungen, sondern auch für die an dieselbe sich knüpfenden mehr metaphysischen Erwägungen liegt in der empirischen Bewußtseinsanalyse ein wichtiger Wegweiser. Von vornherein ist der Versuch wohl möglich, die verschiedenen Bewußtseinsakte aus einem einzigen oder nur ganz wenigen seelischen Elementen derart abzuleiten, daß jene gänzlich oder doch im Wesentlichen auf quantitative und mechanische Weise (also durch Steigerung, Verfeinerung, Zusammensetzung, die natürlich als unbewußt vorzustellen wären) daraus entstanden sein sollen. Wer jedoch die qualitativen Unterschiede im Bewußtsein mit Fleiß beobachtet und in ihrem vollen Reichtum erfaßt hat, wird sich sagen müssen, daß sich dieselben niemals herausbringen lasse, mag man sich die quantitative und mechanische Umbildung noch so fein und künstlich ausklügeln. Vielmehr wird man wohl auf den Gedanken der qualitativen Entwicklung kommen. Hierin liegt zweierlei; erstens, daß die qualitativen Unterschiede nicht als Ergebnis bloß quantitativer Veränderungen aufgefaßt werden dürfen, daß sie aber zweitens andererseits auch nicht als eine bloße Zusammenhäufung zu denken sind, sondern auf sie der Gesichtspunkt des innerlich notwendigen Hervorgehens, der Angelegtheit und einheitlichen Bezogenheit aufeinander angewendet werden muß. Möglich, daß sämtliche qualitativen Unterschiede auf eine einzige Urqualität des Seelischen hinweisen; dann muß diese aber so gedacht werden, daß sie sich aus innerer Notwendigkeit zu einem Reichtum neuer (39) Qualitäten hervortreibt. So würde dem "Postulat" der qualitativen Gliederung und Entwicklung des Seelischen ein Grundgedanke der HEGEL'schen Psychologie, allerdings in starkt ermäßigter und in wesentlichen Stücken veränderter Weise, zu seinem Recht kommen.

16. Zum Schluß noch eine ergänzende Bemerkung zur Unzerlegbarkeit der Bewußtseinselemente. Ich habe die Elemente des Bewußtseins bisher als schlechthin unzerlegbar bezeichnet und hiermit die Wichtigkeit der empirischen Bewußtseinsanalyse begründet. Es war jedoch dabei die Unzerlegbarkeit stillschweigend immer in einem gewissen Sinn verstanden, den ich jetzt näher angeben will. Von den Bewußtseinsakten war ausgegangen worden; diese zerlegen sich in Teilakte, wobei man bald auf letzte, d. h. solche Teilakte stößt, die sich nich in einfachere Betätigungen oder Äußerungen des Bewußtseins zerlegen lassen. Dies hindert jedoch nicht, daß jede dieser einfachen Betätigungen oder Äußerungen des Bewußtesins mehrere Eigenschaften oder Seiten an sich hat. Nach der Richtung der Eigenschaften oder Seiten geht die Zerlegung also noch über die Bewußtseinselemente hinaus.

Diese Unterscheidung ist durchaus präzise. Der Bewußtseinsakt besteht aus den Bewußtseinselementen nicht in der Weise, daß er in einem Element ganz enthalten wäre, dieses ihm als ganzem anhaften würde. Sondern der Bewußtseinsakt ist aus den Elementen zusammengesetzt, wenn sich auch keines der Elemente im Bewußtsein getrennt herstellen läßt. Hingegen verhält sich das Bewußtseinselement zu seinen Seiten oder Eigenschaften nicht wie das Ganze zu seinen Teilen, sondern so, daß es das ganze, ungeteilte Bewußtseinselement ist, dem jede der Eigenschaften anhaftet. Die Empfindung z. B. ist ein Teil der sinnlichen Wahrnehmung; unter den Faktoren, aus denen die sinnliche Wahrnehmung zusammengesetzt ist, befindet sich auch die Empfindung; nicht aber haftet die Empfindung der ganzen sinnlichen Wahrnehmung an. Und zwar kann man von dieser Richtung nicht noch weiter gehen; es gibt in der Empfindung nichts, das sich zu dieser verhält, wie diese selber zum Bewußtseinsakt (zur sinnlichen Wahrnehmung). Dagegen sind die Tonhöhe, die Klangfarbe, die Tonstärke Seiten oder Eigenschaften der Gehörsempfindung. Denn es ist der ganze Ton, dem die Tonhöhe, Klangfarbe und Tonstärke anhaften. Die Tonhöhe ist ein leeres Wort, wenn nicht der Ton selbst als dasjenige, woran die Tonhöhe vorkommt, vorgestellt wird. Und ebenso ist es die ganze, ungeteilte Farbempfindung, woran der Farbton, der Sättigungsgrad und die Lichtintensität vorkommen. Die Farbempfindung ist hieraus nicht zusammengesetzt, sondern die ganze Farbempfindung ist in jeder der Eigenschaften gegenwärtig. Setze ich nicht die ungeteilte Farbempfindung voraus, so werden Farbton, Sättigung oder Lichtintensität sinnleere Worte. Ich muß hier die volle Bedeutung des übergeordneten Faktors voraussetzen, damit das untergeordnete Element seine Bedeutung erhält. Dort dagegen besitzt das untergeordnete Element seine Bedeutung ohne daß die Bedeutung des übergeordneten Faktors (des Bewußtseinsaktes) darin mitgedacht zu werden braucht.

Noch eins! Es ist sehr häufig von der Unmöglichkeit die Rede, die Elemente des Bewußtseins wie Empfindung, Lust, Strebung, Gefühl usw. zu definieren oder auch nur zu beschreiben. Meiner Meinung nach bedarf diese Behauptung der Einschränkung oder doch der näheren Bestimmung. Es wäre angezeigt, die Frage in einer Monographie zu behandeln, inwieweit und in welchem Sinn von einer Definition und Beschreibung der Bewußtseinselemente überhaupt die Rede sein kann.
LITERATUR: Johannes Volkelt, Psychologische Streitfragen, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Neue Folge, Bd. 90, Halle/Saale 1887
    Anmerkungen
    23) Wie VOLKMANN richtig bemerkt (Psychologie II, Seite 44f).
    24) WUNDT, Logik II, Seite 483f; Essays, Seite 135f.
    25) vgl. WUNDT, Essays, Seite 166f
    26) KANT, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, a. a. O.
    27) VOLKMANN, Psychologie I, zweite Auflage, Seite 44f.
    28) ZELLER, über die Messung psychischer Vorgänge. Man vergleiche auch die Entgegnung WUNDTs in den "Philosophischen Studien".
    29) WUNDT, Logik II, Seite 486f.
    30) WUNDT, Essays, Seite 145.
    31) WUNDT drückt sich auch hierüber in vorsichtiger Weise aus, indem er sagt, daß die Ermittlung der Beziehungen, welche die einzelnen Glieder einer Vorstellungsreihe nach ihm qualitativen Inhalt zeigen, nicht unmittelbar in den Bereich experimeteller Methoden fällt, sondern der statistischen Verwertung möglichst zahlreicher zufällig sich darbietender Beispiele bedarf (Logik II, Seite 488).
    32) Man vergleiche, was ich in meinem Buch "Erfahrung und Denken" über die "leitenden Gesichtspunkte" auseinandergelegt habe (Seite 32f). Die "Richtschnur", von der oben die Rede ist, gehört zu den "leitenden Gesichtspunkten".
    33) Man vergleiche mein genanntes Buch Seite 374f und 382. Es handelt sich hiernach oben im Text um ein "vorbereitendes Klassifizieren", das wir jedoch nach antizipierten [erahnten - wp] Gesichtspunkten aus dem weiteren Verlauf der Psychologie gestalten.
    34) Man vergleiche hierzu LOTZE, Metaphysik 1879, Seite 518f und 532f.
    35) SIGWART, Logik II, Seite 158f. Sehr bestimmt wird diese Einsicht auch von MEINONG ausgesprochen ("Über philosophische Wissenschaft und Propädeutik", Seite 27f). Besonders in der Psychologie müsse die exakte Erklärng eine exakte Beschreibung zur Grundlage haben. Eine ungeduldiges Voraneilen der ersteren kann gerade in der Psychologie die ernstesten Gefahren im Gefolge führen.
    36) WUNDT, Logik II, Seite 3 (vgl. Seite 485).
    37) LAAS, Idealismus und Positivismus, Bd. I, Seite 188.
    38) HERBERT SPENCER, Die Prinzipien der Psychologie (übersetzt von VETTER), Bd. I, Seite 156f.
    39) Natürlich ist dieses "neu" nicht in einem absoluten Sinn zu nehmen; denn die ursprünglichere Qualität enthält die abgeleitete als positive Richtung ihrer eigenen Entwicklung in sich.