p-4Th. ElsenhansH. Laehrvon KriesR. Lagerborg    
 
ADOLF HORWICZ
(1862 - 1950)
Zur Lehre von den
körperlichen Gemeingefühlen

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"Auch diejenigen Gemeingefühle, die uns zu Bewußtsein kommen, bleiben höchst unklar und ganz dunkel. Nur eine kleine Zahl von ihnen ist durch ihre häufige Wiederkehr sowohl in ihrer Erscheinungsweise als auch hinsichtlich der erfolgreichen Reaktion so bekannt geworden, daß wir auch von ihnen und durch sie völlig klare und deutliche Vorstellungen besitzen (Hunger, Durst, Sexualgefühle u. a.). Die bei weitem überwiegende Mehrzahl bleibt völlig dunkel, unbeschreibbar und unergründlich. Wir wissen nicht wie und wo, wir sind außerstande uns Rechenschaft zu geben, zu beschreiben, was wir fühlen, was wir in ganz vager unbestimmter Weise empfinden. Nur in einigen Fällen können wir ungefähr den Ort angeben, den wir als Sitz des Gefühls empfinden; aber auch dabei unterlaufen noch oft Täuschungen. Meist aber ist es völlig unbestimmt oder scheint die  ganze Sphäre leiblichen Empfindens einzunehmen."

"Nur bei den allerausgesprochensten unter den Gemeingefühlen, den Schmerzen, haben wir es zu einer sehr groben und ungefähren qualitativen Beschreibung gebracht, indem wir von  bohrenden, brennenden, schneidenden, reissenden, ziehenden, beissenden, nagendenden, dumpfen usw. Schmerzen reden. Aber auch hier können wir nur in einzelnen Fällen eine bestimmtere Beziehung zwischen Ursache und Wirkung feststellen, etwa wie diejenige, daß der brennende Schmerz der entzündlichen Reizung zarter Häute, richtiger wohl einer flächenhaft ausgebreiteten Reizung, der bohrende einer stärkeren, mehr auf einen Punkt konzentrierten entspricht."


Im Vorwort zu meiner "Analyse der qualitativen Gefühle" habe ich mich zu dem Geständnis veranlaßt gesehen, "daß ich an einer ganzen Gefühlsgruppe" - derjenigen der körperlichen Gemeingefühle - mit einer bloßen Erwähnung vorbei gegangen bin. In der dem Werk beigegebenen Gefühlstafel habe ich zwar noch versucht, die Gemeingefühle in die allgemeine Klassifikation einzuordnen und eine Untereinteilung zu skizzieren. Allein beides blieb mit dem Makel des gewissermaßen Improvisierten behaftet; und bei nochmaliger reiflicherer Überlegung vermag ich das dort Gebotene nicht als durchweg gelungen zu betrachten. Es sei mir gestattet, das damals Versäumte hier nachzuholen.

Freilich, wenn man gewissen Schriftstellern glauben wollte, so wäre überhaupt nichts oder nicht viel versäumt. Es gibt unter den Psychologen alten Schlags Leute genug, die all dasjenige, was wir hier zu behandeln gedenken, als lediglich der Leiblichkeit anheimfallend und außerhalb der Sphäre der Psychologie liegend betrachten, als ob nicht alles, was unseren lebenden Leib irgendwie berührt und dadurch zum Inhalt unseres leiblichen Lebens wird, eben damit auch psychisch empfunden werden müßte. Unter den Neuerern erklärt RUDOLF MEDEM (1) kurz und bündig, unsere ganze Materie als einfach nicht existierend zu betrachten. "Wir unsererseits haben des unklaren Wortes "Gemeingefühl" nicht bedurft und dies hätte niemand, wenn man sich von Anfang an hätte klar zu machen gesucht, welche Empfindungen man darunter subsumieren wollte." Er erklärt damit das Gemeingefühl für einen unklaren Sammelbegriff, der durch schärfere Distinktion und richtige Subsumtion völlig absorbiert und auf die übrigen Empfindungsarten verteilt werde. Allein weder hat er selbst diese Arbeit geleistet, noch ist sie von irgendeinem andern getan worden. Die Gefühle des Hungers, Ekels, der Wollust und viele andere lassen sich auch nicht anderweitig rubrizieren, sondern bilden eine Gattung für sich. Darin allerdings können wir dem genannten Schriftsteller Recht geben, daß diese Gattung schlecht begrenzt sei, daß mit dem Wort Mißbrauch getrieben wird und daß es zu mancher Unklarheit Anlaß gibt. Das ist jedoch ein Schicksal, welches das Gemeingefühl mit jedem andern  ungenügend bearbeiteten  Begriff teilt und es pflegt nicht die Schuld der Begriffe selbst, sondern derer zu sein, die sie bearbeiten, wenn sie unklar und schlecht begrenzt sind.

Übrigens so unklar und was sie sonst sein mögen, so darf man doch ihre eigentümliche  Wichtigkeit  nicht verkennen. Beruth doch auf ihnen ganz und gar, oder besser, besteht doch aus ihnen ganz und und gar, was man  körperliche Stimmung  nennt,  das leibliche Wohl- oder Übelbefinden  und weiß doch jeder Kundige, daß von dieser Sphäre auch  die geistige und gemütliche Stimmung  wenigstens in negativ entscheidendem Sinne abhängig ist, dergestalt, daß bei physischer Verstimmtheit eine gute psychische Stimmung nicht leicht möglich, während gute physische Stimmung psychische Widrigkeiten leichter zu nehmen geneigt macht. von  hohem wissenschaftlichen Interesse  ist unsere Materie aber auch deshalb, weil sie uns in der eigenen vollbewußten Seele die Empfinung in einfachster, mindest entwickelter Form - unter Bedingungen etwa von solcher Einfachheit, wie wir sie sonst nur etwa am neugeborenen Kind oder Tier nur auf sehr mittelbare Weise erschließen können, hier unmittelbar vor Augen stellt. Es kann kaum fehlen, daß von diesem dunkelsten Punkt des Seelenlebens, falls es gelingt, ihn in die rechte Beleuchtung zu setzen, ein helles Licht falle auf den eigentlichen Gang der ganzen seelischen Entwicklung.


Von den Gemeingefühlen im Allgemeinen

1. Der Begriff des Gemeingefühls

Die Benennung Gemeingefühl umfaßt alle diejenigen Empfindungen, welche aus dem physischen Leben, den eigentlichen Lebensprozessen, der jeweiligen Funktion des physiologischen Apparates ohne Hinzutung äußerer Anstöße unmittelbar hervorgehen. Hierzu ist zweierlei zu bemerken: Die Definition könnte dem einen zuviel, dem andern zuwenig enthalten. Zuwenig, da man nach dem Wortlaut des Namens, der doch, wenn richtig gewählt, die Sache bezeichnen soll, ein allgemeines, den ganzen Organismus betreffendes, allen seinen Teilen gemeinsames Gefühl von allgemeinen stimmungsartigem Charakter erwartet hätte. Diese Ausstellung jedoch erledigt sich dadurch, daß der allgemeine stimmungsartige Charakter zwar tatsächlich dem größeren und wichtigeren Teil unserer Gefühle zukommt, jedoch nicht allen und nicht unter allen Umständen und nicht ursprünglich und wesentlich, sondern als Folgeerscheinung. Es wird sich nämlich im Verlauf unserer Erörterung zeigen, daß wegen der gegenseitigen innigen Verbindung aller Organe mit allen dieses stimmungsartige Zusammenfließen eigentlich fortwährend stattfindet - und wenn man will, steht deshalb auch nichts dagegen, die obige Definition durch einen dahin gehenden Zusatz zu erweitern. Man möge sich dabei nur gegenwärtig halten, daß diese Erscheinung doch keine besondere Eigentümlichkeit unserer Gefühlsart bildet, sondern ebenso bei den höheren psychischen Gefühlen und selbst bei den mehr theoretischen und objektiven Vorstellungsgebilden wiederkehrt.

Eine zweite Bemängelung könnte sich an den Zusatz "ohne Hinzutun äußerer Reize" hängen, da doch unmittelbar Schmerz oder Lust setzende äußere Ursachen nicht bloß denkbar, sondern augenfällig häufig wirksam werden. Es gilt hier dasselbe wie im vorigen Fall, es liegt nicht gerade im Wesen des Gemeingefühls, daß es auf äußeren Anstoß erfolgt, ob ein Entzündungsschmerz aus innerer Kongestion [Blutansammlung an einer bestimmten Stelle - wp] oder aus äußerem Stoß resultiert, ist für den psychischen und eigentlich auch für den physiologischen Charakter des Vorgangs ziemlich gleichgültig, das Wesentliche liegt in der Entzündung, die, gleichviel wodurch hervorgerufen, ein innerer Vorgang im jeweils ergriffenen Gewebe ist.


2. Allgemeine Beschreibung und Charakteristik des Gemeingefühls

Nach vorstehender Definition fallen also in unser Gebiet aus der normalen oder abnormen Funktion, dem gesunden oder krankhaften Ernährungszustand, der reichlichen oder sparsamen Absonderung der Drüsen oder sonstigen se- oder exzernierenden [absondernder oder nicht absondernder - wp] Organe und Gewebe, dem Tonus der Gefäße, der ungehinderten oder erschwerten Zirkulation der Säfte, dem Zustand der Füllung oder Leerheit von Behältern, der Straffheit oder Erschlaffung von Muskeln, der Aufnahme notwendiger oder nützlicher, der Ausstoßung überflüssiger oder schädlicher Stoffe, kurz aus der Gesamtheit aller das organische Leben ausmachenden physiologischen Prozesse resultierenden Empfindungen oder Gefühle. Bei der ungeheuren Kompliziertheit des Organismus ergäbe sich daraus eine geradezu unendliche Zahl in jedem Augenblick nebeneinander in uns vorhandener Gemeingefühle, während unser Bewußtsein, wenigstens dem Anschein nach, hiervon nichts weiß. Alle die Prozesse, welche wir soeben als Veranlassung von Gemeingefühlen namhaft gemacht haben, verlaufen nach der gewöhnlichen, auch in der Psychologie sich geltend machenden Auffassung unbewußt und ohne Empfindungen und nur ausnahmsweise knüpfen sich solche daran. Wäre diese Auffassung richtig, so müßten wir darauf verzichten, ein Verständnis unserer Materie zu gewinnen, so würde uns dieselbe eine Anzahl völlig disparater Gefühle zeigen, zwischen denen es unmöglich wäre, irgendeinen Zusammenhang zu etablieren und ebenso würden diese wiederum den übrigen Empfindungen gegenüber völlig fremd gegenüberstehen. So darf man also wohl mit Recht sagen, daß gerade unser so dunkles Gebiet geeignet sei, wichtige Aufschlüsse für das Verständnis des gesamten Lebens zu gewinnen.

Denn jene Auffassung, daß die bezeichneten vitalen Prozesse für das Seelenleben gar nicht existieren, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Einmal schon deshalb nicht, weil der Gegensatz von "bewußt" und "unbewußt", wie ich anderweitig nachgewiesen habe, in solcher Schärfe überhaupt nicht existiert, vielmehr vom hell und voll Bewußten zum minder und schwach, zum unmerklich und so gut wie gar nicht Bewußten nur fließende Übergänge stattfinden. Sodann, wie sollte sich das Hervortreten einzelner dieser Prozesse in die volle Helligkeit des Bewußtseins erklären lassen, wenn die übrigen ganz und gar unbewußt wären und es ihnen an allen Bedingungen des Empfundenwerdens völlig gebräche. Endlich zeigen Erfahrung und Beobachtung direkt das Vorhandensein zahlreicher, unendlich schwachbewußter Organ- und Funktionsgefühle, die nur ausnahmsweise bei besonderer Aufmerksamkeit, durch Verstärkung oder sonst günstige Umstände uns zu Bewußtsein kommen.

Daraus ergibt sich zugleich die allgemeine Charakteristik dieser psychischen Gebilde. Es ist geradezu ein wesentliches Merkmal derselben, daß sie uns in der Regel nur in ihren höheren Graden zu Bewußtsein kommen; und zwar dann entweder als entschiedene Lust oder als entschiedene Unlust; eine gleichgültige Gemeingefühlsempfindung gibt es nicht. Aber auch diejenigen Gemeingefühle, die uns zu Bewußtsein kommen, bleiben höchst unklar und ganz dunkel. Nur eine kleine Zahl von ihnen ist durch ihre häufige Wiederkehr sowohl in ihrer Erscheinungsweise als auch hinsichtlich der erfolgreichen Reaktion so bekannt geworden, daß wir auch von ihnen und durch sie völlig klare und deutliche Vorstellungen besitzen. (Hunger, Durst, Sexualgefühle u. a.) Die bei weitem überwiegende Mehrzahl bleibt völlig dunkel, unbeschreibbar und unergründlich. Wir wissen nicht wie und wo, wir sind außerstande uns Rechenschaft zu geben, zu beschreiben, was wir fühlen, was wir in ganz vager unbestimmter Weise empfinden. Nur in einigen Fällen können wir ungefähr den Ort angeben, den wir als Sitz des Gefühls empfinden; aber auch dabei unterlaufen noch oft Täuschungen. Meist aber ist es völlig unbestimmt oder scheint die  ganze  Sphäre leiblichen Empfindens einzunehmen.


3. Verlauf, organische Grundlage und Einteilung

Die tatsächliche Erscheinung des Gemeingefühls ist nach dem Grad sehr verschieden. In den niederen Graden stehen sie unserem Bewußtsein so völlig fern, daß wir faktisch von ihnen unmittelbar nichts wissen und nur mittelbar auf ihr Vorhandensein schließen können. Es gibt namentlich drei Tatsachen, aus denen wir mit Notwendigkeit folgern müssen, daß jedes Organ und jedes Gewebe, wahrscheinlich auch jede Funktion und jeder Prozeß Sitz eines Gefühls ist, das uns nur deshalb unmerklich ist, weil unser Bewußtsein von stärkeren Erregungen in Anspruch genommen ist.
    a) Beim Nachlassen eines Schmerzes empfinden wir im schmerzhaft gewesenen Teil nicht etwa nichts, sondern ein entschieden angenehmes Gefühl. Es ist das gewöhnliche, sonst unmerkliche  Organgefühl,  das jetzt durch den Kontrast mit dem Schmerz angenehm empfunden wird.

    b) Wenn man auf einen bestimmten Teil seines Körpers etwa ein einzelnes Glied oder einen irgend begrenzten Abschnitt des Rumpfes usw. seine Aufmerksamkeit besonders scharf konzentriert, so entdeckt man ein ganz leises, aber doch merkliches, bei normalem Zustand schwach angenehmes Gefühl.

    c) Irgendeine körperliche Stimmung ist in jedem Augenblick vorhanden - das körperliche Befinden, das sich notwendig immer irgendwie angenehm oder unangenehm im Bewußtsein geltend macht. Da dieses Befinden offenbar nur die Summe der Spezialgefühle der einzelnen Organe und Gewebe sein kann, weil es an jedem Organ für dieses körperliche Generalgefühl völlig hängt und da eine Summe aus lauter Nullen, wenn sie auch noch so zahlreich sind, in alle Ewigkeit nichts geben kann, so schließt man aus dem Vorhandensein fortwährender körperlicher Stimmungen mit Recht auf das Vorhandensein fortwährender Spezialgefühle in jedem Organ oder Gewebe.
Von diesem Stand nahezu völliger Unmerklichkeit erheben sich die Gemeingefühle bei wachsendem Reiz zu mehr oder weniger ausgesprochenen, deutlichen Spezialgefühlen. Auch für sie dürfen wir die von WUNDT (Grundzüge der physiologischen Psychologie, Seite 433) dargestellte Kurve mit den von mir (Psychologische Analyse usw. II, 2, Seite 24f) nachgewiesenenen Modifikationen, für maßgebend ansehen, wenngleich es natürlich unmöglich ist, das im Einzelnen experimentell oder tatsächlich nachzuweisen. Danach würden analog den in allen anderen Gefühlssphären beobachteten Erfahrungen auch hier die schwächsten Reize Unlust, die mittleren und starken wachsende Lust, die stärksten noch empfindbaren aber wieder Unlust (Schmerz) bedingen.

Nerven-Apparate.  In Bezug auf die, die veranlassenden Reize und die die Empfindung vermittelnden Apparate habe ich neuere Forschungsresultate nicht zu verzeichnen und nur im allgemeinen auf die von mir (Psychologische Analyse usw. Bd. I, Kap. 17 und 34) zusammengestellten Ergebnisse des damaligen Standes der physiologischen Forschung zurückzuverweisen. Wir mußten es damals als in hohem Grade wahrscheinlich bezeichnen, daß es keine besonderen Leitungsbahnen für die Gemeingefühle gibt, sondern daß diese einerseits auf die sensiblen Nerven der Haut und des Rumpfes, welche die Tastempfindungen und die Muskelgefühle vermitteln, andererseits auf diejenigen, welche in den einzelnen Organen und Geweben in reflektorischer Weise die verschiedenen Bewegungen (Herz-, Muskel- usw. Bewegungen), den Tonus der Gefäße, die Resorption [Aufnahme - wp] der Säfte, die Sekretion der Drüsen und Schleimhäute und dgl. mehr auslösen - exzitatorische [erregende - wp] Nerven angewiesen sind. So ausgebildete Perzeptionsapparate wie bei den höheren Sinnesnerven darf man für unsere elementare Sphäre nicht erwarten. Doch hat man im Mesenterium [Gekröse am Darm - wp] der Katze eine Art von einfachen Tastkörperchen nachgewiesen. Ob auch in anderen Fällen die letzten Endigungen der exzitatorischen Nerven für die Aufnahme von Erregungen besonders gerüstet sind, wissen wir nicht. Wohl aber wissen wir, daß Gewebe, die keinen Nervenapparat zeigen und die gewöhnlich für unempfindlich gelten, empfindlich werden, sobald sie eine entzündliche Rötung zeigen. In diesen und ähnlichen Fällen werden wir anzunehmen haben, daß die den nervenlosen Geweben benachbarten Nerven die Aufnahme und Weiterleitung der Erregungen besorgen, ähnlich wie die Aufnahme der Innervationsgefühle [Nervenimpulse - wp] nachweislich durch sensible Nerven geschieht, deren Endausbreitung nur in die die Muskeln umgebenden Lymphräume hinabreichen, während die Muskelsubstanz selbst der sensiblen Nerven gänzlich entbehrt. Endlich kann sich der in einem nervenlosen Gewebe gesetzte Reiz durch mittelbare Folgen der Funktions- oder Ernährungsstörungen geltend machen.

Als Zentralapparate werden wir in erster Linie die in die Organe (Herz, Darm usw.) verstreuten einzelnen Ganglienzellen, sodann die im Verlauf des Sympathicus [Teil des vegetativen Nervensystems - wp] und Vagus [größter Nerv des Parasympathicus - wp] befindlichen Plexus [willkürlich motorisches Nervennetzwerk - wp] und Knoten, endlich die graue Substanz im Vagus- und Sympathicuskern zu betrachten haben.

Reize und Qualitäten.  Die verschiedenen Qualitäten der Gemeingefühle sind natürlich völlig verschwimmend und gänzlich unqualifizierbar. Wenn wir schon für die Gerüche kein anderes Charakteristikum anzugeben wissen als die riechende Sache, so ist die Unbeschreiblichkeit des Gefühls ansich hier noch vollständiger, aber es fehlt dabei an jeder Möglichkeit, sie mit bestimmten Veranlassungen in eine ursächliche Verbindung zu bringen. Nur bei den allerausgesprochensten unter den Gemeingefühlen, den Schmerzen, haben wir es zu einer sehr groben und ungefähren qualitativen Beschreibung gebracht, indem wir von  bohrenden, brennenden, schneidenden, reissenden, ziehenden, beissenden, nagendenden, dumpfen usw.  Schmerzen reden. Aber auch hier können wir nur in einzelnen Fällen eine bestimmtere Beziehung zwischen Ursache und Wirkung feststellen, etwa wie diejenige, daß der brennende Schmerz der entzündlichen Reizung seröser Häute, richtiger wohl einer flächenhaft ausgebreiteten Reizung, der bohrende einer stärkeren, mehr auf einen Punkt konzentrierten entspricht.

Einteilung der Gemeingefühle.  Wenn nach dem bisher Erörterten das Wesen der Gemeingefühle darin besteht, daß sie alle das organische Leben ausmachenden physiologischen Prozesse in der Form der Empfindung, wenn auch unvollkommen ausdrücken, gleichsam nachempfinden, wenn es aber dabei in der Natur dieser Empfindungen liegt, ihrer überwiegenden Mehrzahl nach unbewußt zu bleiben und nur ausnahmsweise gesondert hervorzutreten, übrigens aber nur als Gesamteffekt uns Stimmung wirksam zu werden: so ist damit die Einteilung der Gemeingefühle gewissermaßen wie von selbst gegeben. Es sondern sich nämlich von den die ganze körperliche Stimmung ausmachenden Gesamt- und Gemeinbildungen, den nach gewöhnlichem Wortverstand  eigentlichen Gemeingefühlen,  die aus den einzelnen Organen und Geweben resultierenden Sonderempfindungen - die  Organgefühle  ab. Diese zerlegen sich weiter in  allgemeine,  d. h. allen Organen und Geweben gemeinsame und in  spezielle,  d. h. bestimmten Organen eignende. Die ersteren zerfallen in die  normalen,  d. h. der Regel nach unbewußt bleibenden und die  gesondert hervortretenden.  Für die Richtigkeit und Natürlichkeit dieser Einteilung wird es sprechen, wenn sich von einem Glied derselben zum andern einfache und ungezwungene Übergänge nachweisen lassen.

Nach diesem Leitfaden versuchen wir jetzt einen gedrängten Abriss der  speziellen Gemeingefühls-Lehre  zu entwerfen.


A. O r g a n g e f ü h l e

a) Allgemeine Organgefühle

α) Normale

Wir beginnen mit dem allerdunkelsten und unbekanntesten Teil unseres Gebiets, d. h. mit den für gewöhnlich unbewußt und unbemerkt bleibenden, nur unter besonderen Umständen gelegentlich gesondert hervortretenden, übrigens aber nur in ihrer Gesamtheit als Stimmung sich kundgebenden. Man darf sie nicht Empfindungen nennen, weil sie ja eben nicht empfunden, nicht perzipiert werden. Auch als eigentliche Gefühle darf man sie aus demselben Grund nicht bezeichnen, weil sie sich so nicht in Lust oder Unlust geltend machen. Man kann sie als Teile oder Elemente eines Gefühls betrachten, insofern alle gleichzeitig vorhandenen Organgefühle die jeweilige körperliche Stimmung ausmachen, die wohl in jedem Augenblick ein, wenngleich nicht immer besonders qualifizierbares Gefühl sein muß. Am richtigsten wird man sie  Gefühlsrudimente  nennen. Jedes einzelne von ihnen würde, wenn das betreffende Organ oder Gewebe ein selbständiges Leben führte, als selbständiges Gefühl zur Geltung kommen. Es kann aber aus einem doppelten Grund nicht, weil einmal die große Zahl der gleichzeitig nebeneinander bestehenden die Wirkung jedes einzelnen beeinträchtigt, weil zweitens die Gewöhnung wie alle übrigen Gefühle auch sie erheblich abstumpft und weil endlich durch die Entwicklung des höheren psychischen Lebens diese ganze Sphäre erheblich in den Hintergrund gedrängt wird.

So ist es natürlich nur sehr wenig, was wir von diesen  Gefühlsresten  wissen. Es ist das eigentümliche Leben jedes Organs, das in ihnen seinen Ausdruck findet, wenn auch nur in verkürzter und verkümmerter Weise. Und wir dürfen glauben, daß sich dieser rudimentäre Gefühlsausdruck normalerweise auf der Lustseite bewegt, d. h. angenehm ist - "die süße Gewohnheit des Daseins" - nur, daß man eben wegen dieser Gewöhnung gewöhnlich nicht weiß, wie gut man es hat. Wir dürfen das aber deshalb glauben, weil, abgesehen von der direkten Beobachtung beim Nachlassen des Schmerzes, das entschieden Unangenehme mehr ins Bewußtsein fällt, also damit der folgenden Klasse der gesondert hervortretenden Gemeingefühle angehört.

Unergründliches Dunkel freilich lastet auf diesen dunkelsten aller seelischen Gebilde, ein Dunkel, das der Vagheit so ähnlich sieht, daß der exakte Forscher sich versucht fühlen könnte, unseren Begriff ganz und gar ins Vage und Nebelhafte zurückzuweisen. Wir wissen nicht, welches in jedem Falle der Reiz, welches der Nullpunkt der Empfindung, welches der Verlauf der Empfindungskurve ist. Denken wir an ein bestimmtes Organ: Niere, Leber, Speicheldrüse, so würden wir allerdings in Verlegenheit sein, zu sagen, was für jedes als Reiz anzusehen sein solle: die chemische Beschaffenheit oder der vermehrte oder verminderte Druck des Blutes oder Paremchymsaftes [Grundgewebesaft - wp], aus dem das Sekret oder Exkret hergestellt wird oder die Tätigkeit des Sezernierens selbst, die wir gleichfalls nicht kennen. Noch weniger natürlich wissen wir zu sagen, an welchem Normalen sich jene unbekannte Reizbewegung messen solle, welcher Zustand der Dinge (welcher Gehalt an Harnstoff und Wasser des Blutes für die Nieren) dem Unlustgefühl zu geringen Reizes, welcher dem Unlustgefühl des mäßig starken Reizes usw. entsprechen soll. Außer dem chemischen Beschaffenheit und dem Druck der zugeführten und der Gewebesäfte und außer den zahllosen Minimalprozessen der wechselseitigen molekularen Anziehung und Umsetzung, aus denen sich die Funktion des Organs zusammensetzt, würde noch für alle diejenigen Fälle - und das dürften leicht die zahlreichsten sein -, in welchen die Absonderung oder auch die Resorption durch Nerventätigkeit bedingt ist, auch noch die Erregung dieser Nerven gleichfalls mit in Betracht kommen.

Dieses auf unserer Materie lastende Dunkel mag zu aufmerksamer Beobachtung, tatsächlicher Detailforschung und zur fleißigen Sammlung aller aus der Physiologie und namentlich auch der Pathologie der einzelnen Organe hier herbeizuziehenden Momente auffordern, Bemühungen, für die gewiß auf reichen Entdeckererfolg zu rechnen wäre: es darf aber sicherlich nicht dazu verleiten, die ganze Materie in das Reich der Sage und des Nebels zu verweisen. Dafür liegt auch jetzt schon zuviel Tatsächliches vor und außer dem bisher schon Beigebrachten namentlich noch das, daß es möglich ist, aus diesem dunklen Mutterschoß den Hervorgang aller deutlicheren und besonderen Gemeingefühle, ja sogar im Anschluß darans selbst der höheren Empfindung in ungezwungener Entwicklung aufzuzeigen. Man braucht sich nämlich bloß die Frage vorzulegen, wie es wohl geschehen könne, daß aus diesem Chaos der zahllosen, in jedem Augenblick gleichzeitig vorhandenen und um die Grenze der Wirklichkeit schwebenden Organgefühle etwas für unser Bewußtsein resultiere, um sofort einen brauchbaren Fingerzeig für jene Entwicklung in der Hand zu haben. Denn wenn jeder physiologische Vorgang in jedem Organ Gegenstand eines Gefühls werden soll, diese Gefühle aber deshalb nicht voll perzipiert werden, weil sie teils an sich zu schwach sind, teils ihrer großen Zahl halber einander verdunkeln, teils wegen mangelnder Leitung nicht bis zu den Hauptherden des Bewußtseins vorzudringen vermögen, so ergibt sich hieraus wie von selbst, unter welchen Umständen Gemeingefühle gesondert ins Bewußtsein hervortreten und unter welchen anderen sie sich als eigenartige Gefühle eines speziellen Organs geltdend machen. Die uns zu Bewußtsein kommenden Gemeingefühle sind entweder  verstärkte  oder  bevorzugte Organgefühle,  d. h. sie erzwingen entweder den Zugang zum Bewußtsein durch das Anwachsen des Reizes und der Erregung oder sie kommen vermöge der Eigentümlichkeit ihrer Organe oder deren Verbindungen auf indirektem Weg zu Bewußtsein. Der übrigbleibende Rest hat kein anderes Mittel sich zum Ausdruck zu verhelfen als das Mischgefühl der  Stimmung.  Vielleicht aber ergeben sich auf für dieses aus der Natur des verbleibenden Restes sowie durch Analogie- oder e-contrario-Schlüsse [Umkehrschluß - wp] aus den bewußten Gefühlen bestimmtere Fingerzeige.


β) Gesondert hervortretende oder verstärkte Organgefühle

Für die verstärkten Organgefühle haben wir in den uns ziemlich gut bekannten Gemeingefühlen der Haut und der äußeren Bedeckungsgeschichten ein lehrreiches und den gleichartigen Ursprung der übrigen gut belaubigendes Beispiel.

Äußere Gemeingefühle.  Als solche betrachten wir diejenigen, die in den sensiblen Nerven der Haut bzw. der oberen Bedeckungsschichten ihren Sitz haben. Es sind das dieselben Nervenprovinzen, denen wir die Sinnesempfindungen des sogenannten Tastgefühls, die Empfindungen des Drucks und der Temperatur verdanken und die uns hier die Gemeingefühle des Schmerzes, des Juckens, Kitzesl und einiger nicht besonders bezeichneter Wohlgefühle liefern. Dieselben sind im Allgemeinen wohl bekannt und ich habe das Wichtigste über sie in meiner Psychologischen Analyse usw. II 2, Seite 27f Gesagte mag hier eine Gruppierung der Gefühle nach dem Verhältnis von Reiz und Empfindung versucht werden.

Als Reize für unsere Gefühlsklasse haben wir normalerweise nur Druck (in seinen verschiedenen Modifikationen als Stoß, Schlag, Reiben, Reissen usw.) und Temperaturunterschied in den beiden Formen der Kälte und Wärme in Betracht zu ziehen, während ausnahmsweise, d. h. beim Experiment oder bei besonderem Anfall auch Elektrizität und chemische Differenz wirksam werden können. Völlig bekannt sind uns die Verhältnisse nur beim Druck und hier geben sie ein völlig klares, einfaches, dem allgemeinen Gefühlsschema durchaus entsprechendes Bild.
    1. Äußerst schwacher Druck, leiseste Anstöße geben das unangenehme Gefühl des  Kitzels.  Die Reaktion auf dasselbe ist nicht nur auf die Beseitigung des kitzelnden Gegenstandes, sondern zugleich auch auf Verstärkung des Reizes gerichtet. Wenn jemand in der Achselhöhle gekitzelt wird, stößte er nicht nur den kitzelnden Finger fort, sondern drückte den Arm fest an und reagiert so durch Druck. Ebenso pflegt man die durch eine Fliege oder einen Federbart gekitzelte Stelle zu kratzen.

    2. Etwas stärkere - länger dauernde Anstöße geben das gemischte Gefühl des  Juckens.  Es wird z. B. häufig durch den Druck der auf der Haut abgelagerten abgestoßenen Epidermisschuppen, durch leichte Anätzung mit korrodierenden Stoffen (Brennessel) u. a. mehr. Das Jucken heilender Wunden hat seinen Grund vielleicht im leichten Druck, der durch den Heilungsprozeß (Granulation) neugebildeten Zellen. Während das aus inneren Ursachen bei Blutschorf, Flechten etc. hervorgehende Jucken wohl chemischen Reizen zuzuschreiben sein dürfte. Das Jucken ist offenbar dem Kitzel verwandt. Wie dieser fordert es, nur in weit höherem Grad, starke Reize - Kratzen heraus. Es unterscheidet sich aber von jenem dadurch, daß es nicht rein unangenehm, sondern halb angenehm ist. Es ist als ob ein Kitzel durch einen etwas stärkeren Reiz fortwährend aufgehoben werde und fortwährend sich wieder neu erzeugt. Das Charakteristische für das Jucken ist das Bedürfnis, sich zu kratzen, welches den Reiz anfangs steigert und ihn in Wohlgefühl auflöst. Das Jucken kann so hartnäckig sein, daß es erst dem stärksten Reiben und Kratzen weicht, bis dann das nahezu wollustartig gesteigerte Lustgefühl in erheblichen Wund- oder Verbrennungsschmerz übergeht.

    3. Noch stärkerer Reiz erzeugt steigendes Wohlgefühl, Reiz und Lust in ziemlich gleichem Verhältnis wachsend. Es ist zugleich das Stadium der deutlichsten Empfindung, d. h. dasjenige, in welchem wir am besten imstande sind, an unserer Empfindung die Größe des veranlassenden Reizes zu messen.

    4. Eine weitere Steigerung des Druckes ergibt Schmerz. Die verschiedenen Qualitäten des Schmerzes, brennend, bohrend, stechend, schneidend usw., werden teils auf die Verschiedenheit der Art der Einwirkung des Reizes, teils auf die Verschiedenheit der in Angriff genommenen Organe zurückgeführt.
Bei Temperatur- und chemischem Reiz ist die Skala teils nicht so gut bekannt, teils nicht so vollständig. So sind bei der Temperatur zwar die Stufen 3 und 4 in aller Feinheit entwickelt, jedoch wissen wir über die beiden ersten nichts.

Innere Gemeingefühle.  Alle die aufgeführten Formen des äußeren Gemeingefühls können auch eintreten, ohne daß ein äußerer Reiz vorliegt. Es ist das eine interessante Zwischenstufe zwischen inneren und äußeren Gemeingefühlen. Nämlich in denselben Nervenprovinzen, in welchen die äußeren Gemeingefühle mit den Tastempfindungen ihren Sitz haben, können durch Ursachen, die wir nur zum Teil kennen, die aber sämtlich aus den eigenen Lebensprozessen stammen und die sich wohl gleichfalls auf Verhältnisse des Drucks, der Temperatur- und chemischen Differenz werden zurückführen lassen, Gefühle hervorgerufen werden, die ganz und gar denen gleichen, die wir auf äußere Reize zu beziehen gewohnt sind. Reine  Kitzelgefühle  scheinen äußerst selten vorzukommen, mir wenigstens ist darüber nichts bekannt geworden, umso häufiger kommt die Form des  Juckens  vor. Wenn man, worüber man zweifelhaft sein könnte, die Fälle, in denen durch ausgeschiedene Epidermisschuppen und durch Granulation bei heilenden Wunden Jucken erregt wird, mit auf organische Prozesse zurückzuführende hierher statt zu den durch äußeren Reiz erregten Gemeingefühlen rechnen will, dann würden für letztere Gefühlsklasse nur sehr wenige und seltene Fälle der Gefühlsstufe des Juckens übrig bleiben, während aus inneren Reizen Jucken auch sonst noch durch lokale Entzündung, Schärfe der Säfte, Druck von Neubildungen usw. ziemlich häufig hervorgerufen wird. Selten dagegen erscheint in dieser Klasse die dritte Stufe der durch starken Reiz erregten positiven Wohlgefühle. Außer dem im Falle des Juckens durch die Reaktion des Kratzens hervorgebrachten Wohlgefühl wüßte ich hier nichts anzuführen, dagegen ist der Schmerz auch in diesen - bei normalen Gesundheitsverhältnissen meist ziemlich abgehärteten Partien allen kränklichen und namentlich nervösen Personen ein leider nur zu bekannter Gast. Es ist hier in erster Linie von den eigentlichen neuralgischen und nervösen Schmerzen, z. B. Gesichtsschmerzen, Ohrenschmerzen, Nervenschmerzen aller Art die Rede. Die speziellen Ursachen dersebel scheinen noch gänzlich unbekannt zu sein, doch kann im Allgemeinen nicht bezweifelt werden, daß Druck von auf die Nervensubstanz abgelagerter Substanzen, Temperaturerhöhung in Folge von lokalen Entzündungen oder durch ihre chemische Differenz reizende Stoffe dabei ihre Rolle spielen müssen. Bei den in ihrer ganzen Erscheinungsweise hiermit oft sehr ähnlichen  rheumatischen Affektionen  wird Druck und chemischer Reiz abgelagerter Harnsäurekristalle als erregende Ursache angenommen.

Diese Gefühlsgruppe vermittelt den natürlichen Übergang zu den eigentlichen  inneren Gemeingefühlen,  d. h. denjenigen gesondert hervortretenden Gefühlen, die in den inneren Organen und Geweben ihren Sitz haben. So unbekannt uns, wie bereits erwähnt, im Allgemeinen die Verhältnisse der für jedes Organ und jedes Gewebe in ganz verschiedener Weise einwirkenden normalen und abnormen Reize sind: soviel vermögen wir doch zu erkennen, daß sie sich im Ganzen - von vielen dunklen und unerklärlichen Details abgesehen - der vorhin gegebenen Empfindungsskala ziemlich ungezwungen unterordnen und sich auch dem oben erwähnten Normal-Gefühlsrudimenten natürlich anschließen.

Eigentlicher  Kitzel  in inneren Organen ist selten. Zwar wird der Reiz bei Husten und Niesen - insbesondere bei kurzem trockenen Husten - gewöhnlich als Kitzel bezeichnet, es ist mir aber doch zweifelhaft, ob es nicht richtiger sein möchte, ihn mit der folgenden Stufe des  Juckens  in Analogie zu bringen. Dagegen empfinde ich bei Obstruktionen (versetzten Blähungen) häufig ein leises kriselndes Gefühl in den Eingeweiden, das ich nach der ganzen Art seiner Reaktionen mit nichts anderem als mit dem gewöhnlichen Kitzel an geschützten Hautstellen zu vergleichen vermag. Als Analogon des Juckens würde dann außer dem Husten- und Niesreiz dasjenige Gefühl zu rechnen sein, welches uns bei Schläfrigkeit zum Strecken und Dehnen der Glieder sowie zum Gähnen veranlaßt. Die folgende Stufe der durch genügend starken Reiz hervorgerufenen Wohlgefühle wird in der Regel eben durch die unbewußt bleibenden Normalorgan-Gefühle ausgefüllt, deren wir eben nur unter den erwähnten besonderen Umständen gewahr werden. So bleibt für diese Klasse naturgemäß nur das Überreizungsgefühl des  Schmerzes  in der Form des Druckes bei Kongestionen und des auf erhöhte Temperatur oder chemischen Reiz zurückzuführenden Entzündungsschmerzes. Die Schmerzen bei Krampf mögen ihren Grund in der Pressung sensibler Nerven durch die gewaltsame Kontraktion [Zusammenziehung - wp] benachbarter Muskeln, teils aber auch direkt in dem die Krämpfe veranlassenden Reiz haben.
LITERATUR - Adolf Horwicz, Zur Lehre von den körperlichen Gemeingefühlen, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 4, Leipzig 1880
    Anmerkungen
    1) RUDOLF MEDEM, Grundzüge einer exakten Psychologie. I. die Mechanik der Empfindungen, Leipzig 1876, Seite 110